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Die Mikro-Festung

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Nr. 212Die Mikro-FestungSie unternehmen einen Testflug mit einem uralten Flugzeug - und geraten in dieGewalt der Bunkerköpfe...von William Voltz

Vom Zentrum der Galaxis aus geriet Perry Rhodan mit seinem Flaggschiff unvorbereitet in den Sog derTransmitterstraße nach Andromeda. über die Station „Twin“ wurde die CREST II durch den sterbendenWächter weitergeschleudert - geradewegs in das Innere von Horror, der künstlichen Hohlwelt.Von Etage zu Etage kämpfen sie sich hinauf zur Oberfläche des Kunstplaneten, der von drei Sonnen umlaufenwird. Sie hatten bereits die Sicherheit des freien Weltraumes erreicht, doch sie setzten diese Sicherheit aufsSpiel, indem sie sich wieder der Oberfläche von Horror näherten.Dabei gerieten sie in den Wirkungsbereich der „Geheimwaffe Horror“ - und unterlagen einemVerkleinerungsprozeß, der sie und ihre Umwelt ums Tausendfache schrumpfen ließ.Doch die Terraner verlieren nicht den Mut - sie unternehmen einen bewaffneten Vorstoß gegen DIEMIKRO-FESTUNG...

Die Hautpersonen des Romans:Captain Don Redhorse - Der Cheyenne startet zu einem folgenschweren Testflug.Lope Losar, Oleg Sanchon, Into Belchman und Zantos Aybron - Captain Redhorses Begleiter auf dem Wege nachLlalag, der Festung der Bunkerköpfe.Perry Rhodan - Großadministrator des Solaren Imperiums.Icho Tolot - Ein abenteuerlustiger Haluter.

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Zwölf Namen waren es.Zwölf Namen von einer unruhigen Hand auf ein

Blatt gelbes Papier geschrieben. Jetzt waren achtdieser Namen durchgestrichen. Vier standen noch da.

Ich muß sie beobachten, dachte Redhorse undschaute auf den Zettel.

Alle vier. Ich darf sie keine Sekunde aus denAugen lassen. Jede noch so geringfügigeGefühlsäußerung dieser vier Männer muß ichwahrnehmen und meine Schlüsse daraus ziehen.

Denn es waren diese vier Männer, die er dazuausersehen hatte, ihn zu begleiten. Vier vonzweitausend.

Captain Don Redhorse würde der fünfte Mannsein.

Es war nicht einfach, unter den zweitausend MannBesatzung der CREST II die richtigen Männerherauszusuchen. Redhorse, der kühneCheyenne-Indianer, brauchte Begleiter, die nicht überDinge nachdachten, die sie nicht ändern konnten. Esmußten Raumfahrer sein, die vergessen konnten, daßsie nur noch knapp zwei Millimeter groß waren.

Eiskalte Burschen - das war es, was Redhorsesuchte.

Und er glaubte sie gefunden zu haben. Männer, diekeine Nervosität kannten, die ohne seelischeBelastung handeln konnten. Denn die Gruppe, dieaus dem Raumschiff gehen würde, glich einer Schar

Ameisen, die ihren Bau verließen und sich in einfremdes, gefährliches Land wagten.

Redhorse war dankbar, daß ihm Perry Rhodan beider Auswahl der Männer freie Hand ließ.

Zunächst hatte er zwölf Männer ausgesucht und sieheimlich beobachtet. Jedes Anzeichen von Nervositäthatten die scharfen Augen des Captains registriert.Das leichte Zittern einer Hand beim Einschenken vonTee. Das Zucken eines Augenlids, wenn die Spracheauf die Lage der Schiffbrüchigen kam. Das unruhigeScharren von Füßen und das krampfhafte Schlucken,wenn die Angst in der Kehle saß.

Bei vier Männern hatte Redhorse weder Unruhenoch Furcht feststellen können. Da war Lope Losar,ein großer, wuchtiger Mann mit mürrischemGesichtsausdruck. Er war Waffenmeister in derFeuerleitzentrale. Der zweite Mann hieß OlegSanchon. Auch er war groß und schwerfällig inseinen Bewegungen. Er war einer der vielenTechniker aus den unteren Decks der CREST II.Seine herabhängenden Mundwinkel und die blauenAugen gaben ihm ein fast arrogantes Aussehen.

Redhorses Augen fanden den dritten verbliebenenNamen: Into Belchman, einer der medizinischenAssistenten. Belchman war mittelgroß, dürr undhäßlich. Bis auf einen pechschwarzen Haarkranz warsein Kopf kahl. Seine Hakennase reichte fast bis zurOberlippe. Von Belchman kursierte das Gerücht, daßer seine Patienten vor einer Operation nicht zunarkotisieren brauchte, da sein bloßer Anblickgenügte, um die Bedauernswerten ohnmächtig

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werden zu lassen. Zantos Aybron, der vierte Mann,bildete sogleich Redhorses größtes Problem. Aybronbesaß einen künstlichen Rücken, ein Korsett ausSilberstahl, das seine brüchige Wirbelsäulezusammenhielt. Der kleine Astronom mit dendunklen Augen war todkrank, aber es gab irgendetwas in seinem Innern, das ihn entgegen allermedizinischen Voraussagen seit Jahren am Lebenerhielt. Redhorse hatte nicht beabsichtigt, einenKranken mitzunehmen, doch Aybron stellte eineAusnahme dar.

Captain Don Redhorse ergriff das Blatt und zerrißes in kleine Fetzen.

Ich werde sie beobachten, dachte er wieder. Ichwerde ihnen nachschleichen und spionieren. Überihre körperlichen Vor- und Nachteile war er gutunterrichtet. Darauf kam es auch erst in zweiter Liniean. Wichtig war vor allem die seelische Verfassungdieser Männer.

Ich muß ihre Gedanken sezieren, dachte Redhorsegrimmig. Ihr Geist muß sich nackt und schutzlos vormir ausbreiten.

Das war keine Arbeit, die Redhorse schätzte. Siewar ihm zuwider.

Redhorse strich sich über sein blauschwarzes Haar.Er zwang sich, die Tatsache zu ignorieren, daß er

und alle anderen Männer nur noch knapp zweiMillimeter groß waren, daß die riesige CREST II zueiner Kugel von eineinhalb Meter Durchmessergeschrumpft war.

Redhorse ließ die Papierfetzen aus seiner Hand aufden Boden segeln. Wäre er ein Mann von normalerGröße gewesen, hätte er diese Stückchenwahrscheinlich nicht mehr sehen können.

Makrokosmos und Mikrokosmos, dachteRedhorse, wo war hier die Grenze?

Seufzend erhob er sich.Zuerst Lope Losar, dachte er. Ihn zuerst.Dann die anderen.

*

Irgendein Mitglied der Besatzung, das einen Sinnfür makabren Humor besaß, hatte der Gebirgskette,die die CREST II im Norden, Osten und Westenumschloß, den Namen Sandkuchenberge gegeben.Was den Männern an Bord als achttausend Meterhoher Gebirgszug erschien, war in Wirklichkeit nureine Hügelgruppe mit einer tatsächlichen Höhe vonacht Metern, die sich hufeisenförmig um einenTalkessel schloß.

Hierher war die CREST II von Icho Tolot gebrachtworden, bevor auch der Haluter durch dieEinwirkung des Potential-Verdichters derVerkleinerung erlegen war.

Nach Süden hin war das Tal offen, dort gab es für

die Begriffe der Mikromenschen nur noch kleineAnhöhen. Für die winzigen Besatzungsmitgliederdurchmaß das Tal fünfzig Kilometer. Im Norden derSandkuchenberge entsprang ein fünf Kilometerbreiter Strom in Form eines gewaltigen Wasserfalls.Der Fluß wurde Südfluß genannt, da er demTalausgang im Süden zuströmte.

Für die Raumfahrer war es schwer vorstellbar, daßder tosende Südfluß in Wirklichkeit nur einharmloser Bach von fünf Metern Breite war, denjeder normal großer Mensch ohne Schwierigkeitendurchwaten könnte.

Für Perry Rhodan stand es inzwischen fest, daßmit Ausnahme der beiden Polstationen die gesamteOberfläche Horrors verkleinert worden war. ImVerlauf der Jahrtausende hatten sich diegeschrumpften „Hautfetzen“ der ursprünglichenOberfläche und die von unten aufgestiegenenFormationen einander angeglichen, weshalb dieTheorie der Oberflächenschrumpfung anfänglichunglaubhaft geklungen hatte.

Die Nordpolstation war von der CREST noch vorihrer Zwangslandung vernichtet worden, aber dieSüdpolstation existierte nach wie vor und würde allesverkleinern, was in ihren Wirkungsbereich geriet.

Das verkleinerte Land war für die Terraner vonvielfältiger Schönheit. Der Talkessel, für einenNormalgewachsenen nichts weiter als eine größereVertiefung, wurde von sanften Hügeln, kleinenWasserläufen und weiten Savannen durchzogen.

Die Temperatur betrug in dieser Gegend knappfünfzig Grad Celsius. Die Atmosphäre war gutatembar. Die Lufthülle wurde kaum von einemWindhauch bewegt. Der Himmel leuchtete in einemdüsteren Schwarzblau, aus dem die drei gelbenSonnen wie riesige Dämonenaugen hervorstachen.

Icho Tolot hatte die CREST II dicht an denHängen im Norden der Sandkuchenberge abgesetzt.Für die Augen der Besatzung ragten die Felswände innur wenigen hundert Metern Entfernung steil in denHimmel.

An Bord waren sämtliche Maschinen, die aufatomarer Grundlage funktionierten, endgültigausgefallen. Damit waren auch alle Waffen,angefangen von den mächtigen Transformkanonenbis zum einfachen Handstrahler, wertlos geworden.

Die Wissenschaftler hatten inzwischenherausgefunden, daß diese Ausfälle nicht auf einAbsaugfeld zurückzuführen waren, wie manursprünglich angenommen hatte. Vielmehr hatte dieumfassende Potentialverdichtung die kompliziertenAtomkernprozesse völlig zum Erliegen gebracht.

Zwei Tage nach der Bruchlandung waren dieeinfachen Normalkraftwerke in Tätigkeit getreten.An Bord der CREST II liefen die kleinen Stationen,deren Generatoren von gewöhnlichen Gasturbinen

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angetrieben wurden, auf Hochtouren.An Bord des Superschiachtschiffes wurde nur noch

das Mathelogische Positronengehirn in Betriebgehalten. Die Stromerzeugung der Notaggregate warso geringfügig, daß alle anderenstromverbrauchenden Maschinen stillstehen mußten.Auch die Beleuchtung war auf ein Minimum gesenktworden.

Das Mathelogische Positronengehirn hatte anhandder vorliegenden Daten inzwischen ermittelt, daß dieSüdpolstation und die inzwischen vernichteteNordpolstation für den Verkleinerungsprozeßverantwortlich gewesen waren. Außerdem warendiese Gebäude nicht selbst der Verkleinerung zumOpfer gefallen. Die Stationen mußten vor längstvergangenen Zeiten als Waffen erbaut worden sein.

Das war die Lage an Bord der CREST II am 18.Dezember 2400 Erdzeit.

Es sah ganz danach aus, als sollten die terranischenEroberer diese Falle einer unbekannten Rasse nichtwieder verlassen können.

*

Er war immer noch ein Gigant.Ein dreieinhalb Millimeter großer Gigant, der

Mühe hatte, seinen mächtigen Körper durch dieSchotte zu schieben, wenn er die Zentrale derCREST II betreten wollte.

Niemand hätte zu sagen vermocht, ob der Haluterauch dieses Abenteuer noch reizvoll fand oder ob ervorgezogen hätte, in normaler Größe durch dasunbekannte Land außerhalb der CREST II zu laufen.

Mory Rhodan-Abro betrachtete den Koloß, der vorihr, Rhodan und dem Arkoniden Atlan stand und mitreglosem Gesicht den Diskussionen folgte.

Rhodans Frau hatte nichts von ihrer Schönheiteingebüßt, doch wer sie genau kannte, wußte denbitteren Zug um ihren Mund richtig zu deuten.

„Warum sagen Sie nichts, Tolot?“ fragte sie denHaluter. „Sie hören zu, wie wir stundenlang redenund reden. Sie sind genau wie wir in einerfürchterlichen Lage. Welche Vorschläge haben Siezu unterbreiten?“

Tolot hörte den gereizten Unterton aus ihrerStimme heraus. Er verstand diese Frau. Längst hatteer die Unruhe der Besatzung gespürt. Im ganzenSchiff gab es Anzeichen für eine beginnendeVerzweiflung. Rhodan würde bald eingreifenmüssen, wenn er eine Panik vermeiden wollte.

„Was ich zu sagen habe, wird nicht dazu beitragen,Ihre Stimmung zu heben“, meinte Tolot. „Ich habeeinige grobe Berechnungen aufgestellt und bin dabeiauf unangenehme Ergebnisse gestoßen.“

Rhodan wußte, wie schnell der Haluter mit seinemphantastischen Plangehirn rechnen konnte. Der Riese

konnte jede Positronik schlagen, wenn es daraufankam.

„Sprechen Sie, Tolot“, forderte Rhodan. „Wirmüssen uns mit den Gegebenheiten abfinden. Eswäre unsinnig, die Augen vor den Tatsachen zuverschließen.“

„Der Durchmesser des Planeten Horror beträgt,wie wir alle wissen, knapp vierzehntausendKilometer“, begann Tolot ohne Einleitung. „Seindurchschnittlicher Umfang liegt somit bei überdreiundvierzigtausend Kilometer. Atlan, Sie habenkurz vor dem Absturz der Space-Jet noch einigeMessungen vorgenommen. Sagen Sie uns, wo dieBruchlandung ungefähr vonstatten ging.“

Der Arkonide dachte einen Augenblick nach.„Fünfundvierzig Grad südlicher Breite“, gab er

dann bekannt.„Das stimmt ungefähr“, sagte Tolot. „Es ist leicht

zu errechnen, daß dieses Raumschiff im Augenblickzehntausendachthundertundvierzig Kilometer von derSüdpolstation entfernt steht.“

10.840 Kilometer!Rhodan und Atlan schauten sich bedeutungsvoll

an.Der von Tolot angegebenen Entfernung lag die

Normalgröße eines Menschen zugrunde. Da sich dieRaumfahrer jedoch um das Tausendfache verkleinerthatten, wurden bei subjektiver Betrachtung ausdiesen 10.840 Kilometern 10.840.000 Kilometer.

Eine unermeßliche Entfernung, solange dieCREST II funktionsunfähig war.

Und doch mußten sie irgendwie zur Südpolstationgelangen, denn es gab nur einen Weg, um dieVerkleinerung rückgängig zu machen: derPotential-Verdichter mußte vernichtet werden.

„Sie schweigen“, bemerkte Tolot. „Das bedeutet,daß Sie die Konsequenzen aus den vorliegendenErgebnissen zu ziehen vermögen.“

„Um Himmels willen!“ rief Oberst Cart Rudostöhnend. „Wir können doch nicht unser ganzesLeben in diesem Zustand verbringen, wie ... wieInsekten, die hilflos über den Boden kriechen.“

„Jetzt wissen wir endlich, wie einem Käfer zumuteist, den unsere Füße achtlos zertreten“, sagte Atlan.

„Der Käfer hat den Vorteil, daß er von Geburt annicht größer ist“, widersprach Mory. „Er ist es nichtanders gewöhnt. Seine gesamtenLebensgewohnheiten sind seiner Größe entsprechendeingerichtet. Das ist bei uns nicht der Fall.“

„Terraner sind anpassungsfähig“, sagte Atlanspöttisch. „Vielleicht sind wir dazu ausersehen, eineKolonie von Mikromenschen in diesem Tal zugründen.“

Rhodan stand auf. „Ich muß Sie alle davonunterrichten, daß ich inzwischen einen Plan gefaßthabe“, sagte er. „Sie wissen, daß seit kurzem

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fünfzehn Spezialflugzeuge zu unserer Ausrüstunggehören, die mit normalen chemischenStrahltriebwerken fliegen.“

„Du meinst die Oldtimer?“ fragte Mory.„Das ist der volkstümliche Ausdruck für diese

Maschinen“, stimmte Perry zu. „Die Flugzeugehaben einen schlanken Rumpf und stark gepfeilteTragflachen, an deren Enden die beiden Hub- undSchwenktriebwerke sitzen.“

Die Flugzeuge, von denen Rhodan sprach,gehörten bereits seit zwanzig Jahren zur Ausrüstungvon Raumschiffen mit Sonderaufgaben. Sievermochten senkrecht zu landen und zu starten. Beieiner Länge von 26 Metern erreichten sie eineGeschwindigkeit von 3,2 Mach.

„Ich habe eine Frage, Sir“, meldete sich MelbarKasom aus dem Hintergrund der Zentrale. „Ich setzevoraus, daß Sie versuchen wollen, mit diesenMaschinen die Südpolstation zu erreichen. Ihrechemischen und elektrischen Anlagen sind nach wievor funktionsfähig. Trotzdem muß Ihr Plan scheitern.Die Oldtimer sind nach der Verkleinerung nochsechsundzwanzig Millimeter lang. Wie wollen Siemit diesen winzigen Dingern bis zum Südpolgelangen?“

„Gute Frage“, meinte Rhodan. „Ich habe schondarüber nachgedacht und mit Icho Tolot gesprochen.Tolot, sagen Sie uns bitte, wie Ihre Theorie lautet.“

„Der Aktionsradius der Flugzeuge mit vollenZusatztanks und der höchstzulässigenBesatzungsstärke von fünf Personen beträgt unterterranischen Verhältnissendreizehntausendvierhundert Kilometer“, sagte Tolot.„Jetzt wirft sich vor allem die Frage auf, ob dieseMaschinen trotz der erfolgten Verkleinerung nochgenauso schnell oder wenigstens annähernd soschnell sein können, wie dies auf der Erde beinormaler Größe der Fall ist. Ich glaube, diese Fragemit einem Ja beantworten zu können.“

Von Major Hefrich, dem Leitenden Ingenieur, kamein ungläubiger Ausruf.

Tolot hob beschwichtigend die Sprungarme.„Was ich Ihnen jetzt sage, ist nicht allein das

Ergebnis meiner Berechnungen, sondern es wurdeauch von der Mathelogischen Positronik bestätigt. Esist Tatsache, daß die Strahlgeschwindigkeit derausgestoßenen Treibstoffpartikel nicht unter demVerkleinerungsprozeß leidet. Die Schubleistungender Triebwerke, die normalerweiseachtzehntausendfünfhundert Kilometer pro Motorbetragen, sind zwar gesunken, aber dies proportionalzur geringer gewordenen Masse des Flugzeuges.“

„Das müßte in der Praxis erprobt werden“, sagteRhodan. „Ich habe Captain Don Redhorse beauftragt,mit vier Männern einen ausgedehnten Testflug zuunternehmen. Redhorse ist gerade dabei, seine

Begleiter auszusuchen.“Hefrich schüttelte bedächtig den Kopf. „Seine

Rückkehr wird uns um eine Enttäuschung reichermachen“, sagte er.

„Denken Sie doch einmal an die Insekten“, sagteIcho Tolot. „Die meisten fliegen viel schneller, alsman es auf Grund ihrer Körpergröße annehmensollte. Ich bin überzeugt, daß die Oldtimermindestens noch eine Geschwindigkeit von zweiMach erreichen können.“

„Warum behaupten Sie nicht gleich, daß dieMaschinen nach wie vor über dreifacheSchallgeschwindigkeit fliegen?“ erkundigte sichAtlan mit schwachem Sarkasmus.

„Ganz einfach“, erwiderte der Haluter ernsthaft.„Die geringere Masse ist einem starkenLuftwiderstand ausgesetzt, der leider nichtproportional abgesunken ist. Das zehrt einen Teil derEffektivleistung auf.“

„Versuchen werden wir es auf jeden Fall“,bestimmte Rhodan. „Wenn Tolot recht hat, könnenwir die Station am Südpol erreichen. Inzwischen hatHauptzahlmeister Major Bernard eine Reihe vonmodernen chemischen Waffen bereitgestellt, mitdenen wir die Oldtimer ausrüsten werden, wenn derTest erfolgreich verläuft. Selbstverständlich erhältauch Redhorses Mannschaft diese Waffen, denn esbesteht immerhin die Möglichkeit, daß sieangegriffen wird.“

Die Vorstellung, daß ein 26 Millimeter langesFlugzeug angegriffen werden könnte, warkeineswegs absurd. Auf der Oberfläche Horrors gabes vielleicht andere intelligente Lebensformen, dieebenfalls dem Verkleinerungsprozeß erlegen waren.

„Hoffentlich taucht die fliegende Festung nichtwieder auf“, gab Atlan zu bedenken.

„Für die Flugzeuge stellt sie sicher keine großeGefahr dar“, antwortete Rhodan.

Damit war zumindest der Testflug einebeschlossene Sache. Es gab niemand an Bord, derdieses verzweifelte Unternehmen abgelehnt hätte.

*

Major Curt Bernard blickte trübsinnig auf denMaschinenkarabiner, der vor ihm auf derAusgabetheke lag. Er betrachtete dieTrommelmagazine mit jeweils sechzig SchußMunition.

„Das sind die Minirakgeschosse“, sagte er zu LopeLosar, der mit bedächtigen Bewegungen eine Pistolefür Doppelmagazine von je zwanzig Schuß lud. „DieGeschoßzündung geschieht auf rein mechanischemWeg mittels Schlagbolzen. Die Geschosse haben einKaliber von sechs Millimetern ...“ Er verstummteunsicher, als ihm bewußt wurde, daß die vor ihm

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liegende Munition sich ebenfalls um dasTausendfache verkleinert hatte.

„Ich weiß, Sir“, sagte Losar teilnahmslos. „Ichgehöre zu den Waffenmeistern.“

Der Hauptzahlmeister schob einen Schein über dieTheke.

„Unterzeichnen Sie diese Empfangsbestätigung!“befahl er.

Losar schaute auf die Waffen.„Entschuldigen Sie, Sir“, sagte er, „aber ich

glaube, Captain Redhorse hat die doppelte Anzahlangefordert.“

Bernard blickte auf den Anforderungsschein desCaptains, als sähe er ihn zum erstenmal. Seine Augenweiteten sich, als sei er erstaunt. Losar unterdrückteein Grinsen.

„So, so“, machte Bernard. Dann gab er demWaffenmeister mit offensichtlichem Widerwilleneinige weitere Munitionspakete.

Losar verstaute alles in seinen Taschen.„War außer mir schon jemand hier, Sir?“

erkundigte er sich.Der Gedanke, daß noch weitere Raumfahrer

kommen und die Lagerbestände dezimieren würden,schien Bernard zu beunruhigen. Er fuhr mit denHänden über die Theke.

„Warum fragen Sie?“ wollte er wissen.Losar ließ das Magazin der Pistole einschnappen.

Er tat alles mit sicheren Griffen, ohne überhaupt aufdie Waffe zu blicken.

„Ich hätte gern gewußt, wer Captain Redhorse undmich begleitet“, erwiderte er ruhig.

In diesem Augenblick wurde die Tür vom Gangaus geöffnet, und Oleg Sanchon kam herein.

„Möchten Sie ebenfalls einige Spezialwaffen?“fragte Bernard besorgt.

Sanchon machte einen Eindruck, als würde erjeden Augenblick einschlafen. Losar betrachtete ihninteressiert.

„Hier ist mein Schein“, sagte Sanchon. „Geben Siemir bitte diese Waffen und die dazugehörigeMunition, Sir.“

Bernard blickte von Losar zu Sanchon. „Diegleichen Waffen“, knurrte er erbittert. „Wollen Sieauf Großwildjagd gehen?“

Losar runzelte die Stirn, als Sanchon sich faul aufdie Theke beugte.

„Sie sind also der zweite Mann“, sagte er nüchtern.Oleg Sanchon hob die Augenbrauen.„Ja.“ Das war alles, was er sagte.Losar reichte ihm die Hand.Eine Minute später kam Into Belchman herein, und

der verzweifelte Major Bernard mußte zumdrittenmal den Inhalt jener Regale dezimieren, die eram liebsten bis zum Rand gefüllt gesehen hätte.

*

Ja, dachte Redhorse versonnen, Aybron ist dasProblem.

Bei Zantos Aybron fiel die Entscheidung schwer.Wie sollte man bei einem Mann, der keinerleiGefühle zu haben schien, entscheiden, ob er Angsthatte oder nicht.

Ich falle schon auf, dachte Redhorse. Seit einerStunde lungere ich in der astronomischen Abteilungherum, ohne einen Grund zu haben.

Er beobachtete Aybron, der noch immer damitbeschäftigt war, einzelne Fotografien miteinander zuvergleichen.

Lope Losar, Oleg Sanchon und Into Belchmanwaren bereits informiert. Sie hatten Redhorsesstrenger Prüfung standgehalten. Aybron jedochschien sich jeder Prüfung entziehen zu können, aucheiner heimlichen. Der Mann mit dem Silberrückenwar schwer einzuschätzen. Zantos Aybron war kleinund korpulent. Er hatte große, dunkle Augen, die zuRedhorses Überraschung keinerlei Gefühleausdrückten.

Redhorse tat, als studiere er eine Sternenkarte, dievor ihm an der Wand hing. Er hoffte, daß Aybronendlich aufstehen und etwas anderes tun würde, sodaß es einfacher war, etwas von seinem Innenlebenzu erfahren. Doch der Astronom schien für nichtsanderes als für seine Bilder Interesse zu haben.

Zum Teufel, dachte Redhorse entschlossen. Ichwerde zu ihm gehen.

Er atmete unwillkürlich auf, und seine Spannungfiel von ihm ab. Er konnte nicht länger warten. DieVorbereitungen für den Start einer F-913 G warenbald abgeschlossen.

Captain Redhorse ging auf den Tisch zu, an demAybron saß. Der Astronom blickte erst auf, alsRedhorse seine braune Hand auf den Stapelaussortierter Fotografien legte.

„Captain?“ fragte er ernst. „Möchten Sie sich zumAstronomieunterricht anmelden?“

Das Bewußtsein, einen Todkranken vor sich zuhaben, berührte Redhorse unangenehm, aber esbereitete ihm keine Mühe, dem Astronomzuzulächeln.

„Ich beobachte Sie bereits seit einer Stunde“, sagteer offen heraus.

„Tatsächlich?“ Ein trockenes Lachen, dasRedhorse nicht gefiel, schloß sich diesem schnellhervorgestoßenen Wort an.

„Möchten Sie an einem Testflug teilnehmen?“fragte Redhorse.

„Ich bin Astronom“, kam die Antwort.Redhorse erklärte in wenigen Worten, worum es

ging. Als er geendet hatte, stand Aybron auf. Nur ein

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kaum sichtbarer Höcker zeugte von seinemverkrüppelten Rücken.

„Ich mache mit, Captain“, sagte Zantos Aybron.Redhorse zögerte, dem Astronomen die Hand zu

geben. Als er es schließlich tat, fühlte er AybronsHand kalt und feucht in der seinen.

Ja, dachte Redhorse wieder, Aybron ist dasProblem.

