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34 Die islamisch-orientalische Stadt Mit einer Stadtgeschichte, die bis ins dritte Jahr- tausend v. Chr. zurückreicht, verfügt der Orient über die ältesten Stadtkulturen der Erde. Als eigenständiger Kulturkreis reicht der „Orient“ über annähernd 9000 km von Marokko im Wes- ten über den gesamten nordafrikanischen Konti- nent bis nach Pakistan im Osten. Es ist das ge- schlossene Hauptverbreitungsgebiet des Islam, der die gesamte Gesellschaft und Kultur dieses Raumes geprägt und einen eigenständigen Stadt- typ hervorgebracht hat. M 2.9 Erscheinungsbild und Funktionen der Altstadt (Medina) „Der islamisch-orientalische Stadttyp ist in einer rentenkapitalistisch organisierten Agrargesell- schaft entstanden, in der der Islam als vorherr- schende Religion die Stadt als religiöses und politisches Zentrum definierte. Als typische Strukturelemente treten hervor: – das Sackgassen-Grundrissmuster der Wohn- quartiere, das dem Streben nach Schutz der Privatsphäre entspricht, gelten doch die gro- ßen Durchgangsstraßen zu den Stadttoren als öffentlicher Besitz, die Sackgassen aber als gemeinschaftlich-privater Bereich, als äußerer Schutzkordon für das eigene Haus, – scharf abgegrenzte Wohnquartiere mit in der Regel um einen Innenhof angeordneten und nur auf diesen hin geöffneten Wohnhäusern, was ebenfalls die Intimität des Familienlebens garantieren soll, – die Freitagsmoschee als religiöser und gesell- schaftlicher Mittelpunkt sowie kleinere Mo- scheen innerhalb der einzelnen Stadtviertel, – der Suq (arabisch; auch Souk oder Suk) bzw. Bazar (persisch), der … das Handels-, Gewerbe- und Finanzzentrum darstellt und in dem auch die rentenkapitalistischen Land- eigentümer als Kaufleute, Geldverleiher und Verleger des ländlichen Heimgewerbes ihren Sitz haben, – Stadtmauern sowie Burg- und Palastanlagen als Ausdruck politischer Macht, – spezielle Stadtviertel für ethnische bzw. reli- giöse Minderheiten (z. B. für Christen, Juden).“ Wilfried Korby: a. a. O., S. 14 Wandel der islamisch-orientalischen Stadt. M 2.10 Entwicklung zur einer bipolaren Stadt „Infolge der Überprägung durch die britischen und französischen Kolonialmächte einerseits und durch die moderne Weltwirtschaft andererseits hat sich das Bild der traditionellen islamisch- orientalischen Stadt seit Beginn des 20. Jahr- hunderts wesentlich verändert. Neben der Altstadt entwickelte sich eine Neustadt mit regelmäßigem Straßennetz, repräsentativen Plätzen, mehrgeschossigen Miets-, Geschäfts- und Bürokomplexen sowie offenen Wohnvierteln der Ober- und Mittelschicht, letztere vor allem in landschaftlich bevorzugten Lagen. In der Neustadt konzentrierte sich ferner der gehobene Tertiärbereich mit Banken, Großkauf- häusern, Hotels und Verwaltungsgebäuden; eine City nach europäischen Vorbild entstand, vor- nehmlich zwischen Altstadt und Neustadt. So entwickelte sich im Laufe der Verwestlichung die islamisch-orientalische häufig zu einer zweipoli- gen Stadt mit einem modernen CBD in geringer Entfernung von der Medina. Zweipolig ist die heutige islamisch-orientalische Stadt auch noch in einem anderen Sinne. Auch die Wohngebiete sind zweigeteilt: Mit dem Aus- zug besonders junger und wohlhabender Bevöl- kerungsgruppen aus der Enge der Medina ver- fällt diese mehr und mehr. Im Gegenzug rücken ‚Neu-Städter‘ nach, die den ländlichen Raum wegen des hohen Bevölkerungsdrucks und der unzureichenden Lebens- und Wirtschaftsver- hältnisse verlassen. Es kommt zu einer Überbe- legung der Wohnbereiche der Medina, teilweise auch zu Slumbildung. Gleichzeitig entwickeln sich am Rande der Großstädte Hüttenviertel der Armen, die so genannten bidonvilles. Da die Industrialisierung in den orientalischen Ländern in aller Regel erst spät einsetzte, kam es auch nicht zu einer stärkeren Durchmischung von Wohn- und Industriegebieten. Die größe- ren Industriebetriebe siedelten sich vor allem an den großen Ausfallstraßen an der Peripherie der Städte an.“ Nach Norbert von der Ruhren: Leitbilder der Stadtentwicklung in außereuropäischen Kulturkreisen. In: Norbert von der Ruhren (Hrsg.): Leitbilder der Stadtentwicklung. Köln: Aulis 2003, S. 32 Quelle: 978-3-623-29440-7 FUNDAMENTE Kursthemen Städtische Räume im Wandel, Schülerbuch, Oberstufe, S. 34/35

