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Die Kinderstube der Demokratie Partizipation in Kindertagesstätten Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein Land für Kinder Schleswig-Holstein –

Die Kinderstube der Demokratie - Kinder beteiligen! · AWO-Kindertagesstätte „Hanna Lucas“, Wedel: ... Das Projekt „Die Kinderstube der Demokra-tie“ hat gezeigt, dass und

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Die Kinderstube der DemokratiePartizipation in Kindertagesstätten

Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren

des Landes Schleswig-Holstein

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Die Kinderstube der DemokratiePartizipation in Kindertageseinrichtungen

Rüdiger Hansen Raingard Knauer Bianca Friedrich

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Impressum

Herausgeberin:

Ministerium für Soziales, Gesundheit, Familie,Jugend und Senioren des Landes Schleswig-HolsteinAdolf-Westphal-Str. 424143 KielTelefon: 0431/988-7479Telefax: 0431/988-3634mit Unterstützung aus dem LandesfondsSchleswig-Holstein – Land für KinderDie Landesregierung im Internet:http://www.schleswig-holstein.de/landsh

Gestaltung: Jens Zussy, Tanja GeserickFotos: Rüdiger HansenIllustrationen: Meike Marxen

Druck: hansadruck, Kiel3. Auflage: November 2006ISSN: 0935-4646

Diese Broschüre wurde aus Recyclingpapierhergestellt.

Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der schleswig-holsteini-schen Landesregierung herausgegeben.Sie darf weder von Parteien noch von Perso-nen, die Wahlwerbung oder Wahlhilfe betrei-ben, im Wahlkampf zum Zwecke der Wahl-werbung verwendet werden.Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorste-henden Wahl darf die Druckschrift nicht ineiner Weise verwendet werden, die als Partei-nahme der Landesregierung zugunsten einzel-ner Gruppen verstanden werden könnte.

Den Parteien ist es gestattet, die Druckschriftzur Unterrichtung ihrer eigenen Mitgliederzu verwenden.

Das Buch erhalten Sie zum Preis von € 5,-beim Deutschen Kinderhilfswerk e. V.Leipziger Straße 116 – 11810117 BerlinE-Mail: [email protected]

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Inhalt

Vorwort der Ministerin für Soziales, Gesundheit Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . 6

Einleitung der Autorinnen und des Autors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1. Wie sieben Kindertageseinrichtungen Partizipationskultur entwickeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1.1 Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121.2 Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Städtische Kindertageseinrichtung Osloring, Kiel:Unsere Kita haben wir selbst gestaltet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

AWO-Kindertagesstätte „Hanna Lucas“, Wedel:Über’s Kinderrestaurant zum offenen Kindergarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

KiTa Waldstraße e.V., Pinneberg: Wir haben jetzt eine Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

ADS-Kindergarten, Tarp:Ein Ortsplan von Kindern für Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

IzzKizz e.V., Itzehoe: Wir zeigen euch unsere Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

DRK-Kindertagesstätte Turnstraße, Elmshorn:Philosophieren mit Kindern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Evangelischer Kindergarten, Quickborn:Auch wir haben jetzt eine Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

1.3 Motive für Partizipation – zwischen Nützlichkeitserwägungen und Grundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

2. „Das könnt ihr gar nicht allein bestimmen ...“ –Beteiligung als Chance und Herausforderung für Kinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52

2.1 Was die Kinder in den Projekten gelernt haben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532.2 Partizipation und Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562.3 Politische Bildung und Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642.4 Was brauchen Kinder, um sich beteiligen zu können? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

3. Beteiligung beginnt in den Köpfen der Erwachsenen – Herausforderungen für Pädagoginnen und Pädagogen . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

3.1 Was steht der Partizipation der Kinder im Weg? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773.2 Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen? . . . . . . . . . . . . . . 823.3 Welche Unterstützung brauchen Erwachsene, um Kinder

zu beteiligen? – Begleitung der Einrichtungen im Modellprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . 91

4. „Das wirkt sich jetzt überall aus ...“ – Von den Spuren, die das Modellprojekt in den Modelleinrichtungen hinterlassen hat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Anstelle eines Schlussworts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Autorinnen und Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107

Der Träger stellt sich vor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

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Die Kinderstube der DemokratieVon Dr. Gitta Trauernicht, Ministerinfür Soziales, Gesundheit, Familie, Ju-gend und Senioren

Als wichtige Grundlage der Kindertagesstät-ten-Pädagogik ist die Beteiligung der Kinderan allen sie betreffenden Angelegenheiten insBlickfeld gerückt. Die Partizipationsfrage be-rührt auch die aktuelle Bildungsdiskussion,wonach der Bildung - auch im Sinne einer Eigenaktivität und Selbstbildung - eine grund-legende Bedeutung zukommt. So wie geradein diesem Alter durch Bildung wichtige Grund-lagen für die weiteren Bildungsprozesse undfür die Herausbildung von Fähigkeiten für dasLernen und Aneignen komplexer Zusammen-hänge gelegt werden, können durch eine un-zureichende Stimulierung der kindlichen Bil-dungspotenziale Benachteiligungen verstärktwerden.

Bildungsprozesse im frühen Kindesalter kön-nen jedoch nur dann erfolgreich sein, wennein ganzheitliches Bildungsverständnis zurGrundlage pädagogischen Handelns genom-men wird. Ganzheitlich gestaltete Bildung imfrühen Kindesalter bedeutet, jedes Kind so zufördern, dass es sich im Sinne von persön-licher und gesellschaftlicher Bildung individuellweiterentwickeln und an der sozialen und kul-turellen Entwicklung teilhaben kann. Diese istVoraussetzung für eine stabile Persönlichkeits-entwicklung, für das Entstehen selbstbe-stimmten emanzipatorischen Handelns sowieweltoffener Sichtweisen und Einstellungenund legt die Grundlagen gesellschaftlicher Teil-habe und für ein aktives Mitwirken. Damit istdie Bildung in Kindertageseinrichtungen dieBasis für den Bestand der demokratischenKultur, für die Tragfähigkeit des sozialen Zu-sammenhalts und der gesellschaftlichen Soli-darität.

In dem in dieser Broschüre dokumentiertenLandesmodellprojekt „Die Kinderstube derDemokratie – Bedingungen und Auswirkun-

gen der Beteili-gung von Kin-dern in Kinderta-geseinrichtun-gen“ hat sich diePartizipation als„Schlüssel zuBildung und De-mokratie“ erwie-sen. Dieseszweijährige Pro-jekt, an demüber 900 Kinderund weit über100 Mitarbeiter-innen und Mitarbeiter aus sieben Kindertages-einrichtungen verschiedener Träger im ganzenLand beteiligt waren, hat u.a. gezeigt, dassKinder prinzipiell an allen sie betreffenden An-gelegenheiten beteiligt werden können, dassPartizipation die Selbstbildungsprozesse derKinder fördert, eine demokratische Erziehungunterstützt und die Wahrnehmung und Kom-munikation zwischen allen Beteiligten positivverändert. Es hat sich jedoch auch gezeigt,dass Partizipation gelernt sein will. Sie ver-langt von den Erwachsenen insbesondere me-thodische Kompetenzen, eine hohe Verant-wortungsbereitschaft gepaart mit der Bereit-schaft zur Abgabe von Macht.

Das Modellprojekt „Die Kinderstube der De-mokratie“ hat inzwischen bundesweit Auf-merksamkeit erlangt. Das Projekt konnte zei-gen, dass Partizipation in Kindertageseinrich-tungen nicht nur demokratische Bildungermöglicht sondern der Schlüssel für jeglicheBildungsförderung ist. Diese Ergebnisseschlugen sich in den Schleswig-Holsteini-schen Leitlinien zum Bildungsauftrag der Kin-dertageseinrichtungen genauso nieder wieetwa im Bayerischen Bildungs- und Erzie-hungsplan.

Der Erfolg des Projektes ist maßgeblich aufdie intensive Begleitung der Modelleinrichtun-gen durch Expertinnen und Experten für Parti-zipation in Kindertageseinrichtungen zurückzu-führen. Zahlreiche Anfragen von Kindertages-einrichtungen aus dem ganzen Land nachFortbildungen zur Partizipation zeugen von der

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Vorwort der Ministerin für Soziales, Gesund-heit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein

Vorwort der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein

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Vorwort der Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein

großen Bereitschaft der Fachkräfte, ihre päda-gogische Tätigkeit weiter zu entwickeln.Damit dies gelingt, braucht Schleswig-Hol-stein Fachkräfte, die Partizipation in Kinderta-geseinrichtungen dem hohen Standard der„Kinderstube der Demokratie“ entsprechendinitiieren, begleiten und evaluieren können.

Um diesen Transfer sicherzustellen, führt dasKieler Institut für Partizipation und Bildung vonJuni 2006 bis Mai 2008 eine Qualifizierungs-maßnahme für 20 Fachkräfte überwiegendaus dem Bereich der Kindertageseinrichtun-gen durch. In diesem über die Gemeinschafts-aktion „Schleswig-Holstein – Land für Kinder“finanzierten Leitprojekt des Kinder- und Ju-gend-Aktionsplans werden die Erfahrungenaus der „Kinderstube der Demokratie“ so auf-gearbeitet und weitervermittelt, dass nach Ab-schluss des Projekts 20 Multiplikatorinnenund Multiplikatoren für Partizipation in Kinder-tageseinrichtungen zur Verfügung stehen, dieselbständig in der Lage sind, unter Anwen-dung des neu erstellten Curriculums Kinderta-geseinrichtungen bei der Beteiligung der Kin-der zu unterstützen und Beteiligungsprojekteim Land zu initiieren, zu begleiten und auszu-werten.

Ich hoffe, dass diese nunmehr bereits in 3.Auflage erschienene Broschüre weiterhin vie-len Erwachsenen Impulse geben wird, Kin-dern die Teilhabe am eigenen Leben als un-mittelbares Recht zuzugestehen und sie hier-bei fachgerecht zu unterstützen.

Dr. Gitta Trauernicht

Ministerin für Soziales, Gesundheit,Familie, Jugend und Senioren des Landes Schleswig-Holstein

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Kinder planen die Einrichtung ihrer neuen Ta-gesstätte, erarbeiten Kinderstadtpläne, ent-wickeln ein Konzept für die Öffnung des Kin-dergartens und philosophieren mit ihren Erzie-herinnen und Erziehern über Bildungsthemen.Kindertageseinrichtungen geben sich Verfas-sungen, in denen die Mitbestimmungsrechteder Kinder und Erwachsenen detailliert gere-gelt sind. Und der Sozialausschuss der Ge-meinde verlegt seine Sitzung, damit die Kin-der aus dem Kindergarten daran teilnehmenkönnen.Dies sind gelebte Utopien im schleswig-hol-steinischen Modellprojekt „Die Kinderstubeder Demokratie“, das wir im Auftrag des Ver-eins Kinder Umweltinitiativen KIWI von Ok-tober 2001 bis September 2003 durchführten. In sieben Kindertageseinrichtungen unter-schiedlicher Träger im ganzen Land veränder-ten sich die Strukturen und Beziehungennachhaltig, wurde Partizipation zur alltäglichenSelbstverständlichkeit, wirkten Kinder z.T. impolitischen Alltagsgeschehen mit.Der Titel „Kinderstube der Demokratie“ ver-weist auf die ursprüngliche Intention des Pro-jekts, Kindern frühe Begegnungen mit demo-kratischem Denken und Handeln zu ermög-lichen. Demokratische Gesellschaften sind auf dieMitwirkung ihrer Bürgerinnen und Bürger an-gewiesen. Politische Partizipation setzt vor-aus, dass die Individuen bereit und in derLage sind, sich einzumischen und Verantwor-tung zu teilen. Diese Grundzüge „politischerPersönlichkeiten“ entwickeln sich tatsächlichfrüh. Der Kindertagesstätte als erste Institu-tion der öffentlichen Erziehung und Bildung inder Biographie fast aller Kinder kommt dabeieine besondere Bedeutung zu.Die alltäglichen Partizipationsmöglichkeitender Kinder und die Entwicklung notwendigerPartizipationsfähigkeiten durch die Unterstüt-zung der Erzieherinnen und Erzieher sind ent-scheidende Faktoren für die politische Soziali-sation von Kindern. Darüber hinaus aber – das wurde im Projektimmer wieder deutlich – hat Partizipationeinen sehr viel breiteren Wirkungsgrad. DiePartizipation der Kinder wirkte ein ums andereMal als Motor für beeindruckende Selbstbil-dungsprozesse. Partizipation stellt sich nachden Erfahrungen im Modellprojekt als Schlüs-sel zu Bildung und Demokratie dar und ist in-sofern ein zentrales Moment einer zukunfts-orientierten Pädagogik der frühen Kindheit.

Das Projekt „Die Kinderstube der Demokra-tie“ hat gezeigt, dass und wie Partizipation inKindertageseinrichtungen möglich ist – undzwar mit allen Kindern und bei allen sie betref-fenden Themen. In diesem Projekt wurdenüber 900 Kinder zwischen ein und zehn Jah-ren an unterschiedlichen Themen aus ihremunmittelbaren Erfahrungsbereich beteiligt. DieKinder gewannen so Vertrauen in ihre eigenenHandlungskompetenzen, die Eltern, Erziehe-rinnen und Erzieher Zutrauen in die Beteili-gungsfähigkeiten der Kinder.Die Beteiligung von Kindern bedeutet für dieErwachsenen immer eine freiwillige Machtab-gabe. Die Bereitschaft dazu wurzelt in einerpartizipativen Grundhaltung und wächst mitder methodischen Kompetenz. Um die Erfah-rungen aus dem zeitlich begrenzten Projekt inden Alltag übertragen zu können, wurden weitüber 100 Erzieherinnen und Erzieher in denModelleinrichtungen in ihren Beteiligungskom-petenzen gestärkt und weiter qualifiziert. Sowar es möglich, Partizipation im Alltag der Ein-richtungen zu verankern.Die spielerische Leichtigkeit und der großeErnst, mit denen sich die Kinder beteiligten,ließ die Erwachsenen immer wieder staunen.Diese mussten nämlich oft hart dafürarbeiten – nicht zuletzt an sich selbst. Trotzaller Mühen äußerten sie sich letztlich jedochzufrieden und überzeugt: über die Bildungs-fortschritte der Kinder, die Demokratisierungdes Miteinanders und die Veränderungen dereigenen Rolle.Die vorliegende Dokumentation bereitet dieErfahrungen und Erkenntnisse des Modellpro-jekts auf und versucht sie für die alltäglichePraxis in Kindertageseinrichtungen handhab-bar zu machen. Im ersten Kapitel werdennach einer allgemeinen Einführung in ver-schiedene Aspekte von Partizipation die Mo-dellprojekte vorgestellt und die Motivationender Erwachsenen hinterfragt, Kinder in Kinder-tageseinrichtungen zu beteiligen. Das zweiteKapitel beschäftigt sich mit den Chancen undHerausforderungen der Beteiligung für Kinder:Was haben sie in den Projekten gelernt, washat Beteiligung mit Bildung und Politik zu tunund was brauchen Kinder, um sich beteiligenzu können? Nicht nur in diesem Modellprojektwurde deutlich, dass Kinder sich nur beteili-gen können, wenn Erwachsene ihnen dieMöglichkeit dazu eröffnen. Daher steht dieFrage: „Welche Anforderungen stellt Partizipa-tion an Erwachsene?“ im Mittelpunkt des drit-

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Einleitung der Autorinnen und des Autors

Einleitung der Autorinnen und des Autors

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ten Kapitels. Schließlich werden im vierten Ka-pitel Veränderungen angedeutet, die die Betei-ligung der Kinder in den Einrichtungen und inderen Umfeld nachhaltig bewirken kann.Wir möchten mit dieser Dokumentation veran-schaulichen, dass Partizipation keine zusätzli-che Aufgabe für Kindertageseinrichtungen ist,sondern ein Querschnittsthema darstellt, daszu einer grundlegenden Überprüfung des pä-dagogischen Selbstverständnisses herausfor-dert. Eine konsequente Beteiligung der Kinder(und der Mütter und Väter bzw. der Erzieherin-nen und Erzieher) ist eine Unterstützung beider Bewältigung vieler aktueller Aufgaben(Qualitätsentwicklung, Bildung etc.), vordenen Kindertageseinrichtungen heute ste-hen. Wir bedanken uns bei den Ministerien für Justiz, Frauen, Jugend und Familie sowie Umwelt, Natur und Forsten des LandesSchleswig-Holstein, durch deren Förderungdas Modellprojekt erst ermöglicht wurde. Undwir bedanken uns bei allen Erzieherinnen undErziehern, die sich mutig und engagiert aufdiesen Prozess im Modellprojekt eingelassenhaben, und hoffen, den pädagogischen Fach-kräften in Kindertageseinrichtungen Mut ma-chen zu können, gemeinsam mit den Kindernneue Wege zu beschreiten.

Kiel, im August 2004

Rüdiger HansenRaingard KnauerBianca Friedrich

Einleitung der Autorinnen und des Autors

Bianca Friedrich

Rüdiger Hansen

Raingard Knauer

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Das Modellprojekt „Die Kinderstube der De-mokratie“ verfolgte das ehrgeizige Ziel, dieBeteiligung der Kinder im Alltag der Modell-einrichtungen zu verankern. Aus den konkre-ten Erfahrungen im Projekt sollte sich eine all-gemeine „Partizipationskultur“ in den beteilig-ten Kindertageseinrichtungen entwickeln. DieEinlösung eines so umfassenden Anspruchssetzt ein komplexes Verständnis davon vor-aus, was Partizipation in Kindertageseinrich-tungen bedeuten kann.

Bevor im folgenden die einzelnen Partizipa-tionsprojekte der beteiligten Kindertagesein-richtungen vorgestellt werden, soll daher zu-nächst der dem Modellprojekt zugrundeliegen-de Partizipationsbegriff erläutert werden.Dieser Klärungsprozess war auch ein unver-zichtbarer Bestandteil der Vorbereitung derTeams in den Modelleinrichtungen auf die je-weilige Projektphase. Abschließend werdendie Motive kritisch hinterfragt, die Erwachse-ne im allgemeinen und pädagogische Fach-kräfte in Kindertageseinrichtungen im beson-deren bewegen können, Kinder zu beteiligen.

1. Wie sieben Kindertageseinrichtungen Partizipationskultur entwickeln

Wie sieben Kindertageseinrichtungen Partizipationskultur entwickeln

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Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

1.1 Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

Der Begriff „Partizipation“ ist in Kindertages-einrichtungen oft zu hören. Er hat seit einigenJahren einen festen Platz in den Konzeptionenvieler Einrichtungen. Die Beteiligung der Kin-der an allen sie betreffenden Entscheidungenwird vom Kinder- und Jugendhilfegesetz undvon den Kindertagesstätten-Gesetzen der Län-der gefordert. Partizipation ist ein ausschlag-gebendes Kriterium bei der Bewertung der pädagogischen Qualität der Einrichtungen (beispielsweise bei Preissing 2003; Tietze / Viernickel 2002). Was Partizipation im Alltag der Einrichtungenaber konkret ausmacht, scheint vielfach weniggeklärt. Spricht man mit Erzieherinnen und Erziehern über Partizipation in Kindertagesein-richtungen, hört man häufig Sätze wie die folgenden:

„Wer Kinder beteiligen will, muss sie einfach fragen, was sie wollen!“So leicht aber ist Beteiligung von Kindern leider nicht immer. Um sich zu beteiligen,müssen Kinder (wie Erwachsene) ihre eige-nen Wünsche und Interessen wahrnehmen,ausdrücken und in einen gemeinsamen Ent-scheidungsprozess einbringen können. Dazusind Kinder (und leider auch viele Erwachse-ne) nicht von sich aus in der Lage; das müs-sen sie lernen.

„Kinder sollten nur bei Entscheidungen beteiligt werden, die sie auch überblickenkönnen.“Sicher ist es gut gemeint, wenn ErwachseneKinder vor Überforderung und Enttäuschungbewahren wollen. Wo aber liegt die Grenzezwischen der Partizipation der Kinder und derVerantwortung der Erwachsenen? „Kinderkönnen mehr, viel mehr, als die meisten Er-wachsenen ihnen zutrauen“, sagt der Psycho-loge Richard Schröder (1998, 76). Was viel-leicht dem Schutz der Kinder dienen soll, birgtdie Gefahr, ihre Beteiligung voreilig zu unter-binden und sie damit unnötig zu bevormun-den.

„Ich höre den Kindern zu und nehme mir vielZeit für sie. Das ist doch die einzige Form vonBeteiligung, die im frühen Kindesalter ange-messen ist.“Dass Erwachsene ihnen zuhören und sich Zeitfür sie nehmen, ist tatsächlich eine wichtigeVoraussetzung für die Partizipation von Kin-dern. Gerade diese Form der Beteiligung istaber sehr personenabhängig. Wenn Kinder inKindertageseinrichtungen beteiligt werden sol-

len, müssen sie ihre Mitspracherechte auchunabhängig von der jeweiligen Bereitschaftund aktuellen Stimmungslage der Erwachse-nen wahrnehmen können. Wie kann das ge-währleistet werden?

Die Partizipation von Kindern wirft in Kinderta-geseinrichtungen noch viele offene Fragenauf. Es scheint also sinnvoll, sich etwas aus-führlicher der Frage zu widmen, was Partizipa-tion ist. Das Wort „partizipieren“ stammt aus dem La-teinischen und wird mit „an etwas teilneh-men, Anteil haben“ übersetzt. In pädagogi-schen Arbeitsfeldern bedeutet die bloße Teil-nahme (etwa am Gruppengeschehen) abernoch nicht, dass die Teilnehmenden auch par-tizipieren. Partizipation wird hier als Beteili-gung, Mitwirkung oder Mitbestimmung verstanden1. Richard Schröder beantwortetdie Frage „Was ist Partizipation?“ folgender-maßen:„Partizipation heißt, Entscheidungen, die daseigene Leben und das Leben der Gemein-schaft betreffen, zu teilen und gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden“ (Schröder1995, 14). Das klingt einfach. Doch die Tücke liegt – wieauch die Erzieherinnen und Erzieher in denModelleinrichtungen feststellen mussten – imDetail. In den Teams der Modelleinrichtungenbegann die Auseinandersetzung mit ihremPartizipationsverständnis mit einer kleinenUmfrage.

1 Der 11. Kinder- und Jugendbericht (BMFSFJ 2002) fordert darüber hinaus

gehend die „Teilhabe“ von Kindern und Jugendlichen an gesellschaftlichen

Ressourcen und meint damit die individuelle und kollektive Verfügbarkeit

gesellschaftlichen Reichtums und gesellschaftlicher Chancen. „Beteiligung,

Mitwirkung bzw. Mitbestimmung beziehen sich auf Entscheidungen bzw.

Entscheidungsverfahren. Sie beschreiben Aspekte des Verfahrens. Teilhabe

bezieht sich darüber hinaus gehend auf Ressourcen, genauer: auf deren in-

dividuelle oder kollektive Verfügbarkeit“ (Lüders 2004, 8).

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Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

In diesen Fragen werdenunterschiedliche Aspekteangesprochen, die für dieBeteiligung von Kindern inKindertageseinrichtungeneine ausschlaggebendeRolle spielen. Wir werdenim folgenden darauf zu-rückkommen.

Bei der Konzeptionierungdes Modellprojekts gingenwir von fünf Annahmen aus,die in den einzelnen Projek-ten in unterschiedlicherForm eine Rolle spielten:– Bei der Beteiligung von

Kindern spielen die Beziehungen zwischenErwachsenen und Kindern eine wichtigeRolle. Sie ermöglichen Partizipation oder ver-hindern sie.

– Um nicht von einzelnen Erwachsenen ab-hängig zu sein, muss Partizipation in denStrukturen der Kindertageseinrichtung veran-kert sein.

– Partizipation der Kinder erfordert auch Parti-zipation der Eltern und des Teams.

– Partizipation in Kindertageseinrichtungen er-fordert eine Öffnung der Einrichtung nachaußen ins Gemeinwesen und eine Einmi-schung in die kommunale Politik.

– Partizipation verlangt die Qualifikation derpädagogischen Fachkräfte.

Bei der Beteiligung von Kindern spielen die

Beziehungen zwischen Erwachsenen und

Kindern eine wichtige Rolle. Sie ermög-

lichen Partizipation oder verhindern sie.

Wenn Partizipation meint, Entscheidungen,die das eigene Leben und das der Gemein-schaft betreffen, zu teilen, kann sie keine ein-same Angelegenheit sein. Partizipation findetimmer in sozialen und kommunikativen Zu-sammenhängen statt.Die Kindertageseinrichtung ist die erste Insti-tution öffentlicher Erziehung und Bildung inder Biografie von mittlerweile 86 % derschleswig-holsteinischen Vorschulkinder (Ver-sorgungsquote im Jahr 2000 laut MBWFK2003). Hier müssen die Kinder vor demHintergrund sehr unterschiedlicher familiärerErfahrungen sich häufig erstmals in einerGruppe zurechtfinden. Dabei werden sie vonpädagogischen Fachkräften begleitet. Insbe-sondere durch die Art und Weise, wie die Er-zieherinnen und Erzieher ihre Beziehungen zuden Kindern gestalten, erfahren Kinder, ob siewichtig sind, ob ihnen zugehört wird, ob ihre

Meinung gefragt ist, ob ihnen zugetraut undzugemutet wird, Eigeninitiative und Verant-wortung zu entwickeln. Eine wichtige Erfah-rung, die Kinder in Kindertageseinrichtungenmachen, ist damit die der Beteiligung.Wie gut es den Erwachsenen gelingt, den Kin-dern in ihren Beziehungen Partizipationsmög-lichkeiten zu eröffnen, hängt davon ab, ob sieKinder ernst nehmen, ihnen Eigenverantwor-tung zugestehen und sie bei der Entwicklungnotwendiger Beteiligungsfähigkeiten unter-stützen.

q Partizipation verlangt, dass ErwachseneKinder ernst nehmen

Partizipation verlangt gleichberechtigte Bezie-hungen zwischen Subjekten und damit Ach-tung, Respekt und Wertschätzung im Umgangmiteinander. Im Alltag – auch von Kindertages-einrichtungen – erfahren Kinder dagegenimmer wieder, dass sie unwichtig und unbe-deutend sind – auch wenn die handelnden Erwachsenen eigentlich einen anderen An-spruch an sich selbst haben. Überprüfen Sie sich selbst: Wenn Sie eineMutter und ihr Kind treffen – auf der Straßeoder morgens in der Kindertageseinrichtung –wen begrüßen Sie in der Regel zuerst undwem gilt in erster Linie Ihre Aufmerksamkeit?Auf der Straße passiert es immer wieder,dass wir uns mit der erwachsenen Personunterhalten und das Kind an ihrer Hand erstbemerken, wenn es beginnt, ungeduldig zuquengeln. Auch die Erzieherin, die in der Kin-dertagesstätte zuerst das Kind begrüßt, ent-scheidet sich in der Regel erst infolge bewusster Reflexionen für ein derart unübli-ches Verhalten. Ein anderes Beispiel: Was würde es in Ihnenauslösen, wenn der Referent in einer Fortbil-dung Ihnen beiläufig übers Haar streicht?

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Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

Würden Sie diese Handlung als Eingriff in Ihrekörperliche Integrität, als Grenzverletzung begreifen? Kindern muten wir Erwachsenenderartige Übergriffe jedoch immer wieder zu –meist ohne daran zu denken, dass wir auchihre Grenzen verletzen könnten. Gleichberechtigte Beziehungen zwischen Er-wachsenen und Kindern sind immer nochalles andere als selbstverständlich. Wie Erwachsene die Beziehungen zu Kindern gestalten, spiegelt sich in der Art und Weisewider, wie sie mit ihnen reden. Wenngleicheine „kindertümelnde“ Sprache bei pädagogi-schen Fachkräften kaum mehr anzutreffensein dürfte, verwenden auch sie Kinderngegenüber meist einen Sprachstil, der ande-ren Erwachsenen gegenüber nicht verwendetwird. Der dänische Familientherapeut JesperJuul (1997, 244) charakterisiert diese Spracheals „besserwisserisch, herablassend und sicheinmischend [...], im besten Fall als freundlichverhüllend, im schlechtesten als kritisch ver-letzend“. Sie transportiert, dass das Kind nichtals gleichwertiger Partner betrachtet wird.Juul empfiehlt ein Experiment, um mit diesemSprachgebrauch aufzuräumen: „Wenn ich diesen Konflikt mit meiner bestenerwachsenen Freundin oder meinem bestenerwachsenen Freund hätte, wie würde ichmich ihr oder ihm gegenüber ausdrücken?Wenn man die Antwort gefunden hat, ist manauf einer konstruktiven Spur“ (Juul 1997,244).

Dazu ein Beispiel:

Kinder in derartigen Situationen als gleichwer-tige, eigen-sinnige Partner anzusehen, ihnenehrlich, authentisch, ohne (pädagogisch be-gründete) Hintergedanken entgegen zu treten,ist nicht leicht. Zu sehr sind wir daran ge-wöhnt, für Kinder zu denken und ihnen Ver-antwortung abzunehmen. Partizipative pädagogische Beziehungen zugestalten, bedeutet aber, Kinder als Subjektezu achten, sich für ihre Positionen, Überlegun-gen und Pläne zu interessieren und dieseernst zu nehmen.

q Partizipation verlangt, dass ErwachseneKindern Verantwortung für sich selbst zugestehen

Kinder sind sehr wohl in der Lage, Verantwor-tung für sich selbst zu übernehmen. In Kinder-tageseinrichtungen gibt es hingegen zahlrei-che Regeln, die die Kinder daran hindern,diese Eigenverantwortung wahrzunehmen.Oft geschieht dies seit vielen Kindergartenge-nerationen in stillschweigender Übereinkunftder Erwachsenen. Eine dieser verbreitetenRegeln lautet: „Die Kinder müssen in der Kin-dertagesstätte Hausschuhe tragen.“ Es mag viele Gründe geben, die diese Regelsinnvoll erscheinen lassen: Sauberkeit, mögli-che Rutschgefahr, Fußbodenkälte etc.. Einergenaueren Prüfung halten diese Gründe abermeist nicht stand. Die Regel lautet nicht: „In der Einrichtung dür-fen keine schmutzigen Straßenschuhe getra-gen werden.“ Es scheint also um mehr zu

gehen als um Sauberkeit.Auch verringern locker anden Füßen sitzende Haus-schuhe mit Filzsohle si-cher nicht die Rutschge-fahr. Steckt hinter dieserRegel also (auch) die für-sorgliche Absicht, die Kin-der vor kalten Füßen undfolgenden Erkältungs-krankheiten zu bewahren?Regeln, die derart moti-viert sind, sind häufig aneine subjektive Wahrneh-mung der Erwachsenengekoppelt: „Ich habe kalteFüße, wenn ich in der Ein-richtung barfuß laufe.“Wie fragwürdig eine sol-che Koppelung ist, zeigtdas folgende Beispiel vonErika Kazemi-Veisari(2001, 6 f.): „Es ist An-fang November. Nebel,

In einer multikulturellen Kindergruppe gibt es einen Fahrdienst, um einigen Kindernden Besuch der Einrichtung zu ermöglichen. Der Berufsanfänger H. bereitet gera-de den Kleinbus der Einrichtung für die bevorstehende Rückfahrt vor, als ihn diefünfjährige Palästinenserin Rehab, die üblicherweise nicht zu den Fahrkindern ge-hört, fragt, ob sie an diesem Tag ihren türkischen Freund auf dem Heimweg be-gleiten dürfe. Herr H. verspürt wenig Lust sie mitzunehmen, da die beiden schonden ganzen Vormittag für Unruhe in der Gruppe gesorgt haben. Unkonzentriertmerkt er an, dass alle Plätze benötigt würden. Rehab hat unterdessen nebenihrem Freund auf der hinteren Bank Platz genommen. Beine schlenkernd verweistsie darauf, dass eines der Fahrkinder krank sei. Auch dass vielleicht während derFahrtzeit ihre Eltern erscheinen könnten, um sie abzuholen, widerlegt sie lächelndmit dem Hinweis auf deren Arbeitszeiten. In Herrn H. beginnt sich Unmut zuregen. Er ist nahe daran, das Gespräch mit der energischen Aufforderung zu been-den, das Mädchen möge doch endlich begreifen, dass es nicht möglich sei sie mit-zunehmen.

Stattdessen holt er tief Luft, wendet sich dem Mädchen zu und erläutert ihr deneigentlichen Grund für seine ablehnende Haltung, woraufhin sie – sehr ernsthaft –Verständnis für seine Befürchtungen äußert und nach kurzer Rücksprache mitihrem Freund versichert, während der Fahrt „ganz ruhig“ zu sein. Herr H. willigt –nicht ohne Bedenken – ein und muss es nicht bereuen.

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Dunkelheit und Temperaturen um 10º C brin-gen eine Praktikantin dazu, einem Jungen(Schulkind), der draußen Fußball spielen will,zu sagen, er müsse seine Jacke anziehen.Dieser weigert sich. Die Praktikantin sagt, siewisse aber, es sei zu kalt ohne Jacke. DerJunge rennt ohne Jacke raus. Nach 15 Minu-ten Fußballspiel stellt er sich völlig verschwitztvor die Praktikantin und sagt: Er wisse, es seiwarm, sie müsse jetzt ihre Jacke ausziehen.Die Praktikantin versteht und akzeptiert dieLehre. Sie merkt, wie schwer es ist, etwas zuwissen und aus diesem Wissen für jemandenzu entscheiden, was für ihn gut und richtig ist.Ihr wird auch bewusst, dass warm und kaltnur naturwissenschaftlich gesehen messbareGrößen sind, im Alltagsleben aber Empfindun-gen, die von vielen verschiedenen Umständenabhängen.“Ob mir kalt oder warm ist, ob ich hungrig, dur-stig oder müde bin, was mir schmeckt undwas mir nicht schmeckt oder ob ich traurig,wütend oder glücklich bin, darüber kann ichletztlich nur selbst befinden. Jesper Juul(1997, 149 ff.) billigt auch Kindern uneinge-schränkt zu, diese „persönliche Verantwor-tung“ für sich selbst zu übernehmen. Begin-nen Erwachsene, den Kindern ihre persönli-che Verantwortung abzunehmen, führt diesmeist zu ernsten Konflikten und Störungen.

Diese Erkenntnis wird mittlerweile auch inPräventionsmaßnahmen berücksichtigt. DieLeiterin einer Kieler Kindertageseinrichtung,die an einem Modellprojekt zur Vorbeugungvon Essstörungen (vgl. Hoffmann-Steuernagel / Schulze-Lohmann 2004) teil-nahm, berichtet in einem persönlichen Ge-spräch, dass ihre Einrichtung sehr positive Er-fahrungen damit gemacht hat, sämtlicheReglementierungen rund um die Nahrungsauf-nahme der Kinder aufzuheben. Es gibt ein

vielfältiges Angebot imKinderrestaurant der Ein-richtung, und die Kinderentscheiden selbst, wann,was, mit wem, wie vielund wie sie essen. In derFolge haben sich die Es-senssituationen zuneh-mend entspannt. Es ent-stehen angenehme Tisch-runden und die Erzie-herinnen stellen nichtfest, dass Kinder dauer-haft gar nichts oder nurSüßes zu sich nehmen.Ähnliches gilt in der Ge-waltprävention. Während

in vielen Kindertageseinrichtungen – der Be-findlichkeit der Erwachsenen entsprechend –die Regel gilt: „Hier wird nicht gehauen!“, be-tont Hans Oswald (1998) die große sozialisa-torische Bedeutung rauher Kampfspiele aufder Grenze zwischen Spaß und Ernst. Kindernmachen diese (meist verbotenen) Spiele nichtnur viel Spaß; genau an dieser Grenze, dieeben auch manchmal überschritten wird, ler-nen sie, die Grenzen des Gegenübers zu er-kennen und einen ungewollten Streit zu ver-meiden. Die subjektive Wahrnehmung und die persön-lichen Empfindungen der Erwachsenen sindalso eine recht willkürliche Grundlage, um dieEntfaltungsräume der Kinder durch Regelset-zungen einzugrenzen. Die Gestaltung partizipativer pädagogischerBeziehungen verlangt, den Kindern Verantwor-tung für sich selbst zuzugestehen. Dement-sprechend müssen Regeln unter Berücksichti-gung der unterschiedlichen Interessen ge-meinsam mit den Kindern ausgehandeltwerden; und zwar immer wieder aufs neue –insbesondere mit jeder neuen Kindergartenge-neration.

q Partizipation verlangt, dass ErwachseneKinder bei der Entwicklung von Streitkom-petenzen unterstützen

Kindern Verantwortung für sich selbst zuzuge-stehen, heißt jedoch nicht, dass Erwachseneihre Verantwortung für die Kinder abgebenkönnen. Eine Befragung von Mädchen undJungen in Hamburger Horten ergab, dassdiese von den Erzieherinnen und Erziehernscheinbar widersprüchliche Reaktionen erwar-ten, wenn es unter den Kindern Streit gibt.Einerseits „sollen sie uns in Ruhe lassen“, an-dererseits greifen sie „viel zu wenig“ ein (Die-ken / Rohrmann / Sommerfeld 2004, 44).Diese Aussagen drücken trefflich die ambiva-

?„Die Kinder müssen in derKindertagestätteHausschuhe tragen“

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lenten Anforderungen an Erwachsene im Um-gang mit Konflikten unter Kindern aus. Konflikt und Streit als produktives Lernfeld zubegreifen, ist in Kindertageseinrichtungen bis-lang wenig ausgeprägt. Dabei gehören Kon-flikte sowohl inder Familie alsauch in pädago-gischen Einrich-tungen zum All-tag. Jan-UweRogge (2000)betont, dassSich-Streitenund Sich-Aus-einandersetzenzu einer lebendi-gen Erziehungund zum demo-kratischen Mit-einander gehö-ren. Auch Chri-sta Preissing(2000, 82) verbindet Beteiligung in der Kinder-tagesstätte mit der „Entwicklung einer Streit-kultur“. Dazu ist es zunächst einmal erforder-lich, Streit überhaupt zuzulassen – auch wenndie Kinder noch nicht die Regeln eines rationa-len Dialogs beherrschen.

Sich konstruktiv streiten zu können setzt vor-aus, dass unterschiedliche Interessen und Ein-schätzungen erkannt und thematisiert sowieKompromisse und Lösungen gefunden wer-den. Sich streiten zu können ist damit eineVoraussetzung für demokratisches Handeln,denn auch die Demokratie lebt vom Streit,vom Aushandeln unterschiedlicher Interessen.

Christa Preissing (2000, 84 ff.) identifiziert vierGrundqualifikationen für ein demokratischesinteraktives Handeln: Selbstpräsentation undEmpathie (also die Kompetenzen, die eigenenInteressen wahrzunehmen und zu vertreten,sowie sich in andere hineinzuversetzen) sowieFrustrationstoleranz und Ambiguitätstoleranz(also die Fähigkeiten, Misserfolge, Niederla-gen hinnehmen, sowie uneindeutige Situatio-nen aushalten zu können). Kinder erwerbenund üben diese Kompetenzen schon früh.

Sollten Kinder also in Kindertageseinrichtun-gen ihre Streitigkeiten allein regeln? Ein acht-jähriges Mädchen bringt es in der HamburgerBefragung auf den Punkt: „Dann sagen sie[die Erzieherinnen, d.A.] immer, wir sollen dasallein regeln, aber wir können das doch garnicht, wir haben das noch nicht gelernt“ (Die-ken / Rohrmann / Sommerfeld 2004, 45).

Sich konstruktiv zu streiten will in der Tat ge-lernt sein. Einfühlsamkeit und Rücksichtnah-me – das, was Jesper Juul (1997, 175 ff.) inAbgrenzung zur „persönlichen Verantwor-tung“ die „soziale Verantwortung“ nennt –

entwickelt sich nur in der Begegnung mit an-deren. Daher spielen Erwachsene in diesemZusammenhang eine unverzichtbare Rolle.Wie es enden könnte, wenn Kinder mit ihrenKonflikten allein gelassen werden, davon maltWilliam Golding (1984) in seinem Roman„Herr der Fliegen“ ein düsteres Bild: EineGruppe englischer Schuljungen, die es nacheinem Flugzeugabsturz auf eine einsame Inselverschlägt, entwickelt sich in ihren Ausein-andersetzungen zu menschlichen Bestien.

Empathie und die Freude an konstruktivenKonfliktlösungen lernen Kinder insbesonderedadurch, dass sie empathischen und konflikt-freudigen Erwachsenen begegnen, die sie inihren Konflikten begleiten und nicht allein lassen. Die Erwachsenen bleiben also in derVerantwortung dafür, Kinder bei der Entwik-klung von Streitkompetenzen zu unterstützen.Diese Verantwortung der Erwachsenen be-steht einerseits darin, Kindern Vorbilder zusein – im Streit untereinander und mit denKindern – und andererseits, Kindern dabei be-hilflich zu sein, ihre Streitigkeiten konstruktivzu lösen. Letzteres bedeutet jedoch nicht, dass Erziehe-rinnen und Erzieher immer einschreiten soll-ten, wenn ein Streit aufzukeimen droht. HansOswald (1998) weist darauf hin, wie schwieriges für Erwachsene oft ist, zu beurteilen, obdie Grenze zwischen Spaß und Ernst bereitsüberschritten ist. Scheint es ungewiss, ob dieKinder die Situation meistern, sollten die Er-wachsenen ihre Aufmerksamkeit signalisierenund gegebenenfalls ihre Hilfe anbieten, aber

?„In der Kinderta-gesstätte solltenKinder ihre Strei-tigkeiten allein regeln können“

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nicht aufdrängen. In der Regel genügt es aktiveinzugreifen, wenn eines der Kinder das Hilfs-angebot einfordert.

Ein Beispiel:

Hier kann es nicht darum gehen, in die Rolleder Richterin oder des Richters zu schlüpfen,um den genauen Hergang mit den Kindern zurekonstruieren und die Entscheidung zu fällen,wer das erste Anrecht auf die Dose hat. DerVorschlag, dass Christine ja die Frau des Pira-ten sein und aus den geraubten Perlen wert-volle Ketten herstellen könnte, würde viel-leicht eher die Situation entspannen, die Kin-der jedoch gleichzeitig um die Erfahrung einergemeinsamen Problemlösung bringen. Inhalt-lich sollten die Kinder vielmehr für ihre Aus-einandersetzung selbst verantwortlich bleiben.Trotzdem dürfen die Erzieherinnen und Erzie-her sie in dieser Situation bei ihrer Suchenach Lösungen nicht allein lassen. Sie sinddafür zuständig, sie im Prozess zu begleiten,ihnen Gelegenheit zu geben, sich gegenseitigihre Sicht der Dinge darzustellen, ihnen viel-leicht die Empathie entgegen zu bringen, diedas andere Kind im Streit noch nicht aufbrin-gen kann, vielleicht zu „übersetzen“, dem je-weiligen Anliegen eine Sprache zu geben. Indiesem Sinne wäre es vielleicht hilfreich,wenn die Erzieherin zunächst nachfragt, wieChristine es hätte bemerken können, dassPaul die Perlen als Piratenschatz versteckthabe.Partizipative pädagogische Beziehungen zugestalten, verlangt von den Erwachsenen vielFingerspitzengefühl. Sie müssen immer wie-der aufs neue klären, wann sie den Kinderndie Verantwortung für eine Situation zutrauenund zugestehen können und wann sie denKindern welche Unterstützung anbieten müs-sen.

q Die Rolle der Erwachsenen Die Gestaltung von Beziehungen zwischen Er-wachsenen und Kindern, in denen Partizipa-tion möglich wird, liegt allein in der Verantwor-tung der Erwachsenen. Die Partizipation der

Kinder beginnt – so wird in Kapitel 3 ausge-führt – in den Köpfen der Erwachsenen. Kin-der können, wie Jesper Juul (1997, 161) be-tont, zwar „ihre Grenzen kenntlich machen,aber sie können sie nicht gegen die Manipula-tion durch größere Kinder oder Erwachseneverteidigen“. Erwachsene, die partizipative pädagogischeBeziehungen gestalten wollen, müssen dem-entsprechend die Rolle von Mentoren anneh-men, die die Kinder ernst nehmen, ihnen Ei-genverantwortung zugestehen, sie nach be-stem Wissen unterstützen, offen sind für das,was dann passiert, und letztlich doch die Ver-antwortung dafür behalten.

Um nicht von einzelnen Erwachsenen

abhängig zu sein, muss Partizipation in

den Strukturen der Kindertageseinrichtung

verankert sein.

Während Partizipation als Element der päda-gogischen Beziehungen in Kindertageseinrich-tungen in hohem Maß von der Kompetenzund der Bereitwilligkeit und damit auch vonder augenblicklichen Stimmungslage der ein-zelnen Erwachsenen abhängig ist, geht es beider strukturellen Verankerung von Partizipa-tion darum, Kindern unabhängig von den kon-kreten Erwachsenen ein Recht auf Mitgestal-tung zu gewährleisten (vgl. Knauer / Brandt1998).Erst die strukturelle Verankerung von Partizi-pation lässt Beteiligung als Recht der Kindersichtbar werden. Beteiligungsrechte könnenin der pädagogischen Konzeption der Einrich-tung sowie als institutionelles Recht verankertsein.

q Partizipation als Bestandteil der pädagogi-schen Konzeption

In der pädagogischen Konzeption einer Kinder-tagesstätte werden die Weichen dafür ge-stellt, in welchem Maße die Kinder im Alltagder Einrichtung für ihre eigenen Belange zu-ständig sein können. Entscheidungsspielräu-me können hier explizit eingeräumt oderdurch curriculare Zielvorgaben eingeschränktwerden. In den drei Ansätzen, die zur Zeit den Elemen-tarbereich am stärksten konzeptionell prägen,spielt Partizipation eine wichtige Rolle: im Si-tuationsansatz (vgl. Preissing 2003; Zimmer2000), in der Bildungsdebatte (vgl. Schäfer2003; Laewen / Andres 2002) und auch in derpädagogischen Arbeit in Reggio Emilia (vgl.Dreier 1999). Die fachliche Kenntnis dieserAnsätze und der Bedeutung von Partizipationin diesen Kontexten gehört zu den Kernkom-

Christine kommt laut schimpfend zur Er-zieherin gelaufen. Paul würde ihr immerdie Dose mit den Perlen wegnehmen, ob-wohl sie gerade eine Kette auffädelnwolle. Paul folgt ihr auf dem Fuße. Er seiPirat und das sei seine Schatztruhe; Chri-stine habe sie aus seinem Versteck ge-klaut.

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petenzen, die Erzieherinnen und Erzieher auchfür die Beteiligung der Kinder benötigen (vgl.Kapitel 3.2).Mit der Idee des „offenen Kindergartens“(vgl. Regel / Kühne 2001) hat sich in den1990er Jahren ein Konzept entwickelt, dasKindern ein hohes Maß an Selbstbestim-mungsrechten im Alltag zugesteht und inso-fern auch als pädagogisch-strukturelle Variantevon Partizipation in Kindertageseinrichtungenangesehen werden kann. Im offenen Kinder-garten können Kinder selbst entscheiden, wel-chen Tätigkeiten sie nachgehen, in welchen

Gruppenkonstellationen sie spielen und inwelchen Räumen sie sich aufhalten wollen.

Öffnungsprozesse vollziehen sich als konzep-tionelle Entwicklungen in der Praxis der Ein-richtungen. Die Öffnung der pädagogischenArbeit verlangt von den pädagogischen Fach-kräften immer wieder zu reflektieren, wannihre pädagogische Verantwortung mit der Ei-genverantwortung der Kinder kollidiert, wannes also notwendig oder gerechtfertigt ist, denKindern Grenzen zu setzen und wann nicht. Auch im offenen Kindergarten setzen die Erwachsenen den Kindern Grenzen. So endetdie freie Wahl des Spielortes zwar nicht mehran der Gruppentür und oft nicht einmal mehran der Tür zum Außengelände, aber in allerRegel am Zaun der Kindertageseinrichtung.

