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TREFFPUNKT FORSCHUNG 282 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 278 – 284 NATURSTOFFE „Die ich rief, die Käfer… …werd’ ich nun nicht los.“ Greift der Mensch in Abläufe der Natur ein, ist häufig der Zauberlehr- ling-Effekt zu beobachten: die Dinge entwickeln ein Eigenleben und ent- ziehen sich weiterer Vorhersage und Kontrolle. Auch beim asiatischen Marienkäfer Harmonia axyridis ist dies der Fall. Im Weinbau wird er ambivalent beurteilt. Zwar reduziert er vor allem im Spätsommer den Befall der Reben mit der Blattreblaus Daktulosphaira vitifoliae, die ein bedeutender Schäd- ling ist, gleichzeitig besteht jedoch das Risiko, dass kurz vor der Weinlese massenhaft auftretende Käfer in Weinbaugebieten den Weingeschmack beeinträchtigen können. Zum ersten Mal wurde der Weinfehlton durch den asiatischen Marienkäfer im Jahr 2001 in den USA beschrieben, als Harmonia axyridis in großen Men- gen in den Prozess der Weinverarbei- tung gelangte. Der gefürchtete Marienkäferton im Wein wird von Methoxypyrazinen in der Körperflüssigkeit der Insekten hervorgerufen. Die Substanzen dienen der Verteidigung und als Warngerü- che. Sie gelangen vor allem beim Pres- sen der Trauben und bei der Maische- gärung in den Wein. Eine kurze Press- dauer sowie ein niedriger Druck von weniger als 2 bar tragen dazu bei, den Fehlton zu verringern, auch die Art der Vergärung hat einen Einfluss. Die Geschmacksschwelle hängt unter anderem von der Rebsorte ab: Beim Riesling liegt sie bei 4–5 Käfern pro Kilogramm Trauben, beim Spät- burgunder bei 5–6. Damit sind die durch die Tagespresse geisternden Sensationsmeldungen widerlegt, dass ein einziger asiatischer Käfer genüge, um hundert(e) Liter Wein zu ruinie- ren [1]. Auch der heimische Siebenpunkt- marienkäfer Coccinella septem- punctata kann einen vergleichbaren – sogar etwas intensiveren – Fehlton im Wein verursachen. Die dominie- rende Geruchssubstanz ist bei beiden Käferarten 2-Isopropyl-3-Methoxypy- razin (IPMP) aus der Hämolymphe (Abbildung 2), die gaschromatogra- fisch analysiert wurde. Die Gehalte schwankten jeweils im Bereich 2–12 ng pro Gramm Käfer. Im Durch- schnitt auf einen Käfer bezogen liegt der Gehalt bei 0,2 ng IPMP und ist damit in Übereinstimmung mit der Wahrnehmungsschwelle von 1 ng IPMP pro Liter oder 5 Käfern pro Kilo Trauben. Die Hämolymphe bei- der Käferarten enthält zusätzlich 2-Isobutyl-3-methoxypyrazin (IBMP), der heimische Siebenpunktkäfer in signifikant höheren Gehalten als der asiatische Einwanderer [1]. Der ursprünglich in Nord-Ost-Asien beheimatete Käfer Harmonia axyri- dis (Abbildung 1) wurde zur Be- kämpfung von Blattläusen zunächst nach Nordamerika (1916), später auch nach Europa eingeführt (1982). Vor etwa 15 Jahren begann der Käfer, sich massiv auszubreiten: Er dringt in alle Habitate ein, die von blattlaus- fressenden Käferarten besetzt sind. In Europa ist er inzwischen flächende- ckend vertreten. Natürliche Feinde braucht er hier kaum zu fürchten. Abb. 1 In Frühjahr und Herbst kommt es zu massenhaftem Auftreten des Asiatischen Marienkäfers. © Andreas Vilcinskas, Justus-Liebig-Universität Gießen. Abb. 2 2-Isopro- pyl-3-methoxypy- razin (IPMP) ruft maßgeblich den Käfergeschmack im Wein hervor. 2-Isobutyl-3- methoxypyrazin (IBMP) ist vor al- lem in der Hämo- lymphe des Sie- benpunktmarien- käfers enthalten. N N OCH 3 IPMP N N OCH 3 IBMP 18 NH 2 H 2 N 1 9 Abb. 3 Harmonin ist Bestandteil der Hämolymphe des asiatischen Marien- käfers und zeigt stark antibakterielle Wirkung.

