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Die Jahresberichte 1923 bis 2016 sind einsehbar unterbiblio.unibe.ch/digibern/jahrbuch_schloss_thun/jahrbuch_schloss_thun_2017.pdf · Oktober 3066 908 130 13 2250 6354 november 498

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Die Jahresberichte 1923 bis 2016 sind einsehbar unter www.digibern.ch (Jahresbericht Schloss Thun)

© Stiftung Schloss Thun 2018Redaktion: H. KelterbornLayout: Aline Mauerhofer, lieblingsfarbe.chUmschlag: Schloss Thun; Ausschnitte aus Ansichtskarten, Aquarellen, Daguerreotypien, Drucken, Fahnen, Fotografien, Gedenkmünzen, Pla-katen, Wandtellern, Zeichnungen. H. Kelterborn

InhaltsverzeIchnIs

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InhaltsverzeIchnIs

Bericht der Museumsleitung 4

Lilian Raselli verlässt Schloss Thun 16

Jahresbericht der Stiftung Schloss Thun 22

Jahresrechnung 2017 der Stiftung 25

Die Sammlung 27

Jahresbericht des Fördervereins Schloss Thun 31

Jahresrechnung 2017 des Fördervereins 35

Das Henkertürmli 37

Wandel und Beharrsamkeit 47

Orient auf dem Dachboden – Die Maurische Kammer im Thuner Bälliz

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US-amerikanische und britische Internierte in Thun im Zweiten Weltkrieg

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Schönörtli – Ruheoase am Thunersee 82

BerIcht Der MUseUMsleItUnG

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Lilian Raselli

2017 hatte in Bezug auf die Besucherzahlen ruhig begonnen. Dank un-serem motivierten Team konnte der immer ab Frühsommer lebhafter werdende Betrieb erfolgreich gemeistert werden. Am Ende des Jahres durften wir abschliessend auf eine ausgezeichnete Besucherfrequenz zurückblicken. Und dies, obwohl deutlich weniger private Anlässe im Rittersaal durchgeführt wurden. Im Oktober und November waren wir noch einmal mit dem «Theater am Tatort» gefordert, welches während eineinhalb Monaten fast täglich sehr erfolgreich im Rittersaal aufge-führt wurde. Die besinnliche «Lichtnacht auf dem Thuner Schlossberg» schloss dieses in vielerlei Hinsicht besondere Jahr auf emotionelle Weise ab.

Besucherstatistik 2017

Monat Erw.1 Kinder2 Bildung und Vermittlung

Anlässe3

AnzahlPersonen total

Januar 203 49 0 0 0 252Februar 1001 316 20 0 0 1337März 1047 311 62 3 810 2230april 2886 1016 131 0 0 4033Mai 3014 650 65 3 375 4104Juni 3666 942 299 8 1033 5940Juli 4737 1437 43 3 1000 7217august 4527 1683 84 3 200 6494september 3682 567 167 3 500 4916Oktober 3066 908 130 13 2250 6354november 498 68 0 12 1950 2516Dezember 535 165 88 1 900 1688

tOtal 28862 8112 1089 49 9018 47081

1: Eintritte normal, ermässigt, Familien (2 Erw.), Gruppen, Museumspass, Swiss Travel, Raiffeisen, Pfadi2: Eintritte normal, Familien (2 K.), Pfadi3: Schlosskonzerte, Lichtnacht, Kulturnacht, Welcome Rekruten, Theater, div. Anlässe

BerIcht Der MUseUMsleItUnG

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aUsstellUnGen

Die Sonderausstellung «Edelweiss und Alpenidylle – Souvenirkeramik der Belle Époque made in Thun» wurde im Mai er-öffnet. In frecher und frischer Farbgestal-tung zeigt diese Sammlungsausstellung die schönsten und spektakulärsten Thuner Majolika aus unseren eigenen Beständen aus einem neuen Blickwinkel und mit ei-nem Augenzwinkern. Die Ausstellung lässt unsere Gäste zuweilen heftig darüber strei-ten, ob es sich nun tatsächlich um Kitsch oder doch um Kunst handelt. Welche Mei-nung dabei auch immer Oberhand behält, unbestritten bleibt die Bewunderung für die handwerklichen Fertigkeiten der lokalen Töpfer. Die lustvoll gestaltete Ausstellung ist bei Gästen und Medien bis jetzt sehr positiv aufgenommen worden. Dazu trägt auch der Aspekt bei, dass wir bei diesem speziellen Thema die kleinen Besucherinnen und Besucher mit besonderen Attraktionen auf das The-ma einstimmen. Als absoluter Renner hat sich die «Madenjagd» her-auskristallisiert. In Anlehnung an den Titel «made in Thun» wurden von Christine und Marianne Ramstein eine fantastische Geschichte und eine Schnitzeljagd rund um die Made Minette und ihre Freunde konzipiert. Inspiriert von einer der skurrilsten Majolika-Platten, verführten die da-

rum herum erfundene Geschichte und die dazugehörende Schnitzeljagd viele Familien zu einem zweiten Schlossbesuch! Diese haben inzwischen, das darf man betonen, Tausende von Personen jeglichen Alters im Schloss als Fluchthelfer der Made Minet-te und ihrer Freunde auf Wegsuche gehen lassen. Die Arbeit im motivierten und in-zwischen eingespielten Ausstellungsma-cherteam war wie immer ausgezeichnet.

BerIcht Der MUseUMsleItUnG

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Gabi Moshammer bereitete die textlichen Grundlagen vor. Aline Mauerhofer zeichnete verantwortlich für die Printprodukte und die Innenräume. Chris-tine Ramstein und Res Kähr oblag die Ausstellungsgestaltung. Florian Arm stellte wiederum die hölzernen Elemente her. Doch ohne Sponsoren wäre alles nicht möglich gewesen. Der grosse Dank für die finanzielle Unterstützung geht an die Stadt Thun, den Förderverein, die Stiftung Jo-hanna Dürmüller-Bol und die Parkhaus Thun AG.

DaUeraUsstellUnG letzte etaPPe

Neben dem laufenden Museumsbetrieb hatte die Museumsleitung noch einmal die Aufgabe, die Grundlagen der letzten Etappe der Daueraus-stellung vorzubereiten und mithilfe von Sponsoren die notwendigen Geldmittel bereitzustellen.

Mit einer Investitionssumme von rund einer Million Franken ein hoher und zeitintensiver Anspruch. Die ersten Geldgutsprachen im Herbst motivierten zur weiteren Suche. Ich möchte an dieser Stelle den vielen grosszügigen Sponsoren schon einmal ganz herzlich für ihr Vertrauen und ihre grosszügigen Beiträge zugunsten unseres ambitiösen Unter-nehmens danken. Wir sind finanziell fast am Ziel und jetzt im März 2018 mit der Realisierung der letzten Etappe der Dauerausstellung voll und ganz beschäftigt. Eine vollständige Nennung aller Sponsoren erfolgt im nächsten Jahresbericht nach Abschluss der Arbeiten. Ein fulminanter und intensiver Schlussspurt liegt bis zur Eröffnung Ende Mai 2018 vor uns. Momentan wird der vierte Boden renoviert. Nachdem im November schon die Wendeltreppe saniert worden war, folgen jetzt Sanierungsar-beiten im vierten Boden und im Dachstock. Der Stadt Thun und insbe-sondere Martin Meyer danke ich für die gute Zusammenarbeit.

Dem ganzen Team des Ateliers Oï in La Neuveville danke ich ganz herzlich für die bisher geleistete tolle Arbeit. Zudem für den intensiven Einsatz der nächsten Wochen bis zum ambitiös angesetzten Eröffnungstermin Ende Mai. Es ist eine sehr schöne, motivierende, kreative und inspirierende Zusammenarbeit. Ich bin überzeugt, dass dieser gute Spirit auch in un-serem Resultat spürbar sein und entsprechende Früchte tragen wird.

BerIcht Der MUseUMsleItUnG

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BetrIeB

Nicht nur im Hinblick auf die Besucherzahlen war 2017 ein ausgezeich-netes Jahr. Gegen 15% mehr Besucher als im Vorjahr forderten beson-ders an Spitzentagen unsere Empfangsdamen an der Kasse. Diese Auf-gabe bewältigten sie mit Bravour. Heidi Frenzer, Florian Arm und ich unterstützten sie dabei nach Kräften. Noch im Oktober waren sie durch den Vorverkauf und die 40 Vorstellungen im Rahmen des sehr erfolgrei-chen «Theater am Tatort» überaus gefordert. Gleichzeitig brachte dies zusätzlich viele Besucher auf den Schlossberg. Ab November bis zum Jahresende war Florian Arm wiederum infolge des Zivildienstes abwe-send. Ein Teil seiner Aufgaben konnte durch die Museumsleitung ab-gedeckt werden. Dankenswerterweise stand er trotzdem während der Durchführung der Lichtnacht zur Verfügung.

Die Arbeit an der Kasse umfasst immer mehr Aufgaben. So fungiert der Empfangsbereich als fester Infopunkt für viele Passanten und Touristen, zusätzlich zu unseren Museumsgästen. Zudem werden hier Schulklas-sen und Gruppen empfangen und eingewiesen, Kinder für den Rittertrail vorbereitet und vieles andere mehr. Der Verkauf von Produkten aus dem immer erfolgreicheren Museumsshop gehört ebenfalls dazu. Dieser ist

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im letzten Jahr stark ausgebaut worden, was sich finanziell als lohnens-werten Aufwand entpuppte. Ich danke unserem Fördervereinsmitglied Leo Gysel für sein geduldig zur Verfügung gestelltes Know-how und seine zeitlichen Aufwendungen ganz herzlich. Seine Einführung in die Grundlagen der Gestaltung von Verkaufsräumen war sehr anregend für uns alle. Das Resultat war sofort in der Kasse spürbar.

Auf Ende des Jahres hörte unsere langjährige Kassenfrau Anna Lore Hebler auf. Wir haben sehr von ihrem gastgewerblichen Wissen profitie-ren können. Ich habe während unserer zwölf gemeinsamen Jahre ihre grosse Zuverlässigkeit, ihr Wissen, ihre Erfahrung und ihren Humor sehr geschätzt und wünsche ihr alles Gute für die Zukunft. Als Ersatz konn-ten wir im Januar 2018 Franziska Kühni im Team herzlich begrüssen.

anlÄsse

Mit Ausnahme der Sonderausstellungseröffnung fielen dieses Jahr auf-fallend viele Anlässe in die zweite Jahreshälfte. Am tag des Denkmals durfte ich zusammen mit den Bauverantwortlichen der Liegenschafts-verwaltung der Stadt Thun zahlreiche Interessierte zu den eingerüste-ten Ringmauern hinter dem Schloss führen, die 2017 grossflächig sa-niert wurden.

Am 2. schweizer schlössertag nahmen viele Familien mit ihren Kindern an der eigens dafür konzipierten Schnitzeljagd teil und erfuhren dabei auf unterhaltsame Weise Unbekanntes und Neues zum Thuner Wahrzeichen.

An der Kulturnacht wurde das neue Hörspiel der Reihe «K.O.-Detektive» zum ersten Mal vorgestellt. Die Detektivgeschichte für Kinder spielt im Schloss und in der Stadt Thun. Bei den spannenden Aufnahmen hatte ich einen Part inne und spielte, wen wunderts, die Mu-seumsleiterin. Eine ganz neue Erfahrung, bei der ich den Aufwand kennenlernen durfte, der hinter einer solchen Produktion steckt.

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Am 17. Dezember erfüllte sich mit der lichtnacht auf dem thuner schlossberg ein lang gehegter Wunsch. Sie zeigte den nächt-lichen Schlossberg und seine mystische Atmosphäre. Der Ort mit seinen zwei herausragenden Bauwerken strahlte wie ein Kris-tall über der Stadt und faszinierte Einheimische und Gäste. Ab De-zemberbeginn wurde jeden Tag ein weiteres Fenster des Schlos-ses beleuchtet, um die verblei-bende Zeit bis zum vorweihnächt-lichen Event anzuzeigen. Mit Start in der Rathaushalle war dann der ganze Weg auf den Schloss-berg für einmal angenehm hell beleuchtet. Das Schloss und die Kirche erstrahlten in der Nacht in warmen Weisstönen.

Im kerzenerleuchteten Rittersaal erzählte unsere Barbara Büchi den zahlreich erschienenen staunenden Gästen unermüdlich bis zum Schluss faszinierende Märchengeschichten. Im Schlosshof zeigten die

Schmiede Gianni Bernasconi und Fritz Sager ihr faszinie-rendes Schmiedehandwerk am rauchenden und glühenden Feuer. Einen weiteren Höhe-punkt bildete an diesem Abend die Feuershowtruppe Dracarys, die auf der Rasenfläche vor dem Schloss Hunderte von Zu-schauern mit ihren flammen-den Darbietungen begeisterte.

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Die Eisbahn der Schlossberg Thun AG trug zur Attraktivität ebenso bei wie die wunderbar von Kinderlaternen geschmückte Kinderkrippe Gam-piross. Die Kinderkrippe wurde von den Besuchern teilweise geradezu überschwemmt, welche die von den kleinen Künstlerinnen und Künst-lern gestaltete Umgebung bewunderten. Ich danke der Stadtkirche ganz herzlich für die wunderbare Zusammenarbeit und das Vertrauen in dieses Projekt. Besonders aber der Sigristin Marianne Vögele, die das wunderbare und berührende Programm auf dem Kirchengelände rea-lisiert hat. Ohne einen beachtlichen Beitrag des Stadtmarketings wäre die hochprofessionelle Beleuchtung des Schlosses und seiner Umge-bung nicht möglich gewesen. Der Firma Rampenlicht AG danke ich für ihre mit Feingefühl gestaltete Illumination. Die abschliessende Beloh-nung erfolgte durch die Bewertung «Unique Event» von Schweiz Touris-mus. Ich hoffe sehr, dass dieser Anlass auch in den kommenden Jahren wieder durchgeführt werden kann, und danke allen Beteiligten, die sich überzeugen liessen, an diesem ersten vorweihnächtlichen Anlass mit-zumachen, ganz herzlich.

BIlDUnG UnD verMIttlUnG

Die Rückmeldungen der Lehrkräfte zu unseren Schlossführungen fielen auch dieses Jahr sehr positiv aus. Trotzdem hat die Anzahl gebuchter Führungen im Jahr 2017 stark abgenommen. Um diesem Trend entge-genzuwirken, haben wir uns entschlossen, das Angebot zu modifizieren und den neuen Lehrplänen anzupassen. Ab 2018 können die Lehrkräfte nun aus einer Vielzahl von Themen eine individuelle Auswahl vorneh-men, die dann während des Workshops mit den Schulklassen vertieft behandelt wird. Zudem bieten wir neu einen speziellen Workshop an, der in die Kunst der Herstellung von Kettenhemden und des Schreibens mit dem Federkiel einführt. Gabi Moshammer danke ich herzlich für die Umgestaltung unseres Angebots. Ruth Gassner und Barbara Büchi dan-ke ich für den tollen Einsatz bei den Führungen vor vielen staunenden Kinderaugen und für die Bemühungen bei diversen anderen Anlässen.

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Ein weiteres Projekt in Zusammenarbeit mit den beiden anderen Thuner- seeschlössern Oberhofen und Spiez befindet sich in der Entstehungs-phase. Mit Unterstützung neuer Medien wird im kommenden Jahr ein neues Angebot realisiert. «Geschichte am Originalschauplatz», so der Arbeitstitel, vermittelt auf moderne Weise den interessierten Schul-klassen einzelne Aspekte des Schlosses und des Rittersaals mit Unter-stützung von Augmented Reality. Mit der Projektdurchführung haben wir Yvonne Wirth beauftragt. Ich danke Barbara Egli, Leiterin des Schlosses Spiez, und allen Beteiligten für ihre Mitarbeit bei den Vorbereitungen für dieses innovative Projekt.

Studierende der Universität Bern bereiten unter der Leitung von Ar-mand Baeriswyl die erste umfassende Studie zum frühen Christentum im Berner Oberland vor. Die Resultate werden 2019 im Sonderausstel-lungsraum der Öffentlichkeit präsentiert. Die Arbeit der engagierten jungen Forscher zu begleiten und zu unterstützen, ist sehr anregend.

Bildung und vermittlung 2017

Anzahl Klassen

Schüler/ -innen

Betreuer/ -innen

Kinder- club

Total

Januar 0 0 0 0Februar 1 18 2 20März 4 53 9 62April 4 122 9 131Mai 5 55 10 65Juni 12 260 39 299Juli 2 39 4 43August 4 73 11 84September 8 145 22 167Oktober 3 41 7 82 130November 0 0 0 0Dezember 4 80 8 88

total 47 886 121 82 1089

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DanK DeM teaM

Dem Team ist für sein grosses Engagement im Jahr 2017 ein Kranz zu winden. Ohne diese eingespielte und eingeschworene Truppe wäre vieles nicht möglich gewesen. Den Damen am Empfang danke ich für ihre Geduld und Ausdauer sowie ihren Einsatz auf vielen Ebenen. Heidi Frenzer danke ich für die administrative Übersicht und die Verwaltung; grundsätzlich für die tolle freundschaftliche Zusammenarbeit. Flo-rian Arm bin ich für seine selbstständige und mitdenkende Arbeit als Schlosswart, Techniker, Ausstellungsbauer und vieles mehr sehr dank-bar. Den Bildungs- und Vermittlungsdamen bin ich für ihr unermüdli-ches Engagement und ihre guten Ideen zu grossem Dank verpflichtet. Und nicht zuletzt danke ich Zeljko Knezevic, der ebenfalls mehr Aufga-ben übernimmt, als «nur» das Haus zu reinigen.Es ist und war mir eine grosse Freude, mit diesen tollen Menschen im Team zusammenzuarbeiten, nicht nur im letzten Jahr, sondern grund-sätzlich. Herzlichen Dank euch allen!

aUsBlIcK

Das Jahr 2018 begann ereignisreich. Die zur Finanzierung notwendigen Sponsoringgutsprachen treffen nun eine nach der anderen ein. Gleich-zeitig startete zusammen mit Atelier Oï die Realisierungsphase. Bis Ende Mai wollen wir die dritte und letzte Etappe der Erneuerung der Dauerausstellung einweihen. Mit der musealen Neugestaltung dieser drei Stockwerke ist der umfangreichste und teuerste Teil dieses Pro-jekts abgeschlossen. Im 800. Todesjahr des zähringischen Bauherrn Berchtold V. (1160–1218) und zum 130. Jubiläum des Historischen Mu-seums wird sich das Museumsschloss erstmals in einer einheitlichen musealen Inszenierung der Öffentlichkeit zeigen! Mit einem Audioguide wird in Kürze ein lang gehegtes Desiderat unserer Gäste befriedigt wer-den. Ein neuer Schlossführer ist in Arbeit. In Zukunft kann die Energie nun endlich für museale Anlässe, Ausstellungen und Vermittlungsan-gebote genutzt werden, wie es sich für eine Institution dieser Grösse gehört. Dies wird nicht nur die Attraktivität des Schlosses erhöhen, son-dern ist auch für das touristische Thun eine grosse Bereicherung des

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Angebots. Es ist zu erwarten, dass damit die Zahl der Besucherinnen und Besucher weiter erhöht werden kann. Auf betrieblicher Seite wird dies jedoch Konsequenzen haben. Schon letztes Jahr hat sich gezeigt, dass besonders zu Spitzenzeiten durch den grossen Besucherandrang die vorhandenen personellen Ressourcen und die Infrastruktur nicht mehr ausreichen. Die Aufgaben für das Team sind mit der Vergrösserung des Betriebs gewachsen. Zudem werden unsere Gäste im Schloss immer «kreativer». Es wird in naher Zukunft unumgänglich sein, dass dauerhaft Aufsichtspersonal im Schloss zirku-liert und Präsenz markiert. Auskünfte, Museumsshop, Workshops, Bil-dungs- und Vermittlungsangebote, Anlässe verschiedener Art oder ein zukünftiger Audioguide bedingen grössere personelle Ressourcen an der Kassenfront. Zudem braucht der vergrösserte Betrieb zeitlich mehr ad-ministrative und technische Betreuung. Den Personalbedarf den neuen Gegebenheiten anzupassen, wäre der konsequente weitere Schritt. Da-durch wäre das Thuner Wahrzeichen gut gerüstet, um als touristisches Aushängeschild von Stadt und Region seine wichtige Aufgabe als kultu-rell weit strahlender Leuchtturm auch nachhaltig auszuführen.