Die Frage, ob Kinder allein das Kindergarten-gelände verlassen dürfen, ist unter Erzieherin-nen und Erziehern höchst umstritten. Groß istdie Angst, wegen Verletzung der Aufsichts-pflicht belangt zu werden. Das vermeintlicheDamoklesschwert der Aufsichtspflichtverlet-zung wird gar zu rasch zur Schere im Kopf,die die Selbständigkeit der Kinder beschnei-

det. Dabei gibt es aus rechtlicher Sicht in die-ser Frage seit langem Entscheidungsspielräu-me. So wies der Bundesverband der Unfall-versicherungsträger schon vor fast 20 Jahrenauf ein Urteil des Bundesgerichtshofs hin, indem eingeräumt wird, „dass es auch bei Vor-schulkindern wegen des bevorstehendenSchulbesuchs und der mit dem Schulweg verbundenen Gefahren oft zweckmäßig seinwird, dass sie sich auch ohne ständige Über-wachung in ihrem Verhalten auf den Straßen-verkehr einstellen“ (Künzel 1985, 8). Es kannalso auch anders gehen.

Dieses Beispiel ist kein Plädoyer dafür, alleZäune um Kindertageseinrichtungen zu besei-tigen. Erzieherinnen und Erzieher wie Kinderhaben einen Anspruch auf den Schutz, dender Zaun vor vielerlei unkalkulierbaren Un-glücksfällen bietet. Aber wie der Erzieher in der geschilderten Si-tuation sind Erwachsene, die Kindern Eigen-verantwortung zugestehen wollen, herausge-fordert, die Grenzen, die sie Kindern setzen,immer wieder (selbst)kritisch zu hinterfragen.Kann es nicht für das eine oder andere Kindeine angemessene und sinnvolle Herausforde-rung sein, allein spazieren gehen zu dürfen?Zur Entwicklung eigenständiger Persönlichkei-

Ole und Hanne sind sechs Jahre alt, alssie ihren langjährigen Betreuer H. einesMorgens mit der Bitte überraschen, spa-zieren gehen zu dürfen. Herr H. ist irritiert.Zwar verlassen immer mal wieder kleineKindergruppen das Gelände der Einrich-tung, doch stets in Begleitung einer er-wachsenen Mitarbeiterin. Seine Nachfra-ge, was sie vorhätten, beantworten dieKinder kurz und knapp: „Einfach nur spa-zieren gehen.“ Herr H. wägt ab: Er kenntdie Kinder seit fünf Jahren. Sie beherr-schen und beachten die Verkehrsregelnüblicherweise gut; die Stimmung diesesTages scheint für ein solches Experimentgünstig; die beiden haben sich in der Ver-gangenheit zuverlässig an getroffene Ver-einbarungen gehalten; und er ahnt, dasssie das Ausflugsziel des vergangenenTages im nahe gelegenen Park anvisieren.Herr H. verabredet mit ihnen, dass sienicht in Richtung der Hauptverkehrsstraße,sondern nur in Richtung Park gehen und –ja, Ole hätte seine neue Uhr dabei – ineiner halben Stunde, wenn der große Zei-ger oben ist, zum Mittagessen wieder dasein sollen.

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ten gehört auch ein „Recht auf Risiken“,heißt es in einer Broschüre von Landesju-gendämtern zur Aufsichtspflicht in Kinderta-geseinrichtungen (Landschaftsverband Rhein-land / Landschaftsverband Westfalen-Lippe2000, 4). Erwachsene Aufsichtspersonen sollten daherstets aufs neue abwägen, welches Gut in derjeweiligen Situation höher zu bewerten ist: dieEigenständigkeit der Kinder oder deren Schutzvor Gefahren. Das kann für Erzieherinnen undErzieher bedeuten, sich entscheiden zu müs-sen zwischen einer Einschränkung der Kinderund ihrer persönlichen Bereitschaft, die Ver-antwortung für das selbstbestimmte Verhaltender Kinder zu tragen. Solche Abwägungsprozesse waren es, die inder Entwicklung des offenen Kindergartens zuRaum- und Zeitstrukturen führten, innerhalbderer die Kinder „selbstbestimmt mit anderenKindern zusammen und ohne die ständige An-wesenheit von Erwachsenen ihren Spiel-, Be-wegungs- und Forschungsinteressen nachge-hen können“ (Regel / Kühne 2001, 13). EinerAufsichtspflichtverletzung macht sich dabeinicht schuldig, wer wie Herr H. in dem o.g.Beispiel sorgfältig abwägt und ein reflektiertesund pädagogisch begründbares Risiko ein-geht.Dabei muss es nicht gleich darum gehen,dass Elementarkinder unbeaufsichtigt durchden Stadtteil streifen. Im Ev. KindergartenSchloss Ricklingen beschäftigte die Erzieherin-nen und Erzieher die Frage, ob und wie sie esverantworten könnten, dass Kinder allein imWerkraum tätig seien. Sie führten „Werkstatt-pässe“ ein, in denen die Kinder sich ihre stu-fenweise Qualifizierung als „Lehrling“, „Ge-selle“ und „Meister“ bestätigen lassen konn-ten und die sie dazu berechtigten, dieWerkstatt ohne Begleitung Erwachsener zunutzen. Die Qualifizierungen bezogen sich aufmateriale Erfahrungen sowie auf das Wissenund Beachten von Sicherheitsvorschriften undRegeln (vgl. Hansen / Schröder / Kühne 2000).So konnten die Erwachsenen den Kindern er-weiterte Freiräume zugestehen, ohne selbstin Gewissensnöte zu geraten.

Sind die Erwachsenen – aus welchen Grün-den auch immer – einmal nicht bereit oder inder Lage, Kindern in einer bestimmten Situa-tion Eigenverantwortung zuzubilligen, kommtes sehr darauf an, wie sie den Kindern Gren-zen setzen. Vielen Erzieherinnen und Erzie-hern mag noch die strenge Ermahnung ausihrer Kindheit in den Ohren hallen: „Dasmacht man nicht!“ Werden Grenzsetzungenderart allgemein „begründet“, können Kinder

sie kaum in Frage stellen. Ein Überschreitendieser Grenze muss ihnen als ihr persönlichesFehlverhalten erscheinen, als Verstoß gegeneine allgemein gültige Regel. In den Kindernkann auf diese Weise zwar ein schlechtes Ge-wissen und Angst vor Strafe hervorgerufenwerden, aber sicher kein Verständnis dafür,warum ihre Handlungsfreiheit an dieser Stelleeingeschränkt wurde. Wenn Erwachsene Kindern Grenzen setzen,sollten sie sie daher „persönlich“ begründen,d.h. als Grenzen kenntlich machen, die vonkonkreten Personen aus konkreten Gründengesetzt werden. Die Kinder sind dann nichtnur mit sich selbst konfrontiert, wenn ihnendiese Grenzen zu eng erscheinen; sie könnenauch ärgerlich oder wütend sein auf dieGrenzsetzer oder die Umstände, die zurGrenzsetzung führten. Ihre persönliche Inte-grität ist gewahrt. Auch aus demokratiepädagogischen Erwägun-gen heraus sollten Grenzen für Kinder grund-sätzlich hinterfragbar bleiben – ja, müssen siemanchmal auch überschritten werden. Oft be-ginnt nämlich die Auseinandersetzung miteiner Grenze erst mit ihrer Überschreitung.

Für eine demokratische Erziehung von Kin-dern ist es in der Regel förderlicher, sich mitihnen über Sinn und Unsinn einer Grenze zustreiten als deren unbedingte Einhaltungdurchzusetzen. Wenn es nicht nur darumgeht, dass sie die Grenzen, die ihnen gesetztwerden, anerkennen sollen, sondern dieseauch aufgehoben oder verschoben werdenkönnen, machen Kinder dabei elementare de-mokratische Erfahrungen – denn auch ein de-mokratischer Rechtsstaat zeichnet sich nichtin erster Linie durch die polizeiliche Kontrolleüber die Einhaltung der Gesetze aus, sonderndurch die Möglichkeit, Gesetze – bis hin zumGrundgesetz – verändern zu können, wenndafür Mehrheiten vorhanden sind. Kinder soll-ten also keineswegs immer davon abgehaltenund manchmal sogar dazu ermuntert werden,„Zäune zu übersteigen“, d.h. vorhandeneGrenzen kritisch zu hinterfragen. Die Grenz-überschreitungen der Kinder können so zumAnlass für eine qualitative Weiterentwicklungder Einrichtung werden. Die Befürchtung, einderartiger Umgang mit Regeln und Grenzenwürde dazu führen, das Kinder an Orientie-rung verlören, ist unbegründet. Im Gegenteil:Gerade das aktive Aushandeln von Regelnund die Bereitschaft der Erwachsenen, sichum Grenzen zu streiten, führt dazu, dass Re-geln für Kinder wichtiger und bedeutsamerwerden.

Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

?„Es ist nicht zuverantworten,dass drei- bissechsjährige Kin-der das Geländeder Kindertages-stätte ohne Be-gleitung Erwach-sener verlassen“

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Im Alltag von Kindertageseinrichtungen gibtes viele Regulierungen, die es lohnt in Fragezu stellen. Sie bestehen oft unhinterfragt, so-lange den Beteiligten ihr Charakter „struktu-reller Fremdbestimmung“ nicht bewusst wird.Ein Beispiel dafür ist die Zuordnung der Kinderzu den Gruppen der Einrichtung. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist fürjedes Kind ein wichtiges Moment der Behei-matung. Hier treffen sie auf Erzieherinnen, Er-zieher und Kinder mit denen sie in den näch-sten Jahren zusammen leben und arbeitenmüssen. Zu welcher Gruppe sie gehören, ent-scheiden bislang aber in der Regel allein dieErwachsenen. Die Aufteilung der Kinder in dieeinzelnen (Stamm)-Gruppen findet meist unterorganisatorischen Gesichtspunkten statt undunterliegt einer Institutionenlogik, die „dasmöglichst reibungslose Funktionieren einesBetriebes“ (Colberg-Schrader 1998, 39) ge-währleisten soll. Nur selten wird über diesenstrukturell verankerten Automatismus nachge-dacht. Was passiert aber, wenn die Freundin oderder Freund zu einer anderen Gruppe, die bereits voll ist, gehört? Wie wichtig ist es,dass die Kindergruppen nach gruppenspezifi-schen und nicht nach zufälligen Kriterien zu-sammengestellt werden? Wer sollte und werdarf hier mitbestimmen? Wäre es nicht mög-lich, grundsätzlich andere Wege der Gruppen-findung zu erproben? Am Rande einer GEW-Tagung berichtete eine Erzieherin, dass inihrer Tagesstätte im Anschluss an eine Hospi-tationsphase gemeinsam mit den Eltern undden Kindern entschieden wird, welche Be-zugsgruppe für das Kind die beste ist. Die Er-zieherinnen und Erzieher akzeptieren dabeisogar, wenn es zu ungleichen Gruppengrößenkommt.

Die konzeptionelle Idee des offenen Kinder-gartens ist in der Praxis entwickelt worden.Es ist ein dynamisches Modell und lebtdavon, dass es in den Einrichtungen ständigweiterentwickelt wird. Die pädagogische Be-ziehung zwischen Erzieherin / Erzieher undKind muss dabei stets aufs neue reflektiertwerden. Die Konzeption einer Kindertagesein-richtung kann diese offene Orientierung auf-greifen und damit die Erzieherinnen und Erzie-her bestärken, diese Auseinandersetzungenmit sich selbst und mit den Kindern zu suchen. Das könnte beispielsweise folgender-maßen klingen: „Im offenen Kindergartenwerden für Kinder bewusst Entscheidungs-spielräume erweitert und ein konsequenterWeg der Freiheit angestrebt. Kindern wirdselbständiges Handeln zugetraut, Lernen

erfolgt in ‚Ernst’-Situationen“ (Regel / Kühne2001, 22).

q Partizipation als institutionell verankertesRecht

Wenngleich die konzeptionelle Verankerungvon Partizipation den Kindern zahlreiche Mög-lichkeiten einräumt, ihren Alltag mitzugestal-ten, wird den Kinder selbst ihr Recht auf Be-teiligung oft erst durch die Einführung formalverankerter Mitbestimmungsgremien be-wusst. Institutionalisierte Beteiligungsformenwirken vordergründig spektakulärer als diekonzeptionelle oder die informelle Beteiligungauf der Beziehungsebene. Wo Kinder sich inKinderparlamenten, Kinderräten oder Kinder-konferenzen selbst vertreten können, wächstdas „gefühlte Gewicht“ von Partizipation.

Die formale Beteiligung von Kindern in Gre-mien stößt bei Erwachsenen nach wie vorhäufig auf Skepsis. Viele Erwachsene befürch-ten, dass formalisierte Beteiligungsritualepseudodemokratisch und nicht kindgerechtseien und hier erwachsenenspezifische For-men der Mitbestimmung ungerechtfertigter-weise auf Kinder übertragen würden. Fürdiese Einschätzung spielt sicher auch eineRolle, dass viele Erzieherinnen und Erzieherselbst keine oder schlechte Erfahrungen mitMitbestimmungsgremien gemacht haben.Dass institutionalisierte Beteiligung in Kinder-tageseinrichtungen jedoch funktionieren kann,belegen die nachfolgend skizzierten Beispiele.Die Beteiligungsformen können dabei sehrunterschiedlich aussehen. Neben repräsentati-ven Formen (einige Kinder vertreten alle Kin-der) finden sich auch offene Formen der Be-teiligung (die jeweils betroffenen Kinder ver-treten sich selbst). – Im Kindergarten der Ev. Auferstehungsge-

meinde in Frankfurt / Main nehmen alle Kin-der, die im nächsten Jahr zur Schule kom-men, am Kinderparlament teil. Zwei Erziehe-rinnen begleiten das Parlament. Siestrukturieren die Sitzungen im Hintergrund,führen Protokoll, unterstützen die Kindernach Bedarf. Die wöchentlichen Sitzungenwerden von den gewählten Vorsitzenden ge-leitet. Am Tag nach der Parlamentssitzungfindet eine Vollversammlung aller Kinder undErwachsenen statt, in der die Vorsitzendendie Sitzungsergebnisse vorstellen. Die begleitenden Erzieherinnen achten darauf,dass jedes Kind im Laufe der einjährigenAmtszeit einmal im Vorstand sein kann. Das pädagogische Ziel, das hier im Vorder-grund steht, ist die Kompetenzerweiterungjedes einzelnen Kindes. In dem einen Jahr

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Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

?„In welche Grup-pe ein neues Kindaufgenommenwird, müssenschon die Er-wachsenen ent-scheiden“

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lernen sie u.a., ihre Interessen zu benennen,sich darüber mit anderen auseinander zusetzen oder die Ergebnisse vor vielen Zuhö-

rern zu präsentieren (vgl. Braun / Deneke /Dohmen / Kaufmann 1996; Bruner / Winkl-hofer / Zinser 2001, 14 ff.).

– In den Kinderrat der Kindertagesstätte Roh-denhof in Hannover werden Vertreterinnenund Vertreter der einzelnen Kindergruppengewählt. Angesprochen und tatsächlich ge-wählt werden hier eher die kompetenterenKinder, die sich als verantwortungsvolle Re-präsentanten weiter qualifizieren. Die Dele-gierten halten in ihren Gruppen regelmäßigSprechstunden ab, um Probleme oder Ideender übrigen Kinder in Erfahrung zu bringen.14-tägig findet eine einstündige „Kinder-Dienstbesprechung“ statt, an der auch Dele-gierte des Teams und die Leitung teilneh-men. Auch die Erwachsenen sind an die Be-schlüsse dieses Gremiums gebunden. Nachjeder Sitzung stellen die jeweiligen Delegier-ten die Ergebnisse in ihren Gruppen vor. Die Erfahrungen mit dem Kinderrat sind ausSicht der Erwachsenen sehr positiv. Als sichbeispielsweise viele Kinder unzufrieden überden Geschmack der angebotenen Tees äu-ßerten, kam der Kinderrat auf die Idee,einen Teehändler zur Teeprobe einzuladen.Mit dem Vertrauen der Erwachsenen in dieKinder wuchs auch die Bereitschaft, ihnenmehr Einflussmöglichkeiten einzuräumen.Spielwarenhändler müssen inzwischen ihreAngebote dem Kinderrat unterbreiten. Unddas Team überlegt, den Rat bei Personalein-stellungen hinzuzuziehen (vgl. Kindertages-stätte Rohdenhof 2001; Hansen 2004 b).

– Im Ev. Kindergarten im hessischen Lorschfinden Kinderkonferenzen statt. Diese ent-wickelten sich aus dem Stuhlkreis herausals offene Beteiligungsform. Mittlerweile

gibt es große und kleine Kinderkonferenzen,die sowohl regelmäßig als auch spontanstattfinden. Die Sitzungen werden von den

Erzieherinnen moderiert.Hier mischen sich immerdie Kinder und Erwachse-nen ein, die sich von einerFragestellung betroffenfühlen. Für diese flexible Beteili-gungsform ist die Fragevon Bedeutung, von wemund wie die jeweilige Kon-ferenz einberufen werdenkann. Um spontane Zu-sammenkünfte zu ermög-lichen, sind vor allemräumliche Voraussetzun-gen geschaffen worden.Es gibt Ecken, die mitTeppichböden, separatem

Licht und mobilen Schaumstoffpolstern aus-gestattet sind, die von den Kindern in kürze-ster Zeit zu einer Runde zusammengelegtwerden können. So kommt es jetzt vor,dass „schon am frühen Morgen ein Kindverkündet, es brauche heute dringend eineKonferenz, weil es etwas Tolles erlebt habeoder etwas Dringendes fragen muss oderetwas beobachtet hat oder eine Beschwer-de vorbringen möchte oder eine Idee füreine Unternehmung“ (Mühlum 1994, 28)(vgl. Mühlum 1994; Mühlum/Virnkaes 1998;Virnkaes 2001).

Institutionalisierte Beteiligungsformen müssenindividuell für jede Kindertageseinrichtung ent-wickelt werden. Die institutionelle Veranke-rung von Partizipation verlangt intensive Aus-einandersetzungen mit grundsätzlichen päda-gogischen Fragestellungen: Worüber dürfendie Kindergremien entscheiden und worübernicht? Wie geht man mit Minderheitenpositio-nen um? Haben die Erwachsenen ein Veto-recht? Wenn die Gremien für alle Beteiligtenselbstverständlich im Alltag zusammentretenund mit Entscheidungsbefugnissen ausgestat-tet sind, die nicht nur für die Kinder, sondernauch für die Erwachsenen bedeutsam sind,wird die Beteiligung der Kinder unabhängigervon der Bereitwilligkeit einzelner Erzieherin-nen oder Erzieher. Partizipation erhält dann einhohes Maß an Verbindlichkeit. Durch institu-tionalisierte Beteiligungsformen werden dieMitbestimmungsrechte der Kinder innerhalbder Einrichtung öffentlich und einklagbar:durch die Kinder, durch die Eltern und durchdie Kolleginnen.

Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

?„Kinderparlamen-te u.ä. sind nurpseudodemokrati-sche Experimen-te“

Hansen 2.Auflage 12.01.2007 9:13 Uhr Seite 21

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Partizipation der Kinder erfordert auch

Partizipation der Eltern und des Teams.

Die Erwachsenen und ihre Art und Weise mit-einander umzugehen sind stets Vorbilder undAnregungen für die Kinder. Sie orientieren je-doch nicht nur ihr eigenes Verhalten daran, sieüberprüfen daran auch die Glaubwürdigkeitpädagogischer Ambitionen. Die Beteiligungvon Kindern braucht daher Erwachsene, diesich selbst ebenfalls beteiligen. Hier wird er-neut deutlich, dass die Partizipation der Kinderbei den Erwachsenen beginnt (vgl. Kapitel 3).Damit Aushandlungsprozesse zwischen Sub-jekten über die pädagogischen Beziehungenhinaus für Kinder als allgemeine Partizipations-kultur erfahrbar werden, müssen die Erwach-senen sich ihrerseits für ihre Interessen einsetzen, ihre Rechte wahrnehmen und an-dere Menschen unabhängig vom Alter ernstnehmen. In Kindertageseinrichtungen erfor-dert dies einerseits die Beteiligung der Mütterund Väter, andererseits partizipative Umgangs-formen im Team.

q Mütter und Väter beteiligen 2

Die Kindertagesstätte ist die erste Instanz öf-fentlicher Erziehung neben der privaten Fami-lie. Vielen Eltern fällt es schwer, ihr Kind in dieObhut fremder Menschen zu übergeben; andere formulieren selbstbewusst Ansprüchean die pädagogischen Leistungen der Einrich-tung. So oder so entsteht ein sensibles Bezie-hungsdreieck Erzieherin / Erzieher – Eltern –Kind, das es gilt, in Balance zu halten.

Neben die bis dahin uneingeschränkte Zustän-digkeit und Expertenschaft der Eltern für dieEntwicklung ihres Kindes tritt nun die fachlich-pädagogische Kompetenz und Zuständigkeitder Fachkräfte in der Kindertageseinrichtung.Dies erfordert Aushandlungsprozesse, die,wenn sie gelingen, beide Seiten qualifizieren.Für die Gestaltung dieser Prozesse aber sindwiederum in erster Linie die professionellenPädagoginnen und Pädagogen verantwortlich.Welche unterschiedlichen Interessen die Erzieherinnen und Erzieher dabei jonglierenmüssen, wird deutlich, wenn man verfolgt,wie sich die oben beschriebene Situation wei-ter entwickelt hat, in der zwei Kinder alleindas Kindergartengelände verlassen durften.

Der Erzieher hat in diesem Beispiel zwar denWunsch der Kinder ernst genommen, dabeiaber den Wunsch der Eltern verletzt, infor-miert und in Entscheidungen über ihr Kind inder Kindertageseinrichtung eingebunden zusein. Die Beteiligung der Kinder erfordert auchdie Beteiligung der Eltern. Die Beteiligung derKinder hätte in diesem Fall besser damit be-gonnen, dass Herr H. die Kinder darauf hinge-wiesen hätte, dass ihre Eltern darauf vertrau-ten, dass er sie begleiten würde. Er hätteihnen anbieten können, diese Frage – viel-leicht gemeinsam mit ihnen – mit den Elternzu besprechen.Sind Eltern aber überhaupt in der Lage, eineEntscheidung wie diese jenseits der Sorgeum ihr eigenes Kind pädagogisch angemes-sen zu bewerten? Herr H. vertrat auf dem El-ternabend seine pädagogische Entscheidungund band die Eltern damit – wenngleich zuspät – erfolgreich in eine konzeptionelle De-batte ein. Dadurch gelang es den Eltern, trotzihrer Erregung die Situation differenziert zubeurteilen. Am Ende bemängelten sie zwar,nicht rechtzeitig beteiligt worden zu sein, tru-gen aber eine weitreichende konzeptionelleVeränderung mit.Dass – entsprechend angeleitet undmoderiert – alle Mütter und Väter in der Lagesind, an derartigen Entwicklungen mitzuwir-

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Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

Ole und Hanne haben die Einrichtung seitfünfzehn Minuten verlassen, als HannesMutter dort überraschend erscheint, umsie – früher als erwartet – abzuholen. Sieist fassungslos und empört, als sie erfährt,dass die Kinder ohne erwachsene Beglei-tung spazieren gehen. Herr H. bemühtsich vergeblich, sie zu beruhigen, eilt dannin den Park, wo er die beiden wie erwartetfindet, und kehrt mit ihnen in die Einrich-tung zurück.

Beim nächsten Elternabend sieht sich HerrH. einer aufgebrachten Elternschaftgegenüber. Obwohl er ein von vielen El-tern geschätzter Mitarbeiter ist, gelingt esihm erst nach langer, erregter Diskussionsie zu überzeugen, dass seine Zustim-mung zu dem Spaziergang nicht leichtfer-tig erteilt worden und darüber hinaus pä-dagogisch sinnvoll gewesen sei. Was dieEltern ihm hingegen nicht nachsehen wol-len, ist sein Versäumnis, eine in ihrenAugen ungewöhnliche und weit reichendeEntscheidung im Vorwege mit ihnen zubesprechen.

?„Die meisten Eltern verfügennicht über ausrei-chende pädagogi-sche Kenntnisse,um bei konzeptio-nellen Fragen derEinrichtung mitzu-reden“

2 Die Beteiligung der Eltern wird hier nur im direkten Zusammenhang mit

der Beteiligung der Kinder diskutiert, also als Beteiligung der Eltern als

Eltern in pädagogischen Fragen. Elternbeteiligung in Kindertageseinrich-

tungen kann darüber hinaus Eltern als eigenständige Nutzer der Einrich-

tung ansprechen, also z.B. Angebote zur (sozialpädagogischen) Unter-

stützung der Familien oder der Elternbildung machen.

Hansen 2.Auflage 12.01.2007 9:13 Uhr Seite 22

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ken, belegt ein Beispiel aus dem Kieler Brenn-punkt-Stadtteil Mettenhof. Das Team derStädtischen Kindertageseinrichtung Osloring,das später auch am Modellprojekt teilnahm,beteiligte Mütter und Väter aus neun verschie-denen Herkunftsländern an der Planung desAußengeländes. Die Erzieherinnen organisier-ten Dolmetscherinnen und Dolmetscher undluden die Eltern zu einer Erinnerungsreise andie Spielorte ihrer eigenen Kindheit ein. Dar-aus entstand nicht nur ein angeregter Aus-tausch, es traten auch erstaunlich ähnliche Erfahrungshintergründe zum Vorschein. Woimmer die Eltern groß geworden waren, hatten sie in erster Linie mit Stock und Stein,Wasser und Sand, versteckt in Gebüschenoder hinter Hügeln gespielt. Eltern, Team undKinder entwarfen im Anschluss in großerÜbereinstimmung den Plan eines Naturspiel-raums nahezu ohne Spielgeräte (vgl. Hansen2002 b).Partizipation von Müttern und Vätern in Kin-dertageseinrichtungen verlangt vor allem einefrühzeitige und umfassende Information überdie pädagogische Arbeit. Das beginnt in derschriftlich verfassten Konzeption der Einrich-tung und im Anmeldegespräch und setzt sichin der Dokumentation der pädagogischen Tä-tigkeiten und auf Elternabenden fort. Mütterund Väter können und sollten – über den Aus-tausch über die Entwicklung des eigenen Kin-des hinaus – in pädagogisch-konzeptionelleEntwicklungen der Kindertageseinrichtung ein-bezogen werden.

q Das Team beteiligenDie meisten Kindertageseinrichtungen sindnach innen hierarchisch organisiert (jedenfallsgibt es in der Regel Personen mit Leitungs-funktionen); und sie sind nach außen in die

Hierarchie des Trägers eingebunden. Dennochkönnen die Erwachsenen authentische Partizi-pationsmodelle sein, wenn einerseits der Füh-rungsstil durch Transparenz und Vertrauen ge-kennzeichnet ist und andererseits die Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter sich selbst-bewusst engagieren.Natürlich muss die Kindertagesstätten-Lei-tung, die ja mit anderen Aufgaben betraut istals die Gruppenerzieherinnen und -erzieher,selbständig Entscheidungen fällen können.Aber es ist ein Unterschied, ob sie über dieBeauftragung eines Handwerkers, der die de-fekte Regenrinne reparieren soll, oder überden Dienstplan für die nächste Woche ent-scheidet, ohne mit dem Team Rücksprachegehalten zu haben. Die Leitung sollte ihre Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter über Entschei-dungen, die sie betreffen, ausreichend infor-mieren und ihnen nach Möglichkeit Mitspra-cherechte einräumen. Erzieherinnen undErzieher wiederum sollten ihre Rechte kennenund vertreten und sich für die Interessen derKinder und der Einrichtung einsetzen.

Die Partizipation des Teams ist die Grundlagefür die Partizipation der Kinder. Nur Erzieherin-nen und Erzieher, die selbst beteiligt und mit-verantwortlich für die Belange der Einrichtungsind, können Kindern Entscheidungsmachteinräumen. Wie wichtig eine partizipative Zu-sammenarbeit unter den Erwachsenen für dieBeteiligung der Kinder ist, betonen ClaudiaBruner, Ursula Winklhofer und Claudia Zinser(2001, 21 f.), die für das Deutsche Jugendin-stitut Beteiligungsmodelle u.a. in Kindertages-stätten untersucht haben: „Wo es an Offen-heit und Beteiligungsmöglichkeiten im Teammangelt und hierarchische Strukturen vorherr-schen, entwickelt sich nur schwer eine Partizi-pationskultur mit den Kindern.“Das bedeutet auch, dass sich eine Beteiligungder Kinder nicht über die Köpfe des Teamshinweg von oben verordnen lässt, auch wennmanch engagierte Leitung dadurch auf eineGeduldprobe gestellt wird.

Partizipation in Kindertageseinrichtungen

erfordert eine Öffnung der Einrichtung

nach außen ins Gemeinwesen und eine

Einmischung in die kommunale Politik.

Die Beteiligung von Kindern verlangt ihre Ein-beziehung in alle Planungen und Entscheidun-gen, die sie betreffen. Nun wird in einer Kin-dertageseinrichtung vieles geplant und ent-schieden, was nicht direkt die pädagogischeArbeit innerhalb der Einrichtung betrifft. Um-baumaßnahmen, Verhandlungen mit dem Trä-

Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

?„Die Kindertages-stätten-Leitungkann nicht jedeEntscheidung imTeam diskutie-ren – da wird sieja handlungsunfä-hig“

Hansen 2.Auflage 12.01.2007 9:13 Uhr Seite 23

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ger oder derKommune, dieZusammenar-beit mit Schulenetc. erfordernAuseinanderset-zungen außer-halb der Einrich-tung, im Ge-meinwesen,und eine Einmi-schung in kom-munalpolitischeund verwal-tungstechnischeVerfahren. DieAußenvertre-tung der Einrich-tung wird bis-lang vornehm-lich durch die Leitung wahrgenommen, findetalso unbemerkt von den Kindern und teilweiseauch von den Erzieherinnen und Erziehern aufder Hinterbühne der Einrichtung statt. DieseProzesse können aber durchaus auf dieVorderbühne geholt, d.h. zum Gegenstand ge-meinsamer Aushandlungen gemacht werden,an denen die Kinder und das Team beteiligtsind.

Themen, die in diesem Zusammenhang fürKinder interessant sind, können z.B. sein:– Planung der Innen- und Außenraumgestal-

tung der Kindertageseinrichtung– Öffnung der Außenfläche der Kindertages-

einrichtung in den Stadtteil – Bewertung der Spielräume in der Kommune– Bewertung der Verkehrswege in der Kom-

mune aus Kindersicht– Beteiligung an Veranstaltungen im kommu-

nalen Raum, auch schon in der Planungs-phase

– und vieles mehr.

Bei all diesen Themen können Kinder ihre Ex-pertenschaft in eigener Sache einbringen,wenn sie entsprechend unterstützt werden.Dass eine Beteiligung der Kinder an kommu-nalen Planungen nicht nur für die politischeSozialisation der Kinder, sondern auch im Hin-blick auf die Ergebnisse des Planungsprozes-ses lohnend ist, zeigt der „Klassiker“ unterden Beteiligungsmodellen: die Spielraumpla-nung.

Der Verein Kinder Umweltinitiativen KIWI ausKiel beteiligt seit Jahren Kinder an der Pla-nung und Gestaltung der Außengelände vonKindertageseinrichtungen. Dabei erweisen

sich die Kinder als kompetente Planungspart-ner, die immer wieder mit ihren Fähigkeitenüberraschen. Was sie tatsächlich können, zei-gen sie Erwachsenen allerdings nur, wenndiese sie dazu auffordern und begleiten. Er-wachsene, die kein Zutrauen zu Kindernhaben oder denen es nicht gelingt, abstraktePlanungsschritte sinnlich be-greif-bar zu ma-chen, sind die eigentlich hemmenden Fakto-ren der Planungsbeteiligung. Eine frühe Kooperation der Beteiligten im Pla-nungsprozess wirkt sich hingegen förderlichauf die Ergebnisqualität aus. Wenn die Plane-rinnen und Planer bereits am Entscheidungs-prozess der Kinder teilnehmen, wenn sieihnen die fertigen Entwürfe altersangemessenpräsentieren, dann bewerten Elementarkinderin der Regel die vorgestellten Pläne konzen-triert und bewusst, dann diskutieren Hortkin-der sehr engagiert Detailfragen. Noch ist einein dieser Weise funktionierende Kommunika-tion in den meisten Fällen auf eine professio-nelle Moderation angewiesen – fällt es dochPlanern oft nicht einmal leicht, erwachseneLaien am Planungsprozess teilhaben zu las-sen.Eine Beteiligung von Kindern im kommunalenRaum erscheint in vielerlei Weise sinnvoll.Nicht nur, dass die Einbeziehung der Sichtwei-sen von Kindern zu qualitativen Verbesserun-gen kommunaler Planungen und Entscheidun-gen führt, die Kinder erschließen sich auchdas Umfeld der Kindertagesstätte. Sie findensich besser zurecht und sind bei Nachbarnund beim Bäcker, im Altenheim und im Rat-haus bekannt. Kinder und Kinderleben werdendadurch im öffentlichen Raum präsenter. Undauch politische Strukturen können für Kinderim Rahmen kommunaler Beteiligungsprozes-

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Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

?„Kinder sind nichtin der Lage, mitArchitekten überdie Gestaltungihrer Kindertages-stätte zu verhan-deln“

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se stärker erfahrbar werden, wenn sie diehandelnden Personen im unmittelbaren Kon-takt erleben.

Partizipation verlangt die Qualifikation der

pädagogischen Fachkräfte.

Es wurde bereits mehrfach erwähnt: Die Be-teiligung von Kindern beginnt in den Köpfender Erwachsenen. Die Entscheidungsspielräu-me, in denen Kinder in Kindertageseinrichtun-gen Beteiligung erfahren und üben können,werden immer von Erwachsenen eingeräumtund gestaltet. Die Beteiligung der Kinder setztdie Bereitschaft und die Fähigkeit der Erwach-senen voraus, Kinder zu beteiligen. Um Partizi-pationsprozesse anzustoßen, müssen sichdaher zunächst die Erwachsenen mit Beteili-gung auseinander setzen. Dabei geht es in er-ster Linie darum, das eigene „Kinderbild“ zuhinterfragen, und sodann um den Erwerb kon-kreter Methodenkenntnisse.

Pädagogik ist in besonderer Weise getragenvon der Vorstellung, die Erwachsene von Kin-dern haben – in diesem Zusammenhang wirdhäufig vom „Kinderbild“ gesprochen. Die Vor-stellungen davon, was und wie Kinder sind,basieren auf verschiedenen Erfahrungen.Neben biographischen Erfahrungen spielenhier gesellschaftliche und kulturelle Überein-künfte eine Rolle. Je konkreter das Bild ist,das Erwachsene sich vom Kind machen,desto mehr sind sie dazu verleitet, Kinder die-sem Bild entsprechend wahrzunehmen. Hart-mut von Hentig (1996, 25 f.) fasst in diesemZusammenhang Zitate aus Max Frischs zwei-tem Tagebuch von 1972 zusammen: „Wir nei-gen dazu, uns ein Bildnis vom anderen zu ma-chen. […] Wir halten nicht aus, dass der ande-re unbestimmbar, ein Rätsel ist. […] Mit demBildnis legen wir den anderen nicht nur füruns fest, sondern auch für sich. Er wird zudem, was das Bildnis vorschreibt“.

Partizipation beginnt damit, dass sich Erwach-sene über ihre Bilder, die sie von Kindernhaben, bewusst werden und diese hinterfra-gen. Was können Kinder? Was können sienoch nicht? Was traue ich Kindern zu? WelcheRolle habe ich in der Pädagogik? Was pas-siert, wenn ich Kindern Entscheidungsfreihei-ten zugestehe? All diese Fragen beschäftigensich in Wirklichkeit zunächst nicht mit den Kin-dern sondern mit den handelnden Erwachse-nen.

Kindern als Subjekten und nicht als Objektenpädagogischer Ambitionen zu begegnen, wie

es auch die aktuelle Debatte um Bildungsför-derung in Kindertageseinrichtungen fordert(vgl. Kapitel 2), verlangt von den Erwachsenendie Offenheit und den Mut, sich überraschenzu lassen, Dinge geschehen zu lassen und mitzu tragen, die sie nicht erwartet haben. Kinderals gleichwertige Partner anzusehen heißt,ihnen Mitgestaltungs-Rechte zuzugestehen.

Darüber hinaus verlangt Partizipation von Kin-dern in Kindertageseinrichtungen ein spezifi-ziertes Methodenrepertoire, das bislang in derAusbildung von Erzieherinnen und Erziehernnicht oder nicht ausreichend vermittelt wird.Wie werden Kindergespräche moderiert? Wiekönnen Kindern Zugänge zu komplexen undabstrakten Fragestellungen eröffnet werden?Wie können die Kinder einer ganzen Einrich-tung eine gemeinsame Entscheidung treffen?Wie können die Erwachsenen ihre Vorstellun-gen einbringen, ohne dabei die Kinder zu ma-nipulieren? Damit Erzieherinnen und Erzieher sich zu die-sen Fragekomplexen qualifizieren können,brauchen sie professionelle Unterstützung.Selbst wenn sie schon theoretisch mit Partizi-pationsfragen vertraut sind, geraten sie in Be-teiligungsverfahren immer wieder an Fragen,die im Alltag von Kindertageseinrichtungenund ohne externe Fortbildung und Begleitungnur sehr schwer zu klären sind.

Partizipation ist ein komplexes Thema und dieEntwicklung einer Partizipationskultur in Kin-dertageseinrichtungen ein weitreichender An-spruch. Alle am Modellprojekt beteiligten Kin-dertageseinrichtungen haben erfolgreiche Be-teiligungsprojekte entwickelt. In allenEinrichtungen ließen sich auch über die Pro-jekte hinaus nachhaltige Veränderungen in derpädagogischen Arbeit beobachten. Im folgen-den Abschnitt werden die Projekte aus denModelleinrichtungen vorgestellt.

Was bedeutet Partizipation in Kindertageseinrichtungen?

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Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen

1.2 Partizipationsprojekte aus siebenModelleinrichtungen

Die Beteiligung junger Menschen hat inSchleswig-Holstein mittlerweile schon einelängere Tradition (vgl. Knauer / Friedrich / Herr-mann / Liebler 2004). Kindergartenkinder wur-den dabei vor allem bei Spielraumplanungen,die in der Regel extern moderiert wurden, be-teiligt. Dabei stellte sich heraus, dass viele Er-zieherinnen und Erzieher von der kompeten-ten Mitarbeit „ihrer“ Kinder sehr überraschtwaren – ein Zeichen dafür, dass sie ihnen ei-gentlich weniger zugetraut hatten. Als eineKollegin äußerte, sie müsse aufgrund dieserErfahrung wohl ihre gesamte pädagogischePraxis neu überdenken, entstand die Idee, pä-dagogische Fachkräfte gezielt im Prozess vonBeteiligungsprojekten für Partizipation in Kin-dertageseinrichtungen zu qualifizieren. Ausdieser Idee entwickelte sich das Modellpro-jekt „Die Kinderstube der Demokratie“, dasim Oktober 2001 begann und in sieben Kin-dertageseinrichtungen unterschiedlicher Trä-ger in Schleswig-Holstein durchgeführt wurde.Im Modellprojekt sollten die Erzieherinnenund Erzieher in zeitlich begrenzten und fach-lich begleiteten Projekten positive Erfahrun-gen mit der Beteiligungvon Kindern machen kön-nen, diese reflektierenund in den Alltag der Kin-dertageseinrichtungenübertragen.Die Modelleinrichtungenmussten sich einem Be-werbungsverfahren unter-ziehen. Sie bewarben sichmit einem Thema, das sieaktuell beschäftigte. Sowar gewährleistet, dasses sich in den Projektenum „Ernst-Situationen“handelte, um Themen undEntscheidungen also, dieauch für die Erwachsenenvon Bedeutung waren.

Bei der Auswahl der teil-nehmenden Einrichtungenwurde darauf geachtet,dass unterschiedliche Be-teiligungsthemen be-rücksichtigt wurden. Dabei kristallisierten sichvier Themenbereiche heraus:– Raumplanung (Innenraumgestaltung einer

Kindertageseinrichtung)– Konzeptionelle Entwicklungen (Öffnung;

Umsetzung des Bildungsauftrags)– Institutionalisierte Beteiligungsformen (Ver-

fassungen für Kindertageseinrichtungen)– Gemeinwesenorientierung (Ausarbeitung

von Kinderstadtplänen)Die Teams in den Modelleinrichtungen wur-den in Fortbildungen inhaltlich und metho-disch darauf vorbereitet, die gewählten The-men gemeinsam mit den Kindern zu erarbei-ten. Dabei standen die Fragen, woran und wiedie Kinder beteiligt werden sollten, im Mittel-punkt. In einer „Dialogwerkstatt“ wurde denkommunikativen Aspekten der Kinderbeteili-gung nachgespürt. Die Projekte wurden vonden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ein-richtungen dann eigenständig durchgeführt.Sie wurden im gesamten Prozess begleitetund nach Bedarf unterstützt (vgl. Kapitel 3). Ineiner Steuerungsgruppe tauschten Kollegin-nen und Kollegen aus den Modelleinrichtun-gen und Vertreterinnen der Träger im Laufedes Modellprojekts regelmäßig ihre Erfahrun-gen aus. Ein interministeriell besetzter Beiratbegleitete die Arbeit des Modellprojekts. Nachfolgend wird zunächst der Verlauf dereinzelnen Beteiligungsprojekte dargestellt. Aufden Transfer in den Alltag der Einrichtungengehen wir in den Kapiteln 3 und 4 ein.

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Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen

Städtische Kindertageseinrichtung

Osloring, Kiel: Unsere Kita haben wir

selbst gestaltet

q Der AnlassIm Februar 2000 wurde die Kindertagesein-richtung Osloring durch Brandstiftung teil-weise zerstört. Die Stadt Kiel als kommunalerTräger entschloss sich, neu zu bauen. NachFertigstellung des Neubaus auf dem selbenGrundstück sollten das alte Gebäude abgeris-sen und die Außenanlagen umgestaltet wer-den. Im Hinblick auf § 47 f der Schleswig-Hol-steinischen Gemeindeordnung wurden dieKinder im Frühjahr 2001 an der Planung derAußenraumgestaltung beteiligt (vgl. Hansen2002 b). Im Herbst 2001 zogen 144 Kinderund 18 pädagogische Mitarbeiterinnen fastohne Inventar in die neue, vollkommen leereund kahle Einrichtung.

q Das ThemaWährend der Altbau abgerissen wurde unddie Umgestaltung des Außengeländes be-gann, bot das Modellprojekt der Einrichtungdie Möglichkeit, Kinder und Eltern auch an derInneneinrichtung des neuen Hauses zu beteili-gen. Die Frage, woran die Kinder beteiligtwerden sollten – ob sie lediglich den eigenenGruppenraum oder das gesamte Haus mitge-stalten sollten – beinhaltete die Frage der Öff-nung der pädagogischen Arbeit, eine Frage,die im Team zwar thematisiert (die Gruppentü-ren standen im Allgemeinen offen), jedochbislang nicht offensiv und konzeptionell umge-setzt worden war. Nachdem die Mitarbeiterin-nen pädagogische Anforderungen an dieRäume einer Kindertageseinrichtung formu-liert hatten, die eine Vielfalt an (Bildungs-)An-geboten und Möglichkeiten für unbeobachte-ten Rückzug umfassten, fiel die Entscheidung,jeden Gruppenraum für einen Funktionsbe-reich zu öffnen, nicht mehr schwer. Bewegenund Kämpfen, Musizieren, Malen, Rollenspie-le, die Begegnung mit den vier Elementen,Pflanzen und Tieren, mit Informationsmedienaller Art, die Möglichkeit zum Bauen, Werken,Basteln und Experimentieren – all das kanneben nicht in einem Gruppenraum stattfinden.

q Der ProzessIm ersten Schritt wurden diese Fragestellun-gen für die Kinder- und Elternbeteiligung präzi-siert. In einer Zukunftswerkstatt wurde einer-seits das Team selbst an der Planung beteiligt,andererseits diente die Auswertung des Pro-zesses der Vorbereitung der Erzieherinnen aufdie Kinderbeteiligung, die annähernd den glei-chen Verlauf nehmen sollte. Die Erzieherinnen

erwarben Beteiligungskompetenzen, indemsie den Prozess selbst einmal erlebten.

Die Kinder wurden (wie bereits bei derAußenraumplanung) in einer Zukunftswerk-statt mit den Phasen Kritik, Phantasie, Ent-scheidung, Planung und Umsetzung beteiligt.Erstaunlich war, dass sich die Elementarkin-der, die schon an der Außenraumplanung be-teiligt waren, noch nach einem Jahr an Detailsdes vergangenen gemeinsamen Prozesses er-innern konnten. Sie erklärten der HandpuppeLilith, wie sie den Spielplatz geplant hatten,dass in der Kritikphase rote Karten „schlecht“und grüne Karten „gut“ bedeuteten. Und aufdie Frage, warum denn der Spielplatz nochgar nicht fertig sei, antworteten sie gelassen:„Der alte Kindergarten muss doch erst weg.“

Dies ist insofern erstaunlich, als im allgemei-nen davon ausgegangen wird, dass eine Um-setzung der Planungen besonders bei kleinenKindern sehr kurzfristig erfolgen muss. DieseKinder zeigten den Erwachsenen, dass sie dieVerwirklichung ihrer Ideen auch über den lan-gen Zeitraum eines Jahres verfolgten.

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Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen

Obwohl die Kritikphase, in der die Erzieherin-nen als „Sekretärinnen“ die Beiträge der Kin-der wertfrei aufnahmen, sich inhaltlichschwierig gestaltete – „Was sollen sie auchkritisieren, wenn es noch gar nichts gibt?!“ –war die lange Wäscheleine mit den roten undgrünen Karten ein imposanter sicht- und greif-barer Einstieg in das Projekt, der vor allemauch den neu hinzugekommenen Kindern sig-nalisierte, dass ihre Meinung gefragt war.Beim nächsten Besuch stürmte ein Mädchenmit der Frage auf den Moderator ein: „Hastdu die Karten schon alle gelesen?“ Er hatte;und dabei war ihm deutlich geworden, dassdie Kinder in dem kahlen Haus die Öffnungpraktisch schon vollzogen hatten, da viele Be-wertungen sich auf andere als die eigenenGruppenräume bezogen.

In der Phantasiephase erlebten die Kinder inkleinen Gruppen einen anschaulichen Diavor-trag mit vielfältigen Anregungen zur Innen-raumgestaltung, in dem sie von einem Kinddurch dessen imaginären Kindergarten geführtwurden. Anschließend arbeiteten sie mit denPapierabzügen der Dias weiter und ergänztendie Anregungen durch eigene Ideen, die siezeichneten oder zeichnen ließen. Die Fotosund die Zeichnungen wurden abschließend zueiner großen Ausstellung zusammengetragenund noch einmal intensiv begutachtet.

In der nun folgenden Entscheidungsphasesetzte jedes Kind mit je drei Klebepunktenpersönliche Schwerpunkte. Favorit war ein-deutig ein Bewegungsraum, in dem gekämpftund geklettert werden kann, gefolgt voneinem Bällebad, einem Laboratorium mitMikroskop, Reagenzgläsern, Trichtern undSchläuchen, einem Aquarium, einer Kuschel-tierhöhle und einem Ruheraum.

Die hohe Bewertung des Ruheraums spiegel-te die Ergebnisse der Teambeteiligung. Dieunruhige Situation der vergangenen Monateund der hohe Lärmpegel in der kahlen Einrich-tung fanden hier ihren Ausdruck – ein deut-licher Hinweis darauf, wie ernsthaft und stim-mig Kinder ihre Bedürfnisse einbringen kön-nen.

Insgesamt gingen 68 Vorschläge in die Be-wertung ein – zu viele, um im Einzelnen reali-siert zu werden. Eine Arbeitsgruppe, beste-hend aus je einem Kind und einer Erzieherinaus jeder Gruppe, sortierte in der Planungs-phase die Vorschläge nach Gemeinsamkeiten,oder im Fachjargon: clusterte sie. Dieser ab-strakte Vorgang wurde für die Kinder sinnlichnachvollziehbar, indem sie die Bilder an ver-schiedene Orte im Raum trugen und dort andie Wand pinnten. So entstanden 14 Aktions-bereiche, die sich zum Teil mit den pädagogi-schen Anforderungen deckten, die die Erzie-herinnen in der Fortbildung erarbeitet hatten.Nun sollten die Gruppen auswählen, welcheBereiche sie am liebsten in ihrem Raum um-setzen wollten. Für jeden Bereich wurde ausden vorsortierten Fotos und Zeichnungen eineCollage hergestellt; jede Gruppe erhielt einenSatz dieser Collagen. In Gruppenkonferenzensuchten die Erzieherinnen gemeinsam mitden Kindern ihre drei Favoriten heraus.

