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439 Die ,,minimalen Riiame" im KSrper. Von P. Schiefferdecker. Es ist wahrscheinlich, dass es im KSrper Spaltraume gibt, welche so rein sind, dass sie mit unseren Mikroskopen nicht er- kennbar sind. Trotzdem sie so fein sind, ist man gen~tigt, anzu- nehmen, dass diese Raume ffir die Ernahrung bestimmter Ge- websteile yon grosser Bedeutung sind. Ich babe schon im Jahre 1887 einen solchen Raum beschrieben (5), den ,periaxialen Spaltrnum" der markhaltigen Nervenfaser, und bin vor kurzem in einer neueren Arbeit (6) wieder auf diese Frage bei der Be- sprechung des Baues der Nervenfaser eingegangen. In einem Vortrage, den ich am 21. Mai dieses Jahres in der Nieder- rheinischen Gesellschaft ffir bTatur-und Heilkunde in Bonn hielt, habe ich dann allgemeiner fiber das Vorkommen yon ,minimalen Raumen" im K0rper gesprochen und m0chte auch in dieser kurzen Arbeit die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese, meiner Meinung nach, so wichtigen Raume lenken. Gut ausgesprochene Beispiele ftir diese ,minimalen Raume" finden wir in der B i n d e g e w e b s- gruppe und im ~'ervengewebe. Eins der klarsten Beispiele liefert das Knochengewebe. Die feste Knochenmasse ist be- kanntlich ausser yon den H a v e r s schen Khnifichen durchsetzt yon einem ausserordentlich reichen Netzwerke, das aus den Knochen- l~lcken und den yon diesen ausgehenden, sie untereinander ver- bindenden feinen KanMchen besteht. In den Knochenlticken liegen die Knochenzellen und in den Kanalchen die Fortsatze diesel', die mit denen benachbarter Zellen anastomosieren. Sehr schSne Bilder yon solchen Knochenzellen und den Anastomosen zwischen ihren Fortsatzen hat uns V iv ante (4) gegeben. Vorher schon hatte Renaut (1. p. 491 ft.) in seinem schSnen Werke nachge- wiesen, dass die Knochenzellen weithin in die KanMchea ihre Fortsatze hineinschicken, mit anderen Zellen anastomosieren, und class sowohl die Zellen wie ihre Fortsatze die Lficken und KanMchen, in denen sie liegen: vSllig ausffillen. Auch ich habe in meiner Gewebelehre (2, S. 305) nach meinen Praparaten an- genommen, dass die Knochenzellen die Lficken vollstandig aus- 29*

Die ”minimalen Räume“ im Körper

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Die ,,minimalen Riiame" im KSrper. Von

P. Schiefferdecker.

Es ist wahrscheinlich, dass es im KSrper Spaltraume gibt, welche so rein sind, dass sie mit unseren Mikroskopen nicht er- kennbar sind. Trotzdem sie so fein sind, ist man gen~tigt, anzu- nehmen, dass diese Raume ffir die Ernahrung bestimmter Ge- websteile yon grosser Bedeutung sind. Ich babe schon im Jahre 1887 einen solchen Raum beschrieben (5), den ,periaxialen Spaltrnum" der markhaltigen Nervenfaser, und bin vor kurzem in einer neueren Arbeit (6) wieder auf diese Frage bei der Be- sprechung des Baues der Nervenfaser eingegangen. In einem Vortrage, den ich am 21. Mai dieses Jahres in der Nieder- rheinischen Gesellschaft ffir bTatur-und Heilkunde in Bonn hielt, habe ich dann allgemeiner fiber das Vorkommen yon ,minimalen Raumen" im K0rper gesprochen und m0chte auch in dieser kurzen Arbeit die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese, meiner Meinung nach, so wichtigen Raume lenken. Gut ausgesprochene Beispiele ftir diese ,minimalen Raume" finden wir in der B i n d e g e w e b s- g r u p p e und im ~ ' e r v e n g e w e b e . Eins der klarsten Beispiele liefert das K n o c h e n g e w e b e . Die feste Knochenmasse ist be- kanntlich ausser yon den H a v e r s schen Khnifichen durchsetzt yon einem ausserordentlich reichen Netzwerke, das aus den Knochen- l~lcken und den yon diesen ausgehenden, sie untereinander ver- bindenden feinen KanMchen besteht. In den Knochenlticken liegen die Knochenzellen und in den Kanalchen die Fortsatze diesel', �9 die mit denen benachbarter Zellen anastomosieren. Sehr schSne Bilder yon solchen Knochenzellen und den Anastomosen zwischen ihren Fortsatzen hat uns V iv a n t e (4) gegeben. Vorher schon hatte R e n a u t (1. p. 491 ft.) in seinem schSnen Werke nachge- wiesen, dass die Knochenzellen weithin in die KanMchea ihre Fortsatze hineinschicken, mit anderen Zellen anastomosieren, und class sowohl die Zellen wie ihre Fortsatze die Lficken und KanMchen, in denen sie liegen: vSllig ausffillen. Auch ich habe in meiner Gewebelehre (2, S. 305) nach meinen Praparaten an- genommen, dass die Knochenzellen die Lficken vollstandig aus-