In eIGener sache

Die Vernissage am 25. Mai 2018 ist zugleich mein eigener Abschieds-anlass. Ende Mai verlasse ich das Schloss Thun, um eine neue Aufgabe zu übernehmen. Seit 2006 habe ich die Leitung des Museums Schloss Thun inne. In diesen zwölf Jahren durfte ich die Neupositionierung des wunderbaren Museumsschlosses anstossen und umsetzen. Nach Ab-schluss der Erneuerungen der Dauerausstellung ist ein wegweisender Abschnitt für das Museumsschloss erfolgreich fertigstellt. Es ist daher der richtige Augenblick gekommen, um beruflich nochmals eine neue Herausforderung anzunehmen. Eine anregende und gleichzeitig sehr in-tensive Zeit mit unglaublich vielen unvergesslichen Erlebnissen, wunder-baren Ereignissen und besonderen Begegnungen mit spannenden Men-schen neigt sich dem Ende zu. Es erfüllt mich mit grosser Freude, dass ich in dieser Zeit die Möglichkeit erhalten habe, trotz äusserst knapper finanzieller und personeller Mittel, das Museum grundlegend zu erneuern und in der schweizerischen Museumslandschaft sichtbar zu positionieren.

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Meiner Nachfolgerin Yvonne Wirth wünsche ich für die Zukunft alles Gute und freue mich auf einen lebhaften Museumsbetrieb im schönen Thuner Wahrzeichen.

PrOGraMM 2018

Bis Ende 2018: edelweiss und alpenidylle – Souvenirkeramik der Belle Époque «made in Thun» mit Begleitprogramm

Ende Mai 2018: eröffnung der neuen Dauerausstellung

Juni 2018: schlosskonzerte thun

2. September 2018: europäischer tag des Denkmals

7. Oktober 2018: schweizer schlössertag

22. Dezember 2018: lichtnacht auf dem thuner schlossberg

Das vollständige Programm mit allen Führungen und Anlässen kann unter www.schlossthun.ch eingesehen werden.

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MUseUMsteaM

Museumsleitung Lilian Raselli

assistenz der Museumsleitung und administration Heidi Frenzer

schlosswart Florian Arm

Bildung und vermittlung Gabi Moshammer, Ruth Gassner, Barbara Büchi

ausstellungsgestaltung und –unterhaltChristine Ramstein, Andreas Kähr

Grafische arbeiten, WebsiteAline Mauerhofer

empfang, Kasse, Museumsshop Elsbeth Aebersold, Heidi Arnet, Vreni Ambühl, Lotti Bugmann, Marianne Finger, Anna Lore Hebler (bis 31.12.2017), Franziska Kühni (ab 01.01.2018)

reinigung Zeljko Knezevic

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Hans Kelterborn

Nach fast 12 Jahren im Thuner Wahrzeichen verlässt unsere Museums-leiterin das Schloss in Richtung Nordwesten. Sie übernimmt im August die Leitung des Museums Augusta Raurica.

erneUerUnG Der DaUeraUsstellUnG

Schon wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt hat Lilian Raselli die Auf-bauarbeiten für die Ausstellung im vierten Boden («Thun im 19. Jahr-hundert – Eine Stadt zwischen Tourismus und Armee») an die Hand genommen. Ein Grobkonzept lag bereits vor ihrem Amtsantritt vor, die eigentliche Einrichtung der Vitrinen musste sie gegen etliche technische Widrigkeiten selbst bewältigen.

Danach begann eine längere Phase konzeptioneller Arbeit im Hinblick auf die Gesamterneuerung der Dauerausstellung. Auf Grundlage einer von ihr erarbeiteten Vision wurde 2010 in Zusammenarbeit zwischen Stiftungsrat und Museumsleitung eine neue Museumsstrategie «Vom Schlossmuseum zum Museumsschloss» erarbeitet, der im folgenden Jahr ein konkretes Betriebskonzept folgte. 2013 wurde die bereits in die Jahre gekommene Töpferei-Ausstellung im Keller geräumt und mit den Umbauarbeiten für die neue Dauerausstellung begonnen. Seit der Eröffnung gelangen die Besucherinnen und Besucher nicht mehr direkt über den Rittersaal ins Schloss, sondern erleben das Schloss in einem einzigen Aufstieg vom Keller bis hinauf zu den Wachttürmchen.

2014 konnte im Keller die erste Etappe der neuen Dauerausstellung «Stadtentwicklung» eingeweiht werden. Im gleichen Zeitraum fanden die Eröffnung des neuen Eingangsbereichs, der Sonderausstellung im neuen Ausstellungsraum sowie die Feierlichkeiten zu 750 Jahre Stadt-rechte Thun statt. Im Sommer folgte in diesem Zusammenhang ein wei-teres Mittelalterfest im und um das Schloss und in der Altstadt. Lilian Raselli hatte die Gesamtleitung und -verantwortung.

Schon zwei Jahre später folgte in einer zweiten Etappe die Erneuerung

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des ersten und zweiten Bodens mit den Titeln «Trophäen, Wappen und Reliquien – Schätze aus der Thuner Rathaussammlung» und «Zährin-ger, Kyburger und Berner – 800 Jahre Statthalter im Schloss Thun». Wie schon bei der ersten Etappe war Lilian Raselli auch hier nicht nur für die Inhalte verantwortlich, sondern auch für das Fundraising der erforder-lichen finanziellen Mittel.

Bis zu ihrem Weggang im Mai 2018 arbeitet Lilian Raselli mit Hochdruck an der Realisierung der dritten und abschliessenden Etappe der Aus-stellungserneuerung, die den Rittersaal, den 4. Boden und den Dach-boden umfasst. Neben der konzeptionellen Arbeit in Zusammenarbeit mit dem Atelier Oï und dem Projektleiter und Vizepräsidenten Kasimir Lohner gelten ihre grossen Anstrengungen vor allem der Beschaffung von Drittmitteln für dieses ambitionierte Unternehmen.

sOnDeraUsstellUnGen

Noch bevor die Ausstellung «thun im 19. Jahrhundert – eine stadt zwi-schen tourismus und armee» dem Publikum im Frühjahr 2008 überge-ben werden konnte, folgte schon eine erste Sonderausstellung im Dach-geschoss mit dem Titel thun im see zu den Hochwasserereignissen in den Jahren 1999 und 2005.

2009 hat Lilian Raselli im ehemaligen Gefängnis mit einfachsten Mitteln als low-budget-Ausstellung Geschichten und Anekdoten zum Alten Ge-fängnis inszeniert.

2011 wurden im 2. Boden gleich zwei Sonderausstellungen eröffnet, nachdem dort die Dauerausstellung nach über 40 Jahren geräumt wor-den war. Im Mai die Ausstellung «Kleist und die schweiz» (mit Begleit-veranstaltungen ausserhalb des Schlosses), im September die Ausstel-lung «canton Oberland – eine episode der Berner Geschichte».

2012 brachte das Kornhausforum Bern die Sonderausstellung «Jean Moeglé – Berner Fotopionier» ins Schloss; ein interessantes Wieder-sehen mit dem Thuner Fotografen.

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2014 wurde «ein tag im leben der elisabeth von Kyburg», die erste Sonderausstellung im Neuen Schloss, eröffnet.

2015 konnte Lilian Raselli anlässlich der Hauptversammlung des För-dervereins die Sonderausstellung «spuren der vergangenheit – eine zeitreise im schloss thun» eröffnen.

2017 folgte die noch laufende Ausstellung «edelweiss und alpenidylle – souvenirkeramik der Belle Époque <made in thun>».

events

Noch kein Jahr war seit dem Stellenantritt vergangen, da hat Lilian Ra-selli auch schon tatkräftig bei der ersten Thuner Kulturnacht mitge-wirkt, welche zahlreiche neue Besucherinnen und Besucher erstmals ins Schloss gebracht haben dürfte. Schloss Thun beteiligt sich seither regelmässig und erfolgreich an der Kulturnacht. Unvergessen ist seit 2009 die pinkfarbene Beleuchtung von Kirche und Schloss.

Bereits 2008 fand ein erstes schlossfest statt, welches Familien in grossen Scharen zu dem bunten Markttreiben des späten Mittelalters auf den Schlossberg brachte und in einem Abstand von jeweils zwei Jahren in grösserem Rahmen wiederholt wurde.

2009 gabs im Schloss das Kindertheater «Der Herr der Diebe» und 2016 den Märchenspass «Des Kaisers neue Kleider».

2010 drängten sich wiederum Tausende Gäste bei der zweiten Ausgabe des schlossfestes auf dem Schlossberg.

2012 bis 2014 wirkte Lilian Raselli in der Projektleitungsgruppe «750 Jahre thuner stadtrechte» mit. Die grossen Feierlichkeiten fanden im Sommer 2014 in der Stadt und auf dem Schloss statt.

2017 ergriff Lilian Raselli die Initiative für die erste lichtnacht auf dem Thuner Hausberg.

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Gastrecht

Schloss Thun diente gelegentlich auch als Gastort für kleine oder kurze Ausstellungen Dritter, so z. B. in Zusammenarbeit mit dem Armeemu-seum die kleine Sonderausstellung zum schweizer soldatenmesser 1890–2007 oder im Sommer 2016 im Rahmen von thun meets army eine von der Stiftung HAM im Rittersaal kuratierte Sonderausstellung über historische Ausrüstungsgegenstände. Für einige Monate kehrten damals auch die vier Schweizer Generäle wieder ins Schloss zurück, diesmal jedoch nicht in den 4. Boden, sondern im neuen Empfangsraum.

Im März 2008 machte die Wanderausstellung «100 Jahre toblerone» bei uns halt und schon zwei Monate später eröffnete die von der Theater- wissenschafterin Susanna Tschui gestaltete Sonderausstellung Welch schauspiel! aber ach! ein schauspiel nur! zu Goethes Faust auf Schweizer Bühnen.

2008 fand die national beachtete NIKE-Tagung «Denkmale unter Druck» mit zahlreichen Teilnehmern statt.

Im Frühjahr 2009 erzählte das englische Seminar der Universität Bern in verschiedenen Stockwerken unter dem Titel «amerika einfach» an szenischen Stationen vom Leben der Auswanderer.

Im gleichen Jahr fand während 14 Tagen im ehemaligen Bezirksgefäng-nis die Ausstellung «zerfaltete zeit» Gastrecht.

Die schlossspiele führten 2009 im Gefängnishof «Jedermann» auf.

2011 kehrten die schlosskonzerte wieder zu ihren Wurzeln in das Schloss zurück. Weitere musikalische Leckerbissen stammten auch vom Gaia-Festival.

2012 fand im Schloss eine Tagung zum Thema «archäologie und touris-mus» statt, die ohne Dazutun von Lilian Raselli wohl nicht in unserem Schloss stattgefunden hätte.

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Im Herbst 2016 fand im Schloss Thun ein Anlass zum ersten Schweizer Schlössertag statt, der in Zusammenarbeit mit Schloss Arenenberg Napoleon Bonaparte gewidmet war. 2017 folgte die nächste Ausgabe.

2017 wurde im Rittersaal die grosse Theaterproduktion «theater am tatort» aufgeführt.

InFrastrUKtUr

Während der Amtszeit von Lilian Raselli hat das gesamte Schlossberg- areal wohl die grösste Verwandlung der letzten Jahrhunderte erlebt. Die dem Kanton gehörenden Liegenschaften Donjon, Gericht, Gefäng-nis, Regierungsstatthalteramt und Abzugshaus gingen kaufweise an die Stadt Thun und wurden, mit Ausnahme des Donjons, privatisiert. Im Neuen Schloss gelangte das Museum zu einem anständigen Empfangs-bereich mit Kasse und Shop, Sonderausstellungsraum, zwei kleinen Büros für die Leitung und einer Besuchertoilette.

Im Donjon selbst konnte eine Löschwasserleitung bis ins Dachgeschoss gezogen werden. Der Dachstock und der Dachstuhl wurden komplett geräumt und erhielten einen neuen Aufgang. Die Werkstatt wurde aus-gebaut und alles Altmaterial entfernt. Die einzelnen Stockwerke (Böden) des Donjons wurden jeweils im Zusammenhang mit den Ausstellungs-erneuerungen renoviert.

Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen förderten neue Erkennt-nisse zum Schloss und Geschichte zutage.

Während der langen Umbauphase musste Lilian Raselli sogar das (un-geheizte) Büro im sogenannten Alphüttli verlassen und vorübergehend in das leerstehende, aber beheizte Neue Schloss und danach in ein klei-nes Büro an der Oberen Hauptgasse umziehen.

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DanK

Wir lassen Lilian Raselli nur ungern ziehen, gönnen ihr aber eine weitere spannende Tätigkeit im archäologischen Raum als Leiterin des Museums Augusta Raurica. Für all das, was sie in den vergangenen zwölf Jahren in Thun für das Verständnis der mittelalterlichen und älteren Geschichte der Gegend und der Bekanntheit des Schlosses geleistet hat, danken wir ihr herzlich und wünschen ihr im römischen Kaiseraugst alles Gute.

Stiftung Schloss Thun Hans Kelterborn, Stiftungsratspräsident

Lilian Raselli in Aktion: Führung durch das Schloss Thun mit der Belegschaft des Schlosses Arenenberg. Fotos: Christina Egli, 2017.

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Hans Kelterborn

Der Stiftungsrat hat sich im vergangenen Jahr zu vier Sitzungen getroffen. Dabei hat er die Rechnung 2016 genehmigt und einen Budget-Nachkredit pro 2017 in der Höhe von 10‘000 Franken für die Sammlungsbetreuung gesprochen.

Im Mai hat der Stiftungsrat Kenntnis vom Projekt 3. Etappe Erneuerung der Dauerausstellung genommen (Rittersaal, 4. Boden und Dachstuhl). In den Sitzungen von September und November wurde der Stiftungsrat über den Stand der Finanzierung ins Bild gesetzt. Die Erneuerung der Dauerausstellung wird nicht über das Betriebsbudget finanziert, son-dern ausschliesslich über Drittmittel (Förderverein, Sponsoren, Lotte-riefonds, Gemeindebeitrag).

Schliesslich hat im September ein Artikel im Thuner Tagblatt betref-fend Fulehung-Maske etwas Staub aufgewirbelt. In einer Aussprache zwischen Stiftung und Museumsleitung einerseits und Einwohner-gemeinde und Kadettenkommisson andererseits konnten die Wogen geglättet werden. Gemäss Brauchtum kommt der Fulehung am Aus-schiesset-Montag jeweils vom Schloss herunter in die Altstadt. Auf die-se Vorstellung soll bei der Präsentation der Originalmaske Rücksicht genommen werden.

Die Nachricht vom Weggang unserer Museumsleiterin Lilian Raselli auf Sommer 2018 hat dazu geführt, die Suche nach einer Museumsleitung unverzüglich an die Hand zu nehmen. Auf unsere Ausschreibung hin ha-ben sich bis Mitte Dezember 43 Personen beworben. Eine Auswahlgrup-pe, ergänzt durch einen beigezogenen externen Museumsleiter, hat die Bewerbungen über den Jahreswechsel beurteilt und insgesamt sechs Personen zu Gesprächen im Januar und Februar eingeladen. Nach ei-nem zweiten Gespräch Mitte Februar konnte die Auswahlgruppe dem Stiftungsrat für die Sitzung vom 12. März 2018 Frau Yvonne Wirth als neue Leiterin des Museumsschlosses Thun zur Wahl vorschlagen. Zur Person von Yvonne Wirth erfahren Sie mehr auf der folgenden Seite.

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Im November konnten zwei vom Förderverein gewählte neue Mitglieder im Stiftungsrat begrüsst werden: Frau Prof. Francine Giese aus Thun und Herr Dr. Georges Bindschedler aus Worb. Damit hat der Stiftungs-rat die maximale Mitgliederzahl von 11 Personen erreicht. Ebenfalls im November hat der Stiftungsrat das Budget 2018 mit einem Defizit von 17'899 Franken verabschiedet.

DIe neUe MUseUMsleIterIn heIsst YvOnne WIrth

Der Stiftungsrat hat an seiner Sitzung vom 12. März die 40-jährige Kunsthistorikerin und Anglistin Yvonne Wirth aus Bern zur Museums-leiterin gewählt.

Yvonne Wirth stammt aus Baden-Würt-temberg, lebt seit sechs Jahren in Bern und ist mit den Schlössern Spiez, Thun und Oberhofen bestens vertraut. Zu-vor hat sie in verschiedenen deutschen Museen als Museumspädagogin und als wissenschaftliche Volontärin gear-beitet. Ferner war sie in mehreren his-torischen Museen als projektleitende Kuratorin mit der Konzeption, Planung, dem Fundraising und der Realisierung von Ausstellungen betraut.

Yvonne Wirth wird ihre Stelle im Schloss Thun am 1. Juni 2018 antreten.

JahresBerIcht Der stIFtUnG schlOss thUn

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stIFtUnGsrat

PräsidentHans Kelterborn, Vogelsangweg 4, 3600 Thun*

vizepräsidentH. Kasimir Lohner, Obere Hauptgasse 58, 3600 Thun*

KassierRoger Hunziker, Weieneggstrasse 11A, 3612 Steffisburg

KantonsvertretungLukas Tinguely, Amt für Kultur, Sulgeneckstrasse 7, 3005 Bern

stadtvertretungMarianne Flubacher, Kulturabteilung, Thunerhof, 3602 Thun

vertretung FördervereinDaniel Bähler, Talackerstrasse 43 i, 3604 Thun

MitgliederKurt Amstutz, Blümlisalpstrasse 13, 600 ThunBirgit Borkopp, Sahlistrasse 1, 3012 BernSimon Schweizer, Scherzligweg 6, 3600 ThunGeorges Bindschedler, Gurtenweg 45, 3074 Muri b. Bern (ab 1.10.2017)Francine Giese, Wattenwilweg 22, 3604 Thun (ab 1.10.2017)

* Mitglieder der Betriebskommission (zusammen mit der Museumsleitung)

JahresrechnUnG 2017 Der stIFtUnG

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BIlanzen Per 31. DezeMBer

2017 / Fr. 2016 / Fr.

Flüssige Mittel 740‘639.81 448‘725.14

Forderungen 21‘936.85 22‘005.75

Aktive Rechnungsabgrenzungen 27‘869.85 186‘540.00

total Umlaufvermögen 790‘446.51 657‘270.89

Finanzanlagen 5‘292.00 5‘445.00

Museumsgüter 5.00 5.00

Sachanlagen 172‘529.00 202‘338.00

Projektkosten 38‘518.00 46‘687.00

total anlagevermögen 216‘344.00 254‘475.00

total aktiven 1‘006‘790.51 911‘745.89

total Fremdkapital 146‘935.10 121‘520.25

Gründungsbeiträge/Stiftungskapital

- Verein Schlossmuseum Thun 100‘002.00 100‘002.00

- Kanton Bern 200‘000.00 200‘000.00

- Stadt Thun 100‘000.00 100‘000.00

- Einmalige Zuwendungen Dritter 509‘305.00 509‘305.00

Fonds für Spezialfinanzierungen (SF) 307‘191.70 307‘191.70

- Verlustvortrag –426‘273.06 –438‘112.22

- Jahresgewinn 69‘629.77 11‘839.16

total eigenkapital 859‘855.41 790‘225.64

total Passiven 1‘006‘790.51 911‘745.89

JahresrechnUnG 2017 Der stIFtUnG

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erFOlGsrechnUnGen 1.1. BIs 31.12.