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

282 © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 278 – 284

N AT U R S TO F F E

„Die ich rief, die Käfer……werd’ ich nun nicht los.“Greift der Mensch in Abläufe der Natur ein, ist häufig der Zauberlehr-ling-Effekt zu beobachten: die Dinge entwickeln ein Eigenleben und ent-ziehen sich weiterer Vorhersage und Kontrolle. Auch beim asiatischenMarienkäfer Harmonia axyridis ist dies der Fall.

Im Weinbau wird er ambivalentbeurteilt. Zwar reduziert er vor allemim Spätsommer den Befall der Rebenmit der Blattreblaus Daktulosphairavitifoliae, die ein bedeutender Schäd-ling ist, gleichzeitig besteht jedochdas Risiko, dass kurz vor der Weinlesemassenhaft auftretende Käfer inWeinbaugebieten den Weingeschmackbeeinträchtigen können. Zum erstenMal wurde der Weinfehlton durchden asiatischen Marienkäfer im Jahr2001 in den USA beschrieben, alsHarmonia axyridis in großen Men-gen in den Prozess der Weinverarbei-tung gelangte.

Der gefürchtete Marienkäfertonim Wein wird von Methoxypyrazinenin der Körperflüssigkeit der Insektenhervorgerufen. Die Substanzen dienender Verteidigung und als Warngerü-

che. Sie gelangen vor allem beim Pres-sen der Trauben und bei der Maische-gärung in den Wein. Eine kurze Press-dauer sowie ein niedriger Druck vonweniger als 2 bar tragen dazu bei, denFehlton zu verringern, auch die Artder Vergärung hat einen Einfluss.

Die Geschmacksschwelle hängtunter anderem von der Rebsorte ab:Beim Riesling liegt sie bei 4–5 Käfernpro Kilogramm Trauben, beim Spät-burgunder bei 5–6. Damit sind diedurch die Tagespresse geisterndenSensationsmeldungen widerlegt, dassein einziger asiatischer Käfer genüge,um hundert(e) Liter Wein zu ruinie-ren [1].

Auch der heimische Siebenpunkt-marienkäfer Coccinella septem-punctata kann einen vergleichbaren– sogar etwas intensiveren – Fehltonim Wein verursachen. Die dominie-rende Geruchssubstanz ist bei beidenKäferarten 2-Isopropyl-3-Methoxypy-razin (IPMP) aus der Hämolymphe(Abbildung 2), die gaschromatogra-fisch analysiert wurde. Die Gehalteschwankten jeweils im Bereich 2–12 ng pro Gramm Käfer. Im Durch-schnitt auf einen Käfer bezogen liegtder Gehalt bei 0,2 ng IPMP und istdamit in Übereinstimmung mit derWahrnehmungsschwelle von 1 ngIPMP pro Liter oder 5 Käfern pro Kilo Trauben. Die Hämolymphe bei-der Käferarten enthält zusätzlich 2-Isobutyl-3-methoxypyrazin (IBMP),der heimische Siebenpunktkäfer insignifikant höheren Gehalten als derasiatische Einwanderer [1].

Der ursprünglich in Nord-Ost-Asienbeheimatete Käfer Harmonia axyri-dis (Abbildung 1) wurde zur Be-kämpfung von Blattläusen zunächstnach Nordamerika (1916), späterauch nach Europa eingeführt (1982).Vor etwa 15 Jahren begann der Käfer,sich massiv auszubreiten: Er dringt inalle Habitate ein, die von blattlaus-fressenden Käferarten besetzt sind. InEuropa ist er inzwischen flächende-ckend vertreten. Natürliche Feindebraucht er hier kaum zu fürchten.

Abb. 1 In Frühjahr und Herbst kommtes zu massenhaftem Auftreten des Asiatischen Marienkäfers. © Andreas Vilcinskas, Justus-Liebig-Universität Gießen.

Abb. 2 2-Isopro-pyl-3-methoxypy-razin (IPMP) ruftmaßgeblich denKäfergeschmackim Wein hervor.2-Isobutyl-3- methoxypyrazin(IBMP) ist vor al-lem in der Hämo-lymphe des Sie-benpunktmarien-käfers enthalten.

N

N OCH3

IPMP

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N OCH3

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Abb. 3 Harmonin ist Bestandteil derHämolymphe des asiatischen Marien-käfers und zeigt stark antibakterielleWirkung.