*

Die Energie aller drei Notaggregate war in die fürNotfälle vorgesehene Hebebühne umgeleitet worden,mit der das Flugzeug auf den Boden gebracht werdensollte. Mit leisem Knirschen schwang die Plattformaus dem Hangar hinaus und glitt dem Bodenentgegen.

Redhorse setzte sich im Pilotensessel zurecht. Erdachte an die letzten Worte Rhodans. Der Chef hatteihn ermahnt, sofort nach Beendigung des Testszurückzukehren, gleichgültig, wie der Flug ausfiel.

Die Anspannung von Redhorses Nerven hattenspürbar nachgelassen. Es war ein beruhigendesGefühl, wieder innerhalb eines funktionierendenFlugzeuges zu sein.

Der Captain blickte zurück. Lope Losar fungierteals Copilot, Sanchon hatte die Rolle des Mechanikersübernommen, und Into Belchman saß hinter denBedienungsknöpfen der Raketengeschütze desOldtimers.

Zantos Aybron bediente das Funkgerät. Redhorsekonnte den Astronomen von seinem Platz aus nichtsehen.

Die F-913 G setzte auf dem Boden auf.Redhorse dachte nicht länger daran, daß er in

einem winzigen Flugkörper von nur 26 MillimeterLänge saß. Er vergaß, daß er selbst nur 1,9Millimeter groß war, ein unbedeutendes Stäubchenauf der Oberfläche eines unheimlichen Planeten.

„Losar?“ bellte seine Stimme.„In Ordnung, Captain.“Die beiden Strahltriebwerke an den Flügelenden

wurden mit den Düsen senkrecht zum Bodengeschwenkt. Redhorses Blicke umfaßten dieKontrollen.

„Sanchon?“„Fertig, Sir.“Redhorse betätigte die Zündung. Die Maschine

begann zu vibrieren. Die Umwelt versank imaufsteigenden Qualm. Das Dröhnen und Heulen derStrahltriebwerke erzeugte einen dumpfen Druck inden Ohren des Captains.

„Belchman?“ fragte er mit verkniffenen Lippen.„Bereit, Sir“, sagte der Mediziner.„Aybron?“„Alles klar, Captain.“ Eine kalte unpersönliche

Stimme, die Stimme eines Fremden.Der Oldtimer hob vom Boden ab, stieg senkrecht

in die Höhe, während Redhorses Herz schneller zuschlagen begann. Langsam kippten die Triebwerke indie Horizontale zurück, und das Flugzeug nahm Fahrtauf.

Don Redhorse beschleunigte. Die F-913 G schoßden Bergen entgegen. Redhorse fühlte, wie ihm dasBlut in den Schläfen pochte. Erregt schaute er aufden Geschwindigkeitsmesser.

„Es funktioniert!“ rief er überrascht. „Tolot hatterecht.“

Wie ein Geschoß raste der Oldtimer den fernenBergen und damit dem Verhängnis entgegen.

*

Perry Rhodan war sich bewußt, daß jeder Manninnerhalb der Zentrale in seine Richtung blickte unddarauf wartete, daß der Funkkontakt mit demOldtimer begann. Niemand sprach. Vielleicht ahntendie Männer, daß in diesen Sekunden ihr Schicksalentschieden wurde. Alles hing davon ab, ob der Testerfolgreich verlaufen würde.

„Hier Redhorse!“ wurde eine leise Stimme imLautsprecher hörbar.

„Ich kann Sie hören, Captain“, gab Rhodan sofortzurück. „Bitte sprechen Sie.“

„Der Start verläuft normal“, berichtete Redhorse.„Wir sind jetzt in einer Höhe von sechstausendMetern.“

Jemand, der unmittelbar hinter Rhodan stand undmitgehört hatte, lachte schrill. Diese Reaktion, daswußte Rhodan, wurde durch die Höhenangabe desCaptains ausgelöst. Denn jene sechstausend Meterwaren in Wirklichkeit nur sechs Meter.

Gleich darauf meldete Redhorse: „Jetztbeschleunige ich.“

Als könnte er den Test durch seine Stimmegefährden, begnügte sich Rhodan mit einem Nicken.

„Wir nähern uns den nördlichen Gebirgen und ...“Redhorses Stimme verstummte plötzlich.

„Captain!“ rief Rhodan. „Captain! Ich kann Sienicht hören.“

Wie aus unermeßlicher Ferne klang die Stimmedes Offiziers noch einmal auf.

„... Raketengeschosse ...troffen ... wie ...vorgesehen ...“

Dann war Stille. Noch nicht einmal Störgeräuschekamen aus dem Empfänger. Rhodans Händeumklammerten das Mikrophon, bis seine Knöchelweiß wurden. Nur sehr langsam wandte er sich um.Er mußte der Besatzung sagen, daß etwas geschehenwar, womit bei diesem Testflug niemand gerechnethatte. Der Oldtimer war angegriffen worden.

Rhodan sah in die erwartungsvollen Gesichter

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ringsum.„Der Test ist mißlungen“, sagte er ruhig.

2.

Sieben von acht Raketengeschossen hatte CaptainDon Redhorse ausweichen können, das achte jedochtraf die F-913 G und erschütterte sie schwer. DieBerge wirbelten unter Redhorse weg, als dasFlugzeug sich seitlich abrollte. Verbissenumklammerte er die Steuerung. Von hinten kam einknisterndes Geräusch, und es roch nach verbranntenKabeln.

„Treffer im Rumpf“, meldete Lope Losar.„Unmittelbar am hinteren Leitwerkansatz auf derlinken Seite.“

Redhorse fing die Maschine ab und zog sie fastsenkrecht an den Bergen hinauf. Seine Gedankenwaren in Aufruhr. Die Geschosse waren irgendwovom Kamm der Sandkuchenberge aus abgefeuertworden.

„Maschine brennt!“ schrie Belchman.Redhorse blickte aus der Kanzel. Sie zogen eine

Rauchspur hinter sich her. Das Flugzeug verlor raschan Geschwindigkeit. Sie rasten über die Gipfel dernördlichen Gebirgskette hinweg. Das Land unterihnen wurde zu einem graubraunen Schemen.

„Keine Funkverbindung zur CREST“, meldeteAybron.

Redhorse biß sich auf die Unterlippe. Nun hattensie noch nicht einmal die Möglichkeit, Rhodan davonzu unterrichten, daß die Oldtimer tatsächlich doppelteSchallgeschwindigkeit erreichen konnte.

„Fertigmachen zum Absprung!“ befahl er.Der Oldtimer verlor mit einem Ruck an Höhe. Das

Höhensteuer fiel aus. Redhorse katapultierte dieKanzel der Maschine davon. Mit unverminderterWucht prallte der Wind gegen seinen Körper.

Redhorse schlug Losar auf die Schulter unddeutete mit dem Daumen nach oben. Losar zögertekeine Sekunde. Er schoß sich mit dem Sitz aus derbrennenden Maschine. Die F-913 G raste derOberfläche entgegen, als kurz hintereinanderBelchman, Sanchon und Aybron sich aus demFlugzeug katapultierten. Angespannt kauerteRedhorse im Pilotensitz. Der Testflug war am Endeangelangt, bevor er richtig begonnen hatte. DieMaschine drohte abzusacken. Wahrscheinlich war dieTreibstoffzufuhr unterbrochen. Einen winzigenAugenblick lang sah Redhorse die aufgeblähte Hülleeines Fallschirms unter sich vorbeihuschen. Dasmußte Losar sein.

Redhorse erkannte, daß das Flugzeug nicht mehrzu retten war. Er drückte den Katapultschalter. Miteinem Ruck wurde er aus der Kanzel geschleudert. InRauch und Flammen gehüllt, sackte die F-913 G

unter ihm weg. Mit schrillem Pfeifen durchschnitt dieMaschine die Luft. Redhorse öffnete mitgeschlossenen Augen den Fallschirm.

Er hörte die Maschine in einer donnerndenExplosion zwischen den Felsen aufschlagen. Er hättekeine zehn Sekunden länger mit dem Aussteigenzögern dürfen.

Als er die Augen öffnete, sah er zwei Fallschirmein seiner unmittelbaren Nähe den Berghängenjenseits des Talkessels entgegenschweben. Weiterentfernt sah er den dritten Schirm. Das mußte Losarsein, denn er hatte den Boden schon fast erreicht.Unter Redhorse brannten die Trümmer desOldtimers.

Aus den Wolken von aufsteigendem Rauchpendelte der vierte Schirm in Redhorses Blickfeld.Der Captain atmete auf. Es sah so aus, als hätten alleMänner den Absprung überlebt. Niemand schien aufden Gedanken zu kommen, auf sie zu schießen.

Don Redhorse drehte den Kopf, um die Berggipfelzu beobachten. Im Norden bedeckten Festungswerkeein Gipfelplateau der Sandkuchenberge. Dieseunterschieden sich grundlegend von der FelsenstadtTata, die der Captain in der ersten Etage desHohlweltplaneten gesehen hatte.

Hier hatten unbekannte Baumeister ein gewaltigesGebäude errichtet, ein kompaktes Gebilde, mithochaufragenden Mauern und massiven Türmen.Redhorse erinnerte sich daran, daß die Bergfestung inWirklichkeit auf einem acht Meter hohen Hügelstand und einem normalen Menschen fast wie eineSpielzeugburg erscheinen mußte. Sofort unterdrückteder Offizier diese Gedanken, denn er wußte, daß siefrüher oder später zum Irrsinn führen mußten.

Für Redhorses Begriffe landeten sie ungefährsieben Kilometer von der Festung entfernt. DerCaptain zweifelte nicht daran, daß das Flugzeug vonden Bewohnern dieser Bergstadt abgeschossenworden war.

Die Oberfläche kam näher. Redhorse sah, daß mansie bereits erwartete. Einige Dutzend fremdartigaussehende Roboter mit auffallend großen Köpfenhatten sich unter der vermutlichen Landestelleversammelt.

Losar, der den Boden zuerst erreichte, wurde vonden unheimlichen Gestalten sofort umringt. Redhorseatmete auf, als er erkannte, daß der Waffenmeistervernünftig genug war, keinen Widerstand zu leisten.

Lope Losar wurde in die Mitte genommen unddavongeführt. Sein Fallschirm mit dem Sitz bliebenunbeachtet zwischen den Felsen zurück. Belchman,Sanchon und Aybron erlitten das gleiche Schicksal.

Redhorse versuchte erst gar nicht, durch Ziehen anden Leinen die Richtung zu ändern. Es gab zu vieleRoboter, als daß er ihnen hätte entgehen können.

Als er noch zwanzig Meter über dem Boden

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schwebte, liefen sie bereits auf die Stelle zu, wo erniedergehen würde. Jetzt konnte Redhorse dieRoboter aus der Nähe betrachten. Sie besaßen zweikurze Beine mit einem verdickten Kugelgelenk, diein einen ovalen Unterkörper übergingen. Dieser liefkonisch nach oben zu, fast bis zum Halsansatz, wo ersich wieder verbreitete, um den großen Kopf stützenzu können. Die Köpfe der Roboter machten einenkomplizierten Eindruck - ganz im Gegensatz zu denKörpern. Eine Unzahl von Linsen, Antennen undseltsam geformten Öffnungen bedeckten die Schädel.

Die Roboter bewegten sich schwerfällig,wesentlich langsamer als ein Mensch. Auch sie,ebenso wie die Festung, waren wahrscheinlich vorundenklichen Zeiten dem Verkleinerungsprozeß zumOpfer gefallen.

Redhorse prallte auf den Boden. Er kam sofort aufdie Beine. Sieben Roboter hatten ihn umstellt. DerCaptain sah, daß die Roboterschädel in einer ArtHalsmulde sorgfältig gelagert waren. Redhorsefolgerte daraus eine große Stoßempfindlichkeit derSchädel. Wahrscheinlich sollten durch dieseVorsichtsmaßnahmen die Erschütterungenabgefangen werden, wenn die Roboter sich durch dasunebene Berggelände bewegten.

Zu seinem Erstaunen nahm ihm niemand dieWaffe ab. Weit vor sich sah er seine Begleiterinmitten einer Robotergruppe der Festungentgegenmarschieren.

Redhorse fragte sich, ob er dort die eigentlichenHerren der Stadt sehen würde, oder ob er nur dievollmechanisierten Überreste einer längstausgestorbenen Zivilisation entdecken würde.Zwischen den Robotern schien es eine lautloseVerständigung zu geben. Zwei der Fremden nahmenden Captain in die Mitte und dirigierten ihn sanftaber unmißverständlich den Berg hinauf. Ein dritterblieb unmittelbar hinter Redhorse, während dieanderen schweigend davongingen.

Der Cheyenne dachte nicht darüber nach, was manmit ihnen vorhatte. Es war unwahrscheinlich, daßman sie töten würde, denn das hätte man gleich ander Absprungstelle tun können. Die Tatsache, daß dieFestung nicht so weit von der CREST II entfernt war,daß das Raumschiff für ihn und seine Begleiterunerreichbar gewesen wäre, gab ihm die Zuversicht,daß es ihnen gelingen würde, sich irgendwie zubefreien.

Redhorse hoffte, daß er bald wieder mit denanderen Männern zusammen sein konnte. Erbeglückwünschte sich dazu, daß er seine Begleitersorgfältig ausgewählt hatte. Keiner der vierRaumfahrer würde in einer solchen Situation dieNerven verlieren. Bisher hatten sie sich alle soverhalten, wie es Redhorse erwartet hatte. Keinerhatte bei der Gefangennahme durchgedreht und

geschossen.Der Weg, den die Roboter einschlugen, war steil

und beschwerlich. Sie mußten ständig zerklüfteteSchluchten umgehen oder Bodenspalten ausweichen.Bald hatte Redhorse herausgefunden, daß dies für ihnwesentlich einfacher war als für seine Wächter.Wenn einer der Maschinen strauchelte, so versuchtesie immer, den Kopf vor Schaden zu bewahren.

Die Festung war - immer vom Standpunkt einesMannes, der noch nicht einmal zwei Millimeter großwar - etwa hundert Meter lang, aber nur halb so breit.

Jetzt erkannte Redhorse, warum man von derCREST aus die Stadt nicht hatte sehen können. DasRaumschiff stand zu dicht an den nördlichenBerghängen direkt im toten Winkel. UnterUmständen konnte dies ein Vorteil für die Besatzungsein, denn es war durchaus möglich, daß man von derBurg aus auch das Raumschiff angegriffen hätte,wenn es sichtbar gewesen wäre.

Die Felsenstadt lag außerdem noch in einerausgedehnten Vertiefung des Gipfelplateaus. Siebesaß insgesamt sechs Türme, von denen vier dieäußersten Punkte der Stadt begrenzten, während diebeiden anderen inmitten der Stadtmauer aufragten.Die Mauern waren von schmutziggelber Farbe. Siemußten uralt sein, denn Wind, Regen, Sonnenglutund Kälte hatten deutliche Spuren auf ihrerAußenfläche hinterlassen. Redhorse konnte einenSchauder nicht unterdrücken, als sie näher an dieFestung herankamen. Hier lag das Zeugnis einerunbekannten, uralten Kultur vor ihm. Fremdartig,mysteriös und unheimlich. Eines von Millionenunlösbarer Rätsel, die das Universum für dieMenschheit bereitzuhalten schien, um ihr Macht undOhnmacht einer raumfahrenden Rasse begreiflich zumachen.

Wußten die Roboter noch von der Zeit, da sie umdas Tausendfache größer gewesen waren? Redhorsebezweifelte das. Mit einem Male schien ihm dieFestung ein riesiges Grabmal zu sein, einunzerstörbares Zeugnis verzweifeltenLebenskampfes, klein und bedeutungslos geworden,aber nicht nachlassend in seiner stummen Mahnunggegen alle Unterdrückung.

Eine Stunde später marschierten sie in den Vorhofeines der Ecktürme ein.

*

Sie standen nebeneinander an einer von Moosenund Flechten überzogenen Wand, fünf Männer in derlindgrünen Uniform der Solaren Flotte. Vier hattendie Hände auf dem Rücken verschränkt, und derfünfte, weil er einen Rücken aus Silberstahl besaß,ließ seine Arme einfach herabhängen.

Ihre Waffen lagen zu ihren Füßen.

9

Der Hof durchmaß zehn mal zehn Meter, seinBoden war gestampfte Erde. Der Durchgang zumTurm war durch eine rostige Metalltür versperrt.Zwei Roboterwächter standen bewegungslos amHofeingang.

„Da wären wir also“, sagte Belchman unddurchbrach damit als erster das Schweigen, das seitRedhorses Ankunft geherrscht hatte. „Erst haben sieuns abgeschossen, dann nahmen sie uns gefangenund schleppten uns hierher. Und jetzt stehen wir hierund warten auf das, was sie noch mit uns tunwerden.“

Losar spuckte auf den Boden. Der Waffenmeisterwar der älteste unter ihnen. Er war stolz darauf, jedeHandfeuerwaffe terranischer Bauart mitgeschlossenen Augen bedienen zu können. Dabeiwirkten seine Hände plump.

„Mir juckte es in den Fingern, als ich vor ihnenlandete“, sagte er. „Ich denke, daß sie irgendeineTeufelei vorhaben.“

Sanchon lächelte gekünstelt, und der arroganteZug um seine Mundwinkel verstärkte sich. Er sagtenichts. Auch Aybron schwieg. Seine großen Augenschienen jede winzige Bewegung wahrzunehmen. Eswaren Augen, denen nichts entging und die selbst dieFähigkeit zu haben schienen, die Tiefe einermenschlichen Seele auszuloten.

Belchman kratzte mit den Spitzen seiner Stiefelden Boden auf.

„Wir können ausbrechen“, bemerkte er beiläufig.„Die beiden Burschen am Hofeingang werden unsnicht aufhalten.“

„Ich wäre dafür - wenn es zwanzig wären“,erklärte Losar mürrisch.

„Wir warten“, entschied Redhorse. „Wir müssenherausfinden, was hier vorgeht. Diese Festungbeherrscht das gesamte Tal. Von hier aus könntejeder startende Jagdbomber beschossen werden. Dasallein ist Grund genug, daß wir uns hier einmalumsehen.“

„Ja“, stimmte Sanchon zu. „Es interessiert mich,was sich hinter den Mauern verbirgt.“

Redhorse vermutete, daß man sie bald hier abholenund ins Innere des Turmes bringen würde. Irgendwowurde offenbar noch über ihr Schicksal beraten.

„Was glauben Sie, Captain? Gibt es hier außerdiesen Robotern noch andere Wesen?“ Belchmanhatte die Frage scheinbar gleichgültig an Redhorsegerichtet, aber der Cheyenne spürte die Spannung,mit der die anderen auf seine Antwort warteten.

„Das werden wir bald wissen“, sagte Redhorsezurückhaltend. Er hatte vier seltsame Männer beisich, die nur eine Gemeinsamkeit zu haben schienen:Sie kannten keine Furcht.

Redhorse schnalzte leise mit der Zunge. Was warer doch für ein Narr, daß er sich unentwegt Gedanken

über die Eigenart dieser Männer machte. War er nichtselbst eine Ausnahme, ein Einzelgänger, der eineSonderstellung einnahm?

„Wir werden die Bergfestung Llalag nennen“,sagte Redhorse unvermittelt.

Llalag, wiederholte er im stillen. Einst blutigerMythos der Bergindianer aus dem Norden Amerikas- und jetzt unheimliche Wirklichkeit zwischen denMilchstraßen.

Llalag - das Reich der Toten.Quietschend öffnete sich die Turmtür. Zehn

Roboter kamen heraus. Sie trugen Waffen in ihrenplumpen Händen.

Einer der Roboter sammelte dieMaschinenkarabiner der Terraner ein. Er hielt beimBücken den Kopf hoch. Die schweren Pistolen in denStiefeln der Männer übersah er. Die Waffen der neunübrigen Burgbewohner waren drohend auf dieGefangenen gerichtet.

„Das Exekutionskommando“, bemerkte LopeLosar. „Ich bin dafür, daß wir etwas unternehmen,bevor sie uns an dieser tristen Mauer erschießen.“

Ihre Waffen wurden davongetragen. Redhorsebeobachtete aufmerksam die zehn Roboter, um sofortFeuerbefehl zu geben, wenn Losars Vermutung sichbestätigen sollte.

Einer der Roboter trat vor und zeigte gebieterischauf das offene Turmtor. Redhorse zögerte nicht, demklaren Befehl nachzukommen. Er war sich darüberim klaren, daß ihre Fluchtchancen sanken, wenn siesich tiefer in die Festung bringen ließen. Doch nur imInnern der Burg hatten sie Aussichten, jene Waffenzu vernichten, mit denen die Roboter oder ihreHerren den Talkessel beherrschten.

Als Redhorse durch den Eingang in den Turm trat,nahm er ein dumpfes Dröhnen wahr, das aus derTiefe des Berges zu kommen schien. DiesesGeräusch deutete auf unterirdischeMaschinenanlagen hin. Der untere Turmraum wurdevon Glühlampen erhellt.

„Elektrizität“, flüsterte Redhorse dem hinter ihmgehenden Belchman zu. „Wahrscheinlich vonkonventionellen Kraftwerken erzeugt.“

Die massiven Mauern waren mit Plattenüberzogen. Überall waren Teile der Verkleidungabgebröckelt. Nur noch stellenweise sah man denGlanz ehemaliger Farbe. Es gab keinerleiEinrichtungsgegenstände. Unter der Decke liefendicke Kabelstränge. Ein schmaler Gang führte insteilen Windungen zur Turmspitze hinauf. Es gabkeine Stufen, sondern halbrunde Mulden, die versetztzueinander in den Boden eingelassen waren.

Die Roboter trieben ihre Gefangenen weiter. Sieverließen den Turm durch einen düsteren Gang. Vonirgendwoher kam das Summen elektrischer Anlagen.Der Boden unter Redhorses Füßen war naß und

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glitschig. Überall hatten sich Schimmelpilze gebildet.Diese Gänge schienen nur noch selten benutzt zuwerden.

Die Roboter führten die Terraner in eineausgedehnte Halle, die aus drei Teilen bestand. JederTeil wurde von mächtigen Eisenträgern begrenzt, diegleichzeitig als Stützen der Flachdächer dienten. DieHallen waren mit Metallkesseln und Rohrleitungenvollgestopft. Unter den Dächern glitten automatischeKräne geräuschlos mit ihren Lasten hin und her.Überall blitzten die Lichtbögen elektrischerSchweißgeräte. Blauer Dunst schien die Halleauszufüllen, die Luft war trocken und warm.

Rund um die Halle führte eine Empore ausMetallrosten. Kleine Hebeplattformen konnten jedeLast dort hinauftragen.

Redhorse vermutete, daß er hier einehalbautomatisierte Werkstatt vor sich sah.

Die Roboter brachten die Gefangenen bis zu einerder Plattformen. Der Platz reichte gerade für die fünfTerraner aus.

„Die Sache gefällt mir nicht, Captain“, bemerkteLosar, als sie in die Höhe glitten. „Warum lassen dieBurschen uns plötzlich allein?“

Redhorse deutete schweigend zur Empore hinauf,wo bereits eine andere Gruppe von Robotern auf siewartete. Je höher sie kamen, desto besser konnteRedhorse die Halle überblicken.

Dann sah er das Tier.Es lag inmitten der Halle in einem konischen

Riesenbehälter, in einer überdimensionalen Wanne,die mit einer grünlichen Flüssigkeit gefüllt war. Dergewaltige, rosafarbene Körper des Tieres glich einemungeheuren Schwamm. Es war eine pulsierendeMasse mit verkrümmten Beinen und kaum nochsichtbaren Augen.

Von allen Seiten führten Rohrleitungssysteme undKabelstränge in den monströsen Körper. Dutzendevon Robotern beschäftigten sich an Schaltanlagenrund um den Behälter.

Redhorse hörte Belchman aufstöhnen, undSanchon sagte mit erstickter Stimme: „Das ist jafurchtbar.“

Mit einem Ruck kam die Plattform zum Stehen.Die fünf Männer mußten sich auf die Emporeschwingen, wo sie von sieben Robotern empfangenwurden.

„Was ist das dort unten?“ fragte Losar.„Eine Mutation - wahrscheinlich“, erwiderte

Redhorse. „Man kann noch Beine und Augenerkennen. Alles andere ist verwuchert.“

„Glauben Sie, daß das Ding lebt?“ fragteBelchman.

Redhorse schaute überlegend auf den zuckendenKörper und wünschte, er hätte diese Frage mit einemklaren Nein beantworten können.

„Ob es intelligent ist?“ fragte Losar.Redhorse schüttelte den Kopf. „Undenkbar“, gab

er zurück. „Kein intelligentes Wesen könnte dasüberstehen, ohne wahnsinnig zu werden. Es ist einTier, das für irgendwelche Zwecke in diesen Zustandgebracht wurde.“

Er verfolgte die Rohre, die vom Körper desMonsters wegführten. Ausnahmslos verliefen sie inRichtung auf das Festungsinnere. Ab und zu kamenRoboter bis zum Rand des Behälters und schüttetenaus großen Schalen ein helles Pulver in dieFlüssigkeit.

Redhorse und seine Begleiter gelangten über dieEmpore auf die andere Seite der Halle.

Wozu, fragte sich der Captain, wurde diesesUngeheuer von den Festungsbewohnern am Lebenerhalten? Er begann zu bezweifeln, daß die Roboterdie Herren dieser Stadt waren.

Llalag mußte von anderen Wesen beherrschtwerden. Redhorse nahm an, daß sie in absehbarerZeit mit ihnen zusammentreffen würden.

Da blieb unmittelbar vor ihnen einer ihrer siebenWächter ruckartig stehen. Redhorse wäre fast gegenihn geprallt. Sofort wurde der Roboter von denanderen Maschinen umringt. Gespannt verfolgten dieMänner, wie der Kopf des Roboters behutsam aus derHalsmulde gelöst wurde. Einer der Kräne glitt heran.Die Roboter befestigten den nutzlosen Körper ihresArtgenossen an der Magnethalterung, und der Kranfuhr wieder davon. Redhorse sah, wie derRobotkörper ohne Kopf in einem Behälter abgeladenwurde. Der Schädel selbst wurde von einem anderenRoboter getragen.

Zum erstenmal kam Captain Don Redhorse aufden Gedanken, daß Kopf und Körper dieserMaschinen zwei völlig verschiedene Dinge waren.Die Metallkörper wurden rücksichtslos behandelt,während man den Köpfen eine beinahe ehrfürchtigeVorsicht entgegenbrachte.

Dem Größenverhältnis nach hätte es eigentlichumgekehrt sein müssen.

Sie erreichten das Ende der Empore und mußtenauf einer anderen Plattform nach unten fahren.Wieder warteten einige Roboter auf sie. Sie mußtenauf die Ladefläche eines Elektrowagens steigen, deroffenbar ferngesteuert wurde. Kaum saßen sie, alsder Wagen mit einem Ruck losfuhr. Ein zweitesFahrzeug folgte mit acht bewaffneten Robotern imAbstand von zehn Metern.

„Alle Bequemlichkeit für die Gefangenen“, sagteBelchman mit Galgenhumor.