2017 / Fr. 2016 / Fr.

Betriebsertrag 280‘556.15 253‘988.35

Personalaufwand –313‘411.05 –303‘681.05

Übriger Betriebsaufwand *) –281‘254.02 –722‘562.87

total Betriebsverlust Museum –314‘108.92 –772‘255.57

Betriebserträge und Spenden *) 371‘400.00 801‘400.00

Finanzerfolg –770.31 344.68

Sonstiger Ausserbetrieblicher Erfolg 13‘109.00 –17‘649.95

total ausserbetrieblicher Gewinn 383‘738.69 784‘094.73

total Jahresgewinn 69‘629.77 11‘839.16

sPezIalFInanzIerUnGen (sF)

ausstellungserneuerung/restaurierungen

Anfangsbestand 1.1. 307‘191.70 289‘341.75

Bildung SF für Restaurierungen 0.00 19‘622.15

Belastung SF für Ausstellungserneuerung 0.00 –1‘772.20

Schlussbestand 31.12. 307‘191.70 307‘191.70

total veränderung sF 0.00 17‘849.95

*) Im Jahre 2016 enthalten diese Zahlen die Aufwendungen bzw. Erträge (Spenden, Beiträge, Belastung SF Ausstellungserneuerung) von je rund Fr. 475‘000.00 für die Dauerausstellungserneuerung der 2. Etappe.

DIe saMMlUnG

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Hans Kelterborn

Ende 2017 umfasste die Datenbank 19‘590 Datensätze [Ende 2016: 19‘461]. Von 15‘381 Objekten [15‘273] ist der Standort bekannt. 14‘758 [14‘612] Objekte sind fotografiert. Jede digitale Abbildung ist mit dem entsprechenden Datensatz verknüpft. Die Zahl der Datensätze nimmt trotz abnehmender Objektzahlen zu, da alle Objekte, also auch aus der Sammlung entfernte, ihren Datensatz in der Datenbank behalten.

Nachdem wir auch im vergangenen Jahr etliche Objekte, die nicht zum Sammlungsgebiet gehören, weitergeben konnten, wurde das Lager Bernstrasse, wie vorgesehen, Mitte 2017 geräumt. Die in der Sammlung verbleibenden Objekte konnten im vorhandenen Depot an der Allmend-strasse untergebracht werden. Dank dieser Verdichtung können künftig Mietzinsen für Lagerräumlichkeiten in der Grössenordnung von gegen 7‘600 Franken eingespart werden. Die Weitergabe von Sammlungs- objekten erfolgte gemäss den ICOM-Richtlinien.

neUzUGÄnGe 2017

Von folgenden Personen und Institutionen durften wir Geschenke in die Sammlung aufnehmen:Robert Ganz, Hünibach; Andreas Heege, Zug; Peter Hirschi, Oberhofen; NN; Elisabeth Rasche, GB; Hans Reichen, Ostermundigen; Schweize-risches Gastronomiemuseum; SP Thun; Elisabeth Tüscher, Langnau; Verein Schweizer Armeemuseum VSAM.

Bilder, DruckePlakat: Photographische Anstalt J. Moegle Thun (Inv. 12868); Plakat Er-öffnung Schweizerisches Gastronomiemuseum 1988 (Inv. 12911; im Bild: Schloss Thun!)

BücherDer lange Weg zur Schweizerfahne (Inv. 12875); Keramik aus Langnau (Inv. 12927). Adieu – Altes Uri (Inv. 12928); Der Standes-Scheiben-Zyklus im Rathaus von Uri (Inv. 12929);

DIe saMMlUnG

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DokumenteProspekt: Märklin-Eisenbahnen und Metallbaukasten (Inv. 12910); Mit-gliedschaftsmarken der SP Thun (Inv. 12930); Bürgerrechtsurkunde Johannes Hafner (Kronenwirt; Inv. 12925).

KeramikBildteller Schadau (Inv. 12912); 2 Wandteller (Inv. 12913 und 12914); Vase (Inv. 12915); Vase in Amphorenform (Inv. 12916); Kännchen mit Körb-chenhenkel (Inv. 12917); Kännchen mit Deckel (Inv. 12918); Bildplatte (Inv. 12932); 2 Platten (Inv. 12933 und 12935); Kaffeekanne (Inv. 12934); Bildteller Lausanne (Inv. 12936); Présentoir (Inv. 12937).

Küche6 Messer (Inv. 12865); Blechdose KABA 1899 (Inv. 5198, Umtausch)

Möbel und WohnenTisch mit Majolika-Einlage (Inv. 12919).

Postkarten7 Postkarten (Schmieden-Zunft, Marktgasse, Kirchtreppe, Stadtkirche, Thunerhof, Falken, Beaurivage (Inv. 12886–12887, 12881–12885).

anKÄUFe 2017

FotoZur Erinnerung an den Eröffnungsumzug der KABA 1899 (Inv. 12867).

Kannen, KesselMiniatur-Milchkanne der Verbandsmolkerei Thun (Inv. 12924)

KeramikAschenbecher Oberländer Tagblatt (Inv. 12920).

Inv. 12919

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aBGÄnGe 2017

Die Aussonderung von Sammlungsgegenständen ist für ein Museum ein sensibles Unterfangen. Wir halten uns deshalb an die Ethischen Richt-linien für Museen von ICOM – dem internationalen Museumsrat – von 1986. Zum einen sondern wir nur Objekte aus, die dem Sammlungsziel nicht entsprechen (Beziehung zur Region). Zum andern konnten bislang fast alle Objekte einem andern Museum angeboten werden. Nur in einigen wenigen Fällen (kein Interesse anderer Institutionen, keine Leihgabe) haben wir uns zu einem Verkauf entschlossen.

Militaria (abzeichen, Blankwaffen, Kopfbedeckungen, lederzeug, Pulverflaschen, Waffen)15 Objekte aus der Sammlung Im Obersteg (als Leihgabe vorüberge-hend bei der Stiftung Historisches Militärmaterial HAM) definitiv zurück an Familie Im Obersteg in Basel (Inv. 923, 1731, 1741, 1973, 2077, 2425, 2736, 3103, 3393, 3957, 4107, 6035, 6037, 7405, 7544).1 Proviant- und Munitionskasten definitiv an Nationalmuseum (Inv. 7583).

Bauteile + stein1 Heizkessel von 1904 (Thuner Fabrikat) definitiv an den ursprünglichen Standort im Schönörtli in Gunten (Inv. 11992), s. S. 85 ff.

lederbearbeitung1 überzähliger Beschlagfuss, entsorgt (Inv. 5104).

Möbel + Wohnen1 Kastenbett definitiv an Agensteinhaus (Inv. 1761); 1 Kastenbett und 1 Bettstatt definitiv an Historisches Museum Obwalden (Inv. 12864, 9904); 1 Klapptisch defekt, entsorgt (Inv. 8328). Inv. 11992

Inv. 7583

DIe saMMlUnG

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zU GUter letzt

Vor der Weitergabe an das Nationalmuseum in Zürich haben wir den Proviant- und Munitionskasten tschaggeny gewaltsam geöffnet und darin neun von zehn grossen treicheln gefunden, die im Jahr 1897 für insgesamt 40 Franken angekauft worden waren.

Auch den Proviantkasten lohner (seit 2016 im Burgerheim ausgestellt) haben wir danach geöffnet und darin drei seit einem halben Jahrhundert vermisste Bahrtücher der Thuner Gesellschaften gefunden (eine Leih-gabe der Burgergemeinde Thun). Die beiden Proviantkasten waren seit den 1950er Jahren im 4. Boden ausgestellt und dienten offenbar gleich-zeitig als Aufbewahrungsort für Sammlungsgegenstände!

Inv. 11527

JahresBerIcht Des FörDervereIns

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Daniel Bähler, Präsident

Wie bereits in den Vorjahren war die Erneuerung der Dauerausstellung auch im Jahr 2017 das prägende Thema im Schloss. Dabei ging es um die Planung und Finanzierung der dritten und letzten Etappe, welche den Rittersaal, den 4. Boden und das Dachgeschoss mit dem Dachstuhl und den Türmen umfasst. Der Förderverein stellt dafür von seinem ver-bliebenen Kapital wiederum einen wesentlichen Betrag bereit.

Museumsleiterin Lilian Raselli kümmerte sich in ihrem letzten vollen Amtsjahr mit grossem Engagement sowohl um die Ausstellungserneue-rung als auch um die attraktive Gestaltung des laufenden Museumsbe-triebs. So entstand die sonderausstellung «Edelweiss und Alpenidylle – Souvenirkeramik der Belle Époque <made in Thun>», an welche der Förderverein einen Beitrag von 10'000 Franken leistete.

Die Vereinsmitglieder entrichteten im Jahr 2017 erstmals den erhöhten Beitrag von 50 Franken für Einzelmitglieder und 70 Franken für Paare, was dem Verein etwas mehr finanziellen Spielraum verschafft.

Dank der Zusammenarbeit mit dem Verein Schlosskonzerte Thun, des-sen Geschäftsführerin Gisela Trost unserem Vorstand angehört, und dem grosszügigen Entgegenkommen der Schlosskonzerte hatten die Vereinsmitglieder im Juni 2017 erstmals Gelegenheit, ausgewählte Konzerte im Rittersaal zu einem ermässigten Preis zu besuchen. Rund 30 Mal wurde von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

Der vorstand traf sich zu drei Sitzungen. Er befasste sich mit der Aus-stellungserneuerung, dem Betrieb des Museums, den Finanzen des Vereins, der Zusammensetzung von Vorstand und Stiftungsrat und den Aktivitäten des Vereins. Im Zirkulationsverfahren wählte er im Septem-ber mit Prof. Dr. Francine Giese und Dr. Georges Bindschedler zwei neue Mitglieder des Stiftungsrats. An der Dezembersitzung erfolgte die Wiederwahl des Stiftungsrats für die neue vierjährige Amtsperiode.

An der Mitgliederversammlung vom 26. Juni 2017 nahmen 47 Personen teil. Haupttraktandum war der Beitrag des Fördervereins an die dritte

JahresBerIcht Des FörDervereIns

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Etappe der Ausstellungserneuerung, deren Kosten mit rund einer Mil-lion Franken veranschlagt sind. Die Mitglieder beschlossen auf Antrag des Vorstands einstimmig, dass sich der Verein mit 100'000 Franken be-teiligt. Damit sinkt das Eigenkapital auf rund 70'000 Franken. Man war sich einig, dass das aus früheren Zeiten stammende Vermögen nicht gehortet, sondern für diese sinnvolle Investition eingesetzt werden soll. Im Weiteren wurden an der Versammlung die langjährigen Vorstands-mitglieder Georg Frank und Barbara Lehmann Rickli sowie Ruedi Keller, der seit der Gründung des Vereins als Revisor tätig war, verabschiedet. Als neues Vorstandsmitglied wählten die Mitglieder Simon Schweizer, der bereits seit 2014 im Stiftungsrat mitwirkt. Barbara Lehmann Rickli wechselte in das Amt der Revisorin. Im Anschluss an die Versammlung erhielten die Mitglieder Gelegenheit, unter Führung von Lilian Raselli in der Sonderausstellung in die Welt der Thuner Majolika mit reich und zum Teil skurril gestalteten Exemplaren aus hiesigen Töpferwerkstätten einzutauchen.

Dank der Initiative von Stiftungs-ratspräsident Hans Kelterborn hat-ten die Vereinsmitglieder am ausflug vom 21. Oktober 2017 die einzigartige Möglichkeit, das im Hinblick auf die anstehende Renovation ausgeräumte Schloss Schadau zu besichtigen, was auf grosses Interesse stiess. Beson-ders die verschiedenen Treppen, die für das 19. Jahrhundert sehr moderne Haustechnik und der Blick von der Dachterrasse waren faszinierend.

Zudem brachten Hans Kelterborn und Guntram Knauer den Anwesen-den die wechselvolle Geschichte von Schloss und Umgebung und deren Herrschaften näher.

Schliesslich war der Förderverein auch an der Kulturnacht vom 28. Oktober 2017 präsent, indem einige Vorstandsmitglieder am Fuss der Treppe zum Rittersaal Werbematerial und Süssigkeiten verteilten.

JahresBerIcht Des FörDervereIns

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vOrstanD Des FörDervereIns schlOss thUn

PräsidentDaniel Bähler, Talackerstrasse 43i, 3604 Thun

vizepräsidentinBarbara Cadisch-Wolf, Schlossberg 5, 3600 Thun

KassierRoger Hunziker, Weieneggstrasse 11A, 3612 Steffisburg

sekretärinBarbara Lehmann Rickli, Bälliz 67, 3600 Thun (bis 26.06.2017)

Weitere vorstandsmitgliederGeorg Frank, Lauenenweg 12, 3600 Thun (bis 26.06.2017)Christoph Im Obersteg, Steinackerweg 1, 4105 Biel-Benken BLGuntram Knauer, Postgässli 21, 3604 ThunSimon Schweizer, Scherzligweg 6, 3600 Thun (ab 26.06.2017)Gisela Trost, c/o Schlosskonzerte Thun, Bahnhofstrasse 1, 3600 Thun

revisorenRuedi Keller, Dorfhalde 36, 3612 Steffisburg (bis 26.06.2017)Adrian Roth, Ziegeleistrasse 56, 3612 SteffisburgBarbara Lehmann Rickli, Bälliz 67, 3600 Thun (ab 26.06.2017)

JahresBerIcht Des FörDervereIns

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Diese Institutionen und Personen haben das Museumsschloss im ver-gangenen Jahr besonders grosszügig unterstützt:

- Beat Amrein, 3612 Steffisburg- Sibylle Andres, 3800 Interlaken- Rosmarie Baumann-Lanzrein, 3626 Hünibach- Esther Brun-Kratzer, 8603 Schwerzenbach- Rolf Bürki-Kim, 3604 Thun- Jürg Emch-Schneider, 3032 Hinterkappelen- Leo Gysel + Emanuel Peter, 3600 Thun- Peter B.Hirschi, 3653 Oberhofen- Benjamin Hofstetter, 3014 Bern- Emil Hollenweger-Ernst, 3626 Hünibach- Verena Holzherr, 3612 Steffisburg- Bernhard Hopf, 3076 Worb- Heinrich Jaggi, 3073 Gümligen- Beatrice Luder, 3703 Aeschi b. Spiez- Rosemarie Methner, 3072 Ostermundigen- Peter Naef-Graber, 3600 Thun- Urs Neuenschwander, 3600 Thun- Heidy Probst, 4058 Basel- Silvia Spahni, 3600 Thun- Peter Wermuth, 3602 Thun- Ingrid Zahnd, 3600 Thun- Peter Hutzli, Dorfstrasse 35, 3713 Reichenbach i. K.- Peter Soltermann AG, Militärstrasse 6, 3600 Thun- Christoph Zahn-Massot, 3015 Bern

JahresrechnUnG 2017 Des FörDervereIns

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BIlanzen Per 31. DezeMBer

2017 / Fr. 2016 / Fr.

Flüssige Mittel 150‘434.74 85‘281.86Forderungen 226.40 176.40total Umlaufsvermögen 150‘661.14 85‘458.26

Finanzanlagen 38‘810.00 84‘217.45

total anlagevermögen 38‘810.00 84‘217.45

total aktiven 189‘471.14 169‘675.71

Passive Rechnungsabgrenzung 110.00 100.00

Guthaben der Stiftung

Anfangsbestand 1.1. 21‘648.60 41‘648.60

Zuweisung aus Jahresrechnung 20‘000.00 80‘000.00

Beiträge an Stiftung –10‘000.00 –100‘000.00

Schlussbestand 31.12. 31‘648.60 21‘648.60

total Fremdkapital 31‘758.60 21‘748.60

Vereinskapital 1.1. 147‘927.11 189‘305.40

Jahresgewinn/-verlust 9‘785.43 –41‘378.29

Eigenkapital 31.12. 157‘712.54 147‘927.11

total eigenkapital 157‘712.54 147‘927.11

total Passiven 189‘471.14 169‘675.71

JahresrechnUnG 2017 Des FörDervereIns

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erFOlGsrechnUnGen 1.1. BIs 31.12.

2017/Fr. 2016 / Fr.

Mitgliederbeiträge 21‘600.00 18‘040.00Spenden 9‘360.00 3‘725.00Gönnerbeiträge (Mailing) 14‘193.86 17‘116.96

Finanzerträge 947.95 1‘019.35

Gewinn Veräusserung Finanzanlagen 0.00 15‘690.80

total ertrag 46‘101.81 55‘592.11

Porti Versand an Mitglieder 388.65 386.85Post- und Bankspesen 322.78 349.35übriger Verwaltungsaufwand 1‘340.15 1‘305.10

total verwaltungsaufwand 2‘051.58 2‘041.30

Dienstleistungen QDM AG Mailing 1‘468.45 1‘287.15sonstiger Werbeaufwand 1‘342.95 1‘357.35Büromaterial 3‘383.60 5‘214.20Porti Mailing an Gönner 2‘242.90 2‘277.25

total Werbeaufwand 8‘437.90 10‘135.95

Mitgliederversammlung 1‘400.75 1‘583.65

Anlässe/Ausflüge 2‘700.46 832.75

total übriger Betriebsaufwand 4‘101.10 2‘416.40

Zuwendung an Stiftung (Rückstellung) 20‘000.00 80‘000.00

total zuwendungen an stiftung 20‘000.00 80‘000.00

Debitorenverluste 1‘050.00 800.00

total Debitorenverluste 1‘050.00 800.00

Bewertungskorrektur Finanzanlagen 675.80 1‘576.75

total Bewertungskorrekturen 675.80 1‘576.75

total aufwand 36‘316.38 96‘970.40

Jahresgewinn/-verlust 9‘785.43 –41‘378.29

Das henKertürMlI

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Peter Küffer

Das türMlI aUF Der MaUer nörDlIch vOM schlOss

Der heutige Name «Henkertürmli» ist historisch nicht überliefert und stammt erst aus neuerer Zeit. Es befindet sich vor dem Nordturm des Schlosses auf der sogenannten Litzemauer. Das Türmli gehört zur Befes-tigungsanlage des Schlosses und diente einst als Beobachtungsposten.