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Chem. Unserer Zeit, 2013, 47, 278 – 284 www.chiuz.de © 2013 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 283

Wie schmeckt Wein mit Marien-käfer? Die Koster beschreiben eineverstärkte Wahrnehmung der Ge-schmacksrichtungen „grünes Gemü-se“, „Spargel“, „Erdnuss“ und „Papri-ka“. Auch eine Reduktion der Fruch-tigkeit und der Säure wurde fest -gestellt. In einigen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon, Merlot oder Sauvignon Blanc kommt IPMP auchnatürlich vor, bei Sorten, die von Na-tur aus nur wenig Pyrazine enthaltenwie Spätburgunder oder Rieslingkann aber durch den Käferton dersortentypische Geschmack verloren-gehen, so dass die Weine nicht mehrals Qualitätsweine angeboten werdenkönnen.

Warum aber ist vor allem Harmo-nia axyridis bei den Winzern ge-fürchtet? Der Unterschied liegt ein-fach in der Populationsdichte. Har-monia axyridis trat in den letztenJahren in Feld- und Obstkulturen häu-figer auf als der heimische Sieben-punktkäfer. Ob Harmonia axyridisdann z.B. nach der Getreideernte indie Weinberge wechselt, hängt vonder Gesamtzahl der Käfer ab, die vonJahr zu Jahr stark schwankt, aberauch vom Verhältnis von Ackerflä-chen zu Rebflächen. Befinden sichnur wenige Rebanlagen in der Nähegroßer Ackerflächenareale, kommt es eher zu einem Käferbefall imWein.

Um den Erfolg des asiatischen Käfers zu verstehen, haben zwei Ar-beitsgruppen an der Universität Gie-ßen und am Max-Planck-Institut fürchemische Ökologie in Jena Harmo-nia axyridis und den heimischenCoccinella septempunctata miteinan-der verglichen: Demnach enthält dieHämolymphe von H. axyridis we-

sentlich mehr antibakteriell wirkendePeptide, außerdem den Wirkstoff Har-monin (Abbildung 3), der ebenfallseine stark antibakterielle Wirkungzeigt und nur in H. axyridis in gro-ßer Menge vorkommt [2]. SowohlPeptide als auch Harmonin sind fürdie Entwicklung neuartiger Antibioti-ka interessant. Aber erklären sie alleinbereits die großflächige erfolgreicheBesetzung der Lebensräume andererKäferarten?

H. axyridis hat noch einen weite-ren Trumpf in der Hämolymphe: Mi-krosporidien [3]. Diese pilzähnlichenEinzeller können ihren Wirt starkschädigen. Der Asiatische Marienkäferhält die Parasiten in seinem Körperoffenbar im Zaum. Gelangen sie aberin unsere heimischen Marienkäfer,können diese daran sterben. Fressensich die konkurrierenden Käfer also

gegenseitig oder die Eier und Larvender anderen Art, was in der Natur üblich ist, bezahlt dies der heimischeCoccinella septempunctata mit demLeben, Harmonia axyridis passiertdagegen nichts. Die nächste zu klä-rende Frage ist also, wie Harmoniaaxyridis sich mit den Mikrosporidienarrangiert hat.

Literatur[1] Dissertation Susanne Kögel: Risikoabschät-

zung von Harmonia axyridis, dem Asiati-schen Marienkäfer, für den Deutschen Obst-und Weinbau (2012), http://pub.jki.bund.de/index.php/DissJKI/issue/archive.

[2] A. Vilcinskas, K. Mukherjee, H. Vogel, Pro-ceedings of the Royal Society of London Series B 2013, 280, 20122113.

[3] A. Vilcinskas, K. Stoecker, C. Röhrich, H. Vogel, Science 2013, DOI: 10.1126/science.1234032.

Andrea Fischer, Berlin

Abb. 4 Eine mit Kolibakterien beimpfte Petrischale – erkennbar an den weißen Punkten – zeigt das enor-me antibakterielle Potenzial von H. axyridis. Während sich um die heimischen Marienkäferarten Cocci-nella septempunctata und Adalia bipunctata kein oder nur ein kleiner Hemmhof gebildet hat, werden inder Umgebung von H. axyridis die Bakterien abgetötet. © Schmidtberg, Vilcinskas, Justus-Liebig-Universität,Gießen.

MaterialforschungKohlenstofffaser-verstärkter Kunststoff ist hart wie Stahl, aber federleicht; Bio-Plastik ist vollständig abbaubar, und OLED-Leuch-ten bergen ungeahnte Möglichkeiten. Drei neue Werkstoffe, die unseren Alltag verändern können. Wissenschaftler forschen unterHochdruck an den neuen Materialien, internationale Konzerne investieren in ihre Entwicklung. Doch bis zur Serienreife ist es nochein mühsamer Weg. ARTE, 24.10., 22.55 Uhr

Kurzfristige Programmänderungen der Sender sind möglich

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