Sie fuhren durch ein Flügeltor in einen großenHof. Hier waren keine Anzeichen von Verfallfestzustellen. Der Boden war befestigt, die Mauernder einzelnen Gebäude machten einen sauberenEindruck. Nur wenige Roboter waren zu sehen.

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Überall führten Rohrleitungssysteme von Gebäude zuGebäude. Die Geräuschkulisse glich der einer großenFabrik. Aus gedrungenen Kaminen stieg Rauch auf.

Redhorse sog prüfend die Luft ein.„Öl“, sagte er. „Sie scheinen ihre Kraftwerke mit

Öl zu betreiben, das sie wahrscheinlich inunterirdischen Lagern gefunden haben.“

Sie fuhren an einer offenen Halle vorbei. Redhorsesah, daß hier einige tausend Robotkörper gelagertwurden, die zum größten Teil schon angerostetwaren. Nirgends konnte er Köpfe entdecken.

„Der Roboter-Friedhof“, bemerkte Sanchontrocken. „Vielleicht wird man uns demnächst auchhierher bringen.“

Lope Losar schaute grimmig zum nachfolgendenWagen. Er klopfte bedeutungsvoll gegen seinenStiefel, wo er seine Pistole versteckt hatte.

„Irgend etwas stimmt hier nicht“, sagte er. „Allesscheint noch zu funktionieren. Ich frage mich, wozudas alles, wenn es doch nur diese Roboter gibt?“

„Das sind überhaupt keine Roboter“, sagte Aybronruhig.

Sie blickten ihn verblüfft an.„Wie meinen Sie das?“ fragte Redhorse den bisher

so schweigsamen Astronomen.Aybron fragte: „Würden Sie mich als Roboter

bezeichnen, weil ich einen stählernen Rücken habe?“„Niemand denkt daran“, sagte Redhorse ruhig.Das Fahrzeug stoppte. Aybron kam nicht mehr zu

einer Antwort, denn der nachfolgende Wagen hatteebenfalls angehalten. Durch den Ruck war einer derunbeholfenen Roboter von der Ladefläche gefallen.

Sein Körper überschlug sich. Der Kopf prallteschwer auf den harten Boden und sprang auf.Scheinbar gelähmt vor Entsetzen verharrten dieanderen Roboter auf dem Elektrowagen.

Aus dem aufgesprungenen Robotkopf quoll einegraue Masse. Redhorse schauerte. Er hörte Belchmanaufstöhnen.

„Verstehen Sie jetzt, was ich meine?“ erkundigtesich Aybron.

3.

„Wir können mit großer Sicherheit annehmen, daßdie von Redhorse gesteuerte Maschine hinter denBergen abgestürzt ist“, sagte Perry Rhodan. „Dasbedeutet, daß der gesamte Talkessel von einem derGipfel aus kontrolliert wird. Die Aussendung einesweiteren Oldtimers ist im Augenblick zu gefährlich.“

„Vielleicht konnten sich die Männer durchAbsprung retten“, vermutete Oberst Rudo. „Wenn esauch bisher noch nicht gelungen ist, Funkkontakt zuihnen herzustellen, dürfen wir sie nicht aufgeben.Wenn sie noch am Leben sind, wird es einige Zeitdauern, bis sie wieder auf dieser Seite des Gebirges

sind. Dann erst wird mit unseren jetzigenMöglichkeiten wieder ein Funkverkehr hergestelltwerden können.“

Ausgerechnet hier mußten sie auf Überlebende desKrieges stoßen. Rhodan bezweifelte, daß es auf derOberfläche Horrors noch viele Nachkommen derÜberlebenden jenes verheerenden Krieges gab, derirgendwann einmal zwischen den Oberflächenwesenund den Denkern aus der dritten Etage der Hohlweltstattgefunden hatte.

Atlan stellte die nächstliegende Frage: „Was sollenwir jetzt tun? Darauf warten, daß dasNachschubschiff eintrifft? Wie soll man uns hierfinden?“

„Im Augenblick wäre es sinnlos, einen zweitenTestflug durchführen zu lassen. Wir müssen warten,bis wir erfahren haben, wer auf den Oldtimergeschossen hat.“ Rhodan machte eineHandbewegung. „Irgendwo dort oben wartet manoffenbar nur darauf, daß sich hier im Tal etwasbewegt. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich ebenfallsum verkleinerte Wesen handelt, die den Kesselbeherrschen.“

„Die Besatzung wird immer unruhiger“, sagteMory. „Drei Männer sind bereits mit schwerenDepressionen in Behandlung.“

„Ihre Zahl wird sich noch erhöhen“, prophezeiteMelbar Kasom. „Das Bewußtsein, nur noch knappzwei Millimeter groß zu sein, kann auf die Dauer vonkeinem menschlichen Gehirn ertragen werden. Wirmüssen froh sein, daß es im Augenblick keineVergleichsmöglichkeiten gibt. Sobald jedochÜberwesen hier auftauchen, die in Wirklichkeitnichts als normale Menschen sind, wird sich die Lagezuspitzen.“

Rhodan wußte, daß der Ertruser recht hatte. Ererinnerte sich noch gut an seine Verzweiflung, alsAtlan, Tolot und Shenon wie Ungeheuer über dieBerge gekommen waren. Welches Chaos mußte inden Gedanken der einzelnen Männer herrschen.Gewiß, sie waren es gewohnt, dem Unglaublichenständig gegenüberzustehen, aber für alles gab es eineGrenze.

Dann war da noch die bohrende Ungewißheit, obdie Verkleinerung endgültig aufgehört hatte. War esnicht möglich, daß der Einfluß der Südpolstation dieGegenstände und Lebewesen noch kleiner werdenließ?

Wo, so fragten sich die terranischen Raumfahrer,gab es in einem unendlichen Universum überhauptein Ende?

Konnte sich ein Mensch verkleinern, bis er nurnoch ein Nichts war?

Und war die Bezeichnung Nichts für ein Wesenzutreffend, das denken und fühlen konnte?

Perry Rhodan spürte, wie das Entsetzen mit kalten

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Krallen in sein Inneres griff. Er blickte auf und sahdie mächtige Gestalt Icho Tolots vor sich stehen.

Die Ruhe des Haluters war etwas, woran man sichfestklammern konnte.

Und seit langer, langer Zeit fühlte Rhodan, daßauch er nur ein Mensch war, der ab und zu einen Haltbenötigte.

4.

Die Veränderung im Verhalten der Roboter tratunmittelbar nach ihren ersten Bewegungen ein, mitder sie sich aus der Starre lösten, die sie nach demUnfall jählings überfallen hatte.

Während Redhorse noch wie betäubt auf dieGehirnmasse blickte, die aus dem aufgeplatztenRobotschädel quoll, sprangen die Roboter vomWagen.

„Achtung!“ schrie Belchman mit sichüberschlagender Stimme.

Redhorse fuhr herum, er fühlte, wie dieVerwirrung in seinem Innern gespannterAufmerksamkeit wich. Die Waffen der Roboterschwenkten herum, fast wie im Zeitlupentempo, abermit unabänderlicher Präzision. Sanchon stieß eintiefes Grollen aus, wie ein in die Enge getriebenesTier - und dann entlud sich Lope Losars Pistole ineinem rollenden Donnern. Redhorse sah die Hand desWaffenmeisters vom Rückschlag hochfliegen. Dannwarf er sich mit einem mächtigen Sprung hinter denElektrowagen. Etwas zischte über ihn hinweg undschlug jaulend in die Wand der nächsten Halle.

Zwischen den Rädern sah Redhorse die Roboter;ihre Körper schimmerten im Licht der drei Sonnen.Seine Hand tastete sich zum Stiefel hinab. Gleichdarauf fühlte er den Kolben der Pistole zwischen denFingern, kaltes, hartes Metall. Hinter ihm huschtejemand vorüber - es war Belchman, der im Laufeneine Serie von Schüssen aus seiner Waffe jagte.Redhorse knurrte befriedigt, als einer der Roboternach hinten kippte. Die plumpen Arme desFestungsbewohners griffen ins Leere.

Die Explosionen der Minirakgeschosse dröhnten inRedhorses Ohren.

Sie machen uns für den Unfall verantwortlich,dachte er wütend.

Ihre eigene Sicherheit mißachtend, kamen dieRoboter auf den Wagen zu. Redhorse sah nur ihreBeine - und er zielte darauf, sehr sorgfältig, als hätteer alle Zeit des Universums zur Verfügung. Nebenihm warf sich ein keuchender Mann auf den Boden.Es war Sanchon, mit schweißbedecktem Gesicht undeinem überheblichen Zug um die Mundwinkel.Redhorse hätte nie gedacht, daß der Techniker sichso schnell bewegen könnte.

Aber wo, zum Teufel, war Aybron?

Vor Redhorse zerfetzte das rechte Vorderrad desWagens. Ein Splitter bohrte sich über dem Captain indie Ladefläche. Es begann nach verbranntem Holz zustinken. Die Roboter verschwanden in einerRauchwolke.

Redhorse schob sich rückwärts unter demFahrzeug hervor. Er schlug Sanchon auf die Schulter,damit dieser ihm folgte.

Zantos Aybron lehnte an der Wand desgegenüberliegenden Gebäudes. Rings um ihn sahRedhorse das wirre Muster von Querschlägern undSplittern, die tiefe Risse in das Material gerissenhatten. Aybron konnte seine Arme nicht zum Zielenangeben. Er mußte mit hängenden Armen feuern, dieschwere Pistole nach vorn gesenkt.

Daran hätte ich denken müssen, schoß es Redhorsedurch den Kopf, während er auf Aybron zurannte.

„Hierher!“ schrie Belchman, der sich inzwischenhinter die schützende Abschlußmauer des Gebäudeszurückgezogen hatte. Redhorse lief durch einenGeschoßhagel. Er wunderte sich, daß er nichtgetroffen wurde, doch dann fiel ihm ein, daß einMann, der mit weiten Sprüngen durch Rauchwolkenstürmte, für diese schwerfällige Halbroboter einschwer zu treffendes Ziel darstellte.

Redhorse riskierte einen Blick über die Schulter.Zu seinem Entsetzen sah er, daß Lope Losarseelenruhig hinter dem Fahrzeug der Roboterkauerte. Es war dem Captain ein Rätsel, wie derWaffenmeister dorthin gekommen war.

Das nächste, was Redhorse sah, beunruhigte ihnjedoch weitaus mehr. Aus der Richtung, aus der siemit den beiden Fahrzeugen gekommen waren,näherte sich eine starke Gruppe von Robotern.Redhorse machte sich nicht die Mühe, die Angreiferzu zählen.

Er kam neben Aybron an. Mörtel und Steineregneten auf ihn herab, als er sich gegen die Wandpreßte. Aybron atmete ruhig und gleichmäßig, seineAugen blickten auf die Roboter, als sei er erstaunt,daß so etwas geschehen konnte.

„Weg hier!“ rief Redhorse warnend. Seinausgestreckter Arm wies Aybron die Richtung.

Widerwillig verließ der Astronom seinen Platz undrannte auf Belchmans Deckung zu.

„Losar!“ schrie Redhorse, aber seine Stimme gingim Rattern einer schweren Waffe unter, die von denRobotern herangebracht wurde. Der Waffenmeisterjagte in weiten Sprüngen auf den vorderen Wagen zu.Vor seinen Beinen spritzten schwarze Fontänen hoch.

Neben Redhorse zerbarst die Wand. Ein heißerLuftstrom fauchte über ihn hinweg, als sich derDruck aus dem Kessel entlud, der offenbarunmittelbar hinter der Wand gestanden hatte.Redhorse schaute benommen durch das Loch. Ermachte einige Schritte an dem Gebäude entlang. Das

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rettete ihm das Leben. Einer der beiden Wagenexplodierte, die Batterie verströmte ihre Energie ineinem langanhaltenden Zischen, das wie der Toneiner Dampfpfeife klang.

Als Redhorse wagte, nach Losar zu sehen, war derWaffenmeister gerade in der Mitte des freien Platzeszwischen den Gebäuden angekommen. Er bot einunwirkliches Bild, wie er in einer Hand die Waffeschwang, während er mit der anderen seine Jacke zulöschen versuchte, die irgendwie Feuer gefangenhatte. Von Oleg Sanchon war überhaupt nichts mehrzu sehen. Belchman und Aybron tauchtenabwechselnd an der Ecke des Gebäudes auf undschossen auf die Verfolger.

Die Trümmer des explodierenden Wagensbrannten. Eine Flammenkaskade schoß daraushervor. Ein einzelnes Rad, wie durch ein Wunderunversehrt, rollte über den Boden, bis es sich zurSeite neigte und in immer flacher werdenden Kreisenniedersank.

Ein Schuß streifte Redhorses Arm. Er taumelte.Die Umwelt schien im Rattern und Dröhnen derWaffen zu versinken, im Knistern der Flammen undim Schreien Belchmans, der wie ein Verrückter dieArme in die Luft warf, um Redhorse zu größterSchnelligkeit anzutreiben.

Pfuiiiit! Pfuiiiit! Pfuiiii! Eine Serie vonQuerschlägern heulte am Haus entlang.

Lope Losar kam neben Belchman an. Redhorsesah, daß der Waffenmeister humpelte und mehr in dieDeckung hineinfiel, als er ging.

Dann war auch Redhorse am Ende des Gebäudesangelangt.

Wie aus weiter Ferne hörte er das regelmäßigeTack-Tack von Minirakgeschossen.

Das war Sanchon.Und Sanchon war noch irgendwo auf dem freien

Platz. Die Tatsache, daß er schoß, bewies, daß ernoch am Leben war.

Redhorse schaute sich aufmerksam um. Siebefanden sich jetzt zwischen zwei langen Gebäuden.Auf der linken Seite sah der Cheyenne ein großesTor, das etwas offenstand. Von dort schien keineGefahr zu drohen. Es widerstrebte Redhorse jedoch,jetzt dorthin zu fliehen - solange Sanchon noch nichtin Sicherheit war.

Lope Losar riß seine Hose auf. Seine linke Wadewar blutverkrustet.

„Diese üblen Bunkerköpfe!“ sagte er.Damit hatte er den Namen für die Bewohner

Llalags geprägt. Redhorse zog einen kleinenNotverband aus seiner Universaltasche. Danndesinfizierte er die Wunde. Das Geschoß hatte LosarsBein glatt durchschlagen.

„Sie werden nicht gehen können“, sagte Redhorseund versuchte seine Stimme sorglos klingen zu

lassen.„Ich kann gehen“, erklärte der Waffenmeister. „Ich

kann sogar rennen.“„Wir müssen uns beeilen“, sagte Belchman von

der Ecke her. „Sie kommen rasch näher.“„Wo ist Sanchon?“ fragte Redhorse.„Auf dem Dach des flachen Gebäudes dort

drüben“, sagte Belchman.Redhorse blickte in die angegebene Richtung.

Oleg Sanchon lag auf dem Dach einer kleinen Halle.Er hatte sich an den Lianen einer Schlingpflanzehochgearbeitet.

Sanchon schoß nicht mehr. Unter ihm standen dreiRoboter und warteten offenbar darauf, daß sie ihrenGegner zu sehen bekamen.

Redhorse fragte bedrückt: „Ob er tot ist?“„Dieser Elefant?“ Belchman grinste.„Machen wir uns keine Sorgen um ihn. Im

Augenblick scheinen sich die Bunkerköpfe mehr füruns zu interessieren.“

Plötzlich hob Sanchon den Kopf und blickte zuihnen herüber. Redhorse winkte ihm zu. DerTechniker gab ein kurzes Zeichen mit der Hand.Redhorse versuchte, dem abgeschnittenen Mannbegreiflich zu machen, wohin sie sich wendenwürden. Schließlich nickte Sanchon verstehend.

Da schlugen die ersten Geschosse vor ihnen ein.„Es geht los!“ rief Belchman.Wie wenig hat er von einem Mediziner an sich,

dachte Redhorse verwundert, und wie viel von einemKämpfer.

Dann rannten sie gemeinsam auf das Tor am Endedes Gebäudes zu. Auch Losar rannte, obwohl seinGesicht vor Schmerzen verzogen war. Kaum warensie hinter dem Tor verschwunden, als die erstenVerfolger um die Ecke kamen.

Redhorse und seine Begleiter gelangten in einehalbdunkle Halle, die als Lagerraum zu dienenschien. Im Ungewissen Licht sah Redhorse einigequadratische Gegenstände.

Lope Losar stöhnte leise. Unverhofft brach eineFlut unklarer Empfindungen über Redhorse herein.Ausgelöst durch Losars schmerzvolles Stöhnenhämmerte unaufhörlich der Gedanke in seinBewußtsein: Du bist zwei Millimeter groß! Du bistzwei Millimeter groß!

Jener Teil von Redhorses Verstand, der mit derüblichen Schärfe arbeitete, begriff bestürzt, daß erdiese Erkenntnis bisher gewaltsam in seinemUnterbewußtsein niedergedrückt hatte, daß sie dortnur auf einen günstigen Moment geistigerUnachtsamkeit gelauert hatte, um mit dämonischerHeftigkeit hervorzubrechen.

Einen Augenblick lang - während einfürchterlicher Kampf in ihm tobte - glich derCheyenne einer Statue, die seit Äonen Wache hielt.

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„He, Captain!“ Das war Belchmans Stimme, dieaus der Dunkelheit kam.

Redhorse schwankte etwas - und dann ließ er dasWissen um seine schreckliche Kleinheit in seinBewußtsein einfließen - sorgsam dosiert von einermächtigen Willensanstrengung. Wild vor Stolz, daßer jetzt gegen alle Angriffe des Wahnsinnsgewappnet war, löste er sich aus seiner Starre. Ervermochte von nun an furchtlos mit der Tatsacheseiner Winzigkeit zu leben.

Yatahay! dachte er. Alles ist gut.Er ging zur Tür zurück und spähte ins Freie.Mindestens dreißig Roboter waren im Anmarsch.

Eine Gruppe von vier Bunkerköpfen zog eine größereWaffe hinter sich her. Von Sanchon war nichts zusehen.

„Vorwärts!“ rief er den anderen zu.Sie rannten los, im Halbdunkel den überall

aufgestapelten Gegenständen ausweichend. Aybronstolperte und prallte gegen Belchman. Sie hielten sichgegenseitig fest und setzten die Flucht fort. AlsRedhorse zurückblickte, war das halboffene Tor einstrahlend heller Einschnitt, in dem jede Sekunde dieSilhouetten der Roboter auftauchen mußten.

Redhorse schlug sich das Schienbein irgendwo an,der Schmerz zuckte durch seinen Körper. Siegelangten an einen Stapel kesselähnlicher Gebildeund mußten durch schmale Röhren kriechen. DasSchleifen der Körper in den metallenen Rohren hörtesich gespenstisch an. Ein heller Summton schnitt inRedhorses Gehör. Er schwang sich aus dem Kessel,ließ die Beine auspendeln und sprang. Als er auftrat,gab es einen hallenden Ton. Neben ihm landeteBelchman. Losar schonte sein Bein, indem er dieRöhrenenden als Leiter benutzte. Er fluchte beijedem Schritt, den er machte. Durch die Rohre sahRedhorse die ersten Roboter auftauchen, wie durchdie Linse einer Kamera.

Geduckt rannten sie weiter.Ein einzelner Schuß fiel. Redhorse hörte den

Aufschlag wie das überlaute Klirren splitterndenKristalls, dann strich ein Querschläger miauenddavon.

Weiter vorn war eine helle Stelle, ein torloserDurchgang mitten durch die Halle, der jedochüberdacht war. Genau unterhalb des Durchgangs hingein Kran, der von einem Bunkerkopf besetzt war. DerFestungsbewohner verfügte über keine Schußwaffe,aber als die vier Terraner näher kamen, ließ er dieMagnettrosse herab und brachte sie durch schnellesVor- und Zurücksteuern zum Pendeln. Die schwerenTrossen donnerten gegen einen Röhrenstapel. Dieunteren Röhren rutschten weg. Wie eine schwarzeFlut rollten die darüberliegenden nun los. Redhorseschluckte krampfhaft.

Er schoß zum Kranstand hinauf, doch der Roboter

- oder was immer es war - bildete nur einenundeutlichen Schatten hinter der Schutzverkleidung.

Belchman wurde von einem heranrasenden Rohran den Beinen erfaßt und umgeworfen. Er wurde zueiner zappelnden Gestalt, von der nur noch die Beinezu sehen waren.

Eines der Rohre überschlug sich und hieb gegenAybrons Rücken. Es gab ein knirschendes Geräusch,das Redhorse einen Schauder über den Nacken jagte.Der Kran schoß heran. Die Trosse schwangweitausholend auf Redhorse zu. Der Offizier ducktesich. Die Trosse durchschnitt pfeifend die Luft undbrach drei Streben unmittelbar hinter Redhorse inmehrere Stücke. Dann kam sie zurück, wie einRaubvogel im tödlichen Sturzflug. Belchman, dersich mühevoll wieder aufgerichtet hatte, zerrte seinePistole hervor und gab eine Serie von Schüssen ab.

Da feuerte Losar auf den Kranstand. Das Echo derExplosion drohte Redhorse zu betäuben.

Die Trosse kam heran. Redhorse war zwischen denrollenden Röhren eingeklemmt. Verzweifelt warf ersich zur Seite. Etwas streifte ihn am Oberarm undwirbelte ihn herum.

Er fiel, und während er zurückstürzte, sah er denBunkerkopf über sich mit ausgebreiteten Armen ausdem Kranstand fallen. Es gab ein klatschendesGeräusch, als der Roboter aufschlug. Etwas glitt überRedhorses Arm. Verbissen kämpfte er sich zwischenden Rohren hoch. Mit einer beinahe nachlässigenBewegung steckte Losar seine Waffe in den Stiefeldes unverletzten Beines zurück. Aybron war beiBelchman und tastete die Brust des Mediziners ab.Redhorse ging zu den Männern.

„Schlimm?“ erkundige er sich bei Belchman.Der Raumfahrer versuchte ein Lächeln.„Nein, Captain“, erwiderte er.Die Magnettrosse schwankte immer noch, und der

Motor des Krans summte, als der Schienenwagengegen die Widerstände lief.

Da klang unmittelbar vor ihnen das Tack-Tack vonMinirakgeschossen auf. Im Durchgang zwischen denbeiden Hallen erschien eine dicke Gestalt mitrußgeschwärztem Gesicht.

„Sie haben uns eingekreist!“ schrie Oleg Sanchonzu den vier anderen Raumfahrern herüber.

Redhorse glaubte, die Roboter, die hinter Sanchonher waren, förmlich zu sehen, wie sie mit steifenSchritten über den Platz kamen. Er überlegtefieberhaft, was sie nun tun konnten.

„Hier herüber!“ schrillte Sanchons Stimme, dannwarf er sich zur Seite, um einem Geschoßhagel zuentgehen. Redhorse sah die korpulente Gestalt desTechnikers über den Boden kriechen - auf die andereHalle zu. Er blickte zurück und stellte fest, daß dieVerfolger immer näher kamen. Die Metallfüße derRoboter hämmerten gegen die überall gelagerten

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Kessel.Sanchon verschwand im Halbdunkel der

gegenüberliegenden Halle. Einen Augenblick lag derDurchgang leer vor ihnen und bot einen friedlichenAnblick. Der Captain winkte seinen drei Begleitern.In kurzen Abständen stürmten sie Sanchon nach.Unmittelbar vor dem Durchgang stoppte Redhorseund beugte sich vorsichtig nach vorn. Von linkskamen die Angreifer.

Es waren sechs Bunkerköpfe. Die Läufe ihrerWaffen zeigten alle in die Richtung, in der Sanchonverschwunden war. Die Roboter waren nur nochzwanzig Meter entfernt. Redhorse zog sich zurückund erklärte den anderen mit Handzeichen, was ergesehen hatte. Auf sein Kommando sprangen sie aufden sonnenüberfluteten Durchgang. Losar begann alserster zu schießen, sein Gesicht wirkteunheildrohend. Als die Waffen der Bunkerköpfeherumflogen, feuerten auch Aybron und Belchman.Drei der Roboter knickten ein, taumelten zurück undkrochen hastig davon.

„Auf die Köpfe zielen!“ brüllte Redhorse.Er riß die Pistole hoch, als sengende Glut über

seine Wange strich. Er drückte ab. Seine freie Handtastete zur Wange hoch. Noch einmal hatte er Glückgehabt. Der Streifschuß hatte nur die Hautaufgerissen.

Sanchon begann ebenfalls wieder zu schießen.Dann war der Weg zur anderen Halle frei. DieSonnen stachen einen Augenblick in RedhorsesAugen, dann war er im Schatten desgegenüberliegenden Gebäudes. Irgendwo knackte es,sonst war es still.

Keuchend lehnte sich Redhorse gegen einenKessel. Mit einer Hand stützte er sich an einemwarmen Rohr ab. Sanchon trat aus der Dunkelheit. Erschnaubte und prustete, als sei er gerade aus einemFluß aufgetaucht. Losar humpelte heran, vonBelchman beim Überklettern größerer Rohreunterstützt. Zuletzt kam Aybron, und seine Uniformsah noch immer so korrekt aus, als sei sie gerade demSchrank entnommen worden.

Redhorse lauschte angespannt.„Escsieht so aus, als hätten sie im Augenblick die

Lust an einer Verfolgung verloren“, sagte er.„Sobald ihre Verstärkung eintrifft, werden sie

wiederkommen“, vermutete Belchman.Redhorse wandte sich an den Waffenmeister.

„Was macht Ihre Verletzung?“„Es geht“, sagte Losar. „Niemand muß Rücksicht

auf mich nehmen, Sir.“Der Cheyenne-Indianer blickte sich um. „Hier

können wir nicht bleiben. Vielleicht gibt es irgendwoeine Zentrale. Diese müssen wir zu erreichenversuchen.“

Sanchon hob den Arm. „Ich glaube, daß die

Zentrale dort drüben liegt, Sir. Vom Dach aus habeich den oberen Teil eines großen Gebäudes gesehen,das offenbar den Mittelpunkt der Festung bildet.“

Redhorse straffte sich. Auf seiner Stirn erschieneine steile Falte.

„Das ist unser Ziel!“ rief er.

*

Die Zentrale - wenn sie es war - bestand aus zweiTeilen. Das Hauptgebäude war ein würfelförmigerKlotz mit dunklen Mauern. Auf seinem Dach ruhteein kugelförmiges Gebilde, aus dem unzähligeAntennen ragten. Es gab nirgends Fenster oderSichtluken. Architektonisch gesehen, war dieser Teilder Festung ausgesprochen häßlich.

„Es scheint keine Eingänge zu geben“, stellte LopeLosar fest, als sie, im Schatten eines Torbogensgeduckt, die Zentrale beobachteten. Ringsumherrschte totale Stille. Von den Verfolgern war imAugenblick nichts zu sehen.

„Vielleicht ist es nicht die Zentrale“, vermuteteBelchman nachdenklich. „Es kann ebenso gut eineKraftstation oder ein Energiespeicher sein.“

„Wir werden es herausfinden“, sagte Redhorseruhig.

Aybron stieß sich von der Wand ab, gegen die ersich gelehnt hatte.