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fiillen; ich sagte: ,der Raum zwischen dem Zelleib und der Wand der KnochenhGhle kann meiner Meinung nach nur ein sehr schmaler Spalt sein." Nun ist es zweifellos, dass dutch dieses Lficken- und Kanalchenwerk fortwahrend ein Fli]ssigkeitsstrom hindurchgehen muss, in welchem einmal die aus den Blutgefassen ausgetretene Ernahrungsfliissigkeit enthalten ist, die den Knochen- zellen zugefiihrt wird, und in dem weiter die Abscheidungsstoffe dieser Zellen fortgefiihrt werden. Dass dieser Strom innerhalb der ZellkGrper und ihrer Fortstttze geleitet werden sollte, ist so unwahrscheinlich, dass man diese Annahme ruhig beiseite lassen kann; es bleibt also nur iibrig, anzunehmen, dass der Strom hindurchgeht zwischen den Zellen mit ihren Fortsatzen einerseits und der Wand der Knochenlticken und der KnochenkanMchen andererseits. Wenn es also auch durchaus den Anschein hat, als ob diese Liicken und Kanalchen yon den Zellen und ihren Fortsatzen vGllig erftillt wilrden, so ist man doch genGtigt, an- zunehmen, dass zwischen ihnen und der Wand ein sehr feiner Spaltraum existiert. Dass dieser fiir die Ernahrung des gesamten Knochengewebes yon der grGssten Bedeutung sein muss, geht aus dem eben Gesagten hervor. Ganz ahnlich liegen nun die VerhMtnisse in dem Bin d e g e w e b e. Hier finden wir, deutlich ausgepr',tgt in dem festeren, geformten, weniger deutlich ausge- pragt in dem lockeren, ungeformten Bindegewebe, das bekannte Saftliickennetz, d. h. ein Netz yon Lficken und KanMchen, in welchem wieder die Birzdegewebszellen mit ihrea Forts~,ttzen sich befinden. Je fester die Grundsubstanz des betreffenden Gewebes ist, um so deutlicher tritt dieses Saftlfickennetz hervor, um so deutlicher sieht man die Konturen desselben. Im Prinzipe haben wir hier also dasselbe wie im Knochengewebe, nur werden die Konturen immer undeutlicher, je weicher die Grundsubstanz ist. Auch hier fifllen, nach unseren Kenntnissen, die Zellen" und ihre Forts~tze das gesamte Netz vGllig aus. Bei der Besprechung der Lehre yon den Saftkanalchen, wie sie v. R e c k l i n g h a u s e n aufgestellt hat, sagt v. E b n e r (3, S. 684) : ,Der schwache Punkt dieser Lehre ist der Nachweis der selbstandigen Spalten zwischen den ZellkGrpern. und deren Auslaufern einerseits und der Grund- substanz andererseits im lebenden Gewebe, ein Nachweis, der yon niemanden erbracht wurde. ~ Weiter sagt v. E b n e r bei der Besprechung der Silberbilder (3, S. 684 u. 685) das folgende:

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,,Stellt man sich die hellen Raume als yon Fltissigkeit erftillt vor, so h',ttte man anschaulich den Zusammenhang yon Lymph- und Blutkapillaren vor sich. Allein in Wirklichkeit ist das Bild ganz anders zu deuten. Die anscheinenden Saftkanalchen sind nichts anderes, als die Negativbilder yon Bindegewebszellen, welche gerade so wie die Endothelzellen, wenn man lebendes Gewebe mit verdtinnten SilbernitratlSsungen behandelt, dieselben in das Protoplasma nicht eindringen lassen, wahrend die Zwischensubstanz zwischen den Zellen sowohl in den Lymphkapillaren (En,dothel- zellengrenzen) als im Bindegewebe (Grundsubstanz) das Silbersalz aufnimmt und sich am Lichte schwarzt. Die anscheinend leeren R'aume des Silberbildes sind also in Wirklichkeit protoplasmatische ZellkSrper und daher keineswegs ein Kanalsystem. Ganz Ithn- liche, anastomosierende, sogenannte Saftkanalchen erhalt mall auch in der, der Blut- und Lymphgefasse entbehrenden Cornea, welche hier ebenfalls dell Negativbildern der anastomosierenden Protoplasmakiirper, den Corneazellen oder CorneakSrperchen ent- sprechen. Die Silberbilder k6nnen ftir die Existenz yon wirk- lichen Saftkanalchen, d.h. von mit Fltissigkeit erfiillten Spalten nichts beweisen, sie zeigen im Gegenteil, dass verdiinnte Silber- nitratl6sungen in Raume, welche yon lebenden Zellen erftillt sind, nicht eindringen. Die Injizierbarkeit der Saftkanalchen der Cornea kann ebenfalls nicht ftir die Praexistenz der Saftkanalchen ins Gewicht fallen, da ja eine Verdrangung und Zertrttmmerung yon weichen Zellen durch Injektionsdruck leichter sich vollziehen wird, als die des relativ festeren Gewebes der Grundsubstanz. Ganz und gar nicht ftigt sieh in die Lehre yon den Saftkanalchen der Bau des typischen Hyalinknorpels, d e r n u r rundliche oder abge- plattete, in weitaus den meisten Fallen nirgends anastomosierende Zellen zeigt, d i e - wie man hier am lebenden Gewebe zweifellos sehen kann - - die HShlen der Grundsubstanz, in welchen sie liegen, vollstandig ausftillen." Sodann weiter: ,,Im typischen Hyalinknorpel gibt es weder Blut noch Lymphgefasse. Die Er- nahrungsfltissigkeit kann hier nur durch die Grundsubstanz selbst zu den Zellen gelangen und zwar zwischen den feinen Faserchen derselben und durch die Kapseln, welche die Zellen umhtillen, wobei yon einem regelmassigen Strome keine Rede sein kann. Dasselbe gilt auch ftir die Hornhaut, ftir welche insbesondere die Versuche yon L e b e r experimentell zeigten, dass ein Fltissig-