Die islamisch-orientalische Stadt Wandel der islamisch ... · „Es gibt keine anderen Kul-turzustände, in denen das Wesen des Islam so augen-scheinlich hervortritt, wie die Städte

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Die islamisch-orientalische StadtMit einer Stadtgeschichte, die bis ins dritte Jahr-tausend v. Chr. zurückreicht, verfügt der Orientüber die ältesten Stadtkulturen der Erde. Als eigenständiger Kulturkreis reicht der „Orient“ über annähernd 9 000 km von Marokko im Wes-ten über den gesamten nordafrikanischen Konti-nent bis nach Pakistan im Osten. Es ist das ge-schlossene Hauptverbreitungsgebiet des Islam, der die gesamte Gesellschaft und Kultur dieses Raumes geprägt und einen eigenständigen Stadt-typ hervorgebracht hat.

M 2.9 Erscheinungsbild und Funktionen der Altstadt (Medina)

„Der islamisch-orientalische Stadttyp ist in einer rentenkapitalistisch organisierten Agrargesell-schaft entstanden, in der der Islam als vorherr-schende Religion die Stadt als religiöses und politisches Zentrum definierte.Als typische Strukturelemente treten hervor:– das Sackgassen-Grundrissmuster der Wohn-

quartiere, das dem Streben nach Schutz der Privatsphäre entspricht, gelten doch die gro-ßen Durchgangsstraßen zu den Stadttoren als öffentlicher Besitz, die Sackgassen aber als gemeinschaftlich-privater Bereich, als äußerer Schutzkordon für das eigene Haus,

– scharf abgegrenzte Wohnquartiere mit in der Regel um einen Innenhof angeordneten und nur auf diesen hin geöffneten Wohnhäusern, was ebenfalls die Intimität des Familienlebens garantieren soll,

– die Freitagsmoschee als religiöser und gesell-schaftlicher Mittelpunkt sowie kleinere Mo-scheen innerhalb der einzelnen Stadtviertel,

– der Suq (arabisch; auch Souk oder Suk) bzw. Bazar (persisch), der … das Handels-,Gewerbe- und Finanzzentrum darstellt und in dem auch die rentenkapitalistischen Land-eigentümer als Kaufleute, Geldverleiher und Verleger des ländlichen Heimgewerbes ihren Sitz haben,

– Stadtmauern sowie Burg- und Palastanlagen als Ausdruck politischer Macht,

– spezielle Stadtviertel für ethnische bzw. reli-giöse Minderheiten (z.B. für Christen, Juden).“

Wilfried Korby: a. a.O., S. 14

Wandel der islamisch-orientalischen Stadt.