Das Schloss und seine Nebenge-bäude waren mit einer Ringmauer und einem Tor innerhalb der Stadtbefestigung zusätzlich ge-sichert. Ein Plan der Schlossgü-ter von Geometer Caspar Fisch aus dem Jahr 1812 zeigt auch die Befestigungsanlage. Dabei ist das aber Türmli nicht speziell eingetragen.1

Dass aber das Türmli damals bereits in seiner bis heute erhal-tenen Form vorhanden war, zeigt eine in den Jahren 1786–92 ent-standene Umrissradierung von Niklaus Sprünglin, Architekt in Bern.2

DIe schlOssBeFestIGUnG

Im Jahr 1652 erlässt Bern für sein ganzes Staatsgebiet eine «Lermen- ordnung (Alarmordnung in Kriegszeiten) des ganzen Landes».3 Darin werden unter anderem die Befestigungsanlagen der Stadt und des Schlosses, die nötigen baulichen Verbesserungen sowie die Standorte

C. Fisch. Plan Thun-Schlossgüter (Ausschnitt). 1812

Das henKertürMlI

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der Wachen im Fall von Gefahr beschrieben.Die Ordnung erwähnt für Kriegszeiten eine Gar-nison von 100 Mann mit Hauptmann, Leutnant, Fähndrich und drei Wacht-meistern. Die nächtliche Schiltwache habe unter anderem im Eggen dess keibenhöfflis, die andere im Thürmli uff der Litze ob dem keibenhöffli ih-ren Wachtdienst zu ver-sehen. Bei Tag wird ein spazierende schiltwacht zu oberst im grossen Thurn, die andere im Erg-gerli uff der Litze ob dem keibenhööfflj erwähnt.

In der Verordnung wurden auch Reparaturen befohlen. So auch für das Türmlein:Z'oberst im grossen Thurn, wie auch in allen anderen thürnlinen dess Schlosses, Jnsonderheit aber im streckethürnli, sollen die Böden wer-schafft belegt und bessere Känel zur Ussleitung dess wassers durch selbiges streckethürnli gemacht werden.

Im Falle eines Angriffes wären noch zusätzliche Massnamen getroffen worden, zum Beispiel auch beim Keibenhöfli:Die thüren so uss dem keibenhööffli geht, müsste vermuret (werden).

So geht aus der Lärmordnung von 1652 hervor, dass damals das Höflein «Keibenhöfli» und das Türmli «strecketürmli» genannt wurden.

N. Sprüngli. Vue du Château de Thoune, 1786–92. Älteste bekannte Darstellung mit dem Schloss und den Befestigungsanlagen gegen Norden mit dem Türmchen.

Das henKertürMlI

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Das KeIBenhöFlI

Das Keibenhöfli um-fasste sowohl das Areal auf der Nord-seite wie auch das auf der Westseite vom Schloss, wie aus der Reihenfolge der Standorte der Wacht-posten hervor geht.Aus dem in der Lärm- ordnung von 1652 er-wähnten «Keibenhöf-li» wurde später das «Keibenmätteli».

ein Projekt zur Umgestaltung in eine Promenade1904 wurde an der Hauptversammlung des Verschönerungsvereins ein Projekt, das «Cheibemätteli» in eine öffentliche Promenade umzuwan-deln, vorgestellt. Der Plan war von der Regierung bereits bewilligt. Das Projekt wurde aber nicht ausgeführt.4

ausgrabungen im KeibenmätteliIm Zusammenhang mit Bauarbeiten beim Schloss führte Baumeister Eduard Hopf 1909 auch verschiedene Untersuchungen in der Umgebung durch. Beim Aufwerfen eines Grabens bis auf die Nagelfluh im nördli-chen Zwinger des Schlosses (Keibenmätteli) stiess man auf eine Masse von Dachziegelscherben, Ofenkacheln, Topfscherben und Knochen von Tieren.5

Das Keibenmätteli 1921/22Anfangs des 20. Jahrhunderts war das Keibenhöfli, nun Keibenmätteli genannt, in sehr schlechtem Zustand. Wilhelm Krebs-Gygax – geboren 1849, aufgewachsen auf dem Schlossberg, um 1900 wieder nach Thun zurückgekehrt – schildert in verschiedenen Zeitungsartikeln im «Ober-länder Tagblatt» und im «Geschäftsblatt» sowie in zwei Sonderdrucken

Das henKertürMlI

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1921/22 den schlechten Zustand des Schlosses und seiner Umgebung. Er schreibt dazu: Das Cheibenmätteli ist ein ehemaliges Festungswerk, das hinten am Schloss angebaut ist. 3 Mauern mit niedriger Brüstung schliessen einen Rasenplatz ein, der mit Nesseln und Unkraut überwuchert, in letzter Zeit zur Schuttablagerung diente. Ehemals lag der Boden viel tiefer. Die 3 Mauern schützen die Verteidiger vor feindlichen Geschossen. Der jet-zige viel erhöhte Boden ist erst später aufgefüllt worden. Diese Auffül-lung und der Mauerschutt haben die Mauer hinausgedrückt, sie droht einzustürzen.6

zum namen Keibenhöfli und Keiben- oder cheibenmätteliWoher stammt der Namen «Keibenhöfli»? Keib oder Cheib bedeutet auf schweizerdeutsch und schwäbisch mundartlich Lump, gemeiner Kerl. Im 15. Jahrhundert bedeutete Keib im alemannischen Sprachgebiet Ka-daver oder Aas.7 Wilhelm Krebs-Gygax erwähnt, dass das Cheibemätteli früher die Be-gräbnisstätte gewesen sei für die Gefangenen und Verurteilten und da-her der schöne Name stamme.8 Dass hier Übeltäter bestattet wurden, ist wenig wahrscheinlich. Die Thuner Richtstätte befand sich an der Aare, unterhalb der Stadt auf der Kleinen Allmend und hier wurden auch die Hingerichteten bestattet. So dürfte das Höflein beim Schloss seinen Namen von der hier stattge-fundenen Befragung von angeschuldigten Übeltätern – von verdächtigen «Keiben» – erhalten haben?

Das strecKetürMlI

In der Lärmordnung von 1652 ist vom «Türmli auf der Litze ob dem Kei-benhöfli» oder vom «Strecketürmli» die Rede. Der Name deutet darauf hin, dass sich beim Türmlein damals eine Strecke befand. Sie wurde angewendet um von Angeschuldigten ein Geständnis zu erwirken. Der Beschuldigte wurde mit zusammengebundenen Händen an einem Seil hochgezogen und an seine Füsse wurden schwere Gewichte gehängt. Auch in Bern gab es einen Strecketurm bei dem die Folterungen vorge-nommen wurden. Er befand sich an Stelle des heutigen Hotel Bellevue.9

Das henKertürMlI

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Von ungefähr 1570 bis 1620 fanden die Folterungen auf dem sogenannten Gichtboden im Rittersaal statt.10 Der Rittersaal stand damals leer, da im Neuen Schloss, dem Wohn- und Amtssitz der bernischen Schultheissen, ein Wappensaal als neuer Repräsentationsraum an Stelle des schlecht heizbaren und nur mühsam zu erreichenden Rittersaal erstellt worden war. 1616 –19 liess Bern den Rittersaal und die zwei darunter liegenden Geschosse zu einem staatlichen Kornhaus umbauen.Der Name Strecketürmli könnte darauf hinweisen, dass nun die Strecke ins Höfli am Fusse des Schlosses verlegt wurde, und von da an die Fol-terungen hier stattfanden.

Unter der Helvetik wurde 1798 ein Gesetzt erlassen, das die Tortur – alle körperliche Peinigung als Zwangsmittel zur Erpressung eines Geständ-nisses – abschaffte. Endgültig aufgehoben wurde die Folter aber erst mit den liberalen Kantonsverfassungen der 1830er Jahre.13

Niklaus Manuel «Rychardus Hinderlist» Federzeichnung. 1525.11

Hans Jakob I. Dünz Lochrodelein-trag. 1631.12

Das henKertürMlI

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Der Name Stecketürmli scheint später nicht mehr geläufig gewesen zu sein.In einem Bericht zum Zustand des Türmli schreibt Wilhelm Krebs-Gygax 1921 im Oberländer Tagblatt nur von einem Festungstürmchen, ohne einen andern Namen zu nennen.

Jm Hintergrund steht ein schönes Festungstürmchen mit spitzem Dach, zu dem eine steile Holztreppe hinaufführt. Das alles ist jetzt durch die unseligen Tannen verdeckt. Oben im Türmchen befindet sich ein kleines, recht stilvolles Zimmerchen mit sechs Fensterladen nach allen Wind- richtungen und einer reizenden Aussicht gegen das Emmental, den Grü-sisberg usw. Wir hatten hier einen herrlichen «Lueginsland», ein idyl-lisches «Ruhdichaus». Fenster sind keine, nur morsche Fensterladen. Tritt man hinein, ist es finster bis die Laden geöffnet sind. Man sagte mir, der Verschönerungsverein habe seinerzeit dafür gesorgt, dass die-ses Türmchen den Schlossbesuchern geöffnet wurde. Diese sollen dann die Laden aufgerissen, aber nicht wieder geschlossen haben. Wind und Wetter hätten dann übel gehaust, sodass die Türe wieder geschlossen werden musste.

Das Turmstübli sollte renoviert werden. Es sollten Fenster eingesetzt werden, die nicht zum Oeffnen sind und dann könnte man dem Publi-kum den Eintritt wieder gestatten. Die hässlichen Tannen und das Hüh-nergatter sollten verschwinden und wir hätten wieder das alte, schöne Bild. Wenn man dann noch die Bank herstellt, werden sich wohl auch wieder, wie ich es in meiner Jugend so oft sah, Maler dahinsetzen und das schöne Türmchen mit der malerischen Ringmauer und der langen Holztreppe als idyllisches Bild à la Spitzweg aus der guten, alten Zeit auf die Leinwand zaubern.14

Ein Jahr später schreibt Wilhelm Krebs-Gygax in einem Artikel «Das Schloss Thun. Seine Wiederherstellung und Verschönerung» im Ge-schäftsblatt unter anderem:Das Türmchen sollte verputzt werden, die Riegel dunkel gestrichen, die Fensterläden in Landesfarben geflammt.

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Jst kein Maler in Thun, der dies auf sich nimmt? Ob man das Türmchen dem Publikum öffnen soll? Das ist eine Frage, die wohl überlegt sein will. Schön wäre es; denn von dort geniesst man eine reizende Aussicht auch gegen das Emmental. Allerdings müssten dann solide Fenster an-gebracht werden, die kein Sturm eindrücken kann, Fenster, die nur der Wärter öffnen könnte. Die Läden müssten gut versichert und die Türe nachts geschlossen werden. Nächtliche Gäste würden hier nichts ver-schönern.15

Das henKertürMlI

Die Herkunft des Namens Henkertürmli wird weder in älteren noch in neueren Büchern zur Lokalgeschichte, noch in der Dissertation von Jon Keller zu den Ortsnamen in Thun, noch in Fremdenführern oder in Zei-tungsartikeln erwähnt.

Die älteste mir zur Zeit bekannte Benennung als Henkertürmli findet sich im Oberländer Tagblatt vom 8. September 1951: Nahe beim Henker-Türmli nistet ein Schleiereulen-Paar. Die nächste Erwähnung stammt aus dem Jahr 1964 im Schweizerischen Kunstführer zum Schloss Thun von Hermann Buchs. Er erwähnt es im Zusammenhang mit der Beschreibung der Burgringmauer: … beim nördlich vorgelagerten Henkertürmchen … .17

zum namenDie Verbindung Türmli und Henker dürfte erst im 20. Jahrhundert entstanden sein. Möglicherweise war damals bekannt, dass das Türmli einst «Strecketürmli» hiess und so mit der Folterung durch Strecken zu tun hatte. Die Folterungen wurden in der Regel durch die Henker ausgeführt. So erhielt das Türmli den Namen Henkertürmli und das Höfli wurde zum Henkermätteli.

Schloss und Henkertürmli um 192016

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Die renovation 19761976 liess die Baudirektion des Kanton Bern, als Besitzerin des Schlosses und der Nebengebäude, das Henkertürmli um-fassend renovieren. Gleichzeitig wurde auch der Innenausbau erneuert.18

Die Ryfflischützengruppe «Henkertürmli» stattete das Türmli mit einem grossen, dem Raum angepassten Tisch mit einem Rundbank aus und liess eine elektrische Beleuchtung einbauen. Sie erhielt als Gegenleistung das Recht anlässlich des Ryffli-schiessens und des Ausschiessets, sowie bei besonderen An-lässen die Turmstube zum kameradschaftlichen Zusammen-sein unentgeltlich zu benützen.19

henkertürmli und henkermätteli im Besitz der stadt thun2006 verkaufte der Kanton Bern die Schlossbergliegenschaften nach dem Wegzug der kantonalen Ämter an die Stadt Thun. Der Verkauf umfasste den Donjon, das Henkertürmli, das sogenannte Neue Schloss, das Gefäng-nis, den Torturm, das Regierungsstatthalteramt und das Abzugshaus.21

Die Stadt Thun verkaufte 2012 das Neue Schloss, das Gefängnis und den Torturm an die Schlossberg AG. Der Donjon samt Schlosshof und das Henkertürmli, umgeben vom Henkermätteli, blieben im Besitz der Stadt. Henkertürmli und Henkermätteli sind jedoch im Gegensatz zur Burg, nicht der Stiftung Schloss Thun vermietet, sondern werden von den Liegenschaftsdiensten der Stadt Thun bewirtschaftet.22

Renovation 1976

Henkertürmli, Innenaufnahme Januar 2018.20

Das henKertürMlI

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Die Brätlistelle auf dem hinteren henkermätteliIn den Sommermonaten erfreut sich die Brätlistelle auf dem östlichen Henkermätteli grosser Beliebtheit.

QUellen

1 C. Fisch, Thun Schlossgüter 1812 (Ausschnitt). Original Staatsarchiv Bern. 2 Markus Krebser, Thun und seine Landschaft in der Kunst der Kleinmeister.

Thun 2004, Katalog Nr. 330, S. 71 und 1523 Burgerarchiv Thun, nach Abschrift C.F.L. Lohner, Historische Bruchstücke

Bd. 11, S. 342–3494 Täglicher Anzeiger 21.4.19045 Paul Hofer Thun: Abschrift des von Hn. Baumeister Ed. Hopf in Thun geführten

Journales der Untersuchungen des Schlosses Thun & seiner Umgestaltung. März bis Dezember 1909. (Archiv Markus Krebser)

6 W. Krebs-Gygax, Das Schloss Thun. Sonderdruck aus dem Oberländer Tag-blatt. 1921, S. 10

7 Otto von Greyerz/Ruth Bietenhard. Berndeutsches Wörterbuch. 1976. S. 65. Duden online, www.duden.de/rechtschreibung/keib.

8 W. Krebs-Gygax, Oberländer Tagblatt 30.6. und 2.7.1921 und Sonderdruck, S. 10–11

9 Berns Mächtige Zeit. Das 16. und 17. Jahrhundert neu entdeckt. Bern 2006. S. 52 und Fussnote 32, S. 569

10 Jürg Schweizer, Schloss Thun, Rittersaal. In Jahresbericht Schlossmuseum Thun 1999, S. 8f.

11 Kunstmuseum Bern, Niklaus Manuel Deutsch. Zur Ausstellung 1979. S. 509, Abb. 138

12 Berns Mächtige Zeit. Das 16. und 17. Jahrhundert neue entdeckt. Bern 2006. Abb. 36, S. 52

13 Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz, Bd. 3, S. 19014 W. Krebs-Gygax, Oberländer Tagblatt 30.6. und 2.7.1921 und Sonderdruck,

S. 10–1115 W. Krebs-Gygax, Geschäftsblatt, 21.4. und 24.4.1922 und Sonderdruck 1922, S. 8

Foto Martin Hesse, In: Das Amt Thun. Eine Heimatkunde. Adolf Schaer Thun 1943. S. 244f.

16 Ansichtskarte (Ausschnitt) um 1920 (Inv. 12944)

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17 Oberländer Tagblatt 8.9.1951 + Buchs Hermann, Schloss Thun, Schweizeri-sche Kunstführer, GSK 1964, S. 4

18 Thuner Tagblatt 11.5.197619 Schreiben Kantonale Staatskasse Thun an Paul Staub, Schützengruppe

Henketürmli, 15.12.197620 Foto: H. Kelterborn21 Thuner Tagblatt 13.9. und 22.9.200622 Thuner Tagblatt 3.4.2012

WanDel UnD BeharrsaMKeIt

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Jon Keller

Örtlichkeitsnamen führen mitunter ein dynamisches Eigenleben, was bedeutet, dass es zwar einerseits Namen gibt, die über Jahrhunderte beharrsam sind und sich nicht oder kaum verändern. Aber auch das Gegenteil trifft demgegenüber in zahlreichen Fällen zu: Örtlichkeitsna-men, die sich im Laufe der Zeit wandeln und bisweilen auch durch neue ersetzt werden. Dieses Eigenleben gilt auch für Thuner Örtlichkeits-namen, welche der Toponomastik ein reiches Namenleben bescheren. Zum einen sind es also Örtlichkeitsnamen, die seit Jahrhunderten exis-tieren und die Zeiten oft fast unverändert überdauert haben.

Sicher an erster Stelle ist dabei der Name der Stadt thun zu nennen, der erstmals 599 in der Fredegarchronik auftritt: «in laco Duninse» 1 ist da vermerkt, also wörtlich übersetzt «im Thunerischen See», das heisst, Thun kommt hier in Form des Adjektivs vor. Vom 12. Jahrhundert an beginnt dann der Name «Thun» in schöner Regelmässigkeit zu fliessen, etwa um 1130 «von Tun» 2.

Aber auch der Name des Thuner Altstadtteils Bälliz geht auf Jahrhun-derte zurück, auf die gallo-romanische Zeit, in welcher «Bellitio» soviel wie «Pappelwald» bedeutete 3. Seit dem 14. Jahrhundert finden sich Be-lege in Urkunden in schöner Regelmässigkeit, etwa 1358 «in Bellentz»4 oder 1489 «im Bellytz» 5.

Beharrsam ist auch der Name des Maulbeerplatzes. Die Maulbeer- bäume sind längst verschwunden, aber der Name hält die Erinnerung wach an den Versuch am Ende des 17. Jahrhunderts, in Thun die Seiden- industrie heimisch zu machen. Die Blätter des Maulbeerbaumes bilden ja die Nahrung für die Seidenraupen 6.

Der Beharrsamkeit von Örtlichkeitsnamen stehen Namen gegenüber, die im Laufe der Zeit durch andere abgelöst wurden. Das 1876 niederge-rissene Berntor beispielsweise wird 1489 als «bernthor» verzeichnet 7. In Urkunden des 14. Jahrhunderts indessen erscheint es als «Halstor», so 1344 «vor dem Halstor» 8.

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Das allmendtor, das im Unterbälliz bei der Allmendbrücke lag, wurde in vergangenen Zeiten auch als Lampartertor und später als Kühtor vermerkt. Beispielsweise 1511 «bim Lamparter thor» 9 und 1587 «bim Küthor»10. Der Name Lampartertor erinnert an eine Kolonie von Lom-barden, die damals in Thun Bank- und Geldwechselgeschäfte tätigten.

Naheliegende Namensänderungen haben auch die heutige Berntorgasse, die Marktgasse und das Gässchen, das von der Unteren Hauptgasse beim ehemaligen Gasthof Ochsen zur Gerberngasse führt und heute keinen offiziellen Namen mehr trägt, erfahren. Die heutige Berntorgasse hiess früher «Hintere Gasse», so beispielsweise vermerkt im Thuner Udelbuch von 1358: «an der hinder gassen» 11. Die Marktgasse trug vor Jahrhunderten den Namen «Mittelste Gasse», so etwa 1358 «an der mit-losten gassen» 12. Das Gässchen beim Ochsen, das von der Bevölkerung heute oft als Ochsengässli bezeichnet wird, hiess in der Vergangenheit «Vordere Gasse»: 1358 «an der vorderen gassen» 13.

Erwähnt sei auch die sinnebrücke, die vor Jahrhunderten als «Obere Brücke», das heisst als Brücke oben am Aarelauf, erwähnt war, so 1489: «uff der obren brugg» 14. Vom 16. Jahrhundert an wird dann die Bezeich-nung «Sinnebrücke» üblich, etwa 1566 «die Sinnibrüg»15.