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keitsstrom durch die Saftkanalchen bei Filtrationsversuchen mit der lebenden Cornea nicht stattfindet. Was fiir diese Gewebe gilt, daft wohl auch auf die anderen Bindesubstanzen fibertragen werden." Auf Seite 790 sagt v. E b n e r bei der Besprechung der Cornea sodann: ,v. R e c k 1 i n g h a u s e n halt auch in seiner letzten Mitteilung (in Anat. Anz., Bd. 3, S. 612) noch an den Saftkanalchen lest; es wird jedoch auch bei dem besten Willen seine erste Aufstellung nut in sehr beschrankter Weise sich retten lassen. Mit Recht behauptet K o e 11 i k e r, wie auch K f i h n e , E n g e l m a n n , R o l l e t t , R a n v i e r u .a . , dass die HornhautkSrperchen einer normalen Hornhaut die Lficken in der Grundsubstanz g a n z e r f ii 11 e n und dass sonach kein Grund vorliegt, diese Lticken besonders zu bezeichnen. Hiermit soll jedoch nicht gesagt sein, dass diese Lficken sich nicht in- jizieren lassen oder dass nicht auch unter anderen Umstanden fremde E|emente unter teilweiser Verdrangung der Hornhaut- zellen in sie einzutreten imstande seien, wie dies in der Tat auch E n g e l m an n you den wandernden Zellen gesehen hat. Noch weiter als v. R e c k 1 i n g h a u s e n geht in der Verteidigung eines besonderen Saftkanalsystems, teilweise auf die Befunde S c h w e i g g e r - S e i d e l s sich sttitzend, G. S c h w a l b e (in Anat. d. Sinaesorg., S. 156), indem dieser Forscher den fixen Hornhautzellen den Charakter yon plattchenartigen, da und dort mit seitlichen Fltigeln versehenen, jedoeh nicht anastomosierenden Gebilden zuschreibt und die yon anderen Autoren beschriebenen Fortsatze als Niederschlage betrachtet. Doch ist diese Ansicht mit den gesicherten Erfahrungen tiber die Natur tier Hornhaut- ~ellen nicht vereinbar." Ich habe hier die Ansicht yon v. E b n e r ausffihrlicher mitgeteilt, da in ihr ein kurzer Extrakt der neueren Literatur zu sehen ist, zugleich mit der eigenen Ansicht eines hervorragenden Histologen. Auch H. V i r c h o w spricht sich in seiner neuesten Arbeit fiber die Cornea dahin aus, dass die Lticken yon den Zellen in der Cornea v011ig erftillt sind (12, S. 158), uad dass in der Anordnung des Zellgeriistes keine Ziige erkennbar sind, welche auf eine Strombahn mit bestimmter Richtung be- zogen werden ki~nnten.. Wir sehen also, es existiert in dem Bindegewebe ein System von Liicken, die durch Kanalchen anasto- mosieren, und dieses wird ausgeftillt yon den BindegewebszeUen und ihren Fortsatzen; so v011ig ausgeffillt, dass irgend welche

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Spaltraume nicht zu erkennen sind. v. E b n e r meint daher, um die notwendig anzunehmende Zirkutation des Sttftestromes zu erklaren, dass dieser tiberall durch die Grundsubstanz hindurch~ gehe. Dass durch die Grundsubstanz des Bindegewebes ein Saft- strom hindurchzieht, kann man wohl mit Sicherheit annehmen, eine andere Frage ist es aber, wie weit man ihn als for die Ernahrung der ZeIlen bestimmt und notwendig anzusehea hat.

Zun~chst spricht gegen die Annahme yon v. E b n e r das Verhalten des Knochens. Dass bei diesem der n6tige Saffstrom durch die Grundsubstanz hindurchgehen soll, ist ausserst unwahr- scheinlich. Wenn beim Knochen aber das Ltickensystem zur Zirkulation des Saffstromes gentigt, dann ist es nicht einzusehen, warum es bei dem Bindegewebe nicht geniigen soll, und man braucht dann die durch die Grundsubstanz hindurchgehenden Str6me hier nicht zu I-Ittlfe zu nehmen. Nun aber der K n o r p e l . Wie wir eben gesehen haben, nimmt v. E b n e r an, dass im typischen Hyalinknorpel die Ernahrungsfltissigkeit nut" durch die Grundsubstanz selbst zu den Zellen gelangen kann und zwar zwischen den feinen Faserchen derselben und durch die Kapseln, welche die Zellen umhtillen. Hier ware nun zun~chst zu bedenken, dass es bei bestimmten niederen Tieren, so bei Sepia, bei StSr, einen Hyalinknorpel mit stark verastelten Zellen gibt, die unter- einander anastomosieren; hier haben wir also wieder ein System yon Lficken und KanMchen, woraus folgt, dass eine Zirkulation der Ernahrungsfifissigkeit resp. der Abfuhrstoffe durch die Grund- substanz keine prinzipielle Eigentiimlichkeit des Knorpelgewebes darstellt. Was den Hyalinknorpel der hOheren Tiere anlangt, mit seinen unverastelten Zellen, so ist es richtig, dass man in ihm yon einem Saftltickennetze nichts sehen kann. Es ist aber ebenso unzweifelhaft nachgewiesen worden, dass in dieser schein- bar ganz homogenen Grundsubstanz durch Behandlung mit Alkohol, mit Ather-Collodium und durch Farbung nach hlkohot~ behandlung sehr eigenartige Bildungen deuflich sichthar zu machen sind, welche daftir spreehen, dass die scheinbar so homQgene Grundsubstanz in Wirklichkeit durchaus nieht so homogen ist. Ich verweise dieserhalb auf die baiden hrbeiten yon W a l t e r s (1891 [7, 8]), welcher unter meiner Leitung arbeitete, und auf das, was ieh in meiner Gewebelehre (2, S. 287 ft.) gesagt habe. Ich wtirde an dem damals Gesagten noch jetzt festhalten und