„Sobald wir den Torbogen verlassen, kann manuns von der Zentrale aus sehen“, sagte er. „Wenn esirgendwo Schießscharten gibt, brauchen wir uns überunsere Zukunft keine Gedanken mehr zu machen.“

„Vielleicht sollten wir nicht alle zusammengehen“, schlug Sanchon vor. „Was halten Sie davon,wenn ich den Anfang mache, Captain?“

„Nichts“, erwiderte Redhorse knapp. „DieBunkerköpfe wissen, daß wir zu fünft sind. Siewerden warten, bis wir alle auftauchen. Also werdenwir gleich zusammen gehen.“

Losar tätschelte seine Pistole, als sei die Waffe einalter Freund.

„Ich traue mir zu, jeden Bunkerkopf zu treffen -egal hinter welcher Deckung er sich verbirgt.“

Wenn Losar das sagte, klang es nicht überheblich -eher wie eine Feststellung. Redhorse blickte in dieGesichter seiner Begleiter. Er dachte an die Stundenvor ihrem Start zurück. Damals hatte er nur mitpsychischen Schwierigkeiten gerechnet.

„Je länger wir hier warten, desto größer wird dieGefahr, daß die Verfolger eintreffen“, sagte er.

Er kam sich wie eine Zielscheibe vor, als er an derSpitze der kleinen Truppe aus dem Torbogen trat. Erwartete darauf, das Donnern einer Explosion zuhören - oder einen Lichtblitz zu sehen, der das letztesein würde, was er in seinem Leben wahrnahm. Dochnichts geschah. Ohne behindert zu werden, bewegten

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sie sich über einen schmalen Weg auf die Zentralezu. Links von ihnen wucherten ungepflegte Hecken,auf der rechten Seite wurde der Weg von einer Mauerbegrenzt, die stellenweise eingefallen war.

Selbst das Knarren ihrer Stiefel schien Redhorseverräterisch zu klingen. Er setzte die Füße behutsamauf, um jedes Geräusch zu vermeiden.

Belchman, der hinter ihm ging, klopfte ihm leichtauf die Schulter.

Redhorse blieb stehen und schaute zur Seite. AmEnde der Hecke führte ein Bündel von Rohrleitungenaus der dreiteiligen Halle, die sie bereits von innengesehen hatten, zu dem häßlichen Gebäude hinüber,das Sanchon für die Zentrale hielt.

„Sehen Sie die Leitungen, Sir?“ fragte Belchmanleise.

Redhorse blieb stehen. „Es kann also doch eineEnergiestation sein“, flüsterte er.

Belchman zupfte nervös an seiner zerknittertenUniform. Mit der anderen Hand strich er glättendüber den spärlichen Haarkranz, der ihm nochgeblieben war.

„Die Leitungen können auch Material von denFabrikationshallen zur Zentrale fördern“, sagte er.

Unschlüssig blickte Redhorse zum Torbogenzurück. Die plötzliche Stille gefiel ihm nicht. Woblieben die Verfolger? Hatten sie aufgegeben, oderwaren sie sicher, daß die fünf Fremden in ihrVerderben liefen?

„Wir könnten umkehren und versuchen, aus derFestung zu fliehen“, sagte er bedächtig. „Doch damitvergeben wir unsere einzige Chance, dieBunkerköpfe daran zu hindern, ein weiteresTestflugzeug abzuschießen.“

„Niemand spricht davon, daß wir umkehrenwollen, Captain“, knurrte Lope.

Redhorse nickte ihnen zu und ging weiter. Obwohler seine Augen anstrengte, konnte er noch immerkeinen Eingang zu der vermeintlichen Zentraleentdecken. Vielleicht lagen die Zugänge auf deranderen Seite. Redhorse war das düstere Gebäudeunheimlich.

Sie erreichten das Ende der Hecken. Der Cheyennekauerte sich unter den Rohrleitungen nieder.

Verschiedene Rohre waren so heiß, daß die Wärmedurch Redhorses Uniform drang. Der Offizier legteseinen Kopf gegen ein Leitungsstück. Zunächst hörteer nur ein schwaches Schleifen, dann vernahm er einGurgeln und Plätschern. Es war jedoch schwerfestzustellen, ob in den Rohren eine Flüssigkeittransportiert wurde oder das Geräusch nur vomMetall weitergeleitet wurde.

„Hm!“ machte Sanchon. „Wenn wir unter denRohren entlangkriechen, kommen wir ins Innere desGebäudes.“

Die Leitungen mündeten nebeneinander in die

Seitenwand des Gebäudes. An jener Stelle, wo sie indie Zentrale führten, war die Öffnung so groß, daßein Mann hindurchkriechen konnte.

Redhorse beobachtete, daß aus dem LochSchwaden hellen Dampfes hervorquollen. Sofortdachte er an giftige Gase. Einmal bedauerte er, keinebessere Ausrüstung bei sich zu haben.

„Die Bunkerköpfe!“ zischte Belchman.Redhorses Kopf flog herum. Aus dem Torbogen

kam eine Gruppe von über zwanzig Robotern. Allewaren bewaffnet. Redhorse biß die Zahneaufeinander. Das Erscheinen der Verfolger gab denAusschlag.

„Schnell!“ befahl er. „Wir versuchen, in dieZentrale einzudringen.“

Noch bevor er das letzte Wort ausgesprochenhatte, war er bereits auf die andere Seite derLeitungen gekrochen. Die Männer folgten ihm. Sierannten auf das große Gebäude zu. Ohne Zweifelwurden sie von den Bunkerköpfen gesehen, dochkeiner der Verfolger schoß.

„Sie haben Angst, daß sie die Röhren treffenkönnten“, rief Redhorse. „Das bedeutet einenZeitgewinn für uns.“ Er setzte sich an die Spitze derGruppe. Je näher er an die Außenwand der Zentralekam, desto stärker fühlte er die Drohung einer nahenGefahr.

Der Rohrdurchlaß stieß ununterbrochen Dampfaus. Die Leitungen waren feucht von Kondenswasser.Prüfend sog Redhorse die Luft ein, als er neben demLoch ankam. Der Qualm war geruchlos.

„Wasserdampf!“ stellte Losar lakonisch fest undrieb sein verletztes Bein. „Hoffentlich ist es keinHochdruckkessel, in den wir einsteigen wollen.“

Entschlossen zwängte Redhorse seinen Oberkörperdurch die Öffnung. Im ersten Augenblick machte ihnder heiße Dampf benommen. Hustend fuhr er zurück.Seine Augen tränten. Ohne etwas zu sagen,unternahm er einen zweiten Versuch. Diesmal gelanges besser. Er arbeitete sich zwischen den Rohrenweiter. Sein Körper lag eingebettet zwischen denRohrpassagen.

Belchmans Stimme kam merkwürdig dumpf vonaußen.

„Können Sie etwas sehen, Sir?“Redhorse nieste. „Nein“, gab er zurück. „Es ist

alles finster. Die Luft scheint jedoch erträglich zusein.“

An seinen Füßen entstand eine Bewegung.Redhorse schloß daraus, daß zumindest einer derMänner ihm folgte. Innerhalb weniger Sekunden warseine Kleidung von Feuchtigkeit durchtränkt. SeineHaare klebten ihm im Gesicht. Trotzdem kroch erweiter durch die Dunkelheit. Seine Füße erzeugtendumpfe Geräusche, wenn er seitlich wegrutschte undmit den Stiefelabsätzen gegen eines der Rohre

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schlug.„Donnerwetter!“ rief Sanchon irgendwo hinter

ihm. „Das ist die Sauna für meine Figur.“Redhorse mußte lächeln. Im gleichen Augenblick

rutschte er ab und glitt zwischen zwei Rohrenhindurch. Verzweifelt suchten seine Hände nachHalt, doch das nasse Metall bot keinen Widerstand.Er schlug hart mit dem Rücken auf.

„Was ist passiert, Captain?“ rief Belchman.„Wo sind Sie, Sir?“ schrie Losar von oben.„Ich bin ausgerutscht“, erwiderte Redhorse. „Hier

unten ist es nicht ganz so dunkel. Man kann aufrechtstehen.“

„Wir folgen Ihnen“, kündigte der Waffenmeisteran.

Redhorse hörte sie rumoren, vier zu allementschlossene Männer, die ihm überall hin folgenwürden.

„Es ist heiß“, bemerkte Sanchon.Redhorse sah eine verschwommene Gestalt aus

dem Qualm auf sich zukommen.„Losar?“ fragte er.„Ich bin es“, sagte Aybron und blieb neben

Redhorse stehen. „Dort drüben scheint es noch hellerzu werden.“

Auch Redhorse sah die Stelle, wo sich der Dampflangsam aufzulösen schien. Es dauerte nicht lange,bis auch Belchman und Sanchon auftauchten. Losarerschien zuletzt, er humpelte schwerfällig heran.

Redhorse schaute sich um. Überall ragten dunkleSchatten aus dem Wasserdampf, doch es warunmöglich, nähere Einzelheiten zu erkennen. Vonallen Seiten kam das Geplätscher von Wasser.

Der Captain zog die Pistole aus dem Stiefel undging weiter. Wenige Meter weiter stieß er auf einNetz. Fast wäre er hineingefallen. Das Netz war einunregelmäßiges Geflecht aus weichem Stoff, derunter Redhorses Händen nachgab. Es hing frei vonoben herunter. Es tropfte vor Feuchtigkeit. Redhorsezog es erst leicht, dann fester, um die Festigkeit desMaterials zu prüfen. Neben ihm untersuchteBelchman den eigenartigen Vorhang.

„Was kann das sein?“ fragte Sanchon. „EineFalle?“

„Das glaube ich nicht“, antwortete Redhorse. Erging einige Schritte weiter, doch das Netz warüberall. Die einzelnen Löcher waren etwas größer alsRedhorses Hand. Der Captain bückte sich und stelltefest, daß das Geflecht fest im Boden verankert war.Redhorse zog sein kleines Messer aus der Tasche, umeinige Stränge durchzuschneiden, doch das Materialwiderstand seinen Bemühungen. Es ließ sich auchnicht vom Boden lösen.

Der Cheyenne überlegte. Wozu das Netz auch war,es hinderte sie an einem weiteren Vorwärtskommen.Sanchon zerrte wütend daran herum.

„Ich nehme an, daß es eine Sperre ist“, sagteBelchman. „Was es allerdings aufhalten soll, werdenwir wahrscheinlich nie erfahren.“

Redhorse klammerte sich mit beiden Händen festund zog sich einige Meter in die Höhe. In diesemAugenblick dachte er nicht daran, daß es inWirklichkeit nur Millimeter waren, die er überwand.Das Netz schwankte, gab jedoch nicht nach.

„Wir werden versuchen, es zu überklettern“, sagteer.

Er klomm weiter in die Höhe. Je höher er kam,desto dunkler wurde es. Endlich erreichte er einenQuerträger, an dem das Netz aufgehängt war. Erschwang sich auf die andere Seite und wartete, bisdie anderen neben ihm angekommen waren. DerTräger war so naß, daß Redhorse Mühe hatte, nichtabzurutschen. Jeder falsche Schritt mußte einentödlichen Sturz in die Tiefe zur Folge haben.

Die fünf Männer kletterten auf der anderen Seitedes Netzes wieder auf den Boden zurück. Nachdemsie einige Schritte weitergegangen waren, stießen sieauf eine Wand, die leicht gewölbt war und überallnischenartige Vertiefungen aufwies. Redhorse ging inunmittelbarer Nähe der Wand weiter. Es wurde jetztimmer heller. Überall wogte der graue Nebel. Mehrals einmal riß der Captain schußbereit die Waffehoch, wenn eine Dampfwolke heranwirbelte und ihneinhüllte.

Plötzlich brach die Wand ab. Abrupt bliebRedhorse stehen. Er blickte in eine ausgedehnteHalle, die trotz des vorhandenen Nebels gutbeleuchtet war.

In der Mitte sah Redhorse eine gewaltige Wanne,die mit einer kochenden Flüssigkeit gefüllt war.Daraus stiegen Dämpfe auf. Rund um diesen Behälterstanden unzählige Kabinen von ovaler Form. In jedeeinzelne führten Röhren verschiedener Durchmesser.Am Rande der Wanne lagen die Köpfe von Roboterndicht nebeneinander. Einige Bunkerköpfe bewegtensich behutsam zwischen den Köpfen hin und her.Redhorse sah, daß die Schädel mit Rotlicht bestrahltwurden. Es gab mindestens tausend dieser Köpfe -und genauso viel Lampen.

Irgendwie versetzte der Anblick Redhorse einenSchock. Er fühlte instinktiv, daß hier etwas vorging,was noch außerhalb seines Begriffsvermögens lag. Erschaute sich weiter um. Hinter den Kabinen erblickteer eine Reihe größerer Maschinen, die alle inTätigkeit zu sein schienen. Auch dort sah er einigeRoboter. Schließlich erfaßten seine Augen ein Regalmit Schädelhälften. Wie hohle Schalen lagen dieKopfhälften nebeneinander. Keiner der Bunkerköpfeschien etwas von der Anwesenheit der fünf Fremdenzu ahnen. Redhorse zuckte zusammen, als an einerder Kabinen eine Tür aufsprang und ein Bunkerkopfherauskam. Der Roboter verschwand im Nebel.

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Gleich darauf betrat ein anderer die Kabine.„Phantastisch“, meinte Belchman, der direkt neben

Redhorse stand. „Was halten Sie davon, Captain?“„Das muß ich mir aus der Nähe ansehen“, erklärte

Redhorse. Er befahl den arideren, an ihrem Platz zubleiben.

„Für Sie allein ist das zu gefährlich“, protestierteLosar.

„Gehen wir zusammen weiter, vergrößert sich dieMöglichkeit einer Entdeckung. Wenn Sie mich vonhier aus beobachten, besteht immerhin die Chance,daß Sie mir helfen können, wenn die Bunkerköpfeauf mich aufmerksam werden.“

Er wartete nicht darauf, daß die vier Männerweitere Einwände erhoben, sondern huschte ingeduckter Haltung davon. Der Nebel legte sich alsfeuchter Schleier auf sein Gesicht. Die Kabinenwaren halbkreisförmig um den Behälter angeordnet.Redhorse hielt sich zwischen den Maschinen. Sobalder einen Roboter sah, ließ er sich zu Boden sinkenund wartete, bis der Bewohner der Festungverschwunden war.

Als Don Redhorse noch zehn Meter von dernächsten Kabine entfernt war, kauerte er sich nebeneinem Sockel zusammen. Zwischen ihm und seinemZiel gab es keine Deckungsmöglichkeit. Nur deraufsteigende Dampf würde ihn vielleicht gegen Sichtschützen, wenn er auf die Kabine zurannte. Sicherndblickte er nach allen Seiten. Keiner der Fremden warin seiner unmittelbaren Nähe.

„Also los!“ sagte Redhorse leise zu sich selbst.Lautlos schlich er voran. Jeden Augenblick wartete

er auf einen Angriff, doch er kam unbehelligt bei derrückwärtigen Kabinenwand an. Durch einzelneSchlitze und Luken fiel Licht heraus. Redhorsedrehte sich um die eigene Achse und blickte insInnere des ovalen Gebildes. Was er sah, ließ seinenMagen zusammenschrumpfen. Nur durch die Wandvon ihm getrennt, hockte ein Roboter auf einemflachen Sitz. Er trug seinen Kopf nicht in derHalsmulde. Der Schädel lag aufgeklappt in einerVertiefung inmitten des kleinen Tisches, angestrahltvon beiden schalenförmigen Kopfhälften pulsierteeine graue Masse. Von der anderen Seite derKabinenwand führten einige Schläuche direkt indiese Masse hinein.

Alles deutete darauf hin, daß diese Substanzorganisch war und im Augenblick Nahrung zu sichnahm, die durch die Rohrleitungen in die Kabinegefördert wurde. Redhorse mußte gewaltsam seineBlicke von dem offenen Schädel losreißen.

Eine Amöbe, dachte er entsetzt. Im gleichenAugenblick sagte ihm sein Verstand, daß das nichtmöglich war. Zweifellos war diese organischeSubstanz der wichtigste Teil der Bunkerköpfe. Eswar ihr Gehirn. Was der Captain bisher an

Maschinen gesehen hatte, bestätigte ihm, daßinnerhalb Llalags nie jemand in der Lage gewesenwar, einen Roboter zu bauen, der - ähnlich wie beiden Posbis - Plasma in sich trug. Die Masse, diepulsierend unter der Lampe lag, mußte etwas anderessein. Mit einem Male wurde sich Redhorse derTatsache bewußt, daß die Bunkerköpfe die einzigenBewohner Llalags waren. Was sie in ihren Schädelnmit sich herumtrugen, waren die organischenÜberreste jener Wesen, die einmal in der Festunggewohnt hatten. Das Volk, das an der Oberfläche desPlaneten Horror gelebt hatte, war degeneriert. Umeine Fortbewegungsmöglichkeit zu erhalten, hattenvorausschauende Wissenschaftler irgendwann dieseprimitiven Roboter geschaffen, deren einzigeAufgabe es war, die wichtigen Köpfe mit demlebenden Inhalt zu transportieren.

Die mechanischen Transportkörper durften schondeshalb nicht kompliziert sein, damit die Möglichkeitvieler Fehlerquellen ausgeschlossen wurde. Jeeinfacher die Konstruktion - desto geringer dieWahrscheinlichkeit eines Versagens.

Die Relikte eines unbekannten Volkes lebten inMetallschalen. Wahrscheinlich handelte es sich nurnoch um die mutierten Gehirne, die sich dieMöglichkeit erworben hatten, auf irgendeine Weiseihre Existenz durch Zufuhr von Nährflüssigkeit zuerhalten.

In Redhorse stieg Übelkeit hoch, als er an dasriesige Tier dachte, das er in der großen Werkshallegesehen hatte. Eine dumpfe Ahnung sagte ihm,woher die Bunkerköpfe ihre Nahrung bezogen.

Durch Redhorses Entdeckung gewann der Name,den Losar für die Wesen geprägt hatte, eine makabreBestätigung. Es war vorstellbar, wie die Bewohnerder Festung ursprünglich ausgesehen hatten.

Der Captain sah, wie sich die beidenSchädelhälften langsam schlossen. Die Schläucheglitten aus der organischen Substanz heraus. DieLampe erlosch. Der kopflose Robotkörper strecktebeide Arme aus und hob den Schädel in die Höhe derHalsmulde. Behutsam legten die metallischen Händeden Bunkerkopf dort nieder. Das war wahrscheinlichdie einzige Bewegung, die die Körperprothesen ohneihr denkendes Gehirn ausführen konnten. Sobald siejedoch ihren Kopf wieder trugen, entstand eineVerbindung zwischen Gehirn und Maschine.Redhorse vermutete, daß es sich um einfacheelektronische Steuerung handelte. Es war durchausvorstellbar, daß die Gehirne ihre Träger durchelektrische Impulse steuerten.

Trotz der Abneigung, die Redhorse empfand,wurde Mitleid in ihm wach. Was mußte dieses Volkdurchgemacht haben, welche verzweifeltenExistenzkämpfe hatten sich hinter den MauernLlalags zugetragen? Hunderttausende waren

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gestorben, bevor sich ein Rest dieser Wesen in derBergstadt verkrochen hatte, um in unzulänglichenRobotkörpern ihr Leben zu fristen.

Mit großer Sicherheit nahm Redhorse an, daß vieleder noch lebenden Gehirne wahnsinnig waren, da siediesen unnatürlichen Zustand nicht mit wachemVerstand ertragen hatten.

Erschüttert wandte sich Redhorse ab.Ein Schatten sprang aus dem Dampf auf ihn zu.

Noch unter dem Eindruck des Geschehenen stehend,reagierte Redhorse viel zu langsam. Etwas landetemit voller Wucht auf seinem Hinterkopf. Er gabeinen ächzenden Laut von sich und sank in die Knie.Sein Kampf gegen die Bewußtlosigkeit dauerte nurwenige Augenblicke, dann begann sein Oberkörperzu schwanken und schlug schließlich schwer auf denglatten Boden.

5.

Einer von uns wird bald überschnappen, dachteOleg Sanchon gereizt.

Wer würde es sein? Losar? Sicher nicht, überlegteder Techniker. Lope Losar, der Waffenmeister, ertrugseine Verletzung mit stoischem Gleichmut undmachte den Eindruck, als könnte ihn nichtserschüttern. Anders war das mit Belchman. Dermedizinische Assistent redete nach SanchonsBegriffen zu viel. Nach Sanchons Meinung hattejeder etwas zu verbergen, wer ständig seine Meinungzu irgend etwas äußern mußte. Besonders schwierigwar es, Zantos Aybron richtig einzuschätzen. BeiAybron konnte man eigentlich mit allem rechnen.

Sanchon runzelte die Stirn. Vielleicht war er dasschwache Glied in der Kette. Hatte sich derWahnsinn nicht schon in seinen Gedankeneingenistet?

Erbittert schaute Sanchon in die wallendenDampfwolken. Wie lange war der Captain jetzteigentlich schon verschwunden? Niemand konnteRedhorse nachsagen, daß er tollkühn war oderunnötige Risiken einging. Bei RedhorsesAbstammung hatte Sanchon damit gerechnet. Dochbald hatte er festgestellt, daß seine Sorgen unnötigwaren.

„Die Roboter, die uns verfolgt haben, wisseninzwischen, daß wir in dieses Gebäude eingedrungensind“, klang Belchmans Stimme auf. „Warum wirdnicht nach uns gesucht? Etwas stimmt nicht.“

Aybron lachte spöttisch. „Man könnte fastglauben, daß Sie einen Angriff der Bunkerköpfeherbeisehnen.“

„Immer noch besser als diese Ungewißheit“, gabBelchman gereizt zurück.

„Ich wünschte, Redhorse käme endlich wieder“,mischte sich Sanchon ein. „Wir hätten einen

Zeitpunkt für seine Rückkehr ausmachen sollen.Inzwischen ist ihm vielleicht etwas zugestoßen, ohnedaß wir es wissen.“

„Ich denke, dazu ist Redhorse zu umsichtig“,erklärte Lope Losar. „Das ist ein Mann, der genauweiß, was er zu tun hat. Ich bin froh, daß er der Chefunserer Gruppe ist.“

„Dieses verdammte Geplätscher der kochendenBrühe übertönt jedes andere Geräusch“, schimpfteBelchman. „Redhorse müßte schreiben, wenn er sichmit uns verständigen wollte.“

Sanchon fühlte Ärger in sich aufsteigen. Warummußte Belchman ständig nörgeln? Wenn er soweitermachte, wurde er sie alle noch mit seinerNervosität anstecken.

„Seien Sie endlich ruhig!“ fuhr er den Medizineran. „Wir werden früh genug erfahren, was mit demCaptain los ist.“

Belchman fuhr herum. Seine Hände spreizten sich.Auf seinem kahlen Schädel perlte der Schweiß.

„Ich rede, was ich will“, sagte er zornig. „Undwann ich will.“

Die heftige Reaktion des Mannes überraschteSanchon. Er wollte keinen Streit.

„Schon gut“, sagte er einlenkend. „Wir sind alleein bißchen nervös.“

Belchman schien Sanchons Rückzug als einZeichen von Angst auszulegen, denn er ging langsamauf den Techniker zu.

„Macht keinen Unsinn“, knurrte Losar.„Er glaubt wohl, daß er sich jetzt, da Redhorse

nicht mehr bei uns ist, als Chef aufspielen kann“,zischte Belchman. „Das lasse ich mir nicht bieten.“

Aybron sagte: „Sie sollen endlich ruhig sein,Belchman.“ Er hatte nicht sehr laut gesprochen, aberes lag eine Warnung im Ton seiner Stimme, dieSanchon nicht entging.

„Mit Ihnen streite ich mich nicht“, sagte Belchmanverächtlich zu dem Astronomen.

Da schob sich die vierschrötige Gestalt desWaffenmeisters zwischen Sanchon und Belchman.Aber Sanchon war irgendwie überzeugt, daß esAybrons Intervention zu verdanken war, daß sichBelchman leise schimpfend zur Wand zurückzog.Die Spannung ließ etwas nach, aber Sanchon wurdedas Gefühl nicht los, daß Belchman ihnununterbrochen fixierte. Entweder machte dem Arztdie nahe Gefahr zu schaffen oder er wurde nicht mitdem Gedanken fertig, nur noch knapp zweiMillimeter groß zu sein. Seit sie in die Festungeingedrungen waren, hatte Sanchon oft gezweifelt, obsie sich tatsächlich derart verkleinert hatten. Alleswirkte normal. Den Augen wurden alsVergleichsmöglichkeit nur Objekte geboten, die sichebenfalls verkleinert hatten.

Die Zeit verstrich, ohne daß Redhorse zurückkam.

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Sanchon begann sich ernsthafte Sorgen zu machen.Was sollten sie tun, wenn dem Captain etwaszugestoßen war? Nebeneinander kauerten die vierBesatzungsmitglieder der CREST II an der Wand.Auch Belchman schwieg jetzt. Das einzige Geräusch,das aus ihren Reihen kam, war ein rhythmischesKlopfen, das immer dann ertönte, wenn Losar mitdem Kolben seiner Pistole auf den Boden schlug.

Plötzlich gab es einen trockenen Knall. Sanchonzuckte zusammen. Er sah Belchman langsam nachvorn kippen, die Augen weit aufgerissen und dieArme ausbreitend.

„Deckung!“ schrie Losar, der sich zuerst von derÜberraschung erholte. Da erst begriff Sanchon, daßein Schuß gefallen war. Sanchon ließ sich flach aufden Boden gleiten. Sich nach allen Seitenumblickend, robbte er auf den bewegungslosenBelchman zu. Aybron war hinter der Wandverschwunden. Der Waffenmeister hatte sich miteinigen Sprüngen hinter einer Maschine in Deckunggebracht.

Sanchon streckte die Hand aus und berührteBelchman am Arm. Der Kopf des Mediziners fiel zurSeite. Sanchon arbeitete sich noch ein Stuck näher anden Getroffenen heran. Belchmans Lippen bebten.

Der Techniker kauerte in ohnmächtiger Wut nebenBelchman. Er hatte das Gefühl, irgend etwas sagenzu müssen, aber er konnte nur daliegen und den Armdes anderen festhalten.

„Ich bin getroffen“, flüsterte Belchman.Er wälzte sich herum, so daß Sanchon die

Einschuß stelle in der Brust sehen konnte. EinenAugenblick schloß Sanchon entsetzt die Augen.

„Wir bringen Sie hier heraus“, sagte er grimmig. Indiesem Moment glaubte er an das, was er sagte,obwohl ein anderer Teil seines Bewußtseins schondavon überzeugt war, daß der Mediziner sterbenwürde.

Wieder fiel ein Schuß. Sanchon zog den Kopf ein.Er spähte an Belchman vorüber, ohne einen Gegnerzu Gesicht zu bekommen. Der Roboter, der auf sieschoß, mußte in sicherer Deckung liegen.