Entscheidung

Phantasie Planung

Kritik

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Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen

Bei der Auswertung unterlief uns ein methodi-scher Fehler, den die zurückhaltende Reaktionder Kinder und die verärgerten Äußerungen ei-niger Kolleginnen unmittelbar offenbarten. Dadie Kinder erschöpft waren und die Verteilungder einzelnen Angebote auf die vorhandenenRäume sich ohnehin nur logisch-abstrakt her-leiten ließ, werteten die Kita-Leitung und dieModeration kurzentschlossen die Wünscheder Gruppen aus und präsentierten die ferti-gen Ergebnisse in einer abschließenden Voll-versammlung, anstatt auch diesen letztenSchritt transparent unter Beteiligung desTeams und der Kinder durchzuführen. SolcheFehler werden in Beteiligungsprozessenimmer wieder passieren – wichtig ist, siewahrzunehmen und als Problem zu benennen,um sie transparent zu machen und künftigumgehen zu können.Letztlich fand das Ergebnis breite Zustim-mung. Die Gruppen- und Gruppennebenräu-me würden künftig jeweils ein Schwerpunkt-angebot haben: Es sollte einen Kreativitäts-und Experimentierraum geben, einen Rollen-spielbereich, einen Puppenraum, ein Medien-center, einen Ruheraum, ein Atelier, eineSchatzkammer, ein Bällebad sowie einen Be-reich für Pflanzen und Tiere. Im Bewegungs-raum sollten verschiedene Kletter-, Tobe- undKampfangebote und in der Halle ein flexibeleinsetzbarer Bühnenbereich entstehen.

q Die ElternAnders als bei der Außenraumgestaltung (hierhatte das Team der Kindertageseinrichtung El-tern aus neun verschiedenen Herkunftslän-dern an der Planung beteiligt) sollten die El-tern aufgrund der Komplexität des Themasund der ohnehin schon hohen Arbeitsbela-stung des Teams nicht in allen Phasen an derGestaltung der Kinderräume beteiligt werden.Allerdings wurde den Eltern in zwei Informa-

tionsveranstaltungen vorgestellt, warum undwie die Kinder beteiligt worden waren undwas dabei herausgekommen war. Sie wurdenum Unterstützung bei der Umsetzung gebe-ten und befragt, was sie für sich selbst in derTagesstätte wünschten. Insbesonderewünschten die Eltern sich eine weniger ein-sichtige Elternecke mit einem Angebot aninternationalen Zeitschriften, Kaffee und Tee.

q Die UmsetzungNach der Gesamtplanung durchliefen die ein-zelnen Gruppen bei der Umsetzung der Pla-nungen den Prozess ein zweites Mal. JedeGruppe hatte sich nun für einen Funktionsbe-reich entschieden. Aber: Was soll außer demFunktionsbereich noch in unseren Gruppen-raum? Wo soll was hin? Was brauchen wir

dafür? Diese Fragen bearbeiteten die Erziehe-rinnen und die Kinder in den folgenden Wo-chen.Die wenigen vorhandenen Möbel wurden hinund her geschoben. Die Ateliergruppe be-suchte die Stadtgalerie, um sich die Einrich-tung der dortigen Ateliers anzusehen. Die Er-zieherin aus dem Infocenter begann mit denKindern eine Bücherei aufzubauen und be-suchte selbst einen Computerkurs. Im Kreativ-bereich fand sich eine von Eltern gespendeteNähmaschine ein. Die Tier-und-Pflanzen-Grup-pe besetzte die ebenfalls von Eltern zur Verfü-gung gestellten Aquarien zunächst mit Papier-fischen. Bestelllisten wurden zusammenge-stellt. Die Ausschreibungen erfolgten. ImSpätsommer trudelten die ersten lang ersehn-ten Pakete ein.

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Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen

AWO-Kindertagesstätte „Hanna Lucas“,

Wedel: Über’s Kinderrestaurant zum

offenen Kindergarten

q Der AnlassDas Team der AWO-Kindertagesstätte „HannaLucas“ in Wedel wollte die Kinder aus derEinrichtung an der Weiterentwicklung des be-reits begonnenen Öffnungsprozesses beteili-gen.

Die Kinder in den beiden Häusern der Einrich-tung hatten bereits die Möglichkeit, zwischenverschiedenen Projektangeboten zu wählen.Jeden Donnerstag trafen sich in der Pulver-straße alle 120 und in der Von-Suttner-Straße55 Kinder, um an einem der von den Erziehe-rinnen und Erziehern angebotenen Projekteteilzunehmen. Die Vorstellung der Projekteund die Projektauswahl durch die Kinder funk-tionierten bereits gut. Team und Kinder warenbegeistert, es wurde darüber nachgedacht,die Kinder an einer Erweiterung der Angebots-struktur zu beteiligen. Als problematischwurde von den Kolleginnen und Kollegen derZeitaufwand für eine Ausweitung der Angebo-te unter den gegenwärtigen Umständen ein-geschätzt.

q Das ThemaDie Frage, die die Erzieherinnen und Erzieheralso zum Zeitpunkt der Teilnahme am Modell-projekt beschäftigte, lautete: Wie soll es mitdem Öffnungsprozess weiter gehen? Überdiese Diskussion kamen die Teams schnellauf die Frage der Raumgestaltung. Die Öff-nung des pädagogischen Konzepts – sowurde im folgenden deutlich – hat auch etwasmit den Handlungsmöglichkeiten in den Räu-men zu tun.

Seit längerem wurde in beiden Häusern dasThema „Kinderrestaurant“ diskutiert. In derVon-Suttner-Straße gab es bereits ein Kinder-restaurant in einem Teil der Eingangshalle. Indiesem Haus stand ein größerer Um- und

Anbau bevor, im Laufe dessen die konzeptio-nelle Umgestaltung eigentlich erst weiterent-wickelt werden sollte. Im Vorgriff auf dieseBaumaßnahme war ein Gruppenraum nacheinem Wasserschaden neu gestaltet wordenund diente allen Kindern als Bewegungsraum.Folglich gab es hier eine „Gruppe ohneRaum“, was zu Konflikten mit besorgten El-tern geführt hatte.

In der Pulverstraße herrschte Uneinigkeit dar-über, ob ein Gruppenraum zum Kinderrestau-rant umfunktioniert werden sollte, um so inden anderen Gruppen Raum für weitere Funk-tionsbereiche zu schaffen. Das hätte zur Folgegehabt, dass eine Gruppe sehr weitgehenddie Verfügung über ihren Raum eingebüßthätte; und dies erschien nur tragbar, wenn dieanderen Gruppen sich ebenfalls auf das Kon-zept der Funktionsräume einlassen würden.

Diese Beschreibung macht deutlich: Das all-gemeine Thema „Beteiligung der Kinder beider Ausweitung des Öffnungsprozesses“ ver-änderte sich, je konkreter die Erzieherinnenund Erzieher sich mit dem Thema auseinandersetzten.Die Bedenken und Befürchtungen der Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter, die dabei wie invielen Beteiligungsprozessen auftauchten,müssen ernst genommen werden. Schließlichsind sie die primären Gestalterinnen und Ge-stalter des Beteiligungsprozesses. Sie sollenim Alltag die Auswirkungen der gemeinsamenEntscheidungen nicht nur er- sondern auchmittragen. In einer Zukunftswerkstatt wurde

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Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen

daher zunächst ein Minimalkonsens darübererarbeitet, wie weit sich die Erwachsenen indieser Einrichtung zu diesem Zeitpunkt aufweitere Öffnungsprozesse einlassen konnten.

q Der ProzessDie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verstän-digten sich darauf, die Gruppenräume fürFunktionsbereiche zu öffnen, aber die Grup-penstruktur („noch!“) nicht aufzugeben. Dieweitreichende Entscheidung über die Einfüh-rung eines Kinderrestaurants in der Pulver-straße sollte im Rahmen des Beteiligungspro-jekts von Kindern, Eltern und Team gemein-sam gefällt werden.Zu Beginn der Kinderbeteiligung bestätigtendie Kinder, dass das Donnerstags-Angebot„toll“ sei. Sie wünschten sich, es solle öfterstattfinden. So gingen sie begeistert auf dieHerausforderung ein, überall in der Einrich-tung Räume zu schaffen, in denen zu jederZeit Angebote gemacht werden könnten.

Die Kinderbeteiligung ähnelte vom Ablauf herweitgehend jener in der Kindertageseinrich-tung Osloring in Kiel. Allerdings entschiedendie Erzieherinnen und Erzieher sich dafür, dieFotos aus dem Diavortrag, die die Phantasieder Kinder anregen sollten, in der Entschei-dungsphase nicht mit in die Ausstellung derGestaltungsideen aufzunehmen. Die Folgewar eine breitere Streuung der Bepunktung;die Attraktivität der Fotos konnte sich nichtauf die Entscheidung der Kinder auswirken.

So gab es in der Pulverstraße nach der Ent-scheidungsphase 116 Vorschläge, die bewer-tet worden waren – das Clustern wurde da-durch nicht einfacher. Aber die Kinder, die inder Arbeitsgruppe daran mitwirkten, über-raschten durch ihre ausdauernde und konzen-trierte Mitarbeit. Es entstanden 14 Bereichemit zum Teil eigenwilligen Titeln wie dem„Kino-Computer-Gameboy-Fernseh-Raum“(mit dem einige Kinder und Mitarbeiter auch

gleich die Forderung nach Übertragung derFußball-Weltmeisterschaft verbanden). DasKinderrestaurant fand viel Zustimmung undwurde um die Idee eines kleinen Ladens odereiner Tauschbörse für Pokémonkarten u.ä. er-weitert. Außerdem eröffneten die Kinderdurch ihre zahlreichen Wünsche, die sich aufdas Außengelände bezogen, eine neue Dis-kussion, die das Team beschloss in einem Folgeprojekt aufzugreifen.

Nachdem im nächsten Arbeitsschritt die Grup-pen ihre Favoriten benannt hatten, setzte sicherneut eine Kleingruppe aus delegierten Kin-dern und Erwachsenen aller Gruppen zusam-men, um die endgültige Verteilung zu diskutie-ren (hier wurde der „Fehler“ aus der Kinderta-geseinrichtung Osloring, die Raumaufteilungohne die Kinder zu machen, also korrigiert).Die Köpfe rauchten. Aber obwohl die logisch-abstrakten Erwägungen insbesondere die Ele-

mentarkinder so sehr anstrengten, dass einigesich bald entzogen, zeigte es sich, dass esrichtig war, das Partizipationsangebot konse-quent aufrecht zu erhalten. Hortkinder kamenin der Arbeitsgruppe auf die Idee, dass dasKinderrestaurant in ihrem Schularbeitenraumentstehen könnte, weil dort ohnehin Stühleund Tische vorhanden waren. Diese Ideewurde dahingehend weiterentwickelt, dass eszwei kleinere Kinderrestaurants geben

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sollte – eines davon im Schularbeitenraum –,so dass keine Gruppe dafür ihren Raum ein-büßen musste. Team und Kinder bejubelten inder abschließenden Vollversammlung lautstarkdas gemeinsam erzielte Ergebnis.In der Von-Suttner-Straße entstand eine leb-hafte Debatte zwischen Kindern und Erziehe-rinnen um die Verteilung der sieben Bereicheauf die vorhandenen Räume. Die Erzieherin-nen waren von der Qualität und der Uner-schütterlichkeit der Beiträge der Kinder beein-druckt. So setzte sich ein Junge argumentativgegen eine Kollegin mit der Forderung durch,den Musikbereich im großen Bewegungsraumunterzubringen. Seine Begründung: „... weilman dann auch tanzen kann, und zum Tanzenbraucht man Platz.“

q Die ElternWährend die Eltern in der Pulverstraße nurschwer zur Mitsprache zu bewegen waren,äußerten die Eltern in der Von-Suttner-Straßeselbstbewusst ihre Bedenken und brachtensich konstruktiv in den Planungsprozess ein.Eine Elterngruppe arbeitete hier parallel zurKinderbeteiligung, trug eigene Zeichnungen

zur Ideenaus-stellung bei undbewertete dieVorschlägegleichberechtigtmit den Kindernund dem Teammit je drei Kle-bepunkten. Sie-ben heterogeneArbeitsgruppenaus Kindern, El-tern und/oderErzieherinnenbegannen so-dann mit derVerwirklichungdes „Box-Turn-

Kletter-Raums“, des „Kuschel-Schmink-Ver-kleidungsraums“, des „Kinderbüros“ usw..

q Die UmsetzungMit Beginn der Umsetzung „stand das Chaosins Haus, kein Karton blieb da, wo er einmalwar“. Inzwischen sind sowohl in der Pulver-straße, als auch in der Von-Suttner-Straße dieUmgestaltungen abgeschlossen. Die Teamshaben einen zusätzlichen regelmäßigen Be-sprechungstermin eingeführt: den „Pädagogi-schen Tisch“. In den neugestalteten Berei-chen wurde die Projektarbeit anknüpfend andie Donnerstags-Angebote wieder aufgenom-men und auf drei Tage erweitert. Nicht nur dieErwachsenen konnten jetzt ihre speziellenFachkenntnisse einbringen und weiter ent-wickeln, auch die ersten Kinder entdecktenschnell „ihre“ Bereiche.

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KiTa Waldstraße e.V., Pinneberg:

Wir haben jetzt eine Verfassung

q Das ThemaDie KiTa Waldstraße e.V., eine Elterinitiative inPinneberg, wollte im Rahmen des Modellpro-jekts in ihren drei Häusern in der Schauenbur-ger Straße, in der Oeltingsallee und in derBahnhofstraße mit insgesamt 160 Kindernund 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in-stitutionalisierte Beteiligungsformen einrich-ten.

q Der ProzessAnders als in den vorangehend vorgestelltenProjekten stand in diesem Fall zu Beginn nichtdie Themenfindung oder die Planung eineskonkreten Beteiligungsprozesses im Vorder-grund. Vielmehr ging es um die Klärunggrundsätzlicher struktureller Fragen von Betei-ligung: Worüber sollen die Kinder auf jedenFall mitbestimmen? Worüber auf keinen Fall?Wie können prinzipiell Entscheidungen ge-meinsam getroffen werden? Anders ausge-drückt: Welche formale Mitbestimmungs-struktur können die Erwachsenen mittragen?

Es liegt auf der Hand: Diese Fragen müssenzunächst die Erwachsenen allein beantworten.Es können eben nicht alle, die künftig partizi-pieren (sollen), an der Entscheidung partizipie-ren, ob und wie partizipiert werden soll.

So glich der erste Tag der Teamfortbildungeiner Verfassunggebenden Versammlung.Dabei standen im Mittelpunkt der Ausein-andersetzungen Fragen, die die pädagogischeZuständigkeit der Erzieherinnen und Erzieherbetreffen: Soll die Teilnahme an Gruppenbe-sprechungen wirklich freiwillig sein? Odermüssen nicht gerade die Kinder, die sich die-sen Sitzungen immer wieder entziehen, ler-nen, sich in der Gemeinschaft zurecht zu fin-den? Können die Kinder künftig mit ihrerMehrheit Konsequenzen, die die pädagogi-

schen Fachkräfte einfordern, aushebeln? Be-denken und Befürchtungen, die sich bereits inden anderen Projekten andeuteten, treten beider grundsätzlichen strukturellen Entschei-dung für eine institutionalisierte Beteiligungs-form offen zu Tage. Sicherheit und Zuversicht gewannen die Kolle-ginnen und Kollegen in dieser Phase durcheine formale Regelung. Entscheidungen soll-ten in den Mitbestimmungsgremien grund-sätzlich nicht gegen die Stimmen aller Er-wachsenen, aber auch nicht gegen die Stim-men aller Kinder getroffen werden. DieErwachsenen vertrauten offensichtlich darauf,dass sie sich in grundsätzlichen Fragen einigwären und ihr gemeinsames Vetorecht für sieunvertretbare Entscheidungen verhindernwürde. Inhaltlich sollte das Mitspracherechtder Kinder lediglich bei übergeordneten Rege-lungen (z.B. gesetzlichen Grundlagen) und (zu-mindest vorerst) bei personalrechtlichen An-gelegenheiten enden. Aber u.a. Tagesabläufe,Raumgestaltungen und auch Kritik am Verhal-ten einzelner Personen – Kinder wie Erwach-sener – sollten künftig gemeinsam bespro-chen werden (können).

Zunächst sollten in allen Gruppen mindestenseinmal in der Woche Gruppenkonferenzenstattfinden. Wenn diese sich eingespielthaben würden, sollten aus allen Kindergrup-pen, aus dem Team und von den Eltern Dele-gierte für die Kinderräte der drei Häuser ge-wählt werden. Diese sollten monatlich tagenund die Angelegenheiten regeln, die das je-weilige Haus betreffen. Zu besonderen Anläs-sen, die die ganze Einrichtung angehen, soll-ten die drei Räte zum Kinderparlament zu-sammentreten.

Team-Reflexion und Planung

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Die ersten Kinderkonferenzen wurden detail-liert vorbereitet: Wo und wann finden siestatt? Wer übernimmt die Moderation? Wiewird der Einstieg ins Gespräch gestaltet? Wel-che Themen werden vorbereitet? Welche Ri-tuale werden eingeführt? In der Dialogwerk-statt wurden Gesprächsregeln zusammenge-tragen und unter den kritischen Blickenbeobachtender Kolleginnen und Kollegen Mo-derationsübungen durchgeführt.

Die ersten Gruppenkonferenzen wurden aufVideo aufgezeichnet. Ein zusätzlicher Fortbil-dungstag diente der gemeinsamen Auswer-tung der sehr unterschiedlichen Erfahrungen.Hier war zunächst die Struktur der Gruppen-konferenz vorgestellt worden, da war bereitseine erste gemeinsame Entscheidung überdas Programm des nächsten Tages getroffenworden, dort war versucht worden, einfachnur miteinander ins Gespräch zu kommen.Eine Konferenz hatte nur fünf Minuten gedau-ert, eine andere 35. Einmal hatte konzentrierteRuhe geherrscht, ein anderes Mal lautstarkeLebhaftigkeit. Vieles hatte bereits gut funktio-niert, manches überhaupt nicht. Es gab vielvoneinander zu lernen und die Kolleginnenund Kollegen nutzten diese Chance.

Die Erzieherinnen und Erzieher erfuhren haut-nah, dass die Kinder sich dann am bereitwillig-sten auf einen Austausch einlassen, wenn einechtes Interesse der Erwachsenen vorhandenist und in ihrer Gestik und Mimik, ihrer Körper-haltung und ihrem sprachlichen Ausdruckspürbar wird ... dass es schwierig und dochso leicht sein kann, die Themen der Kinder zuerkennen und darauf einzugehen ... dass einRedestab dabei hilft, auch die stilleren Kinderzu Wort kommen zu lassen, andererseits aberdie Lebendigkeit eines Gesprächs behindernkann ... dass der Weg, auf dem die Kindersich darauf einlassen, sich zu äußern und ein-ander zuzuhören, zunächst wichtiger ist, alsein kurzfristig erreichtes Ziel ... dass vor derEntscheidung der Meinungsbildungsprozesskommt ... dass die Zielstrebigkeit der Erwach-senen insofern auch eine Falle sein kann.

Die Erzieherinnen und Erzieher gingen be-stärkt und motiviert aus diesem Tag hervor.Sie erfuhren viel Bestätigung und konstruktiveKritik, billigten sich in der Folge v.a. mehr Ge-lassenheit zu, brachten mehr Zeit und Geduldfür den Prozess auf. Die nächsten Gruppen-konferenzen fanden allesamt unter Beobach-tung einer Kollegin oder eines Kollegen auseiner anderen Gruppe statt; die Moderations-

kompetenzen sollten aktiv weiterentwickeltwerden.

q Die UmsetzungBereits in den ersten Konferenzen stauntendie Erwachsenen über die Kinder. In einer Ele-mentargruppe ging es um die Veränderungen,die die Aufnahme einiger neuer Kinder in dieGruppe mit sich gebracht hatte. Nachdem die„alten“ Kinder sich ausführlich – wenn auchnicht immer direkt zum Thema – geäußerthatten und die Erzieherinnen anerkennend be-merkt hatten, wie fürsorglich sie sich um die„neuen“ Kinder kümmern würden, meldetesich erstmals einer dieser Neuen zu Wort:„Ich finde gut, dass ich jetzt hier in die Wawu-schel-Gruppe bin.“ Spontaner Beifall der gan-zen Kindergruppe belohnte diese Bemerkung.

Erprobung und erneute Reflexion

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Partizipationsprojekte aus sieben Modelleinrichtungen

Die Auswahl der Delegierten für die Kinderrä-te verlief nicht überall ohne Komplikationen. In der Oeltingsallee, in der es keine Hortkin-der gibt, hatten die Erzieherinnen – anders alsin den anderen Häusern – vorgesehen, dassalle Kinder, die im folgenden Jahr zur Schulekommen würden, Ratsmitglieder werden sollten. Dieser Vorschlag stieß aber auf denenergischen Widerstand einer Dreijährigen,die vehement ihr passives Wahlrecht einklag-te. Sie fand Gehör bei den anderen Kindernund so wurden auch hier Wahlen durchge-führt.

Die Institutionalisierung der Mitbestimmungsollte während eines gemeinsamen Festesder Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Planung des Festes wurde zur ersten Aufgabedes Kinderparlaments, obgleich dieses nochnicht vollständig zusammentreten konnte, danoch nicht alle Delegierten gewählt waren.

Während des Festes stellte eine Theatergrup-pe aus Elementar- und Hortkindern anhandeines realen Konflikts um die Nutzung des

Bewegungsraums die Funktionen der Kinder-räte vor. Dass die Kinder die Möglichkeiten,die ihnen dieses Gremium bietet, erfasst hat-ten, zeigte sich wenig später in der ersten Kin-derratssitzung in der Schauenburger Straße.Die Kinder stellten das von den Eltern in Folgedes Rindfleischskandals durchgesetzte gene-relle Fleischverbot auf die Tagesordnung underreichten nach zähen, wochenlangen Ver-handlungen, dass Geflügelgerichte wieder indie Speisekarte aufgenommen wurden.

q Die ElternAuch die Eltern wählten Delegierte, die anden Kinderräten teilnehmen. Sollten sie dieBemühungen um die Mitbestimmung der Kinder bis dahin nicht ernst genommenhaben, so änderte sich dies spätestens mitden ersten Ratssitzungen. Eine Mutter äußerte sich sehr erstaunt über die diszipli-nierte und kompetente Beteiligung der Kinderin den Gremien. Vor allem von deren Kommu-nikationskultur könne so manche Gesprächs-runde unter Erwachsenen eine Menge lernen.

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ADS-Kindergarten, Tarp: Ein Ortsplan von

Kindern für Kinder

q Der AnlassDer Kindergarten der ArbeitsgemeinschaftDeutsches Schleswig in Tarp war mit demProjekt „Mit Kinderaugen und –ohren durchTarp“ im Jahr 2000 zweiter Preisträger desDieter Tiemann-Preises für Alltagsdemokratieund Kinderfreundlichkeit. Das Team war alsobereits partizipations- und projekterfahren. Ob-wohl die Projektarbeit aufwändig und anstren-gend war, hatten die Beteiligten sie auch alserfolgreich und befriedigend erlebt. Das Mo-dellprojekt bot also einen willkommenen An-lass, ein anschließendes Projekt zu beginnen.

q Das ThemaDas Team plante, mit den Kindern aus dendrei Elementargruppen einen Ortsplan zu ent-wickeln, der sowohl einheimischen Familienals auch Touristen den Ort aus Kindersichtvorstellen sollte. Um die Bedeutung diesesVorhabens für die 5000-Seelen-Gemeinde her-vorzuheben, sollte frühzeitig die Kooperationmit der Kommunalverwaltung gesucht wer-den.

q Der ProzessEine Ortsplanentwicklung ist ein komplexesund abstraktes Thema, das ein ergebnisorien-tiertes Vorgehen und damit eine stringentePlanung durch die Erwachsenen verlangt. Umdie gruppenübergreifende Koordination desProjekts und den Informationsfluss zu denKindern sicherstellen zu können, wurde einKinderparlament einberufen, an dem alle„Maxis“ teilnahmen. „Maxis“, das sind dieKinder, die im darauffolgenden Jahr zur Schulegehen werden. Während des einjährigen Pro-jekts setzte sich das Team immer wieder zu-sammen, um den Prozess zu reflektieren unddie Planung weiter zu entwickeln.

In den vertrauten Gruppenkonferenzen wur-den die Kinder mit der Idee, einen Ortsplanfür Kinder zu entwerfen, konfrontiert. EineKollegin mimte mit einigen Kindern eine bayri-sche Familie, die mitten in Tarp aus dem Autosteigt und die übrigen Kinder nach einer Über-nachtungsmöglichkeit fragt. Nach dieser Ein-führung ins Thema bildeten die Kinder in denfolgenden Tagen auf vielfältige Weise einenOrt nach, indem sie mit Bauklötzen oderKnete Modelle aufbauten oder mit Klebebandgroßflächig Wegesysteme auf den Fußbodenklebten.

Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt fand einerster Besuch im Sozialausschuss statt, dereigens zu diesem Anlass seine Sitzung in denNachmittag vorverlegt hatte. Die Kinder prä-sentierten ihre ersten Arbeiten, berichtetenvon der konstituierenden Sitzung des Kinder-parlaments und erläuterten die Absicht, einenKinderortsplan zu entwickeln.Die Arbeit konkretisierte sich nun. Es wurdendie Orte gesammelt und gemalt, die den Kin-dern in Tarp wichtig erschienen und die zu-nächst besucht und anschließend in den Orts-plan aufgenommen werden sollten. DieseOrte wurden in den Gruppen bewertet; undim Parlament wurde ausgezählt. Per Fingerab-druck besiegelten die Kinder die Teilnahme anihren individuellen Favoriten unter den insge-samt 20 Ausflügen. Ausflugsziele waren nichtnur Spielplätze, sondern auch die Polizei, derKiosk, an dem es „Naschis“ gibt, der Markt,die Mühle (das Wahrzeichen Tarps) oder derBürgermeister. Die Wege wurden zu Fuß zurückgelegt. Umdie Entfernungen in Kinderschritten nachvoll-ziehbar machen zu können, hatten die Erzie-herinnen einen Schrittzähler angeschafft. Die

Erarbeitung

Zumutung eines Themas

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abstrakte Zahl von 235 Schritten sagte denKindern aber wenig. Sie verlangten daher, aufdem Weg alle zehn Schritte einen Strich aufeinen Block zu machen, so dass sie anschlie-ßend die Anzahl der Striche vergleichen konn-ten. Damit machten die Kinder deutlich, wieabstrakte Vorstellungen konkretisierbar unddamit sinnlich er-fass-bar werden – ein wert-voller methodischer Hinweis für die Kinderbe-teiligung.

Darüber hinaus zeigt das Beispiel auch, wieganz nebenbei mathematische Grundkennt-nisse erworben werden. Da Kindern in Partizi-pationsprojekten immer wieder neue Themenzugemutet werden, bieten diese zahlreicheAnlässe für derartige Bildungsprozesse. Dazugehört auch, dass sich das komplexe Gebildedes Ortes den Kindern im Laufe der Ausflügeimmer mehr erschloss. Als die Kinder die obe-ren Stockwerke der alten Windmühle besich-tigten, deutete ein Mädchen plötzlich aus demFenster. Mit Blick auf das Amt Oeversee riefsie: „Guck mal! Da wohnt der Bürgermei-ster.“

Die Ausflüge wurden fotografisch dokumen-tiert und in der Halle des Kindergartens ausge-stellt. Im Kinderparlament wurden sie ab-schließend in einer Straßenkarte zugeordnet.Die begleitende Erzieherin zeigte den Kindern,wo der Kindergarten in der Karte zu finden istund fragte, ob sie die Mühle finden könnten.Die Kinder antworteten mit einer Gegenfrage:„Wo ist die Eisenbahn?“ Tarp wird durch eineBahnlinie geteilt und die erste Orientierung fürdie Kinder war: Sind wir über den Bahnüber-gang gegangen oder nicht? Eine zweite Orien-tierung suchten sie im Protokollbuch. „Wieviel Schritte war die Mühle noch mal weg?“Nach und nach fanden sich die Kinder in derKarte immer besser zurecht, fanden und kenn-zeichneten die besuchten Orte und klebtendie Fotos neben die Karte. In den Gruppen-konferenzen stellten die Delegierten das Er-gebnis vor.

Die Erzieherinnen spürten, dass die jüngerenKinder „etwas zum Anfassen“ brauchten, umden Transfer vom sinnlich erfahrenen Ort zumabstrakten Symbol nachvollziehen zu können.Sie schlugen vor, nach dem Vorbild von Mono-poly-Junior ein Spiel über Tarp zu erfinden.Gesagt, getan. Es wurden Modelle aller Aus-flugsorte gebastelt und Spielkarten mit Sym-bolen für die Orte entworfen, Teppichfliesenwurden zu begehbaren Spielfeldern, Spielre-geln entstanden. Im Spiel erkannten auch diejüngeren Kinder die besuchten Orte in Tarpwieder.

Im Parlament erhielt jedes Kind einen Orts-plan von Tarp und bemühte sich erneut umOrientierung. Als auf diese Weise ein Ver-ständnis für den Umgang mit einer Karte ge-wachsen war, begann eine letzte abstrakte Ar-beitsphase: Die Legende für den Kinderorts-plan musste geschrieben werden. Die Kinderentschieden, die Symbole für die besuchtenOrte, die sie bereits für das „Tarpoly“-Spielentwickelt hatten, in den Plan zu übernehmenund diktierten den Erzieherinnen beschreiben-de Texte. Schließlich wurde der Kinderortsplanprofessionell layoutet und gedruckt. Die Ko-sten für die Herstellung waren bei lokalenSponsoren gesammelt worden.

Inzwischen waren die Medien auf das Projektaufmerksam geworden. Die lokale Pressekündigte sich an, Radio Schleswig-Holsteinlud die Kinder ins Studio. Das Team bereitete

Dokumentation

Zwischenspiel (didaktische Schleife)

Öffentlichkeit

Fertigstellung

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die Kinder auf die Begegnung mit den Journa-listen vor, indem eine Kollegin sich als Repor-terin „Roberta Rasant“ ausgab und verkleidetdie Einrichtung besuchte, um die Kinder zuinterviewen. Diese durchschauten das Spielaugenblicklich („das ist ja Birgit“), ließen sichaber bereitwillig darauf ein. Roberta Rasantbefragte die Kinder vor laufender Videokameraund erfuhr auf diese Weise, dass sie das Pro-jekt in seinem gesamten Ablauf rekonstruie-ren konnten. Den echten Journalisten begeg-neten sie anschließend äußerst souverän.

Das Projekt endete vor den Sommerferien miteinem Abschlussfest. Höhepunkt des Festeswar eine Familienrallye, die mit Hilfe des Kin-derortsplans durch Tarp führte. Am Tag zuvorwar der Plan öffentlich präsentiert worden;

und es war inzwischen selbstverständlich,dass die Vertreter der Kommunalverwaltungzu diesem Ereignis erschienen. Die Kinderhatten zu ihnen ein persönliches Verhältnisaufbauen können. Sie hatten dem „alten“Bürgermeister zum Abschied ein Tarp-Lied ge-sungen und seiner Nachfolgerin einen Kinder-stuhl für ihr Büro geschenkt, damit bei ihrauch Kinder einen Platz fänden.

Die Mitarbeiterinnen hatten sich immer wie-der selbstkritisch gefragt, ob die ereignisrei-che Projektarbeit ihnen und den Kinderngenug Zeit ließe, die Beteiligung der Kinder inden Alltag zu übertragen. Die Antwort erhiel-ten sie spätestens zu Beginn des neuen Kin-dergarten-Jahrs, als die neuen „Maxis“ unge-duldig fragten, wann denn endlich Kinderparla-ment wäre, sie seien ja schließlich jetzt dieMitglieder. Als sie dann dem Sozialausschussabschließend den Plan vorstellten, zeigte sich,dass auch die Erwachsenen dort ihre Erfah-rungen mit den Kindern in ihren Alltag übertra-gen hatten. Die Vorsitzenden des Kinderparla-ments wurden eingeladen, gemeinsam mitdem Vorsitzenden des Ausschusses die Ver-sammlung zu leiten. Und als der Kindergartenim Vorfeld der Sanierung der gemeindeeige-nen Spielplätze gebeten wurde, die Experten-Urteile der Kinder durch Ortsbegehungen zuermitteln, wurde ihnen ein unmittelbarer Ein-fluss auf das politische Geschehen in der Ge-meinde eingeräumt.

q Die ElternDie Eltern standen dem Projekt zunächst zu-rückhaltend gegenüber. Würde Demokratie inder Kindertageseinrichtung zur Folge haben,dass sie zu Hause auch über alles mit denKindern diskutieren müssten? Die Erzieherin-nen bemühten sich, die Eltern für das Projektzu gewinnen, indem sie die individuellen Bil-dungsfortschritte der Kinder im Projekt beton-ten. Nach und nach wich die Skepsis einerwohlwollenden Zustimmung. An der Vorberei-tung des Abschlussfestes waren Eltern undKinder gleichermaßen beteiligt. Moderiertwurde das Planungstreffen von den Vorsitzen-den des Kinderparlaments.

Als die Einrichtung mit dem Projekt zur Haupt-preisträgerin der „Goldenen Göre“ wurde,eines vom Deutschen Kinderhilfswerk ausge-lobten Förderpreises für die Beteiligung vonKindern und Jugendlichen an der Gestaltungihrer Lebenswelt, waren auch die Eltern vollerStolz auf die vollbrachte Leistung.

Abschluss

Nachwirkungen

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IzzKizz e.V., Itzehoe: Wir zeigen euch

unsere Stadt

q Der AnlassDie Kindertagesstätte des Vereins IzzKizz in It-zehoe hatte außergewöhnlich lange Öffnungs-zeiten und betreute die Kinder in sogenanntenFamiliengruppen, d.h. in vergleichsweise klei-nen Gruppen mit einer Altersmischung vonnull bis sechs Jahren. Viele der 105 Kinderwurden aufgrund dieser besonderen Angebo-te in der Einrichtung angemeldet und kamenaus dem gesamten Stadtgebiet in den Kinder-garten.

q Das ThemaAuch das IzzKizz-Team wollte mit den Kinderneinen Kinderstadtplan entwickeln, mit der In-tention, dass die Stadtteilerkundung den Kin-dern aus der Einrichtung eine eigenständigeOrientierung im näheren und weiteren Umfelddes Kindergartens ermöglichen sollte.

q Der ProzessFür die 16 Erzieherinnen war es das ersteMal, dass sie gemeinsam in einem Projektdes ganzen Hauses zusammenarbeiteten. DasTeam bereitete die gruppenübergreifende Arbeit mit viel Sorgfalt vor. Dabei konzentrier-te sich die Planung auf die strukturellen Vorga-ben und auf die inhaltliche Einführung. Da dasProjekt weniger auf das Ziel einer Stadtplan-gestaltung als auf den Prozess der Ausein-andersetzung mit dem Umfeld ausgerichtetwar, sollten die Kinder den Verlauf des Pro-jekts von Anfang an mitgestalten können.

Für die Kinder begann das Projekt mit einerTheatervorführung der Erzieherinnen. Gleichzu Beginn zeigte sich, dass das große Plenumaller Kinder vielen der Unter-Dreijährigen Un-behagen verursachte. Lautstark machten sieihrem Unmut Luft. Einige Erzieherinnen kehr-ten daraufhin mit ihnen in die Gruppenräume

zurück. Es wäre allerdings vorschnell, dies alsIndiz für einen grundsätzlichen Mangel an Be-teiligungsfähigkeit bei den Krippen-Kindern zudeuten. Die jüngeren Kinder hatten vielmehrlediglich Schwierigkeiten im Rahmen der gros-sen Gruppe. Die Erzieherinnen zogen darausdie Konsequenz, den jüngeren Kindern parallelzu der gruppenübergreifenden Projektarbeitthemenbezogene Angebote im vertrautenKontext ihrer Gruppen zu machen, die diesedann sehr kompetent wahrnahmen.

Im Theaterstück suchte eine Erzieherin, aus-gerüstet mit Handtuch und Schwimmring,nach dem Schwimmbad. Eine andere war mitihrem Roller auf dem Weg zur Bücherei, wosie drei Bücher abgeben wollte. Sie kanntenebenso wenig ihren Weg wie die Erzieherin-nen, die einkaufen oder im Wald spazierengehen wollten. Die Kinder sprudelten über vorHilfsbereitschaft und guten Ratschlägen. Eineder Schauspielerinnen erhielt noch am selbenTag eine handgefertigte Karte, damit sie ihrenWeg zum Schwimmbad finden könne.

In den anschließenden Gruppenkonferenzensprachen die Kinder über das Stück: „Diehaben nicht da hin gefunden ...“ Die Frage,

Zumutung des Themas

Entscheidung für ein Thema

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wie man den richtigenWeg finde, führte zu er-staunlichen Antworten.Man könne eine Lupenehmen und den Spurennachgehen oder einfachmit dem Taxi fahren. Mankönne auch nach demWeg fragen. Einem Kindfiel die Schatzkarte vonder letzten Geburtstags-feier ein. Andere ergänz-ten, es gäbe Landkartenund Seekarten. Als die Er-zieherin anmerkte, dassdiese Karten für Erwach-sene gemacht seien undKinder sie vielleicht gar nicht lesen könnten,erhielt sie zur Antwort: „Dann male ich eine,und wo das Schwimmbad ist, mache icheinen Punkt.“ „Oder ich baue ein Schwimm-bad aus Papier und Pappe.“ Ein Junge mur-melte etwas von einer Eisenbahn auf einerPlatte und Häusern, die man in die Hand neh-men könne. Die Kinder waren begeistert. Siewollten ein Modell bauen.

Eine nicht genutzte Elternecke wurde zur Pro-jektecke umfunktioniert. Dort trafen sich ausjeder Gruppe zwei frisch gewählte Delegierteund eine Erzieherin zur ersten Sitzung des Ko-ordinationsgremiums des Projekts, um dieIdeen aus den Gruppenkonferenzen zu-sammenzutragen. Diese wurden auf Pinnwän-den visualisiert und die Projektteilnehmerin-nen und –teilnehmer aus den einzelnen Grup-pen bewerteten in den folgenden Tagen dieVorschläge mittels Klebepunkten. So entstan-den vier Projektgruppen: die Stadtplan-Grup-pe, die Modellbau-Gruppe, die Memory-Grup-pe und die Theater-Gruppe, denen sich dieKinder nach freier Wahl zuordneten.

q Die UmsetzungMit der Idee für ein Theater-Projekt griffen die

Kinder weniger die Inhalte der Einführungsver-anstaltung auf als deren Form, obwohl sichauch das Thema wiederfand. Bei der Ab-schlusspräsentation des Projekts brachten siedas Musical „Wir haben uns verlaufen“ zurAufführung. Thema, Drehbuch, Dialoge, Lie-der, Kulisse und Requisiten waren von denKindern und den Projektbegleiterinnen ge-meinsam entwickelt worden.

Die anderen drei Projektgruppen begannenihre Arbeit mit Exkursionen in das Umfeld derEinrichtung, ausgerüstet mit Zeichenmaterialoder einfachen Fotoapparaten, die eigens zudiesem Zweck angeschafft worden waren.Ihre Eindrücke verarbeiteten sie auf unter-schiedliche Weise. Die Memory-Gruppe ließ

Aufgabenverteilung

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ihre Fotoimpressionen je zweimal abziehen,verstärkte die Bilder mit Papprücken und lami-nierte sie, so dass ein Itzehoe-Memory-Spielentstand. Die Modellbau-Gruppe fertigte Mo-delle von ihren favorisierten Ausflugsorten.Neben dem Spielplatz waren das u.a. das Poli-zei-Hochhaus und die Papiercontainer hinterdem Supermarkt. Der Kinderstadtplan wandel-te sich auf nachdrücklichen Wunsch der Kin-der entgegen den Vorstellungen der – zu-nächst ein wenig enttäuschten – Erzieherin-nen zu einer Litfasssäulen-Ausstellung. GroßePappkartons, „um die man ’rumgehen kann“,wurden mit den Zeichnungen der Kinder be-klebt. Auf dem Deckel der Kartons war ineinem Stadtplan abzulesen, welche Orte dieKinder dargestellt hatten.

Die Kinder an der Projektplanung und –gestal-tung mitwirken zu lassen, hatte dazu geführt,dass sich die ursprünglichen Ziele des Pro-jekts veränderten. Es war kein Kinderstadtplanentstanden, sondern eine multimediale Prä-sentation der Sicht der Kinder auf ihre Stadt.Das Ziel einer besseren Orientierung im Um-feld der Kindertagestätte wurde eher als bei-läufiges Produkt der zahlreichen Ausflüge er-reicht.

Was sich sehr nachhaltig auswirkte, waren diestrukturellen Neuerungen. Das gruppenüber-greifende Arbeiten hatte zu neuen Kooperatio-nen im Team und zwischen den Erwachsenenund den Kindern geführt. Das Zutrauen zu denKindern war gewachsen. Die positiven Erfah-rungen mit den Öffnungsprozessen und dendifferenzierten Angeboten eröffnete die Mög-

lichkeit zur Modifizierung der Gruppenstruktu-ren. Inzwischen gibt es in der Einrichtungneben den Familiengruppen auch reine Krip-pen- und Elementargruppen. Durch die Ver-vielfältigung des Betreuungsangebots inStammgruppen und gleichzeitiger Öffnung derAngebote im ganzen Haus hofft das Team,den einzelnen Kindern individuellere Bildungs-und Entwicklungsangebote machen zu kön-nen und die Partizipationsmöglichkeiten derKinder insgesamt zu verbessern, ohne dabeiauf die Vorzüge der großen Altersmischungverzichten zu müssen.

q Die ElternDie Eltern haben sich trotz unterschiedlicherAngebote des Teams wenig in das Projekt ein-gebracht, sich aber individuell bei den Grup-penerzieherinnen oder in der Projektecke in-formiert. Die anfängliche Skepsis vieler Elternwich zunehmend einer verhaltenen Zustim-mung.

Veränderung des Themas

Nebenwirkungen

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DRK-Kindertagesstätte Turnstraße,

Elmshorn: Philosophieren mit Kindern

q Der AnlassDie DRK-Kindertagesstätte Turnstraße in Elms-horn hatte sich in vorangegangenen Fortbildun-gen intensiv mit der Umsetzung des Bildungs-auftrags der Kindertageseinrichtungen be-schäftigt. Die 25 pädagogischenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten ver-standen, dass Bildung auf den Selbstbildungs-prozessen der Kinder beruht und die Ausein-andersetzung mit komplexen Anforderungenverlangt. Sie trauten den 145 Kindern – wie dieLeiterin es formulierte – zu, „ernsthafte Ge-spräche über philosophische Themen zu füh-ren“. Wie aber die Antworten der Erwachse-nen auf die Bildungsanstrengungen der Kinderin der konkreten praktischen Umsetzung aus-sehen könnten, warf nach wie vor viele Fragenauf.

q Das ThemaDas Team bewegte zu Beginn des Modellpro-jekts die Frage, wie die Kinder aktiver als bis-lang kund tun könnten, was sie bereits wissenund können. Dahinter verbarg sich nicht nurdie Frage nach den Bildungsthemen, die dieKinder aktuell beschäftigten, sondern auch derWunsch, diese Themen nicht ausschließlichdurch Beobachtung ergründen zu müssen. DieBeobachtung der Kinder belässt diese in derObjektrolle. Die Interpretation der Beobachtun-gen bleibt den Erwachsenen überlassen – mitall den Gefahren einer Fehlinterpretation, diedieser Vorgang mit sich bringt. Erst ein Dialogmit den Kindern gesteht diesen eine Subjekt-rolle zu, die Rolle, Gestalter der eigenen Bil-dungsprozesse auch gegenüber den Erwach-senen zu sein.

Im Projekt wollten die Erzieherinnen und Erzie-her daher Antworten auf folgende Fragen fin-den: Wie treten Erwachsene mit Kindern ineinen Dialog? Wie entsteht ein Austausch überemotionale, soziale und sachliche Kompeten-zen und Interessen? Wie erkennen Erwachse-ne und Kinder gemeinsam, was wer kann undwas wen beschäftigt? Wie entwickeln und ver-folgen sie gemeinsam die jeweils aktuellen Bil-dungsthemen? Und wie können die Prozesseund die Ergebnisse gemeinsam festgehaltenwerden?

q Der Prozess

Erste Antworten auf diese Fragen suchten dieErzieherinnen und Erzieher in einer Analysevon Gesprächen zwischen ihnen und den Kin-dern, wie sie im Alltag von Kindertageseinrich-tungen immer wieder vorkommen. Die Ge-

spräche began-nen mit dererstaunten Reak-tion eines Kindesbei der gemein-samen Betrach-tung einesBuchs oder derErfahrungschmelzendenSchnees auf derHaut. Es ent-stand ein Wech-selspiel von Fra-gen und Antwor-ten, Zuhören undNachfragen.Manchmal ent-wickelte sichdaraus ein

Thema für die ganze Gruppe, ein anderes Malbrach das Kind das Gespräch schroff ab.Staunen, fragen, nachdenken, zweifeln, weiter-denken und das Ergebnis wieder in Frage stel-len – dies sind seit der Antike die Elemente,die den Prozess des Philosophierens ausma-chen. Die Philosophie als akademische Diszi-plin „systematisiert das gesammelte Wissenüber fundamentale Probleme menschlicherExistenz“, schreibt Barbara Brüning (2001).Und sie fährt fort: „Zu diesem Wissen gelan-gen wir nur, indem wir über den Sinn undZweck der Welt nachdenken, d.h. philosophie-ren.“ Nichts anderes machen Kinder in ihremimmer währenden Bemühen, sich die Welt zuerklären. Sie staunen, fragen, denken nach,entwickeln ein vorläufiges Weltbild, beginnendaran zu zweifeln, denken weiter. Könnte das

Themensuche

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Philosophieren mit Kindern also ein Weg sein,gemeinsam zu erkennen, was wer kann undwas wen beschäftigt, um daraus Bildungsthe-men zu entwickeln und zu verfolgen?Die Erzieherinnen und Erzieher schreckten zu-nächst vor dem großen Begriff „Philosophie“zurück, den sie als zu anspruchsvoll empfan-den. Insbesondere die Kolleginnen aus der Krip-pen-Gruppe wirkten eher amüsiert bei der Vor-stellung, mit ihren Kindern einen philosophi-schen Diskurs zu eröffnen und befürchtetenzudem, auf Unverständnis bei den Eltern zustoßen. Aber Philosophieren mit Kindern bedeutet nichtPhilosophie zu lehren, sondern praktisch zuphilosophieren. Philosophieren ist eine Begeg-nung mit sich selbst und mit der Welt. „Ge-setzt in eine Welt voller Geheimnisse, lebt dasKind die Begegnung mit sich selbst und mit derWelt zuerst wie selbstverständlich; es ‚kennt’noch nicht die Welt, auch nicht sich selbst.Beim Philosophieren mit Kindern ereignet sichErkennen: Das, was einfach, ganz ‚natürlich’ dawar, kann nun auch gedanklich ‚er-fahren’ wer-den“ (Wieacker-Wolff 2002, 139). So lassensich auch die Erkenntnisvorgänge bei Krippen-Kindern beschreiben, wenn sie verbale Aus-drucksformen für ihre Weltsichten finden. BeimPhilosophieren mit Kindern geht es also darum,dass Erwachsene ihre Sicht der Welt zurückhal-ten, neugierig sind auf das, was die Kinder zusagen haben, sie ermutigen, ihre Fragen aufzu-werfen, und sie unterstützen, ihre Antwortenzu finden. Es geht darum, mit den Kinderneinen Dialog über ihr Weltwissen zu initiieren. Zögerlich ließ sich das Team auf das Experi-ment ein. Für jede Gruppe wurden die ersten„philosophischen Reisen“ (Wieacker-Wolff) de-tailliert vorbereitet. Was sind Anlass und Themades Gesprächs? Welche Kinder sollen einbezo-gen werden? Wann und wo soll das Gesprächstattfinden? Wie eröffnen die Erwachsenen dasGespräch? Wie soll der Prozess und das Ergeb-nis dokumentiert werden? Die Erzieherinnenund Erzieher übten, offene Fragen zu stellen,die geeignet sind, ein Gespräch in Gang zubringen (vgl. Heesen 1998), und trainierten dieModeration von Gruppengesprächen.

q Die Umsetzung

In den kommenden Wochen wurden wir immerwieder in die Einrichtung gebeten. In den mei-sten Gruppen schienen die ersten Versuche ge-scheitert zu sein. Die Kinder waren nicht aufdie Gesprächsangebote eingegangen. Die Er-wachsenen waren verunsichert. Das aktive undengagierte Team tat sich schwer, sich zurückzu-

halten und abzuwarten. Sie ließen sich jedochimmer wieder ermutigen.Sie beobachteten weiterhin die Kinder, suchtenihre Themen zu ergründen und zu thematisie-ren. Doch die Kinder waren daran gewöhnt,dass die Erzieherinnen und Erzieher ihnen gutvorbereitete Projektangebote machten. So lie-ßen sie sich in einigen Gruppen lange Zeit,bevor sie auf die offenen Fragestellungen ein-stiegen. Dann aber gestalteten sie Projekte mitüberraschenden Inhalten.