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annehmen, class die Grundsubstanz des Hyalinknorpels yon mehr oder weniger ausgebildeten Streifen durchsetzt ist, welche die Zellea untereinander mit dem Perichondrium und mit eventuell in der Knorpelsubstanz enthaltenen Blutgefassen verbinden. Diese Streifen wtirden so beschaffen sein, dass sie dem Saftstrome einen geringeren Widerstand entgegensetzen als die Umgebung und wtirden in diesem Sinne als Saftbahnen aufzufassen sein, Saft- bahnen, in denen nattirlich keine Zellfortsatze liegen wtirden, die nicht scharf gegen die Umgebung abgegrenzt sein wtirden, und die nicht injizierbar sein wilrden. Die Knorpelzellen selbst wttrden im frischen Zustande ihre HShlen genau so ausftillen, wie die tibrigen bisher besprochenen Zellen auch. Diese ,Saft- bahnen '<, wie man sie nennen k(~nnte, wiirden also yon den ,,Saftkanalchen" wesentlich verschieden sein, da keine Zellfortsatze in ihnen liegen. Sie wtirden einfach als Differenzierungen der den Saftstrom im Sinne yon v. E b n e r leitenden Grundsubstanz anzusehen sein, Differenzierungen, welche eine leichtere Str6mung an bestimmten Stellen erlauben und wiirden nicht immer gleich stark entwickelt sein. Die C o r n e a wtirde sich ganz ebenso verhalten wie das Bindegewebe sonst. J(hnlich wie der Knochen wtirde sich auch das Z ah n b e in verhalten, soweit die Zahnfasern in ihren Kanalchen liegen. I n a l l e n d i e s e n G e w e b e n w t i r d e m a n a l s o a n n e h m e n m i i s s e n , das s e in s e h r s c h m a l e r S p a l t r a u m z w i s c h e n d e r G r u n d s u b s t a n z u n d d e r Z e l l e , e v e n t u e l l den F o r t s l t t z e n d i e s e r , i i b r i g b l e i b t , in w e l c h e m e in S a f t s t r o m z i r k u l i e r e n k a n n .

Aus dem bisher Gesagten wtirde folgen, dass ein offenes Saftkanalsystem im Sinne yon v. R e c k l i n g h a u s e n nicht existiert. Die ftir dieses in Anspruch genommenen Lticken- systeme wtirden in der Tat nichts welter sein als die zur Auf- nahme der Zellen n(itigen Raume in der Grundsubstanz, die man aber dessenungeachtet praktiseher Weise doch als Lticken und Kanalchen noch besonders bezeichnen kann, denn sie sind eben als besondere Bildungen der Grundsubstanz nachzuweisen. Trotz- dem dieses Liickensystem nun yon den Zellen und ihren Fort- satzen erftiUt ist, wtirde in ihm dennoch ein Saf~strom zirkulieren, so class die yon v. R e c k l i n g h a u s e n gemachte Annahme yon der B e d e u t u n g des Saftltickensystems, wenigstens bis zu einem