M 2.10 Entwicklung zur einer bipolaren Stadt

„Infolge der Überprägung durch die britischen und französischen Kolonialmächte einerseits und durch die moderne Weltwirtschaft andererseits hat sich das Bild der traditionellen islamisch-orientalischen Stadt seit Beginn des 20. Jahr-hunderts wesentlich verändert. Neben der Altstadt entwickelte sich eine Neustadt mit regelmäßigem Straßennetz, repräsentativen Plätzen, mehrgeschossigen Miets-, Geschäfts-und Bürokomplexen sowie offenen Wohnvierteln der Ober- und Mittelschicht, letztere vor allem in landschaftlich bevorzugten Lagen.In der Neustadt konzentrierte sich ferner der gehobene Tertiärbereich mit Banken, Großkauf-häusern, Hotels und Verwaltungsgebäuden; eine City nach europäischen Vorbild entstand, vor-nehmlich zwischen Altstadt und Neustadt. So entwickelte sich im Laufe der Verwestlichung die islamisch-orientalische häufig zu einer zweipoli-gen Stadt mit einem modernen CBD in geringer Entfernung von der Medina. Zweipolig ist die heutige islamisch-orientalische Stadt auch noch in einem anderen Sinne. Auch die Wohngebiete sind zweigeteilt: Mit dem Aus-zug besonders junger und wohlhabender Bevöl-kerungsgruppen aus der Enge der Medina ver-fällt diese mehr und mehr. Im Gegenzug rücken ‚Neu-Städter‘ nach, die den ländlichen Raum wegen des hohen Bevölkerungsdrucks und der unzureichenden Lebens- und Wirtschaftsver-hältnisse verlassen. Es kommt zu einer Überbe-legung der Wohnbereiche der Medina, teilweise auch zu Slumbildung. Gleichzeitig entwickeln sich am Rande der Großstädte Hüttenviertel der Armen, die so genannten bidonvilles.Da die Industrialisierung in den orientalischen Ländern in aller Regel erst spät einsetzte, kam es auch nicht zu einer stärkeren Durchmischung von Wohn- und Industriegebieten. Die größe-ren Industriebetriebe siedelten sich vor allem an den großen Ausfallstraßen an der Peripherie der Städte an.“

Nach Norbert von der Ruhren: Leitbilder der Stadtentwicklung in außereuropäischen Kulturkreisen. In: Norbert von der Ruhren (Hrsg.): Leitbilder der Stadtentwicklung. Köln: Aulis 2003, S. 32

Quelle: 978-3-623-29440-7 FUNDAMENTE Kursthemen Städtische Räume im Wandel, Schülerbuch, Oberstufe, S. 34/35

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M 2.11 Grundriss der Stadt Tetuan/Marokko Nach G. Niemeier: Siedlungsgeographie. Braunschweig 1972, S. 143 (geändert und ergänzt)

Quelle: 978-3-623-29440-7 FUNDAMENTE Kursthemen Städtische Räume im Wandel, Schülerbuch, Oberstufe, S. 34/35

„Es gibt keine anderen Kul-

turzustände, in denen das

Wesen des Islam so augen-

scheinlich hervortritt, wie

die Städte des Orients.“

(aus einem Erdkundelehrbuch von 1924)

Die islamisch-orientalische Stadt zwischen Tradition und Moderne

Grundriss der Stadt Tetuan (Marokko)

Meknes, Marokko: Altstadt mit Stadtmauer im Hintergrund, neuzeitliche Stadterweiterung vorn

Neustadt

Souk

Medina (Altstadt)

Medina (Altstadt)Tor von

Fes

Tor vonTanger

Tor vonCeuta

Palastdes

Sultans

Kasbah

Busbahnhof

Bahnhof

Busbahnhof

Europäer-Friedhof

muslim.Friedhof

Park

Moschee

Synagoge

Stadtmauer

Souk

Medina (Altstadt)

Grünanlage

öffentliche Gebäude

0 100 300 m200

:

;

Wirken sozialer Gruppen396

Quelle: 978-3-623-29050-8 TERRA Erdkunde Räume und Strukturen, Schülerbuch, Oberstufe, S. 396 - 399

3.8 Stadtentwicklung außerhalb Europas

Der islamische Orient, eine Stadtkultur

Mit einer Stadtgeschichte, die mindestens bis ins

dritte Jahrtausend vor Christi reicht, verfügt der

Orient über die ältesten Stadtkulturen der Erde.

Ausgehend von der „Wiege der Stadtkultur“,

den Stromtiefländern an Euphrat, Tigris und Nil,

breitete sich das Städtewesen in das gesamte

Gebiet zwischen dem heutigen Marokko im

Westen und Pakistan im Osten aus. Hier befin-

det sich das geschlossene Hauptverbreitungs-

gebiet des Islam, der die Gesellschaft und Kultur

dieses Raumes entscheidend geprägt hat.

Es wäre jedoch falsch, die orientalische Stadt aus-

schließlich mit dem Islam gleichzusetzen. Dage-

gen spricht nämlich die Tatsache, dass viele ihrer

Elemente vorislamisch sind bzw. auch in anderen

Kulturräumen vorkommen. Wenn hier von der is-

lamisch-orientalischen Stadt die Rede ist, so soll

damit vielmehr zum Ausdruck gebracht werden,

dass das Erscheinungsbild, wie es sich im Alten

Orient herausgebildet hat, heute in der gesam-

ten vom Islam beherrschten Welt verbreitet ist.