Aus den Kampfspielen einiger Jungen wurdeeine wochenlange Auseinandersetzung mitdem Leben der Ritter und Burgfrauen, derenzentraler Gegenstand ein Gefängnis war: eingroßer Pappkarton, in den senkrechte Schlitzegeschnitten wurden, dunkelgrau bemalt undmit dem Stroh ausgelegt, das ein Mädchen ausdem Reitstall mitgebracht hatte. Gefangen, ein-gesperrt zu sein auf engstem Raum, zum Früh-stück nur Wasser und trockenes Brot zu be-kommen – für die Kinder eröffnete das sinnli-che Erleben dieser Situation die Möglichkeit dieThemen „Gefangenschaft“, „Strafe“ und „Aus-grenzung“ auch „gedanklich zu erfahren“ (ohnedas Gefühl der realen Bedrohung aushalten zumüssen). Welche Erzieherin hätte wohl dieseMöglichkeit berücksichtigt, wenn sie das Pro-jekt ohne die Beteiligung der Kinder geplanthätte?

In einer anderen Gruppe nutzten zwei Kinderden Freiraum, den die Zurückhaltung der Erzie-herinnen ihnen bot, um ihr eigenes Thema ein-zubringen. Sie wollten „Kino machen“. Diesmalwaren es die Erwachsenen, die zunächst nichtauf das Anliegen der Kinder eingingen. War dasdenn das Thema der ganzen Gruppe? Doch dieKinder blieben hartnäckig und konnten nicht nurandere Kinder begeistern, sondern beflügeltenauch die Phantasie der Erwachsenen, die balddie Kinder mit der einrichtungseigenen Videoka-

Zwischen Zuversicht und Verunsicherung

Von Rittern, Gefangenschaft und Strafen

Wir machen Kino

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mera einen Film drehen sahen. Die Vorstellun-gen der Kinder waren aber ganz anderer Natur.Die erste Vorstellung, die sie inszenierten, warein „Bilderbuchkino“. Die Bücher wurden vorgroßen, senkrecht gestellten Matratzen – derLeinwand – aufgebaut und die Kinder erzähltendem Publikum ihre Geschichten zu den Bil-dern. Zu den nächsten Vorstellungen gab esbereits Eintrittskarten, Geld, um diese zu er-werben, und selbst zubereitetes Popcorn inselbstgeklebten Tüten. „Kino“ war für siemehr als nur ein Film. Die Bücher wurden balddurch eigene Zeichnungen ersetzt, da siekeine neuen Geschichten mehr hergaben.Schließlich wurden die Bilder an langen Fädenbefestigt und während der Vorstellung um dieMatratzen herumgezogen. Die Kinder hattendie Geschichte des Kinos neu erfunden. Siehatten für sich entdeckt, wie die Bilder laufenlernten.

In einer weiteren Gruppe hatten die Erzieherin-nen mehrere vergebliche Versuche gestartet,mit den Kindern ein gemeinsames Thema zufinden. Als sie den Kindern aber mitteilten,dass sie beobachtet hätten, wie sie sichgegenüberstellen würden, um zu vergleichen,wer größer sei, schienen alle Kinder wie elek-trisiert zu sein. Ein dreijähriger Junge kletterteauf seinen Stuhl und sprudelte los: „Jetzt binich größer gewachsen.“ Ein fünfjähriges Mäd-chen berichtete, sie würde auch im Schlafwachsen, „weil meine Beine dann weh tun“.Die Frage der Erzieherin, warum Menschenwachsen, war den Kindern zu abstrakt. Siekonkretisierte: „Stellt euch mal vor, ihr seidkleine Babys und würdet nicht wachsen.“ Die

Kinder wollten keine Babys sein, weil sie dannWindeln tragen müssten und nicht malenkönnten. Als ein Mädchen begeistert vonihrem drei Wochen alten Bruder erzählte,baten die Kinder: „Kannst du uns dein Babymal zeigen?“ In den nächsten Tagen besuchtedie Mutter mit dem Baby die Gruppe. Die Kin-der vermaßen die Hände und die Füße, stell-ten fest, dass einige doppelt so groß waren

wie das Baby. Von zu Hause brachten sie Ba-byfotos von sich mit, gestalteten eine Bilder-wand und fanden Spaß daran, zu raten, werwelches Baby gewesen sei. Als sie sich derGröße nach zu einem Gruppenfoto aufstellten,stellten sie fest, dass die vierjährige Marie grö-ßer sei als der sechsjährige Max. Sie waren er-staunt, suchten nach Erklärungen. Sie unter-suchten, ob Marie heimlich auf Stelzen stehe,mutmaßten, sie trinke einen Zaubertrank, essemehr Gemüse oder hätte öfter Geburtstag. Dievorläufige Lösung fanden sie eines Tages beimKneten. Mit dem Wachsen müsse es so seinwie mit dem Rollen von Knetgummischlangen:Aus einer kleinen dicken Kugel wird eine be-sonders lange Schlange, wenn sie nur genü-gend lange gerollt wird. Nicht wenige Elternwunderten sich in dieser Zeit über die abendli-che Bitte ihrer Kinder, sie durchs Bett zu rol-len.

Der methodische Zugang des Philosophierensmit Kindern hatte tatsächlich zu den Themengeführt, die die Kinder bewegten. Aus den ver-balen Dialogen hatten sich „handlungsorien-tierte Dialoge“ in Form gemeinsam gestalteterProjekte entwickelt, in denen den Erwachse-nen die Kompetenzen der Kinder sichtbar vor-geführt wurden. Dabei ging es dann längstnicht nur – aber auch – um philosophische In-halte. Die Kinder erschlossen sich gleicherma-ßen naturwissenschaftliche Phänomene.

q Die ElternBevor die Kinder an dem Projekt beteiligt wur-den, waren die Eltern bei einem sehr gut be-suchten Gesamtelternabend über das Projektinformiert worden. In den kommenden Wo-chen verfolgten sie dann interessiert das Ge-schehen in den Kindergruppen. Nach Ab-schluss des Projekts berichtete eine Elternver-treterin, dass auch in den FamilienAuswirkungen spürbar wären. Die Kinderwären selbstbewusster geworden, würdenihre Mitspracherechte deutlicher einfordern.Die Eltern wären viel mehr gefordert, ihre Vor-stellungen zu begründen.

Wachsen ist wie …

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Evangelischer Kindergarten, Quickborn:

Auch wir haben jetzt eine Verfassung

q Der AnlassDer Evangelische Kindergarten in Quickbornwar bereits seit einiger Zeit ein offener Kin-dergarten. Die Stammgruppen hatten zwar„ihre“ Gruppenbereiche, doch waren dieRäume weitgehend funktional gestaltet undwurden zumeist von allen 120 Kindern desHauses nach ihren jeweiligen Interessen ge-nutzt. Zusätzlich boten die 12 Erzieherinnenund Erzieher regelmäßig Projektgruppen an.So gab es beispielsweise eine Schach-AG.

Die Umstellung auf die offene Arbeit hatteauch neue Probleme mit sich gebracht. Dassdie Kolleginnen und Kollegen nicht mehr ein-deutig für „ihre“ Kinder in „ihren“ Räumenverantwortlich waren, führte immer wieder zuSituationen, in denen die Zuständigkeiten so-wohl zwischen Erwachsenen und Kindern, alsauch zwischen den Erwachsenen ungeklärtwaren. Wenn alle das ganze Haus nutzenwollten, musste es auch Gremien geben, indenen derartige Konflikte miteinander geklärtwerden könnten.

q Das ThemaDas Team wollte in Begleitung durch das Mo-dellprojekt ein solches Gremium schaffen.Dazu mussten die Mitspracherechte der Kin-der grundsätzlich geklärt werden. Es sollteeine institutionalisierte Beteiligungsform ein-geführt werden.

q Der ProzessDie pädagogischen Fachkräfte betätigten sichalso während der Teamfortbildung wie bereitsihre Kolleginnen und Kollegen in der KiTaWaldstraße in Pinneberg als Verfassungge-bende Versammlung. Der Prozess glich inweiten Teilen dem in Pinneberg. Auch die Mit-spracherechte, die das Team den Kindernsowie den Eltern einräumte, unterschiedensich kaum. Lediglich die Struktur der Mitbe-

stimmungsorgane wurde den Verhältnissen inder Einrichtung individuell angepasst.

Das Team entschied sich, die Stammgruppennoch einmal zu teilen. Wöchentlich sollten so-genannte Halbgruppenkonferenzen tagen, dieDelegierte wählen sollten. Diese würden dieArbeit der Halbgruppenkonferenzen innerhalbder Gruppe koordinieren. Wenn die Kinderkon-ferenzen und die Delegiertentätigkeit funktio-nieren würden, sollten die Delegierten zu denKinderräten zusammentreten. Da es sowohlam Vormittag als auch am Nachmittag Halb-tagsgruppen, sowie eine Ganztagsgruppe imHaus gab, sollte es je einen Vormittags- undeinen Nachmittagsrat geben. Zu besonderenAnlässen sollten die beiden Räte gemeinsamdas Kinderparlament bilden.

Das Team bereitete die ersten Kinderkonfe-renzen detailliert vor. Wo und wann sollten siestattfinden? Wer würde moderieren? Wiewürde protokolliert werden? Welche Ritualeund Gesprächsregeln würden die Erwachse-nen einführen? Welche Themen würden sieansprechen? Wie und wann sollten die Dele-gierten gewählt werden? Wie sollte die Vor-und Nachbereitung der Konferenzen mit denDelegierten erfolgen? Welche Problemewären zu erwarten?

Die Erzieherinnen und Erzieher gingen moti-viert aus der Fortbildung hervor. Beim näch-sten Treffen der Steuerungsgruppe berichteteein Mitarbeiter dann aber, dass allerlei Um-stände sie davon abgehalten hätten, die er-sten Kinderkonferenzen durchzuführen. EineKollegin aus Pinneberg äußerte ihr Verständ-nis – ihnen sei es ähnlich gegangen – und er-mutigte nachdrücklich dazu, einfach anzufan-gen.

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q Beginn der UmsetzungBald darauf fanden die ersten Halbgruppen-konferenzen statt. Die Erwachsenen warenbeeindruckt, wie interessiert und konzentriertsich die Kinder auf die Gespräche einließen.Nachdem in einer Gruppe das Delegiertenprin-zip erklärt worden war, begann ein Junge inden folgenden Tagen ungeduldig die Wahl ein-zufordern. Er teilte mit, dass er kandidierenwolle und forderte die Kinder auf, ihn zu wäh-len. Die Erzieherinnen und Erzieher gabenschließlich seinem Drängen nach. Wahlplakatewurden hergestellt. Die Kinder gaben einzelnin einem besonderen Wahlraum ihre Stimmeper Klebepunkt ab. Bei der Auszählung stelltesich heraus, dass der Junge tatsächlich ge-wählt worden war. Als er abgeholt wurde, teil-te er stolz mit: „Mama, ich bin jetzt Politiker!“

Dass nicht nur er seine neue Rolle ernstnahm, erfuhr er in einer der nächsten Halb-gruppenkonferenzen. Die Kinder hatten dortdie Gelegenheit, ihre Ideen für die Neugestal-tung eines Teils desAußengeländes aufzu-zeichnen. Ein Dreijähriger,der damit Schwierigkeitenhatte, ging schnurstracksauf ihn zu. „Du sollst dasfür mich malen; du bistdoch der Politiker!“

Bevor die Räte das ersteMal zusammentretenkonnten, endete das Kin-dergartenjahr und vieleDelegierte verließen dieEinrichtung in RichtungSchule. Die institutionali-sierte Beteiligung hattesich noch nicht verfestigt,

weder bei den Erwachsenen, noch bei denKindern. Anders als in Tarp, wo die jüngerenKinder die Arbeit ihrer Delegierten ein ganzesJahr lang beobachtet hatten, forderten die Kin-der in Quickborn nach der Sommerpausenicht lautstark ihre Beteiligung ein. Und auchdie Erzieherinnen und Erzieher wollten zu-nächst abwarten, bis die vielen neuen Kindersich in der Einrichtung zurechtgefunden hät-ten – ohne zu bedenken, dass gerade die Ge-sprächsrunden in den Halbgruppen dieses Zu-rechtfinden erleichtern und im Kindergartenerfahrene Delegierte den neuen Kindern hilf-reich zur Seite stehen könnten. Beim letztenTreffen der Steuerungsgruppe wurde den Kol-leginnen und Kollegen diesbezüglich noch ein-mal Mut gemacht.

Da dieses Projekt im Modellprojekt als letztesstartete, konnten die Prozesse in der Einrich-tung im Laufe des Projekts nicht bis zumEnde verfolgt werden.

q Die ElternDie Elternvertretung und die Elternschaft dereinzelnen Gruppen wurden frühzeitig über dasProjekt informiert. Die Zustimmung war vorallem bei den Elternvertretern groß. Sie warenbereit, Delegierte für die Kinderräte zu wäh-len, hatten dies aber bis zum Ende des Mo-dellprojekts noch nicht getan. Allerdings hatteauch noch keine Notwendigkeit dazu bestan-den.

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Motive für Partizipation – zwischen Nützlichkeitserwägungen und Grundrecht

1.3 Motive für Partizipation – zwischenNützlichkeitserwägungen undGrundrecht

Partizipation in Kindertagesstätten ist – daszeigen die beschriebenen Projekte in den Mo-delleinrichtungen – ein lohnendes Unterfan-gen. In den Beteiligungsprojekten haben dieKinder viel gelernt (vgl. Kapitel 2), konnten dieErzieherinnen und Erzieher ihre pädagogischeArbeit weiterentwickeln (vgl. Kapitel 3) unddie Einrichtungen ihr Profil schärfen (vgl. Kapi-tel 4). Die Projekte wurden von der kommuna-len Öffentlichkeit wahrgenommen; die Kinderund die Kindertageseinrichtungen erhieltenviel Lob für ihre Leistungen.

Kinder als Subjekte ernst zu nehmen, ihreWünsche zum Ausgangspunkt pädagogischerTätigkeit zu machen und ihnen ein Beurtei-lungsrecht über die Qualität der pädagogi-schen Arbeit zuzugestehen folgt einer Argu-mentation, die in der Jugendhilfe als dienstlei-stungstheoretische Begründung vonPartizipation seit den 1990er Jahren zu beob-achten ist (vgl. Schnurr 2001). Die dienstlei-stungstheoretische Debatte in der SozialenArbeit, die für die Jugendhilfe insbesondereim achten und neunten Jugendbericht ausge-führt wurde, plädierte für eine neue Rolle desKlienten der Jugendhilfe als Subjekt. Damitwurde die Beteiligung von Kindern und Ju-gendlichen in allen sie betreffenden Angele-genheiten zentraler Bestandteil moderner Ju-gendhilfekonzeptionen. In diesem Zusammen-hang spielte insbesondere die Hoffnung aufeine größere Effizienz von Jugendhilfemaß-nahmen eine wichtige Rolle. Angebote, dieden Bedarfen der jungen Menschen entspra-chen, würden – so die Vermutung – größereWirkung entfalten. In der Folge schien sich zubestätigen, dass Planungen, in die Kinder undJugendliche als „Experten in eigener Sache“eingebunden waren, kindgerechter waren.Konnten die Kinder und Jugendlichen Einflussauf die Inhalte der pädagogischen Arbeit neh-men, war diese häufig erfolgreicher, weil sieals Co-Produzenten sich ernsthafter auf dieProzesse einließen. „Partizipation führt dazu, dass die pädagogi-sche Arbeit besser wird!“ – so könnte auch inKindertageseinrichtungen ein Werbespruchfür Beteiligung lauten. Auch wenn dieser Satz stimmt, ist er dochgleichzeitig problematisch. Partizipation wirdhier vom Ergebnis her bewertet. Sie wird alssinnvoll betrachtet, weil sie erfolgreich ist. Beidieser Argumentation stehen Nützlichkeitser-wägungen im Vordergrund.Wer aber bewertet Erfolg? Was passiert,

wenn die Beteiligung sich nicht als nützlich er-weist, weil die Kinder etwas anderes wollenals die Erwachsenen? Auf einer Tagung brach-te eine Jugendliche diese Schwierigkeit indem Satz auf den Punkt: „Mich interessiertnicht, ob sich eine Gemeinde ein Schild ‚Kin-derfreundliche Region’ an den Ortseinganghängen darf, was auch immer das dann be-deutet. Uns interessiert, ob wir tatsächlichernst genommen werden“ (Knauer /Friedrich / Hermann / Liebler 2004). SolangeErwachsene Partizipation vor allem unter demAspekt bewerten, inwiefern sie eigenen Zie-len nützt, bleibt sie ein methodisches Kalkül.Erst, wenn Erwachsene Kindern die Teilhabeam eigenen Leben von vornherein als Rechtzugestehen, hat Partizipation eine Basis. Ste-fan Schnurr spricht in diesem Zusammenhangvon demokratietheoretischen Begründungenfür Partizipation (vgl. Schnurr 2001).In Kindertageseinrichtungen spielen beide Be-gründungsschemata eine Rolle bei der Ent-scheidung für Partizipation.

Partizipation in Kindertageseinrichtungen

hat positive Effekte

Die Beteiligung der Kinder ist für eine erfolg-reiche Arbeit in Kindertageseinrichtungen ausvielerlei Gründen nützlich. Sie ist daher in denpädagogischen Konzepten frühkindlicher Erzie-hung seit dem Situationsansatz grundlegenderBestandteil, auch wenn sie nicht immer be-grifflich explizit hervorgehoben wurde. Im Si-tuationsansatz spielt Partizipation seit jehereine zentrale Rolle – etwa bei der Erkundungvon Schlüsselsituationen und der Unterstüt-zung der Selbständigkeit der Kinder. Auch diezur Zeit diskutierten Bildungskonzepte gehenvon einer Beteiligung der Kinder aus (vgl. Ka-pitel 2).Die folgende unvollständige Aufzählung machtdeutlich, wie breit der Nutzen ist, der für dieKindertageseinrichtungen durch erfolgreichePartizipation entstehen kann:– Partizipation der Kinder ist eine Vorausset-

zung für Bildungsunterstützung. Sie hilft Kin-dern, sich die Welt zu erschließen. OhnePartizipation würden Kinder in ihren Bil-dungsbemühungen behindert.

– Die Expertenschaft der Kinder in eigenerSache ist nutzbringend für zielgruppenorien-tierte Planungen (Planungen von Raumge-staltungen, zeitlichen Strukturen, inhaltlichenFragen). Wenn sie unterstützt werden, kön-nen Kinder wertvolle Hinweise und Verbes-serungsvorschläge für Planungen geben, diesie betreffen. Diese Expertenschaft nicht zunutzen, hieße, Ressourcen zu vergeben.

– Das Ziel einer bedarfs- und lebensweltorien-

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Motive für Partizipation – zwischen Nützlichkeitserwägungen und Grundrecht

tierten Arbeit in Kindertageseinrichtungen istauf Partizipation angewiesen. Die Sicht derKinder (und der Mütter und Väter) kann nurin die Arbeit einfließen, wenn sie bekannt

ist. Partizipation ermöglicht, die Perspektiveder Kinder und Eltern für die Arbeit nutzbarzu machen.

– Frühe Beteiligung erleichtert Kindertagesein-richtungen damit, ihre Integrationsfunktionzu erfüllen. Nur durch Beteiligung gelingt es,die Lebensrealität der Kinder und ihrer Fami-lien zum Ausgangspunkt pädagogischer Ar-beit und sozialpädagogischer Unterstüt-zungsleistungen zu machen.

– Durch Beteiligung wird die Kindertagesein-richtung zum Haus der Kinder (und begrenztauch der Mütter und Väter). Mitentschei-dung ist verbunden mit Mitverantwortung.Partizipation erhöht damit die Identifikationder Kinder (und der Eltern) mit der Kinderta-geseinrichtung.

– Wenn in Partizipationsprojekten Fragestel-lungen aufgegriffen werden, die aus der Ein-richtung herausführen, werden Kindertages-einrichtungen auch öffentlich sichtbarer.

Kontakte zur Kommunalverwaltung und –po-litik, die Zusammenarbeit mit nicht-pädago-gischen Institutionen in der Kommune füh-ren dazu, dass die Kindertageseinrichtungbekannter – und damit nicht selten auchwichtiger – wird.

– Über erfolgreiche Partizipationsprojekte wirdgerne in den Medien berichtet. Auch dieserhöht den Bekanntheitsgrad der Einrich-tung.

– Schließlich hat auch die Politik Partizipationals wichtige Chance früher politischer Bil-dung entdeckt. Erfahren Kinder Beteiligungschon früh, so hofft man, werden sie sichmit zunehmendem Alter stärker für Politikinteressieren und sich hier engagieren. Werfrüh beteiligt wird, geht später zu Wahlen,ja, arbeitet vielleicht sogar in einer politi-schen Partei mit – diese Hoffnung habenPolitikerinnen und Politiker, wenn sie sichauf das Thema Partizipation in Kindertages-einrichtungen einlassen.

Die Partizipation von Kindern kann, so zeigendiese Beispiele und so wurde auch im Modell-projekt deutlich, für die Kindertageseinrich-tung eine wertvolle Unterstützung ihrer Arbeitsein.

Partizipation muss den Kindern als Recht

zugestanden werden

Partizipation sollte den Kindern aber nicht pri-mär (oder nicht nur) aus diesen Erwägungenheraus zugestanden werden. Erschließt mandas Recht auf Beteiligung von den Ergebnis-sen her, führt man genau dieses Recht ad ab-surdum. Haben junge Menschen kein Rechtauf Beteiligung, wenn sich die Wahlbeteili-gung nicht nachweisbar erhöht? Haben Kinderkein Recht die Räumlichkeiten mitzugestalten,wenn die Erwachsenen mit den Ergebnissennicht zufrieden sind? Der Lüneburger Pädago-ge Waldemar Stange pointiert diese Fragestel-lung in der Feststellung: „Wenn man Leutendie Freiheit lässt zu denken, dann muss manauch damit rechnen, dass etwas ’raus kommt,was man sich vorher nicht gedacht hat“(Reise / Plöger BRD 1996). Partizipation ist ge-rade dadurch gekennzeichnet, dass man sichauf offene Situationen einlässt und der Pro-zess der Willensbildung gemeinsam erfolgt.Das Recht auf Beteiligung beinhaltet sogardas Recht, sich nicht zu beteiligen. Partizipa-tion kann nur als freiwillige Beteiligung erfol-gen, genauso wie politisches Engagementsich in einer Demokratie nur als freiwilligesEngagement entfalten kann. Dieser Freiwilligkeit auf Seiten der Kindersteht aber eine Pflicht der Pädagoginnen undPädagogen gegenüber, Kinder zu beteiligen.

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Motive für Partizipation – zwischen Nützlichkeitserwägungen und Grundrecht

Junge Menschen zu beteiligen ist an verschie-denen Stellen gesetzlich sanktioniert. „Kinderund Jugendliche sind entsprechend ihremEntwicklungsstand an allen sie betreffendenEntscheidungen der öffentlichen Jugendhilfezu beteiligen“, so lautet § 8, Satz 1 KJHG.Hier ist nicht formuliert: Kinder und Jugendli-che sind zu beteiligen, wenn damit die Zieleeiner Institution leichter erreicht werden kön-nen. Partizipation ist ein Recht junger Men-schen unabhängig von Effektivitäts- und Effi-zienzüberlegungen. Partizipation gesteht Kindern (und Erwachse-nen) eigene Wege und vor allem Umwege zu(die sich im Nachhinein häufig gar nicht alsUmwege erweisen). Partizipation als Rechtvon Kindern beinhaltet damit auch Eigen-Mächtigkeit, Wider-Borstigkeit und Selbst-Be-stimmung. Partizipation im demokratietheoretischen Diskurs zielt auf Mündigkeit (vgl. Griese 2003,25) und damit auf die Fähigkeit zur Selbstbe-stimmung. Mündigkeit und Selbstbestimmungkann allerdings nicht didaktisch oder curricularhergestellt, sondern nur selbsttätig errungenwerden. Der Situationsansatz hat dieses er-kannt, indem er Autonomie neben Solidaritätund Kompetenz zu einem pädagogischenRichtziel erklärt hat, das vor allem durch Betei-ligung zu erreichen ist. „Durch Anerkennungihrer unterschiedlichen Vorerfahrungen undAusdrucksweisen ermutigen Erzieherinnen dieKinder sich an gesellschaftlichen Prozessen

gestaltend zu beteiligen. Eigensinn und Ge-meinsinn gehören zusammen“ (Preissing2004, 7). Die Notwendigkeit des Eigen-Sinnsbetont auch Hartmut von Hentig (2000, 68),wenn er fordert: „Lasst die jungen Menschenihren Weg gehen, gängelt nicht, zensiertnicht, wisst nicht besser – das verschüttet diemögliche Erneuerung, die Chance, die der Ge-nerationenwechsel für jede Gesellschaft insich trägt“.Indem Kinder beteiligt werden, wird ihneneine Mündigkeit unterstellt, über die sie ent-wicklungs- und statusbedingt noch gar nichtverfügen. Benedikt Sturzenhecker (2004, 11f.) verweist auf diese „kontrafaktische Mün-digkeitsunterstellung“ als Arbeitsprinzip offe-ner Jugendarbeit. Auch Kindertageseinrichtun-gen arbeiten mit diesem Prinzip, wenn sieKinder beteiligen. Sie trauen ihnen Mündigkeitund Verantwortung zu, ermuntern sie zu eige-nen Wegen und zu Vertrauen in die eigenenEntscheidungsfähigkeiten.

Die hier dargestellten Widersprüche könnenauch als Motivationsparadox von Partizipationbezeichnet werden: Gelingt es Kindertages-einrichtungen die Partizipationschancen derKinder (wie auch der Mütter und Väter) zu er-höhen, können sie auf positive Effekte hoffen.Dies gelingt aber nur, wenn Partizipation nichtMittel zum Zweck wird und die Beteiligungder Kinder unabhängig von den Ergebnissenals Recht begriffen wird.

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„Das könnt ihr gar nicht allein bestimmen ...“ – Beteiligung als Chance und Herausforderung für Kinder

Im Modellprojekt „Die Kinderstube der Demo-kratie“ ging es in mehrfacher Hinsicht um Par-tizipation:– Partizipation von Kindern und die Fähigkeit

und Bereitschaft von Erwachsenen, sie zubeteiligen, waren Ziele des Projekts. Es soll-ten Verfahren entwickelt werden, Kinderschon frühzeitig auf die Teilhabe in einer de-mokratischen Gesellschaft vorzubereiten.

– Schon zu Beginn des Modellprojekts standfest, dass Kinder in Kindertageseinrichtun-gen Demokratie nur lernen, indem sie sie all-täglich erleben (vgl. Doyé / Lipp-Peetz 1998;Kazemi-Veisari 1998; Knauer / Brandt 1998).Daher bestimmten Partizipationsverfahrenauch die didaktisch-methodische Konzeptionder Projekte in den Modelleinrichtungen.

– Inhaltlich ging es in den Projekten auch (inden beiden Einrichtungen, die sich Verfas-sungen gaben), aber längst nicht nur umPartizipation. Wir gingen davon aus, dass po-litische Bildung in den Projekten nicht nur imZusammenhang mit politischen Inhaltenstattfinden würde, sondern in der Ausein-andersetzung mit jedem beliebigen Thema(vgl. Kapitel 2.3). Wir luden die Einrichtungendaher ein, ihre Themen mitzubringen undunter Beteiligung der Kinder zu erarbeiten.

Die inhaltliche Vielfalt der Beteiligungsprojek-te, die sich aus diesem Vorgehen ergab, eröff-

nete uns einen Blick über Aspekte politischerBildung hinaus auf die Zusammenhänge vonPartizipation mit frühkindlichen Bildungspro-zessen im allgemeinen. Auch wenn wir Partizipation in erster Linie alsGrundrecht von Kindern und Jugendlichen ver-stehen, sich kritisch handelnd mit den Vorga-ben der Erwachsenen-Welt auseinander zusetzen, wird es im folgenden Kapitel zunächstdarum gehen, welche Erfolge Kinder durchPartizipation erleben können und welcheChancen ihnen Partizipation eröffnet. Dabeinähern wir uns der Perspektive der Kinderdurch die Brille der beteiligten Erwachsenen:Was haben die Kinder aus der Sicht der Erzie-herinnen und Erzieher in den Projekten ge-lernt? Und welche Bedeutung haben diese Zu-gewinne im Hinblick auf Herausforderungen,mit denen der gesellschaftliche Wandel jungeMenschen heute konfrontiert? Im Verlauf desModellprojekts wurde dabei immer deutlicher:Die Partizipation der Kinder ist der entschei-dende Schlüssel zu individuellen Bildungsfort-schritten und zu einer nachhaltigen demokrati-schen Bildung. Diese Zusammenhänge wer-den im zweiten und dritten Abschnitt diesesKapitels dargestellt. Zum Abschluss des Kapi-tels stellt sich die Frage, wie derart erfolgver-sprechende Bildungsprozesse gefördert wer-den können, mit anderen Worten: Was brau-chen Kinder, um sich beteiligen zu können?

2. „Das könnt ihr gar nicht allein bestimmen ...“ – Beteiligung als Chance und Herausforderung für Kinder

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Was die Kinder in den Projekten gelernt haben

2.1 Was die Kinder in den Projektengelernt haben

Der gesellschaftliche Wandel zur Informa-tions- und Wissensgesellschaft lässt das Wis-sen immer schneller veralten. Es scheintimmer weniger möglich, junge Menschen miteinem Grundlagenwissen auszustatten, aufdas sie ein Leben lang zurückgreifen können.Kommunikationsfähigkeit und lebenslangeLernfähigkeit werden zunehmend wichtiger.Seit Mitte der siebziger Jahre des vergange-nen Jahrhunderts setzt sich daher in denLehrplänen der schulischen und beruflichenBildung der Kompetenzansatz gegenüber derFormulierung eines Wissenskanons durch.Dieser Wandel spiegelt sich im Bereich derfrühkindlichen Bildung und Erziehung wider inder Entwicklung des Situationsansatzes in den1970er Jahren aus dem „Curriculum SozialesLernen“ (vgl. Deutsches Jugendinstitut1980/1981; Deutsches Jugendinstitut / Ar-beitsgruppe Vorschulerziehung 1973). Zu Be-ginn des 21. Jahrhunderts fragt die Experten-gruppe des „Forum Bildung“ in der Bund-Län-der-Kommission für Bildungsplanung undForschungsförderung wieder danach, was Kin-der, Jugendliche und Erwachsene heute ler-nen müssen, um jene Kompetenzen zu ent-wickeln und zu erwerben, die in Zukunft benö-tigt werden.

Die Expertengruppe identifiziert drei Zieldi-mensionen von Bildung, die untrennbar mit-einander verbunden sind: die Entwicklung derGesamtpersönlichkeit, die Teilhabe an der Ge-sellschaft und Beschäftigungsfähigkeit. „DieHerausforderungen des technischen und sozi-alen Wandels führen zunehmend dazu, dasssich die Anforderungen an die Beschäfti-gungsfähigkeit (Qualifizierung für den Arbeits-markt) immer mehr in Bereiche ausdehnen,die traditionell eher dem Bereich Gesamtper-sönlichkeit zugerechnet wurden (z.B. sog. per-sonale und soziale Kompetenzen). Persönlich-keitsentwicklung wiederum umfasst nicht nurdie individuelle Selbstentfaltung, sondern auchdie Fähigkeit, Verantwortung für andere unddie Gemeinschaft zu übernehmen. Ohne einevielseitig entwickelte Gesamtpersönlichkeitmit ausgeprägten Kompetenzen für persönli-ches und soziales Handeln ist Beschäftigungs-fähigkeit heute nicht mehr denkbar; umge-kehrt ist die Fähigkeit, den eigenen Lebens-unterhalt zu sichern, eine notwendigeVoraussetzung für die Entfaltung der eigenenPerson und für die Teilhabe an der Gesell-schaft“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2002, 4).Bildungsziele werden in diesem Verständnisals komplexer – wenngleich angesichts der ra-

santen Entwicklungen offener – Katalog vonSchlüsselkompetenzen definiert, von denendie personalen und sozialen Kompetenzen zu-nehmend an Bedeutung gewinnen (vgl. auchKuwan / Waschbüsch 1998, 53 f.).Schlüsselkompetenzen für die Bewältigungeiner unkalkulierbaren Zukunft werden häufigzusammenfassend als „Handlungskompe-tenz“ bezeichnet. In Anlehnung an die Rah-menlehrpläne für die beruflichen Schulen, dieauf die Entwicklung von Handlungskompetenzausgerichtet sind, wollen wir Handlungskom-petenz im Folgenden verstehen als die Fähig-keit und Bereitschaft des Menschen, in priva-ten, gesellschaftlichen und beruflichen Situa-tionen psychisch stabil und persönlichdurchdacht (Selbstkompetenz), kommunikativund sozial verantwortlich (Sozialkompetenz),sachgerecht (Sachkompetenz) und mit ange-messen Mitteln (Methodenkompetenz) zuhandeln (vgl. KMK 2000, 9).

Im Rahmen des Modellprojekts interessierteuns, welche Lern- und Entwicklungsprozesseder Kinder die Erzieherinnen und Erzieher imZusammenhang mit den Beteiligungsprojek-ten beobachten konnten. Gelang es durch Be-teiligung Kinder anzuregen, ihre Handlungs-kompetenz zu erweitern und zu erproben?Und welche Kompetenzen wurden im Rah-men der Beteiligungsprojekte besonders ge-fördert?

Wir haben die pädagogischen Fachkräfte amEnde des Modellprojekts gefragt, was die Kin-der aus ihrer Sicht im Laufe der Projekte inden Modelleinrichtungen gelernt hätten. Dabeientstand die folgende Liste, die auf den er-sten Blick an die Weltwissen-Listen von Dona-ta Elschenbroich (2001) erinnert.

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Was die Kinder in den Projekten gelernt haben

q Was die Kinder in den Projekten gelernthaben

– Selbständigkeit– Selbstbewusstsein– dass ihnen zugehört wird– dass ihre Meinung wichtig ist– dass ihre Meinung zählt– anderen zuzuhören– Probleme anzusprechen– andere Meinungen zu akzeptieren– mit anderen zusammen Lösungen zu fin-

den– Entscheidungen zu treffen– wie man mit der Muscheltasche abstimmt– gemeinsam aufgestellte Regeln einzuhal-

ten– nach dem Angebot gemeinsam aufzuräu-

men– dass es Regeln gibt und dass trotzdem

nicht immer alles klappt– dass man sich einigen muss– zu fotografieren– zu laminieren– sich zur Wahl zu stellen– für ein Amt zu kandidieren– nicht genug Stimmen zu bekommen– jemanden zu wählen– dass heute eine Sitzung stattfindet, wenn

das Parlamentsschild draußen hängt– eine Sitzung zu eröffnen– eine Sitzung zu beenden– hilfsbereit zu sein gegenüber Kleineren

und Schwächeren– dass man als Politiker etwas für seine

Wähler tun muss– im Gremium für die Gruppe zu sprechen– in der Gruppe zu berichten, was im Gre-

mium beschlossen wurde– die anderen Kinder zu bitten, ruhig zu sein– im Sozialausschuss die Erwachsenen mit

der Klingel zur Ruhe zu rufen– dass auch sie bei der Gestaltung von Räu-

men mitreden können– dass sie etwas verändern können– dass man eigene Ideen umsetzen kann– gemeinsam etwas zu planen und zu orga-

nisieren– zu sägen und zu kleben– systematisch zu überlegen: Was brauche

ich zum Basteln? Wie fange ich an?– andere Kinder an bestimmte Tätigkeiten zu

erinnern

– nicht alles als gegeben hinzunehmen, wasErwachsene sagen

– ihre Bedürfnisse selbstbewusster einzufor-dern

– ein Spiel zu erfinden– das Spiel zu spielen– sich in Tarp gut auszukennen– wo der Bürgermeister wohnt– eine Landkarte zu lesen und zu erklären– schwere Wörter (z.B. Legende)– sie sind selbständiger und selbstbewus-

ster geworden– über den Tellerrand zu gucken– sie haben die Frau vom Radio kennen ge-

lernt– neue Freundschaften zu knüpfen (der Kon-

takt über die Gruppe hinaus von Kind zuKind hat zugenommen)

– in der Gruppe zusammenzuhalten– den Mut sich zu äußern– etwas zu sagen oder auch nicht– klärende Gespräche einzufordern– ihre Mitbestimmung einzufordern– auf ihr Recht zu bestehen (auch gegenü-

ber den Erwachsenen)– eine eigene Meinung der Erwachsenen zu

akzeptieren– Ideen und Anregungen zu geben (zu Spie-

len, Ausflügen, Regeln)– Einfluss zu nehmen– gemeinsam Lösungswege zu erarbeiten– dass es sich lohnt, für eine Sache einzutre-

ten– sie sind selbständiger geworden (im Kin-

derrestaurant wollen sie selbst auffüllen,holen von sich aus Geschirr, wenn wasfehlt)

– etwas nur zu tun, wenn sie selbst esmöchten

– ein Gefängnis zu bauen– wie man eine „Hoppetosse“ baut und

damit im Gruppenraum herumfahren kann– dass Kokosnüsse außen eigentlich grün

sind– Spielregeln einzuhalten– dass Spielregeln auch veränderbar sind– dass es blöd ist, wenn man viel Boss ist,

weil man dann viel aufpassen muss undnicht alles machen kann

– dass es auch blöd ist, wenn man nie Bossist

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Was die Kinder in den Projekten gelernt haben

Kategorisiert man diese Aufzählung mithilfedes Rasters der vier genannten Kompetenzbe-reiche (Selbst-, Sozial-, Sach- und Methoden-kompetenz), fällt auf, dass – im Unterschiedzu Elschenbroichs Listen – die sachlichen Fer-tigkeiten etwas in den Hintergrund treten. Diemeisten der Nennungen bezeichnen Fähigkei-ten aus dem Bereich der Selbst- und Sozial-kompetenz. Das bedeutet allerdings nicht,dass die Kinder in den Beteiligungsprojektenweniger Sachkompetenz erwerben konnten.Es weist vielmehr darauf hin, dass das The-menspektrum der Projekte sehr vielseitig warund die Kinder sich in jedem Projekt nur spezi-fische Sachfragen erschlossen. „Wie maneine Hoppetosse baut“ und „dass Kokosnüs-se außen eigentlich grün sind“, lernten ebennur die Kinder aus der DRK-Kita Turnstraße,die ihr Faschingsfest gemeinsam als Pippi-Langstrumpf-Party planten und organisierten.Und wo der Bürgermeister in Tarp wohnt, er-fuhren im Projekt nur die Kinder aus demADS-Kindergarten.

Ähnlich verhält es sich mit den methodischenFertigkeiten. Nicht alle Kinder haben „mit derMuscheltasche abgestimmt“ oder erlebt, wieein Gremium „mit einer Klingel zur Ruhe geru-fen“ wurde.

Anders sieht es hingegen aus in den Berei-chen der Selbst- und Sozialkompetenz. Immerwieder betonten die Erzieherinnen und Erzie-her, dass die Kinder „selbständiger“ und„selbstbewusster“ geworden seien und dassihre kommunikativen Kompetenzen („anderenzuzuhören“ oder der „Mut sich zu äußern“)und ihre soziale Verantwortung („gemeinsamaufgestellte Regeln einzuhalten“ oder „hilfs-bereit zu sein“) zugenommen hätten.

Die Beteiligungsprojekte – so unterschiedlichsie waren – scheinen in besonderem Maß dieSelbst- und Sozialkompetenzen der Kinder ge-fördert, aber auch themenspezifische Sach-und Methodenkenntnisse vermittelt zu haben.Insofern dürften die Lernerfolge der Kinder inden Projekten den Anforderungen durchausgerecht werden, die aus den Kompetenzan-sätzen abgeleitet werden. Partizipationsprojek-te ermöglichen Kindern das zu erwerben undzu entwickeln, was in einer nicht vorausseh-baren Zukunft von ihnen erwartet wird: Hand-lungskompetenz.

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Partizipation und Bildung

2.2 Partizipation und Bildung Kindertageseinrichtungen werden zur Zeit alsBildungseinrichtungen (wieder-)entdeckt. Dieöffentliche Diskussion der Ergebnisse desinternationalen Schulleistungsvergleichs imRahmen der PISA-Studie forciert dabei – ähn-lich wie in den 1960er Jahren nach dem sogenannten Sputnik-Schock – eine hektischeSuche nach Möglichkeiten, Bildung schon inder frühen Kindheit zu fördern. Hans-JoachimLaewen, der das Modellprojekt „Zum Bil-dungsauftrag von Kindertageseinrichtungen“leitete, bezeichnet dies als „lärmende Varianteder Bildungsdiskussion“ (Laewen 2002 a, 30).Durch frühe Bildungsmaßnahmen in Kinderta-geseinrichtungen – so hofft man – kann schu-lische Bildung auf einer solideren Basis auf-bauen und damit junge Menschen zu höheren(schulischen) Leistungen führen. Dieser Ge-dankengang deutet auf das Bildungsverständ-nis hin, das dieser Diskussion zugrunde liegt.Bildung wird hier als etwas verstanden, das inBildungseinrichtungen (primär in der Schule)vermittelt, verglichen und bewertet werdenkann. Damit wird Bildung vom Ergebnis herfunktionalisiert und in erster Linie als Produktbetrachtet. Nach diesem Verständnis ist Bil-dung bedarfsorientiert gestaltbar. Ein solchesBildungsverständnis verleitet dazu, nach tat-sächlichen oder vermeintlichen Defiziten zusuchen und diese durch Curricula, Trainings,Förderprogramme etc. beheben zu wollen.Daran ändert auch die Verlagerung der Bil-dungsziele von einem Wissenskanon zueinem Kompetenzkatalog wenig. Dieses auf ein Produkt hin orientierte Ver-ständnis von Bildung ist aber zu eng führend –und im Zusammenhang mit Bildung in Kinder-tageseinrichtungen geradezu kontraproduktiv.Der damalige Bundespräsident Johannes Rauwies auf dem ersten Kongress des Forum Bil-dung auf die doppelte Bedeutung von Bildunghin: „Bildung ist [...] die menschliche Formder Weltaneignung und zugleich ihr Ergebnis“(Bundespräsidialamt 2000, 3). Zu fragen wäredemnach nicht nur, was Bildung ist und wel-che Bildung gebraucht wird, sondern vorallem, wie sich Bildung ereignet. Die Aneignung der Welt ist ein aktiver Pro-zess, der ein handelndes Subjekt verlangt. Bil-dung ist „nicht ohne die Kinder selbst zuhaben“ (Laewen 2002 a, 47). Diese Erkennt-nis ist nicht neu. Schon Humboldt begriff Bil-dung als Anregung aller Kräfte eines Men-schen, damit diese sich über die Aneignungder Welt entfalten (vgl. Hentig 1996, 40), undbetonte damit die Beteiligung am eigenen Bil-dungsprozess. Bilden, betont Hartmut vonHentig, ist sich bilden. „Nicht immer sind wir

das Subjekt dieses Vorgangs, und wir sind esauch nicht immer erst am Ende (das es ge-naugenommen gar nicht gibt). Aber der Anteil,den wir selber daran haben, sollte immer grö-ßer werden und nie, auch in den frühen Sta-dien nicht, ausgeschlossen sein, vielmehr:nicht geleugnet werden, denn ‚ausschließen’lässt er sich nicht. Das kleine Kind ist in un-gleich höherem Maße sein eigener Lehrmei-ster, als es später der Schüler sein wird – undvieles davon ist nicht nur Entdeckung undÜbung von Fähigkeiten, sondern deren eigen-tümliche Gestaltung, die ‚sich bilden’ genanntzu werden sehr wohl verdient: in der Sprache,in der Aufmerksamkeit für andere Menschen,im Spiel der Einbildungskraft, in der Empfäng-lichkeit für Musik, für die Schönheit derDinge, für die Rätsel und Wunder der Natur“(Hentig 1996, 39).Dem produktorientierten Verständnis von Bil-dung aus der Perspektive Erwachsener stehtdamit ein Zugang zur Bildung vom Kinde ausgegenüber. Im Mittelpunkt steht die Frage:Wie bildet sich das Kind und welche Unter-stützung benötigt es für seine Bildung? Nichtdas Bedarfsdenken der älteren Generationwird zum Ausgangspunkt der Überlegungen,sondern die Frage danach, was ein Kind über-haupt ist und wie ein Kind sich in Verbindungmit der Welt setzt. Diese Sicht auf Bildungs-prozesse wird durch neue Forschungsergeb-nisse der Bildungsforschung und der Entwick-lungspsychologie bestätigt (vgl. Schäfer 2003;Laewen 2002 a; Gopnik / Kuhl / Meltzoff2000). Ein subjektorientierter Bildungsbegriffhat in der Pädagogik eine lange Tradition.Auch Jean-Jacques Rousseau, Maria Montes-sori oder Janusz Korczak interessierte dieWelt vom Kinde aus. Was sind Kinder? Wiebilden sie sich? Welches pädagogische Ver-hältnis zu Erwachsenen brauchen sie für ihreBildung? Partizipation ist einem solchen Bil-dungsverständnis von jeher immanent (vgl.Knauer / Brandt 1998). In den letzten Jahrenwurde das am selbsttätigen Kind orientierteBildungsverständnis in Kindertageseinrichtun-gen vor allem durch die Rezeption der Klein-kindpädagogik aus Reggio Emilia in der deut-schen Diskussion wieder entdeckt. Die Reggi-aner sprechen vom „Flirt des Kindes mit derWelt“, den es zu unterstützen gilt (vgl. Dreier1999).

q Frühe Bildung ist vor allem Selbst-BildungIn der aktuellen wissenschaftlichen Ausein-andersetzung mit früher Bildung besteht Ei-nigkeit darin, dass die Selbstbildungsprozesseder Kinder die Basis von Bildungsförderung inKindertageseinrichtungen sein müssen (vgl.

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Partizipation und Bildung

Schäfer 2003; Laewen / Andres 2002; El-schenboich 2001). Dies findet sich auch imGemeinsamen Rahmen der Länder für diefrühe Bildung in Kindertageseinrichtungenwieder. „Grundlegende Voraussetzung für dieUmsetzung der Rahmenpläne ist die Wahr-nehmung der Fragen, Interessen und Themender Kinder, denn diese sind mehr als ein An-lass für Beschäftigungsangebote, sie sind viel-mehr Ausdruck des kindlichen Bildungsinte-resses und damit Zentrum der zu planendenAngebote“ (JMK / KMK 2004, 5).

Warum Bildung im frühen Alter nur als Selbst-bildung begriffen werden kann, wird deutlich,wenn man sich ein Neugeborenes vor Augenführt. Ein wenige Tage altes Baby kann nichtim herkömmlichen Sinne unterrichtet werden.Es gibt noch keine direkte Verständigungs-möglichkeit über geteilte Symbole wie Worte,Bilder oder Gesten. „Kleine Kinder sind in derSituation, dass man ihnen kaum etwas bei-bringen kann, weil sie all die Erklärungen nochnicht verstehen, die Leute, die es besser wis-sen, ihnen anbieten können“ (Schäfer 2003,34). Auch Hans-Joachim Laewen betont dieseOhnmacht der Erwachsenen: „Es bestehtkeine Möglichkeit einer direkten Übertragungvon Erfahrung / Wissen / Kompetenzen vomErwachsenen auf Kinder. Zwischen der anzu-eignenden Kultur und dem Kind steht grund-sätzlich eine Konstruktionsleistung des Kin-des. Pädagogik muss deshalb auf die Vorstel-lung verzichten, Kindern (oder Erwachsenen)etwas beibringen zu können“ (Laewen 1999,14).