Eine eigentliche Odyssee bezüglich Namensänderungen erlebte der Name «Kloseplatz», eine Bezeichnung, die heute nicht mehr existiert, ganz im Gegenteil zur «Klosestrasse», die nach wie vor im amtlichen Strassenverzeichnis der Stadt Thun figuriert. Am 26. Dezember 1941 beschloss der Gemeinderat, den Platz bei der Klosestrasse, Länggasse und Waisenhausstrasse «Kloseplatz» zu benennen 16. Es handelte sich dabei um den heutigen «Eigerplatz». Der Name «Kloseplatz» wurde zu Ehren des Musikers Friedrich Klose (1862–1942) gewählt, der 1942 seinen achtzigsten Geburtstag feierte und in seinem Leben viele Jahre, so auch die Jugendjahre, in Thun verbrachte, im Klosehaus an der Klo-sestrasse 17. Das Klosehaus, ein prächtiges Simmentaler Chalet, wurde 1971 niedergerissen18. Friedrich Klose schätzte diese Ehrung sehr, wie der Gemeinderat dem Dankesschreiben des Musikers entnehmen konn-te19. Fünf Jahre später beschloss dann der Gemeinderat, einen anderen Platz, nämlich den Platz bei der Kreuzung von Mönchstrasse, Länggasse

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und Frutigenstrasse als «Kloseplatz» zu bezeichnen, also den Platz südlich der Bahnhofunterführung 20. Doch diese Namensgebung befrie-digte nicht, da der Kloseplatz keine direkte Verbindung zur Klosestrasse aufwies, was angebracht gewesen wäre. Deshalb wurde der Kloseplatz wenige Wochen später in Mönchplatz umbenannt 21. So heisst der Platz auch heute noch.

Eine prominente Namensänderung erfolgte im Jahre 2011 anlässlich des zweihundertsten Todesjahres des Dichters Heinrich von Kleist. Damals beschloss der Gemeinderat, das Obere Aareinseli offiziell in Kleist-Inseli umzubenennen, in Erinnerung an die Aufenthalte Kleists auf dieser Insel in den Jahren 1802 und 1803 22. Im Volksmund indessen hiess das Obere Aareinseli schon längst Kleist-Inseli.Für Thuner Örtlichkeitsnamen gilt also auch, was der griechische Philo-soph Heraklit einmal gesagt hat: «Nichts ist so beständig wie der Wan-del».

adresse des verfassers: Dr. Jon Keller, weiland Stadtarchivar, Schönmattweg 20, 3600 [email protected]

QUellen

1 Fredegarii et aliorum chronica, Vitae sanctorum, Edidit Bruno Krusch, Han-nover 1880, S. 128. Bernhard Stettler, Studien zur Geschichte des obern Aareraums im Früh- und Hochmittelalter, Beiträge zur Thuner Geschichte, Band 2, Thun 1964, S. 37 ff. Jon Keller, Örtlichkeitsnamen und Namenge-bung in der Stadt Thun im Laufe der Jahrhunderte, Diss. Bern 1972, S. 37 ff.

2 Fontes Rerum Bernensium, Berns Geschichtsquellen, Bern 1883 ff., Band 1, S. 402.

3 J. U. Hubschmied, Über Ortsnamen des Amtes Thun, in: Das Amt Thun, Eine Heimatkunde, Thun 1943, S. 186 f. Keller, a. a. O., S. 44 f.

4 Udelbuch von Thun, 1358 ff., abgeschrieben von C. Huber, Thun 1918, S. 84.5 Udelbuch von Thun, 1489 ff., abgeschrieben von C. Huber, Thun 1918, S. 216 Peter Küffer, Thun, Geschichtliche Zusammenfassung von einst bis heute,

Thun 1981, S. 56. Martin Trepp, Bilder aus der Geschichte der Stadt Thun, in:

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Das Amt Thun, a. a. O., S. 274 f. Keller, a. a. O., S. 232.7 Udelbuch von Thun, 1489 ff., a. a. O., S. 10.8 Fontes Rerum Bernensium, a. a. O., Band 7, S. 76.9 Carl Huber (Herausgeber), Die Urkunden der historischen Abteilung des

Stadtarchivs Thun, Thun 1931, S. 383.10 Staatsarchiv Bern, Amtsrechnungen von Thun, 1587.11 Udelbuch von Thun, 1358 ff., a. a. O., S. 40.12 Udelbuch von Thun, 1358 ff., a. a. O., S. 76.13 Udelbuch von Thun, a. a. O., 1358 ff., S. 76.14 Udelbuch von Thun, 1489, a. a. O., S. 29.15 Staatsarchiv Bern, Amtsrechnungen von Thun, 1566.16 Protokoll Gemeinderat Thun, 26. 12. 1941. Oberländer Tagblatt, 28. 11. 1942.17 Adolf Schaer-Ris, Bilder aus der Geistesgeschichte des Amtes Thun, in: Das

Amt Thun , a. a. O., S. 484. Historisches Lexikon der Schweiz, Basel 2002 ff., Band 7, S. 288 f.

18 Thuner Tagblatt, 9. 9. 1971.19 Protokoll Gemeinderat Thun, 23. 1. 1942.20 Protokoll Gemeinderat Thun, 8. 2. 1946.21 Protokoll Gemeinderat Thun, 8. 3. 1946. Oberländer Tagblatt, 14. 3. 1946.22 Protokoll Gemeinderat Thun, 10. 2. 2011.

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OrIent aUF DeM DachBODen

DIe MaUrIsche KaMMer IM thUner BÄllIz

Christian M. Schweizer

Ein grosser Teil neo-islamischer In-nenausstattung tauchte im 19.Jahr-hundert in öffentlichen Gebäuden auf und bediente die Bedürfnisse der Massen nach Vergnügen, Ent-spannung, Abwechslung und ihre Sehnsüchte nach der immer bes-ser erschlossenen Ferne. In der Zeit der Ozeandampfer und grossen Luxushotels entstanden zahlrei-che Fumoirs, Restaurants, Tea-Rooms, Cafés und Billardzimmer, selbst Badeanstalten und Bahn-höfe mit orientalisierender Ausstattung, was die gängigen Klischees vom sinnenfreudigen Orient noch verstärkte.1 Andere Beispiele der Zeit entstammen den Residenzen adliger und vermögender Fami-lien, denen der Prunk exotischer Interieurs und der märchenhafte Reichtum ihrer fürstlichen Bewohner oder gar vormaligen Besitzer als Hintergrund zur Selbstinszenierung und Darstellung der eige-nen politischen, geographischen und wirtschaftlichen Macht diente 2 – von den nur kurz bestehenden Ausstellungsgebäuden auf den Welt- ausstellungen zur Präsentation nationalen Prestiges einmal ganz zu schweigen.3

Eine überraschend andere Facette zeigt ein Fund in Thun. Wenige Stock-werke über der Haupteinkaufsstrasse Bälliz hat sich ein einmaliges

1 Sweetman 1988, 198. Vgl. ausführl. Marczoch 1989, 187–212.2 Orientalisierend wird hier gleichbedeutend mit neo-islamisch verwendet

und bezeichnet die klischeebehafteten westlichen Stilschöpfungen aus versch. islamischen Originalstilen in der historistischen Architektur. Vgl. dazu bspw. Koppelkamm 2015.

3 Orientalisierende Exterieurs sind, bis auf wenige Ausnahmen, vor allem auf besagte Ausstellungsarchitektur beschränkt, s. Sweetman 1988, 200.

Abb.1: Ansicht vom Eingang her.

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OrIent aUF DeM DachBODen

Beispiel orientalisierender Innenarchitektur in der Schweiz erhalten: eine neo-maurische Kammer im Dachboden eines Wohnhauses. Kom-plett mit Schablonenmalerei, farbigem Glas und illusionistischer Archi-tekturmalerei ausgestattet, belegt sie die weitreichende Verwendung von orientalischen Motiven um 1900 und illustriert die damalige Ob-session für alles «Morgenländische», die nicht nur die oberen Gesell-schaftsschichten erfasst hatte.

BeschreIBUnG Der lIeGenschaFt, lOKalIsIerUnG Der MaUrIschen KaMMer

Bei dem Wohnhaus mit Laden im Bälliz handelt es sich im Kern um zwei verschiedene Liegenschaften, die um 1810 herum errichtet und 1870 hinter einer durchgehenden Fassade zusammengefasst worden sind. Die komplexe Entstehungsgeschichte lässt sich trotz der Vereinheitli-chung immer noch von aussen an der ungleichmässigen Fenstervertei-lung und Staffelung des Daches und von innen an den unterschiedlichen Raumhöhen nachvollziehen.4 Die Strassenfront ist schlicht gehalten. Die ovalen Fenster (oeils-de-boeuf) der Kniewand dienen der Belüftung des Dachbodens und entstanden wohl im Zusammenhang mit der Auf-stockung von 1851.5

Der Dachboden selbst wurde aufgeteilt, sodass an der höchsten Stelle unter der Firstpfette eine kleine Kammer aus dünnen Holzwänden ein-gebaut werden konnte. Des Weiteren wurde ein flaches Tonnengewölbe eingezogen, um die Balken des offenen Dachstuhls zu verbergen.

Bestandesaufnahme der Maurischen Kammer im Juni 2017 – InnenarchitekturDie heute nur schlecht erhaltene Kammer misst 4,45 bis 4,47 Meter in der Länge sowie 3,41 bis 3,42 Meter in der Breite. Der höchste Punkt des Tonnengewölbes liegt 2,61 bis 2,62 Meter über dem Fussbodenniveau (Abb. 1).

4 Bauinventar, 887.5 NSA, 366.

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Die Längswand mit der Tür, welche von der steilen Holztreppe in die Dachkammer führt, ist über die ganze Länge mit Wandschränken aus-gestattet (Abb. 2). Ihr gegenüber liegt eine Wand mit Tapetentür, die wie-der hinaus auf den Dachboden führt (Abb. 3). Die Schildwand ins Haus- innere weist ebenfalls eine Tapetentür auf und ein kleineres Türchen zur Regulierung des Kaminabzugs (Abb. 4). Die Schildwand nach Aussen ist nicht mehr im Original erhalten (Abb. 5). Sie wurde nachträglich durch-fenstert und gewährt einen Blick über die Wirtschaftsgebäude und Werkstätten im Hof aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hinaus auf die Aare.

Es wurde ein verhältnismässig grosser Aufwand bei der Ausstattung der Kammer betrieben, um den Eindruck eines vollständig orientali-schen Interieurs herzustellen. In mehreren Arbeitsschritten wurden die Wände mit Schablonenmalereien dekoriert. Verschiedenfarbige und feinteilig gestaltete Einzelmuster wurden dabei nebeneinander und teil-weise sogar übereinander angeordnet, um einen möglichst kunstferti-gen Effekt zu erzielen. An der inneren Schildwand öffnet sich zudem ein Trompe-l’oeil-Panorama: Ein illusionistisch gemalter Fensterbogen rahmt eine nächtliche Wüstenlandschaft mit Palmen. Für die nicht ori-ginal erhaltene, äussere Schildwand ist ein korrespondierendes Sujet anzunehmen. Über den später ergänzten Fenstern finden sich noch zwei originale, kleine, runde Fensterchen (Okuli) die mit buntem Glas ausge-füllt wurden (Abb. 6).

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Abb. 2: Wand mit Wandschränken Abb. 3: Längswand

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Bestandesaufnahme der Maurischen Kammer im Juni 2017 – Malerische ausstattung Die ornamentale Wandmalerei in Leimfarbe auf Putz ist in drei Zonen übereinander angeordnet, die unterschiedlich detailreich ausgeführt wurden und verschieden breit sind (Abb. 7). Geometrisch verwobene Band-Motive zeichnen die relativ schlicht gehaltene Sockelzone aus, welche die Wand bis circa Kniehöhe einnimmt. Es scheint durchaus möglich, dass diese elementar gehaltene Malerei in zwei Farben (ohne Schattierung für 3D-Effekte, Farbnuancierung, oder Ausschmückung) lediglich die Vorstufe einer geplanten Ausarbeitung darstellte, die später fertiggestellt werden sollte, was aber nicht mehr erfolgte.

In der mittleren Zone, welche auf der Wand den meisten Platz einnimmt und auch am aufwändigsten ausgemalt wurde, wiederholt sich das

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Abb. 4: Innere Schildwand Abb. 5: Äussere Schildwand (mit nachträglich eingebauten Fenstern)

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eckig verschlungene, doppelt geführte Bandmotiv. Es hebt sich in einem leuchtenden Ocker-Ton von seinem rotbraunen Grund ab und bildet ein Ornament aus langgestreckten Feldern und achteckigen Sternen als Freiflächen aus. Diese Freiflächen sind mit stilisierten Blüten ausge-füllt, die durch die farbliche Hervorhebung eine gewisse Tiefenwirkung erzeugen, obwohl sie nicht schattier sind. Die länglichen Felder sind mit gelben Ranken auf schwarzem Grund verziert, die achtzackige Sterne mit weissen Blüten auf rosa Grund umrahmen. Die ungleichmässig- sechszackigen Felder dazwischen weisen keine abgesetzte Hinter-grundfarbe auf, und die vegetabilen Motive sind in gedecktem Hellbraun gemalt, wodurch diese Felder optisch eher zurücktreten. Dies verstärkt den dreidimensionalen Effekt der Malerei. Ebenso der schwarz-gelbe Chevron-Rahmen, dessen Zacken von den Seitenmitten zu den Ecken hin auseinanderlaufen. Dieser Rahmen ist innen schwarz und aussen gelb gerändelt. Eine leichte Schattierung deutet eine Erhöhung gegen-über den Ornamentfeldern an und bringt auch hier einen plastischen Effekt ins Spiel.

Die der obersten Zone zeigt sich ein blauer Streifen mit ockerfarbenen Kartuschen (Abb. 8). Diese sind mit durchgehenden Ornamenten in ei-nem etwas helleren Ton ausgefüllt. Auf diesen Hintergrund wurde in hellem Beige jeweils dreimal ein pseudo-arabischer Schriftzug gesetzt,

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Abb. 6 und 7: Bruchstelle im Putz an der Längswand (Detail)

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flankiert von zwei Feldern mit Halbmond und sechszackigem Stern in demselben hellen Beige-Ton, in dem auch die Unterteilung gemalt wurde. Auch hier deuten Schattierungen eine Dreidimensionalität an.

Die Schildbögen über der Augenhöhe sind einfarbig in Rotbraun gehal-ten, wie auch die Wandschrank-Front mit den kassettierten Türen.

Der Übergang von der Wand zur unbemalten Decke des Raums ist mit einer im Vergleich übertrieben grossen und farbigen Zickzack-Band- Malerei geschmückt (Abb. 9). Womöglich handelt es sich um eine spä-tere Ergänzung oder um das Werk eines anderen Malers, da sich die grossflächigen Elemente doch erheblich von der Malerei auf den Wän-den unterscheiden, was die Kleinteiligkeit der Einzelmuster, die gewähl-te Farbpalette, die Anzahl der Schläge bei der Schablonierung und die Feinheit der technischen Ausführung betrifft.

Im Vergleich zur fein ausgeführten Schablonenmalerei auf den Wänden wirkt auch die frei gemalte Architektur etwas unbeholfen. Kalkig weiss hebt sie sich von der geschmückten Fläche ab. Über einem rechtecki-gen Fensterrahmen rundet sich ein Hufeisenbogen auf zwei eingestell-ten Säulchen, die den Blick zu einem schlüssellochförmigen Ausschnitt verengen. Der Fensterbogen überragt die ornamentierte Wandzone und reicht hinauf in den Schildbogen, wo der gemalte Fensterbogen durch

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Abb. 8: Schriftkartusche (Detail) Abb. 9: Umlaufende Malerei in den Widerlagern

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zwei kleinere, gemalte Schein-Okuli flankiert wird. Durch das Fenster hinaus blickt man auf eine Wüstenlandschaft mit auffallend tiefem Ho-rizont. Es herrscht eine sternenlose Nacht und die spärliche Vegetation von einigen Dattelpamen und kleineren Büschen ist grösstenteils ange-schnitten. Im Unterschied zur klar umrissenen Ornamentik der Wände ist die Landschaftsmalerei ohne Konturlinien aquarellhaft gearbeitet.

schaBlOnIerUnG – eIne MalereItechnIK IM sPÄten 19. UnD Frühen 20. JahrhUnDert

Schablonenmalerei war eine weitverbreitete Technik der Dekorations-malerei ab der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhundert, insbesondere als Sgraffito-Dekoration von Aussenwänden, aber auch in der Innenaus-stattung in Leimfarbe. Namhafte Architekten wie Ludwig Förster (1797–1863) in Wien oder Gottfried Semper (1803–1897) in Dresden fanden grosses Interesse an dieser Ausstattungstechnik, welche im Umfeld der Neo-Renaissancemalerei zwischen dem Wiener Kongress und der deutschen Revolution von 1848 neuen Aufschwung fand. Semper selbst nutzte diese Technik für zahlreiche seiner Bauten, unter anderem für das Polytechnikum in Zürich (1863), und veröffentlichte 1868 eine eigene Studie über diese Form der Dekorationsmalerei.6 Durch die Verbreitung des Historismus im letzten Jahrhundertdrittel gewann auch die Sgraf-fito-Dekoration und mit ihr die Schablonierung wieder zunehmend an Bedeutung. In der besagten Studie beschreibt Semper den Putzaufbau für das Polytechnikum in Zürich als dreischichtigen Aufbau mit genauen Mischangaben:

1.) kalkreicher Unterputz mit Steinkohlenschlacke2.) Sogenannter Farbputz aus unter Sand gelöschtem Kalk (Nach Bedarf mit Schwarzsand, Steinkohlenschlacke, Holzkohle und Schwarzpigment aus verbranntem Knochen – sogenanntes Beinschwarz – oder aus Russ angereichert)3.) Zweite Lage aus den gleichen, nun feiner gemahlenen Komponenten, abgedeckt durch dreifachen Anstrich aus Kalkmilch

6 Semper 1979 [1868], 506–518.

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Auf diesen Putz wurde die gemalte Dekoration mit Hilfe von Blechscha-blonen übertragen – sogenannte «Schläge».7 In der Innenausstattung begnügte man sich allerdings gelegentlich auch mit einem einfacheren Putzaufbau, wie Bruchstellen im Putz der Maurischen Kammer belegen (Abb. 7).

Die Schablonierung erfreute sich besonders in den 1880er-Jahren grosser Beliebtheit und zierte zahlreiche Gebäude des Historismus, etwa an der neuerrichteten Wiener Ringstrasse (Museum für angewand-te Kunst, Universität, Kunsthistorisches Museum, Rathaus). In dieser Zeit bildete auch die Malerei im Innenraum ihre technischen Möglich-keiten wieder voll aus.8 In dieser Hinsicht folgt die Maurische Kammer in Thun ganz der herrschenden Mode.

Mit der Zeit wurde die Schablonierung immer aufwendiger. Bis zur Jugendstilmalerei wurden komplexe Muster mit bis zu zehn verschie-denfarbigen Einzelmustern übereinander entwickelt. Für einfachere, wiederholte Elemente gab es Gummiwalzen zur Musterübertragung und Liniermaschinen, auf denen mehrere Pinsel nebeneinander gleich-mässig geführt werden konnten,9 wie auch in Thun zu beobachten ist.