Erscheinungsbild der Altstadt (Medina)

Die charakteristischen Elemente des Aufbaus

sowie der funktionalen und sozialräumlichen

Gliederung der Altstadtbereiche in den Städten

des islamischen Orients sind:

– die große Moschee (Freitagsmoschee) als reli-

giöser und intellektueller Mittelpunkt,

– der Suq (auch Suk oder Souk geschrieben)

oder Bazar als traditioneller wirtschaftlicher

Mittelpunkt (Handels-, Gewerbe- und Finanz-

Der Islam, eine städtische Religion

„Obwohl sich die Genese des Islam in einem

genau definierten, festliegenden sozialen

Rahmen vollzieht, dem des Kontaktes zwi-

schen Nomaden und Sesshaften, ist das Ideal

des … Islam seinem Wesen nach städtisch. Das

hat seinen wesentlichen Grund darin, dass die

Grundlage des Islam vor allem das gemein-

same Gebet ist. Das eigentliche Gebet ist das

Freitagsgebet der gesamten Gemeinde … Zu

seiner Durchführung sind feste, stabile Mo-

scheen erforderlich, so dass sich große Men-

schenmassen versammeln können. Standort

dieser großen Freitagsmoschee ist die Stadt …

Auch die islamischen Riten sind auf den Städ-

ter zugeschnitten. Das urbane Leben ist die

unerlässliche Voraussetzung nicht nur für die

kollektive Verrichtung der Gebete, sondern

auch für die Würde des vom Islam geforder-

ten Lebens: der Imam muss ein bürgerliches

Leben führen, die Frauen müssen verschleiert

sein – eine Forderung, die mit den Notwen-

digkeiten des nomadischen Lebens, ja bereits

des dörflichen Lebens unvereinbar ist.“

Hartmut Redmer: Die islamisch-orientalische Stadt – Entste-hung, Wandel und heutiges Bild. In: Geographie und Schule, H. 89. Köln: Aulis 1994, S. 25

In der Medina von Ghardaïa (Algerien)

Nach Eugen Wirth, dem

wohl besten Kenner der

Geographie orientalischer

Städte, ist Privatheit das

wichtigste und auffal-

lendste Kennzeichen der

orientalischen Stadt.

Im Hadithe (islamisches

Baurecht) heißt es u. a.:

„Wenn jemand in ein Haus

schaut ohne Erlaubnis

seiner Bewohner und diese

ihm ein Auge ausschlagen,

so hat er keinen Anspruch

auf Blutgeld oder Strafver-

folgung.“

Der Wohnbezirk der Häuser

öffnet sich grundsätzlich

auf einen Innenhof. Zur

Straßenfront hin sind die

Häuser fensterlos und ab-

weisend. Der Zugang von

der Gasse zum Innenhof

erfolgt durch einen mehr-

fach abgeknickten Korridor,

so dass man selbst bei

geöffneter Tür nicht in den

Innenhof des Wohnhauses

schauen kann.

zentrum) mit der Anordnung der einzelnen

Branchen, getrennt in Ladenstraßen, über-

dachten Hallen oder Innenhofkomplexen,

– die verwinkelten Sack- und Tunnelgassen, die

in die unübersichtlich gebauten Wohn blöcke

führen und als halb private Verkehrswege

dem Streben nach Schutz der Privatsphäre

entsprechen. Dieses Streben wird auch in

der Anlage der Wohnhäuser deutlich: fens-

terlose Mauern zur Straßenseite, Gruppie-

rung der Wohngebäude um einen von außen

nicht einzusehenden Innenhof, Trennung der

Wohn- und Gästetrakte,

– die strenge Trennung der Wohnquartiere

nach Ethnien, Religionen und Sprachen,

– die Stadtmauern sowie die randliche Anord-

nung von Burg (Kasbah) oder von Palastanla-

gen als Ausdruck der militärischen Macht,

– nach Religionen getrennte Friedhöfe außer-

halb der Stadtmauer.