Und doch ist ein Neugeborenes bestens dafürausgerüstet, sich in dieser Welt zurecht zu fin-den. Es hat all seine Sinne, ein sich noch ent-wickelndes Gehirn und einen unbändigenWillen, die Welt, die es zunächst nur übersinnliche Wahrnehmungen erfassen kann, zuverstehen. Es ordnet seine Wahrnehmungen,bildet Hypothesen über die Beschaffenheitder wahrgenommenen Welt, überprüft diese

Hypothesen, entwickelt sie weiter und ver-sucht so, die Welt für sich zu strukturieren.Kinder gehen „– kaum dass die Nabelschnurdurchgeschnitten ist – ihre eigenen Wege [...]Im tätigen Umgang mit der Welt machen siesich ein Bild von ihr und streben hinsichtlichihrer Bedürfnisse und Interessen mit all ihrenKräften nach Handlungsfähigkeit“ (Laewen2002 a, 53). „Frühkindliche Bildung ist mehr als Aneig-nung“, schlussfolgert Gerd Schäfer (2003,38), und Donata Elschenbroich (2001, 48) be-stätigt: Jedes Kind muss die Welt „neu erfin-den“. Es entwickelt in der tätigen Ausein-andersetzung mit seiner Umwelt in sozialenSituationen seine eigene Bildungsbiographie.Bildung ist bis ins hohe Alter etwas sehr per-sönliches. Neue Zusammenhänge müssenmit dem vorhandenen Wissen in Verbindunggebracht werden. Das ist bei Kindern nicht an-ders als bei Erwachsenen.

q Die Rolle der Pädagogin / des Pädagogenändert sich

Damit verändert sich die Rolle von Pädagogin-nen und Pädagogen im Bildungsgeschehen. Inherkömmlichen Bildungskonzepten wird Bil-dung meist als etwas verstanden, über dasErwachsene verfügen und das sie Kindernvermitteln könnten. Daher findet Unterricht inder Schule in der Regel lehrerzentriert statt.Im traditionellen Bildungsverständnis ist derlehrende Mensch Inhaber des Wissens bzw.Kundiger der Wege zum Wissen. Die Autorin-nen und Autoren des Bildungs-Delphi, einerAuftragsstudie, die die Auswirkungen derWissensgesellschaft auf Bildungsprozesseund Bildungsstrukturen bis 2020 prognosti-ziert, betonen, dass dieses Bildungsverständ-nis künftigem Lernen nur noch eingeschränktgerecht wird. In Zukunft wird es viel mehrdarum gehen müssen, individuelle Lernarran-gements zu gestalten, die Eigeninitiative undSelbststeuerung der Lernprozesse ermög-lichen (vgl. Kuwan / Waschbüsch 1998, 45 f.).Was hier für Schule und Hochschule gefordertwird, gilt umso mehr für vorschulisches Ler-nen. Erzieherinnen und Erzieher werden dieAufgaben von Bildungsbegleitern übernehmenmüssen, die Bildungsprozesse der einzelnenKinder ermöglichen, unterstützen und heraus-fordern. Die (Selbst-)Bildung von Kindern zubegleiten erfordert, Kinder als Subjekte wahr-zunehmen und ihre individuelle Sicht der Weltzum Ausgangspunkt pädagogischer Arbeit zumachen, mit anderen Worten: sie zu beteili-gen. Die Beteiligung der Kinder wird damit zumAusgangspunkt bildungsbegleitender Pädago-

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gik. Die Orientierung an den Interessen derKinder, ihre Beteiligung an allen sie betreffen-den Angelegenheiten wird zum Schlüssel fürBildungsprozesse und Bildungskonzepte. Par-tizipation ist nicht allein ein Ziel neben ande-ren. Partizipation ist der Schlüssel zur Bildung.

q Bildungsförderung verlangt einen Dialogzwischen Erwachsenen und Kindern

Wenn Partizipation der Schlüssel zur Bildungist – welche Konsequenzen lassen sich dannaus dieser Erkenntnis für eine bildungsför-dernde Aktivität der Erwachsenen ableiten?Wie können Erwachsene die Selbstbildungs-prozesse von Kindern ermöglichen, unterstüt-zen, herausfordern, wenn diese doch selberdie Akteure ihrer Bildung sind? Frühkindliche (Selbst-)Bildung ist immer aufdie Mitwirkung von Erwachsenen angewie-sen. Die Basis für die Bildungsaktivitäten vonKindern sind sichere emotionale Bindungenund ein Klima der wechselseitigen Anerken-nung. Erst der Aufbau sicherer Bindungen zu ver-trauten Personen seiner Umgebung ermög-licht es dem Kind, sich aktiv der Welt zuzu-wenden und diese zu erkunden (vgl. Rauh1998, 239 ff.). Ob der Bindungsaufbau gelingt,hängt in erster Linie von den Erwachsenenab. Sie können dem Kind die Botschaft ver-mitteln, die es so sehr ersehnt: „Du bist er-wünscht, und ich werde dich nicht allein las-sen“ (Hrdy 2000, 576).

Auch das Konzept wechselseitiger emotiona-ler, kognitiver und sozialer Anerkennung (vgl.Leu 1998; Honneth 1994) verlangt eine Vorlei-stung der Erwachsenen. Kinder können garnicht anders: Sie lieben, achten und schätzendie ihnen nahe stehenden Erwachsenen,gleich, wie diese sich ihnen gegenüber verhal-ten. „Kinder kooperieren im gleichen Umfangmit konstruktiven wie destruktiven Prozessenin der Familie. Ihre Psyche kann nicht unter-scheiden“ (Juul 1997, 206 f.). Erst wenn dieErwachsenen Kinder als kompetente Subjekteder eigenen Bildungsprozesse anerkennen, er-möglichen sie ihnen, ihre Bildungspotentialeauszuschöpfen (vgl. Laewen 2002 a, 69 ff.).

Um die Bildungsbewegungen der Kinder zuunterstützen und herauszufordern, können Er-wachsene Bildungs-Räume (Innen- undAußenräume, Zeiträume, Situationen …)sowie ihre Interaktionen mit den Kindern sogestalten, dass die Bildungsthemen, die dieKinder umtreiben, beantwortet und ihnen wei-tere Themen, die den Erwachsenen wichtigerscheinen, zugemutet werden (vgl. Laewen2002 a, 79 ff.). Entscheidend für das Gelingendieser Form von Bildungsförderung ist „dieWahl des Dialogs als Form der Interaktion“(Laewen 2002 a, 73).Beate Andres, Mitarbeiterin im Modellprojekt„Zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrich-tungen“, betont, dass Bildung nur als dialogi-scher Prozess zwischen Erzieherinnen / Erzie-hern und Kindern verstanden werden kann.Auch die Gestaltung der Bildungsumgebungdes Kindes „bewegt sich immer auf den Spu-ren der Bildungsthemen der Kinder und istnicht als losgelöster, einseitiger Akt zu verste-hen“ (Andres 2002, 356). Die Kindertagesein-richtung Osloring in Kiel und die AWO-Kinder-tagesstätte „Hanna Lucas“ in Wedel habenim Modellprojekt „Die Kinderstube der Demo-kratie“ eindrucksvoll demonstriert, wie Er-wachsene und Kinder ihre Räume im Dialoggestalten können (vgl. Kapitel 1.2). Die Beantwortung der Themen der Kinder unddie Zumutung auch gesellschaftlich relevanterThemen durch die Erwachsenen sind Teileines Bildungsdialogs, in dem sich Kinder undErwachsene als Subjekte begegnen. Dieser Dialog ist nicht nur als verbale Ausein-andersetzung zu verstehen. „Ein Kind hat 100Sprachen“, sagt Loris Malaguzzi (nach Dreier1999, 15). Der Bildungsdialog beginnt also aufder Seite der Erwachsenen damit, die The-men der Kinder, die diese genauso im Spielwie im Gespräch äußern, wahrzunehmen undzu erkennen. Dazu müssen Erzieherinnen undErzieher die Kinder systematisch beobachten

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und ihre Beobachtungen vor dem Hintergrundentwicklungspsychologischer Kenntnisseinterpretieren können. Die Interpretation dereigenen Wahrnehmung birgt aber stets dieGefahr der Fehlinterpretation. Vermuten Er-wachsene also, ein Bildungsthema der Kindererkannt zu haben, müssen sie sich mit denKindern darüber „verständigen“, ob sie sierichtig verstanden haben. Sie können den Kin-dern antworten, indem sie Spielräume und -si-tuationen gestalten, in direkter Interaktion mitihnen handeln oder sich verbal-kommunikativäußern. Aber erst die Reaktion der Kinder aufdiese Antwort kann ihnen Gewissheit darübergeben, ob sie das Thema der Kinder richtig er-kannt haben (vgl. Schäfer 2003, 126 f.).

In diesem Zusammenhang qualifizieren Partizi-pationskenntnisse Erzieherinnen und Erzieherin besonderem Maße dafür, die Bildungsbe-wegungen der Kinder wirkungsvoll zu unter-stützen und herauszufordern. Partizipations-verfahren dienen stets dazu, einen Dialog zwi-schen Erwachsenen und Kindern zuinszenieren (vgl. Hansen 2004 b, 29 ff.; Klein /Vogt 2000). Die folgenden Beispiele veran-schaulichen, zu welchen Bildungsprozessendie Beteiligung der Kinder führen kann.

Bildung und Beteiligung im Modellprojekt

In allen beteiligten Kindertageseinrichtungennutzten die Kinder die Partizipationsprojektefür beeindruckende Bildungsprozesse. Siesetzten sich ernsthaft, einfallsreich und sehrkompetent mit den Aufgaben und Themenauseinander, die die Projekte ihnen stellten.Stellvertretend für viele andere werden imFolgenden zwei Bildungsgeschichten aus derDRK-Kindertagesstätte Turnstraße in Elmshorndahingehend betrachtet, wie der Bildungsdia-log zwischen den Erwachsenen und den Kin-dern entstand und welche Bildungsprozessesich daraus entwickelten. Sie sind deshalbprädestiniert, diesen Zusammenhang zwi-schen Partizipation und Bildung zu verdeut-lichen, weil die Frage nach der Beteiligung derKinder am Auffinden von Bildungsthemenausdrücklich der Ausgangspunkt des Projektswar. Da eine einfache Befragung der Kinder unterdem Motto „Was interessiert euch beson-ders?“ die Gefahr mit sich gebracht hätte,dass die Kinder lediglich die Inhalte reprodu-ziert hätten, die aktuell bereits thematisiertwaren, hatten sich die Erzieherinnen und Erzieher dafür entschieden, die Kinder zu„philosophischen Reisen“ einzuladen (vgl.Wieacker-Wolff 2002, 139 ff.). Sie wollten mit

den methodisch-didaktischen Mitteln des„Philosophierens mit Kindern“ mit den Kin-dern Dialoge über ihr Weltwissen eröffnen(vgl. Kapitel 1.2).

q Wachsen ist wie … Der Ausgangspunkt der ersten Bildungsge-schichte war eine Beobachtung der Erziehe-rinnen. Ihnen war aufgefallen, dass viele Kin-der in der Gruppe immer wieder ihre Größeverglichen. Das Thema „Wachsen“ schienviele Kinder zu beschäftigen. In einem Gesprächskreis teilten sie ihnen ihreBeobachtung mit und sangen mit ihnen dasLied „Wir werden immer größer“. Die Kinderbegannen sofort, sich mit ihren Freundinnenund Freunden zu messen und zu vergleichen.Es entstand ein reger, leicht chaotisch anmu-tender Gedankenaustausch in der ganzenGruppe. Die Beiträge reichten von „Die Mut-ter ist immer größer als der Vater“ über „Ichwachse auch, wenn ich schlafe, weil meineBeine dann weh tun“ bis „Ein Regenwurmwächst nicht so wie ein Mensch“. Die lebhaf-te Reaktion der Kinder zeigte den Erzieherin-nen, das sie ein Thema der Kinder richtig er-kannt hatten, und lieferte bereits viele Fäden,die weitergesponnen werden konnten.Mit der abstrakten und komplexen Frage einerErzieherin, warum der Mensch wachse, konn-

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Partizipation und Bildung

ten die Kinder nichts anfangen. Die konkretereAufforderung, sich vorzustellen, ein Baby zusein und nicht zu wachsen, führte zunächst zuempörter Ablehnung – „Ich will nicht kleinsein, sondern groß“ und: „Mein kleiner Bru-der ist dumm: Ich spiele Barbie und er kommtimmer hinterher“ – und schließlich zur Einla-dung eines Babys, das seine Schwestergegen den Vorwurf der Dummheit beherztverteidigt hatte. Ein Projekt, das die Gruppe inden darauffolgenden Wochen beschäftigensollte, war entstanden. Die nächsten Projektphasen wurden immerwieder im Dialog zwischen Erzieherinnen undKindern entwickelt. Höhepunkt des Projektswurde die Beschäftigung mit der Frage,warum ein vierjähriges Mädchen größer seinkönne als ein sechsjähriger Junge. Diese Fest-stellung widersprach ihrem bisherigen Alltags-wissen, dass ältere Kinder größer sind als jün-gere, und brachte sie zum Staunen. Das Stau-nen über ein wahrgenommenes Phänomen istein typischer Ausgangspunkt für philosophi-sches Fragen und ein wichtiges Motiv für dieSuche nach Antworten. Die Kinder warendamit nach vielen Umwegen zurückgekehrtzur eingangs von den Erzieherinnen aufgewor-fenen Frage, warum der Mensch wachse. Siesuchten Erklärungen und überprüften sie. Sieschoben die Hosenbeine des Mädchens hoch,um nachzusehen, ob sie heimlich Stelzentrug. Sie wurde befragt, ob sie viel Gemüseesse oder über einen Zaubertrank verfüge.Und sie rechneten nach, dass sie nicht öfterGeburtstag haben könne, weil sie ja erst vierund der Junge schon sechs Jahre alt sei. DieErklärungen wurden solange verworfen unddurch neue ersetzt, bis einem Kind beim Kne-

ten die Erleuchtung kam und sie sich daraufeinigen konnten, dass Wachsen funktionierenmüsse wie das Rollen von Knetgummischlan-gen: Aus kleinen dicken Kugeln werden langedünne Schlangen, wenn sie nur ausdauernd

genug gerollt werden.Damit war das Thema für die Kinder vorerstabgeschlossen, auch wenn einige von ihnennoch die Konsequenz daraus zogen, ihre El-tern um abendliches Rollen zu bitten. Siewaren mit ihrer Erklärung zufrieden. DasThema „Wachsen“ war für sie zu diesemZeitpunkt erschöpfend behandelt. Sie werdenspäter gewiss wieder auf dieses Thema sto-ßen und ihre vorläufige Erklärung des Phäno-mens weiter entwickeln.Die Beobachtung der Kinder durch die Erzie-herinnen, ihr vorsichtiges Einbringen des The-mas und die Zurückhaltung, mit der sie dieweitere Auseinandersetzung mit der Thematikbegleiteten, ermöglichten den Kindern, sichdas Thema „Wachsen“ selbsttätig forschendzu erschließen. Sie konnten ihre Wege gehenund ihre Antworten finden, durch interessier-tes Nachfragen und gezielte Hilfestellungen(etwa bei der Einladung der Mutter mit demBaby) von den Erzieherinnen unterstützt. Beiihren Forschungen gingen die Kinder genausovor, wie Wissenschaftler sich einem Phäno-men nähern. Sie bildeten Hypothesen, über-prüften sie, verwarfen sie gegebenenfalls, bil-deten neue Hypothesen, bis sie sich schließ-lich auf eine Theorie verständigen konnten.„Es ist lediglich die Art und Weise, wie Fra-gen und Hypothesen gebildet und überprüftwerden, die kindliches Erkenntnisstreben vonwissenschaftlichem unterscheiden“, fasstGerd Schäfer (2003, 39 f.) die diesbezüglichenAusführungen von Alison Gopnik, Patricia Kuhlund Andrew Meltzoff (2000) zusammen. Dassdas Wachstum des Menschen dabei nochnicht „richtig“ erklärt wurde, spielt nur eineuntergeordnete Rolle. Übrigens konnten dieErzieherinnen keinen Kinderarzt gewinnen, dersich in der Lage sah, den Kindern das Phäno-men des Wachsens aus erwachsener wissen-schaftlicher Sicht richtig zu erklären. Ihnen er-schien das Thema zu komplex.

q Wir machen Kino Die zweite Bildungsgeschichte aus der DRK-Kindertagesstätte Turnstraße mussten die Kin-der gegen den anfänglichen Widerstand derErwachsenen durchsetzen. Auch hier suchtendie Erzieherinnen in Gesprächsrunden mit denKindern nach den Bildungsthemen, die dieseaktuell beschäftigten. Aber sie konnten in derGruppe keine nennenswerte Reaktion auslö-sen, wenn sie ihre Beobachtungen mitteilten.Nach einiger Zeit machten zwei Kinder vonsich aus einen Vorschlag: Sie wollten „Kinomachen“. Die Erzieherinnen gingen nicht dar-auf ein. Sie suchten nach einem Thema derganzen Gruppe. Doch die beiden Kinder nah-

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men das Dialogangebot der Erwachsenenernst. Sie waren nach ihren Interessen gefragtworden und machten diese nun deutlich. Ineinem Nebenraum begannen sie mit den Vor-bereitungen für eine Kinovorführung undwiederholten ihren Vorschlag in den Ge-sprächsrunden so lange, bis andere Kindersich ihnen anschlossen und auch die Erziehe-rinnen sich einließen. Obwohl sie in ihrer Phantasie die Kinderschon einen Videofilm drehen sahen, hieltendie Erzieherinnen sich im weiteren Verlauf zu-rück, versuchten die Ideen der Kinder zu er-fassen und ihnen dieUnterstützung zukommenzu lassen, die sie benötig-ten. So entstanden Kinotageals komplexes sinnlichesErlebnis für alle Beteilig-ten. „Kino“ – das bedeu-tete, an der Kasse in derSchlange zu stehen, Geldgegen Eintrittskarten undPopcorn zu tauschen, mitanderen in langen Reihenzu sitzen und Geschichtenzu hören und zu sehen,aber genauso Geld, Ein-trittskarten, Popcorn unddie Tüten dafür herzustel-len, Geschichten zu erzählen, sich neue Ge-schichten auszudenken, Bilder auf einer Lein-wand zu zeigen und diese „zum Laufen zubringen“. Die Kinder hatten weder ins Kinogehen wollen, um einen Film anzusehen,noch hatten sie einen Film drehen wollen, derin irgendeinem Kino gezeigt würde. Sie erar-beiteten sich vielmehr, was für sie zum Erleb-nis „Kino“ gehörte – Schlange stehen, Ein-trittskarten, Popcorn etc. – und entdeckten,wie aus einer Geschichte ein Film entstehenkann. Dazu brauchte es eine Leinwand, Bilder,Ton, und die Bilder mussten sich bewegen.Dabei wechselten sie immerzu die Rollen.Aus Popcornherstellern wurden Popcornver-käufer und Popcornkonsumenten, aus Kino-vorführern Kinobesucher und umgekehrt. Siedurchdrangen das Phänomen „Kino“ aus denunterschiedlichsten Perspektiven. Ohne dassdie Faszination verloren ging, konnten sie dieGeschichten verfolgen, die sie selbst erfun-den hatten.

Diesen Facettenreichtum und diese Perspekti-venvielfalt der selbst gestalteten Bildungspro-zesse beobachteten die Erzieherinnen auch inanderen Projekten. In einer Gruppe bereitetendie Kinder gemeinsam mit den Erzieherinnen

eine Gruppenfreizeit vor. Dazu gehörte auch,dass sie eine Schatzsuche planten. Sie be-sorgten den Schatz, versteckten ihn, fertigteneine Schatzkarte, hinterlegten Hinweise, diezu dem Schatz führten – und beteiligten sichbegeistert und überrascht an der Schatzsu-che, als hätten sie mit der Vorbereitung garnichts zu tun gehabt.Das waren andere Bildungsprozesse als die,die die Erwachsenen den Kindern zugemutethätten, wenn sie das Projekt geplant hätten.Und sie wurden nur möglich, weil die Erwach-senen ihre Neugier auf die Beiträge der Kindersignalisiert, sich zurückgehalten und die Kin-der nur dort unterstützt hatten, wo sie Hilfewollten. Hätten die Erzieherinnen ihre Vorstel-lung von Kino unverzüglich beigesteuert unddie Video-Kamera geholt, wäre etwas anderesentstanden. Die Bildungsthemen und –prozes-se, die die Kinder selbst einbringen, erstaunenuns Erwachsene immer wieder. Auf vieleswürden wir ohne sie gar nicht kommen. Wel-che Erzieherin oder welcher Erzieher hättedenn ein Gefängnis zum zentralen Elementeines Ritterprojekts erhoben (vgl. Kapitel 1.2)?Dies allein wäre schon Grund genug, die Kin-der an der Gestaltung ihrer Bildungskontextesystematisch zu beteiligen.

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Partizipation und Bildung

Kinder an Bildungsdialogen zu beteiligen, istfür Erzieherinnen und Erzieher nicht leicht.Das belegen die vielen Fehlversuche, die dengelungenen Projekten in der DRK-Kindertages-stätte Turnstraße vorausgingen. Insbesonderein der Gruppe, die sich letztlich mit demThema „Wachsen“ auseinander setzte, hattendie Erzieherinnen eine Reihe von misslunge-nen Anläufen genommen, gemeinsam mitden Kindern ein Bildungsthema zu entwickeln.Dabei mag eine Rolle gespielt haben, dass dieKinder es gewohnt waren, an von den Er-wachsenen gut vorbereiteten Projekten teilzu-nehmen. Die abwartende Haltung der Erziehe-rinnen und Erzieher dürfte sie zunächst irritierthaben. Sie brauchten daher einige Zeit, umsich auf die Zumutung der Erwachsenen, Bil-dung im Dialog zu gestalten, einzulassen. Daserste, was die Erzieherinnen und Erzieher alsolernen mussten, war Geduld. Nach und nachnutzten die Kinder dann aber wie im Kino-Pro-jekt ihre Beteiligungschancen.

Ein weiteres Problem der Erwachsenen lagdarin, zu erkennen und angemessen zu the-matisieren, was die Kinder gerade beschäftig-te und welche Unterstützung sie gerade benö-tigten. Diese Erfahrung machten auch die Kol-leginnen und Kollegen aus den anderenModelleinrichtungen. Das folgende Beispielaus dem ADS-Kindergarten in Tarp machtdeutlich, wie sinnvoll es ist, die Kinder vonAnfang an an einer Problemlösung mitwirkenzu lassen. Gleichzeitig zeigt es, wie sich Kin-der schon früh selbsttätig mathematische Zu-sammenhänge erschließen.

Die Erzieherinnen standen bei der Ent-wicklung eines „Ortsplans von Kindern fürKinder“ (vgl. Kapitel 1.2) vor dem Problem,wie die Kinder die Entfernungen zwischenden einzelnen Orten, die im Plan berücksich-tigt werden sollten, feststellen und verglei-chen könnten. Sie hatten die ausgefalleneIdee, einen Schrittzähler anzuschaffen, der die

Entfernungen in Kinderschritten messen soll-te. Das schien eine kindgerechte Lösung desProblems zu sein. Die Kinder wurden in derTat durch dieses Ding, das da um das Fußge-lenk eines Kindes geschnallt wurde, auf dieMöglichkeit aufmerksam, die Entfernung zwi-schen zwei Orten durch die Anzahl der Schrit-te zu messen. Die Zahlen, die der Apparat lie-ferte, waren ihnen aber zu groß – es warenimmer mehr als zehn Schritte – und zu ab-strakt. Sie konnten sich darunter nichts vor-stellen. In der gemeinsamen Diskussion die-ses Problems machten sie den Vorschlag, wieim Spiel „Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm...“ immer zehn Schritte abzuzählen und danneinen Strich auf einen Zettel zu machen. An-schließend konnten sie die Anzahl der Strichevergleichen und so feststellen, welche Entfer-nungen größer oder kleiner waren. Dieses Beispiel verdeutlicht sehr eindrucks-voll, wie Kinder Rechenoperationen selbst er-finden, wenn sie vor einer für sie bedeutsa-men Aufgabe stehen. Sie erkannten selbst ihrmathematisches Problem („Die Zahl von 253Schritten ist uns viel zu groß ...“) und fandenfür sich eine Lösung, indem sie die große Zahlin Zehnergruppen zerlegten. Der Schrittzähler hatte die Kinder auf das Pro-blem hingewiesen. Die Erzieherinnen hattenihn aber angeschafft, um das Problem zulösen. Zu einer angemessenen, kindgerechtenLösung des Problems kam es allerdings erstdurch die Mitwirkung der Kinder selbst.

Bildungsbereich Sprache

Die Partizipation der Kinder ermöglicht ihnen,sich in „Ernst-Situationen“ zu bilden. Diese Si-tuationen sind, wie die soeben geschildertenBeispiele zeigen, komplex und verlangen vonden Kindern, selbst heraus zu finden, welcheFähigkeiten sie einsetzen können, um Lösun-gen für die anstehenden Aufgaben zu finden.„Das Lösen von Problemen im Alltag nutzt zu-nächst alle zur Verfügung stehenden Kräfteeines Menschen und entwickelt einen Pro-zess, in dessen Verlauf immer klarer wird,welche Kompetenzen dafür sinnvoll einge-setzt werden können und in welcher Kombi-nation“ (Schäfer 2003, 32 f.). Es sind dieseAlltagsthemen, „die die konkreten Bildungs-aufgaben vorgeben und dafür sorgen, dassKinder die Breite ihrer inneren Verarbeitungs-möglichkeiten zu bestimmten Fragen einset-zen und nicht nur funktionale und kurzfristigeLernziele erreichen“ (Schäfer 2003, 142). Er-folgversprechende Bildungsförderung, die dieEntfaltung der kindlichen Potentiale unter-stützt, zeichnet sich also eher durch die Betei-

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Partizipation und Bildung

ligung der Kinder an der Lösung anstehenderProbleme aus – und damit durchPartizipation – als durch Trainings und Förder-maßnahmen, gleich, wie wirksam diese imEinzelnen auch sein mögen. Nur vor diesem Hintergrund sind auch die Bil-dungsbereiche zu verstehen, die die Bildungs-pläne der Länder ausweisen. Der Gemeinsa-me Rahmenplan betont das „Prinzip der ganz-heitlichen Förderung“ (JMK / KMK 2004, 3).Es werden zwar Themenfelder beschrieben,um die Angebote der Kindertageseinrichtun-gen zu konkretisieren, diese sollen aber nichtisoliert stehen, sondern sich gegenseitigdurchdringen.

Besonders hervorgehoben wird von der ge-meinsamen Konferenz der Jugend- und derKultusminister der Bereich der Sprachentwik-klung und Sprachförderung. Gerade für diekindliche Sprachentwicklung gilt aber, dassSprache nicht als isolierte Kompetenz ver-mittelt werden kann, sondern sich im kommu-nikativen Kontext alltäglicher Situationen ent-wickeln muss.

q Sprache lernt man durch SprechenSprache ist für Kinder ein wichtiger Zugangzur Welt. Sie hilft ihnen, ihre Wahrnehmungender Welt zu strukturieren und mit der Welt zukommunizieren. Was allerdings in der öffent-lichen Bildungsdebatte in erster Linie alsSprachförderung diskutiert wird, ist nur unterdem Eindruck zu verstehen, den die Ergeb-nisse der PISA-Studie in Deutschland hinter-lassen haben. Die in den Bundesländern nachPISA relativ schnell begonnenen Maßnahmenfrühkindlicher Sprachförderung sind stark pro-duktorientiert. Frühe Sprachförderung insbe-sondere bei den durch PISA identifizierten Bil-dungsrisikogruppen sollen die Chancenge-rechtigkeit in der Schule erhöhen. Dahintersteht die Hoffnung durch Sprachtests Sprach-entwicklungsverzögerungen und Sprachpro-bleme etwa von Kindern mit Migrationshinter-grund möglichst früh erfassen und diesedurch geeignete Maßnahmen beheben zukönnen. Sprachtrainings mit Kindergarten-Kindernmögen durchaus messbare Effekte erzielen,eine nachhaltig wirksame Sprachförderung be-darf darüber hinaus aber vor allem einer Kulturdes Miteinander-Sprechens in der Kinderta-geseinrichtung.Kinder erfahren Sprache zunächst als Einheitmit konkreten Handlungen und Situationen.Das wesentliche Element der Kommunikationbesteht für sie in der Vermittlung des Inhalts(vgl. Jampert 2002, 21). Sie lernen Sprache

durch Sprechen. Sprache ist immer eingebet-tet in soziale Situationen. Gerd Schäfer (2003,173) betont: „Sprechen heißt: miteinandersprechen“. Um ihre sprachlichen Kompeten-zen zu erweitern, müssen Kinder in Kinderta-geseinrichtungen also vor allem viele Gele-genheiten und Anregungen erhalten, mit an-deren ins Gespräch zu kommen.

q Wir sprechen, wenn man uns zuhörtWas bewegt nun Kinder dazu, zu sprechen?Das folgende Beispiel aus dem EvangelischenKindergarten in Quickborn liefert Anhalts-punkte.In der Kinderkonferenz einer Elementargruppehatte sich eine Gesprächskultur entwickelt.Die Kinder erzählten, was sie bewegte, weilsie das offensichtliche Interesse der Erziehe-rinnen und der anderen Kinder spürten. Auchein Junge, dessen Familie gerade erst nachDeutschland eingewandert war, formte hierseine ersten deutschen Worte: „Ich habe ge-schlafen …“ Die achtsame Aufmerksamkeitder Gruppe führte dazu, dass er in den näch-sten Sitzungen diese Äußerung wiederholte,bis er endlich weitere Worte fand.

Um zum Sprechen motiviert zu werden, müs-sen Kinder auf ein Gegenüber treffen, dasneugierig und interessiert an dem ist, was siezu sagen haben. „Kinder brauchen Erzieherin-nen, die ihnen zuhören, wenn sie ihnen etwasmitteilen wollen, und die sich darum bemü-hen, ihre individuelle Art der Mitteilung zu ver-stehen“ (Schäfer 2003, 174).Partizipation spielt daher auch für die Sprach-förderung eine Schlüsselrolle. Wenn sie betei-ligt werden, erleben Kinder, „dass ihnen zuge-hört wird“ und „dass ihre Meinung wichtigist“ und entwickeln daraus „den Mut sich zuäußern“. Das jedenfalls betonten die Erziehe-rinnen und Erzieher am Ende des Modellpro-jekts (vgl. Kapitel 2.1).

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Politische Bildung und Erziehung

2.3 Politische Bildung und ErziehungPolitische Bildung ist ein Bestandteil des Bil-dungsauftrags von Kindertageseinrichtungenund das eigentliche Thema des Modellpro-jekts „Die Kinderstube der Demokratie“. Poli-tik und Vorschulkinder – diese beiden Begriffescheinen zunächst nicht zusammenzupassen.Mit Politik verbinden wir vornehmlich Proble-me der Arbeitsmarkt- und der Finanzpolitik,Fragen der internationalen Diplomatie oderdes globalen Umweltschutzes. Politik ist nachlandläufiger Meinung eine Sache der Erwach-senen. Wird von politischer Bildung in Kinder-tageseinrichtungen gesprochen, wird schnellIndoktrination befürchtet.Anders als gemeinhin angenommen, entwik-keln Kinder schon früh politische Einstellun-gen. Der 11. Kinder- und Jugendbericht ver-weist auf Erkenntnisse zur politischen Soziali-sation, „denen zufolge politische Grundein-stellungen bis zum Alter von 12 Jahren erwor-ben werden“ (BMFSFJ 2002, 202). Der dama-lige brandenburgische Bildungs- und Jugend-minister Steffen Reiche schreibt in seinemVorwort zu dem Buch „Bildung mit Demokra-tie und Zärtlichkeit“ (Hoenisch / Niggemeyer2003, 7): „Lebendige Demokratie lebt davon,dass ein Anderer mir nicht gleichgültig ist,sondern gleich: gleich berechtigt, gleich wer-tig, gleich lieb.“ Diese Erfahrung über denWert des Menschen, den Wert der eigenenund der anderer Personen, machen Kindervon Anfang an. Politische Bildung und Erzie-hung finden damit – ob gewollt oder unge-wollt – schon sehr früh statt. Sie lassen sichgar nicht vermeiden. Welche Bedeutung die Kindertageseinrichtungfür derartige Prozesse in der Biographie einesKindes hat, beschreibt Christa Preissing(2000, 81): „Neben die private Familie tritt [...]die öffentliche Institution. Ihr werden [...] wei-tere Institutionen folgen: Grundschule, weiter-führende Schule, berufliche Bildung oder Stu-dium. [...] Bis zur Volljährigkeit bilden diese öf-fentlichen Institutionen das Bindegliedzwischen dem einzelnen und der Gesell-schaft. In ihnen erfährt das Kind, wer und wasin unserer Gesellschaft zählt.“ Der Eintritt in die öffentliche Institution Kinder-tagesstätte stellt die Kinder vor neue Ent-wicklungsaufgaben. „Aus den z.T. sehr unter-schiedlichen familiären Einzelerfahrungen derKinder muss in der Gruppe ein Kompromiss,eine Balance [...] gefunden werden“ (Büttner2000, 25). In Kindertageseinrichtungen erle-ben Kinder, wie mit Konflikten zwischen demeinzelnen Kind und der Gruppe umgegangenwird. Diese Erfahrungen bestimmen nicht nurdie unmittelbare Befindlichkeit des Kindes,

sondern vermitteln ihm gleichzeitig erste Er-fahrungen mit der grundlegenden politischenFrage nach dem Verhältnis zwischen Individu-um und Gesellschaft. Insofern ist jede päda-gogische Praxis, gleich wie sie sich des Pro-blems annimmt, unausweichlich ein Beitragzur politischen Sozialisation des Kindes. Es istdeshalb unabdingbar, schon in Kindertagesein-richtungen demokratische Prozesse bewusstzu gestalten und zu reflektieren.

Politik und die politische Persönlichkeit

Politik wird landläufig meist mit Bundes- oderLandespolitik verbunden. Dies ist u.a. der Be-richterstattung in den Medien zu verdanken,die dem überregionalen politischen Gesche-hen den meisten Raum widmet. Die Basis derPolitik ist aber das lokale politische Handeln.Wenn Politik in einer Demokratie die gleichbe-rechtigte Gestaltung des Miteinander-Lebensmeint, dann beginnt Politik vor unsererHaustür, ja, findet auch in den Familien statt.Politisches Denken und Handeln ist weit mehrals das, was in Parteien und Parlamenten ge-schieht.

Politisches Denken und Handeln in einer De-mokratie baut auf drei Säulen:

Die Antriebsfeder politischen Handelns isteine Haltung des „Sich-zuständig-Fühlens“und der Bereitschaft, Verantwortung zu über-nehmen. Nur Menschen, denen es nicht egalist, wie es außerhalb der eigenen vier Wändeaussieht, engagieren sich politisch. Sie gehenmit offenen Augen durch ihr Gemeinwesen,fühlen sich zuständig für die Probleme und dieGestaltung ihres Ortes und mischen sich ein.Dabei vertreten sie natürlich auch – undmanchmal vor allem – eigene Interessen.

Verantwortung

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Politische Bildung und Erziehung

Politisches Handeln bedarf demokratischerHandlungskompetenzen. Die Demokratie lebtvom Aushandeln unterschiedlicher Interessen.Um in einer Demokratie politisch handeln zukönnen, müssen Menschen ihre eigenenInteressen kennen und vertreten können. Siemüssen die Interessen der anderen be-rücksichtigen wollen und können. Sie dürfenkeine Konflikte scheuen und müssen sichachtsam streiten können. Sie müssen denKonsens oder Kompromisse suchen und esaushalten können, wenn sie sich nicht durch-setzen.

Schließlich benötigt politisches Handeln auchWissen: über die eigenen Rechte, über politi-sche Strukturen und über politische Prozesse.

Menschen, die sich für ihr Umfeld zuständigfühlen, demokratische Handlungskompeten-zen entwickelt und sich politisches Wissenangeeignet haben, können als „politische Per-sönlichkeiten“ bezeichnet werden. Sie sindbereit und in der Lage, das politische Gesche-hen nicht nur zu verfolgen, sondern selbst po-litisch zu handeln.Die klassischen Ansätze politischer Bildungkonzentrieren sich fast ausschließlich auf Wis-sensvermittlung. Die Zielgruppe sind meist äl-tere Schülerinnen und Schüler. Ob diese dasBildungsangebot im Politikunterricht aber fürihre eigene politische Bildung nutzen, hängtwesentlich davon ab, ob sie zuvor die ange-sprochenen demokratischen Haltungen undKompetenzen entwickeln konnten. PolitischesWissen ist für die politische Bildung zwarwichtig, kann ihr allein aber nicht genügenund steht vor allem nicht an ihrem Anfang.

Politische Bildung in Kindertageseinrich-

tungen

Politische Bildung in Kindertageseinrichtungenmeint die Perspektive der Kinder. Auch politi-sche Bildung ist Selbstbildung. Sie kann nichtgelehrt werden, sie muss von den Kindernselbst handelnd erworben werden. Damitwird die Erfahrung von Partizipation zu einemwichtigen Moment politischer Bildung. In derpolitischen Bildung von Vorschulkindern fin-den sich die genannten demokratischen Hal-tungen und Kompetenzen wieder.

Politische Bildung findet statt, wenn Kinderviele Möglichkeiten haben, sich zuständig zufühlen. Kinder bringen eine große Bereitschaft

mit, sich zu engagieren und Verantwortung zuübernehmen. Schon früh wollen sie uns hel-fen, den Frühstückstisch zu decken. AusAngst um das gute Porzellan oder weil esschneller geht, wenn wir das eben selbst erle-digen, verweigern wir ihnen solche Gelegen-heiten sich zu beteiligen, bis sie ihre ursprüng-liche Lust am Helfen verloren haben – um unsdann über ihre mangelnde Hilfsbereitschaft zubeklagen. Kinder in ihrem Wunsch nach Selb-ständigkeit und Verantwortungsübernahme zuunterstützen, ist ein wichtiges Angebot politi-scher Bildung. Sie erfahren damit, dass manihnen etwas zutraut und dass ihre Beiträgeernst und wichtig genommen werden.

In Kindertageseinrichtungen gibt es zahlreicheGelegenheiten für Kinder, Verantwortung zuübernehmen – für ein Tier, für einen Raum, fürdie kleine Sabine, die erst seit einigen Tagenin der Einrichtung ist. Je mehr wir Kinderndiese Beteiligungsrechte zugestehen und siedarin unterstützen, sie wahrzunehmen, destoeher sind sie vermutlich bereit, sich späterauch für andere einzusetzen. Kinder werdenaber nur dann Verantwortung übernehmen,wenn sie „nicht als Pflicht gegen das Rechtauf Selbstbestimmung aufgewogen oderdurchgesetzt wird, sondern sich erst mit denPartizipationsmöglichkeiten entwickelt“ (Kaze-mi-Veisari 1998, 13). Um ein Verantwortungs-bewusstsein zu entwickeln, benötigen Kinderdaher zunächst einen Vertrauensvorschussund eine gehörige Portion Nachsicht seitensder Erwachsenen.

Gelingt es einer Kindertageseinrichtung, einePartizipationskultur zu etablieren, wird dieses„Sich-zuständig-Fühlen“ für Kinder selbstver-ständlich. Wer, wenn nicht wir, ist dafür zu-ständig, das Sommerfest zu planen? Wer,wenn nicht wir, entscheidet darüber, wie die

Aushandeln

Wissen

Ich bin zuständig für ...

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Politische Bildung und Erziehung

Räume eingerichtet werden? Partizipationmacht selbstbewusst und unabhängiger. Kin-der, die ihr Mitspracherecht erfahren haben,warten nicht, bis andere für sie entschiedenhaben, sondern mischen sich sofort ein. Daserfuhr eine Erzieherin in der Kindertagesein-richtung Osloring in Kiel, in der die Kinderzuvor an der Planung der Inneneinrichtungdes Kita-Neubaus beteiligt worden waren. Alssie den Kindern mitteilte, dass sie in den Bau-markt fahren wolle, um das bestellte Materialabzuholen, freuten sich die Kinder: „Oh, ja, dakommen wir natürlich mit!“ Derartige Erfah-rungen bilden ein solides Fundament für denweiteren politischen Bildungsweg der Kinder.

Politische Bildung erwerben Kinder, wenn siein den Kindertageseinrichtungen die Möglich-keit haben, demokratische Handlungskompe-tenzen zu entwickeln. Um gegensätzlicheInteressen aushandeln, um sich konstruktivstreiten zu können, benötigen sie die vonChrista Preissing (2000, 84 ff.) benannten„Grundqualifikationen für ein demokratischesinteraktives Handeln“: Selbstpräsentation undEmpathie, sowie Frustrationstoleranz und Am-biguitätstoleranz. Das sind Kompetenzen,deren Erwerb aus biographischer Sicht sehrfrüh beginnt, und zwar indem sie erfahren underlebt werden. Die Partizipation der Kinderbietet dazu vielfältige Anlässe. So machtendie Kinder im Modellprojekt Erfahrungendamit, Diskussionen zu führen und Gruppen-gespräche zu leiten, lernten unterschiedlicheVerfahren der Entscheidungsfindung in einerGruppe kennen und erlebten, wie trotz unter-schiedlicher Interessen gemeinsame Lösun-gen gefunden wurden, ohne jemanden auszu-grenzen.

Im Anschluss an die Projektteilnahme überleg-ten die Kinder in der Hortgruppe der Kinderta-geseinrichtung Osloring gemeinsam mit denErzieherinnen, wofür die Mittel aus demHaushaltsposten „Pädagogischer Sachbedarf“im laufenden Haushaltsjahr ausgegeben wer-den sollten. Die Jungen forderten lautstark,dass die Anschaffung der Fußballtore ausdem Katalog Vorrang vor allem anderen habenmüsse. Die Mädchen rechneten nach und leg-ten Widerspruch ein, weil damit der Etat fasterschöpft wäre. Nach zähen Verhandlungeneinigten sie sich darauf, Holz und Nägel zukaufen, um selber Fußballtore anzufertigen.Sie hatten ihre unterschiedlichen Interessenausgehandelt und eine Lösung gefunden, diealle zufrieden stellte.

Ganz nebenbei erfassen die Kinder auch politi-sche Zusammenhänge und erwerben Wissenüber Politik. Obwohl die Erzieherinnen und Er-zieher in den Modelleinrichtungen die Vermitt-lung politischen Wissens nicht in den Vorder-grund stellten, erfuhren die Kinder in den Pro-jekten durchaus etwas über politischeStrukturen.

Sie lernten politisch handelnde Menschen inihrer Gemeinde kennen – beispielsweise denItzehoer Stadtmanager, der einem Mädchenaus dem IzzKizz-Kindergarten ans Herz wuchs,„weil der so gut riecht“ – und präsentiertenwie in Tarp ihre Vorstellungen in politischenGremien. Durch diese sehr persönlichen Er-fahrungen begriffen sie auch abstraktere poli-tische Zusammenhänge, wie die folgende Ge-schichte zeigt.

Als die Leiterin des ADS-Kindergartens denKindern erzählte, dass in Tarp eine neue Bür-germeisterin gewählt worden sei, fragte einjüngeres Kind, was noch ’mal eine Bürgermei-sterin sei. Ältere Kinder hatten den Wahlvor-gang wiedererkannt und stellten fest, dass dieBürgermeisterin die Vorsitzende des Ortes ist,

Ich weiß, wie wir uns einigen

Ich weiß etwas über Politik ...

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Politische Bildung und Erziehung

wie Lukas und Jil die Vor-sitzenden des Kinderparla-ments sind. Nach einerBedenksekunde fragte einMädchen nachdenklich:„Und was ist mit demHerrn Schröder?“ Und ge-meinsam erkannten sie,dass der Herr Schröder alsBundeskanzler der Vorsit-zende von Deutschlandist. Sie hatten eine Paralle-le gezogen von ihren eige-nen Erfahrungen mit demKinderparlament im Kin-dergarten über die Begeg-nung mit den Organen derkommunalen Selbstverwaltung bis zu den po-litischen Strukturen der Bundesrepublik.

Die Laborschule Bielefeld hat diesen Zu-sammenhang zwischen politischer Bildungund Pädagogik früh erkannt. Die Schule wurdeals Modell einer politisch verfassten Gemein-schaft entwickelt: „Die Schule ist eine polis.Man lernt am Modell dieser Gemeinschaft dieGrundbedingungen des friedlichen, gerechten,geregelten und verantworteten Zusammenle-bens und alle Schwierigkeiten, die dies berei-tet“ (Hentig 1993, 222 f.). „Die polis – das istfür kleine Kinder und auch noch für Jugendli-che zunächst einmal die Gruppe, in der sieleben, sodann die größere Gemeinschaft – derNachbargruppen, des Jahrgangs, der Stufe –und bei selteneren Gelegenheiten auch diegesamte community der Schule“ (Groeben2000, 116). Die Schule soll – so ihr langjähri-ger Leiter Hartmut von Hentig – im Kleinendas große Gemeinwesen widerspiegeln. Indieser polis können die Schülerinnen undSchüler eine gereifte Persönlichkeit ausbildenund demokratisches Denken und Handeln ein-üben. Absolventen der Laborschule sollteneinen Beitrag zu einer „besseren“ Gesell-schaft leisten können und wollen. Die Struktu-ren, der Unterricht und das Miteinander ander Schule wurden auf diese Ziele hin ausge-richtet.

Auch die Kindertageseinrichtung kann als polisverstanden werden. Auch hier können Kinderim Kleinen demokratisches Denken und Han-deln erfahren und einüben. Dazu müssen sieregelmäßig in die Entscheidungen der Kinder-tageseinrichtung einbezogen werden.Die KiTa Waldstraße in Pinneberg und derEvangelische Kindergarten in Quickborn gabensich Verfassungen, in denen die Mitsprache-

rechte der Kinder und der Erwachsenen detail-liert geregelt sind. Ihr föderalistischer Aufbauähnelt sich sehr, wenngleich die Entschei-dungsstrukturen individuell auf die jeweiligenVerhältnisse in den Einrichtungen zugeschnit-ten wurden. Die Kinder, die Eltern und dasTeam können sich nunmehr an nahezu allenEntscheidungen in der Einrichtung beteiligen.Ausgenommen haben die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter in beiden Einrichtungen („vor-erst!“) lediglich Personalentscheidungen.

In so einem Kontext wird den Kindern auchdie Verantwortung, die sie mit ihren Einfluss-möglichkeiten übernehmen, schnell bewusst.Wie ernsthaft und reflektiert sie von ihren Mit-spracherechten Gebrauch machen, mussteein Junge in Pinneberg erleben, der unbedingtin den Kinderrat gewählt werden wollte, nach-dem er erfahren hatte, dass dort entschiedenwird, wofür das Geld der Einrichtung ausgege-ben werden soll. Bevor sie ihn wählen wür-den, teilten ihm die Kinder seiner Gruppe mit,müsse er – anders als bisher – erst einmal re-gelmäßig an den Gruppenkonferenzen teilneh-men. Dass Rechte mit Verantwortung verbun-den sind, war in diesem Fall eine Erkenntnisder Kinder – eben ein Ergebnis politischerSelbst-Bildung. Diese Erkenntnis konnten dieKinder aber nur erlangen, weil ihnen ihre Mit-spracherechte zuvor bedingungslos zugestan-den worden waren.

Politische Erziehung in Kindertageseinrich-

tungen

Wir wenden uns nun einem Aspekt zu, denwir bisher vernachlässigt haben, weil es unsbezüglich der Zusammenhänge zwischen Par-tizipation und Bildung vornehmlich um dieSelbstbildungsprozesse der Kinder und derenwirkungsvolle Unterstützung durch die Er-wachsenen ging. Insbesondere im Hinblick

Die Kindertageseinrichtung als polis

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Politische Bildung und Erziehung

auf die politische Bildung nachfolgender Ge-nerationen aber darf die Frage nicht außerAcht gelassen werden, wie es unter diesenBedingungen gelingen kann, legitime gesell-schaftliche Interessen (etwa die Zustimmungzur Demokratie) an die Kinder weiter zugeben.