„Verschwinden Sie“, sagte Belchman matt.„Hier können Sie nicht bleiben“, antwortete

Sanchon entschlossen. „Ich bringe Sie in Sicherheit.“Er schob sich unter die Beine des Mediziners. Der

Boden war so glatt, daß er den leichten Belchmanohne große Anstrengung davonziehen konnte.Belchman stöhnte. Sanchon erreichte mit seiner Lastdie Wand und hielt an.

Belchman zerrte mühevoll seine Pistole heraus. Erwar so schwach, daß er die Waffe auf seineOberschenkel fallen ließ. Sein hageres Gesicht warblaß, die Augen glänzten wie im Fieber.

Der nächste Schuß schlug unmittelbar nebenSanchon in die Wand ein. Mit einem Ruck riß

Belchman die Waffe hoch und drückte ab. Dann fieler gegen Sanchon. Als der Techniker ihn wegschob,merkte er, daß Belchman tot war. Einen Augenblicklöschte der Schmerz jedes andere Gefühl in ihm aus.Er kauerte sich neben dem Toten an der Wand. Vondem heimtückischen Schützen war nichts zu sehen.Beinahe zögernd griff Sanchon nach BelchmansWaffe. Mit einem Satz sprang er auf und rannte zuLosar hinüber. Zwei Geschosse pfiffen über ihnhinweg. Das Blut hämmerte gegen seine Schläfen.Der Dampf legte sich wie ein dumpfer Druck aufseinen Kopf.

Losar sah mitleidig zu Belchman hinüber.„Er ist tot“, sagte Sanchon, um zu verhindern, daß

Losar ihn danach fragte. Er wollte nicht überBelchmans Ende sprechen. Der Waffenmeister schiendas zu spüren.

Schließlich fragte Losar: „Wo ist Aybron?“Sanchon machte eine unbestimmte Geste. „Ich

habe ihn hinter der Wand verschwinden sehen.“„Wir müssen zusammenbleiben“, murrte Losar.

„Einzeln haben wir keine Aussichten, die Roboterzurückzuhalten.“

Warum war Redhorse nicht zurückgekommen?überlegte Sanchon. Er mußte die Schüsse gehörthaben, daran bestand kein Zweifel. Oder hatte ihn dasgleiche Schicksal ereilt wie Belchman?

Mit dem Rücken gegen die Maschine gelehnt,beobachtete Losar den Platz zwischen dem Ende derWand und dem großen Behälter. Kein einzigerBunkerkopf war zu sehen. Sanchon hätte sichsicherer gefühlt, wenn die Bewohner Llalags in einergeschlossenen Reihe auf sie zumarschiert wären. Dashätte ihm die Möglichkeit gegeben, sich zuverteidigen. Statt dessen lag er hilflos da und mußtedamit rechnen, von einem Schuß aus dem Hinterhaltgetroffen zu werden.

„Wir müssen Redhorse suchen“, sagte Losar. „Wirwerden versuchen, von hier aus zu den Kabinenvorzudringen.“

„Was geschieht, wenn der Captain hierherzurückkommt und uns nicht antrifft?“ gab Sanchonzu bedenken.

Lope Losar nickte schweigend zu Belchmanhinüber. „Redhorse wird sich denken können, wasgeschehen ist, wenn er wirklich hier auftaucht.“

In Sanchons Entschlossenheit, die Bergfestunglebend zu verlassen, mischten sich Zweifel, obLosars Vorhaben durchführbar war. Überall konntenRoboter lauern, die nur darauf warteten, daß sicheiner der Gegner offen zeigte.

Auf der anderen Seite der Wand fielen raschhintereinander mehrere Schüsse. Sanchon schaute zuLosar.

„Aybron!“ stellte der Waffenmeister lakonischfest.

21

Beinahe gleichzeitig sprangen sie auf undverließen ihre Deckung. Unmittelbar neben einerweiter entfernten Kabine glaubte Sanchon eineBewegung zu erkennen. Er gab einen Schuß ab, ohnezu wissen, auf was er feuerte.

Als sie um die Wand bogen, sahen sie Aybron amRand des Behälters knien. Der Astronom wurde vonsieben Robotern angegriffen, die durch den Behälterauf Aybron zugewatet kamen. Die kochendeFlüssigkeit schäumte auf. Faustgroße Blasenzerplatzten an ihrer Oberfläche. Immer wieder ducktesich Aybron unter den Rand der Riesenwanne, umnicht getroffen zu werden.

Da trat aus der Kabine unmittelbar hinter Aybronein Bunkerkopf. Er trug keine Waffe bei sich, aber errannte mit ausgestreckten Armen auf denahnungslosen Astronomen zu. Sanchon beobachtetedie Szene wie gelähmt. Losar gab einen Schuß aufden neu aufgetauchten Gegner ab, doch er traf nurden Hals des Bunkerkopfes.

Der Roboter war schneller als Sanchon erwartethatte. Er packte Aybron an den Hüften und riß ihnhoch. Sanchon wagte nicht zu schießen, denn jetzt,da er sich von seiner Überraschung erholt hatte,mußte er befürchten, Zantos Aybron zu treffen.

In Aybrons Gesicht zeigte sich weder Erschreckennoch Furcht, eher eine nicht zu bändigendeHartnäckigkeit. Die Metallarme des Bunkerkopfeshoben Aybron über den Rand der Wanne.

Wenige Sekunden später mußte der Astronom indie kochende Flüssigkeit stürzen. Wieder schoßLosar. In diesem entscheidenden Augenblick besaßer genügend Nervenkraft, um sorgfaltig zu zielen.Der Roboter, der Aybron hochstemmte, begann zutaumeln. Aybron zappelte in seinen Greifhänden,ohne sich befreien zu können. Die sieben Roboter,die vorübergehend stehengeblieben waren, kamenmit erhöhter Geschwindigkeit heran.

Da stürzte Aybron. Einen schrecklichenAugenblick lang rutschte er über den Rand desBehälters, dann landete er unsanft außerhalb auf demBoden. Der Bunkerkopf dagegen brach endgültigzusammen.

Da spürte Oleg Sanchon ein leichtes Prickeln aufdem Kopf. Er legte den Kopf in den Nacken undschaute nach oben. Eine übelriechende Flüssigkeitriegelte auf ihn herab. Sie erzeugte das Prickeln aufder Haut. Sanchon begriff, daß eines der unzähligenRohre durch einen Schuß leckgeschlagen war.

Losar war neben Aybron angelangt und zog ihnauf die Beine. Sanchon flüchtete aus dem Bereich desSprühregens. Er wunderte sich, daß die Bunkerköpfenicht auf ihn schossen. Zögerten sie, weil er sichunmittelbar neben einer Kabine aufhielt?

Sanchon vernahm ein lautes Klatschen. Fastgleichzeitig legte sich ein Netz über ihn und warf ihn

durch sein Gewicht zu Boden. Er schrie auf undkämpfte um seine Freiheit, doch er verstrickte sichimmer stärker innerhalb des Geflechts. Es gelang ihmjedoch, sich hinter der Kabine in Deckung zubringen. Gleich darauf tauchten Losar und Aybronneben ihm auf und zerrten an den Fesseln.

„Es wird mich zerschneiden“, krächzte Sanchon.Panik überfiel ihn. Seine Muskeln spannten sich an,aber auch damit konnte er der Verengung des Netzes,nicht entgegenwirken. Völlig eingeschnürt lag er da,während Losar und Aybron ihn mit den bloßenHänden zu befreien versuchten.

Das Atmen fiel Sanchon immer schwerer. Das Blutkonnte nicht mehr richtig zirkulieren. Das Material,aus dem das Netz bestand, war unglaublich zäh undwiderstand allen Bemühungen Losars und Aybrons.

„Bringt mich in eine Kabine“, sagte Sanchonkeuchend. Er wußte nicht, wie er auf diesenGedanken kam, er wußte nur, daß er in wenigenMinuten tot sein würde, wenn nicht etwas geschah,was das Netz aufhielt.

Lope Losar war kein Mann, der lange diskutierte.Er ergriff den schweren Sanchon unter den Schulternund schleifte ihn auf den Kabineneingang zu. Aybronmachte sich am Verschluß der Tür zu schaffen, docherst, als er ihn zerschoß, sprang die Tür auf. EinRoboter ohne Kopf torkelte ihnen entgegen.

Losar zerrte Sanchons verschnürten Körper insInnere. Der Techniker sah, wie Aybron die untereSchädelhälfte eines Roboters von einem Tisch stieß.

„Schließt die Tür“, brachte Sanchon hervor.Losar ließ ihn behutsam zu Boden gleiten.

Sanchon rang nach Atem. Da spürte er, wie sich dieFesseln lockerten. Das Netz zerfiel in kurzer Zeit ineinzelne Teile, die sich nicht mehr bewegten.Sanchon versuchte zu grinsen. Während erallmählich die Kontrolle über seine Gliederzurückgewann, wurde die Tür aufgerissen.

Vor der Kabine, eingehüllt in Schwaden vonDampf, drängte sich eine Horde bewaffneterBunkerköpfe.

*

Redhorse kam so plötzlich wieder zu sich, daß ihmdie Wiedererlangung seines Bewußtseins wie dasErwachen aus einem Alptraum vorkam.

Mit dem Ende der Ohnmacht setzten dieSchmerzen in seinem Hinterkopf ein. Als er dieAugen aufschlug, blickte er in ein Meer farbigerKreise, die langsam zu rotieren schienen. Er brauchteeinige Sekunden, um zu begreifen, daß diese KreiseWirklichkeit waren. Sie gehörten zum Teil einesbeweglichen Bildes, das sich, sobald Redhorse denKopf bewegte, als ovale Leinwand entpuppte, dieetwa zehn Meter vor ihm eine Wand bedeckte. Die

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Kreise veränderten sich und nahmen andere Formenan. Don Redhorse stöhnte. Seine tastenden Händefühlten, daß er auf einer weichen Unterlage ruhte,den Kopf so hochgestützt, daß er die Leinwand sehenkonnte. Die heftigen Schmerzen ließen RedhorsesVerstand nur langsam arbeiten. Die Erinnerungkehrte zurück. Er befand sich nicht an Bord derCREST II, wie er im Augenblick seines Erwachensgeglaubt hatte, sondern im Innern einer Bergfestung,der er den Namen Llalag gegeben hatte.

Mit einem Ruck fuhr Redhorse hoch - nur um zuentdecken, daß er an das Lager gefesselt war. Einnetzartiges Gebilde hing so über ihm, daß seineBewegungsfreiheit eingeschränkt war.

Redhorse stellte fest, daß er sich in einemquadratischen Raum befand. Über ihm schwebtenzylinderförmige Kapseln unter der Decke. Siedrehten sich um ihre eigene Achse, alle in dergleichen Richtung. Über den Zylindern hingenDeckenleuchten, die das Zimmer erhellten. Redhorsesah zwei Eingänge, einer davon befand sich direktneben der eigenartigen Leinwand.

Redhorse sank zurück und entspannte sich. Erspürte keine Furcht, denn wer immer ihn hierhergebracht hatte, schien nicht zu beabsichtigen, ihnzu töten - jedenfalls jetzt noch nicht. Auf derLeinwand veränderte sich das Bild. Ausschattenhaften Umrissen formte sich ein Bild, dasDon Redhorse bekannt vorkam. Er erkannte, daß ereine Landschaft auf der Oberfläche Horrors vor sichhatte. Die Kamera war über weite Tälerhinweggeschwebt und hatte das Panorama großerStädte eingefangen. Redhorse sah weiße Gebäude,ausgedehnte Parkanlagen und in der Sonne glitzerndeSeen. Das alles existierte nicht mehr. Es warvergangen, lange bevor die Terraner hier erschienenwaren.

Sprunghaft wechselte das Bild und zeigte Krieg,Vernichtung und Chaos. Redhorse wurde Zeuge, wieganze Städte pulverisiert wurden. Atompilzeschossen in die Atmosphäre, leuchtende Wolkenhuschten über das Land und schleuderten feurigeBlitze hinab. Die Städte versanken in Schutt undAsche. Der gigantische Krieg zwischen denOberflächenwesen und den Denkern von der drittenEtage hatte seinen Anfang genommen. Das Ergebnisdieser Auseinandersetzung war dem Captain bekannt:Die beiden Völker hatten sich gegenseitig praktischausgerottet.

Die unbekannten Kameraführer hatten Aufnahmenvon den Polstationen gefilmt, die während desKrieges entstanden waren. Redhorse begriff, daß dieDenker für die Errichtung dieser beiden Stationenverantwortlich waren. Sie hatten im letzten Stadiumdes Krieges eine fürchterliche Waffe gegen dieOberflächenbewohner eingesetzt: den

Potential-Verdichter. Das bedeutete, daß nicht dieMeister der Insel für die Verkleinerungverantwortlich waren, sondern die Denker, die mitden beiden Polstationen im letzten Augenblick denKrieg zu ihren Gunsten entscheiden wollten.

Weitere Aufnahmen machten Redhorse deutlich,was nach dem Krieg geschehen war. Wie er bereitsvermutet hatte, waren die wenigen Überlebenden aufder Oberfläche degeneriert. Durch fortlaufendeMutation hatten sie sich schließlich so verändert, daßsie nur noch in Schutzhüllen lebensfähig waren, dievon einfachen Robotern transportiert werden mußten.

Redhorse versuchte zu verstehen, warum man ihmdiese Bilder zeigte. Suchte man nachVerständigungsmöglichkeiten oder - Redhorselächelte traurig - erwartete man Hilfe von ihnen?

Das Bild auf der Leinwand verschwamm undmachte wieder den farbigen Kreisen Platz. FürRedhorse war es schwierig, sich auch nur eineschwache Vorstellung von der Mentalität jenerWesen zu machen, die jetzt als unselbständigeDegenerationsprodukte in Metallschalen lebten.Einem Terraner war es unmöglich, geistigeReaktionen einer solchen Lebensform zu begreifen.Selbst der Film, den der Captain gesehen hatte, gabkeine Aufschlüsse über die Bunkerköpfe, denn jene,die die Aufnahmen gemacht hatten, warenwahrscheinlich völlig anders gewesen.

Konnten die Bunkerköpfe überhaupt verstehen,woher Redhorse und seine Begleiter kamen? Wußtenzwei Millimeter große Geschöpfe noch etwas vonWeltraumfahrt oder Astronomie? Nein, dachteRedhorse, das alles hatten sie bestimmt vergessen.Die Tragik des Untergangs dieses Volkes kam demOffizier schmerzhaft zum Bewußtsein.

Redhorse wurde aus seinen Gedanken gerissen, alssich die Tür neben der Leinwand öffnete und dreiBunkerköpfe hereinkamen. Unmittelbar nebenseinem Lager blieben sie stehen. Ihre Köpfe besaßenkeine Augen, aber Redhorse war sicher, daß dieseWesen ihn durch einige der vielen Linsen beobachtenkonnten. Es war ein unangenehmes Gefühl, nicht zuwissen, von welcher Seite man angestarrt wurde.

Einer der Bunkerköpfe zeigte zur Leinwand.Redhorse nickte heftig. Ja, er hatte verstanden. Er

hob seine Hand, legte den Daumen in die Innenseiteund streckte den Wesen vier Finger entgegen.Vielleicht begriffen sie, daß er nach seinen Begleiternfragte.

Einer der Bunkerköpfe sprühte etwas Flüssigkeitüber das Netz, das Redhorse gefangenhielt. Gleichdarauf war der Captain frei. Er richtete sich langsamauf, um die drei Fremden nicht zu einer unbedachtenHandlung zu veranlassen. Seine Pistole warverschwunden, es war also sinnlos, daß er sich zurWehr setzte.

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Die drei Roboter führten Don Redhorse aus demRaum. Sie gelangten in ein düsteres Gewölbe, dasnur von wenigen Lampen erhellt wurde. Redhorsevermutete, daß sie sich tief unter der Festungbefanden. Überall sickerte Wasser von der Decke.Die Luft war schlecht. Redhorse glaubte dasStampfen einer Maschine zu hören, vielleichthandelte es sich um eine Pumpe. Vor einemMetallgitter blieben die Bunkerköpfe stehen. DasGewölbe verbreiterte sich an dieser Stelle undmündete in einen trichterförmigen Schacht.Aasgeruch schlug Redhorse entgegen. Einenfürchterlichen Augenblick lang dachte er, daß manihn in den Schacht stoßen würde, doch dann öffnetendie Bunkerköpfe das Gitter und gingen vor Redhorseauf das Loch zu.

Zögernd folgte ihnen der Captain. Sie wartetengeduldig, bis er neben ihnen stand. Da ertönte einBrüllen, das die Erde erzittern ließ. Redhorse wichhalb betäubt zurück. Die Bunkerköpfe warfen sichauf den Boden und ruderten mit den Armen. Verwirrtnäherte sich Redhorse dem Schachtrand. Sein Pulsjagte. Er reckte sich weit vor, um einen Blick in dieTiefe zu wagen.

Die Bunkerköpfe gebärdeten sich wie toll.Redhorse begann zu ahnen, daß sie durch ihrVerhalten Ehrfurcht ausdrücken wollten. Der Captainglaubte einen bösen Traum zu erleben. Zunächst saher nur die graue Wand auf der anderen Seite desSchachts. Dann erblickte er das Ungeheuer. Es warso gewaltig, daß der Captain nur einen Teil von ihmsah. Es lag auf dem Grund des Schachts, halb in einergrünen Flüssigkeit versunken. Für RedhorsesBegriffe war es über zehn Meter groß. Es besaß vierBeine mit scharfen Krallen. Sein Fell war zumgrößten Teil ausgefallen, so daß die nackte Hautsichtbar wurde. In Redhorse stieg eine böse Ahnungauf. Hier hatte er den Nachfolger jenesbedauernswerten Geschöpfes vor sich, das er und dieanderen Männer in der großen Werkhalle gesehenhatten. Nahrung für die Bunkerköpfe. OrganischesLeben war so selten geworden, daß die BewohnerLlalags ihm beinahe mit Verehrung begegneten.Doch das hinderte sie nicht daran, zu verspeisen, wassie als Gottheit zu betrachten schienen.

Mit einem Schlag wurde Captain Don Redhorseklar, warum man ihn hier hergeführt hatte. DieBunkerköpfe wollten leben. Und proteinreicheNahrung war knapp.

*

Oleg Sanchon spürte, wie sich Losars Handberuhigend auf seinen Arm legte.

„Lassen Sie die Waffe unten“, raunte ihm derWaffenmeister zu. „Oder wollen Sie, daß man uns

zusammen mit dieser Kabine in die Luft jagt?“ AusLosars Stimme klang keine Resignation. ImGegenteil: Sanchon spürte die Entschlossenheit desMannes, die richtige Gelegenheit zum Zuschlagenabzuwarten.

Einer der Bunkerköpfe kam herein und holte denKopf, den Aybron auf den Boden geworfen hatte.Sanchon erwartete, jeden Augenblick von einemSchuß getroffen zu werden.

„Wir sitzen in der Falle“, sagte er. „Die Burschenhaben allen Grund, uns unsanft zu behandeln.“

In Losars großporigem Gesicht war keine Regungzu erkennen. Auch dann nicht, als ein weitererGegner hereinkam und ihnen die Pistolen abnahm.

Schließlich machte man ihnen klar, daß sie denkleinen Raum verlassen sollten. Als sie aus derKabine gingen, stellten sie fest, daß sich mindestensdreißig Bunkerköpfe versammelt hatten. Die Roboterwaren ausnahmslos bewaffnet.

Sanchon bemerkte, daß Losars Beinwunde wiederblutete. Der Waffenmeister zog das verletzte Beinetwas nach, doch er gab durch nichts zu erkennen,daß er Schmerzen hatte.

Die Menge der Bunkerköpfe bildete eine Gasse.Den drei Terranern blieb nichts anderes übrig, alsweiterzugehen. Als Sanchon zurückblickte, sah er,daß ihnen drei Bunkerköpfe folgten. Die Waffen derGegner waren drohend auf die Rücken derRaumfahrer gerichtet.

Sie kamen an einer Reihe von Maschinen vorbei.Hier war der Dampf nicht so dicht. Sanchon konnteerkennen, daß sie sich einer Wand näherten. Die dreiBunkerköpfe überließen es den Terranern, dasTempo zu bestimmen. Sie erreichten die Wand undgingen einige Zeit daran entlang. Als sie vor einerTür ankamen, mußten sie anhalten. Der Eingangwurde von einem Bunkerkopf geöffnet, dann stießman sie in einen dunklen Raum. Die Tür wurdezugeschlagen. Sanchon trocknete sich dasschweißnasse Gesicht ab. Die Luft, die er atmete,roch nach Moder und Verwesung. Er wünschte, erhätte etwas sehen können. Er hörte, wie sich Losarund Aybron in der Dunkelheit bewegten.

Sanchon tastete sich dorthin, wo er den Eingangvermutete. Seine ausgestreckten Hände berührten diefeuchte Wand. Von verschiedenen Stellen hörte erdas Tropfen von Wasser. Der Techniker warentschlossen, einen Ausweg aus diesem Gefängnis zufinden. Er fragte sich jedoch, ob Entschlossenheitallein dazu genügen würde.

„Ich habe die andere Wand erreicht“, sagte ZantosAybron in diesem Augenblick. „Der Raum ist genausieben Meter breit.“

Sieben Millimeter! schoß es Sanchon durch denKopf. Er unterdrückte diesen Gedanken sofortwieder. Für sie waren es sieben Meter.

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Kurz darauf stellte Lope Losar fest, daß ihrGefängnis neun Meter lang war. Die Höhe konntensie nicht messen. Auch als Sanchon auf LosarsRücken kletterte, vermochte er die Decke nicht zuberühren. Der Raum war vollkommen leer. In derNähe des Eingangs war der Boden nicht so feuchtwie im übrigen Raum. Dort ließen sich die dreiMänner nieder. Sanchon aß etwas von denNahrungskonzentraten, die er bei sich hatte. Er botLosar und Aybron davon an, doch die beiden Männerlehnten ab.

Sanchon hatte das Gefühl, daß ihn Belchmansgebrochene Augen aus der Finsternis herausanstarrten. Der Boden, auf dem sie saßen, schienleicht zu vibrieren. Das konnte bedeuten, daß unterihnen ein Raum mit großen Kraftanlagen war.

Je länger sie warteten, desto schneller schwandOleg Sanchons Zuversicht dahin. Er war sich darüberim klaren, daß sie ohne technische Hilfsmittel keineChance zur Flucht hatten.

Sanchon wußte nicht, wie viel Zeit verstrichenwar, als Zantos Aybron sagte: „Losar, schrauben Siemeine Rückenplatte ab.“

*

Redhorses Gehirn wurde zu einer präzisfunktionierenden Maschine, die jede gefühlsmäßigeBeeinflussung unterdrückte. Der Grund, weshalbman ihn in dieses Gewölbe gebracht hatte, war soungeheuerlich, daß der Captain sich zum sofortigenHandeln entschloß.

Redhorse wußte, daß ihn jedes weitere Zögern demVerderben aussetzen mußte. Ohne die dreiBunkerköpfe aus den Augen zu lassen, zog er sicheinige Schritte zurück. Die drei Fremden lagen nureinen Meter vom Rande des Schachts entfernt.Wieder erscholl das Brüllen und ließ die Wändeerbeben. Redhorse konnte sich im Augenblick keineGedanken darüber machen, was dieses Tier dortunten vor einer Verkleinerung bewahrt hatte. Er riefsich ins Gedächtnis, daß dieses Ungeheuer inWirklichkeit nur einen Zentimeter groß und mitSicherheit harmlos war.

Don Redhorse sprang mitten unter die dreiBunkerköpfe, die noch immer in wilder Verzückungmit den Armen um sich schlugen. Der Captainmachte der Zeremonie ein Ende, indem er einen derdrei an den Beinen packte und mit einem Ruck in denSchacht stieß. Mit einem dumpfen Klatschen landeteder Körper in der Tiefe. Das Monstrum begann zubrüllen. Wasserfontänen spritzten über den Rand desSchachtes. Unerträglicher Gestank breitete sich aus.Redhorse hatte den zweiten Bunkerkopf an denBeinen umklammert. Dieser war jedoch gewarnt undstemmte sich mit den Armen verzweifelt gegen den

Boden. Redhorse wußte, daß er verloren war, wennder dritte Gegner in den Kampf eingriff. Er drücktemit aller Kraft, um den schweren Metallkörper in denSchacht zu stoßen. Der Bunkerkopf wollte sichherumwerfen. Redhorse verlor sein Gleichgewichtund stürzte. Dabei mußte er seinen Widersacherloslassen. Unmittelbar neben dem Schacht gelang esRedhorse, einen Arm des Roboters zu fassen. Da warder dritte Gegner heran und wollte sich auf Redhorsewerfen. Redhorses einziger Vorteil war seineSchnelligkeit - und diese nutzte er aus. Blitzschnellwich er zur Seite, am Rande des tödlichenAbgrundes. Die beiden Metallkörper krachtenaufeinander. Redhorse warf sich auf den Rücken undstemmte beide Füße gegen die ineinanderverschlungenen Bunkerköpfe.

So stieß er sie in die Tiefe.Er hörte sie aufprallen und lag eine Weile zitternd

da, gegen Übelkeit und Atemnot ankämpfend. Wäreer in diesem Augenblick angegriffen worden, hätte ersich nicht wehren können. Er war sich bewußt, daß ergegen Wesen kämpfte, die verzweifelt um jedeExistenzmöglichkeit rangen. Das um so mehr, weilsie ein unnatürliches Dasein führten, das kaum nochals Leben zu bezeichnen war. Die Bunkerköpfewaren eine schreckliche Monstrosität, eineLebensform, die unter normalen Umständen längstausgestorben wäre. Die Bewohner Llalagsklammerten sich jedoch mit aller Macht an ihr Leben,obwohl sie dazu verdammt waren, sich vonprimitiven Robotern herumtragen zu lassen.

Redhorse hatte nur noch den Wunsch, Llalag soschnell wie möglich zu verlassen. Er fror, als er sichschließlich erhob, obwohl es innerhalb des Gewölbesebenso heiß wie in anderen Teilen der Festung war.Er wußte, daß er hier nicht bleiben durfte, dennfrüher oder später würden andere Bunkerköpfeauftauchen. Die Frage, warum man ihm den Filmgezeigt hatte, würde wohl unbeantwortet bleiben.Wollte man ihn, bevor man ihn seiner entsetzlichenBestimmung übergab, noch informieren? Redhorseahnte, daß man auch ihn verehrt hätte, wenn es denBunkerköpfen gelungen wäre, ihn irgendwo zukonservieren. Vielleicht gehörte die Vorführungdieser Filme bereits zu der Zeremonie.

Voller Sorge dachte der Captain an seine vierBegleiter. Er mußte unter allen Umständen zu ihnenzurückfinden. Sie mußten gewarnt werden, damitihnen nicht ein Schicksal bereitet wurde, demRedhorse nur mit knapper Not entronnen war.

Vorerst entronnen, dachte der Captain grimmig,denn noch war er nicht in Sicherheit.