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Quelle: 978-3-623-29050-8 TERRA Erdkunde Räume und Strukturen, Schülerbuch, Oberstufe, S. 396 - 399

Straßengrundriss einer

traditionellen islamisch-

orientalischen Stadt

(nach Wirth)

Vorbild Militärlager

„ … die Gliederung der Stadt nach Ethnien und

Religionen [geht] auf das Vorbild der Militär-

lager zur Zeit der frühen islamischen Erobe-

rungszüge zurück. Bei der Gründung neuer

Städte wurde dieses Prinzip möglicherweise

beibehalten, um von Beginn an Streitigkei-

ten zwischen den Gruppen zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund wird auch die räum-

liche Lage der Zitadelle am Rande der Stadt

verständlich. Wo das Gelände es gestattete,

wurde die Burg zudem in erhöhter Lage er-

richtet. Dadurch konnte das Militär die Stadt

sowohl gegen äußere als auch gegen innere

feindliche Gruppen verteidigen.“

Klaus Zehner: a. a. O., S. 176

Die Bevölkerung verlässt die Medina

„Bereits zwischen den Weltkriegen beginnt

der Exodus aus der Medina. Man fängt an –

und dies betrifft vor allem Jugendliche –, die

Medina als beengt zu empfinden. Autos kön-

nen hier kaum verkehren. Schwieriger zu er-

tragen ist für die Jugend der von der Tradition

ausgehende Zwang. Es wächst der Wunsch

nach einer eigenen Wohnung außerhalb der

Großfamilie, nach dem modernen Leben der

Europäer ohne Schleier und in ‚zeitgemäßer‘

Kleidung. Vieles ist mit der traditionellen At-

mosphäre der Medina nicht zu vereinbaren.

… Obwohl … die alten Bazarstandorte von Be-

deutung bleiben, stellt die Entwicklung neuer

Geschäftsviertel europäischen Zuschnitts am

Rande und in den neuen Städten für das Ge-

schäftsleben in der Medina einen schweren

Schlag dar. Durch den modernen Autoverkehr

schwer erreichbar, verlieren sie einen hohen

Anteil ihrer Käufer. Mehr und mehr verlassen

insbesondere wohlbegüterte Familien die Alt-

stadt, die bald beginnt zu verfallen.“

Hartmut Redmer: a. a. O., S. 27

Entwicklung zu einer bipolaren Stadt

„Infolge der Überprägung durch die britischen

und französischen Kolonialmächte einerseits

und durch die moderne Weltwirtschaft ande-

rerseits hat sich das Bild der traditionellen is-

lamisch-orientalischen Stadt seit Beginn des

20. Jahrhunderts wesentlich verändert.

Neben der ! Altstadt entwickelte sich eine

Neustadt mit regelmäßigem Straßennetz,

repräsentativen Plätzen, mehrgeschossigen

Miets-, Geschäfts- und Bürokomplexen sowie

offenen Wohnvierteln der Ober- und Mittel-

schicht, letztere vor allem in landschaftlich

bevorzugten Lagen.

In der Neustadt konzentrierte sich ferner der

gehobene Tertiärbereich mit Banken, Groß-

kaufhäusern, Hotels und Verwaltungsgebäu-

den; eine ! City nach europäischem Vorbild

entstand, vornehmlich zwischen Altstadt und

Neustadt. So entwickelte sich im Laufe der

Verwestlichung die islamisch-orientalische

Stadt häufig zu einer zweipoligen Stadt mit

einem modernen ! CBD in geringer Entfer-

nung von der Medina.

Zweipolig ist die heutige islamisch-orientali-

sche Stadt auch noch in einem anderen Sinne.

Auch die Wohngebiete sind zweigeteilt: Mit

dem Auszug besonders junger und wohlha-

bender Bevölkerungsgruppen aus der Enge

der Medina verfällt diese mehr und mehr.

Im Gegensatz rücken ‚Neu-Städter‘ nach, die

den ländlichen Raum wegen des hohen Be-

völkerungsdrucks und der unzureichenden

Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse verlas-

sen. Es kommt zu einer Überbelegung der

Wohnbereiche der Medina, teilweise auch zu

Slumbildung. Gleichzeitig entwickeln sich am

Rande der Großstädte – ähnlich wie in ande-

ren Ländern der Dritten Welt – Hüttenviertel

der Armen, die so genannten Bidonvilles.

Da die Industrialisierung in den orientalischen

Ländern in aller Regel erst spät einsetzte, kam

es auch nicht zu einer stärkeren Durchmi-

schung von Wohn- und Industriegebieten.