Das Modellprojekt „Zum Bildungsauftrag vonKindertageseinrichtungen“ unterscheidet zwi-schen Bildung als Leistung der Kinder und Er-ziehung als Beitrag der Erwachsenen. „WennBildung Sache des Kindes wäre, bliebe Erzie-hung die der Pädagogen“ (Laewen 2002 a,48). Obwohl die Polarität, die damit diesenBegriffen zugeschrieben wird, nicht unumstrit-ten ist, hilft sie doch, die jeweiligen Anteileder Kinder und der Erwachsenen am kind-lichen Bildungsprozess differenzierter wahrzu-nehmen. Letztlich ist auch für Hans-JoachimLaewen (2002 a, 47) Bildung „nur als koopera-tives Projekt zwischen Erwachsenen und Kin-dern möglich.“Bildung als Selbstbildung ist eine individuelleKonstruktionsleistung der Kinder, bei der sozi-ale und materiale Umweltinformationenselbsttätig verarbeitet werden. Auch die Per-sönlichkeit, die Einstellungen und das Verhal-ten der Erziehenden stellen dabei bedeutendeKonstruktionsangebote für die Kinder dar. Wasimmer wir Erwachsenen tun, wie wir Kindernbegegnen, was wir von ihnen erwarten oderihnen vorleben – sie verwerten es. Aber wirwissen nie, auf welche Weise das geschieht:ob sie sich mit uns identifizieren oder sich vonuns abgrenzen oder unsere Angebote verwer-fen und sich ganz anders orientieren.

Durch die Einstellungen und das Verhalten derErwachsenen werden die Kinder auch mit ge-sellschaftlichen Normen und Werten konfron-tiert. Auf welche Weise diese Vorbilder in diekindlichen Konstruktionen eingebaut werden,hängt vermutlich stark damit zusammen, wieauthentisch (glaubwürdig, ehrlich) und wie at-traktiv sich die jeweiligen Erwachsenen prä-sentieren. Dabei schadet es nicht, wenn sieunterschiedliche Positionen vertreten, solangees ihnen gelingt mit ihren Differenzen kon-struktiv umzugehen. Im Gegenteil: Die Kinderprofitieren aus dieser Uneinigkeit der Erwach-senen, da sie sie dazu zwingt, ihre eigenenPositionen zu differenzieren (vgl. Klein 2001).

Um die Bildungsanstrengungen der Kinderdurch Erziehung konstruktiv zu beantworten,müssen die Erwachsenen nicht nur anregen-de Lernumwelten schaffen und die Interaktio-nen mit den Kindern dialogisch gestalten, son-

dern auch ihre eigenen Wertvorstellungen klä-ren und die Authentizität ihres Verhaltens prü-fen. Das gilt in besonderem Maße für die poli-tische Erziehung.

q Politische Erziehung verlangt eine Reflexionder eigenen politischen Einstellungen

Während es die Sache der Kinder ist, sich mitden politischen Bildungsangeboten selbsttätigauseinander zu setzen, sich also zu bilden, istes die Sache der Erwachsenen, zu entschei-den, welche Ziele ihnen für die politische Er-ziehung der Kinder wichtig sind. Politische Bil-dung und politische Erziehung sind zwei Sei-ten einer Medaille. Damit sich Kinder mitpolitischen Themen auseinandersetzen kön-nen, brauchen sie Erwachsene, die eigene po-litische Einstellungen haben und die die Kin-der damit konfrontieren – oder, wie Hans-Joa-chim Laewen (2002 a) sagt, die sie ihnenzumuten.

Welche Ziele könnte also eine demokratischepolitische Erziehung in Kindertageseinrichtun-gen verfolgen? In Reggio Emilia begann nachdem Ende des Faschismus 1945 die Ent-wicklung einer neuen pädagogischen Konzep-tion der öffentlichen Kinderbetreuung mit derFrage: „Wohin wollen wir unsere Kinder erzie-hen?“ (Dreier 1999, 48). Auch in Deutschlandist der Auftrag der Jugendhilfe gleichermaßenein pädagogischer wie ein politischer: die Er-ziehung zu einer eigenverantwortlichen und

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Politische Bildung und Erziehung

gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§ 1KJHG). Populär ausgedrückt bedeutet dasnichts anderes, als Kinder und Jugendlichedabei zu unterstützen, mit sich und mit derGesellschaft zurecht zu kommen, und siedazu zu befähigen, die Gesellschaft mit zu ge-stalten.

Im Situationsansatz wie in der Reggio-Pädago-gik findet diese politische Ausrichtung der pä-dagogischen Arbeit ihren Niederschlag, indem„Autonomie“ und „Solidarität“ als vornehm-ste Erziehungsziele postuliert werden. „Auto-nomie“, schreibt Jürgen Zimmer (2000, 14),„bedeutet Selbstbestimmung, Unabhängig-keit, Eigeninitiative, Selbständigkeit.“ Und„das Ziel einer Erziehung zur Solidarität ver-weist darauf, dass wir nicht allein auf der Weltsind, sondern gemeinsam mit anderenleben“.

Die Erziehungsziele Autonomie und Solidaritätwidersprechen sich nicht. Jesper Juul (1997,93) bestreitet vehement, „dass es zwischendem Bedarf des Individuums, seine Integritätzu wahren und zu entwickeln, und dem ge-meinschaftlichen / gesellschaftlichen Bedürf-nis nach Organisation und Entwicklung einenfast unüberwindlichen Gegensatz gibt. [...]Vieles deutet darauf, dass das Gegenteil derFall ist: Die Fürsorge für die Integrität des Kin-des / Individuums ist eine Bedingung für diegesunde Entwicklung von Gemeinschaften.Es gibt kein kollektives Wohlbefinden, wennes sich nicht auf ein individuelles Wohlbefin-den gründen kann.“ Eine Pädagogin aus Reggio formuliert es einfacher: „Wenn einKind nicht ‚ich’ und ‚mein’ sagen kann, wiesoll es dann ‚du’ und ‚unser’ sagen?“ (nachDreier 1999, 155).

Autonomie und Solidarität bedingen sichgegenseitig und werden heute mehr denn jegebraucht, sowohl vom Individuum als auchvon einer demokratischen Gesellschaft. Einegelungene Identitätsentwicklung erfordert an-gesichts von Individualisierungs- und Vereinze-lungstendenzen mehr denn je eine Balancevon Autonomie und Beziehungsfähigkeit. Unddie Demokratie als Staatsform ist angesichtsder Machteinbußen nationaler Regierungenmehr denn je darauf angewiesen, dass ihreGrundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solida-rität von jeder und jedem Einzelnen getragenwerden (vgl. Beck 1999). Pädagoginnen undPädagogen sind also herausgefordert, gleich-ermaßen ihre individuellen und ihre politi-schen Erziehungsziele zu klären.Damit stellt sich für Kindertageseinrichtungen

die Frage, inwieweit eine intensive Ausein-andersetzung der pädagogischen Fachkräfteüber ihre individuellen Grundwerte zum Aus-gangspunkt ihrer erzieherischen Arbeit ge-macht wird. Eine demokratische politische Er-ziehung verlangt einen demokratischen Grund-wertekanon. Können sich die Erzieherinnenund Erzieher auf einen Wertekanon verständi-gen, der die allgemeinen Menschenrechte,die besonderen Kinderrechte und die Ver-pflichtung zu einer ökologisch, sozial und öko-nomisch nachhaltigen Lebensweise be-rücksichtigt und an dem die konkrete Gestal-tung der pädagogischen Praxis immer wiederaufs neue gemessen wird?

Um sich politisch bilden zu können, brauchenKinder Erwachsene, die auch ihnen die Aus-einandersetzung mit diesen Themen als wich-tige Fragen des Lebens zumuten und die dazuPositionen beziehen, mit anderen Worten: dieerziehen. Wie die Kinder diese Erziehungdurch Bildungsprozesse beantworten, stehtauf einem anderen Blatt.

q Politische Erziehung verlangt politische Erwachsene

Politische Bildung in Kindertageseinrichtungenmuss durch eine politische Erziehung beglei-tet werden. Analog zu den o.g. Punktenbraucht eine demokratische politische Erzie-hung Erzieherinnen und Erzieher mit folgen-den Haltungen und Kompetenzen:

Politische Erziehung braucht Erzieherinnenund Erzieher, die sich ihrer eigenen Werte be-wusst sind, sie authentisch vertreten und en-gagiert kommunizieren. Politische Erziehungbraucht Erzieherinnen und Erzieher, die denKindern eine kompetente Auseinandersetzungmit diesen Themen zutrauen und zumuten.

Ein authentisches Gegenüber sein

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Was brauchen Kinder, um sich beteiligen zu können?

Politische Erziehung braucht Erzieherinnenund Erzieher, die davon überzeugt sind, dassKinder Rechte haben und diese ihren pädago-gischen Planungen zu Grunde legen.

Politische Erziehung braucht Erzieherinnenund Erzieher, die über demokratische Hand-lungskompetenzen verfügen und in der Lagesind, demokratische Prozesse zu moderieren.Das verlangt auch konkrete Methodenkennt-nisse: Wie werden Kindergespräche mode-riert? Wie kann den Kinder das für eine Ent-scheidung notwendige Wissen vermittelt wer-den, ohne zu manipulieren? Wie könnenAbstimmungen durchgeführt und die Ergeb-nisse be-greif-bar gemacht werden? Und vie-les mehr.

Politische Erziehung in Kindertageseinrichtun-gen braucht auch Wissen über vor allem kom-munale politische und administrative Struktu-ren. Wer muss einbezogen werden, wenn dieKinder an der Planung des neuen Außengelän-des beteiligt werden sollen? Wer muss ge-wonnen werden, um eine Verkehrsberuhigungvor der Einrichtung durchzusetzen? WelchesWissen jeweils benötigt wird, ergibt sichimmer aus den konkreten Fragestellungen.

q Pädagogik ist immer politischDa der Gegenstand der Pädagogik die Bezie-hung zwischen Menschen mit verschiedenerLebenserfahrung und ungleich verteilterMacht ist, muss sie sich immer die Fragenach den Rechten der Beteiligten stellen. DerPädagoge Heinrich Kupffer (1980, 19) formu-liert die Kernfrage, die jede Pädagogin undjeder Pädagoge für sich beantwortet habenmuss: „Welche Konstellation zwischen unglei-chen Partnern halten wir für angemessen?“ –mit anderen Worten: Haben Kinder und Ju-gendliche ein Recht auf Teilhabe?

Die Beantwortung dieser Frage hat immerauch eine politische Dimension. Die Art undWeise, wie wir mit Kindern und Jugendlichenkommunizieren, wie wir sie beteiligen an denEntscheidungen, die ihr eigenes Leben unddas der Gemeinschaft betreffen, ist immergleichzeitig auch politische Erziehung und er-möglicht den Kindern und Jugendlichen politi-sche Bildungsprozesse. Eine gelingende Parti-zipation von Kindern und Jugendlichen ist derSchlüssel zu einer demokratischen Weiterent-wicklung der Gesellschaft.

2.4. Was brauchen Kinder, um sich be-teiligen zu können?

„Das könnt ihr gar nicht allein bestimmen...“ – diesen und ähnliche Sätze hörten die Er-zieherinnen und Erzieher in den Modelleinrich-tungen im Laufe der Projekte immer öfter.Den Kindern waren ihre Beteiligungsrechtebewusster geworden. Sie nahmen sie im All-tag selbstverständlich wahr, wenn sie etwa imneuen Kinderrestaurant der AWO-Kindertages-stätte „Hanna Lucas“ in Wedel darauf bestan-den, sich selbst ihre Portionen aufzufüllen;und sie forderten sie selbstbewusst ein, wennsie einmal nicht beteiligt wurden, beispiels-weise von der Erzieherin in der Kindertages-einrichtung Osloring in Kiel, die ohne sie dieMaterialien für die gemeinsam beschlosseneEinrichtung des Ateliers aus dem Baumarktholen wollte: „Da kommen wir natürlichmit!“. Mehr und mehr nahmen sie ihre eige-nen Angelegenheiten in die Hand.

Die Partizipation der Kinder hat sich alsSchlüssel zu Bildung und Demokratie erwie-sen. Sie hat zu beeindruckenden Selbstbil-dungsprozessen geführt. Die Kinder habenihre allgemeine Handlungsfähigkeit und ihredemokratischen Kompetenzen sichtbar er-weitert. Wir wollen am Ende dieses Kapitelsnoch einmal rekapitulieren, was diese bemer-kenswerten Entwicklungen bewirkt hat. DieseBeobachtungen lassen darauf schließen, wasKinder brauchen, um sich beteiligen zu kön-nen, nämlich:– Menschen, die ihnen zuhören– Menschen, die sich für ihre Weltsicht inter-

essieren– Menschen, die ihre Beiträge ernst nehmen– Möglichkeiten, ihre eigenen Bildungswege

zu gehen– Entscheidungsspielräume – auch in Fragen,

die die Erwachsenen berühren– Unterstützung bei der Meinungsbildung– Erwachsene, die auch ihre Interessen ein-

bringen– Erwachsene, die – wenn es denn sein

muss – auch den „Mut zum Besserwissen“haben.

Um sich beteiligen zu können, brauchen

Kinder Menschen, die ihnen zuhören, die

sich für ihre Weltsicht interessieren und

die ihre Beiträge ernst nehmen

Der Kinder- und Jugendbuchautor MichaelEnde (1973) beschreibt „eine ungewöhnlicheEigenschaft“ der Titelheldin seines Märchen-Romans „Momo“: „Was die kleine Momo

Sich politisches Wissen aneignen

Aushandlungsprozesse gestalten können

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Was brauchen Kinder, um sich beteiligen zu können?

konnte wie kein anderer, das war: Zuhören.“Dies scheint zunächst keine besondere Fertig-keit. Wir alle neigen zu der Annahme: „Zuhö-ren zu können ist doch nichts besonderes, zu-hören kann doch jeder.“ Die Erzieherinnenund Erzieher aus der KiTa Waldstraße in Pin-neberg mussten erkennen, dass dem nicht soist. Die Videoaufnahmen der ersten Kinder-konferenzen in den Gruppen der Einrichtungoffenbarten, dass die Gespräche mit den Kin-dern sehr unterschiedlich verlaufen waren unddass dafür das unterschiedliche Verhalten derErwachsenen, die die Gespräche moderierten,eine ausschlaggebende Rolle gespielt hatte.In den Gesprächsrunden, in denen es bereitszu einer lebhafteren Beteiligung der Kinder ge-kommen war, war bei den Erzieherinnen oderErziehern etwas von Momos Kunst des Zuhö-rens zu erkennen gewesen. Die Kinder hattensich davon inspirieren lassen.

Wenn die Erwachsenen in den Kinderkonfe-renzen in Pinneberg den Kindern so zugehörthatten – mit aller Aufmerksamkeit und allerAnteilnahme, mit einer Haltung, die Neugierund Interesse ausdrückten an dem, was das

Kind zu sagen hatte, und ihm signalisierten,dass sein Beitrag einmalig und wertvoll sei –dann hatten die Kinder begonnen sich mitzu-teilen. Manchmal waren sie trotz alledem zö-gerlich – vielleicht waren sie es nicht ge-wohnt, dass ihnen so zugehört wurde. Aber jedeutlicher sie spürten, dass die Erwachsenennicht die Geduld verloren und ihnen beharrlichdas Zutrauen entgegenbrachten, dass sieetwas zum jeweiligen Thema beizutragen hät-ten, desto mutiger schienen sie ihre Hemm-schwellen zu überwinden. Und sie begannen zu erzählen – ausschwei-fend, abweichend und für die Erzieherinnenund Erzieher nicht immer verständlich.Manchmal benutzten sie Worte, von derenBedeutung sie bislang nur eine ungefähre Vor-stellung hatten, erprobten ihren Gebrauch undkorrigierten nebenbei ihr Verständnis, wenndie Erwachsenen nachfragten, um Verstehenbemüht, ohne sie durch eine direkte Verbes-serung zu tadeln.

Zuhören ist in der pädagogischen Beziehungkeine passive Tätigkeit der Erwachsenen.Zum Aktiven Zuhören gehört der Versuch desVerstehens, der Versuch, den Beitrag (sei erverbal oder nonverbal) aus der Perspektivedes Kindes nachzuvollziehen und sich des ei-genen Verständnisses zu vergewissern. Damitgehört zum Aktiven Zuhören auch das Ant-worten des Erwachsenen, das wieder zu einerAntwort der Kinder führt. Denn „erst die Ant-wort der Kinder auf die Antwort [der Erwach-senen, d.A.] zeigt, ob wirklich etwas von demverstanden wurde, was das Kind gemeint hat.Der Versuch zur wechselseitigen Verständi-gung bildet die Basis jeder Pädagogik der frü-hen Kindheit“ (Schäfer 2003, 127).

Das spürbare Bemühen der Erwachsenen, dieSicht der Kinder auf die Welt zu erfassen,brachte die Kommunikation in Gang. Dassihnen zugehört wurde, sagte den Kindern,dass ihre Gedanken kein Unsinn sind und mo-tivierte sie zum Sprechen. Und die Erwachse-nen erlebten, wie im folgenden Beispiel, dassin den zunächst bisweilen unsinnig klingendenAussagen der Kinder meist doch ein Sinn ver-borgen lag.„Wir brauchen ein großes Klo“, murrte eindreijähriges Mädchen in der neuerbauten Kin-dertageseinrichtung Osloring in Kiel. Die Erzie-herin wunderte sich aufrichtig. Der Wasch-raum war großzügig gestaltet worden; es gabToiletten in verschiedenen Größen. Was woll-te das Mädchen sagen? Die Erzieherin blicktesie erstaunt an, fragte nach: „Ist dir das Klo zuklein?“ und erfuhr so, dass es immer wieder

„Momo konnte so zuhören, dass dummenLeuten plötzlich sehr gescheite Gedankenkamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagteoder fragte, was den anderen auf solcheGedanken brachte, nein, sie saß nur daund hörte einfach zu, mit aller Aufmerk-samkeit und aller Anteilnahme. Dabeischaute sie den anderen mit ihren großenAugen an, und der Betreffende fühlte, wiein ihm auf einmal Gedanken auftauchten,von denen er nie geahnt hatte, dass sie inihm steckten. [...] Und wenn jemand meinte, sein Lebensei ganz verfehlt und bedeutungslos under selbst nur irgendeiner unter Millionen,einer, auf den es überhaupt nicht an-kommt und der ebenso schnell ersetztwerden kann wie ein kaputter Topf – under ging hin und erzählte all das der kleinenMomo, dann wurde ihm, noch während erredete, auf geheimnisvolle Weise klar,dass er sich gründlich irrte, dass es ihn,genauso wie er war, unter allen Menschennur ein einziges Mal gab und dass er des-halb auf seine besondere Weise für dieWelt wichtig war. So konnte Momo zuhören!“

(Ende 1973)

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Was brauchen Kinder, um sich beteiligen zu können?

zu Auseinandersetzungen um die Zahnputzbe-cher kam, weil die Kinder sich mit der neuenOrdnung noch nicht zurechtfanden.

Verstanden zu werden ist eine notwendige,aber noch keine hinreichende Bedingung fürPartizipation. Wenn die Erzieherin die Klagedes Mädchens zwar zur Kenntnis nimmt, aberderartige Gespräche keine Folgen haben, istzu befürchten, dass die Motivation des Kin-des, sich mitzuteilen, bald wieder nachlassenwird. Dem Kind schien es ja darum zu gehen,die unbefriedigende Situation im Waschraumzu verändern. Wenn die Erzieherin dieses An-liegen ernst nimmt, wird sie weiterfragen:„Und? Was denkst du? Was könnten wirtun?“

So unterstützten die Erzieherinnen des ADS-Kindergartens in Tarp die Kinder dabei, einenfür sie bedeutsamen Sachverhalt der kommu-nalen Selbstverwaltung vorzutragen. Einer derAusflüge im Rahmen der Kinderortsplan-Ent-wicklung hatte sie auf einen Spielplatz ge-führt, auf dem ein Schild mit einem durchge-strichenen Hund an einer Schaukel ange-bracht war. Die Kinder wunderten sich:„Dürfen Hunde hier nicht schaukeln?“ Die Er-zieherinnen mutmaßten, dass das Schild eherbedeuten solle, dass keine Hunde auf denSpielplatz dürften. Die Kinder waren empört.Dann müsse das Schild am Eingang des Spiel-platzes angebracht werden, aber nicht an derSchaukel. Die Erzieherinnen wiesen daraufhin, dass der Sozialausschuss für die Spielplät-ze zuständig sei, und die Kinder beschlossen,

ihre Beschwerde der ihnen bereits bekanntenVorsitzenden des Sozialausschusses mitzutei-len. Diese nahm ihr Anliegen ernst und veran-lasste, dass das Schild umgehängt wurde –eine umsichtige Reaktion, die die Kinder darinbestärkt haben dürfte, ihre Interessen auchweiterhin öffentlich zu äußern und damit ihrePartizipationsrechte wahrzunehmen.

Um sich beteiligen zu können, brauchen

Kinder Möglichkeiten, ihre eigenen

Bildungswege zu gehen

Partizipation und Bildung sind, wie wir gese-hen haben, eng miteinander verknüpft. Nichtnur, dass erfolgreiche (Selbst-)Bildung Partizi-pation verlangt, auch werden demokratischeHaltungen und politische Handlungsfähigkeitin Selbstbildungsprozessen erworben. Dabeimuss es nicht immer um explizit politischeThemen gehen. Sich zuständig zu fühlen undunterschiedliche Vorstellungen miteinanderauszuhandeln, also die Bereitschaft und dieFähigkeit sich zu beteiligen, entwickeln Kinderin der gemeinsamen Auseinandersetzung mitallen möglichen Themen, sofern sie dabei ihreeigenen Bildungswege gehen können. Kindern ihre eigenen Bildungswege zuzuge-stehen, bedeutet, sie sowohl an der Auswahlder Bildungsinhalte als auch an der Gestaltungder Bildungsprozesse zu beteiligen. Als dieKinder in der DRK-Kindertagesstätte Turn-straße in Elmshorn sich die Phänomene„Kino“ und „Wachsen“ erarbeiteten (vgl. Ka-pitel 1.2 und 2.2), haben sie die Themen, dieInhalte und die Methoden der Projekte mitbe-

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Was brauchen Kinder, um sich beteiligen zu können?

stimmt. Dabei sind sie aus Erwachsenen-Sichtauf Um- und Abwege geraten und, zumindestwas die Erklärung des Wachsens angeht, zueindeutig falschen Ergebnissen gekommen. Dieser Aspekt löste bei Elternabenden in denModelleinrichtungen, bei denen das Modell-projekt vorgestellt wurde, deutliches Befrem-den aus. „Wenn mein Kind mir sagt, dass derWal ein Fisch ist, muss ich das doch korrigie-ren. Das ist doch falsch.“ Diese Äußerungeiner Mutter war Anlass, kindliche Bildungs-prozesse anhand ihres Beispiels noch einmalkritisch zu reflektieren.Was mag es bei einem Kind auslösen, wennwir seine Aussage, der Wal sei ein Fisch, kor-rigieren? Vielleicht wird es die Information„Der Wal ist kein Fisch, sondern ein Säuge-tier“ abspeichern und sich bereits währendunserer Erörterung der Unterschiede zwi-schen Kiemen- und Lungenatmung wieder an-deren Dingen zuwenden. Auf jeden Fall wirdes aber eine andere Nachricht registrieren.Diese lautet: „Meine Sicht der Welt ist falsch.Die Erwachsenen wissen es besser. Es wirdnicht honoriert, wenn ich selber nachdenke.“Der Forschergeist des Kindes und seine Lustmitzureden werden durch diese Rückmeldungsicher nicht bestärkt. Fragen wir stattdessen erstaunt: „Warumdenkst du, dass der Wal ein Fisch ist?“, kannsich das Kind entscheiden. Es kann dieZwischenfrage kurz abwehren „Ist doch klar:Er lebt im Wasser!“ und das Thema weiter-verfolgen, dass es zu dieser Aussage veran-lasste. Es kann aber auch unseren Zweifel anseiner Weltwahrnehmung heraushören unddarauf eingehen. Dann könnte ein gemeinsa-mer Forschungsprozess beginnen. Das bedeutet nicht, dass wir einer aus unse-rer Sicht falschen Deutung zustimmen sollten,wenn das Kind nicht an einer weiteren Klä-rung interessiert scheint. Aber es genügt, un-sere Zweifel leise anzudeuten: „Ja? Meinstdu?“ und unser Wissen – wie Lothar Kleinund Herbert Vogt (2000, 102 f.) esausdrücken – „in der Schwebe“ zu halten.Erst wenn das Kind uns direkt fragt, ob derWal ein Fisch sei, kann es eine Antwort er-warten. Aber auch an der Suche nach dieserAntwort kann das Kind beteiligt werden:„Woran könnten wir das feststellen? Wasspricht dafür? Was spricht dagegen?“ Entscheidend ist, dass das Kind sich aus eige-nem Antrieb auf die Nachforschung einlässt.Ist es momentan gar nicht daran interessiert,die Klassen des Tierreichs zu differenzieren,wird es sich kaum lohnen, ihm eine Ausein-andersetzung über die Zuordnung des Walszur Klasse der Fische oder der Säugetiere auf-

zudrängen. Dann nämlich werden die anderenBotschaften schwerer wiegen: die der eige-nen Unkenntnis und der Besserwisserei derErwachsenen.

Die Bildungsgeschichten aus den Projekten inder DRK-Kindertagesstätte Turnstraße spre-chen dafür, dass die „richtige“ Erkenntnisnicht der einzige und vielfach auch nicht derwichtigste Gewinn von Bildungsprozessen inKindertageseinrichtungen ist. Die Kinder wer-den nicht in der Überzeugung altern, dassmenschliches Wachstum durch Rollen bewirktwird. Unser Weltwissen – nicht nur das derSiebenjährigen – ist immer ein vorläufiges. Ga-lileis berühmter Ausspruch „Und sie bewegtsich doch!“ (nämlich die Erde um die Sonne)zeugt davon, dass das Weltbild menschlicherKulturen sich immer wieder wandelt. Heutezwingt uns die Quantenphysik, uns von ver-trauten Gewissheiten unserer Alltagserfah-rung zu verabschieden. „Das Weltbild stehtüberhaupt nicht fest“, sagt der renommierteQuantenphysiker Anton Zeilinger (2003) imKlappentext seines Buches „EinsteinsSchleier“. „Wir haben gerade erst begonnendarüber nachzudenken.“ Bildungsförderung inKindertageseinrichtungen sollte daher vorallem dem Nachdenken, dem Forschen desKindes selbst Raum geben – auch wenn dabeiaus Erwachsenen-Sicht Umwege beschrittenwerden und in der einen oder anderen Sack-gasse wieder umgekehrt werden muss.

Um sich beteiligen zu können, brauchen

Kinder Entscheidungsspielräume – auch in

Fragen, die Erwachsene berühren – und

Unterstützung bei der Meinungsbildung

Partizipation bedeutet, Entscheidungen zu tei-len und Probleme gemeinsam zu lösen. Wenndie Beteiligung von Kindern in Kindertagesein-richtungen ernst gemeint ist und nicht nur„Partizipations-Spielwiesen“ eröffnet werdensollen, müssen die Erwachsenen bereit sein,einen Teil ihrer Entscheidungs- und Gestal-tungsmacht abzugeben und anstehende Pro-bleme offen zu legen. Die atemlose Span-

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Was brauchen Kinder, um sich beteiligen zu können?

nung, mit der die Erzieherinnen und Erzieherin der AWO-Kindertagesstätte „Hanna Lucas“in Wedel der Verteilung der Funktionsecken inder Einrichtung entgegenfieberten, zeugtedavon, wie sehr das Thema des Beteiligungs-projekts auch ihnen am Herzen lag. Die Kinderregistrierten die Bedeutung, die dem gemein-samen Entscheidungsprozess beigemessenwurde, und beteiligten sich mit großer Ernst-haftigkeit und Kreativität. So lösten sie u.a.das Problem der Erwachsenen mit der Einfüh-rung eines Kinderrestaurants, indem sie vor-schlugen, zwei kleine Restaurants einzurich-ten, so dass dafür kein großer Gruppenraumgeopfert werden musste (vgl. Kapitel 1.2).

Damit die Kinder die ihnen zugestandenenEntscheidungsspielräume nutzen können,müssen sie ihnen explizit bekannt gegebenwerden. Nur wenn Kinder ihre Rechte ken-nen, können sie sie auch wahrnehmen. In derKiTa Waldstraße in Pinneberg wurden den Kin-dern während eines großen Festes die neue„Verfassung“ und ihre konkreten Mitsprache-rechte in einem Theaterstück vorgestellt. Be-reits in der ersten Sitzung eines der drei Kin-derräte der Einrichtung brachten die Delegier-ten der Kindergruppen das Anliegen vor, zuden Mahlzeiten wieder Fleischgerichte ange-boten zu bekommen (vgl. Kapitel 1.2). Dassihre Eingabe so kurzfristig erfolgte, deutet da-rauf hin, dass diese Frage sie bereits zuvorbeschäftigt, es aber bislang kein Forum gege-ben hatte, in dem es sich angeboten hätte,

sie zu thematisieren. Die öffentliche Einfüh-rung der Kinderräte zeigte ihnen eine solcheMöglichkeit auf.

Mit dem Zugeständnis und der Veröffentli-chung von Entscheidungsspielräumen ist esallerdings nicht getan, denn jede Entschei-dung verlangt zuvor einen Meinungsbildungs-prozess. Der Entwicklungspsychologe RolfOerter (2001, 39 ff.) weist darauf hin, dassdas Denken des Kindes sich nach neueren Er-kenntnissen qualitativ nicht wesentlich vondem des Erwachsenen unterscheidet, dassKinder aber über viel weniger Erfahrungenund Wissen verfügen als Erwachsene. Um zuabgewogenen Urteilen zu gelangen, sei in derRegel aber ein enormes Wissen nötig. Dasbedeutet einerseits, dass Kinder grundsätzlichan allen Entscheidungen beteiligt werden kön-nen, andererseits aber auch, dass ihnen dasWissen für alle komplexeren Entscheidungenaltersangemessen zur Verfügung gestellt wer-den muss. Altersangemessen bedeutet fürKindergarten-Kinder in diesem Zusammen-hang möglichst konkret, mit den Sinnenbe-greif-bar, direkt an die kindliche Erfahrungs-welt anknüpfend. Bevor die Kinder die Inneneinrichtung derneuen Kindertageseinrichtung Osloring in Kielplanen konnten, mussten sie zunächst ihreVorstellungen darüber, wie eine Kindertages-einrichtung von innen aussehen kann überihren begrenzten Erfahrungshorizont hinauserweitern. Schließlich kannten sie bislangaußer ihrer alten Einrichtung kaum eine Kin-dertagesstätte. Dieser Prozess kann durchAusflüge in Werkstätten, Ateliers, Laborsunterstützt werden. Im Modellprojekt wurdendie Ausflüge in einem Diavortrag simuliert.Die Eindrücke des Diavortrags wurden in klei-nen Gruppen weiter bearbeitet. Die Diaskonnten dabei als Papierabzüge noch einmalin die Hand genommen, hin- und hergescho-ben und sortiert werden. Nach und nach er-fassten die Kinder die Möglichkeiten, dieihnen die Planungsbeteiligung bot, ergänztendann konstruktiv die Vorschläge und setztensouverän und situationsangemessen ihre Prio-ritäten (vgl. Kapitel 1.2).

Um sich beteiligen zu können, brauchen

Kinder Erwachsene, die auch ihre Interes-

sen einbringen und die – wenn es denn

sein muss – auch den „Mut zum Besser-

wissen“ haben

Nicht nur um gesellschaftlich relevante The-men in die Erziehung der nachfolgenden Ge-neration einfließen zu lassen, müssen auch

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Was brauchen Kinder, um sich beteiligen zu können?

die Erwachsenen ihre Interessen in die Beteili-gungsprozesse mit den Kindern einbringen.Die Raumgestaltungen in der Kindertagesein-richtung Osloring und der AWO-Kindertages-stätte „Hanna Lucas“ hätten ohne die inhaltli-che Beteiligung der Erzieherinnen und Erzie-her gar nicht geplant werden können, da sie jaanschließend die Gestaltung der Funktions-ecken in ihren Gruppenräumen koordinierenund diese (Bildungs-)Angebote als Expertin-nen und Experten für ihren speziellen Bereichmit ihren individuellen Kenntnissen bereichernsollten. Als es also um die Frage ging, welcheFunktionsecken in welchen Gruppenräumenverwirklicht werden sollten, konnten sie nichtnur, sie mussten ihre Vorstellungen in den ge-meinsamen Entscheidungsprozess einbrin-gen.

Kinder brauchen – weit über diese pädago-gisch-didaktischen Erwägungenhinausgehend – für die Entwicklung eigenerPositionen Erwachsene, die ein authentischesGegenüber darstellen und ihnen Reibungsflä-chen bieten. Das Kind als Partner in einemgleichberechtigten Dialog ernst zu nehmen,verlangt nicht nur, ihm zuzuhören, sonderngleichermaßen eigene Positionen zu vertre-ten, ohne sie allerdings dem Kind aufzwingenzu wollen. Nur wenn diese beiden Vorausset-zungen erfüllt sind, können Aushandlungspro-zesse zwischen Erwachsenen und Kindern –und damit Partizipation – stattfinden.

Mit wie viel Kompetenz und Engagement sichKinder auf derartige Auseinandersetzungeneinlassen können, bewies im Modellprojektsehr eindrucksvoll der Junge in der AWO-Kin-dertagesstätte „Hanna Lucas“, der sichgegenüber den Erzieherinnen argumentativdamit durchsetzen konnte, dass der Musik-

raum im großen Bewe-gungsraum untergebrachtwerden sollte, weil dortauch genug Platz zumTanzen wäre (vgl. Kapitel1.2). Als am nächstenMorgen die Leiterin derEinrichtung, die am Vortagnicht im Hause gewesenwar, die Plakate begutach-tete, auf denen die Ergeb-nisse der Verhandlungenpräsentiert wurden, äu-ßerte sie sich irritiert:„Was ist das denn? Washabt ihr denn da ge-macht?“ Es war etwasentstanden, was so gar

nicht den Vorüberlegungen der Erwachsenenentsprach. Neben ihr stand der Junge, derzuvor so souverän die Verhandlungen geführthatte. Freundlich wandte er sich jetzt an sie:„Das habe ich mir gedacht, dass ich dir dasauch noch mal erklären muss.“

Die Beteiligung der Kinder verlangt einen offe-nen Dialog zwischen gleichberechtigten Part-nern. Wie weit Erwachsene sich aber auchimmer auf die Beteiligung der Kinder einlas-sen, behalten sie doch die Verantwortung fürdie dabei entstehenden Prozesse. Obwohl esim Modellprojekt keinen Anlass dafür gab, sollan dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dassdiese Verantwortung der Erwachsenen ihnenauch den „Mut zum Besserwissen“ abfordert,wenn die Selbstbestimmung der Kinder dazuführt, dass sie sich gar zu viel zumuten odersich und andere gefährden. Die Bereitschaftder Erwachsenen, die Notbremse zu ziehen,bietet den Kindern die notwendige Sicherheitfür eine selbstbestimmte Entwicklung, auchund gerade, wenn davon selten Gebrauch ge-macht wird.

Im vorausgegangenen Kapitel wurde deutlich,dass Kinder, um sich beteiligen zu können, Er-wachsene brauchen, die Kinder ernst neh-men, die der forschenden und gestaltendenAuseinandersetzung der Kinder mit ihrer Le-benswelt mit dem zurückhaltenden Verzichtauf voreilige Erklärungen begegnen, die dieEntscheidungen der Kinder durch ein größt-mögliches Maß an Informationen absichernund die bei alledem ihre Verantwortung behal-ten. Wie den Erwachsenen das gelingenkann, darum geht es im nächsten Kapitel.

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Beteiligung beginnt in den Köpfen der Erwachsenen – Herausforderungen für Pädagoginnen und Pädagogen

Wir sind nie an die Grenzen der Kinder, immerwieder aber an die Grenzen der Erwachsenengestoßen – so lassen sich die Erfahrungen imModellprojekt „Die Kinderstube der Demokra-tie“ zusammenfassen. Die vermeintlichenGrenzen der Kinder entpuppten sich bei nähe-rem Hinsehen als Probleme der Erwachse-nen, ihnen die nötigen Partizipationsräume zu-zugestehen oder die Beteiligung methodischadäquat zu gestalten. Die Erzieherinnen undErzieher hingegen waren immer wieder mitGrundsatzfragen über ihre pädagogische Pra-xis konfrontiert. Die Beteiligung von Kindern inKindertageseinrichtungen stellt hohe Anforde-rungen an die pädagogischen Fachkräfte undstellt ihr pädagogisches Selbstverständnis viel-fach auf die Probe.

Eine frühzeitige Beteiligung von Kindern mussvon den Erwachsenen ausgehen. Die Arbeitim Modellprojekt konzentrierte sich daher aufdie Fortbildung und Begleitung der Erzieherin-nen und Erzieher. In den vorangegangenenKapiteln wurde bereits auf Haltungen undKompetenzen hingewiesen, die die pädagogi-schen Fachkräfte für die Initiierung und Be-gleitung von Partizipationsprozessen benöti-gen. Bevor wir diese Anforderungen im Fol-genden fokussieren, wollen wir zunächst derFrage nachgehen, was auf der Seite der Erwachsenen der Beteiligung der Kinder imWege steht. Abschließend geht es um dieFrage, welche Unterstützung Pädagoginnenund Pädagogen für die Partizipation von Kin-dern benötigen.

3. Beteiligung beginnt in den Köpfen der Erwachsenen –Herausforderungen für Pädagoginnen und Pädagogen

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Was steht der Partizipation der Kinder im Weg?

3.1 Was steht der Partizipation der Kinder im Weg?

Auch wenn in den Modelleinrichtungen dieEntscheidung für Partizipation gefallen warund alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichmit Engagement und Begeisterung der Beteili-gung der Kinder widmeten, zeigte sich im Ver-lauf der einzelnen Projekte, dass die Erwach-senen immer wieder vor neuen Hürden stan-den. Eine konsequente Beteiligung der Kinderist in einer Welt, in der dies keine Selbstver-ständlichkeit ist, gar nicht so leicht zu verwirk-lichen – widerspricht sie doch an vielen Stel-len unserem gewohnten Alltagshandeln. Hür-den sind aber dazu da, überwunden zuwerden, und dies gelingt am besten, wennman sich zuvor genau anschaut, was einemim Wege steht. Die Beschäftigung mit diesen Hürden war einwichtiger Teil der externen Begleitung im Mo-dellprojekt. Im Verlauf der Projekte in den Mo-delleinrichtungen wurden die Beteiligungspro-zesse immer wieder mit den Erzieherinnenund Erziehern reflektiert. Dabei spielte dieÜbertragung auf den Alltag eine wichtigeRolle; ging es doch darum, durch die ProjektePartizipation im Alltagsgeschehen zu imple-mentieren. Es wurden Videoaufnahmen ein-zelner Projektphasen analysiert oder scheinbarindividuelle Schwierigkeiten bei der Durchfüh-rung der Projekte in Einzel- oder Gruppenge-sprächen erörtert. Dabei zeigte sich, dass dieFachkräfte in den Modelleinrichtungen vorvergleichbaren Problemen standen. Eine ge-nauere Betrachtung der Situationen, die fürdie Erwachsenen typischerweise problema-tisch waren, veranschaulicht, wo der Prozessder Beteiligung ins Stocken geraten und wieer wieder belebt werden kann.

Gegenstand vieler Gespräche und Ausein-andersetzungen waren immer wieder folgen-de fünf Hürden:– Mangelndes Zutrauen zu den Kindern– Mangelnde methodische Kompetenzen der

Erwachsenen– Ängste der Erzieherinnen und Erzieher– Unklarheit über die eigene Rolle– Strukturelle Hindernisse.

Mangelndes Zutrauen zu den Kindern

„Ich habe die ganzen kleinen (oder ausländi-schen) Kinder. Die können das noch gar nicht.Die können ja noch nicht einmal (deutsch)sprechen.“„Wenn die Teilnahme an der Kinderkonferenzfreiwillig ist, dann bleiben gerade die Kinderweg, die es so nötig hätten.“Derartige Bedenken äußerten die Erzieherin-nen und Erzieher immer wieder vor Beginnder Beteiligungsprojekte. Sie trauten den Kin-dern nicht zu, sich angemessen zu beteiligen.Beispiele gelungener Partizipation z.B. von ge-hörlosen Kindern an der Gestaltung derRäume ihrer Kindertagesstätte (vgl. Wiegand /Hansen / Marxen 2000; Plöger / Müller BRD2002) oder von funktionierenden Kinderkonfe-renzen in anderen Einrichtungen (vgl. Hansen2004 b) konnten diese Zweifel allein nicht zer-streuen. Erst die konkreten Erfahrungen derkompetenten Beteiligung „ihrer“ Kinder führtedazu, dass nahezu alle Pädagoginnen und Pä-dagogen erstaunt und begeistert über die Par-tizipationsbereitschaft und die Partizipationsfä-higkeiten der Kinder waren.So stellten sie fest, dass sich die Kinder – undselbst jene, die sich anfänglich entzogen –sehr wohl freiwillig an Gesprächsrunden betei-

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ligten, wenn sie für sich einen Sinn in der Teil-nahme sahen (wenn ihnen dort zugehörtwurde oder wenn dort über künftige Anschaf-fungen entschieden wurde), dass sie sehrpragmatisch Lösungen für Probleme fanden,an denen die Erwachsenen zuvor gescheitertwaren, und dass sie sich in ihren Entscheidun-gen viel weniger manipulieren ließen, als dieErwachsenen erwartet hatten.

Mangelndes Zutrauen ist häufig mit einem de-fizitären Blick auf die Kinder verbunden. Gese-hen wird, was sie nicht können und wo Päda-gogik vermeintlich kompensatorisch regulie-ren muss. Die Ressourcen und Kompetenzender Kinder werden weniger wahrgenommen.Die in den Projekten gemachten Erfahrungenführten zu einem Perspektivwechsel. Die Er-zieherinnen und Erzieher fragten sich jetzteher: Was können die Kinder eigentlich schonalles? An welchen Kompetenzen kann ich an-setzen? Partizipation bietet damit eine Chance, dieRessourcenorientierung, die sowohl im Le-bensweltansatz der Sozialen Arbeit als auchim Situationsansatz und in Bildungskonzeptengefordert wird, umzusetzen.

Mangelnde methodische Kompetenzen der

Erwachsenen

„Wir haben schon versucht, die Kinder bei derGestaltung des Außengeländes zu beteiligen.Aber dabei ist überhaupt nichts ’rausgekom-men. Außer Schaukel und Rutsche wollten sienichts haben.“Wer die Kinder im Rahmen einer Außenraum-gestaltung fragt, was sie sich auf dem Spiel-platz „wünschen“, darf sich nicht über dieAntworten wundern. Die Kinder werden dasbenennen, was sie mit dem Begriff „Spiel-

platz“ verbinden: Schaukel, Rutsche, Sandka-sten. Wer davon ausgeht, dass diese Antwor-ten nicht die Bedürfnisse der Kinder wider-spiegeln, sollte nicht die Beteiligungsfähigkei-ten der Kinder in Frage stellen, sondern daseigene methodische Vorgehen. Die Eingangs-frage impliziert die Antworten. Hilfreicherwäre es gewesen, zu fragen, ob die Kindersich an Orte erinnern könnten, an denen sie„einmal ganz toll gespielt“ hätten: an denStrand, den Wald oder eine Kieskuhle.

Die Partizipation der Kinder verlangt den Er-wachsenen ab, dass sie ihr Geschäft verste-hen. Sie müssen wissen, was Kinder allge-mein und diese konkreten Kinder insbesonde-re wissen und können, welche Fragen sieumtreiben, welche Methoden ihnen schon zurVerfügung stehen. Die pädagogischen Ange-bote der Erwachsenen müssen auf diesenAnalysen aufbauen. Auch die Erzieherinnen und Erzieher in denModelleinrichtungen hatten Probleme, ein Ge-spräch mit den Kindern zu entfachen oder dasDurcheinander, das im Laufe eines Gesprächsentstand, zu regeln, ohne das Gespräch abzu-würgen. Stockte dann der Prozess, lag esnahe, wieder die mangelnden Beteiligungsfä-higkeiten der Kinder dafür verantwortlich zumachen. Die Projektteilnehmerinnen und –teilnehmererkannten im Laufe des Modellprojekts, dasseher ihr pädagogisches Verhalten als die In-kompetenz der Kinder diese Probleme verur-sachte, und erweiterten ihre „handwerk-lichen“ Beteiligungskompetenzen. Sie lernten,offene Fragen zu formulieren, die zu einer Ge-sprächsbeteiligung anregen. Sie lernten, ab-strakte Zusammenhänge zu konkretisierenund an der Erfahrungswelt der Kinder anzu-knüpfen. Sie lernten Kindergespräche zu mo-

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Was steht der Partizipation der Kinder im Weg?

derieren oder Entscheidungsarrangements sozu gestalten, dass sie für Kinder überschaubarsind und diese somit entscheidungsfähig werden. Wie jedes pädagogische Vorgehen brauchtauch Partizipation Pädagoginnen und Pädago-gen, die ihr methodisches Handwerkszeug be-herrschen und ihre Methodenkompetenz lau-fend verbessern.

Ängste der Erzieherinnen und Erzieher

„Können die dann mit ihrer Mehrheit alleswegstimmen, was wir entschieden haben?“Die Ängste der Erzieherinnen und Erzieher tra-ten am deutlichsten bei der Einführung institu-tionalisierter Beteiligungsformen zum Vor-schein. Partizipation thematisiert das Macht-verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindernund insofern auch die Rolle der Erwachsenenin der pädagogischen Beziehung. Kindern Mit-bestimmungsrechte einzuräumen, verlangtvon den Erwachsenen, einen Teil ihrer Ent-scheidungs- und Gestaltungsmacht freiwilligabzugeben. Dadurch können Bedenken undZweifel hervorgerufen werden bezüglich einesKontrollverlusts über die Kinder und der Wirk-samkeit der eigenen pädagogischen Tätigkeit. Aber auch im Zusammenhang mit den Öff-nungsprozessen in den Einrichtungen brach-ten die Erzieherinnen und Erzieher Ängstezum Ausdruck: vor dem Einblick, den dieseProzesse den Kolleginnen und Kollegen in dieeigenen Tätigkeiten eröffnen, und der Kontrol-le oder der Konkurrenz, die sich daraus ent-wickeln könnten. Derartige Ängste können dazu führen, dassdie Beteiligungsprozesse – bewusst oder un-bewusst – unterlaufen werden. Entsprechendrücksichtsvoll und geduldig sollten die Er-wachsenen mit sich selbst und miteinanderumgehen. Sie sollten sich Zeit lassen und sichnicht überfordern. Statt mit zu hohen Ansprü-chen in den Beteiligungsprozess zu starten,sollten sie sich ehrlich die Frage beantworten,wie weit sie bereit sind, sich auf die anste-henden Veränderungen einzulassen.

Allerdings verlangten die unterschiedlichenProjektthemen, die sie sich selbst gestellt hat-ten, von den Erzieherinnen und Erziehern vonvornherein einen unterschiedlichen Grad derBereitschaft, sich auf die Beteiligung der Kin-der einzulassen. Die Planung des gemeinsamgenutzten Außengeländes in der Kindertages-einrichtung Osloring in Kiel, die der Projektteil-nahme vorausgegangen war, hatte die einzel-ne Erzieherin weniger betroffen als die Mitbe-stimmung der Kinder bei der Gestaltung der

Innenräume. Hier redeten andere mit über dieGestaltung „ihres“ Gruppenraums und damitihres individuellen Arbeitsplatzes. Ein zeitlichbegrenztes Projekt zur Raumgestaltungwiederum stellte die Frage der Mitsprache-rechte der Kinder weniger grundsätzlich alsdie Einführung einer institutionalisierten Betei-ligungsform. Kinderkonferenzen in der eige-nen Gruppe durchzuführen, setzte die Er-wachsenen weniger der Kontrolle der Kolle-ginnen und Kollegen aus als die Begleitungdes Kinderparlaments der ganzen Einrichtung.Schon der Einstieg in die Beteiligung der Kin-der sollte daher immer mit der Frage begin-nen: Was trauen wir Erwachsenen uns zu?Und welche Fragen wollen wir vorerst aus-klammern? Letzteres darf allerdings nichtdazu führen, dass diese Fragen grundsätzlichad acta gelegt werden. Die Frage der Beteili-gung von Kindern in diesen Bereichen wirdvielmehr nur zurückgestellt, um sie zu einemspäteren Zeitpunkt erneut zu diskutieren.