Allmählich gewann er seine ruhige Überlegungzurück. Im Schacht war es ruhig geworden. Redhorsespürte kein Verlangen, noch einmal hinabzublicken.Er kehrte in das Gewölbe zurück. Da er nicht wußte,

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in welchem Teil der Festung er sich jetzt befand,mußte er sich vorsichtig bewegen, um nicht denBunkerköpfen in die Hände zu fallen. Es war müßig,darüber nachzudenken, wohin man ihn geschleppthatte, nachdem er ohne Bewußtsein gewesen war.

Redhorse gelangte wieder in den Raum, in dem ererwacht war. Zu seiner Erleichterung fand er ihn leer.Er schloß die Tür hinter sich. Aber auch hier konnteer nicht bleiben. Er mußte versuchen, durch denanderen Eingang zu entkommen.

Mit langen Schritten erreichte der Terraner diezweite Tür. Sie ließ sich leicht öffnen. Vorsichtigspähte Redhorse hinaus. Er blickte in eineausgedehnte Halle voller Maschinen. Kühle Luftschlug ihm entgegen. Nirgends gab es Spuren vonDampf oder Feuchtigkeit. Redhorse schloß daraus,daß diese Halle von besonderer Wichtigkeit war.Vielleicht hatte er die Steuerzentrale Llalags vor sich.

Zwischen den Maschinen bewegten sich einzelneBunkerköpfe. Redhorse traute sich zu, unbeobachtetauf die andere Seite zu gelangen. Seinen wachsamenAugen blieb nichts verborgen. Über verschiedenenAnlagen hingen leuchtende Bildschirme. Eines derGeräte war so nahe, daß Redhorse deutlich eineBerglandschaft auf der Mattscheibe erkennen konnte.Das Bild wechselte. Der Captain blickte jetzt in denTalkessel, in dem auch die CREST II stand. Redhorseunterdrückte einen Ausruf, Seine Vermutung, dieBefehlszentrale vor sich zu haben, schien sich zubestätigen. Von hier aus konnten die Bunkerköpfedas Tal beobachten. Redhorse nahm an, daß vondieser Halle aus auch die Waffen bedient wurden, mitdenen man den Oldtimer abgeschossen hatte. DieseErkenntnis änderte die Pläne des Terraners. Er mußtees schaffen, die Raketenabschußbasen derBunkerköpfe zu zerstören oder für einige Zeitlahmzulegen. Nur dann konnte von der CREST ausein weiteres Flugzeug starten.

Redhorse war kein Mann, der seine Fähigkeitenüberschätzte. Er wußte, daß er allein nicht vielauszurichten vermochte. Nur zusammen mit denanderen Männern hatte er eine Chance, sein Ziel zuerreichen. Redhorse vergewisserte sich, daß derAusgang des Filmraumes von keinem Bunkerkopfbeobachtet wurde, dann hastete er auf zwei steilaufragende Säulen zu. Als er dort ankam undzurückblickte, mußte er feststellen, daß er einenschweren Fehler begangen hatte. Die Sohlen seinerStiefel waren noch mit feuchtem Schlamm bedecktgewesen. Auf dem sauberen Boden zeichnete sichjetzt eine deutliche Spur ab.

Mit verkniffenem Gesicht betrachtete Redhorse dieSpuren seiner eigenen Unvorsichtigkeit. Doch jetzthatte er keine Zeit, sich Vorwürfe zu machen. Ermußte von hier verschwunden sein, bevor einBunkerkopf die Spuren entdeckte und den richtigen

Schluß daraus zog.Schnell zog Redhorse die Stiefel aus und wischte

die Sohlen an seiner Hose ab. Er mußte verhindern,daß die Gegner einfach seinen Spuren nachgingen.Erst, als er überzeugt sein konnte, daß dieStiefelsohlen ihn nicht mehr verraten konnten, zog erdie Schuhe wieder an. Auch jetzt überstürzteRedhorse nichts. Wenn man ihn entdeckte, war esimmer noch früh genug für eine ziellose Flucht. DerCaptain zwängte sich zwischen den Säulen hindurch.Unmittelbar vor ihm erhoben sich zwei schwereMaschinen. Dahinter sah Redhorse eine Schalttafelmit unzähligen Kontrollen. Er mußte dem Wunschwiderstehen, die Kabelstränge der Kontrollenauszureißen. Dadurch hatte er nichts gewonnen. DieZerstörung mußte ausreichen, um die Bunkerköpfefür längere Zeit daran zu hindern, das Tal unterBeschuß zu nehmen. Dazu genügte es nicht,blindlings einige Kontrollen funktionsunfähig zumachen.

Redhorse beherrschte die Kunst der lautlosenFortbewegung vollendet. Nicht nur das, sein sichererInstinkt konnte blitzschnell die Bedeutung einesGeräusches erklären, so daß er in jedem Fallzweckentsprechend reagieren konnte. Durch dasTraining auf der Raumakademie waren die altenFähigkeiten seines Volkes in Redhorse wiedergeweckt worden. Don Redhorse galt als tollkühnerDraufgänger. Er hätte jedoch nie Offizier werdenkönnen, wenn er es nicht verstanden hätte, seinDraufgängertum nur dann einzusetzen, wenn esangebracht war. Auch für Redhorse kam dasEinschätzen einer Gefahr vor dem Handeln. Selbstdann, wenn er losschlug, arbeitete sein Verstandunbeeinflußt von allen Geschehnissen weiter. Dabeiwar der Captain alles andere als gefühlsarm.

Auch jetzt, als Redhorse zwei Bunkerköpfe nebender Stellwand auftauchen sah, wußte er im gleichenMoment, daß er abwarten mußte, bis sie sichzurückgezogen hatten, selbst auf die Gefahr hin, daßman inzwischen seine Spuren entdeckte.

Dicht an die Rückwand einer Maschine gepreßt,wartete Redhorse, daß die beiden Trägerkörper vonihren organischen Herren in eine andere Richtunggesteuert wurden. Die Geräusche, die bis zuRedhorse klangen, genügten ihm, um genau zuwissen, was die beiden Bunkerköpfe taten. Endlichwurde es in seiner nächsten Umgebung ruhig.Redhorse schlüpfte aus der Deckung hervor. DerWeg war frei. Es gelang dem Terraner, bis in dieMitte der Halle vorzudringen. Dann mußte er sichabermals verstecken, weil vor ihm einigeBunkerköpfe auftauchten. Er kroch unter dieBodenwanne eines Getriebeschutzes, während dieRoboter in der Nähe vorbeigingen. RedhorsesGedanken beschäftigten sich mit der CREST und

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ihrer Besatzung. Hoffentlich beging Perry Rhodannicht den Fehler, schon jetzt ein zweites Flugzeugauszuschicken. Das konnte für einige Männer densicheren Tod bedeuten.

Als Redhorse sein Versteck wieder verlassenkonnte, erfüllte ihn neue Zuversicht. Er warüberzeugt, daß er die vier anderen Männer baldfinden würde.

*

Die Vorstellung, daß die metallischen Geräuschevon Aybrons Rücken herrührten, ließ Oleg Sanchonerschauern. Der Waffenmeister schien keine solcheHemmungen zu kennen, denn Sanchon hörte ihn mitsicheren Griffen arbeiten.

„Vielleicht verraten Sie uns, was das zu bedeutenhat“, knurrte Losar.

„Sobald Sie die Platte abgenommen haben, könnenSie in einen Hohlraum greifen“, erklärte Aybron.„Ihre Hände werden ein kleines Gerät spüren.Entfernen Sie alle Anschlüsse, die in meinen Körperführen, und nehmen Sie das Ding heraus.“

Sanchon hörte Losar einen Pfiff ausstoßen.„Sie brauchen dieses Maschinchen zum Leben“,

sagte er grob. „Uns wird es nichts nützen.“Aybron lachte trocken. „Sie denken, daß ich Sie

verleiten will, meinem Leben ein Ende zu bereiten“,stellte er fest. „Natürlich haben Sie recht, wenn Siesagen, daß ich dieses Gerät benötige. Ich versichereIhnen jedoch, daß uns der Brightor helfen wird.“

„Das Ding kann vielleicht die Tätigkeit einigerIhrer Organe überwachen und anregen“, gab Losarzu. „Das ist aber auch alles.“

Sanchon wartete gespannt auf Aybrons Stimme. Erhatte einen Mann noch nie so teilnahmslos vom Todesprechen hören.

„Als Waffenmeister sollten Sie verstehen, wie einBrightor funktioniert“, sagte Aybron, ohne dieStimme zu erheben. „Wäre es nicht möglich, einsolches Gerät so zu bauen, daß es auch als Bombefunktioniert?“

„Ohne weiteres“, gab Losar zu. „Doch dazu sindwir außerstande.“

„Mein Brightor“, erwiderte Aybron ruhig, „istbereits eine Bombe.“

Diesen Worten folgte Stille. Sanchon hörte nurLosars schweres Atmen. Sanchon hätte gern gewußt,worum es ging. Er verstand nur, daß in AybronsSilberrücken eine kleine Maschine eingelassen war,die nicht nur Leben erhalten, sondern auch alsBombe benutzt werden konnte.

„Zum Teufel mit Ihrem Brightor!“ rief Losarerregt. Zum erstenmal schien der mürrische Mannseine Fassung verloren zu haben. „Ich glaube nicht,daß Sie ihn für einen doppelten Zweck konstruieren

ließen. Warum sollten Sie eine Bombe mit sichherumschleppen?“

„Ich bin ein todkranker Mann“, erwiderte Aybronmit einer Gelassenheit, als erkläre er einemathematische Formel. „Ich müßte früher oder späterunter fürchterlichen Schmerzen sterben. DieSchmerzen würden mich in ein hilfloses,wimmerndes Geschöpf verwandeln. Soweit will iches nicht kommen lassen. Deshalb wird der Brightorexplodieren, bevor dieser Zeitpunkt gekommen ist.“

Sanchon schluckte krampfhaft.Was war das für ein Mann, der eine Bombe mit

sich herumschleppte, um sich irgendwann einmal indie Luft zu sprengen?

„Wie lange könnten Sie ohne den Brightor leben?“fragte Losar.

„Das weiß ich nicht“, gab Aybron zurück.„Vielleicht könnte ich es schaffen, die CREST nochzu erreichen.“

„Nein!“ Losar schrie das Wort heraus. „Das werdeich nicht tun, Zantos Aybron. Ich werde Ihr Lebennicht opfern, um uns zu befreien.“

Aus der Dunkelheit kam ein spöttisches Lachen.„Haben Sie Angst, Waffenmeister?“Eine solche Frage an Lope Losar zu richten, war so

absurd, daß Sanchon am klaren Verstand desAstronomen zu zweifeln begann. Sanchon kniff dieLippen fest zusammen. Oder war diese Frage garnicht so absurd? Diente sie nur dazu, Losar zuprovozieren?

Sanchon hörte, daß Losar wieder an derRückenplatte zu hantieren begann.

„Ich verschließe die Platte“, sagte Losar. „HörenSie, Aybron, ich verschließe sie.“

„Diesmal werden Sie Ihren Dickschädel nichtdurchsetzen“, versicherte Aybron. „Wenn Sie denBrightor nicht herausnehmen, gehe ich zur Tür undzünde die Bombe. Ich glaube zwar nicht, daß dieSprengwirkung genügen wird, doch ich kann esimmerhin versuchen.“

Er würde es tun, dachte Sanchon benommen.Dieser Wahnsinnige würde sich vernichten, nur umihnen einen Weg aus diesem Gefängnis zu öffnen.

„Ich bin noch nie auf Drohungen hereingefallen“,sagte Losar mit schwankender Stimme.

Zantos Aybron stand auf. Sanchon glaubte diegroßen Augen in der Finsternis leuchten zu sehen.

„Wirklich nicht?“ fragte er ironisch.Dann ging er auf den Eingang zu. Sanchon hörte es

deutlich an den unregelmäßigen Bewegungen, mitdenen sich Aybron der Tür näherte. Der Astronomhatte sich, bedingt durch sein Silberstahlkorsett,einen ruckartigen Gang zugelegt.

„Machen Sie keinen Unsinn!“ schnaubte Losar.„Ich bin jetzt am Eingang“, verkündete Aybron.

„Sobald ich den Zünder betätige, gibt es kein Zurück

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mehr. Entscheiden Sie sich.“Sanchon begann zu schwitzen. Er hoffte, daß einer

der beiden nachgeben würde. Fast gleichzeitig hörteer sich sagen: „Kommen Sie zurück, Aybron. Ichwerde den Brightor entfernen.“

„Das können Sie nicht“, stellte Aybron fest. „Losarmuß es tun, wenn das Gerät nicht beschädigt werdensoll.“

„Das ist nur ein Bluff!“ schrie Losar.Von Aybron kam keine Antwort. Sanchon

erwartete, jeden Augenblick von einem Lichtblitzgeblendet zu werden.

Lope Losar atmete schwer.„Nun gut“, brachte er hervor. „Kommen Sie zu

mir, Aybron.“„Sie sind ein trickreicher Mann, Waffenmeister“,

meinte Aybron sarkastisch. „Sie haben sichausgedacht, wie Sie mich überlisten können.“

„Was wollen Sie noch?“ erkundigte sich Losarerbost.

„Ich will Ihnen sagen, daß ich den Finger amDrücker habe, solange ich in Ihrer Nähe bin. WennSie versuchen, gegen meinen Willen den Retter zuspielen, werde ich nicht zögern, die entscheidendeBewegung zu tun.“

Sanchon hätte nie geglaubt, daß der wortkargeAybron jemals soviel sprechen würde. Er wagtenicht, sich zu bewegen, als der Astronom zu Losarzurückkehrte. Losars Gelenke knackten. Dann hörteSanchon das Rascheln von Stoff.

„Fangen Sie an“, sagte Aybron ruhig.Losar begann schweigend zu arbeiten. Sanchon

war froh, daß es vollkommen dunkel war, so daß erAybron nicht sehen mußte.

„So, die Platte ist ab“, sagte Losar nach einerWeile. „Werden Sie nicht nervös, Aybron, wenn ichnach dem Brightor greife.“

„Keine Sorge“, erwiderte Aybron. „Wenn Sie dieKabel herausziehen, müssen Sie schnell sein.“

Gleich darauf hörte Sanchon den Astronomenaufstöhnen. Losar fluchte wild.

„Haben Sie das Ding?“ fragte Aybron mitverzerrter Stimme.

„Ja“, brummte Losar. „Ich wünschte, ich hätte esnicht getan.“

„Bringen Sie es zum Eingang“, sagte Aybron. „Siemüssen die beiden oberen Kabelenden mit denunteren verbinden. An einer Seite des Brightors isteine kleine Taste. Drücken Sie sie nach unten. DieExplosion wird fünf Sekunden später erfolgen.“

„Wie hätten Sie die Taste erreichen wollen?“erkundigte sich Losar.

Aybron versuchte ein Lachen. Er mußtefürchterliche Schmerzen haben.

„Eine bestimmte Bewegung mit einemRückenmuskel und ...“

Lope Losar ging zum Eingang. Sanchon zog sichin den äußersten Winkel des Raumes zurück. Da dieDecke hoch über ihnen war, hoffte er, daß derLuftdruck nicht zu stark sein würde.

„Verwechseln Sie die Kabel nicht“, mahnteAybron. Schwerfällig kam er zu Sanchon und lehntesich mit dem Rücken gegen die Wand.

Lope Losar benötigte nur wenige Minuten. Imgleichen Augenblick, da Sanchon ihn vom Eingangwegrennen hörte, begann der Techniker im stillen zuzählen.

Eins, dachte er. Zwei, drei...

*

Into Belchman, einer der medizinischenAssistenten aus der Bordklinik der CREST II, lag ineinem offenen Metallkasten. Redhorse sah sofort, daßder Mediziner tot war. Der Captain war so plötzlichauf den Toten gestoßen, daß er fast einen Schreiausgestoßen hätte. Der Kasten mit Belchman standvor einer riesigen Maschine, hinter der Redhorsehervorgekommen war.

Stumm stand der Captain vor Belchman. ImAugenblick hatte er die Bunkerköpfe vergessen. Erzweifelte nicht daran, daß man Belchman erst nachseinem Tode hierher gebracht hatte. Der Raumfahrerwar an anderer Stelle gestorben. Wo, das wußteniemand.

Redhorse hob den Kopf. Er erwartete unbewußt,irgendwo in der Nähe seine anderen Begleiter zusehen, ebenfalls erschossen. Es war unmöglich,Belchman aus dem Kasten zu holen und ihnirgendwo zu beerdigen.

Ich habe ihn ausgesucht, dachte Redhorsebekümmert.

Gleichzeitig sagte er sich, daß ein anderer hierliegen würde, wenn er an Belchmans Stelle einenanderen Mann für den Testflug ausgewählt hätte. Insolchen Augenblicken empfand Redhorse dieVerantwortung eines Offiziers stets als drückendeLast.

Er löste seinen Blick von dem Toten.Don Redhorse war jetzt nur noch wenige Meter

von einem großen Tor entfernt, das den Hauptzugangzu der Halle bildete. Wenn er sich orientieren wollte,mußte er zunächst einmal ins Freie. In keinem derGebäude, die Redhorse bisher gesehen hatte,befanden sich Fenster. Redhorse glaubte zu wissen,daß die Bunkerköpfe aus unbekannten Gründen nursehr ungern mit Tageslicht in Berührung kamen.Vielleicht waren sie so empfindlich, daß ihnen dieStrahlung der drei gelben Sonnen schadete.

Unangefochten kam Redhorse neben dem Haupttoran. Es war verschlossen. Redhorse beabsichtigtenicht, es zu öffnen, denn das hätte mit großer

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Wahrscheinlichkeit zu einer sofortigen Verfolgunggeführt. Als er noch in der Mitte der Halle gestandenhatte, war das Tor einmal aufgeglitten. Redhorserechnete fest damit, daß sich dieser Vorgang inregelmäßigen Abständen wiederholen würde. Einesolche Gelegenheit mußte er benutzen, um die Hallezu verlassen.

Vorerst jedoch blieb ihm nichts anderes übrig, alssich unmittelbar neben dem Eingang zu verstecken.

*

Der Brightor detonierte in einem grellen Lichtblitz.Die Gewalt der Explosion ließ Sanchon taumeln. Erhatte den Eindruck, daß das gesamte Gebäude überihnen zusammenbrach. Die Tür flog nach draußen.Im Licht, das jetzt hereinfiel, wirbelte dichter Staub.

Sanchon war vollkommen betäubt. Hustendbegann er sich auf den Eingang zuzubewegen.Plötzlich verdunkelte sich die gewaltsam geschaffeneÖffnung. Sanchon begriff nur langsam, daß es Losarsbreite Gestalt war, die sich vor ihn geschoben hatte.Vor ihnen lagen verstreut die Trümmer der Tür. LopeLosar kletterte ohne Zögern darüber hinweg.Sanchon blickte zurück und sah Zantos Aybron dichthinter sich. Das Gesicht des Astronomen wirkte imeinfallenden Licht geisterhaft bleich, der Staubschien einen Schleier davor zu bilden.

Das erste, was er wieder hören konnte, war dasKnistern von Flammen und Losars ungeduldigeStimme, die von außerhalb des Loches kam.

„Kommen Sie endlich heraus, Sanchon!“Sanchon griff hinter sich und fand Aybrons Hand.

Er schob den Astronomen vor sich aus demraucherfüllten Raum. Beinahe dankbar registrierte er,daß Aybron das Loch in seinem Rücken mit denKleidern wieder verdeckt hatte. Als er durch dieherausgespengte Öffnung kroch, rieselte Mörtel aufihn herab. Hinter ihm polterten einige Steine auf denBoden. Ein Teil der Trümmer war nach draußengefallen.

Lope Losar bestimmte die Richtung, die sieeinschlugen. Jeden Augenblick mußten Bunkerköpfeeintreffen, um nach der Ursache der Explosion zusuchen. Sanchon nahm an, daß sie jetzt keine Gnademehr erwarten durften.

Losar führte sie zwischen zwei Reihen plumpaussehender Maschinen hindurch. DieDampfschwaden aus dem großen Behälter drangenbis hierher. Sanchon atmete auf, als sie in einenschmalen Seitengang eindrangen, der nicht danachaussah, als würde man ihn häufig benutzen.

Aybron litt unter Atemnot. Sanchon sah deutlich,daß der Astronom keuchend nach Atem rang. DerVerlust des Brightors begann bereits Folgen zuzeigen. Sanchon fragte sich, ob Aybron die Wahrheit

gesprochen hatte, als er versichert hatte, denZeitpunkt nicht zu kennen, da das Fehlen desBrightors zu ernsthaften Schwierigkeiten führenwürde.

Der Gang machte einen scharfen Knick. Gleichdarauf sah Sanchon Tageslicht durch ein offenes Torhereinfallen. Sie konnten in einen Hof der Festungsehen. Losar hob warnend den Arm.

„Warten Sie hier!“ sagte er leise. „Ich werde micherst einmal umsehen, bevor wir den Gang verlassen.“

Nachdem Aybron durch den Verlust des Brightorsgeschwächt war, hatte Lope Losar die Führungsrolleübernommen. Der Waffenmeister ging bis zum Tor.Dort blickte er sich um und trat in den Hof hinaus.Aybron lehnte sich gegen die Wand. Sanchonbetrachtete ihn mitfühlend.

„Werden Sie noch einige Zeit durchhalten?“ fragteer.

„Natürlich“, erwiderte Aybron. „Ich muß mich nurdarauf umstellen.“

Die Silhouette von Losars massigem Körperzeichnete sich wieder im hellen Rechteck des Toresab. Er winkte den beiden anderen Männern zu.Sanchon und Aybron setzten sich in Bewegung. DerTechniker war froh, daß sie wieder ins Freiegelangten.

Lope Losar erwartete sie neben dem Eingang.„Wir befinden uns jetzt auf der anderen Seite des

Gebäudes“, sagte er. „Dort drüben liegt dieAußenmauer der Festung. Sie ist zu hoch, als daß wirsie übersteigen könnten. Wir müssen an jene Stellezurück, an der man uns hereingebracht hat.“

Sanchon nickte und schaute sich im Hof um. Erkonnte die Außenmauer bis zu einem Eckturmverfolgen. Der Hof war T-förmig angelegt. Die dreiMänner befanden sich im unteren Bereich.

„Wir müssen versuchen, durch die Hecken zukriechen, die zwischen der Außenmauer und diesemGebäude wachsen“, erklärte Losar und zeigte in dieentgegengesetzte Richtung des Eckturms. „Dannmüßten wir den Weg erreichen, über den wir unsdiesem Bauwerk genähert haben.“

Skeptisch schaute Sanchon zu den Hecken. Siewaren so dicht, daß man nicht hindurchblickenkonnte. Die verkrüppelten Wurzeln waren ineinanderverschlungen. Losar schien an SanchonsGesichtsausdruck die Gedanken des Technikers zuerkennen.

„Wir müssen eine Stelle finden, wo die Büscheweniger dicht stehen“, verteidigte er seinen Plan. „Inder Nähe des Eckturms haben wir keine Chance zumDurchkommen - und in das Gebäude wird keiner vonuns zurückkehren wollen, solange wir keine Waffenhaben.“

„Sie haben recht, Waffenmeister“, sagte Aybron.„Es gibt nur diesen Weg.“

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Als sie bei den Hecken ankamen, stellte Sanchonfest, daß die einzelnen Äste von Dornen übersätwaren. Er folgte Losar, der gebückt neben denBüchsen entlangging, um eine Stelle zu finden, wosie durchschlüpfen konnten. Endlich blieb derWaffenmeister stehen.

„Hier“, sagte er knapp.Sanchon blickte sich nach Aybron um, doch der

Astronom war verschwunden. Losar bemerkte es imgleichen Augenblick.

„Aybron ist weg!“ rief er aufgeregt. „Was hat daszu bedeuten?“

„Die Bunkerköpfe“, vermutete Sanchon.Ärgerlich schüttelte Losar den Kopf. „Nein, sie

hätten uns alle drei angegriffen. Der Bursche hat sicheinen verrückten Plan ausgedacht und ist in dasGebäude zurückgekehrt.“

Sanchon biß sich auf die Unterlippe. Jetzt war erfroh darüber, daß Lope Losar der Mann war, der dieEntscheidungen traf.

„Werden wir ihm folgen?“ fragte er denWaffenmeister.

Zum erstenmal schien Losar ratlos zu sein. SeineAugen verschwanden unter den dicken Lidern.

„Nein“, sagte er dann. „Wir folgen ihm nicht.“Er drang mit vorgestreckten Armen in die Hecken

ein. Den Kopf zwischen die Schultern gezogen,folgte ihm Sanchon. Bereits nach einem Meter war ervollkommen zerstochen. Losar schob sich wie einTank durch das dichte Buschwerk. Äste krachtenunter seinem Gewicht. Sanchon hob beide Armeschützend vor das Gesicht. Vor ihm ließ sich LopeLosar zu Boden sinken, um zwischen den Wurzelnweiterzukriechen. Das Geflecht der Äste wurdeimmer dichter. Sanchon begann Losars Einfall zuverwünschen. Ohne zu wissen, wie breit dieHeckengruppe war, hatten sie den Vorstoß in diesenatürliche Mauer gewagt. Die Dornen durchstachenmühelos die Uniformen der beiden Männer.

Losar gab keinen Laut von sich. Verbissenstemmte er seine massigen Schultern zwischen deneinzelnen Wurzeln hindurch. Seine Uniform bestandnur noch aus Fetzen. Sanchon wußte, daß er nichtviel besser aussah, obwohl er den Vorteil hatte, dieGasse benutzen zu können, die Losar schuf.

Dann war Losar hindurch. Er zog Sanchon auf dieBeine, als der Techniker hinter ihm ins Freie kam.

Sanchon betrachtete den Waffenmeister undgrinste. Losar fuhr sich mit den Handflächen über dasGesicht.

„Wir sehen prächtig aus“, sagte Sanchon. „DieSolare Flotte kann stolz auf uns sein.“

Losar schien jeden Humor verloren zu haben. Erhob eine Hand vor die Augen, um sie vor derHelligkeit der drei Sonnen zu schützen.

„Dort verlaufen die Rohrleitungen, zwischen

denen wir in das Gebäude eingedrungen sind“, sagteer zu Sanchon. „Jetzt wissen wir, wo wir unsbefinden. Hoffentlich hält uns auf dem Weg zumAusgang kein Bunkerkopf auf.“

Sanchon sah ihn verblüfft an.„Sie wollen Llalag verlassen?“ fragte er ungläubig.„Natürlich“, sagte Losar. Er zog einige

Dornenspitzen aus seinen Oberschenkeln undschnippte sie mit den Fingern davon.

„Aber...“, begann Sanchon. Er schluckte und fügtehinzu: „Was ist dann mit Redhorse und Aybron?“

Der Waffenmeister spreizte die Hände. Der Blick,mit dem er Sanchon musterte, war alles andere alsfreundlich.

„Wir besitzen keine Waffe“, sagte er geduldig.„Was sollen wir tun? Mit bloßen Händen irgendwoeindringen und nach dem Captain schreien?“

Sanchon konnte sich nicht erinnern, jemals somüde gewesen zu sein. Er wußte, daß Losar rechthatte. Sie konnten für Redhorse und Aybron nichtstun. Im Augenblick war es noch nicht einmal sicher,ob Losar und ihm die Flucht aus der Festunggelingen würde. Der Techniker schloß die Augen.Als er sie wieder öffnete, sah er etwas, was nur einemTraum entspringen konnte.