Bei der Ausarbeitung der Wände der Maurischen Kammer wurden min-destens sieben verschiedene Schablonen benutzt. Für die Hauptzone der Wandpartie wurden drei verschiedene Ornamentschablonen neben-einandergesetzt, für das Spruchband wurden zwei Schläge übereinan-dergelegt. Der genaue Ursprung der verwendeten Schablonen lässt sich leider nicht ohne weiteres nachvollziehen. Dies wäre jedoch zur weiteren Beleuchtung des Entstehungshintergrunds und der Funktion der Mau-rischen Kammer aufschlussreich; insbesondere, da es sich beim Be-sitzer und ausführenden Handwerker um einen Malermeister handelte, wie nachfolgend argumentiert wird. Es wäre interessant zu wissen, ob er bereits vorhandene Schablonen aus seinem Sortiment auf kreative

7 Koller 1984, 364–366 bezieht sich dabei ebenfalls auf Semper 1979 [1868], 506–518.

8 Koller 1984, 365.9 Koller 1984, 366.

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Weise verwendete, oder ob die Schablonen eigens zu diesem Zweck an-geschafft worden waren und über welche Wege diese in seinen Besitz gelangten. Beide Szenarien schliessen auch eine weitere Verwendung der Schablonen in anderen Aufträgen nicht aus, wovon aber bislang keine Beispiele bekannt sind.

MöGlIche DatIerUnG Der MaUrIschen KaMMer, BesItzer UnD aUFtraGGeBer

Der Zeitpunkt der bereits erwähnten Aufstockung des Hauses liefert den frühesten möglichen Zeitpunkt zur Ausgestaltung der Dachkammer, den terminus post quem. Die Bauarbeiten wurden 1851 unter Rudolf Bühlmann (1806–1868), einem Gipser, ausgeführt.10 Dessen Vater war Johann Rudolf Bühlmann gewesen, ein Metzger, Grossweibel und Kauf-hausmeister,11 bei dem es sich laut Kataster von 1801 bereits um den Besitzer der Liegenschaft im Bälliz gehandelt haben soll.12 Am wahr-scheinlichsten ist aber ein Entstehungsdatum im späteren 19. Jahrhun-dert. Der Maler und Gipser Gottlieb Bühlmann (1838–1907)13 dürfte der schöpferische Geist hinter der Entstehung der Maurischen Kammer und höchstwahrscheinlich auch der ausführende Handwerker gewesen sein. Für die Bemalung der Decke des Pavillons an der Kirchtreppe in Thun war er genauso verantwortlich wie für die Westseite und Innen-wände des Knabenschützenhauses beim Berntor. Sein Vetter, ebenfalls mit dem Namen Johann Rudolf Bühlmann, war Maler und später auch Photograph, und dürfte wohl auch in die Ausarbeitung involviert gewe-sen sein.14

Für eine späte Datierung spricht neben der technischen Fertigkeit des Hausbesitzers vor allem der Zeitpunkt, zu welchem die Begeisterung für den Orient in Europa ihren Höhepunkt erreichte. Die Mode für orien- talisierende Interieurs im Kleinbürgertum in den 1850er-Jahren wäre

10 INSA, 366.11 Burgerbuch 1997, 74.12 BAT 359, Nr. 604. 13 Krebser 1980, 136.14 Krebser 1980, 136.

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verfrüht, wenn man von herkömmlichen Verbreitungsmodellen aus-geht, was weiter unten noch detaillierter ausgeführt werden wird.15 Als Entstehungsdatum wären deshalb die 1880er-Jahre viel plausibler, als neben der Orient-Mode auch die Technik der Schablonierung in vollem Schwunge war.

Der OrIent. eIne InternatIOnale MODe IM Berner OBerlanD

Mit der Eröffnung der Dampfschifffahrt auf dem Thunersee 1835 und dem Bau des Grand Hôtel de Thoune unter Leitung des Architekten Paul Adolf Tièche (1838–1912), dem 1875 eröffneten Thunerhof, sowie dem nebenan gelegenen «Fremdenetablissement» Beau Rivage hatte Thun sich zum Haupttourismus-Ort des Berner Oberlandes gemausert. Das Zweihundertbetten-Haus des Thunerhof beherbergte internationale, vor allem englischsprachige Gäste, mit denen nicht nur Spielcasinos und eine Bar in die auf Beschaulichkeit bedachte Burgerstadt einzogen, son-dern auch deren weltläufiger Geschmack, besonders für orientalische Kunstgegenstände und Interieurs.16

Als Vorlagen für die Ausstattung solcher Interieurs dienten die Tafelbil-der von Publikationen, die sich mit islamischer Kunst und Architektur beschäftigten. Owen Jones’ Grammar of Ornament von 1856 oder seine

15 Zum Zentrum-Peripherie-Modell vgl. Senghaas 1982. Zu Verbreitungsme-chanismen im Kolonialismus vgl. Galtung 1972; Schmidt-Linsenhoff 2014.

16 Vgl. ausführl. Krebser 1980; <http://www.kunstmuseumthun.ch/de/kunst-museum/architektur-thunerhof/>.

Für das Hotel Thunerhof sind leider keine orientalischen Interieurs dokumentiert. Zahlreiche andere Grand Hotels folgten jedoch der Mode orientalisierender, häufig neo-maurischer Salons oder Hallen, z.B. Henri Blondels Hotel Continental in Paris (1878), Boswau und Knauers Hotel Atlantic in Hamburg (1909) oder das Hotel Halm in Konstanz (1877); Marc-zoch 1989, 194–195. Vgl. ausführl. Wenzel 1991, Schmitt 1992, Bothe 1981, Frégnac 1977.

Zu englischen Monumenten orientalisierender Architektur, besonders ab 1854, vgl. ausführl. Sweetman 1988, insb. 160–167.

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bereits in den Dreissigerjahren erschienene Alhambra-Publikation17 zählten dazu. Es war Jones’ erklärte Absicht, durch das Zusammen-tragen und Gegenüberstellen verschiedener Ornamenttypen aus allen Epochen und aus aller Welt eine universelle Sprache der Ornamentik abzuleiten.18 Stattdessen jedoch verkamen die Illustrationen seiner Publikation schon bald zu blossen Vorlagenseiten für Raumausstatter. Anstatt grundsätzliche ästhetische Studien zu inspirieren und der damals weit verbreiteten, unkritischen Wiederholung historischer Stile entgegenzuwirken, entfachte das üppig bebilderte Buch gerade die Begeisterung für orientalisierende Stilräume, die Produktion unspezifi-scher, neo-islamischer Dekoration und lieferte die notwendigen, leicht kopierbaren Musterserien dafür gleich mit.19

Gerade diese Loslösung vom originalen Kontext und die freie Kombina-tion der Muster im neuen Raum zur Erzeugung eines orientalisierenden Gesamteindrucks lassen sich an der Maurischen Kammer in Thun mus-tergültig beobachten. Die ursprüngliche Anordnung und der Massstab der Ornamente wurden komplett ausser Acht gelassen, verschiedene Stilelemente wurden nicht einfach nebeneinandergesetzt, sondern zu einem neuen, generischen Stil zusammengemischt.

FlÄchIGKeIt versUs DreIDIMensIOnalItÄt

Die Kombination von ornamentaler und landschaftlicher Malerei wie in der Maurischen Kammer ist nichts Ungewöhnliches in der Ausstattung von Innenräumen, besonders nicht in der Zeit des Historismus. Doch gerade bei orientalisierenden Interieurs fällt das Nebeneinander von zwei- und dreidimensionaler Malerei auf, da nämlich die Ornamentik der islamischen Welt damals im Westen als generell flach und «körper-

17 Die Rede ist von Owen Jones’ Plans, Elevations, Sections and Details of the Alhambra (1842/1845). Vgl. dazu ausführl. Darby 1974; Hrvol Flores 2006; Calatrava 2011. Zur Rezeption islamischer Ornamentik im Westen vgl. bspw. Labrusse 2007.

18 Varela Braga 2015b, 32–33. Vgl. ausführl. Varela Braga 2017, insb. 25–33, und Sweetman 1988, insb. 174–176.

19 Varela Braga 2015b, 32–33.

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los» 20 verstanden wurde. Dieses Konzept zieht sich durch die ästheti-sche Theorie des späten 19. Jahrhunderts durch.21

An der Londoner Weltausstellung von 1851 wurden verschiedene Hand-werks- und Industrieerzeugnisse aus aller Welt nebeneinander ausge-stellt. Dadurch konnte ein direkter Vergleich zwischen den technischen Möglichkeiten und künstlerischen Fähigkeiten der Weltregionen im Ko-lonialismus angestellt werden.22 Der westliche Mix verschiedener Stile so typisch für die damalige Zeit wurde als ästhetische Unterlegenheit gegenüber der klaren Formensprache des Mittelalters und besonders der <orientalischen> Länder empfunden.23 Im Speziellen kritisiert wur-den die fehlende Klarheit, Formschönheit oder Symmetrie der über-ladenen Verzierung westlicher Kunsthandwerkserzeugnisse. Auch für die maschinelle Produktion von Kunstgegenständen schien die islami-sche Ornamentik viel besser geeignet: Überwiegend zweidimensional, besteht sie aus geometrischen Ornamenten und Farbfeldern und be-rücksichtigt dadurch die Materialoberfläche und Form des Produkts. Zweidimensionale, abstrakte Muster konnten viel effizienter und zufrie-denstellender für die mechanische Reproduktion eingesetzt werden als komplizierte, dreidimensionale Elemente.24

Hier schert die Maurische Kammer in Thun aus der vorherrschenden Ästhetik ihrer Zeit aus. Die Rahmungen der grossen Ornamentfelder im Mittelregister der Wand erzeugen durch Überschneidung und Farbwahl einen dreidimensionalen Effekt, und auch die umlaufenden Spruch-

20 Frank 2001, 77.21 Als Beispiel dienen die bereits erwähnten zahlreichen Musterbücher der

Zeit, etwa Franz Sales Meyers Systematisch geordnetes Handbuch der Or-namentik. Zum Gebrauche für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende, sowie zum Studium im Allgemeinen (1895). Zur Ausle-gung des Ornaments als eigenständige Kunstform im 19. Jahrhundert vgl. ausführl. Frank 2001, 77–101, insb. 79–89, 98–99, und Labrusse 2007.

22 Varela Braga 2017, S. 26.23 Varela Braga 2017, S. 26–28, Hagedorn 1998, S. 75–77; Vgl. ausführl.

Sweetman 1988, 160–211. Zum ästhetischen Problem in Bezug auf das Kunsthandwerk an der Londoner Weltausstellung von 1851 vgl. bspw. Briggs 2016; Cantor 2013; Young 2009.

24 Varela Braga 2015a, 24.

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bänder behaupten durch die Art ihrer Ausführung eine Plastizität, die sie eigentlich nicht besitzen. Sie versuchen das Dreidimensionale ihrer plastischen Vorlage – Stuckornamente aus der Alhambra – im zwei-dimensionalen Medium der Malerei nachzuahmen. Auch die Architek-turmalerei und die Trompe-l’oeil-Landschaft stehen in dieser europä-ischen Tradition der sogenannten Mimesis. Und doch gäbe es gerade für ornamentale Fenster-Felder mit <Ausblick> viele zweidimensionale Vorbilder aus dem islamischen Raum. Vor allem auf den Keramikfliesen osmanischer Interieurs, beispielsweise in den Haremsgemächern des Topkapı-Palastes oder in der Yeni-Valide-Moschee in Istanbul finden sich Fenster mit Baummotiven darin, die auch im Westen öfters wie-derverwendet wurden.25 Die Privaträume der Sultansmutter in der Yeni- Valide-Moschee fanden Nachhall in Walter Brierleys Entwurf für den Turkish Room des 1912–1916 erbauten Sledmere House der Baronets Sykes im englischen Humberside, dessen Fliesen vom Armenier David Ohanessian (1884–1952) im Iznik-Stil des 16. Jahrhunderts reproduziert wurden.26 Für die Imitation osmanischer Interieurs in Europa lassen sich außerdem frühere Vorbilder in der hocharistokratischen «Türkenmode» des 18. Jahrhunderts finden.27

Gerade dieses Vergleichsbeispiel zeigt jedoch ein wesentliches Problem der bisherigen Forschung auf. Die Mode neo-islamischer Interieurs wird in der Regel vor allem in Bezug auf die europäische und nordameri-kanische Haute Volée besprochen, welche über die Mittel verfügte, um Originale vor Ort zu studieren, kostspielige Reproduktionen entwerfen und anfertigen zu lassen oder gar zu erwerben.28 Ludwig Marczoch beispielsweise konstatiert zwar die Ausbreitung orientalisierender In-nenarchitektur vom Hochadel im 18. Jahrhundert auf den niederen Adel und die Bourgeoisie im 19. Jahrhunderts. (Damit einhergehend wurde die islamische Architektur gegenüber der griechischen und gotischen im Stilpluralismus des Historismus aufgewertet und es ergab sich eine

25 Vgl. ausführl. Hagedorn 1998, insb. 39–48, 75–87, und Labrusse 2007, insb. 158–168, 242–256.

26 Sweetman 1988, 146–147, 197.27 Vgl. ausführl. Marczoch 1989, insb. 139–160.28 Vgl. bspw. die Auswahl der besprochenen Monumente bei Sweetman 1988,

Koppelkamm 2015 und Marczoch 1989.

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Verschiebung von Stilvorbildern. Bezogen diese sich im 18.  Jahrhun-dert noch vor allem auf das Osmanische Reich, orientierte man sich im 19.  Jahrhundert vor allem an der maurischen Alhambra und Mogul-Bau-ten aus Indien.29) Ausser Acht gelassen wird dabei jedoch stets das Kleinbürgertum. Lediglich als Besucher exotischer Ausstellungspavil-lons wird es in der Forschung wahrgenommen. Man sieht sie als passiv konsumierende Rezipienten, nicht jedoch als Akteure in der geographi-schen und vor allem auch ästhetischen Eroberung und Inanspruchnah-me der Islamischen Welt.

Diesbezüglich zeigt sich in Thun ein anderes Bild. Ein Malermeister verwirklichte seine eigene Vision eines orientalisierenden Interieurs und beanspruchte dadurch nicht nur die Ästhetik der Islamischen Welt, sondern gleichzeitig auch den Geschmack der Beau Monde. Es spielte in dieser Hinsicht offenbar keine Rolle, dass die Schablonen nicht au-thentische Motive abbildeten, dass Schriftzüge nicht authentisch und die Vielfarbigkeit alles andere als originalgetreu waren. Wichtig allein war die Wirkung, der illusionistische Gesamteindruck. Als Thuner Bür-ger während des Tourismus-Booms ging es dem Besitzer wohl darum zu zeigen, dass er an den herrschenden Modeströmungen teilhatte und konkurrenzfähig war. Als Malermeister wollte Bühlmann sein hand-werkliches Geschick vorführen und als Privatmann erfreute er sich an seinem Interieur, das ihm höchstwahrscheinlich als Rauchzimmer zur Entspannung diente. Auf diese Weise war der Besitzer und Erbauer eben nicht irgendein anonymer Besucher eines neo-islamischen Vergnü-gungs-Etablissements, sondern entwickelte sich zum Herr über seine eigene Maurische Kammer. Solcherart verfügte er über einen Luxus, den Seinesgleichen wohl wenig kannte: Ein Stückchen Orient auf dem Dachboden.

abbildungenAlle Abbildungen: Thun, Bälliz, Maurische Kammer, anonym, ca. 1900; Fotografie von Francine Giese 2017.

29 Marczoch 1989, 173–174.

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Us-aMerIKanIsche UnD BrItIsche InternIerte In thUn IM zWeIten WeltKrIeG

auf den spuren von roger c. smith und der «spirit of Winsome Winn II»

Karin Rohrbach

Die «helden vom himmel»Im Jahr 1944, im sechsten Jahr des Zweiten Weltkriegs, gewannen die Alliierten allmählich die Lufthoheit über Europa. Die Bomberverbände der USAAF (United States Army Air Forces) und der britischen RAF (Royal Air Force) warfen ihre tödliche Fracht Tag und Nacht auf Ziele in Nazi- Deutschland und auf Ziele, die von den Nazis kontrolliert waren, ab, ins-besondere auf Verkehrswege und Industrieanlagen. Immer wieder star-ben dabei Zivilisten. Irrtümliche Bombardierungen trafen auch grenz-nahe schweizerische Gebiete wie am 1. April 1944 Schaffhausen.

Bei Kriegseintritt der USA nach dem japanischen Angriff auf die US-Pa-zifikflotte bei Pearl Harbor im Dezember 1941 hatten die USAAF 354‘000 Mann und 30‘000 Flugzeuge im Einsatz. Im Mai 1945 waren es bereits 2,4 Millionen Mann mit 80‘000 Flugzeugen.1 Oberster Kommandant der Allied Expeditionary Forces in Europa war der US-General Dwight D. Eisenhower, späterer Präsident der USA (1953–1961). Ihm unterstanden

1 Tanner, 39 und 50.

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Spirit of Winsome Winn II in Altenrhein und US-Pilot Roger C. Smith

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auch die US-Luftstreitkräfte in Europa mit Basen in England, Nordafrika und in eroberten Gebieten im faschistischen Italien. Die in England bzw. in Italien stationierten 8th und 15th Air Forces wurden im Februar 1944 zu den United States Strategic Air Forces in Europe (USSTAF) unter dem Befehl von General Carl A. Spaatz zusammengefasst.

Die meisten airmen (Angehörige der Luftstreitkräfte), die im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz interniert wurden, gehörten zur 8th Air Force. Sie war eine der schlagkräftigsten und angesehensten Militärorgani-sationen der amerikanischen Streitkräfte («Mighty Eighth»). Mitte 1944 hatte sie rund 2000 schwere Bomber, 1000 Jagdflugzeuge und über 200‘000 Mann im Einsatz.

Die Arbeit als Bomberpilot forderte den Männern viel ab. Die airmen der 8th Air Force mussten 25 Missionen erfolgreich beenden (später deren 35 bzw. die in Italien stationierten sogar 50), bevor sie in ihre Heimat zurückkehren durften. Eine Mission konnte gut 10 Stunden dauern. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Pilot nicht alle geforderten Missionen ab-solvierte, etwa weil er umkam, lag bei 36 Prozent.2 Feindliche Fliegerab-wehrkanonen (Flaks) schossen alliierte Flugzeuge zu Tausenden ab. Bei Kriegsende hatten die USA und Grossbritannien im Luftkampf 80‘000 Mann verloren. In keiner anderen Truppengattung war die Verlustrate so hoch. Alleine die 8th Air Force verlor im Zweiten Weltkrieg 26‘000 Mann und über 5‘000 Flugzeuge, mehr als 28‘000 Mann gerieten in Kriegsge-fangenschaft.3

landungen und Internierungen von airmen in der schweizMehrere hundert alliierte Flugzeuge landeten im Zweiten Weltkrieg in den neutralen Staaten Schweiz und Schweden oder stürzten hier ab.4

Schauplätze in der Eidgenossenschaft waren vor allem der grenznahe Bodenseeraum und die Ostschweiz, insbesondere aber Dübendorf ZH. Über ein Dutzend Kantone verzeichneten Landungen oder Abstürze,

2 Prince, 50f.3 Tanner, 2.4 Prince, 43. In Schweden landeten 327 Flugzeuge. Fast alle Crewmitglieder

wurden vor Kriegsende repatriiert.

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darunter auch Bern (u. a. Bätterkinden, Utzenstorf und Jegenstorf). Zwi-schen August 1943 und April 1945 gelangten insgesamt 166 Flugzeuge der USAAF und RAF in die Schweiz, darunter 82 vom Typ Consolidated B-24 (in Diensten der RAF Liberator genannt) und 75 vom Typ Boeing B-17 (Flying Fortress). Die konfiszierten Flugzeuge stationierte man in Dübendorf, wo das Hauptquartier der Schweizer Luftwaffe lag. Wegen Platzproblemen wurden die schwer beschädigten Flieger demontiert und die Teile in Hangars in Dübendorf und Kloten gelagert. Nach Kriegs-ende erfolgte die Repatriierung der flugtüchtigen Maschinen via Mün-chen, Paris und Burtonwood (England) in die USA.