Im Modellprojekt wurde konsequent daraufgeachtet, dass Entscheidungen über Gegen-stand und Grenzen der Partizipation im Kon-sens getroffen wurden. Die Ängste der einzel-nen Erzieherinnen und Erzieher wurden sehrernst genommen. Wir gingen davon aus, dasskleinere Schritte, die gemeinsam gegangenwerden können, die Entwicklung einer Beteili-gungskultur in den Einrichtungen weiter vor-anbringen würden als große, die nicht alleTeammitglieder gehen würden. Durch dieseVorgehensweise wurden positive gemeinsa-me Erfahrungen möglich. Das Zutrauen derErwachsenen in die eigene Beteiligungsfähig-keit und die methodische Kompetenz wuch-sen und mit ihnen die Bereitschaft, sich aufdie Partizipation der Kinder einzulassen.

Unklarheit über die eigene Rolle

All diese Aspekte deuten darauf hin, dass Par-tizipation mit dem Kern von Pädagogik zu tunhat – mit der Gestaltung der pädagogischenBeziehung zwischen Erwachsenen und Kin-dern. Obwohl viele Pädagoginnen und Päda-gogen heute ein pädagogisches Selbstver-ständnis formulieren, das den Kindern Rechtezugesteht, wird in der Praxis nach wie vor oftanders gehandelt. Immer wieder treffen wirauf die (häufig nicht reflektierte) Vorstellungder Erwachsenen: „Wir wissen, was gut istfür die Kinder, und sorgen dafür, dass sie eserhalten.“

Wie schwierig das allerdings sein kann, erleb-ten die Erzieherinnen und Erzieher der AWO

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Was steht der Partizipation der Kinder im Weg?

Kindertagesstätte „Hanna Lucas“ in Wedel.Im Rahmen der gemeinsam mit den Kindernweiterentwickelten Öffnungsprozesse (vgl.Kapitel 1.2) hatten sie sich entschlossen, denKindern den Zugang zur großzügigen, einrich-tungsinternen Turnhalle auch ohne Begleitungerwachsener Aufsichtspersonen zu gewähren.Zu diesem Zweck waren „Aufpasser“ ernanntworden, in deren Begleitung auch andere Kin-der die Halle nutzen durften. Einer dieser Auf-passer war nun dabei überrascht worden, wieer in der Turnhalle hinter einen Mattenstapelurinierte. Die Aufregung war groß. Es wurdenklärende Gespräche geführt. Der Aufpasserselber rechtfertigte sich damit, dass er dochAufpasser gewesen sei und deshalb die Turn-

halle nicht verlassen durfte, um auf die Toilet-te zu gehen. Er hatte sich also durchauspflichtbewusst, wenngleich der Situation nichtrecht angemessen verhalten. Andere Kinderwiesen auf einen weiteren Hintergrund desVorfalls hin. Die Erzieherinnen und Erzieherhätten die Aufpasser schlecht ausgewählt.„Aufpasser kann nur sein, wer aufpassenkann.“ Und der betreffende Junge sei dazuoffensichtlich nicht in der Lage gewesen. DieErwachsenen mussten sich und den Kinderneingestehen, dass sie einige Aufpasser in derTat ausgewählt hatten, weil sie vermuteten,dass diesen Kindern die Übertragung einersolchen Aufgabe gut tun würde. Die pragmati-sche Sichtweise der Kinder gab ihnen nun zudenken.

Ein partizipatives pädagogisches Selbstver-ständnis setzt an die Stelle dieses kompensa-torischen Gestaltungswillens die Bereitschaftzu einem ergebnisoffenen Diskurs. Die Auf-passer hätten, nachdem die Erwachsenen ihreAnforderungen an die künftigen Funktionsträ-ger formuliert und mit den Kindern ausgehan-delt hätten, gemeinsam mit den Kindern aus-gewählt werden können. Und auch dem Jun-gen hätte es sicher besser getan, wenn er miteiner Aufgabe herausgefordert worden wäre,der er eher gewachsen gewesen wäre.

Zum partizipativen Selbstverständnis gehörtauch die Formulierung und Wahrung eigenerInteressen der Erwachsenen. Als die Erziehe-rinnen und Erzieher in der AWO-Kindertages-stätte „Hanna Lucas“ wie in der Kindertages-einrichtung Osloring in Kiel gemeinsam mitden Kindern ihrer jeweiligen Gruppe entschei-den sollten, welche Funktionsbereiche siegern in ihren Gruppenräumen einrichten woll-ten, taten sich viele Erwachsene schwer.Während einige eingestanden, dass sie ver-sucht hätten, die Kinder zu einer ihnen ange-nehmen Entscheidung zu manipulieren, be-richteten andere mit unsicherem Lächeln,dass die Kinder sich für einen Bereich ent-schieden hätten, der gar nicht ihren Interes-sen entsprach. „In meine Gruppe kommt jetztdie Musikecke – und ich hab’ doch mit Musikso gar nichts am Hut!“ Eine solche Selbstver-leugnung widerspricht allerdings dem Gedan-ken der Partizipation.Partizipation bedeutet das gleichberechtigteAushandeln unterschiedlicher Interessen.Dazu verhilft weder die Manipulation der Kin-der noch die Selbstaufgabe der Erwachsenen.Die Erwachsenen müssen vielmehr in derLage sein, ihre eigenen Interessen gleichwer-tig mit denen der Kinder einzubringen und zurDisposition zu stellen. In der AWO-Kinderta-gesstätte „Hanna Lucas“ gelang ein solcherAushandlungsprozess beispielsweise, als sichder Junge mit seiner Vorstellung von einemMusikraum, der auch Platz zum Tanzen bietenmuss, gegen die Erwachsenen durchsetzenkonnte. Auch die Erzieherinnen hatten ihreWünsche in die Verhandlungen eingebracht,beugten sich aber den besseren Argumentendes Kindes. In der KiTa Waldstraße in Pinne-berg konnten die Kinder zwar ihren Wunschnach Fleisch auf dem Speiseplan durchsetzen,mussten sich aber aufgrund der Einwände derEltern mit Geflügelgerichten zufrieden geben.

Die Bereitschaft und Fähigkeit, einen offenenDialog mit den Kindern zu lernen, verlangt Ver-trauen – in die eigenen Kompetenzen und die

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der Kinder sowie in die Fehlerfreundlichkeitder Kolleginnen und Kollegen. Die Projektteil-nehmerinnen und -teilnehmer wurden immerwieder ermutigt, sich auszuprobieren. Dabeiwurden selbstverständlich Fehler gemacht,wie nicht nur die Video-Aufnahmen der erstenKinderkonferenzen in der KiTa Waldstraße of-fenbarten. Dass alle Beteiligten die sehr nahegehenden Analysen ihrer ersten Moderations-versuche dennoch als äußerst konstruktiv be-schrieben, war der konsequenten Strukturie-rung der gemeinsamen Auswertung der Vide-os im Team sowie den vorangegangenenvertrauensbildenden Erfahrungen in der ge-meinsamen Vorbereitung zu verdanken.

Strukturelle Hindernisse

Partizipation von Kindern gelingt nur schwer,wenn die beteiligten Erwachsenen nicht eben-falls in der Lage und bereit sind, zu partizipie-ren. Damit sind die inneren und äußerenStrukturen der Kindertageseinrichtungen an-gesprochen. Die Leitung und der Träger kön-nen die Partizipation der Kinder wirkungsvollunterstützen, aber auch behindern.Obwohl die Entscheidung zur Partizipation –beispielsweise zur Teilnahme am Modellpro-jekt – häufig eine Leitungsentscheidung ist,muss diese im Team kommuniziert werden,wenn sie nicht unterlaufen werden soll. Dasbelegen u.a. zwei Kindertageseinrichtungen,die, nachdem sie das Auswahlverfahrendurchlaufen hatten, aus dem Modellprojektwieder ausstiegen. In beiden Einrichtungenzogen sich die Teams von der Projektteilnah-me zurück, als die Leitungen aus unterschied-lichen Gründen über einen längeren Zeitraumabwesend waren. Das legt die Vermutungnahe, dass die Bewerbungen in diesen Ein-richtungen nicht aufgrund eines übereinstim-menden Beschlusses der Leitungen und derTeams erfolgt waren. Der Wunschder Leitung, die Kinder zu beteili-gen, erfordert aber auch eine partizi-pative Einbindung der beteiligten Er-wachsenen.Andererseits: Wenn die Leitungnicht ausdrücklich für eine Beteili-gung der Kinder eintritt und die Um-setzung gemeinsam beschlossenerMaßnahmen in diesem Zusammen-hang mit Nachdruck verfolgt, kannein gewisses „Trägheitsmomentdes Alltags“ dazu führen, dass Parti-zipation auf der Strecke bleibt. Ins-besondere bei der Einführung insti-tutionalisierter Beteiligungsformenin der KiTa Waldstraße und im Evan-

gelischen Kindergarten in Quickborn gestan-den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternachträglich ein, dass der Einstieg in die Gre-mienarbeit sich ohne die ultimativen Forderun-gen der Leitungen sicher länger hinausgezö-gert hätte. Die Erzieherinnen und Erzieherstanden vor großen persönlichen Herausforde-rungen. Partizipation fordert eine selbstkriti-sche Auseinandersetzung mit dem pädagogi-schen Selbstverständnis und der Gestaltungder Interaktionen mit den Kindern. Dies machtMühe und kostet Zeit und ist im gegenwärti-gen Alltag in Kindertageseinrichtungen nurdurch ein sehr hohes Engagement der Erzie-herinnen und Erzieher zu bewältigen. Leitung und Träger von Kindertageseinrichtun-gen sind dafür verantwortlich, dass der struk-turelle Rahmen für derart anspruchsvolle Pro-zesse geschaffen wird. Welche Unterstützungerhalten die Erzieherinnen und Erzieher? Wieviel Zeit wird ihnen für die Reflexion ihrer pädagogischen Arbeit zur Verfügung gestellt?Wie wird eine angemessene Begleitung sicher gestellt? Die am Modellprojekt beteilig-ten Einrichtungen betonten immer wieder,dass gerade die Praxisbegleitung und dieUnterstützung bei der Reflexion der eigenenTätigkeit durch das Projektteam für sie vonbesonderer Bedeutung waren.

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

3.2 Was verlangt die Partizipation derKinder von den Erwachsenen?

Partizipation – insbesondere von jüngeren Kin-dern – ist kein Selbstgänger. Wenn sie nichtzur Beteiligung herausgefordert werden unddie Entwicklung ihrer Beteiligungsfähigkeitennicht systematisch unterstützt wird, wenn siekeine Erwachsenen erleben, die sich selbstbeteiligen und sie als gleichwertige Partnerernst nehmen, dann werden sich Kinder –wenn es ihnen überhaupt in den Sinn kommt,sich in die Gestaltung des Alltags der Kinder-tageseinrichtung einzumischen – sehr schwertun, ihre Interessen zu äußern und ihre Rech-te einzuklagen. Eine Partizipationskultur, in deres für Erwachsene wie Kinder selbstverständ-lich ist, dass alle etwas zu sagen haben unddaher auch allen zugehört wird und alle mit-entscheiden, kann sich in einer Kindertages-einrichtung nur aufgrund einer reflektiertenpädagogischen Tätigkeit der Fachkräfte entfal-ten. Partizipation fordert sie mit ihrer ganzenPerson und mit ihrer ganzen Professionalität.

Die Einstellungen und Kompetenzen, sowiedas methodische Know-How der Erwachse-nen sind der Schlüssel zur Beteiligung der Kin-der. Daher war ein weiterer Schwerpunkt derexternen Begleitung der Teams im Modellpro-jekt, mit den Erzieherinnen und Erziehern her-auszuarbeiten, welche Haltungen und welchepädagogischen Verhaltensweisen besondersgeeignet sind, die Partizipation der Kinder zufördern. Im Folgenden sollen – obwohl siezum Teil schon in den vorangegangenen Kapi-teln angeklungen sind – noch einmal vierAspekte hervorgehoben werden, die sich imModellprojekt als förderlich für die Beteiligungder Kinder erwiesen haben.

Die Partizipation von Kindern in Kindertages-einrichtungen verlangt von den Erwachseneninsbesondere:– ihre politischen Werte und ihre pädagogi-

schen Ziele zu klären– theoretische Diskussionen zu verfolgen– eine dialogische Haltung zu entwickeln– ihre Moderationskompetenzen zu erweitern.

Partizipation verlangt von den Erwachse-

nen, ihre politischen Werte und ihre päda-

gogischen Ziele zu klären

Pädagogik ist auf die Zukunft gerichtet. Päda-gogisches Denken und Handeln zielt darauf,die nachwachsende Generation auf künftigeAnforderungen vorzubereiten. Damit kommenPädagoginnen und Pädagogen nicht umhin,sich eigene Vorstellungen von der Zukunft zumachen. Pädagogik hat immer auch utopischeElemente. Sie basiert auf Ideen von einerWelt von morgen, die in pädagogische Zieleumgesetzt werden und mehr oder weniger re-flektiert unser pädagogisches Handeln bestim-men. Ob Theodor Adorno (1971), für den nur eine„Erziehung zur Mündigkeit“ dafür sorgenkonnte, „dass Auschwitz nicht noch einmalsei“, ob Paulo Freire (1973), der seine „Päda-gogik der Unterdrückten“ als Erziehung zurSelbstbefreiung verstand, ob Alexander Neill(1969), der Verbrechen, Hass und Krieg da-durch zu überwinden hoffte, freie und damitglückliche Kinder zu erziehen, oder ob Hart-mut von Hentig (1993), der die LaborschuleBielefeld einer polis nachempfunden hat, inder die Kinder die „Grundbedingungen desfriedlichen, gerechten, geregelten und verant-worteten Zusammenlebens“ lernen – sie alleleiteten ihre pädagogischen Ziele u.a. ausihren Utopien von einer besseren Welt ab.

So verfuhren vor 30 Jahren auch Jürgen Zim-mer und die Arbeitsgruppe Vorschulerziehungim Deutschen Jugendinstitut, als sie den Situ-ationsansatz entwickelten. Die Leitziele Auto-nomie, Solidarität und Kompetenz sind getra-gen von der Utopie einer freien, gerechtenund solidarischen Welt und haben auch unterden veränderten gegenwärtigen Bedingungenihre Aktualität bewahrt:– Autonomie meint Selbstbestimmung, Unab-

hängigkeit, Eigeninitiative, Selbständigkeit.– Solidarität ergänzt die Autonomie um den

Gemeinsinn. Wer solidarisch ist, interessiertsich für Andere, fühlt mit, engagiert undkümmert sich.

– Kompetenz schließlich meint die Fähigkeit inkomplexen Situationen der Sache ange-

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

messen, autonom und solidarisch handelnzu können (vgl. Zimmer 2000, 14).

Partizipation verlangt von pädagogischenFachkräften sich auch mit ihren politischenGrundhaltungen auseinander zu setzen unddaraus ihre pädagogischen Ziele zu erarbeiten.Wer will, dass Kinder gehorchen lernen undzu unauffälligen, angepassten Erwachsenenwerden, wird ihnen kaum Beteiligungsmög-lichkeiten zugestehen. Das Interesse von Er-wachsenen an den Rechten von Kindern undan deren Partizipation wurzelt eher in freiheit-lich, humanistisch, emanzipatorisch, demokra-tisch o.ä. motivierten politischen Wertvorstel-lungen. Bei der Klärung eigener politischer Werte undpädagogischer Ziele können folgende Fragenhilfreich sein:– Wie wünsche ich mir die Zukunft der Gesell-

schaft?– Welche Werte sind mir wichtig?– Welche Werte möchte ich den Kindern nahe

bringen?– Welche Kompetenzen brauchen Kinder, um

die Welt von morgen aktiv mitgestalten zukönnen?

Partizipation verlangt von den

Erwachsenen, theoretische Diskussionen

zu verfolgen

Qualität ist keine objektive Größe. Eltern, Er-zieherinnen und Erzieher, Kinder, Träger, Ge-sellschaft oder Politik haben unterschiedlicheVorstellungen von der Qualität von Kinderta-geseinrichtungen. Qualitätsentwicklungbraucht daher einen Dialog über Ziele. Sie istkeine gänzlich neue Aufgabe, sondern immerschon Bestandteil einer pädagogischen Arbeitgewesen, die sich an einer Konzeption orien-tiert und diese regelmä-ßig überprüft. Im Nationalen Kriterien-katalog für die pädagogi-sche Qualität in Tages-einrichtungen für Kinder(Tietze / Viernickel 2002)ist Partizipation einer vonsechs Leitgesichtspunk-ten zur Bestimmung pä-dagogischer Qualität.Das heißt, dass die Qua-lität in allen 20 dort ge-nannten Qualitätsberei-chen entscheidend darangemessen wird, wie esgelingt, die Kinder zu be-teiligen. Aus fachlicherSicht ist Partizipation

damit ein Querschnittsthema. Die fachliche Grundlage einzelner Einrich-tungskonzeptionen bilden pädagogische Ansätze. Im Bereich der Elementarpädagogiklassen sich in Deutschland zur Zeit drei bedeutsame curriculare Diskussionssträngeausmachen: der Situationsansatz, die Diskus-sion um Bildung in Kindertageseinrichtungenund die Rezeption der Kleinkindpädagogik ausReggio Emilia. In diesen Ansätzen spielt Parti-zipation jeweils eine zentrale Rolle, aller-dings – wie umseitig kurz dargestellt – mitunterschiedlichen Akzenten. Erzieherinnen und Erzieher, die sich für Partizi-pation entschieden haben, sollten die Diskur-se über frühkindliche Pädagogik aufmerksamverfolgen und wissen, wie Partizipation in denverschiedenen Ansätzen berücksichtigt wird.So kann die grundlegende Bedeutung vonPartizipation in den Konzeptionen der Einrich-tungen nachvollzogen und vermieden werden,dass Partizipation als vorübergehendes Mode-thema und zusätzliche Aufgabe von Kinderta-geseinrichtungen missverstanden wird. Erzie-herinnen und Erzieher sollten ihre pädagogi-sche Praxis vor dem Hintergrund diesertheoretischen Ansätze reflektieren und dar-stellen können. Sie müssen – auch in Bezugauf die Beteiligung der Kinder – die Frage be-antworten können, warum sie so handeln, wiesie handeln, und sich dafür mit folgenden Fra-gen auseinandersetzen: – Wie reflektieren wir unsere Arbeit theore-

tisch? – Was bedeutet Partizipation in den aktuellen

Ansätzen der Kleinkindpädagogik? – Wie bringen wir unsere theoretischen

Hintergründe in die Konzeption und in dieDokumentation unserer pädagogischen Ar-beit ein?

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

q Partizipation im SituationsansatzDer Situationsansatz geht von den realen komple-xen Lebenssituationen der Kinder aus und hat alsRichtziele Autonomie, Solidarität und Kompetenz.Ausgangspunkt der pädagogischen Arbeit ist dasAufspüren von Schlüsselsituationen. Dies sind Si-tuationen im Alltag der Kinder, die für sie und ihreEntwicklung von besonderer Bedeutung sind.Aufgabe der Erzieherinnen und Erzieher ist es,diese Schlüsselsituationen zu erkennen, zu analy-sieren und zum Ausgangspunkt pädagogischenHandelns (insbesondere in Projekten) zu machen(vgl. Zimmer 2000, 27 ff.). Um Schlüsselsituatio-nen als solche erkennen zu können, braucht esPartizipation. Die Frage ist nicht: Wie kann ichdas den Kindern vermitteln? Sondern: Wie kannich die Kinder verstehen? Welche Bedeutung hatdiese Situation für die Kinder? Auch die weiterenmethodischen Schritte des Situationsansatzesbeinhalten immer wieder das Aushandeln mit denKindern.

Partizipation ist eine von fünf theoretischen Di-mensionen, die die konzeptionellen Grundsätzedes Situationsansatzes begründen (vgl. Preissing2003, 11). „Kinder zu beteiligen bedeutet, sieganz selbstverständlich als Subjekte zu begreifen,die ihr Leben selbst in die Hand nehmen [...].Ausgehend von diesem Bewusstsein heißt dasfür die pädagogische Arbeit: Kinder lernen, Situa-tionen selbst zu gestalten. Gemeint ist, Kinderndie Chance zu geben, sich Wege selbst zu su-chen und diesen Prozess des forschenden, ent-deckenden, experimentierenden Lernens durchdie Erweiterung des Blickwinkels und durch ver-tiefende Recherchen zu fördern“ (Preissing 2003,46).

q Partizipation in der aktuellen Bildungsdiskus-sion

Die Zusammenhänge von Partizipation und Bil-dung wurden bereits im zweiten Kapitel darge-stellt. An dieser Stelle geht es darum, die Hin-weise, die sich aus dieser Diskussion für dieWeiterentwicklung des Situationsansatzes erge-ben, zu skizzieren. Hans-Joachim Laewen (2002 b, 237) stellt imModellprojekt „Zum Bildungsauftrag von Kinder-tageseinrichtungen“ aus entwicklungspsychologi-scher Perspektive fest: „Der Situationsansatz hatkein Verfahren zur Identifizierung von Schüssel-themen oder Schlüsselsituationen von Kindernentwickelt, das sich auf das subjektive Erlebenvon Kindern, auf deren Konstruktionen von Weltstützt und diese Informationen zum Ausgangs-punkt weitergreifender Analysen bis hin zu Kon-zepten erzieherischen Handelns machen würde.“

In der Tat räumt Jürgen Zimmer (2000, 29) ein,dass es im Situationsansatz die Erzieherinnenund Erzieher sind, die entscheiden, was eineSchlüsselsituation ist: „Sie müssen die Komple-xität des Geschehens, das Sie beobachten, redu-zieren und sagen: Das ist die Situation, die ichjetzt wichtig finde.“ Hans-Joachim Laewen plä-diert stattdessen dafür, stärker als im Situations-ansatz bislang geschehen, von der subjektivenWeltsicht der Kinder auszugehen und dies me-thodisch zu systematisieren. Er empfiehlt, immerdann skeptisch zu werden, wenn Kinder leichtverstanden werden: „Oft beruht dieses vermeint-lich rasche Verstehen auf einer Verkürzung desvom Kind Gemeinten auf einen Teilaspekt oderaber auf einer völligen Fehlinterpretation“ (Lae-wen 2002 a, 95).

Dies ist ein Plädoyer für eine stärkere Kinderbe-teiligung bei der Auswahl von Schlüsselsituatio-nen und Bildungsthemen. Partizipationsverfahren,wie sie v.a. in der DRK-Kindertagesstätte Turn-straße in Elmshorn entwickelt wurden, könnendazu beitragen, dass tatsächlich das subjektiveErleben der Kinder im Mittelpunkt steht, ihre Fra-gen und ihre Antworten wahrgenommen werdenund ein offener Dialog ermöglicht wird.

q Partizipation in der Kleinkindpädagogik in Reggio Emilia

In den Kindertageseinrichtungen in Reggio Emiliafindet genau dies schon lange statt. Hier ist diesubjektive Weltsicht der Kinder Ausgangspunktder pädagogischen Arbeit. Für die Pädagoginnenund Pädagogen in Reggio sind die Ideen und Vor-stellungen der Kinder niemals falsch oder unvoll-ständig, sondern haben eine eigene Qualität, diesie mit größter Aufmerksamkeit zu verstehentrachten. „Es scheint fast, als sei für die Kinderjedes Objekt und jedes Ereignis Träger einer Be-deutung, die es wert ist, interpretiert zu werden“(S. Spaggiari nach Dreier 1999, 71). Die Erziehe-rinnen und Erzieher nehmen die Fragen und Bei-träge der Kinder ernst, greifen sie auf und bezie-hen sie in ihre pädagogische Tätigkeit ein. Der di-alogische Prozess des Verstehens der Kinderumfasst dabei ausführliche Dokumentationen derInteraktionen zwischen Erwachsenen und Kin-dern, deren Interpretation aufgrund fachlicherKenntnisse und intensive Reflexionen im Teamund mit der Fachberatung (vgl. Laewen 2002 b,237 ff.). Das ausschlaggebende Moment in die-sem Prozess ist die direkte Beteiligung der Kin-der im Dialog.

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

Partizipation verlangt von den Erwachse-

nen eine dialogische Haltung

Partizipation verlangt eine gleichwertige, einesymmetrische Kommunikation. Voraussetzungdafür ist eine dialogische Haltung der Erwach-senen. Wenn Partizipation bedeutet, gemein-sam Entscheidungen zu fällen und gemein-sam Probleme zu lösen, braucht sie zudemeinen Gegenstand, ein für die Beteiligten rele-vantes Thema. Es geht nicht nur um ein Mit-einander-Verhandeln, sondern gleichzeitig umein Aushandeln von Interessen. Partizipationverlangt also einen Dialog mit Kindern übereinen Inhalt.

q Dialoge mit Kindern Dialoge mit Kindern können in „100 Spra-chen“ erfolgen. Sie sind nicht auf verbaleAusdrucksformen beschränkt. Die Körperspra-che der Kinder spricht oft eine viel eindeutige-re Sprache als ihr verbaler Ausdruck es ver-mag. „Der Körper ist der Handschuh derSeele, seine Sprache das Wort des Herzens“,sagt der Pantomime Samy Molcho (2003, 20f.). „Jede innere Bewegung, Gefühle, Emotio-nen, Wünsche drücken sich durch unserenKörper aus.“ Das heißt für Molcho, dass derKörper nicht lügen kann. Bei Erwachsenen be-obachten wir allerdings sehr viel häufiger alsbei Kindern widersprüchliche Signale oder Ge-bärden. Dabei geht es um Widersprüche zwi-schen verbaler Äußerung und Bewegung undin sich widersprüchliche Bewegungen. SamyMolcho (1996, 187) führt das darauf zurück,dass „Rituale mehr und mehr ein Teil des ei-genen Ich werden“ und so Konflikte zwischendem Ritual und den eigenen Wünschen auf-treten. Während wir vielleicht in einer Ge-sprächsrunde, die uns langweilt oder überfor-dert oder aus sonstigen Gründen unange-nehm ist, „gute Mine zum bösen Spiel“machen werden, verrät uns die Körperspracheder Kinder sehr eindeutig, ob sie noch bei derSache sind oder nicht. Diese Signale gilt es zubeachten und zu berücksichtigen. Die genaue Beobachtung der Kinder und dieInterpretation ihrer Lebensäußerungen auf derGrundlage fachlichen Wissens sind ein Teildes Dialogs mit Kindern. Dazu gehört aberauch die Verständigung mit den Kindern darü-ber, ob die jeweilige Interpretation ihrer Äuße-rung richtig ist.

Dialoge mit Kindern zu führen, verlangt vonden Erwachsenen bereit und in der Lage zusein, die Interaktionen mit den Kindern sym-metrisch zu gestalten. Entscheidend dafür,dass das gelingt, ist das, was wir als „Ton“,„Stimmung“ oder „Atmosphäre“ bezeichnen.

Diese Qualität des Interaktionsprozesses be-stimmen zunächst allein die Erwachsenen.Nur wenn sie den Kindern mit einer dialogi-schen Haltung begegnen, können Dialoge zwi-schen Erwachsenen und Kindern entstehen.

Eine dialogische Haltung der Erwachsenen be-deutet, davon überzeugt zu sein, dass jederund jede etwas zu sagen hat, interessiert undneugierig auf das zu sein, was die Kinder bei-zutragen haben, ihnen fragend, nicht wissendzu begegnen und ihre Beiträge ernst zu neh-men. Dialoge mit Kindern erfordern aufmerksam zu-zuhören, sich ihnen zuzuwenden, Blickkontaktzu suchen, die Kinder ausreden zu lassen,auch wenn sie scheinbar abschweifen. Wennes, aus welchen Gründen auch immer, geradenicht möglich ist, sich auf das Gespräch einzu-lassen, muss das ehrlich ausgesprochen wer-den: „Ich kann dir jetzt nicht zuhören. Kannstdu warten, bis ich hiermit fertig bin?“Dialoge mit Kindern erfordern, sich auf sie ein-zulassen und sich in sie hineinzuversetzen.Sie können bedeuten, den Gefühlen oder Ge-danken der Kinder eine Sprache zu gebenoder ihre Ausdrucksformen anzunehmen. Sieverlangen Respekt, als „das Gefühl für denfeinen Unterschied zwischen Nähe und Zu-nahe-Treten“ (Raoul Wortmann nach Kazemi-Veisari 1998, 18). Dialoge mit Kindern brauchen die Geduld, diees ermöglicht, den eigenen Wissensvor-sprung zurück und eigene Bewertungen „inder Schwebe“ zu halten (Klein / Vogt 2000,102 f.), die Fähigkeit, das eigene Vorwissenohne Besserwisserei zur Verfügung zu stellenund die Selbstsicherheit, eigene Ungewisshei-ten einzugestehen: „Das weiß ich auch nicht,aber wir können gemeinsam versuchen, esheraus zu bekommen.

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

Interaktionen zwischen Erwachsenen und Kindern finden im Alltag von Kindertagesein-richtungen in sehr unterschiedlichen Formenstatt. Ob Erzieherinnen oder Erzieher dabeieine dialogische Haltung einnehmen, spürenKinder sehr genau.

q Dialoge über InhalteDialoge mit Kindern können das Phänomendes Wachsens, das nächste Ausflugsziel,Raum- oder Tagesgestaltungen, die Gestal-tung eines Kinderortsplanes oder auch Perso-nalfragen beinhalten. Gegenstand des Dialogskann sein, was die Kinder gerade interessiertoder wie sie Alltägliches in der Einrichtungwahrnehmen, aber auch, was die Erwachse-nen beschäftigt oder was im Alltag der Kinder-tageseinrichtung gerade entschieden werdenmuss. Kinder nehmen Anteil am Leben in derEinrichtung und am Weltgeschehen. Es ent-geht ihnen nicht, welche Themen Erwachse-ne bewegen. Sie wollen daran teilhaben; undsie bringen viele Voraussetzungen dafür mit. Nur in Dialogen mit Kindern erfahren Erwach-sene, welches die jeweils aktuellen Themender Kinder sind. Ein Dialog verlangt von denErwachsenen aber auch, sich mit den Kindernüber Dinge auseinander zu setzen, die ihnenselbst am Herzen liegen. Erwachsene müssenimmer wieder klären, welche Themen sie denKindern zumuten wollen, und diese Themenso einbringen, dass die Kinder in die Lage versetzt werden, darüber in einen Dialog zutreten.

Um Dialoge mit Kindern über die vielen denk-baren Inhalte zu ermöglichen, müssen die Er-zieherinnen und Erzieher sich fragen:– Kann ich aktiv zuhören?– Nehme ich die Äußerungen der Kinder

wahr? Inwiefern berücksichtige ich nicht nurdie verbalen, sondern auch non-verbaleSprachen der Kinder?

– Wie viel Zeit lasse ich mir, die Kinder zu ver-stehen? Wie vergewissere ich mich, ob ichdie Kinder richtig verstanden habe, bevor ichmeine sie verstanden zu haben?

– Was sind die Themen der Kinder? – Was sind meine Themen, Positionen und

Ziele? Welche will ich den Kindern zumu-ten?

Partizipation verlangt von den Erwachse-

nen Moderationskompetenzen

Das Handwerkszeug von Pädagoginnen undPädagogen sind Methoden, mit denen päda-gogische Prozesse gestaltet werden können.Das gilt auch für Partizipation. Um Kinder inKindertageseinrichtungen beteiligen zu kön-nen, brauchen Erzieherinnen und Erzieher me-thodische Kompetenzen, die Partizipationspro-zesse ermöglichen und erleichtern. Dazu zäh-len vor allem Moderationskompetenzen.

Moderieren bedeutet, den Meinungs- und Willensbildungsprozess einer Gruppe zu er-möglichen oder zu erleichtern, ohne inhaltlicheinzugreifen und zu steuern. Moderatorinnen

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

und Moderatoren sind methodische Helfer,die ihre eigenen Meinungen, Ziele und Wer-tungen zurückstellen können. Die Kunst beider Beteiligung von Kindern besteht nun darin,sich einerseits im Dialog mit einer eigenenPosition einzubringen, diese aber andererseitsin der Moderation des Beteiligungsprozesseszurückzuhalten.

Für die Partizipation in Kindertageseinrichtun-gen sind insbesondere die Moderation vonKindergesprächen, die Konfliktmoderation unddie Moderation von Beteiligungsverfahren be-deutsam.

q Moderation von Kindergesprächen Wenn Partizipation bedeutet, gemeinsam Ent-scheidungen zu fällen, muss nicht nur dieKommunikation zwischen Erwachsenen undKindern auf Gleichwertigkeit beruhen, sondernauch die zwischen den Kindern selbst. Erzie-herinnen und Erzieher können Kinder schonfrüh darin unterstützen, Gesprächskompeten-zen zu üben.„Kindergespräche zu begleiten, zu moderie-ren, fiel mir nicht einfach in den Schoß. Eswar ein langer Lernprozess,“ gesteht Sieglin-de Mühlum (Mühlum / Virnkaes 1998, 63),langjährige Leiterin des Evangelischen Kinder-gartens im hessischen Lorsch. Die Aufgabender Moderation sieht sie darin, bei der Ent-wicklung von Gesprächsregeln behilflich zusein, darauf zu achten, dass alle zu Wort kom-men können, nicht ausgelacht oder verspottetwerden. Dabei gilt es durchaus, auch das Zieldes Gesprächs im Auge zu behalten, sich abertunlichst davor zu hüten, zu bewerten oder füreinzelne Kinder Position zu beziehen.

Ein Erzieher berichtete, wie sich das gemein-same Frühstück in einer Krabbelgruppe mitein- bis dreijährigen Kindern über Monate zueiner Gesprächsrunde entwickelte, in der dieKinder bis zu dreißig Minuten miteinandereinen Gesprächsfaden verfolgen konnten –wenn auch auf allerlei Umwegen. Zu Beginnwies er die Kinder immer wieder darauf hin,dass Jonas gerade rede, forderte sie auf, ihmzuzuhören, weil der so Interessantes berichte.Er bat, die Ansprechpartner zu benennen:„Frag doch Klara selbst“, ermutigte Manuel(bedrängte ihn aber nicht), zu wiederholen,was er gerade gesagt habe, oder griff selbereinen Beitrag auf. Er übersetzte, bremsteNele lachend, wenn sie anderen gar zu stürmisch ins Wort fiel, sorgte aber auchdafür, dass sie zu Wort kam, bevor sie alleswieder vergaß. Nach und nach entwickeltenso schon diese ein- bis dreijährigen Kinder

eine Gesprächskultur. Die Moderation von Kindergesprächen istimmer eine Gratwanderung. „Kinder brauchenErwachsene, die sich ihnen mit ihren eigenenLebenserfahrungen zur Verfügung stellen,d.h.: Ich bringe mich ein, beziehe Stellung,habe Vorlieben und Abneigungen, habe meineMeinung, aber sie muss nicht die Meinunganderer sein“ (Mühlum / Virnkaes 1998, 63). Erzieherinnen und Erzieher sind in den Ge-sprächen mit Kindern oft Teilnehmer mit be-sonderen Aufgaben. Sie leiten den Prozessdes Gesprächs, sind aber u.U. mit ihren per-sönlichen Erfahrungen gefragt oder selbst ander Entscheidungsfindung interessiert. Dieseambivalente Doppelrolle – die dem eigent-lichen Geist der Moderation widerspricht – ge-bietet, den Rollenwechsel von der Gesprächs-leitung zur Gesprächsbeteiligung bewusstwahrzunehmen und den Kindern transparentzu machen: „Ihr habt jetzt gesagt, wie ihr dasseht. Nun will ich auch sagen, wie ich dassehe. Und dann könnt ihr wieder dazu sagen,wie ihr das findet.“

q Moderation von KonfliktenWenn man gemeinsam plant und entscheidet,kommt es immer wieder zu Konflikten. Partizi-pation scheut Konflikte nicht, sondern greiftsie vielmehr so auf, dass Lösungen gesuchtwerden, die von allen mitgetragen werdenkönnen. Voraussetzung für einen konstruktiven Um-gang mit Konflikten ist, sie nicht als störendoder bedrohlich wahrzunehmen, sondern sieals Chance zu betrachten. „Konflikte sind inder Arbeit mit Kindern etwas Normales“,schreiben Kurt und Sabine Faller (2002, 16).„Konflikte – früh wahrgenommen – sind einwichtiges Signal, dass etwas nicht stimmt.Sie bieten eine Chance zur Entwicklung. [...]Nicht der Konflikt ist das Problem, sonderndie Art und Weise, wie wir damit umgehen.“

Kurt und Sabine Faller haben das Konzept der„Mediation in der pädagogischen Arbeit“ (Faller1998) für Kindertageseinrichtungen aufgearbei-tet. Mediation ist ein Verfahren zur Konfliktlö-sung durch eine unbeteiligte dritte Person, umeine Lösung zu finden, mit der alle Beteiligtenzufrieden sind. Die Mediation lebt von einermediativen Haltung und entsprechenden Ge-sprächstechniken. „Das sind ganz allgemeinRespekt und Achtung gegenüber den Personenund Vertrauen in ihre Fähigkeit, selbst Lösun-gen für ihre Probleme zu finden. [...] Die Media-torin ist verantwortlich für das Verfahren unddie Gesprächsführung, aber nicht für den Inhaltund die Lösung“ (Faller / Faller 2002, 11 f.).

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

Die Aufgabe der Mediatorin oder des Media-tors ist also nicht, den Konflikt zu beurteilen,sondern seine Lösung zu moderieren. Dazuerhalten zunächst beide Konfliktparteien dieGelegenheit, die Situation aus ihrer Sicht dar-zustellen. Zwei Karten, auf denen entwederein Ohr oder ein Mund abgebildet ist, könnenden Kindern dabei helfen, einmal die Rolle desZuhörenden und einmal die des Sprechendeneinzunehmen. Wer zuerst den Mund gezogenhat, darf beginnen zu erzählen. Auf die gleicheWeise benennen beide mögliche Auswege.Schließlich geht es darum, dass die Kontra-henten miteinander eine Lösung aushandelnund gemeinsam Konsequenzen festlegen.Und die Mediatorin oder der Mediator verge-wissern sich, dass beide die Vereinbarungenverstanden haben.

Mediation fällt besonders schwer, wenn dieErwachsenen selbst in Konflikte mit einemKind verwickelt sind. Oft findet sich im Alltagkeine Kollegin, die gerade in der Lage ist, dieKonfliktlösung zu begleiten. Dann müssen dieErwachsenen den Spagat vollbringen, den ei-genen Konflikt zu moderieren. Dies erfordertsehr viel Rollendistanz, um die eigenen Beiträ-ge von der Moderation des Prozesses zu tren-nen. Die Rolle einer Moderatorin oder einesModerators in Konflikten kann aber – wie Kurtund Sabine Faller zeigen – auch von Kindernübernommen werden.

q Moderation von BeteiligungsverfahrenModeration spielt schließlich auch bei der Ge-samtplanung von Beteiligungsverfahren einewichtige Rolle. Erwachsene müssen auch hierimmer wieder einen Spagat bewältigen, näm-lich einerseits offene Situationen zu schaffen,in denen Kinder ihre Ideen entwickeln kön-nen, andererseits den Gesamtprozess so zugestalten, dass die Zusammenhänge für alleerkennbar bleiben und verabredete Ziele aucherreicht werden können.Dabei müssen Erzieherinnen und Erzieher ins-besondere ein Gleichgewicht zwischen Pla-nung und Beteiligung sowie Prozess- und Er-gebnisorientierung finden.

Eine am Kind orientierte partizipative Pädago-gik steht immer in dem Dilemma, einerseitsoffene Verfahren zu gestalten (Beteiligung),andererseits methodisch planen zu müssen(Planung). Es gilt, die Balance zwischen Pla-nung und Offenheit zu finden, um einerseitsgemeinsam besprochene Ziele zu erreichen(z.B. die Erstellung eines Kinderstadtplans) an-dererseits die Partizipation nicht zugunsteneines einmal definierten Ziels aufzugeben. Für diese Planung sind – jedenfalls in Kinder-tageseinrichtungen – zunächst ausschließlichdie Erwachsenen verantwortlich. Das wird be-sonders deutlich bei der Einführung institutio-nalisierter Beteiligungsformen. Die Kinder inKindertageseinrichtungen verfügen normaler-weise über keinerlei Erfahrungen mit formalenMitbestimmungsstrukturen. Es mangelt ihnenam nötigen Wissen, um an einer Entschei-dung über die Form ihrer künftigen Beteili-gung beteiligt zu werden. Erst wenn sie eini-ge Zeit in den von den Erwachsenen einge-führten Gremien gearbeitet haben, verfügensie über ein Wissen, das ihnen ermöglicht ander Weiterentwicklung der Abläufe und Struk-turen mitzuwirken.

Wie diese Balance aussehen kann, zeigte sichin der Gestaltung des Kinderstadtplans im Izz-Kizz-Kindergarten in Itzehoe (vgl. Kapitel1.2). Hier hatten sich die Erzieherinnen dafürentschieden, in Zusammenarbeit mit den Kin-dern einen Kinderstadtplan zu entwickeln. Siehatten Ziele formuliert (bezüglich der Beteili-gung der Kinder, sowie der Inhalte und derProdukte des Projekts), hatten den Einstieggeplant, mögliche Arbeits- und Präsentations-formen zusammengetragen, einen Zeitplan erstellt und über potenzielle Stolpersteine imProjektverlauf nachgedacht. Die Beteiligungder Kinder sollte gleich nach der Einstiegspha-se beginnen. Auch die Beteiligungsstrukturen

Planung und Beteiligung

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

waren genau geplant worden. Schon bei der Auswahl der Arbeitsformen, derersten Phase der Kinderbeteiligung, erlebtendie Erwachsenen ihre erste Überraschung. Esfand sich eine Gruppe von Kindern, die dasMedium der Einstiegsphase (eine Theatersze-ne) aufgriff und nicht den vorgestellten Inhalt.So entstand neben einer Gruppe, die sich tat-sächlich mit der Erstellung eines Kinderstadt-plans beschäftigen wollte, und zwei einge-planten Gruppen, die ein Modell des Umfel-des der Einrichtung und ein Foto-Memory-Spiel herstellen wollten, eine Theatergruppe.Diese Kinder setzten sich in ihrem Theater-stück zwar mit dem Thema des „Verlaufens“auseinander, führten aber nicht, wie es der in-haltlichen Intention der Erzieherinnen ent-sprach, Exkursionen zur Erkundung des Stadt-teils durch. Die Erzieherinnen standen hier vorder Frage: Wie gehen wir damit um, dass eini-ge Kinder sich ein anderes Thema suchen?Eine zweite Überraschung erlebten die Erzie-herinnen, die die Stadtplan-Gruppe moderier-ten. Die Erwachsenen liebäugelten damit,einen Kinderstadtplan im Stile eines Bildat-lasses herzustellen. Als sie in der Umset-zungsphase des Projekts den Kindern dieseIdee vorstellten, stießen sie auf Widerstand.„Das ist doch kein Stadtplan. Das ist doch einBuch.“ Und: „Mein Papa hat einen ganz ande-ren Plan. So einen großen, zum Aufmachen.“Die Erzieherinnen waren enttäuscht. Sie spiel-ten den Ball zurück: „Wie stellt ihr euch dennden Kinderstadtplan vor? Wie soll der dennwerden?“ Die Kinder drucksten herum. Eswar spürbar, wie sie nach Worten suchten.„So was Großes.“ „Ja, wo man ’rumlaufenkann.“ Als es den Erzieherinnen gelang, sichwieder auf die Vorstellungen der Kinder einzu-lassen, entwickelten sie gemeinsam die Ideeweiter zu einer Litfasssäulen-Ausstellung, diemit Hilfe großer Pappkartons verwirklichtwurde. Die Erzieherinnen standen im Projektverlaufimmer wieder vor der Entscheidung, was siehöher bewerten wollten: die Interessensäuße-rungen der Kinder und damit deren Partizipa-tion an der Gestaltung des Projektverlaufsoder ihre ursprünglichen Ziele und inhaltlichenPlanungen. Bei der Auswertung im Team amEnde des Projekts war von der zwischenzeit-lichen Enttäuschung nichts mehr zu spüren.Die Erzieherinnen hatten das Projekt umsich-tig vorbereitet und die Beteiligung der Kindereingeplant. Dass ihre inhaltlichen Vorstellun-gen und Zielsetzungen dann im Prozess nichtimmer berücksichtigt wurden, war im Einzel-fall zwar ein wenig schmerzlich, aber vonvornherein erwartet worden.

Ein ähnliches Dilemma ist das Verhältnis vonProzess- und Ergebnisorientierung. Ob esmehr um den Prozess geht oder ob das Er-gebnis im Vordergrund steht, ist auch vom In-halt des Beteiligungsprojekts abhängig unddavon, welche Relevanz die zu erzielenden Er-gebnisse haben. Welche Bedeutung dieshaben kann, zeigt ein Vergleich zwischen denverschiedenen Beteiligungsprojekten.Die Planung der Außenraumgestaltung in derKindertageseinrichtung Osloring in Kiel wareingebunden in ein komplexes Planungsver-fahren, in dem die Terminvorgaben öffent-licher Ausschreibungen und externer Pla-

Prozess- und Ergebnisorientierung

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Was verlangt die Partizipation der Kinder von den Erwachsenen?

nungsbüros berücksichtigt werden mussten(vgl. Hansen 2002 b). Wenn die Ergebnisseder Kinderbeteiligung in die Gestaltung desAußengeländes einfließen sollten, musstendas Beteiligungsverfahren termingerecht ab-geschlossen und die Ergebnisse in einer fürdie Landschaftsplaner verwertbaren Form vor-gelegt werden. Der Beteiligungsprozess konn-te also nicht von den Kindern variiert werden,ohne ihre Einflussmöglichkeiten auf die Gestaltung des Außengeländes aufs Spiel zusetzen. In so einer Situation muss die Mode-ration zwangsläufig ergebnisorientiert erfol-gen.

In der DRK-Kindertagesstätte Turnstraße inElmshorn war die Ausgangslage dagegengänzlich anders. Hier gab es keine Zielvorga-ben. Im Mittelpunkt stand die Beteiligung derKinder, ging es doch gerade darum, ihre The-men und ihre Wege, diese zu bearbeiten, zuentdecken. So waren die Kinder von der Ziel-formulierung, der Auswahl der Inhalte, der Ge-staltung der Prozesse bis zur Entscheidungüber das Ende des Prozesses beteiligt. JedeKindergruppe fand so schließlich ihre eigenenThemen und erschloss sich diese auf ihre ei-gene Weise. Die Moderation dieser Beteili-gungsverfahren erfolgte äußerst zurückhal-tend und prozessorientiert.

Je ergebnisorientierter ein Beteiligungsverfah-ren erfolgt, desto mehr beschränken sich dieBeteiligungsmöglichkeiten der Kinder auf dieinhaltlichen Fragen. Die Erwachsenen sindallerdings gefordert den Prozessverlauf sotransparent wie möglich zu gestalten, indemsie immer wieder mit den Kindern reflektie-ren, was bereits geschehen ist und was nochgeschehen muss, bis das Ziel erreicht ist. Nurso haben die Kinder u.a. die Möglichkeit, sichbewusst für oder gegen eine Beteiligung zuentscheiden.

Wird weniger ergebnisorientiert moderiert, erlangen die Kinder mehr Einfluss auf denProzess. Die Inhalte und der Verlauf werdenoffener, die Ergebnisse aber auch beliebiger.Hier geht es nicht darum, dass das eine Ver-fahren mehr und das andere weniger Beteili-gung ermöglicht, sondern letztlich um die je-weiligen Ziele, die die Erzieherinnen und Erzie-her verfolgen:

Im ADS-Kindergarten in Tarp hatten die Erzieherinnen die Kinder für die Entwicklungeines Kinderortsplans begeistern können. AlleBeteiligten hatten zu jeder Zeit des Projektsdas Ziel, dass am Ende ein gedruckter Plan

vorliegen sollte. Dementsprechend ergebnis-orientiert moderierten die Erzieherinnen.