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gewissen Grade, aufrecht erhalten werden kann. Die Breite der feinen Spaltr~ume, in denen diese Zirkulation vor sich geht, wird sehr verschieden seia k6nnen, je nach dem Zustande der Zellen. Schrumpfen die Zellen, so kSnnen die Spaltraume ~ sehr breit werden, mefst aber werden sie so schmal sein, class sie fiir unsere VergrSsserungen kaum sichtbar oder ganz unsichtbar sind. Die Kraft ffir die Fortbewegung der Fltissigkeit in dem Spalt- raume kann erstens geliefert werden durch den Druck, unter welchem die aus den Gefassen austretende Ernahrungsfliissigkeit steht (wie weit dieser Druck wirklich mitwirken wird, ist sehr schwer zu sagen), und zweitens durch die eigene Tatigkeit der Zellen, welche ~qahrungsstoffe aktiv in sich aufnehmen und Aus- scheidungen aktiv abgeben. H a s s e (13) hat in einer Arbeit die Muskelbewegung als wesentliches Moment herangezogen. Dass das innerhalb und zwischen den Muskeln befindliche Bindegewebe durch die Zusammenziehung dieser derartig beeinflusst werden kann, dass eine Fortbewegung der in ihm enthaltenen Flttssig- keiten nach einer bestimmten Richtung hin gef6rdert wird, ist wohl m~glich. Indessen ist es immerhin nicht so leicht, anzu- nehmen, dass die in diesen feinen Raumen in ganz verschiedenen Richtungen das Bindegewebe durchziehende Flfissigkeit stets durch diesen Muskeleinfluss weitergeschoben wird. Wenn man einfach eine direkte Durchtrankung der Grundsubstanz mit der Ernahrungsflfissigkeit annimmt, wie das H a s s e ja allerdings auch tut, ohne auf die Saftbahnen Rficksicht zu nehmen, dann liegt die Sache weir einfacher, und es ist wohl mt}glich, dass in solchem Falle in tier Tat die Muskelzusammenziehung wesentlich mitwirken kann. Wenn man aber annimmt, dass der Haupt- saftstrom durch die vorgezeichneten Bahnen geht, so wird der Einfluss der Muskulatur wahrscheinlich als eiff sehr viel geringerer anzusehen sein. Was den Knorpel anlangt, So hat H a s s e eine sehr vollkommene Ernahrung der Zellen auf dem Wege der Imbibition der Kittsubstanzen angenommen. ,Allein auch alas Herausdringen ist gesichert (so sagt er, 13, S. 58) und zwar, wie ich mich iiberzeugt halte, durch Vermittlung der Saftkanale oder Saftraume des umgebenden bindegewebigen, weichen Perichondrium, an welches sich entweder Muskeln mit ihren Fascien anlehnen, oder an welches sich Muskelfasern direkt oder indirekt anheften. Ziehen sich die MuSkeln zusammen oder erschlaffen dieselben, so