Zwischen 1943 und 1945 internierten die Schweizer Behörden gestützt auf die Haager Abkommen im Rahmen des internationalen Völkerrechts rund 1700 alliierte Flieger.5 Bis Januar 1944 hielten sich allerdings erst etwa drei Dutzend US-airmen in der Schweiz auf.6 Nach einer dreiwöchi-gen Quarantäne auf dem Neuenburger Hausberg Chaumont kamen sie in Hotels im Berner Seeland (Magglingen und Evilard). Ihren Höhepunkt erreichte die Internierung alliierter Fliegerbesatzungen erst nach zahl-reichen Notlandungen im Sommer 1944, als innerhalb weniger Wochen über 400 neue airmen in die Schweiz gelangten.7

Adelboden war der erste Ort, der in grösserer Zahl US-Internierte aufnahm, und zwar ab November 1943. Hier befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits zahlreiche aus Kriegsgefangenschaft geflohene Bri-ten und Jugoslawen. Das Lager Davos wurde im Juni 1944 eingerichtet. Einerseits, weil es in Adelboden zu wenig Platz für die Neuankömm-linge hatte, andererseits aus disziplinarischen Gründen: Die US-Ge-

5 Prince, IX sowie Tanner, 2. Insgesamt nahm die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs fast 300‘000 zivile Flüchtlinge und ausländische Mili-tärs auf, darunter rund 105‘000 Internierte: Italiener und Polen, aber u. a. auch Briten, Amerikaner, Franzosen und Jugoslawen.

6 Tanner, 140.7 Diese Zunahme erklärt sich mit der strategischen Bomberoffensive der

Alliierten um diese Zeit: Vor der geplanten Landung der Invasionstruppen in der von den Nazis besetzten Normandie (D-Day, Juni 1944) sollten die deutsche Luftwaffe und andere Industriezweige empfindlich getroffen werden (Mears, 64).

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sandtschaft veranlasste die Verlegung der höheren Offiziere nach Da-vos, weil Offiziere und Mannschaft in Adelboden fraternisierten.8 Das Lager in Wengen, das zugleich ein Quarantänezentrum war, nahm kurze Zeit später, im August 1944, seinen Betrieb auf. Hierhin kamen vor allem US-Militärs mit niederen Unteroffiziersrängen. Weil sich in Davos die Fluchten häuften, liessen die Behörden das Lager per 1. Februar 1945 schliessen. Die rund 350 Internierten von Davos und Wengen kamen nach Adelboden, wo noch etwa 70 Internierte logierten.9

Interniert in adelbodenAb November 1943 bis Kriegsende beherbergte Adelboden US-Inter-nierte. Zumeist waren es um die 200, zeitweise sogar 600 (Sommer 1944). Die Amerikaner nannten das Lager «Camp Moloney» nach Joseph F. Moloney, dem ersten von total 61 US-Militärs, die in der Schweiz ver-starben und in Münsingen BE begraben wurden.

Die Internierten erreichten via Bern und Thun den Bahnhof Frutigen und fuhren per Postauto weiter nach Adelboden. Sie logierten in den Hotels Nevada Palace, Regina und National, die Briten im Grandhotel und im Kurhaus Adelboden.10 Es gab gewisse Regeln einzuhalten, z. B. bezüg-lich des Ausgehrayons, der Disziplin, Kleidung (Uniformpflicht) oder ih-rer Kontakte zur lokalen Bevölkerung, aber sie waren keine Gefangenen im engeren Sinn. Trotzdem hatten die Amerikaner Mühe, sich mit ih-rem neuen Status abzufinden. Sie hatten weniger Freiheiten und Kom-fort als erwartet. Eine rasche Repatriierung war illusorisch, sie durften nicht frei herumreisen, die Zimmer waren im Winter ungeheizt und es mangelte an Warmwasser, die Nahrung war aufgrund der Rationierung eher einseitig und knapp und auch die ärztliche Behandlung entsprach nicht immer ihren Vorstellungen.11 Hinzu kam die Langeweile. Die meis-ten Internierten waren Offiziere, doch diese durften gemäss der Haager Konvention nicht arbeiten. So vertrieben sie sich die Zeit mit Schulkur-sen, sportlichen Aktivitäten, Lesen, Kino, Fotografieren, pflegten Kontakte

8 Tanner, 147f. 9 Mears, 67 und Prince, 93 und 99. Mehr zu den Lagern Davos/Wengen in

Mears, 64ff.10 Prince, 72. Drenkelforth, 24.11 Tanner, 144. Prince, 73.

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zu den Einheimischen oder deckten sich im Dorf zur Freude des lokalen Gewerbes mit zusätzlichen Nahrungsmitteln, Schokolade, Zigaretten und Souvenirs ein. Kontakte zwischen Einheimischen und den als «Hel-den vom Himmel» verehrten airmen, die insbesondere auf junge Frauen eine grosse Anziehungskraft ausübten, sahen die Behörden nicht gerne, konnten sie aber kaum verhindern: «Am Wochenende brachten die Busse jeweils Mädchen aus dem Unterland nach Adelboden.»12

Die Langeweile förderte Indisziplin und Fluchtgedanken. Soldaten be-wachten die Hotels und es gab regelmässig Appelle.13 Bei disziplinari-schen Vergehen (z. B. Missachten der Ausgangssperre) kamen die In-ternierten zuerst in lokale Gefängnisse (Frutigen) und nach der militär-gerichtlichen Verurteilung in andere Lager. Besonders berüchtigt war jenes im Wauwilermoos LU. Fast die Hälfte der internierten Amerikaner unternahm einen Fluchtversuch, meistens erfolgreich – auch dank der Hilfe Einheimischer.14 Zwischen Februar und Mai 1945 (Kriegsende in Europa) lief die Repatriierung der internierten Fliegerbesatzungen an.

Doch was hat die Internierung von US-Amerikanern in Adelboden mit der Stadt Thun zu tun? Der Ausgehrayon der Internierten schloss Thun zwar nicht mit ein und ohne Spezialbewilligungen durften die Internierten wegen Fluchtgefahr weder Züge noch Fahrräder benutzen. Doch weil die ärztliche Versorgung in Adelboden nicht über die Grundversorgung hinausging, schickte die Lagerleitung jene Internierten, die einer kom-plexen Behandlung bedurften, tageweise nach Thun zu Fachärzten (Zahnärzte, Optiker etc.) oder für chirurgische Eingriffe über längere Zeit ins Bezirksspital.15 Doch die kranken oder verletzten Internierten gaben sich in Thun nicht der Tristesse hin, im Gegenteil: in Thun kamen die anglo-amerikanischen Internierten erst so richtig in Feierlaune …

12 Drenkelforth, 24 (nach Erinnerungen von Ernst Oester).13 Tanner, 140.14 Prince, 190 und Tanner, 247.15 BAR (Schweizerisches Bundesarchiv in Bern), Signatur

E5791#1000/949#1773: Thun, Aufenthalt Internierter, Unterdossier 08–394, Oberstleutnant Raaflaub an die Generaladjutantur 8. Sektion, 01.07.1944.

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Britische Internierte tanzten mit thunerinnenBelegt ist der kurzzeitige Aufenthalt von internierten Briten und US-Amerikanern in der Stadt Thun für den Sommer 1944. Am 21. Juni dieses Jahres schrieb Erich Münch, Oberst im Generalstab und von 1944 bis 1946 Chef der Sektion Territorialdienst, nämlich folgendes an die Generaladjutantur 8. Sektion für Internierung und Hospitalisierung:

«Von verschiedenen Seiten bin ich darauf aufmerksam gemacht wor-den, dass trotz der Urlaubssperre sich noch Internierte in Urlaub be-finden. Nun erhalte ich den beiliegenden Rapport der Heerespolizei, 3. Division, vom 19. 6. 44, in welchem einige Beispiele über den Aufenthalt von Internierten in der Stadt Thun aufgeführt sind. Ich übersende Ihnen diesen Rapport, damit Sie nachprüfen können, ob diese Internierten sich berechtigterweise in Thun aufgehalten haben.»16

Im beigelegten Rapport, unterzeichnet von Korporal Nottaris, steht fol-gendes:

«[…] Ich möchte hier ein Beispiel erwähnen, dass diese Besuche vielfach nur Mittel zum Zweck sind indem die Internierten in Thun keine Bekann-ten haben. Wir haben in letzter Zeit zwei Internierte aus Adelboden mit einer Barmaid angetroffen, die ebenfalls in Adelboden wohnte. Alle drei sind in Thun in Hotels logiert. Sie hatten eine Bewilligung für 8 Tage. Von Bekannten keine Spur. Ein anderer Internierter ist letzthin in der Trun-kenheit im Hotel Freienhof in den Saal hinunter gestürzt und hat dabei ein Bein gebrochen.

Am 10.6.44 befanden sich im Dancing ‹En Ville›17 um 0200 Uhr noch 4 uniformierte Internierte aus Adelboden. Ich habe einen um den Aus-weis gefragt. Er zeigte mir eine Bewilligung, wonach er im Bez. Spital Thun vorsprechen musste zu einer Untersuchung. Da wir keine Befehle betr. Internierte besitzen musste ich diese sitzen lassen. Ich wusste nur,

16 Ebd., Oberst Münch an Generaladjutantur 8. Sektion, 21.06.1944.17 Ab 1914 an der Oberen Hauptgasse 27/29. Ab 1962 «Oasis» (im Volksmund

«Kameltränke» genannt). Ab 1986 «Borsalino», «Saint Trop» und zuletzt «Joker». 2003 geschlossen. Seit 2016 «Loft 27».

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dass es den Zivilpersonen untersagt ist mit Internierten zu verkehren.18

Ich habe daher verschiedene Damen, die den Internierten ihre Adresse gaben, gewarnt und den Internierten die Zettelchen abverlangt. Als ich mich in der gleichen Nacht auf dem Heimweg befand, wurde ich von ei-ner Dame auf der Strasse angehalten und gefragt, ob ich englisch spre-che. Sie war in Begleitung eines Herrn in Zivil. Es stellte sich heraus, dass es ein Internierter aus dem Lager Adelboden war. Das Frl. wollte ihm sagen wo es zu Hause sei, konnte aber nicht englisch.

Inzwischen ist mir zur Kenntnis gebracht worden, dass der Urlaub für sämtliche Internierte ab 8.6.44 gesperrt sei. Am 18.6.44 hielt ich um 0100 im Dancing ‹En Ville› wieder 2 Engländer an. Sie waren in Beglei-tung von einem gewissen Herr und Frau Haller aus Thun. Ich verlang-te Ausweise. Sie waren beide im Besitze eines solchen, der ihnen das Recht gibt vom 15.6. bis 24.6.44 in Thun zu verweilen. Auf meine Frage, warum sie um diese Zeit noch im Dancing seien, erklärte Frau Haller, sie sei schuld daran, sie habe mit ihnen tanzen wollen. Sie erklärte mir weiter, dass sie vom Konsulat eine Bewilligung besitze, wonach sie In-ternierte zu Gast laden dürfe. Ob die 2 Engländer die Bewilligung mit Recht besitzen entzieht sich meiner Kenntnis; sie sind von einem Oblt. unterschrieben, dessen Unterschrift ich aber nicht lesen konnte.»19

Feierfreudige Us-amerikaner verpassten absichtlich den zugDass sich einige Briten in Thun mit einheimischen Damen vergnügten, war verglichen mit anderen Vorkommnissen kaum der Rede wert für die Adelbodner Lagerleitung. Am 28. Juni 1944 berichtete Major Brändlin

18 Am 1. November 1941 hatte der Eidg. Kommissär für Internierung und Hospitalisierung, Oberstleutnant Victor Henry, den «Befehl über die Beziehungen der Zivilbevölkerung zu den Internierten» ausgegeben. Weil er auf orangem Papier gedruckt und öffentlich ausgehängt wurde, erhielt er den negativ konnotierten Übernamen «Orange-Befehl». Die Schweizer Behörden wollten Internierte und Einheimische grundsätzlich auf Distanz halten. Ohne Spezialbewilligung durften die Internierten weder Privat-wohnungen betreten noch Wirtshäuser oder Veranstaltungen besuchen. Besonders umstritten war das Verbot der Eheschliessung und «allen Beziehungen, die auf eine solche hinzielten».

19 BAR E5791#1000/949#1773, vgt., Oberst Münch an Generaladj. 8. Sektion, 21.06.1944.

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aus Adelboden an die Generaladjutantur 8. Sektion:

«In einzelnen andern Fällen – und gerade letzte Woche wieder – sind in Thun dagegen Disziplinwidrigkeiten vorgekommen, die vom Lager aus ohne Mitwirkung der H.P. [Heerespolizei] an Ort und Stelle nicht genü-gend bekämpft werden können. Lassen Sie sich bitte von der H.P. Inter-nierung die beiden Rapporte der H.P. 3. Div. Nr. 23457 vom 24.6.44 betr. T/Sgt. [Technical Sergeant] Smith Hurley und 1st Lt. [First Lieutenant] Smith Roger C. geben.

T/Sgt. Smith H. ist seinerzeit ins Bezirksspital Thun evakuiert worden und untersteht somit überhaupt nicht mehr dem Lager-Kdo. Adelboden (dagegen haben wir selber Schritte unternommen, damit er vom Hotel, in dem zu wohnen ihm vom Spital aus erlaubt wurde, wieder ins Spital zurückgenommen wurde!).

1st Lt. Smith R.C. hat unter ganz unzweifelhafter Mitwirkung eines schweiz. Zivilisten am 22.6. den letzten Zug verfehlt, sodass dem Fou-rier, der dann das tatsächlich erfolgte Telefon abnahm, nichts übrigblieb, als den Befehl zur Rückkehr am nächsten Tag zu geben. Ebenfalls den letzten Zug verfehlt haben am gleichen 22.6. drei USA-Sgts., die dann ohne weiteres am folgenden Morgen zurückgekehrt sind, – der schweiz. Wachtsoldat, der den insgesamt 11 zum Zahnarzt, Augenarzt und Opti-ker nach Thun geschickten Internierten mitgegeben wurde, konnte nicht die ganze Reisegesellschaft ausreichend beaufsichtigen.

[…] Solange man sich durch blosses Verfehlen des Zuges immerhin die Möglichkeit eines ‹gemütlichen Abends› in Thun verschaffen kann, bleibt natürlich ein gewisser Anreiz dazu trotz allfälliger nachheriger Bestrafung in Adelboden (wobei die Feststellung des wirklichen Sach-verhaltes übrigens sehr schwierig und zeitraubend ist) bestehen. Na-mentlich die ja so gut wie immer beteiligten Zivilpersonen sollten für Nachlässigkeit und Verführung ebenfalls bestraft werden – andrerseits aber sind richtige und reguläre Urlaubseinladungen auch vom Lager-standpunkt aus erwünscht und dürfen nicht ‹verleidet› werden. Deshalb ist es eben notwendig, dass auch die H.P. über die zulässigen Urlaube und Bewilligungen ständig informiert ist oder sich selber nötigenfalls

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beim Lager-Kdo. informiert.» 20

auf den spuren der InterniertenAus den zitierten Quellen lässt sich herauslesen, dass sich die Bevöl-kerung (insbesondere die weibliche) bestens mit den Internierten ver-stand. Auch wird klar, dass der mit dem Verpassen des Zuges absicht-lich verlängerte Aufenthalt in der Stadt nicht Teil eines Fluchtplans war. Vielmehr wollten sich die internierten Militärs in der Alpenstadt vergnü-gen, was in Adelboden nicht im selben Mass möglich war. Obwohl die Internierten ihre kurzzeitige Verlegung nach Thun teilweise schamlos ausnutzten, schickte die Lagerleitung sie weiterhin für Spezialisten-Be-suche nach Thun – auch weil es nur hier einen Englisch sprechenden Zahnarzt gab.21 Wie viele anglo-amerikanische Internierte über die ge-samte Kriegszeit nach Thun kamen, lässt sich wohl nicht mehr fest-stellen. Doch die Spuren einiger Internierter sind noch auffindbar, denn Major Brändlin nennt zwei US-Amerikaner namentlich: «T/Sgt. Smith Hurley» und «1st Lt. Smith Roger C.». Wer waren diese Männer?

US-Sergeant Hurley D. Smith war Funker des am 14. Oktober 1943 in Reinach BL notgelandeten B-17-Bombers Lazy Baby, der zur 8th Air Force gehörte. Smith logierte wie im zitierten Bericht erwähnt für meh-rere Tage in Thun, weil er sich im Spital behandeln lassen musste we-gen Splittern von Flugabwehrgeschossen und eines gebrochenen Arms. Der letzte Flug und die Internierung der Lazy Baby und ihrer Crew, de-ren Mission die Bombardierung der Kugellagerwerke im bayerischen Schweinfurt war, gehört zu den am besten dokumentierten Fällen über-haupt. Einerseits aufgrund der chaotischen und tragischen Ereignisse an Bord (Raketenbeschuss, schwer verletzte Crewmitglieder, Tod des Navigators). Andererseits weil Crewmitglied Christy Zullo einer von nur zwei US-Internierten war, die eine Schweizerin heirateten (Zullos Gattin war die Adelbodnerin Hilda Schranz).22

20 BAR E5791#1000/949#1773, vgt., Major Brändlin an Generaladj. 8. Sektion, 28.06.1944.

21 Ebd.22 Zur Lazy Baby siehe http://warbird.ch/wb-events/brennende-motoren-

ausfliessender-treibstoff/ (letzter Zugriff 24.02.2018). Zur Ehe von Zullo siehe z. B. Drenkelforth, 24.

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Das Augenmerk gilt im Folgenden aber nicht Hurley Smith und der Lazy Baby, sondern dem bislang noch kaum dokumentierten Fall von Roger C. Smith, dem Piloten der Spirit of Winsome Winn II, der sich nachweis-lich ebenfalls in Thun aufhielt und sich wie Namensvetter Hurley D. Smith hier vergnügte.

MIssIOn, lanDUnG UnD InternIerUnG Der creW Der «sPIrIt OF WInsOMe WInn II» In Der schWeIz

Nachmittags am 18. März 1944 landete auf dem kleinen, grasbedeckten Flugplatz in Altenrhein SG auf der schweizerischen Seite des Boden-sees ein US-amerikanischer B-17-Bomber. Die vom 25-jährigen Pilo-ten Roger C. Smith gesteuerte Maschine mit dem Übernamen Spirit of Winsome Winn II 23 gehörte zur 8th Air Force, 384 th Bomb Group und der 547 th Squadron. Ihre Basis war in Grafton Underwood im englischen Northamptonshire. Ab Mai 1943 war diese Bombergruppe an Missio-nen über Deutschland beteiligt, um die deutsche Luftwaffe und deren Stützpunkte, aber auch Industrieanlagen zu treffen. Ihr Motto: «Keep The Show on the Road».

23 Der Name referiert auf ein US-Flugzeug desselben Typs namens Winsome Winn, das im Dezember 1943 von deutschen Flaks abgeschossen wurde.