Die größeren Industriebetriebe siedelten sich

vor allem an den großen Ausfallstraßen an der

Peripherie der Städte an.“

Nach Norbert von der Ruhren: a. a. O., S. 32

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Wirken sozialer Gruppen398

Quelle: 978-3-623-29050-8 TERRA Erdkunde Räume und Strukturen, Schülerbuch, Oberstufe, S. 396 - 399

3.8 Stadtentwicklung außerhalb Europas

Nennen Sie typische Kennzeichen der traditionellen

islamisch-orientalischen Stadt und vergleichen Sie

sie mit der ! Altstadt mitteleuropäischer Städte.

Erarbeiten Sie aus den Materialien dieses Teilkapi-

tels Prozesse und Strukturen in der islamisch-ori-

entalischen Stadt, wie sie durch die Überformung

unter westlich-europäischem Einfluss entstanden

sind.

Interpretieren Sie das Strukturschema der isla-

misch-orientalischen Großstadt (Material 32).

Gehen Sie dabei sowohl auf die baulichen als auch

auf die funktionalen und sozioökonomischen Ge-

gebenheiten ein.

Erstellen Sie eine Liste von Übereinstimmungen

und Abweichungen zwischen Modell und Realität,

indem Sie die Karte von Tetuan (Material 25) mit

dem Strukturschema (Material 32) vergleichen.

Bei allen drei in diesem Kapitel vorgestellten Stadt-

typen, der angloamerikanischen, der lateinameri-

kanischen und der islamisch-orientalischen Stadt,

kann man von einer „dualen Struktur“ sprechen.

Belegen Sie diese Behauptung.

Wie in den meisten Ländern der Dritten Welt

kommt es in jüngerer Zeit auch in den Staaten des

Orients zur Bildung von Megastädten, z. B. Kairo,

Istanbul, Teheran. Stellen Sie in einem Referat eine

Megastadt Ihrer Wahl vor. Gliedern Sie nach Ent-

wicklung, Veränderungen, Problemen.

Medina

Douar

Douar

Douar

Bidonville Bidonville

Bidonville

Medina

Medina

Medina

Douar

Douar

Douar

Douar

Bidonville

Neu-stadt

Neu-stadt

Neu-stadt

Marok-kanischer

Zuzugvom Lande

Marok-kanischer

Zuzugvom Lande

Europ

äer

Europ

äer

Europ

äer

Phase IV

Phase III

Phase II

Phase I

Aufwertung und Re-novierung alter Bau-substanz und Anlageneuer Wohnquartiere

CBD, Kern derwestlichen City,Hauptgeschäftsstra-ßen westlichen Typs

Randzone, jüngsterCityvorstoß in ge-hobenes Wohngebiet

Bereich moderner,enger Wohnbebauung

überrollte alte Stadt-peripherie mit frühenzentralen Funktionen

übrige alte Villenzone

ältere Geschäftsstra-ßen, abgewertet und„rückorientalisiert”

Industrie

Medina

Mittelstandsvororte

Bazar

Wohngebiete breiterBevölkerungsteile

abgewerteteStadtrandzone

Migrationsrichtungen

Villenvororte

Ark

Bazarrandbezirke,jüngere funktionelleBazarausweitung

Neues Zentrum

Übergangszone

Altes Zentrum

Schema der Stadtentwicklung in Marokko

Nach Eckart Ehlers: Zur baulichen Entwicklung und Differenzierung der marokkanischen Stadt: Rabat – Marrakesch – Meknes. In: Die Erde, H. 3/1984. Gesellschaft für Erdkunde (Hrsg.): Berlin 1984, S. 203

Strukturschema einer islamisch-orientalischen Stadt

Einige arabische Wörter

zum Thema Stadt:

Ark – Palast

Bab – Tor

Dar – Haus

Djema – (Freitags-) Moschee

Douar – Dorf

Hara – Stadtviertel

H ammam – öffentliches

Bad (Dampfbad)

Kasbah – Burg

K sar – von einer Mauer um-

gebenes Saharadorf

Medina – Altstadt

M edrese/Medersa – Koran-

schule

Mellah – Judenviertel

S ouk/Suq – Markt/Markt-

viertel

A

10

11

12

13

B

14

15

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Quelle: 978-3-623-29050-8 TERRA Erdkunde Räume und Strukturen, Schülerbuch, Oberstufe, S. 396 - 399