Im IzzKizz-Kindergarten hingegen sollte dieKinderstadtplanentwicklung vornehmlich dazudienen, den Kindern eine bessere Orientie-rung im Umfeld der Einrichtung zu ermög-lichen. Daher waren den Kindern hier vonvornherein weitergehende Einflussmöglichkei-ten auf den Prozess eingeräumt worden, diedazu führten, dass letztlich statt eines Kinder-stadtplans eine bunte Ausstellung über dieSicht der Kinder auf ihre Stadt entstand.

Für die Moderation spielen folgende Frageneine Rolle:– Wie gelingt es uns, Gespräche in der Kinder-

gruppe anzuregen und zu begleiten?– Wie können wir die Entwicklung einer Ge-

sprächskultur fördern?– Wie gelingt es uns, eigene Beiträge als sol-

che zu kennzeichnen und den Rollenwech-sel von der Moderation zur inhaltlichen Be-teiligung zu verdeutlichen?

– Wie konfliktfreudig und konfliktfähig sind wirselbst?

– Wie können wir die Entwicklung einer Streit-kultur fördern?

– Welche Ziele sollen im Beteiligungsverfah-ren erreicht werden?

– Welche Vorgaben und Rahmenbedingungenmüssen beachtet werden?

– Wie wichtig ist der Prozess? Wie wichtig istdas Erreichen bestimmter Ziele?

– Welche Beteiligungsverfahren sind für die-sen Zweck geeignet?

– Wie machen wir unsere Ziele und den ge-planten Prozess für die Kinder transparent?

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Welche Unterstützung brauchen Erwachsene, um Kinder zu beteiligen? – Begleitung der Einrichtungen im Modellprojekt

3.3 Welche Unterstützung brauchen Erwachsene, um Kinder zu beteiligen? – Begleitung der Einrichtungen im Modellprojekt

Die vorangegangenen Kapitel haben gezeigt,welche Anforderungen Partizipation an die Er-wachsenen stellt. Die Beteiligung von Kindernin Tageseinrichtungen verlangt von den päda-gogischen Fachkräften einen hohen persön-lichen und professionellen Einsatz. Sie müs-sen ihr Kinderbild hinterfragen und dessen Be-deutung für ihr pädagogisches Handelnreflektieren. Sie müssen ihre eigene Rolle inden pädagogischen Beziehungen neu gestal-ten und mit Kindern in Dialoge über deren Bil-dung und Erziehung treten. Sie müssen be-gründbare Visionen von der Zukunft und politi-sche Wertvorstellungen entwickeln unddaraus die Ziele ihrer pädagogischen Arbeitableiten. Sie müssen ihre Tätigkeiten aufwän-dig planen und dabei berücksichtigen, dass dieBeteiligung der Kinder ihre Planungen wiederverändern oder verwerfen kann. Sie müssenüber vielfältige methodische Kenntnisse verfü-gen, zielgerichtet arbeiten und dabei kindge-rechte Prozesse gestalten können.

Die Erzieherinnen und Erzieher in den Modell-einrichtungen haben bewiesen, dass sie im-stande sind, diesen hohen Erwartungen ge-recht zu werden. Sie haben beeindruckendeBeteiligungsprojekte durchgeführt und sichpersönlich und fachlich weiterentwickelt, wiedie Evaluationsergebnisse belegen (vgl. Kapi-tel 4). Sie haben aber auch betont, dass siediese Leistungen unter den gegenwärtigenBedingungen in Kindertageseinrichtungen auseigenen Kräften heraus kaum hätten erbringenkönnen. Das führt zu der Frage, was diese Entwicklun-gen im Modellprojekt ermöglicht hat und wel-che Unterstützung Erzieherinnen und Erzieherin Kindertageseinrichtungen im Allgemeinenbenötigen, wenn sie Kinder ähnlich erfolgreichbeteiligen wollen.

Fortbildung und Begleitung im

Modellprojekt

Im Rahmen des Modellprojekts wurde ein Ver-fahren entwickelt, um Erzieherinnen und Erzie-her in einer kompakten Fortbildungsveranstal-tung mit einer anschließenden zeitlich be-grenzten Praxisbegleitung für die Beteiligungvon Kindern zu qualifizieren. Dabei wurden Er-fahrungen vorangegangener Beteiligungspro-jekte in Kindertageseinrichtungen aufgenom-men (vgl. Hansen 2002 b; Wiegand / Hansen /Marxen 2000), generalisiert und erweitert.

q Leitideen der FortbildungDas Fortbildungskonzept basiert auf der An-nahme, dass die Haltungen der Erwachsenenentscheidend dafür sind, ob und wie Kinder inKindertageseinrichtungen partizipieren kön-nen. Durch die Teilnahme an der Fortbildungsollten sich vornehmlich die Haltungen derTeilnehmenden in Richtung eines partizipative-ren pädagogischen Selbstverständnisses ver-ändern. Zusätzlich sollten konkrete metho-disch-didaktische Kompetenzen erworbenwerden.

Die Begriffe „Haltung“ und „pädagogischesSelbstverständnis“ umschreiben recht un-scharf komplexe Grundorientierungen. Derarti-ge Grundorientierungen sind relativ verände-rungsresistent. Das Fortbildungskonzept ver-folgte die Absicht, den Teilnehmendenkonkrete Erfahrungen mit einer erfolgreichenBeteiligung von Kindern zu ermöglichen, dieseErfahrungen theoretisch fundiert mit ihnen zureflektieren und daraus Erkenntnisse für dieAnwendung im Alltag zu gewinnen. Zu die-sem Zweck wurden die Erzieherinnen und Er-zieher in den Modelleinrichtungen jeweils beider Planung und Durchführung eines Beteili-gungsprojekts unterstützt und begleitet. Da-durch sollte zunächst gewährleistet werden,dass das Projekt möglichst erfolgreich ver-läuft. Gleichzeitig aber sollten die Erzieherinnen undErzieher diese positiven Partizipationserfahrun-gen im Zusammenhang mit ihren verändertenVerhaltensweisen verstehen lernen. Dies er-forderte u.a. einen einfühlsamen Umgang mitdem Faktor Zeit. Einerseits beanspruchten dienachhaltigen Veränderungsprozesse Zeit, wasdazu führte, das die Einrichtungen die Beglei-tung durch das Modellprojekt durchweg längerin Anspruch nahmen, als ursprünglich geplantwar. Andererseits entstand dadurch, dass dieexterne Begleitung zeitlich limitiert war – dieProjekte sollten ja möglichst innerhalb desModellzeitraums abgeschlossen werden – einZeitdruck, der im positiven Sinn zum Handelnzwang.

Das Fortbildungskonzept war explizit alsTeamfortbildung ausgelegt. Um die Beteili-gung der Kinder in allen sie betreffenden Fra-gen zu ermöglichen und langfristig abzusi-chern, sollte sich eine umfassende Partizipa-tionskultur entwickeln. Dafür aber war eineAuseinandersetzung des gesamten Teams mitder Thematik erforderlich. Damit die Entschei-

Von der konkreten Erfahrung zur allgemeinen Erkenntnis

Jede/r im Team entscheidet mit

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Welche Unterstützung brauchen Erwachsene, um Kinder zu beteiligen? – Begleitung der Einrichtungen im Modellprojekt

dungen des Teams bezüglich des Partizipa-tionsprojekts und der angestrebten Verände-rungen in der Einrichtung von allen getragenwerden konnten, wurden sie stets im Kon-sens getroffen.

Das zentrale Moment des Fortbildungskon-zepts war die partizipative Haltung des Pro-jektteams. Die konkreten Projekte wurden je-weils in einem Dialog entwickelt, in den dieKindertageseinrichtung das jeweilige Projekt-thema – die Einrichtungen hatten sich ja be-reits mit einem Thema beworben – und dasWissen um die Rahmenbedingungen vor Orteinbrachte. Das Projektteam lieferte dasKnow-How für Partizipationsverfahren undmoderierte die Projektvorbereitung. Die Ent-scheidung, was und wie in der konkreten Pro-jektdurchführung passierte, traf allein dasTeam der Kindertageseinrichtung. Den Erzie-herinnen und Erziehern wurden im gesamtenProjektverlauf Partizipationsrechte zugestan-den und sie wurden in ihren Beteiligungskom-petenzen unterstützt. Diese Vorgehensweiseentsprach den Maßgaben für die Beteiligungder Kinder und antizipierte insofern die Kinder-beteiligung in Form von Selbsterfahrungspro-zessen.

q FortbildungsbausteineDie Fortbildungen begannen mit einer dreitägi-gen Teamfortbildung, in der das jeweilige kon-krete Beteiligungsprojekt durch Theoriever-mittlung, Selbsterfahrung, Reflexion und Pro-jektplanung vorbereitet wurde. Die drei Tage

standen jeweils unter einer allgemeinen Über-schrift, wurden aber durch das Projektteam in-dividuell auf die Situation vor Ort zugeschnit-ten. Der erste Tag diente der Klärung der Fra-gestellung der Kinder- und gegebenenfalls derElternbeteiligung: „Worum geht’s?“ Am zwei-ten Tag wurde die Kinder- und Elternbeteili-gung detailliert vorbereitet: „Wie geht’s?“Und am dritten Tag wurden voraussichtlichbenötigte kommunikative Kompetenzen trai-niert: „Dialogwerkstatt“.

Die Frage „Worum geht’s?“ thematisierte, in-wieweit die Erwachsenen bereit waren, dieKinder zu beteiligen. Trotz einer schon im Be-werbungsverfahren gemeinsam formuliertenFragestellung stellte sich in den Modellprojek-ten immer wieder heraus, dass das Verständ-nis der Fragestellung im Team z.T. weit aus-einander ging. In der Vorbereitung diesesTages waren Vorgespräche mit den Teamswährend einer Teamsitzung geführt worden.Die so gewonnenen Informationen waren indie Moderation des ersten Tages eingeflos-sen. Am Ende dieses Tages waren die Zieledes jeweiligen Beteiligungsprojekts überein-stimmend festgelegt worden. Der zielorien-tiert moderierte Willensbildungsprozess führtezu der in vielen Teams seltenen Erfahrung,dass sich alle einig werden konnten. Dassorgte für eine positive Grundstimmung demProjekt gegenüber und entlastete einzelneMitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereitsetwas von Leistungsdruck und Ängsten.

Der zweite Fortbildungstag schloss nicht un-mittelbar an, da erst die Ergebnisse des er-sten Tages die Vorbereitung der Moderationdes folgenden Tages ermöglichten. Die Frage„Wie geht’s?“ führte zu den Beteiligungsfor-men der Kinder und Eltern. Das Projektteamstellte das Know-How zur Verfügung und er-möglichte den Teams, das jeweilige Projektdetailliert vorzubereiten. Am Ende des Tageswaren die Aufgaben zwischen den Teams derModelleinrichtungen und dem Projektteameindeutig verteilt. Die Erzieherinnen und Erzie-her übernahmen alle Aufgaben, zu denen siesich bereit und in der Lage sahen. Das Pro-jektteam übernahm im Rahmen seiner Kapa-zitäten die verbleibenden Aufgaben. Dadurchkonnte eine subjektive Überforderung der Er-zieherinnen und Erzieher mit zu viel neuenAufgaben vermieden werden, was ihnen dienötige Sicherheit gab, um sich auf die Beteili-gungsprozesse einzulassen.

„Worum geht’s?“

„Wie geht’s?“

Die Fortbildung als Partizipationsprozess

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Welche Unterstützung brauchen Erwachsene, um Kinder zu beteiligen? – Begleitung der Einrichtungen im Modellprojekt

Am dritten Tag wurden partizipationsrelevantekommunikative Kompetenzen trainiert. Die„Dialogwerkstatt“ bot Gelegenheit, die eigeneWahrnehmung kritisch zu hinterfragen, um an-schließend sensibler die Beiträge der Kinderinterpretieren zu können. Aktives Zuhören undGesprächsmoderation wurde unter den kriti-schen Augen und Ohren der Kolleginnen undKollegen geübt. Und unter Bezugnahme aufMediationsverfahren wurde ein konstruktiverZugang zu Konflikten gesucht.

Nach dieser gründlichen Vorbereitung führtendie Erzieherinnen und Erzieher die Partizipa-tionsprojekte weitgehend eigenständig durch.Die Phasen des Beteiligungsprozesses, wiesie ihn selbst in der Teamfortbildung erlebthatten, wiederholten sich dabei in den Beteili-gungsprojekten mit den Kindern und den El-tern.

Die Erzieherinnen und Erzieher wurden daraufvorbereitet, dass trotz der guten VorbereitungProbleme auftreten würden. Unter dem Motto„Wenn der Prozess gut läuft, läuft erschlecht“ wurde thematisiert, dass so weitrei-chende Veränderungen nicht ohne Komplika-tionen verlaufen könnten, dass aber geradedie Hürden, vor denen sie stehen würden, dieAuseinandersetzung mit Partizipation vertiefenwürden. In dieser Phase konnten die Erziehe-rinnen und Erzieher die Begleitung durch dasModellprojekt nach Bedarf abrufen. Die auftre-tenden Schwierigkeiten boten zudem vieleGelegenheiten, den Transfer in den Alltag zureflektieren.

Die Erzieherinnen und Erzieher dokumentier-ten ausführlich den jeweiligen Projektverlauf.Die Dokumentationen verbesserten die Refle-xionsmöglichkeiten und dienten gleichzeitigdazu, die Projekte den Kolleginnen und Kolle-gen im Team, der Elternschaft und der Öffent-lichkeit zu präsentieren.

Was den Erzieherinnen und Erziehern im Mo-dellprojekt ermöglichte, so beeindruckendePartizipationsprojekte durchzuführen, war,dass sie selbst am gesamten Prozess desModellprojekts von der Auswahl des Projekt-themas bis zur Präsentation der Ergebnissewährend der Abschlusstagung beteiligt waren.Ihnen wurde zugetraut, dass sie den Anforde-rungen gerecht werden konnten. Ihre Ängste,Bedenken und Einwände wurden ernst ge-

nommen. Die Entwicklung ihrer Kompetenzenwurde praxisgerecht unterstützt. Ihnen wurdeimmer nur so viel Verantwortung zugemutet,wie sie bereit und in der Lage waren, zu über-nehmen. Alle Entscheidungen bezüglich desweiteren Vorgehens wurden mit ihnen ge-meinsam getroffen. Und die Verantwortungfür das Gelingen oder das mögliche Misslin-gen des Modellprojekts hat letztlich immerdas Projektteam übernommen.

Partizipative Leitung, partizipative

Fortbildung und partizipative Begleitung

Ohne Unterstützung wird es Erzieherinnenund Erziehern nur sehr schwer möglich sein,

Dialogwerkstatt

Projekterfahrung

Reflexion

Dokumentation und Präsentation

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Welche Unterstützung brauchen Erwachsene, um Kinder zu beteiligen? – Begleitung der Einrichtungen im Modellprojekt

eine Partizipationskultur in Kindertageseinrich-tungen zu etablieren. Es ist ein Ausdruck derTrägerqualität, in welchem Umfang der Ein-richtungsträger die strukturellen Voraussetzun-gen für derartige Entwicklungen schafft. DieBeteiligung von Kindern in Kindertageseinrich-tungen erfordert ein Management der Team-und Organisationsentwicklung, an der die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligt sind,Fortbildungen, in denen partizipationsspezifi-sches Know-How praxisnah erworben werdenkann, und eine kontinuierliche Praxisbeglei-tung, die persönliche und fachliche Ent-wicklungen der pädagogischen Fachkräfteunterstützt und herausfordert.

q Partizipative LeitungDie Entwicklung einer Partizipationskultur ineiner Kindertageseinrichtung ist ein Prozessder Team- und Organisationsentwicklung. Die-sen Prozess zu managen ist Aufgabe der Ein-richtungsleitung. Sie kann die Auseinanderset-zung mit dem Thema Partizipation aufgreifenoder herausfordern. Sie kann anregen, dieFortbildungsaktivitäten der Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter im Hinblick auf eine gemein-same Weiterentwicklung miteinander zu koor-dinieren. Und sie kann Unterstützungssyste-me aufbauen, indem sie Mittel für Supervisionund Praxisbegleitung einwirbt. Letzteres warfür einige Leiterinnen der Modelleinrichtungeneiner der Beweggründe, sich für die Teilnah-me am Modellprojekt zu bewerben.

Die Leitung muss die Entwicklung einer Parti-zipationskultur so moderieren, dass die Pro-zessorientierung und die Zielorientierung gutausbalanciert sind. Das heißt, einerseits musssie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anallen Entscheidungen im Laufe des Prozessesbeteiligen und darauf achten, dass möglichstniemand ausgegrenzt wird, andererseits musssie die Umsetzung gemeinsam gefasster Be-schlüsse nachhaltig einfordern oder themati-sieren, was einer Umsetzung im Wege steht.

q Partizipative FortbildungDamit sich in einer Kindertageseinrichtungeine Beteiligungskultur entwickeln kann, müs-sen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter u.a.Partizipation in den theoretischen Bezugsrah-men ihrer Arbeit einbinden können und überspezifische methodisch-didaktische Kompe-tenzen verfügen. Sie müssen beispielsweiseerkannt haben, welche Rolle die Beteiligungder Kinder für deren Selbstbildungsprozessespielt, oder in der Lage sein, ein Kinderge-spräch zu moderieren. Erzieherinnen und Er-zieher müssen Gelegenheit haben, derartige

Erkenntnisse und Fähigkeiten in Fortbildungenzu erwerben.

Fortbildungen sollen zwischen Theorie undPraxis vermitteln. Sie sollen informieren undtrainieren, Möglichkeiten bieten für Selbster-fahrung und Selbstreflexion, und sie könnendie Planung konkreter Vorhaben unterstützen.Aber auch die Fortbildung pädagogischerFachkräfte beruht in erster Linie auf Selbstbil-dungsprozessen. Das heißt, Fortbildungen(nicht nur, aber insbesondere) zum ThemaPartizipation müssen an den Interessen undProblemen der Teilnehmenden anknüpfen,können ihnen neue Themen zumuten, abernicht aufdrängen und müssen ihnen bei derUmsetzung ihrer selbstgesteckten Ziele dienötige Unterstützung zukommen lassen. Fort-bildungen, die der Entwicklung einer Partizipa-tionskultur dienen sollen, müssen konsequentdie Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteili-gen.

q Partizipative BegleitungPersönliche Entwicklungen können in Fortbil-dungen zwar angeregt werden, beanspruchennaturgemäß aber längere Zeiträume. Das giltgenauso für Teamentwicklungsprozesse. Undauch der Diskurs zwischen Theorie und Praxissollte dauerhaft (und nicht eingleisig) erfolgen.Da Partizipation – und die moderne Kleinkind-pädagogik insgesamt – Erzieherinnen und Er-ziehern anspruchsvolle persönliche und fachli-che Entwicklungen abverlangt, brauchen dieFachkräfte kontinuierliche Möglichkeiten ihrepädagogische Praxis zu reflektieren und wei-ter zu entwickeln. Dafür müssen ihnen ent-sprechend qualifizierte Ansprechpartner zurSeite stehen, die sie in ihren selbsttätigen Bil-dungs- und Entwicklungsprozessen begleitenund unterstützen.

In Reggio Emilia wurde schon längst erkannt,welche Bedeutung die externe Fachberatungund Praxisbegleitung für diese Prozesse unddamit für die Qualitätssicherung und -weiter-entwicklung der pädagogischen Arbeit in Kin-dertageseinrichtungen hat. Die hier aufgebau-te Struktur von Beratung und Reflexionsstruk-turen ist ein fundamentaler Baustein diesererfolgreichen Pädagogik. Auch für Gerd Schä-fer (2003, 131) ist eine prozessbegleitendeFachberatung eine strukturelle Rahmenbedin-gung gelingender Bildungsarbeit. „Dabei sollteeine Fachberatung für nicht mehr als 30 Erzie-herinnen zur Verfügung stehen.“ Aus derSicht des Modellprojekts „Die Kinderstubeder Demokratie“ können wir uns dieser For-derung nur anschließen.

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Welche Unterstützung brauchen Erwachsene, um Kinder zu beteiligen? – Begleitung der Einrichtungen im Modellprojekt

Partizipation braucht Erwachsene ...

... die Kinder achten (Menschenbild)

... die in der Lage sind, die konkreten Themen der Kinder zu erfassen (Beobachtung und Analyse)

... die in der Lage sind, einen Dialog zu führen (Dialogfähigkeit)

... die bereit sind, Macht abzugeben (Reflexion)

... die bereit sind, sich auf offene Situationen einzulassen (Mut und Vertrauen)

... die in der Lage sind, die Anforderungen so zu gestalten, dass sie den Lebenserfah-rungen der Kinder entsprechen (Methodenkompetenzen)

... die geduldig mit sich und den Kindern sind (Geduld)

... die felerfreundlich sind (Fehlerfreundlichkeit)

... die eigene Positionen haben und vertreten (Erwachsensein)

... die jederzeit ihre Verantwortung behalten (Verantwortung)

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„Das wirkt sich jetzt überall aus ...“ – Von den Spuren, die das Modellprojekt in den Modelleinrichtungen hinterlassen hat

Das Modellprojekt „Die Kinderstube der De-mokratie“ wollte in den Modelleinrichtungendie Beteiligung der Kinder etablieren und dieEntwicklung einer Partizipationskultur ermög-lichen. Wir konnten in dem auf zwei Jahre be-schränkten Projektzeitraum nur begrenztuntersuchen, inwiefern dieser hohe Ansprucheingelöst werden konnte. Aber die Ergebnisseder projektinternen Evaluation und die Spuren,die das Modellprojekt in den beteiligten Kin-dertageseinrichtungen auch jenseits der unter-suchten Variablen hinterlassen hat, geben Hin-weise darauf, dass die im Modellprojekt ent-wickelten Mittel geeignet sind, nachhaltigeVeränderungsprozesse auszulösen.

Da diese Dokumentation vornehmlich für diePraktikerinnen und Praktiker in den Kinderta-geseinrichtungen geschrieben wurde, wollenwir in diesem abschließenden Kapitel die In-halte, das Verfahren und die Ergebnisse derEvaluation nur in aller Kürze vorstellen und ei-

nige weitere Spuren verfolgen, die ebenfallsdarauf hindeuten, dass Partizipation in Kinder-tageseinrichtungen durch gezielte Fortbildun-gen, wie wir sie durchgeführt haben, wir-kungsvoll implementiert werden kann. Es sollaber gleichermaßen unterstrichen werden,dass die Beteiligung der Kinder eine dauerhaf-te Auseinandersetzung der Erwachsenen mitdem Thema Partizipation erfordert.

Die Evaluation

Neben den Fortbildungsmodulen wurde dasModellprojekt „Die Kinderstube der Demokra-tie“ im Rahmen einer Prozessevaluation be-gleitet. Ziel der Evaluation war vor allem, dieQualität des Fortbildungskonzepts zu überprü-fen. Eignet sich die Begleitung, die die Kinder-tageseinrichtungen im Modellprojekt erhiel-ten, um nachhaltig die Partizipation von Kin-dern in den Einrichtungen zu erhöhen?

4. „Das wirkt sich jetzt überall aus ...“ – Von den Spuren, die das Modellprojekt in den Modelleinrichtungen hinterlassen hat

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„Das wirkt sich jetzt überall aus ...“ – Von den Spuren, die das Modellprojekt in den Modelleinrichtungen hinterlassen hat

q Was wir untersucht habenSchon zu Beginn des Modellprojekts gingenwir davon aus, dass die Beteiligungskompe-tenzen der Erwachsenen ausschlaggebenddafür sind, ob sich Kinder in Kindertagesein-richtungen beteiligen können. Im Mittelpunktder Evaluation standen daher Fragen nach Ver-änderungen in den Haltungen der Erzieherin-nen und Erzieher im Laufe des Projekts.Haben sie im Projekt mehr Zutrauen in diePartizipationsfähigkeit der Kinder gewonnen?Konnten sie Ängste bezüglich der Veränderun-gen der eigenen Rolle in Partizipationsprozes-sen ablegen? Gewannen sie an methodischerSicherheit?

q Wie wir untersucht habenUm diese Fragen zu beantworten, wurden allepädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter aus den Modelleinrichtungen vor und nachdem Projekt schriftlich befragt. Sie schätztenanhand von acht Einzelfragen die gängige Par-tizipationspraxis in ihrer jeweiligen Einrichtungein. In zehn kleinen Geschichten wurden ver-schiedene Problemsituationen aus dem Alltagvon Kindertageseinrichtungen geschildert, unddie Erzieherinnen und Erzieher wurden gebe-ten, sich jeweils für eine von vier vorgegebe-nen Handlungsalternativen in diesen Situatio-nen zu entscheiden. Sie benannten aus ihrerSicht, welche Voraussetzungen die Erwachse-nen und die Kinder für Partizipation mitbringenmüssen, und gaben Rückmeldungen zur Fort-bildung und zum Modellprojekt.Diese Befragung wurde durch eine Befragungpädagogischer Fachkräfte, die nicht am Mo-dellprojekt beteiligt waren, ergänzt. Darüber hinaus fanden qualitative Interviewsund Gruppendiskussionen mit den am Modell-projekt beteiligten Erzieherinnen und Erzie-hern während und nach Abschluss des Pro-jekts statt.

q Was dabei herausgekommen istDie Ergebnisse der qualitativen Befragungensind in vielen Passagen der vorangegangenenKapitel eingeflossen. Im folgenden werdendie wichtigsten Tendenzen skizziert, die sichaus der schriftlichen Befragung ergaben.Die gängige Partizipationspraxis in den Einrich-tungen wurde im Rahmen des Modellprojektsin den Teams meist erstmalig thematisiert. Sosetzten die Erzieherinnen und Erzieher in denModelleinrichtungen sich nach Abschluss desjeweiligen Projekts intensiver und differenzier-ter mit der Frage auseinander, ob und wie Ein-richtungsregeln gemeinsam mit den Kindernaufgestellt werden können, als zu Beginn desProjekts. Dabei schien eine Rolle zu spielen,

dass vor dem Projekt viele Erwachsene sichgar nicht darüber im klaren waren, dass Re-geln auch unter den Erzieherinnen und Erzie-hern unterschiedlich ausgelegt wurden. DieGespräche mit den Kindern und unter denFachkräften schärften das Bewusstsein fürdie Bedeutung der Auseinandersetzung umdie Regeln des Zusammenlebens. Die Erzie-herinnen und Erzieher waren nach dem Mo-dellprojekt deutlich eher bereit, Einrichtungs-regeln zu thematisieren und gemeinsam mitden Kindern auszuhandeln.

Im Vergleich der gewählten Handlungsalterna-tiven in den Alltagssituationen („Wie würdensie handeln?“) wurde erkennbar, dass sich dieErzieherinnen und Erzieher in allen Situationennach dem Projekt deutlich eher für partizipati-ve Handlungsvarianten entschieden als zuvor.Dabei wurden als partizipativ ausschließlichsolche Verhaltensweisen klassifiziert, in denendie Erwachsenen die Kinder von Anfang an aneiner Problemlösung beteiligten. Das bedeu-tet, dass die Erzieherinnen und Erzieher amEnde des Projekts eher bereit waren, sich aufHandlungsalternativen einzulassen, die keineLösungsmöglichkeiten vorwegnahmen und er-gebnisoffene Situationen schufen. Die intensi-ve Arbeit im Modellprojekt hatte – zumindestdirekt nach dem Abschluss der einzelnen Pro-jekte – dazu geführt, dass die Erzieherinnenund Erzieher ihre Verhaltensweisen stärkerpartizipativ ausrichteten. Das Zutrauen der Erzieherinnen und Erzieher,ein Beteiligungsprojekt durchzuführen, stiegim Laufe des Modellprojekts deutlich an.Während zu Beginn immerhin 48 % der Be-fragten angaben, sie würden sich auf keinenFall ohne Begleitung an das Projekt heranwa-gen, und nur 5 % sich dies auf jeden Fall zu-trauten, antworten am Ende des Projekts44 % der Befragten, dass sie sich die Durch-

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„Das wirkt sich jetzt überall aus ...“ – Von den Spuren, die das Modellprojekt in den Modelleinrichtungen hinterlassen hat

führung eines solchen Projekts jetzt auch allei-ne zutrauten, während nur noch 9 % diesesZutrauen nicht hatten.Zu Beginn des Modellprojekts mutmaßten dieErzieherinnen und Erzieher, dass sie selbst vorallem konkretes Wissen und methodischeKenntnisse und die Kinder vor allem Aus-drucksfähigkeit und eine gewisse Auffas-sungsgabe benötigen würden. Sie zweifeltenzumindest an der Beteiligungsfähigkeit derjüngeren Kinder. Am Ende des Projekts er-schien ihnen vor allem das Interesse der Kin-der am Thema und damit zusammenhängendderen Motivation zur Mitarbeit sowie die Fä-higkeit der Erwachsenen, den Kindern zuzuhö-ren, erwähnenswert. Damit rückten sie die di-alogische Haltung der Erwachsenen, die ihnengleichermaßen erst ermöglicht, die für die Kin-der interessanten Themen zu erkennen, inden Vordergrund. Zweifel an der Kompetenzder Kinder wurden kaum mehr erwähnt.Die pädagogischen Fachkräfte standen nachder Teilnahme am Modellprojekt der Partizipa-tion der Kinder viel gelassener gegenüber.Ihre Grundhaltungen hatten sich in Richtungeiner partizipativeren Orientierung verändert.Sie hatten Zutrauen in ihre eigenen Beteili-gungsfähigkeiten und die der Kinder sowiemethodische Sicherheit gewonnen. Wie wich-tig ihnen dabei die externe Begleitung im Rah-men des Modellprojekts war, wurde darandeutlich, dass 91% der Befragten die Fortbil-dungen mit gut bis sehr gut bewerteten.

Auf Spurensuche ...

Die Tatsache, dass die Erzieherinnen und Er-zieher Partizipation jetzt anders bewertetenund ihre Beteiligungskompetenzen verbesserthatten, machte sich in ihrer pädagogischen Ar-beit bemerkbar. Im Laufe des Projekts er-

weiterten sie ihren Blick auf die Kinder undsuchten stärker den Dialog mit ihnen. In denabschließenden Gesprächen mit den Teamsder Modelleinrichtungen betonten die Erziehe-rinnen und Erzieher immer wieder, dass dieAuswirkungen des Modellprojekts „überall“zu spüren seien. Wir sind diesen Spuren – u.a.in Gesprächen mit den Leiterinnen der Einrich-tungen nach Beendigung desModellprojekts – nachgegangen. Dabei ge-wannen wir den Eindruck, dass die Partizipa-tionsprojekte in den Einrichtungen nachwirk-ten und auch Einfluss auf das Umfeld der Ein-richtungen hatten.

q ... in den Einrichtungen Was war in den Modelleinrichtungen nachEnde des Modellprojekts geschehen? Warendie Wirkungen des Modellprojekts nur kurzfri-stig spürbar oder wirkten sie weiter? DieseFrage konnten wir nicht mehr evaluieren. Dadie Kontakte zu vielen der Einrichtungen aberauch nach Beendigung des Modellprojektsweiter bestanden (z.B. wurden einzelne Fort-bildungstage gebucht), haben wir einige Hin-weise auf die mittelfristigen Auswirkungen.Besonders interessierte uns, ob die positivenErfahrungen im Modellprojekt dazu führten,dass die pädagogische Arbeit sich dauerhaftänderte oder ob die Partizipationserfahrungenim Modellprojekt eine „Halbwertzeit“ hätten?In einer Evaluation von Partizipationsprojektenmit Kindern und Jugendlichen in der Kommu-ne in Schleswig-Holstein (vgl. Knauer / Frie-drich / Herrmann / Liebler 2004) wurde festge-stellt, dass die Wirkungen kommunaler Partizi-pation verblassen, wenn die Kinder- undJugendbeteiligung nicht verstetigt wird. Die-ses Ergebnis wurde den Mitarbeiterinnen undMitarbeitern der Modellprojekte in der Steue-rungsgruppe vorgestellt und erntete aus eini-

gen Einrichtungen heftigeKritik. Die Einrichtungenerlebten zu diesem Zeit-punkt, dass die Beteili-gung der Kinder eine Ei-gendynamik entwickelteund sich verstärkte:„Ohne Kinderbeteiligungkönnen wir bald garnichts mehr entschei-den.“Gegen Ende des Modell-projekts relativierte sichdiese Einschätzung aller-dings. In der Zwischen-zeit hatten in einigen Mo-delleinrichtungen Mitar-beiterinnen und Mit-

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arbeiter, die das Projekt besonders engagiertmitgetragen hatten, die Einrichtung verlassen.Die neuen Kolleginnen und Kollegen konntenan den Erfahrungen des Modellprojekts nichtanknüpfen. Die Leiterinnen der Einrichtungenstellten resigniert fest: „Wir müssen wohlwieder ganz von vorn anfangen.“

Hier wird deutlich, dass sowohl die Kinder alsauch die Erwachsenen Beteiligungserfahrun-gen selbst machen müssen. Partizipation istein permanenter und daher immer wiedermühsamer Prozess. Um ihr pädagogischesKonzept zu sichern und weiter entwickeln zukönnen, müssen die Leitungen von Kinderta-geseinrichtungen sorgfältiges Personalma-nagement betreiben. Insbesondere die Fort-und Weiterbildung der Mitarbeiterinnen undMitarbeiter, sowie die Einarbeitung neuer Kol-leginnen und Kollegen müssen sorgsam ge-plant und begleitet werden.

Auch in den Modelleinrichtungen, die einenzwischenzeitlichen Beteiligungseinbruch be-klagten, hat sich wieder Optimismus breit ge-macht. So hat die Kindertageseinrichtung Os-loring eine einrichtungsinterne Fortbildung or-ganisiert, in der die „alten“ Kolleginnen denneuen von ihren Erfahrungen berichteten undalle gemeinsam die nächsten Schritte auf demWeg zu einer Beteiligungskultur vorbereiteten.Die neuen Kolleginnen und Kollegen machtensich mit dem Thema Partizipation auf exter-nen Fortbildungen vertraut. Seit kurzem gibtes in der Einrichtung einen gewählten undaktiv mitarbeitenden Kinderrat. Die Partizipa-tion der Kinder ist zum Aushängeschild derEinrichtung geworden.

Auch in den anderen Modelleinrichtungen hatdie Partizipation der Kinder zur Schärfung desProfils beigetragen. In einer Einrichtung führ-ten die internen Auseinandersetzungen mitdem Thema dazu, dass eine Mitarbeiterin kün-digte, weil sie sich den Anforderungen, diedas übrige Team formulierte, nicht stellenmochte. Die Trennung erfolgte in beiderseiti-gem Einvernehmen. In den darauf folgendenBewerbungsgesprächen wurden die potenziel-len neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitervon vornherein mit den Vorstellungen desTeams bezüglich der Beteiligung der Kinderkonfrontiert, woraufhin zahlreiche Bewerbun-gen zurückgezogen wurden. Eingestellt wurdeeine Kollegin, die sich offensiv zur Partizipa-tion bekannte.

In drei Modelleinrichtungen nahmen im An-schluss an die Projektteilnahme die komplet-

ten Teams an Moderationstrainings teil, umdie im Modellprojekt erworbenen Kenntnissezu vertiefen. In Wedel entwickelten die dreiAWO-Einrichtungen die Erfahrungen der Kin-dertagesstätte „Hanna Lucas“ aus dem Mo-dellprojekt weiter zu einem internen „Hal-tungstraining“ für Erzieherinnen und Erzieher.Zwei Modelleinrichtungen überarbeiteten in-zwischen ihre Konzeptionen und richteten sieam Leitgedanken der Partizipation aus. DieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Modell-einrichtungen sind bei anderen Einrichtungenihres Trägers gefragt als Expertinnen und Ex-perten für Partizipation. Die Einrichtungen ste-hen als Konsultationseinrichtungen für interes-sierte Kolleginnen und Kollegen zur Verfü-gung.

q ... im Umfeld der EinrichtungenDie Aktivitäten der Kindertageseinrichtungenblieben auch außerhalb der Einrichtungennicht unbemerkt. Die ausführliche Dokumen-tation und Präsentation der eigenen Tätigkei-ten im Rahmen des Modellprojekts brachteden Erzieherinnen und Erziehern Aufmerksam-keit und Anerkennung von den Eltern ein undweckte teilweise das Interesse benachbarterGrundschulen und der Kommunalpolitik.

Als erste bemerkten die Eltern die Verände-rungen in der Arbeit. Eine Elternvertreterin,die an der Steuerungsgruppe des Projekts teil-nahm, zeigte sich überrascht, „wie viel hierüber die Arbeit mit unseren Kindern nachge-dacht wird“. Eine Mutter, die als Delegiertean den Kinderräten in der KiTa Waldstraße inPinneberg teilnahm, brachte ihr Erstaunenüber die Kompetenz und die Kommunikations-kultur der Kinder zum Ausdruck. Und immerwieder gab es Stimmen von Eltern, die dieAuswirkungen des Projekts auch zu Hausespürten. „Sie tun nicht mehr einfach, wasman ihnen sagt. Wir müssen viel mehr erklä-ren, warum wir etwas wollen.“ Die Mutter,die sich so äußerte, war erfreut über dieseEntwicklung. Ob das für alle Eltern gilt, habenwir nicht in Erfahrung gebracht.

In den beiden Häusern der AWO-Kindertages-stätte „Hanna Lucas“ in Wedel hatten die El-tern zunächst sehr unterschiedlich auf das Be-teiligungsprojekt reagiert (vgl. Kapitel 1.2).Während in der Pulverstraße viele Eltern derEinrichtung sehr unsicher begegneten undsich kaum zu einer eigenen Beteiligung er-muntern ließen („Sie machen das doch allesgut“), waren die Eltern in der Von-Suttner-Straße dem Projekt misstrauisch und sehr kri-tisch begegnet. Die Haltungen beider Eltern-

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„Das wirkt sich jetzt überall aus ...“ – Von den Spuren, die das Modellprojekt in den Modelleinrichtungen hinterlassen hat

gruppen änderten sich in der Folge des Mo-dellprojekts und näherten sich dabei an. DieEltern in der Pulverstraße legten nach undnach ihre Zurückhaltung ab und zeigten zu-nehmend Interesse und Bereitschaft, sich indie Entwicklungen der Einrichtung einzubrin-gen, indem sie ihre Mitarbeit bei Renovie-rungs- und Gartenarbeiten anboten. Die Elternin der Von-Suttner-Straße wurden durch ihreBeteiligung am Planungsprozess direkt in dieEntscheidungen der Einrichtung einbezogenund gewannen so wieder Vertrauen in die Ar-beit der Erzieherinnen und Erzieher. Die Be-mühungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter die Eltern zu beteiligen führten offensicht-lich dazu, dass diese sich mehr mit derEinrichtung identifizierten und bereit warensich zu engagieren.

Aber nicht nur die Eltern bemerkten die Pro-jekte. Auch Schulen waren direkt oder indirektvon den Veränderungen in den Kindertages-einrichtungen betroffen.In Tarp entschlossen sich die Eltern der Kin-der, die in ihrem letzten Jahr vor Schulbeginnim Kinderparlament des ADS-Kindergartensmitgewirkt hatten, in der Schule darauf zu

dringen, dass ihre Kinder bereits in der erstenKlasse Klassensprecher wählen dürften undnicht erst, wie vielfach üblich, in der drittenKlasse. Den Eltern war es wichtig, dass diePartizipationserfahrungen aus dem Kindergar-ten eine Fortsetzung in der Schule erfuhren.In Elmshorn nahm der Schulleiter der Nach-barschule die Einladung zum Gesamteltern-abend in der DRK-Kindertagesstätte Turn-straße an und äußerte sein Interesse, in die-sem Zusammenhang die Kooperation mit derTagesstätte zu intensivieren. Angedacht ist in-zwischen ein gemeinsames Projekt von Kin-dertageseinrichtung und Schule im Jahr 2005im Rahmen des BLK-Programms Demokratielernen & leben.

Schließlich verfolgten auch Vertreterinnen undVertreter der Kommunalpolitik in vielen Ortendie Teilnahme der Kindertageseinrichtungenam Modellprojekt sehr aufmerksam. In Elms-horn hatte die Bürgermeisterin die Schirm-herrschaft über das Projekt in der DRK-Kinder-tagesstätte Turnstraße übernommen, das Pro-jekt während des erwähnten Gesamteltern-abends eröffnet und bis zur Abschlusspräsen-tation aufmerksam begleitet. In Tarp lerntendie erwachsenen Gremienvertreter die direkteZusammenarbeit mit den Kindern kennen undschätzen. Die Auszeichnung des ADS-Kinder-gartens mit der Goldenen Göre, dem bundes-weit ausgeschriebenen Beteiligungspreis desDeutschen Kinderhilfswerks, erfüllte nicht nurdie Kinder, Erzieherinnen und Eltern mit Stolz,sondern auch die politischen Mandatsträgerund die Öffentlichkeit des kleinen Ortes.

Das Modellprojekt „Die Kinderstube der De-mokratie“ eröffnete den beteiligten Kinderta-geseinrichtungen die Chance, die Beteiligungder Kinder in ihren Einrichtungen zu verbes-sern. In der Folge änderte sich nicht nur diepädagogische Arbeit, es intensivierten sichauch Kontakte zu Müttern und Vätern, Lehr-kräften und Politikern. Damit hat sich die kon-sequente Beteiligung der Kinder in Kinderta-geseinrichtungen an allen sie betreffendenAngelegenheiten als eine erfolgreiche, leben-dige und zukunftsweisende Grundlage der pä-dagogischen Arbeit erwiesen.

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Anstelle eines Schlussworts

10 Dinge, die wir aus dem Modellprojekt lernen können

1. Partizipation beginnt mit der Geburt.

2. Kinder können prinzipiell an allen sie betreffenden Angelegenheiten beteiligt werden.

3. Partizipation beginnt in den Köpfen der Erwachsenen. Sie verlangt von ihnen gleichzeitig eine freiwillige Machtabgabe und eine hohe Verantwortungsbereitschaft.

4. Partizipation verlangt einen gleichberechtigten Dialog aller Beteiligten.

5. Partizipation verlangt von den Erwachsenen methodische Kompetenzen. Sie müssendie Balance halten können zwischen Planung und Beteiligung sowie zwischen Prozess- und Ergebnisorientierung.

6. Partizipation verändert die Wahrnehmung und die Kommunikation zwischen allen Beteiligten.

7. Partizipation lohnt sich. Beteiligungsverfahren wirken sich positiv auf die Ergebnis-qualität aus.

8. Partizipation schärft das Profil der Einrichtungen.

9. Partizipation fördert die Selbstbildungsprozesse der Kinder und unterstützt eine demokratische Erziehung. Damit ist sie das zentrale Moment einer zukunftsorientierten Pädagogik.

10. Partizipation will gelernt sein. Dazu brauchen pädagogische Fachkräfte Fortbildungund Begleitung.

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Literatur

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Andres, Beate: Und woran würde ich merken,dass ...?, in: Laewen, Hans-Joachim / Andres,

Beate: Bildung und Erziehung in der frühenKindheit. Bausteine zum Bildungsauftrag vonKindertageseinrichtungen, Weinheim / Berlin /Basel 2002, 341-433

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Beck, Ulrich: Schöne neue Arbeitswelt. Vi-sion: Bürgergesellschaft, Frankfurt/M. 1999

Braun, Regina / Deneke, Brigitte / Dohmen,

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Brüning, Barbara: Philosophieren in derGrundschule. Grundlagen, Methoden, Anre-gungen, Berlin 2001

Bruner, Claudia Franziska / Winklhofer, Ursu-la / Zinser, Claudia: Partizipation – ein Kinder-spiel? Beteiligungsmodelle in Kindertagesstät-ten, Schulen, Kommunen und Verbänden,Hrsg.: Bundesministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend, Berlin 2001

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Autorinnen und Autor

Autorinnen und Autor

Rüdiger Hansen, Diplom-Sozialpäda-goge, Moderator für kinderfreundli-ches Planen. Langjährige Tätigkeitin Kindertageseinrichtungen, Pla-nungsbeteiligung von Kindern, Fort-bildungen und Publikationen zu Par-tizipation und Bildung in Kinderta-geseinrichtungen.

Prof. Dr. Raingard Knauer, Diplom-Sozialpädagogin, Diplompädagogin,ist Professorin an der Fachhoch-schule Kiel, Fachbereich Soziale Ar-beit und Gesundheit mit demSchwerpunkt Erziehung und Bildungim Kindesalter. Fortbildungen, Vorträge und Publikationen zu Parti-zipation, Bildung in Kindertagesein-richtungen sowie Kooperation vonJugendhilfe und Schule.

Bianca Friedrich, Diplompädagogin,Moderatorin für kinderfreundlichesPlanen. Fortbildungen und Publika-tionen, sowie Evaluation von Partizi-pationsverfahren.

Die Autorinnen und der Autor sindtätig als freie Mitarbeiterinnen undMitarbeiter im Institut für Partizipa-tion und Bildung.

Das Institut für Partizipation undBildung bietet Kindertageseinrich-tungen und anderen Einrichtungender Kinder- und Jugendhilfe Infor-mation und Beratung, Fortbildungund Praxisbegleitung, Konzeptent-wicklung und Projektmanagementzu Partizipation und Bildung vonKindern und Jugendlichen.

Kontakt: Institut für Partizipation und BildungDamaschkeweg 86, 24113 KielTelefon 0431 / 65 80 502Telefax 0431 / 65 80 704E-Mail [email protected] www.Partizipation-und-Bildung.de

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Der Träger stellt sich vor

Der Kieler Verein KIWI e.V. – Kinder Umwelt-initiativen – hat sich seit seiner Gründung1994 die Umwandlung trister Spielflächen inkreativ-fantasievolle Naturspielräume nachumweltpädagogischen, sozialen und ökologi-schen Kriterien zur Aufgabe gemacht. Unterintensiver Einbindung aller Beteiligten entste-hen so in Kindertageseinrichtungen, Schulenund auf öffentlichen Spielplätzen sowohlideenreiche als auch kind- und jugendgerechteNaturspielräume.

Hierzu hat KIWI Partizipationsverfahren ent-wickelt, mit denen Kinder, Jugendliche und Er-wachsene in Kindertageseinrichtungen und anSchulen ihren eigenen Naturspielraum selberplanen und gestalten können. In mehrtägigenZukunftswerkstätten lernen Kinder und Ju-gendliche demokratische Entscheidungspro-zesse kennen, eigene Meinungen zu vertre-ten, aber auch andere Meinungen und Mehr-heitsbeschlüsse zu akzeptieren.Zu diesem Zwecke bietet KIWI Fortbildungs-seminare für Erzieherinnen, Erzieher und Lehr-kräfte an, in denen das Know-how zur eigen-ständigen Durchführung einer Zukunftswerk-statt vermittelt wird.

Zur Planung eines Naturspielraumes gehörtvor allem auch die konkrete Umsetzung.Neben der finanziellen und fachlichen Bera-tung zeichnet KIWI auch für das gesamte Pro-jektmanagement verantwortlich. Die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen,die im ersten Schritt ihren neuen Naturspiel-raum geplant haben, setzen nun ihre Vorschlä-ge eigenhändig unter der fachmännischen An-leitung von KIWI um.

Neben der „Kinderstube der Demokratie“zeichnet KIWI auch für das aktuell laufendeModellprojekt „Lebensraum Schulhof“ zurFörderung des Demokratiegedankens anSchulen verantwortlich.

Seit seiner Entstehung hat KIWI etwa 150 Na-turspielräume in enger Zusammenarbeit mitallen Beteiligten in Schleswig-Holstein, Ham-burg und Niedersachsen geschaffen. Zum Er-halt und zur Weiterentwicklung dieser Natur-spielräume führt KIWI in den EinrichtungenPflegeseminare durch und entwickelt indivi-duelle Pflegekalender. So wird gewährleistet,dass der Naturspielraum auch über die Pla-nung und Umsetzung hinaus Bestandteil desAlltags von Kindertageseinrichtungen undSchulen bleibt.

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Der Träger stellt sich vor

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Zussy US neu 24.01.2007 10:37 Uhr Seite 2