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Smith, Pilot McKinney, Co-Pilot Harvey, Navigator

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An diesem 18. März 1944 wurde die gesamte 8 th Air Force mit über 700 flugfähigen Bombern mobilisiert, um Ziele in Süddeutschland anzugrei-fen. Zusammen mit rund 30 anderen Bombern der 547 th Squadron bom-bardierten Smith und seine Crew die Dornier-Fliegerwerke im baye- rischen Oberpfaffenhofen. Zuerst ging alles gut. Doch dann geriet ihr Flugzeug unter heftigen Beschuss deutscher Fliegerabwehrkanonen. Mit Ausnahme von Sergeant Danko, der einen Knieschuss erlitt, blieben alle Crewmitglieder unverletzt.24 Doch drei von vier Motoren der B-17 wurden beschädigt und fielen aus, einer davon begann zu brennen. Die Spirit of Winsome Winn II musste die Formation verlassen und in die Schweiz abdrehen. Nach der Bruchlandung in Altenrhein, die zahlreiche Schaulustige anzog, war der Bomber nicht mehr flugfähig und musste verschrottet werden.

Die Schweizer Behörden liessen die einzelnen Teile mit der Bahn nach Kloten bringen.25 An keinem anderen Tag im Krieg mussten so viele alli-ierte Flugzeuge in der Schweiz notlanden wie an diesem 18. März 1944,

24 Vgl. Stapfer, 13–15.25 Stapfer, 14.

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Die Spirit of Winsome Winn II nach der Bruchlandung in Altenrhein. Gemäss Rapport des Ter. Kdo. 7 hat Smith die Landung zu lang angesetzt und deswegen kurz vor einem Hindernis das Fahrwerk eingezogen, wobei sich das rechte verklemmte.

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als gleich 16 Bomber die Schweiz ansteuerten. Schweizer Militärs es-kortierten Smith‘ Crew nach einem ersten kurzen Verhör in Altenrhein nach Neuenburg, wahrscheinlich in ein Hotel auf dem Chaumont.

Hier blieb die Crew für zehn Tage in Quarantäne und wurde während-dessen durch Mitarbeiter der amerikanischen Gesandtschaft unter US-Militärattaché General Barnwell R. Legge vernommen. Danach ver-legte die Internierungsleitung die Amerikaner nach Adelboden. Zwei bis drei Monate später, frühestens Ende Juni oder im Juli 1944 (also kurze Zeit nach Smith‘ Freinacht in Thun) kamen sie nach Davos ins Palace Hotel. Wahrscheinlich durften Smith und seine Crew im Februar 1945 oder kurze Zeit später in die USA ausreisen.26

26 Prince, 98.

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Schaulustige beobachten den Abtransport der Fliegenden Festung.

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An der Mission vom 18. März 1944 unter Pilot Smith waren beteiligt:

1) Bombenschütze John Richard Dudla, T/Sgt (Technical Sergeant) 2) Navigator Harry Blakely Harvey, Jr., 2nd Lt 3) Pilot Roger Clement Smith, 1st Lt (First Lieutenant) 4) Co-Pilot Jack Norman McKinney, 2nd Lt (Second L.) 5) Techniker/Schütze Bruno Kaminski, T/Sgt 6) Funker/Schütze Earl Frank Kendall, T/Sgt 7) Kugelturmschütze Charles Gabriel Danko, S/Sgt (Staff Sergeant) 8) Rechter Rumpfschütze Gerald Thorwald Hamilton, S/Sgt 9) Linker Rumpfschütze Chester Joseph Boney, S/Sgt10) Heckschütze Jesse Britten Green, S/Sgt

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zur Person von roger c. smithGeboren wurde Roger Clement Smith am 14. Mai 1918. Mit seiner Frau Julia wohnte er in Elm Grove, West Virginia. Während des Zweiten Welt-kriegs hatte Smith den Dienstgrad eines First Lieutenant inne. Zwi-schen Dezember 1943 und März 1944 flog Smith insgesamt 17 Missio-nen der USAAF über Europa, wovon ihm 11 als erfüllt akkreditiert wur-den. Smith erhielt als Orden die Air Medal mit Eichenlaub.27 Er flog mit 14 verschiedenen Bombern, steuerte also bei fast jedem Einsatz eine andere Maschine. Als Pilot war Smith mit insgesamt 38 verschiedenen Crewmitgliedern unterwegs, am häufigsten mit den ebenfalls internierten Charles G. Danko (15 Missionen), Jesse B. Green (15), Bruno Kaminski (16) und Earl F. Kendall (16). Später stieg Smith zum Captain auf und diente im Korea- und Vietnamkrieg. Er verstarb am 11. April 1991. Sein Grab befindet sich in der Section 65 auf dem Militärfriedhof Arlington (Arlington National Cemetery, Bundesstaat Virginia). Das ist der zweit-grösste Friedhof der USA und einer der 139 Nationalfriedhöfe.

27 http://photos.384thbombgroup.com/picture.php?/71206/category/2646 ht-tp://384thbombgroup.com/_content/_pages/person.php?PersonKey=6596 (25.02.2018)

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QUellen UnD lIteratUr (aUsWahl)

Bundesarchiv (Bar)BAR E5791#1000/949#1773: Thun, Aufenthalt Internierter, Unterdossier 08–394

BAR E27#1000/721#14616: Berichte mit Fotos über notgelandete, abgestürzte und abgeschossene ausländische Flugzeuge: Boeing B-17 G-10-DL, 18.3.1944

BilderFotos B-17: warbird.ch (Grafik: https://b17flyingfortress.de/details/die-besatzung)

Fotos Crew: 384thbombgroup.com

Grabstein: https://billiongraves.com/grave/Roger-Clement-Smith/11726871#/

InternetDetaillierte Infos zu internierten Flugzeugen und Crews: www.warbird.ch

8th Air Force: www.mightyeighth.org, www.8af.af.mil

384th Bomb Group: www.384thbombgroup.com

literaturDrenkelforth, Roland: US-Soldaten brachten Betrieb und Umsatz in Kurorte, in: Adelbodmer Hiimatbrief, Nr. 64 (September 2003), S. 23–25

Mears, Dwight S.: Interned or imprisoned? The successes and failures of inter-national law in the treatment of American internees in Switzerland, 1943–45, online: www.alexandria.admin.ch/Mears%20Dissertation_3.pdf

Oesterle, Kathrin: Zweiter Weltkrieg: amerikanische Flieger als Internierte in Adelboden, in: Adelbodmer Hiimatbrief, Nr. 55 (November 1995), S. 20–22

Oesterle, Kathrin: Ein junger Adelbodner Gast begegnet Internierten, 1944/1945, in: Adelbodmer Hiimatbrief, Nr. 55 (November 1995), S. 23–25

Prince, Cathryn J.: Shot from the Sky. American POW in Switzerland, Annapolis MD 2003

Stapfer, Hans-Heiri: Strangers in a Strange Land, Carrollton TX 1992

Tanner, Stephen: Refuge from the Reich. American Airmen and Switzerland during World War II, Rockville Centre, NY 2000

Wilhelm, Theo: Fremde Flugzeuge in der Schweiz 1939–1945, Regensdorf 2003

[email protected]

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schönörtlI – rUheOase aM thUnersee

Barbara Weil

«Wo bleibt sie denn schon wieder!» Ärgerlich streicht sich Oehler durch den weissen Bart und lässt die birnenförmige schokoladenbraune Bakelit-Klingel erst nach längerer Zeit wieder los.

Als das junge schmale Dienstmädchen sich die Schürze zurechtrückend, durch die halbgeschlossene Türe zwängt, scheint er schon wieder abwe-send über seinen Stoss Papiere gebeugt. «D, d, .. der Herr Geheimrat haben geläutet?» stottert sie schüchtern. «Ja» brummt er und beäugt streng das leicht zerzauste Wesen über den Rand seiner silbergerandeten Brille.

«Bereiten Sie alles für den Fotografen vor – er kommt um elf Uhr. Wir machen die Fotos auf der Terrasse. Geben Sie unseren Gästen Be-scheid, sie sollen sich bereithalten. Nach dem Mittagessen lasst Anton anspannen, wir fahren nach Interlaken, die Geschäftspost kann Anton dann gleich mitnehmen; Dann schicken Sie nach dem – wie hiess er doch gleich – dem Herrn von der Firma Baumann in Thun, er soll mor-gen mit mir die Zeichnung für den neuen Heizkessel ansehen – ach ja und machen Sie den Gärtner darauf aufmerksam, dass die Rosen beim Pavillon endlich geschnitten werden sollten – nächste Woche kommen übrigens die Baumsetzlinge aus Deutschland, ich will mit ihm noch die künftigen Standorte diskutieren. Danke.»

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Abb. 1

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«Ja, Herr Geheimrat, selbstverständlich, Herr Geheimrat.» Mit einem Knicks dreht sie sich erleichtert um, verschwindet eilig mit wehenden Schürzenzipfeln und stopft sich während sie die Treppenstufen hinun-terfegt die widerwilligen Locken unter die weissgestärkte Haube.

Oehler – eine imposante Erscheinung, durchdringende Augen unter dichten Brauen, weisser Vollbart, breite Hände, stets untadelig geklei-det – ist kein Mann der vielen Worte.

eDUarD Oehler (1837–1909)

1837 in Aarau geboren, geht er nach der Schule nach Zürich und Paris um Chemie zu studieren. 1860 wurde er noch vor dem Abschluss seiner Studien vom Vater1 zurückgerufen, in den kleinen, noch wenig ertragrei-chen Betrieb, einem Destillationswerk in Offenbach (Deutschland). Mit ganzer Jugendkraft warf er sich auf die neue Aufgabe, und es gelang ihm, das neue Teer-farbenverfahren einzuführen, das er in Paris kennen-gelernt hatte. Auch wenn sein Vater strikte gegen diese unsinnige Modernität war, bot er ihm die Stirn; es dauer- te nicht lange und die Firma, nun eine der ersten, die Anilin und Anilinfarben herstellte, gewann zusehends an Bedeutung.

Um 1900 beschäftigte Oehler etwa 80 Beamte und Angestellte sowie 450 Arbeiter. Jährlich wurden über 5000 Tonnen Hauptfabrikate und 16000 Tonnen Nebenprodukte erzeugt und verkauft. Etwa 60 Dampfmaschinen und Elektromotoren lieferten die nötige Antriebskraft für die Maschi-nen, und 19 Dampfkessel erforderten jährlich etwa 10000 Tonnen Kohle.

Oehler verstand es, hervorragende Mitarbeitende zu gewinnen. Gestreng in seinen Anforderungen – an sich und seine Untergebenen. Er stand früh um sechs Uhr am Geschäftsportal, um alle Diensthöheren Beamten zur Pünktlichkeit zu erziehen. Doch beugten sich alle seinem unbeirrbaren Gerechtigkeitssinn, auch wenn er einzelne oft scharf anfuhr.

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Abb. 2: Eduard Oehler, der «Blaukönig»

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Während er die Firma leitete, entwickelten seine Chemiker die neuen Farbstoffe Alizarin und die Wasserblaufarben. Die indigofarbenen wa-ren so erfolgreich, dass sich Eduard als «Blaukönig» feiern liess. Noch heute findet sich diese Farbe an den Fensterrahmen des «Landhaus Schönörtli». Oehler war bekannt für seine fortschrittliche und soziale Einstellung: als es noch keine Krankenversicherung gab, rief er eine Fa-brikkrankenkasse ins Leben, baute hygienische Werkwohnungen, sorg-te für preiswertes Frühstück und Mittagessen, intensivierte die Unfall-verhütung, schuf Badegelegenheiten und saubere Arbeitskleidung. Und er gab die ersten deutschen Volksaktien heraus, die Arbeitnehmer am Gewinn beteiligten. Eduard Oehler war übrigens auch einer der ersten Telefonbesitzer in Offenbach. Nummer 2 führte in seine Fabrik.

1868 ehelichte Eduard Oehler Elisabet Zeller, eine sanfte Frau, der er sehr zugetan war. Neben der Fabrik erbaute er in den siebziger Jahren ein ansehnliches Wohnhaus in einem grossen Park in Offenbach. Dazu gehörten Stallungen für Reit- und Kutschenpferde, Gärtnerwohnung, Remisen, eine Turnhalle, ein Schwimmbad, eine Kegelbahn, Treibhäuser, ein Hühnerhof und ein riesiger Obst- und Nutzgarten.

lanDhaUs schönörtlI OBerhalB vOn GUnten

Bei allem Reichtum blieb der Herr des Hauses stets ein Frühaufsteher und behielt seine Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit im Grossen wie im Kleinen bei. In den neunziger Jahren erwarb er ob Gunten am Thu-nersee den prächtig gelegenen Landsitz «Schönörtli», den er zu einem zauberhaften Feriensitz ausbaute wo er jährlich oftmals mehrere Mo-nate verbrachte.

Von hier unternahm er mit seinen Angehörigen weite Spaziergänge oder genoss die sonntäglichen Kirchenglocken auf der Bank unter «seinem Baum» – einem etwas oberhalb des Landhauses gelegenen Aussichts-punkt. Im Schönörtli nahm er sich auch täglich etwas Zeit, die ankom-menden Geschäftsbriefe zu beantworten.

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Auch hier umgaben weitere Gebäude das Haupthaus: eine Stallung für Kutschpferde, ein Gärtner- und Angestelltenhaus, ein grosses Ge-wächshaus, ein Kegel- und Spielhaus für die Kinder, ein romantisch ver-zierter Holz-Pavillon mit Blick über den ganzen Thunersee und – last but not least – ein Bootshaus für das erste Dampfboot, auf dem er oft Stunden verbrachte2.

Mit viel Akribie versah er seinen Landsitz mit der neusten Technik. Ein ausgeklügeltes Wasser- und Abwasserleitungsnetz verband die Gebäu-de und sicherte die Bewässerung des grossen Parks. Schon damals trennte er Frisch- und Schmutzwasser und leitete das Meteorwasser in keramikausgekleideten speziell hergestellten Röhren in den unter-

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Abb. 3: Schönörtli von Süden. Eduard Oehler mit Frau (mit Sonnenschirm) und jüngstem Sohn Rudolf; vorne rechts die Zwillinge. Schätzungsweise um 1890

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halb der Terrasse des Landhauses gelegenen Waldhang; bereits um die Jahrhundertwende versah er das gesamte Haus mit elektrischem Licht, ein eigens für das Landhaus Schönörtli angefertigter Heizkessel3 der Firma Baumann in Thun versah die Räume in der Übergangszeit mit wohliger Wärme.

Die öffentliche Anerkennung blieb einem so tätigen Manne nicht aus. Der Grossherzog von Hessen verlieh ihm – obwohl er Schweizer war – das Ritterkreuz zweiter Klasse des Verdienstordens Philipps des Gross-mütigen und ernannte ihn zum Geheimen Kommerzienrat (Geheimrat). Doch blieb Eduard stets bescheiden und verleugnete die demokratische Gesinnung seiner Schweizer Herkunft nicht. Mit den aus der Schweiz stammenden Mitarbeitenden verhandelte er gelegentlich auch ge-schäftliche Fragen des Personals auf Schweizerdeutsch.

Abb. 4: Eduard Oehler mit seiner zweiten Frau und Gästen. Schätzungsweise um 1905

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Aus erster Ehe hatte Oehler sieben Kinder. Der plötzliche Tod seiner geliebten Lisa erschütterte den eher stoisch wirkenden Mann bis ins Innerste. Lang dauerte es, bis er sein Gleichgewicht wieder fand und sich im Jahr 1903 zum zweiten Mal verehelichte – mit Viktoria Budzban-kovska – einer Polin. Aus dieser Ehe stammte noch ein spätgeborener Sohn, Joachim.

Meinungsverschiedenheiten über interne geschäftliche Angelegenhei-ten mit mitbeteiligten Verwandten veranlassten 1904 den Verkauf des Werkes an die Firma Griesheim-Elektron. Der Verkauf war etwas über-stürzt und nicht wohl überlegt. Die vereinbarte Beteiligung der Familie liess sich nicht aufrechterhalten. Eduard Oehler trat aus dem Verwal-tungsrat Griesheim aus, und sein Sohn Eugen verlor seine Stellung als Prokurist und stellvertretender Direktor des Oehlerwerks.

Erst nach seinem Tode 1909 wurde bekannt, wie gross seine Wohltätig-keit gewesen war, besonders unter den stillen Armen seines Wohnortes Offenbach. Seine Dankbarkeit zeigte sich auch in grosszügigen Stiftun-gen an die Kantonsschule Aarau und an das Polytechnikum in Zürich, an Bildungsanstalten, an denen Eduard Oehler sein allgemeines und fach-liches Wissen geholt hatte.

Sowohl das Haus in Offenbach wie auch das Schönörtli bleiben weiter-hin im Besitz von Viktoria Oehler. Ihre zweite Ehe (1917) mit Friedrich Butz dauerte nur einige Jahre; danach wurde es sehr still um Viktoria. Einzig ihr Sohn Joachim blieb in ihrer Nähe. In der Familie hatte man sich so geeinigt, dass Viktoria im Schönörtli weiterhin bewohnte, Oeh-lers Tochter Elisabeth das als Gästehaus erbaute Chalet.

Viktoria aber hatte die Neigung, allzusehr über ihre Verhältnisse zu le-ben. Hinzu kam, dass sie von einem alten Mitarbeiter der Offenbacher Firma den Rat erhielt, ihr Schweizer Geld nach Deutschland zu überwei-sen – ein fataler Fehler zu dieser Zeit – führte es doch dazu, dass das Schönörtli mehr und mehr verschuldet wurde. Die Schweizer Bank ver-lor die Geduld und Viktoria musste 1939 nur mit ihren ganz persönlichen Dingen Schönörtli verlassen – das gesamte Inventar wie auch das Haus verblieb im Besitz der Bank.

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Damit begann eine andere Ära für das «Schönörtli». Während langer Zeit im Besitz einer italienischen Familie diente es als Feriendomizil, der grosse Park wurde anschliessend in kleinere Parzellen aufgeteilt und an verschiedene neue Besitzer verkauft.

Der Zauber aber, den das ganze Schönörtli umgibt, ist nicht verloren gegangen – das Rauschen der heute zu majestätischen Parkbäumen gewachsenen Setzlinge wispert noch Geschichten aus alten Zeiten und trägt uns ganz weit weg von Hektik, Handyklingeln und Betriebsamkeit.

aBBIlDUnGen

1 B. Weil2 Stadtarchiv Offenbach3, 4 Burgerbibliothek Bern5 H. Kelterborn

QUellen

1 Karl Gottlieb Reinhard Oehler (1797 Frankfurt – 1874 Frankfurt), Lehrer In Aarau, danach Fabrikant in Offenbach (Teerfarbenwerke).

2 Im Juni 1888 kauft Eduard Oehler vom Staat Bern einen Streifen Seestrand von 1.44 Aren zwischen Oberhofen und Gunten.

3 Der Heizkessel wurde im März 1908 von der Firma Baumann in Thun für das Landhaus im Oertli angefertigt. Dort stand er während 39 Jahren in Be-trieb. Im November 1974 wurde er durch eine Ölfeuerungsanlage ersetzt. Der prächtige Kupferkessel wurde von der Firma Baumann zurückgenommen und diente fortan als Ausstellungsstück im Betrieb an der Industriestrasse. Nach der Übernahme der Fabrikationshallen durch die Peter Soltermann AG stand er weitere Jahre im Untergeschoss an der Industriestrasse, bis er im April 2011 in die Sammlung des Schlosses Thun gelangte. Im Mai 2017 schliesslich ging er auf Empfehlung der Denkmalpflege schenkungshalber – diesmal nur noch als Schmuckstück – zurück ins Schönörtli.

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Die Stiftung Schloss Thun wird unterstützt durch:

schlOss thUn

Schlossberg 1 · 3600 Thun · Tel. 033 223 20 01 · Fax 033 223 20 [email protected] · www.schlossthun.ch

öFFnUnGszeIten

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Dr. oec. hans Peter BieriSteuer-, Finanz- und Wirtschaftsberatung AG Thun