Zwischen den Rohren, in deren unmittelbarer Nähesie in das Gebäude eingedrungen waren, kroch eineGestalt hervor. Sanchon öffnete den Mund, aber erbrachte keinen Ton heraus. Er beobachtete, wie sichZantos Aybron vor den Rohrleitungen mühevollaufrichtete. Über seiner verkrüppelten Schulterhingen zwei Waffen der Bunkerköpfe.

Sanchon hob den Arm und zeigte in AybronsRichtung. Losar wandte sich um.

„Zantos Aybron!“ schrie der Waffenmeister.Da wußte Oleg Sanchon, daß er nicht träumte.

*

Das große Tor öffnete sich. Zwei Elektrowagen,jeder von einem Bunkerkopf gesteuert, rollten in dieHalle. Wachsam verfolgte Don Redhorse jedeBewegung der beiden Trägerkörper. Er spannte seineMuskeln, um im geeigneten Moment loszuspringen.

Die Wagen verschwanden zwischen denMaschinen. Fast gleichzeitig glitt das Tor wieder zu.Redhorse kam mit einem Satz aus seinem Versteckheraus und jagte auf den Eingang zu. Es war einWettlauf mit den Gleitrollen des Tores. Als er nochwenige Meter von seinem Ziel entfernt war,befürchtete er, daß er zu langsam sein könnte. Mitbeängstigender Schnelligkeit wurde die Öffnungkleiner.

Dann war Redhorse heran. Mit einem letztenSprung warf er sich durch den verbliebenen Spalt.Die Wucht, mit der das Tor herankam und ihn an der

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Schulter traf, schleuderte ihn fast zu Boden. Hinterihm donnerten die Fassungen ineinander. Redhorsefand das Gleichgewicht wieder und drückte sichsofort in den Schatten der Außenwand, um voneventuell in der Nähe weilenden Bunkerköpfen nichtentdeckt zu werden. Der Hof lag jedoch verlassen vorihm.

Redhorse glitt an der Wand entlang. Jetzt durfte erkein Risiko mehr eingehen. Da er Belchman totgefunden hatte, glaubte er nicht, daß die anderenMänner noch am Leben waren. Redhorse hattebeschlossen, die Festung zu verlassen und sich zurCREST durchzuschlagen. Dann konnte er mit einementsprechend ausgerüsteten Stoßtrupp zurückkehrenund die Raketengeschütze der Bunkerköpfeunschädlich machen. Er war sich darüber im klaren,daß zwischen seinem Plan und dessen Ausführungeinige unüberwindliche Hindernisse lagen. Es warvor allem zweifelhaft, ob er die CREST jemalserreichen würde.

Redhorse kam am Ende des Gebäudes an. Erkonnte jetzt jenen Teil des Hofes überblicken, den erbereits von der anderen Seite aus gesehen hatte.Rechts vor ihm führte eine Treppe zu unterirdischenRäumen. Einige Meter weiter begrenzte eine flacheMauer den Hinterhof des Gebäudes, aus demRedhorse gerade kam.

Als der Captain zwischen Treppe und Mauer war,hörte er abermals das leise Surren einesElektrowagens. Er schnellte hervor, und seine Händegriffen nach dem Mauersims. Mit einem Ruck zog ersich hoch. Da schlugen neben ihm die erstenExplosivgeschosse ein. Sie hatten ihn entdeckt.Redhorse nahm sich nicht die Zeit, einen Platz aufder anderen Seite auszusuchen, sondern ließ sicheinfach von der Mauer gleiten. Kaum berührten seineFüße den Boden, als er auch schon auf ein flachesGebäude zustürmte. Hinter ihm schlugen die Schüssein die Steine. Im Augenblick bestand keine Gefahr.Redhorse achtete darauf, daß die Mauer zwischenihm und den unsichtbaren Schützen blieb. Erumrundete die flache Halle und konnte auch den Wegzu jenem Gebäude einsehen, das Belchmanfälschlicherweise für die Zentrale gehalten hatte.

Redhorse spürte wenig Verlangen, sich wieder indieses Gebiet abdrängen zu lassen. Doch danngeschah etwas, was schlagartig seine gesamten Pläneänderte.

Zwischen den Rohren am Ende des Wegeserschienen drei zerlumpte Gestalten. Für Redhorsejedoch bildeten sie den schönsten Anblick, den ersich im Augenblick vorzustellen vermocht hätte.

Lope Losar, der bullige Waffenmeister, hielt zweifremdartige Waffen in seinen Händen. Aybron sahaus, als würde er jeden Augenblickzusammenbrechen. Sanchon hielt sich dicht neben

dem Astronomen, bereit, ihn zu stützen.Langsam kam Redhorse hinter der Halle hervor.Und während hinter ihm die ersten Schüsse der

Verfolger in den Boden einschlugen, lief er imZickzack den drei Männern entgegen.

6.

Der Blick zur Uhr fiel Perry Rhodan jedes Malschwerer. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurdendie Chancen für eine Rückkehr von Captain DonRedhorse und seinen Männern geringer. Dadurchwurde Rhodan zu einer folgenschwerenEntscheidung gezwungen. An ihm lag es, ob einweiteres Testflugzeug starten würde.

Inzwischen stand fest, daß irgendwo auf denBerghöhen im Norden Raketenstellungen existierten,die fast jeden Punkt des Talkessels erreichenkonnten. Damit war die Ausschleusung weitererRaumfahrer ein Risiko.

Icho Tolot hatte sich angeboten, einenGewaltmarsch zum Gipfel zu unternehmen, dochRhodan zögerte, den Haluter gehen zu lassen. Siewußten nicht, was für ein Gegner dort oben lauerte.Ohne Tolot hätte sich die Lage der Mikromenschenweiter verschlechtert. Rhodan war sich darüber imklaren, daß allein Tolots Anwesenheit an Bord vieldazu beitrug, eine Panik unter der Besatzung zuverhindern.

Vierzehn Stunden waren seit dem Start derTestmaschine vergangen. Der Oldtimer war irgendwoauf der anderen Seite der Berge zerschellt. Die Fragewar, ob den fünf Männern zuvor der Absprunggelungen war. Unter Umständen waren dieFreiwilligen getötet worden, als sie am Fallschirmdem Boden entgegengeschwebt waren. Ebenso gutkonnten sie jetzt Gefangene unbekannter Wesen sein.Was Rhodan kaum noch zu hoffen wagte, war, daßRedhorse aus eigener Kraft zur CREST IIzurückkehren würde.

Rhodan ließ die Berge mit scharfen Gerätenununterbrochen beobachten, doch nirgends zeigtesich ein Hinweis für eine Rückkehr der fünfRaumfahrer.

Der Talkessel hatte sich zur Falle für dasFlaggschiff des Solaren Imperiums entwickelt. JederSchritt über den toten Winkel hinaus wurde vonUnbekannten beobachtet. Außerdem lag dieVermutung nahe, daß die Beherrscher der Gipfelfrüher oder später ins Tal steigen würden, um dieCREST II anzugreifen.

Die Untätigkeit belastete nicht nur Rhodan schwer.Obwohl es innerhalb des Schiffes ruhig war, fühlteRhodan die Spannung unter der Besatzung. WeitereMänner waren der nervlichen Belastung zum Opfergefallen und mußten in der Krankenstation behandelt

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werden. Rhodan wußte, daß er die Geduld derMannschaft bis zum äußersten strapazierte. Ihrerschrecklichen Winzigkeit bewußt, wollten dieMänner endlich handeln, um das Schicksal zu ihrenGunsten zu wenden.

„Vierzehn Stunden, Barbar!“ klang Atlans Stimmein Rhodans Gedanken. „Wir können nicht ewigwarten. Der größte Teil der Männer wäre lieber tot,als in diesem Zustand weiter leben zu müssen.“

„Wir warten noch eine Stunde“, sagte Rhodanbeherrscht. „Danach werde ich den Befehl geben, daßmit den Vorbereitungen zur Ausschleusung eineszweiten Oldtimers begonnen wird.“

„Das bedeutet, daß eine neue Mannschaftfrühestens in fünf Stunden starten könnte“, stellteMory Rhodan-Abro fest. „Immerhin, wahrend dieserZeit hat die Mannschaft etwas, womit sie sichbeschäftigen kann.“

„Wir haben ausgesprochenes Pech, Sir“, mischtesich Oberst Cart Rudo ein. „Wenn die paranormalenFähigkeiten der beiden Mausbiber durch dieVerkleinerung nicht nahezu verschwunden wären,müßten wir uns wahrscheinlich kaum noch Gedankenüber die Unbekannten machen, die den Oldtimerabgeschossen haben.“

„Ein Unglück kommt selten allein“, zitierteRhodan.

„Haben Sie schon überlegt, wer den zweitenOldtimer fliegen wird, Sir?“ erkundigte sich CaptainSven Henderson, einer der besten Freunde desvermißten Redhorse.

„Natürlich“, sagte Rhodan.„Ich hoffe, Sir, daß Sie mich berücksichtigt

haben“, sagte der Captain.„Ja“, bestätigte Rhodan. „Sie werden mich

begleiten.“

7.

Wie eine Horde unbeholfener Bären stürmten dieBunkerköpfe hinter der Mauer hervor. Lope Losarhatte eine der fremden Waffen Sanchon gegeben, dersie jetzt an Redhorse weiterreichte. Den Männernblieb keine Zeit für viele Worte. Erst als Redhorse siehinter einen kleinen, aber massiv gebauten Schuppengeführt hatte, fand Losar Zeit, dem Captain hastigden Mechanismus der Waffe zu erklären.

„Wie sind Sie zu den beiden Dingern gekommen?“fragte Redhorse.

Losar deutete auf den blassen Aybron.„Er hat sie uns beschafft. Doch er behauptet, daß

er im Augenblick zu schwach ist, um uns zu erklären,woher er sie hat.“ Losar senkte die Stimme. „Aybrontrug einen Brightor, Sir. Das ist eine kleine Ma...“

„Ich weiß darüber Bescheid“, unterbrach ihnRedhorse.

„Er hat uns gezwungen, mit dem Gerät eine Türaufzusprengen“, berichtete Losar. „Jetzt geht es ihmschlecht.“

Redhorse stellte keine Fragen. Er konnte sichungefähr vorstellen, was geschehen war. ImAugenblick war auch wenig Zeit, um miteinander zusprechen. Redhorse wußte, daß sie jetzt einenschnellen Vorstoß in die Zentrale wagen mußten,wenn sie noch Erfolg haben wollten. Ihr einzigerVorteil war im Augenblick, daß die Bunkerköpfebestimmt nicht damit rechneten, daß die Flüchtlingeausgerechnet zur Zentrale zurückkehren würden.Redhorse hoffte, daß die Bunkerköpfe den größtenTeil der zur Verfolgung eingesetzten Trägerkörper inder Nähe des Eckturmes zusammenziehen würden,der gleichzeitig Ein- und Ausgang Llalags darstellte.

In knappen Worten berichtete Redhorse den dreiMännern von seinen Entdeckungen und Plänen. Erverschwieg jedoch, daß er Belchman gefunden hatte.

Am hinteren Ende des Schuppens brach ZantoAybron zusammen. Vergeblich bemühte er sich,wieder auf die Beine zu kommen. Sanchon undRedhorse hoben ihn auf. Das Gesicht desAstronomen war vor Schmerzen entstellt.

Losar beobachtete die Vorderfront des Schuppens,wo in wenigen Augenblicken die ersten Verfolgerauftauchen würden.

„Ohne den Brightor ist es schwieriger, als ichgedacht hätte“, sagte Aybron mitzusammengebissenen Zähnen. Als Redhorse undSanchon ihn vorwärtsziehen wollten, stemmte er dieBeine gegen den Boden. Heftig schüttelte er denKopf.

„Ich werde hier zurückbleiben und dafür sorgen,daß die Roboter Sie nicht bei der Arbeit stören“,sagte er. „Geben Sie mir eine Waffe, Losar.“

Der Waffenmeister schaute Redhorse, der denSterbenden nachdenklich betrachtete, fragend an.

„Geben Sie ihm die Waffe!“ befahl Redhorse.Aybron nahm das fremde Gewehr mit zitternden

Händen entgegen. Die ersten Bunkerköpfe erschienenam anderen Ende des Schuppens. Redhorse ließAybron zu Boden gleiten. Der Astronom feuerteeinen Schuß ab, der die Bunkerköpfe veranlaßte, sichhinter die Schuppenwand zurückzuziehen.

Aybron grinste und kauerte sich dicht an denBoden.

„Er hat gewußt, daß er ohne den Brightor nichtlänger leben kann“, sagte Losar. Seine Erbitterungklang nicht überzeugend, der mürrische Mann schienirgendein anderes Gefühl damit verbergen zu wollen.Mit einer Handbewegung bedeutete Redhorse demWaffenmeister, daß er zusammen mit Sanchon hinterdie Schuppenwand gehen sollte. Dann ließ sich derCaptain neben Aybron nieder.

„Worauf warten Sie noch?“ knurrte Aybron.

32

Redhorse legte seine Hand auf den verkrüppeltenRücken des anderen. Er spürte die Öffnung, in derder Brightor sich befunden hatte. Aybrons Rückenwar kalt und hart, ein Rücken aus Silberstahl.

Nein, dachte Redhorse, Aybron war kein Problem.Der Astronom schoß auf einen Bunkerkopf, der

sich hervorgewagt hatte.„Gehen Sie endlich!“ zischte Aybron. „Oder

glauben Sie, daß Ihre Indianergötter Sieunverwundbar machen?“

Redhorse lächelte sanft.„Leben Sie wohl, Häuptling“, sagte er und

schnellte hoch.Als er um die Ecke des Schuppens bog, gab

Aybron wieder einen Schuß ab. Weder Losar nochSanchon stellten eine Frage. Redhorse schaute zurflachen Mauer hinüber. Wenn sie sie an dieser Stelleüberkletterten, mußten sie in der Nähe derunterirdischen Räume herauskommen, die Redhorsebereits gesehen hatte. Der Captain hoffte, daß dieTreppe nach oben nicht von Bunkerköpfen besetztwar.

Aybron schoß zweimal hintereinander.Redhorse blickte auf seine eigene Waffe. „Wie viel

Schuß kann man mit diesem Ding abgeben?“ fragteer Losar.

„Ungefähr vierzig“, entgegnete der Waffenmeister.„Ich kann jedoch nicht sagen, wie oft aus AybronsWaffe bereits geschossen wurde, bevor er sie in dieHände bekam.“

Redhorse zuckte mit den Schultern.„Wir versuchen über die Mauer zu kommen“,

ordnete er an. „Auf der anderen Seite führt eineTreppe neben der Zentrale hinauf.“ Er verschwiegden beiden anderen, daß sie mit großerWahrscheinlichkeit vor einem geschlossenen Torstehen würden.

Zwischen Schuppen und Mauer lagen knapp zehnMeter freies Gelände. Redhorse hoffte, daß dieVerfolger so mit Aybron beschäftigt waren, daß siediese offene Stelle nicht beobachteten.

Gemeinsam drangen die drei Männer bis zumäußersten Ende des Schuppens vor. Die Mauer schiendirekt vor ihnen zu liegen - und doch war sieunendlich weit entfernt, wenn der Captain darandachte, was auf der kurzen Strecke alles geschehenkonnte.

„Jetzt!“ befahl Redhorse. Für Lope Losar war eswegen seines verletzten Beines besonders schwierig,die gefährliche Strecke schnell zu überwinden.Trotzdem blieb er fast mit Sanchon auf gleicherHöhe. Redhorses Kopf flog herum, als er hinter demSchuppen hervorkam. Oberhalb des Gebäudes warkein einziger Bunkerkopf zu sehen. Jetzt belltenmehrere Waffen auf einmal. Redhorse war schon aufder Mauer, sah, daß der Boden auf der anderen Seite

fast zwei Meter tiefer war und ließ sich fallen.Elastisch fing er den Aufprall ab. Die Bunkerköpfeschienen zum Generalangriff auf Aybronüberzugehen, denn mindestens zehn Waffen schossenununterbrochen. Sanchon erschien auf demMauersims, dann der Waffenmeister. Sanchonzögerte, als er erkannte, wie tief der Boden unter ihmlag. Dann sprang er. Als er aufprallte, hätte er fastdas Gleichgewicht verloren. Losar schwang sich überdie Mauer und ließ sich am Sims herunterhängen, sodaß er über zwei Meter gewann. Redhorse und derTechniker stellten sich bereit, um ihn abzufangen,doch Losar landete sicher neben ihnen.

„Die Treppe!“ befahl Redhorse.Nebeneinander rannten sie den betonierten Hang

hinauf. Die Löcher, die im Beton eingelassen waren,konnten unmöglich für die metallischen Füße derRoboter geschaffen worden sein. Redhorse nahm an,daß diese Treppe noch für die Zwecke einerGeneration bestimmt waren, die mit denBunkerköpfen nur die Vorfahren gemeinsam hatten.

Gespannt lauschte Redhorse auf das Krachen derExplosion. Solange die Bunkerköpfe noch schossen,war Zantos Aybron am Leben.

Da glitt über ihnen, am Ende der Treppe, ein leererElektrowagen vorbei. Redhorse schaltete blitzartig.Dieses Fahrzeug würde mit Sicherheit in die Zentralefahren.

„Wir müssen den Wagen einholen!“ rief eratemlos. „Schnell jetzt.“

Losar fiel etwas zurück, als Redhorse und Sanchondas Tempo verschärften. Sie erreichten das Ende derTreppe. Der Wagen war bereits zwanzig Meter weiterund näherte sich dem großen Tor. Redhorse schautezurück und bemerkte, wie die Bunkerköpfe hinterdem Schuppen verschwanden. Aybron hatte geradeim richtigen Augenblick aufgehört zu schießen, aberwahrscheinlich nur, weil er nicht mehr schießenkonnte. Mit zusammengebissenen Zähnen rannteRedhorse weiter. Sie kamen näher an dasElektrofahrzeug heran, das von irgendwoferngesteuert wurde.

Die Stiefel der Männer schlugen gegen den festenBoden. Die Rückfront des Wagens kam näher.Redhorse zwang seinem übermüdeten Körper dieletzten Kraftreserven ab. Als das Tor aufschwang,war er noch drei Meter hinter dem Fahrzeug. Mitweitausholenden Sprüngen kam er neben derLadefläche an und schwang sich hinauf. Die Rädersummten, als sie ihre Richtung änderten und auf dassich öffnende Tor zurollten. Da war Oleg Sanchonheran und zog seinen schweren Körper zu Redhorsehinauf. Er keuchte angestrengt. Die Kleiderfetzen,die an ihm herunterhingen, gaben den Blick aufseinen schweißnassen Körper frei. Gemeinsam zogensie Losar auf die Ladefläche, gerade als der Wagen in

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die Zentrale fuhr. Redhorse beobachtete das Tor.Bedächtig hob er die fremde Waffe und zielte aufeine der großen Leitrollen. Zu seinem Erstaunen trafer beim ersten Schuß. Knirschend kam das Tor zumStehen. Damit war der Weg für den Rückzug frei -wenn sie es jemals schaffen sollten, dieses Gebäudewieder zu verlassen. Die Explosion des Schussesmußte alle Bunkerköpfe innerhalb der Zentralealarmieren.

Das Fahrzeug hielt. Die drei Terraner sprangenherunter und gingen hinter einer Maschine inDeckung. Redhorse nahm sich einen Augenblick Zeitzur Orientierung.

„Ungefähr in der Mitte der Halle laufen alleKontrollen zusammen“, erklärte Redhorse den beidenanderen. „Wir werden versuchen, möglichst viel zuzerstören.“

Sie arbeiteten sich zwischen den einzelnenMaschinen hindurch. Ein Bunkerkopf erschien hintereinem Gestell. Bevor er sich von seinerÜberraschung erholt hatte, war Sanchon neben ihmund stieß ihn zur Seite. Der empfindliche Kopf kippteaus der Halsmulde, und der Trägerkörper taumelteorientierungslos umher.

Die drei Raumfahrer hasteten durch einenschmalen Gang, der an einer Reihe von Maschinenentlangführte. Drei unbewaffnete Bunkerköpfezeigten sich am Ende des Ganges. Sie waren offenbarratlos, was sie unternehmen sollten. Redhorsezögerte, auf sie zu schießen, denn er wollte dieübrigen Gegner nicht auf sich aufmerksam machen.

Unmittelbar vor den Stellwänden mit denKontrollen hatten sich zwei Bunkerköpfe postiert, umdie Terraner abzuwehren. Redhorse sah die Beine derRobotkörper durch Löcher in einer Maschinenplatte.Lautlos bewegte sich der Captain voran. Sanchon undLosar umrundeten die Kontrollen, um von deranderen Seite anzugreifen. Geduldig warteteRedhorse, bis seine Begleiter ihr Ziel erreicht hatten,dann kam er hinter seiner Deckung hervor. Diebeiden Bunkerköpfe hatten keine Schußwaffen, dasie anscheinend fürchteten, sie könnten ihre eigenenMaschinen beschädigen. Doch sie waren nichtunbewaffnet. Redhorse erkannte sofort dieGefährlichkeit der Netze, die seine Gegner in denGreifhänden hielten. Er erinnerte sich, daß man ihnmit einem ähnlichen Netz gefesselt hatte, bevor eraus seiner Ohnmacht erwacht war.

Das erste Netz flog heran. Es lag flach in der Luft,als sei es mit unvorstellbaren Kräften geschleudertworden. Redhorse fuhr herum und ließ sich gegen dieVorderwand einer Maschine fallen. Er riß die Waffehoch, doch als er abdrückte, löste sich kein Schuß.Das Netz klatschte neben ihm gegen das Metall undsank zu Boden. Dann begann es auf den Captainzuzukriechen. Es sah aus, als bewegten sich hundert

Schlangen auf Redhorse zu. Im gleichen Augenblickbegannen Sanchon und der Waffenmeister mit ihrerZerstörungsarbeit. Krachend löste sich eineStellwand aus ihrer Verankerung. Tausende vonKabelenden wurden herausgerissen.Stromentladungen knatterten. Der größte Teil allerSchaltungen verschmorte.

Mit einem Satz sprang Redhorse über das Netzhinweg. Die Bunkerköpfe kümmerten sich nichtlänger um ihn, sondern beeilten sich, auf die andereSeite zu kommen.

„Vorsicht vor dem Netz!“ schrie Redhorse denbeiden anderen zu.

Er schlug gegen die Waffe und versuchte abermalszu schießen. Wieder erfolgte keine Explosion. Hastigkroch das Netz hinter ihm her, über die Trümmer derKontrollen hinweg.

Da kippte die zweite Stellwand um. Sie traf diebeiden Bunkerköpfe, die nicht mehr ausweichenkonnten und unter den Kabelbergen begrabenwurden. Unter Hochspannung stehende Drähtekamen mit den Robotkörpern in Berührung. Das wardas Ende der beiden Wesen. Aus den Metallschädelnsprühten Lichtkaskaden. Überall kam es zuKurzschlüssen. An weiter entfernten Stellen derHalle hörten Maschinen auf zu arbeiten. Fast alleBildschirme wurden dunkel.

Redhorse wich einem frei in der Luft pendelndenKabelstrunk aus. Sanchon und Losar beschäftigtensich mit mehreren großen Schaltkasten.

Der Captain rief Losar zu sich und übergab ihmdie Waffe.

„Sie funktioniert nicht“, sagte er. „Versuchen Sie,sie wieder in Ordnung zu bringen.“

Der Waffenmeister kümmerte sich um denfremden Karabiner. Redhorse half Sanchon dabei, dieSchaltkästen aufzubrechen und umzustürzen. Überden zerstörten Stellwänden schlugen blaue Flammenhoch. Es stank nach verschmorter Isolation.

Da schlug unmittelbar neben Redhorse einExplosivgeschoß ein. Sanchon und er lagen fastgleichzeitig auf dem Boden. Mehrere Bunkerköpfekamen im Eiltempo zwischen den Maschinen hervor.Auch Losar war in Deckung gegangen. Redhorse sah,daß aus den Trümmern der Stellwände eines derNetze auf den Waffenmeister zukroch. Er rief Losareine Warnung zu. Unschlüssig verhielten dieBunkerköpfe vor den Überresten ihrerKontrollanlagen. Redhorse wußte, was dieZerstörung für die Fremden bedeuten mußte, doch erwar nicht hier, um sich über den Fortbestand dieserLebensform Gedanken zu machen. Sein Ziel war es,der zweitausend Mann starken Besatzung der CRESTII Aktionsfreiheit zu verschaffen. Die BewohnerLlalags hatten den Krieg eröffnet, als sie denOldtimer abschossen. Es bestand kein Zweifel daran,

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daß sie jeden weiteren Flugkörper, der in den Bereichihrer Waffen kam, ebenfalls vernichten würden.Noch schlimmer war für Redhorse der Gedanke, daßeinige Besatzungsmitglieder der CREST lebend indie Hände dieser Wesen fallen könnten. Ein solchesSchicksal war schlimmer als der Tod. Diese Gefahrwar für Losar, Sanchon und ihn noch nicht gebannt.

Als die Bunkerköpfe sich wieder in Bewegungsetzten, um die Überreste der Kontrollen zuumgehen, hatte Losar den Grund für das Versagender fremden Waffe gefunden. Ununterbrochenfeuernd, zog er sich bis neben den Captain undSanchon zurück.

Redhorse deutete auf die großen Bildschirme, dieringsum über den Maschinen standen. Losar nickteverstehend, schnell hintereinander gab er eine Serievon Schüssen ab. Wütendes Feuer der Verfolger wardie Antwort, doch die Geschosse wurden von derMaschine abgehalten, die die Terraner als Deckungbenutzten. Die Bildschirme zerbarsten, dieimplodierenden Vakuumröhren vollendeten dieZerstörung.

„Das muß genügen“, schrie Redhorse, um denLärm zu übertönen. „Jetzt wird es Zeit, daß wirversuchen, hier wegzukommen.“

Lope Losar gab das Gewehr an Redhorse zurück.Ein Blick in die Gesichter der beiden Männergenügte dem Cheyenne, um festzustellen, daß siesich der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit näherten.Wahrscheinlich waren sie schon viel länger als zehnStunden in der Festung. Die wenigenNahrungskonzentrate, die sie mit sich geführt hatten,reichten nicht aus, um die verbrauchten Energien zuersetzen. Redhorse fiel es schwer, seine Gedanken ingeordnete Bahnen zu lenken.

„Der direkte Weg zum Tor ist uns versperrt“, sagteer. „Wir umgehen die zerstörten Kontrollen.“

Jetzt erwies es sich als Vorteil, daß dieMaschinenanlagen der Bunkerköpfe so dichtbeieinander standen. So konnten sich die dreiRaumfahrer von der CREST immer in guter Deckunghalten. Das würde sich erst ändern, wenn sie dieHalle verlassen wollten.

Die Bunkerköpfe hatten aufgehört zu schießen undwarteten offenbar darauf, daß sich die Flüchtlingezeigen würden. Der Lärm der brennenden Anlagenwar noch immer so stark, daß Redhorse nicht hörenkonnte, ob außerhalb der Halle noch geschossenwurde.

Redhorse führte seine Begleiter auf großenUmwegen dem Tor entgegen. Die Bunkerköpfekonnten unmöglich alle Verstecke beobachten, die esin der Halle gab. Der Captain achtete darauf, daß sieimmer in unmittelbarer Nähe der Maschinen blieben.Immer wieder klangen Schüsse auf. Die Bunkerköpfeschossen jetzt anscheinend auf alles, was sich

bewegte. Redhorse war entschlossen, seine Munitionzu sparen, bis sie den entscheidendenAusbruchsversuch wagen konnten.

Als sie noch dreißig Meter vom Eingang entferntwaren, mußte sich Sanchon erschöpft gegen einenBetondeckel lehnen. Sein Gesicht leuchtete gelb, diedicken Wangen sahen wächsern aus. Auch LosarsAugen lagen in tiefen Höhlen. Dennoch erkannteRedhorse befriedigt, daß der Wille der Männerungebrochen war.

In ihrer unmittelbaren Nähe suchten einige Gegnerdie Rückfront eines Maschinenblocks ab. Dannverschwanden sie zwischen hohenBlechverkleidungen. Der Brand, der an denKontrollen begonnen hatte, schien sich weiterauszubreiten. Inmitten der Halle stiegen dunkleRauchwolken in die Höhe.

Redhorse schlich aus der Deckung heraus, um denEingang zu beobachten. Er atmete auf, als er sah, daßnur fünf Bunkerköpfe am Tor Wache Welten. Dieübrigen waren entweder damit beschäftigt, den Brandzu löschen, oder sie suchten die Eindringlinge.Redhorse kehrte zu Losar und dem Techniker zurück.

„Um hier herauszukommen, müssen wir fünfdieser Burschen unschädlich machen“, sagte derCaptain und hob eine Hand. „Sie sind alle bewaffnet,doch ihre Aufmerksamkeit gilt mehr den Dingen, dieim Mittelpunkt des Gebäudes im Gange sind.“Nachdenklich setzte er hinzu: „Wahrscheinlichrechnen sie überhaupt nicht damit, daß wir hier nocheinmal auftauchen.“

Deprimiert schaute Losar auf ihre einzige Waffe,die Redhorse in der Hand hielt. Der Captain las imGesichtsausdruck des Mannes in diesem Augenblickwie in einem Buch. Er brachte ein Lächeln zustande.

„Sie werden überrascht sein, wenn wir plötzlicherscheinen“, sagte er.

„Ich glaube, wir haben es Aybron zu verdanken,wenn wir hier herauskommen“, bemerkte Sanchon.

Der Waffenmeister nickte zustimmend. „Dasstimmt, Sir. Die Roboter bewegen sich so langsam,daß wir eine Chance haben.“

Redhorse strich über sein blauschwarzes Haar, dasihm jetzt in wirren Strähnen im Gesicht hing.Natürlich hatte Losar recht, wenn er behauptete, daßsich die robotischen Trägerkörper verhältnismäßigunbeholfen bewegten. Der Waffenmeister vergaßjedoch, daß auch die Reaktion eines erschöpftenMannes nicht mehr die beste ist.

Mit beiden Händen umklammerte Redhorse dieWaffe, die einmal einem Gegner gehört hatte. Erkonnte jetzt damit umgehen, als wäre sie in einerterranischen Fabrik hergestellt worden.

„Wir brechen aus“, entschied er. „Ich mache denAnfang und nehme die fünf Bunkerköpfe unterFeuer. Ich weiß nicht, ob es gelingen wird, alle

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auszuschalten. Sobald ich zu schießen anfange,müssen Sie beide den Eingang zu erreichenversuchen. Keiner darf sich darum kümmern, wenneiner von uns zurückbleibt. Es ist wichtig, daßwenigstens einer bis zur CREST durchkommt, umPerry Rhodan einen genauen Bericht zu geben.“

„Einverstanden“, erklärte Sanchon. Losar nicktenur.

Captain Redhorse hob eine Hand.„H'gun“, sagte er. „Nur Mut.“

*

Als Redhorse aufgerichtet aus der Vertiefunghinter der Maschine hervorkam, drehten sich diegroßen Köpfe der Roboter fast gleichzeitig, als seiensie Teilnehmer einer gespenstischen Pantomime. Indem Cheyenne waren alle Gewissensbisse gegenüberden Bewohnern der Festung erstorben. Er kämpftenicht nur für sich, sondern stellvertretend für alleMenschen, die in dieser schrecklichen Falle desKunstplaneten Horror gefangen waren. Es ging hierum eine Auseinandersetzung in viel größeremRahmen. Wenn die Menschheit in ihremVorwärtsstreben nicht stillstehen wollte, dann war siegezwungen, die Hindernisse auf der Straße nachAndromeda zu überwinden.

Jede einzelne dieser Transmitterfallen stellte eineungeheure Herausforderung an die Menschheit dar.Dieser Herausforderung konnte man nicht begegnen,indem man untätig die nächsten Schritte des Gegnersabwartete. Den gewaltigen kosmischen Kampfkonnte nur der gewinnen, der entschlossen um seinRecht kämpfte. Die Meister der Insel - der einzigeName, den man im Augenblick für die Herren vonAndromeda kannte - hatten allein durch dieErrichtung des Ringes von Wachstationen bewiesen,daß sie nicht bereit waren, Besuchern aus derMilchstraße friedlich zu begegnen.

Die Wesen, gegen die Redhorse jetzt zu kämpfengezwungen war, glichen unwissenden Sklaven, dienichts mehr von ihren Herren wußten. Zorn erwachtein Redhorse, wenn er daran dachte, daß die Meisterder Insel rücksichtslos ganze Völker für ihre Zweckeeingesetzt hatten.

Auch die Überreste der Oberflächenwesen vonHorror waren im Grunde nichts anderes, alsWerkzeuge der Herren von Andromeda. Zwar warensie längst nicht mehr jene Lebensformen, als man sieauf Horror abgesetzt hatte, doch sie erfüllten ihrenZweck in noch viel schlimmerer Weise als ihreunbekannten Bezwinger es vielleicht gehofft hatten.Allein der Potential-Verdichter, der in einem Kriegzwischen den Wesen der dritten Etage mit denjetzigen Bunkerköpfen entstanden war, bedeuteteeine zusätzliche Verstärkung für die Falle auf Horror.

Diese Gedanken schossen durch Redhorses Kopf,als er auf die fünf Wächter am Tor zu feuern begann.Gleichzeitig dachte er noch an Zantos Aybron, dersein Leben eingesetzt hatte, um ihnen zu helfen.

Redhorse feuerte zwischen kurzen Sprüngen.Hinter ihm rannten Losar und Sanchon dem Eingangentgegen. Der Captain schaltete zwei Gegner aus,bevor diese überhaupt begriffen hatten, woher derAngriff kam. Die ersten Schüsse, die die dreiverbleibenden Bunkerköpfe abgaben, warenungezielt und trugen nur dazu bei, die Zerstörunginnerhalb der Halle zu vergrößern.

Redhorse traf den dritten Feind, bevor Sanchonaufschrie und seine rechte Schulter mit der linkenHand umklammerte. Aus den Augenwinkeln sahRedhorse, daß Sanchon nicht stehenblieb, sondernmit schmerzverzerrtem Gesicht auf den Eingangzustürmte.

Zwei, drei Geschosse jaulten über den Captainhinweg, dann fiel der vierte Bunkerkopf. Sie warenjetzt so dicht am Tor, daß Redhorse nicht mehr zielenmußte. Trotzdem stand der letzte Widersacher nochsicher auf den Beinen. Redhorse spürte, wie ihn zweiGeschosse knapp verfehlten, dann kippte der Kopfdes letzten Wächters plötzlich zur Seite, als sei ervöllig gewichtslos. Der Trägerkörper torkelte denMännern entgegen.

Redhorse nahm sich Zeit, nach Sanchon zublicken. Die Schulter des Technikers blutete und hingnach unten.

Trotzdem brachte Sanchon soviel Energie auf, sichnach einer Waffe zu bücken. Auch Losar versorgtesich mit einem Bunkerkopfgewehr. Vor der Hallewar kein einziger Roboter zu sehen. Den organischenÜberbleibseln mußte die Fähigkeit für koordiniertesHandeln völlig verlorengegangen sein. Das - und dieLangsamkeit der Trägerkörper - erhöhte dieAussichten der drei Männer, lebend aus Llalagherauszukommen.

*

Als Redhorse, Losar und Sanchon beim Eckturmankamen, durch den sie die Festung betreten hatten,war es ihnen gelungen, den größten Teil derVerfolger abzuschütteln. Nachdem sie alle dreiwieder bewaffnet waren, mußten die Bunkerköpfevorsichtiger sein. Die große Werkhalle hatten siegetrennt durchquert, so daß sich die arbeitendenBunkerköpfe nicht konzentriert an der Jagd nach dendrei Männern beteiligen konnten.

Sanchon und Losar hatten unter ihrenVerwundungen zu leiden, doch Redhorse konntesicher sein, daß seine beiden Begleiter nichtaufgaben. Als sie zusammen das Innere des Eckturmsbetraten, fühlte Redhorse, daß er von neuen Kräften

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belebt wurde. Die Nähe der Freiheit ließ ihn seineMüdigkeit vergessen.

Sanchon beobachtete den Gang, durch den siegekommen waren, während Losar zum Ausgangrannte, um festzustellen, ob die Tür verschlossen war.Der Waffenmeister konnte die Tür öffnen. Er spähtehinaus und winkte den beiden anderen zu.

„Der Vorhof des Turmes ist leer!“ rief er.Sanchon kam von seinem Beobachtungsposten zu

Redhorse.„Ich konnte die Verfolger bereits hören“, sagte er.

„Sie scheinen sich jetzt zu einer größeren Gruppezusammengeschlossen zu haben.“

Redhorses Gesicht verdüsterte sich. Er hatte bisherangenommen, daß die Bunkerköpfe nur ungern insFreie kamen. Jetzt sah es so aus, als würde man sieauch noch verfolgen, wenn sie Llalag schon längstverlassen hatten.

Lope Losar hatte bereits den Vorhof überquert, alsdie beiden anderen aus dem Turm kamen. Die erstenSchüsse klatschten neben der Tür in die Wände.Redhorse drückte den Eingang zu. Er schaute zumTurm hinauf.

Sanchon nickte verstehend. „Wenn sie auf denGedanken kommen, uns von dort oben unter Beschußzu nehmen, wird es gefährlich“, sagte er.

„Allerdings“, gab Redhorse zu. „Während ein paarGegner uns von dort oben in Schach halten, brauchenuns die anderen nur zu umgehen.“

Losar erwartete sie bereits ungeduldig außerhalbder Mauer.

„Das Tor zur Hölle“, knurrte der Waffenmeister.„Lebend bekommt man mich nicht wieder hinein.“

Redhorse blickte an der schmutzigen Außenmauerentlang. Die Spuren des allgemeinen Zerfalls warenüberall deutlich zu sehen. Trotzdem konnten nochJahrhunderte vergehen, bis die Mauern von Llalageinstürzen würden. Zu diesem Zeitpunkt, vermuteteRedhorse, würde es keine Bunkerköpfe mehr geben.Wenn sie nicht an Nahrungsknappheit starben,würden sie an Unfähigkeit zugrunde gehen, ihreHandlungen aufeinander abzustimmen.

Ein schmaler Pfad führte auf die erstenFelsformationen zu. Früher war er viel größergewesen und hatte zu einer ausgebauten Straßegehört. Nun war alles verschüttet und zugeweht. Alsdie Bunkerköpfe die abgesprungenen Männergefangengenommen hatten, waren sie vielleicht seitJahrzehnten zum erstenmal wieder aus ihrer Festungherausgekommen.

Die drei Raumfahrer hatten kaum die vorderenFelsen erreicht, als hinter ihnen geschossen wurde.Die Terraner verließen den Weg und setzten ihreFlucht zwischen den Felsen fort, wo sie bessereDeckungsmöglichkeiten hatten. Redhorse blieb etwaszurück, um die Verfolger zu beobachten. Er stellte

fest, daß sie von über zwanzig Bunkerköpfen verfolgtwurden. Die robotischen Trägerkörper kamen nichtso schnell voran wie die Männer, doch Redhorseahnte, daß sie ausdauernder sein würden. Die nuracht Meter hohen Hügel der Sandkuchenbergebildeten für die Menschen gewaltige Achttausender.Redhorse war sich darüber im klaren, daß ihnen nochgroße Strapazen bevorstanden, bevor sie denTalkessel erreichen würden. Er rechnete zwar damit,daß sie keine schwierigen Hindernisse überwindenmußten, aber die Verletzungen Losars und Sanchonsverhinderten, daß sie ununterbrochen marschierenkonnten. Sobald sie zum Klettern gezwungenwurden, mußte Redhorse auf die beiden anderenRücksicht nehmen.

Sie kamen gut voran und konnten den Abstandzwischen sich und dem Gegner ständig vergrößern.Sanchon und Losar machten zuversichtlicheBemerkungen. Die schmerzverzerrten Gesichter derbeiden Männer sprachen jedoch eine andere Sprache.Der Zeitpunkt würde kommen. da sie eine längerePause einlegen mußten.

Nur noch vereinzelte Schusse klangen auf. DieBunkerköpfe hatten eingesehen, daß sie imAugenblick die Entflohenen nicht ernsthaft gefährdenkonnten. Redhorse widmete jedoch dernachfolgenden Gruppe weiterhin seineAufmerksamkeit und orientierte sich über den Weg,den sie nahm. Er wollte nicht von Gegnernüberrascht werden, denen es gelungen war, ihnen denWeg abzuschneiden.

Brütende Hitze lastete über den Felsen. Sie trugnicht dazu bei, den Zustand der erschöpften Männerzu verbessern. Redhorse sehnte sich nach einemkühlen Luftzug, doch es sah nicht so aus, als solltesich sein Wunsch erfüllen. Noch immer kamen siegut voran. Es gab keine steilen Abhänge zuüberwinden. Die Felsen waren so beschaffen, daß dieMänner wie auf Treppen absteigen konnten.

Redhorse trug alle drei Waffen, um denVerwundeten etwas Erleichterung zu verschaffen. Erschätzte, daß sie bereits einen Vorsprung von überzweihundert Metern gegenüber den Verfolgernhatten. Die Festung lag etwa tausend Meter zurück -alles vom Standpunkt eines zwei Millimeter großenMannes gerechnet.

Dann stolperte Losar über einen Stein und bliebliegen. Sofort waren Sanchon und Redhorse nebenihm.

„Das verletzte Bein!“ rief der Waffenmeister undstöhnte.

Sanchon blickte zur Festung zurück. Losarversuchte zu grinsen, als er erriet, was der Technikerbefürchtete.

„Ruhen Sie sich aus!“ befahl Redhorse barsch.„Ich werde versuchen, die Wunde zu verbinden.“

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Sanchon zog sich widerspruchslos zurück undhockte sich auf einen Felsbrocken. Redhorseuntersuchte die Wunde in Losars Wade. DieDurchschußstelle blutete wieder. Getrocknetes Blutklebte am gesamten Bein. Redhorse löste denschmutzigen Verband und zog einen neuen aus seinerTasche. Das würde Losars Schmerzen nicht lindern,aber es konnte ihn moralisch aufrichten.

Als der Captain mit dem Verband fertig war,begannen die Verfolger wieder zu schießen. Siewaren bis auf fünfzig oder sechzig Meterherangekommen. Sanchon erwiderte das Feuer.

Redhorse zog den Waffenmeister hoch.„Werden Sie gehen können?“Er hörte, wie Losar mit den Zähnen knirschte.„Ja“, sagte der Waffenmeister.Redhorse hob die beiden Waffen vom Boden und

ließ sich von Sanchon die dritte geben. Sie setzten dieFlucht fort. Losar kam nur noch langsam voran.Redhorse mußte ihn bei jedem größeren Felsenstützen, den zu überklettern sie gezwungen waren.Das Echo des Gewehrdonners hallte in ihren Ohrenwider. Im Augenblick konnten sie jedoch nur voneinem Zufallstreffer aufgehalten werden.

Die Hartnäckigkeit, mit denen die Bunkerköpfehinter ihnen blieben, erstaunte Redhorse. Er hattenicht damit gerechnet. Es war unwahrscheinlich, daßdie Bewohner Llalags von Rachegefühlenangetrieben wurden. Redhorse nahm an, daß sie vorallem wegen ihrer Ernährungsprobleme hinter ihnenher waren.

Nachdem sie weitere dreihundert Meterzurückgelegt hatten, sagte Lope Losar: „Ich glaube,ich muß zurückbleiben.“

Redhorse erkannte, daß nun der kritische Zeitpunktgekommen war, den er befurchtet hatte. Losar war somüde und erschöpft, daß er nicht mehr gegen seineSchmerzen ankämpfen konnte. Im Augenblick wollteder Waffenmeister lieber gegen eine zwanzigfacheÜbermacht kämpfen, als den Abstieg fortsetzen.Redhorse wußte, daß es nur ein Mittel gab, Losar zueiner letzten, übermenschlichen Anstrengung zubewegen. Er fixierte den Waffenmeister verächtlich.

„Ich wußte, daß Sie es nicht schaffen würden“,sagte er spöttisch. „Von Anfang an rechnete ichdamit, daß Sie der schwächste Mann der Gruppesind.“

Der schmerzliche Ausdruck in Losars Gesichtverschwand und machte grenzenloser ÜberraschungPlatz. Wäre Losar nicht so erschöpft und eines klarenGedankens fähig gewesen, er hätte denpsychologischen Trick Redhorses sofort durchschaut.Doch Losar war ein Mann, der das Äußerste gegebenhatte, der in keiner Sekunde die geringste Schwächegezeigt hatte - bis zu diesem Augenblick.

„Das dürfen Sie nicht sagen, Captain!“ rief er

erregt. Auch Sanchon protestierte. Redhorse wußtenicht, ob die Empörung des Technikers echt war oderob sie ihn bei seinem Vorhaben unterstützen sollte.

„Sie haben überhaupt nicht die Absicht, gegen dieBunkerköpfe zu kämpfen“, erklärte Redhorsegelassen. „Sie wollen sich ergeben, nur um sich dieStrapazen des weiteren Abstiegs zu ersparen.“

Losar humpelte auf Redhorse zu. Sein Gesicht warvor unbeherrschter Wut entstellt. Er holte aus, umnach Redhorse zu schlagen, doch der Captain ducktesich und lachte höhnisch. Ohne sich noch weiter umLosar zu kümmern, ging er weiter. Er wagte nicht,sich umzudrehen. Er konnte nur hoffen, daß Losarund Sanchon ihm folgten.

Die Bunkerköpfe begannen wieder zu schießen.Bestürzt erkannte Redhorse, daß Losar und Sanchonzurückgeblieben waren. Nun blieb ihm nur noch eineMöglichkeit. Er ließ alle drei Waffen zu Boden fallenund setzte die Flucht unbewaffnet fort. Mit vollerAbsicht bewegte er sich langsamer. Er wußte genau,was er riskierte, aber als er neben sich Steine nachunten rollen sah, unterdrückte er nur mit Mühe einLächeln. Kurz darauf hatten Sanchon und Losar ihneingeholt.

„Sie können sicher sein, daß ich unten ankomme“,krächzte Losar erbittert. „Ich gehe noch tausendMeilen weiter als Sie, Redhorse.“

„Hookahey, wasicun!“ sagte Redhorse ruhig.„Gehen wir, weißer Mann.“

Die Eile, mit der Captain Sven Henderson in dieZentrale kam, ließ Perry Rhodan sofort vermuten,daß sich irgend etwas ereignet hatte. Er trat demOffizier erwartungsvoll entgegen.

„Die Beobachter haben in der Nähe der nördlichenBergkämme Lebewesen festgestellt“, berichteteHenderson aufgeregt. „Durch dieBeobachtungsgeräte sieht es so aus, als nähere sichjemand von dort oben dem Talkessel.“

Rhodan verstand die Erregung des Captains, derals einer der besten Freunde Redhorses galt.

„Konnten schon Einzelheiten ausgemachtwerden?“ fragte Rhodan.

„Es scheint sich um zwei Gruppen zu handeln“,sagte Henderson, während sich auch die anderenOffiziere um ihn drängten. „Drei einzelne Gestaltenbewegen sich etwa hundert Meter vor einer größerenGruppe die über zwanzig Einzelwesen umfassensoll.“

Rhodan dachte einen Augenblick nach.„Der Start des zweiten Oldtimers wird

aufgeschoben, bis diese Angelegenheit geklärt ist“,entschied er dann.

Atlan kam an seine Seite.„Glaubst du, daß die CREST angegriffen werden

soll?“ fragte der Arkonide.„Dann würde es sich um eine recht dürftige

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Streitmacht handeln“, erwiderte Icho Tolot anRhodans Stelle. „Logischer scheint es zu sein, diedrei Gestalten an der Spitze als Flüchtlinge zubezeichnen, die von der stärkeren Gruppe verfolgtwerden.“ Der Haluter wandte sich an Rhodan. „Washalten Sie davon, wenn ich jetzt in die Berge geheund mich dort umsehe?“

Die Frage war drängend gestellt. Rhodan wardankbar, daß Tolot ihm die Entscheidung überließ.Wenn die drei unbekannten Wesen, die man entdeckthatte, zu Redhorses Gruppe gehörten, dannbenötigten sie zweifellos Hilfe. Es konnte sich jedochauch um Feinde handeln, die mit dem Plan kamen,die CREST anzugreifen.

„Gehen Sie, Tolot“, sagte Rhodan schließlich. „Ichbitte Sie jedoch sofort umzukehren, wenn Siefeststellen, daß ein Angriff bevorsteht.“

„Einverstanden“, gab Tolot zurück und verließ dieZentrale. Henderson sah bedauernd hinter ihm her.Rhodan vermutete, daß der Captain dem Haluter gerngefolgt wäre.

Rhodan gab den Befehl, alle noch vorhandenenMaschinenkarabiner unter der Besatzung aufzuteilen.Mehrere Wachen wurden aufgestellt. Auch im Innernder CREST wurden alle Vorkehrungen getroffen, umeinen eventuellen Angriff zurückschlagen zu können.

Die Beobachtungsposten wurden verstärkt.Allerdings waren die Unbekannten noch viel zu weitentfernt, als daß man Einzelheiten hätte feststellenkönnen.

Die Spannung, die durch das Auftauchen derFremden an den nördlichen Hängen entstanden war,nahm Rhodan im Augenblick die Sorge um diegeistige Gesundheit der Besatzung. Endlich hattendie Männer etwas, womit sie sich beschäftigenkonnten. Ihre Gedanken würden sich wieder umandere Dinge drehen, als um das Problem derfürchterlichen Verkleinerung. Auch Atlan schiendieser Ansicht zu sein, denn er sagte zu seinemterranischen Freund: „Im Augenblick hätten wir unskein anderes Ereignis wünschen können, Barbar.“

Rhodan nickte. „Wenn Tolot sagt, daß es sich beiden drei vorderen Gestalten um Flüchtlinge handelt,können wir fast sicher sein, daß er recht hat. SeinPlangehirn kann alle Daten blitzschnell zu einemlogischen Ergebnis verarbeiten.“

„Drei Flüchtlinge“, sinnierte Mory Rhodan-Abro.„Das bedeutet unter Umständen, daß zwei Männeraus Redhorses Gruppe nicht mehr am Leben sind.“

Rhodan schaute schweigend zumPanoramabildschirm hinüber, der wie alle anderenaußer Funktion war. Sollte die Planetenfalle weitereOpfer gefordert haben? Er hoffte, daß Redhorse undseine Begleiter vollzählig zurückkommen würden.

Vielleicht konnten die Männer Dinge berichten,die einen Ausweg aus der augenblicklichen Situation

zeigten.Rhodan dachte an den Nachschub, der unterwegs

war. Bis die Hilfe von Terra eintraf, mußten sie eineLösung gefunden haben, wenn sie vermeidenwollten, daß weitere Menschen in die Falle Horrorsgerieten.

Doch wie, so fragte sich Perry Rhodanbeklommen, wollten zwei Millimeter große WesenMänner von normaler Statur warnen?

Mikro- und Makrokosmos waren völligverschiedene Welten. Ja, man konnte schon fast vonverschiedenen Dimensionen sprechen.

Niemand hatte das je deutlicher erfahren als dieBesatzung der CREST II.

*

Captain Don Redhorse war so erschöpft, daß selbstdie Feststellung, daß die Bunkerköpfe die Verfolgungaufgegeben hatten, ihn nicht mehr zu einerGefühlsregung bewegen konnten. Er ging einfachweiter. Es war kein eigentliches Gehen mehr,sondern ein stumpfsinniges Vorwärtstaumeln, ohneGefühl für Raum oder Zeit. Er nahm die beidenanderen Gestalten, die irgendwo hinter ihm vonFelsformation zu Felsformation schwankten, kaumnoch wahr. Alle drei hatten jenen Zustand erreicht, daein Mensch aufhört, Schmerzen zu empfinden. Siewürden jetzt weitergehen, bis sie bewußtloszusammenbrachen. Und danach würden sie nichtwieder aufstehen.

Ein winziger Teil von Redhorses Verstandarbeitete noch. Ein verborgener Instinkt half ihm,unüberwindbare Felsen zu umgehen oder sicher aufdie andere Seite eines Spalts zu gelangen.

Die geschwollene Zunge des Captains konnte seinerissigen Lippen nicht mehr befeuchten. Redhorseglaubte, anstelle eines Körpers ein ausgehöhltesEtwas mit sich zu schleppen, in dem jeder einzelneSchritt Erschütterung verursachte.

Plötzlich blieb er stehen und hob die Hand überseine entzündeten Augen. Tief unter ihm ragte derobere Teil einer Metallkugel über die Felsen.Redhorse begriff, daß er ein Stück der CREST II sah.Sie war immer noch so weit entfernt, daß Redhorsesie nie erreichen konnte.

Er fühlte keine Trauer, noch nicht einmalEnttäuschung. Neben ihm machten die beidenanderen halt.

„Das Schiff!“ brachte Sanchon hervor. Im gleichenAugenblick schien er zu begreifen, wie schrecklichweit es noch entfernt war, und er gab ein eigenartigesGeräusch von sich - wie ein verwundetes Tier. Daerschien eine mächtige, dunkle Gestalt unter ihnenzwischen den Felsen. Es war der Haluter Icho Tolot,der mit unglaublicher Geschwindigkeit auf sie

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zustürmte.Redhorses schlanker Körper straffte sich. Er bliebstehen, als Sanchon und der Waffenmeister an ihmvorbeitaumelten, um dem Haluter entgegenzugehen.„Woyuonihan!“ Redhorses linke Hand glitt zur Stirn,um den uralten indianischen Gruß zu unterstreichen.„Hun-hun-he!“ brachte er über die ausgetrockneten

Lippen. „Ich bin zu meinem Volk heimgekehrt.“

E N D E

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