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wird sowohl bei einer Anlagerung, als bei einer Anheftung der- selben an das Perichondrium das Saftraumsystem innerhalb des- selben notwendig verandert, je nachdem erweitert oder verengt, ganz abgesehen yon der gleichen Wirkung auf die Blutgefasse. Die serSse Fltissigkeit, welche sich in diesen Raumen befindet, muss also entweder aspiriert oder an andere Orte verdrangt werden, und im ersteren Falle bei der Erweiterung der Saft- liicken k(innen wir voraussetzen, dass dadurch das Austreten der imbibierten Ernahrungsfltissigkeit des Knorpels in dieselben be- wirkt wird. Einfacher noch gestaltet sich die Sache bei den Knochen. Auch bei diesen lehnen sich Muskeln an das Periost, oder setzen sich direkt oder indirekt an dasselbe an. Sie mtissen deshalb auf die Saftr~iume der Beinhaut denselben Einfluss aus- tiben, wie bei der Beinhaut des Knorpels, Da nun aber aller Grund vorliegt, anzunehmen, dass das serSse Kanalsystem des Knochens, das System tier Knochenkanalchen, welche die Er- nahrungsfltissigkeit in-folge tier Oberflachenansaugung erftillt, mit den Saftraumen des Periostes ill Verbindung steht, so ist das Abstr(imen der ser6sen Ernahrungstitissigkeit aus dem starren Knochen durch die Aktion tier Skelettmuskulatur in vollkommener Weise gesichert." Es ist durchaus mSglich, dass die hier •or- getragene Ansehauung yon H a s s e in der Tat beim Knorpel und beim Knochen insoweit zu Rechte besteht, als die Muskeln die Str0mung befOrdern werden, trotzdem mOchte ich aber doch die y o n d e n Z e l l e n s e l b s t g e l i e f e r t e K r a f t als haupt- sachlich wichtig ansehen. Haben wit doch Stellen, an denen eine Muskelwirkung vollkommen ausgeschlossen ist, so z. B. in tier Cornea. Allerdings sagt H a s s e : ,,Dasselbe gilt auch meines Er- achtens ftir die Gelenkfitissigkeit, ftir die serSsen Fltissigkeiten der Bauch-, Brust-, der. PerikardialhShle, sowie der vorderen Augenkammer. Durch die Bewegung der Gelenkmuskeln, der Muskeln an der Bauchwand, des Zwerchfelles, des Herzens und des Ciliarmuskels werden luftleere Raume erzeugt, in welche hinein die ser0sen Flfissigkeiten gesogen werden, um yon da in der nachsten Phase wieder andere Orte aufzusuchen." Ob diese Annahme ftir die Gelenkknorpel, ftir die Cornea Mrklieh ale richtig anzusehen ist, erscheint mir sehr zweifelhaft, jedenfalls aber wtirde es sich immer nur um eiae Htilfskraft handeln.

Wenn ich hier v o n d e r Tatigkeit der gellen gesprochen

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habe, so verstehe ich darunter die F~higkeit der Zelle, durch eine ihr innewohnende Kraft •ahrungsstoffe in sick aufzunehmen und Stoffwechselprodukte auszuscheiden. Ich wilI an dieser Stelle nickt naher darauf eingehen, wie welt hierbei chemische oder physikatische Krafte und yon welcher Art in Frage kommen, es gentigt hier, dass es eine der Zelle innewohnende Krait gibt, welche die genannten Tatigkeiten auszuftihren imstande ist. Ob man dabei anzunehmen hat, dass die Bindegewebszelle auch ihre Form und (}rSsse zu ver~tndern vermag, ist sehr schwer za sagen. An der normalen Bindegewebszelle sind irgendwelche aktive Bewegungen bis jetzt nicht nachzuweisen gewesen. Man kSante ja aber daran denken, dass.w~hrond des Stoffwechsels eine geringe GrSssenzunahme bei der I~ahrungsaufnahme und eine geringe GrSssenabnahme bei der Ausscheidung vorkommt, die so gering sin(l, dass sie hisher unbeobachtet blieben, die aber bei den minimalen Raumen, um die es sick hier handelt, doch yon Bedeutung sein kSnnten. Dies ist aber aur eine MSglichkeit, man weiss dartiber nichts.

Der wesentliche Grund ftir die Entstehung yon besonderen ,Saftbahnen" oder ,,Saftltickensystemen 'c scheint mir in der Be- schaffenheit der Grundsubstanz zu liegen. Wahrend der Ent- wicklung Iiegen die Bindegewebszellen ja zuerst so dicht an. einander, dass eine Zwischensuhstanz kaum vorhanden ist. Dio erste Zwischensubstanz, welche sich bildet, ist ausserdem so fitissig, dass yon gesonderten Saftbahnen in ihr ebenfalls nicht die Rede sein kann. Erst spater, wenn die Entfernung zwischen den Zellen gr(isser geworden ist, und wenn die Zwischensubstanz an Konsistenz zugenommen hat, wird die Notwendigkeit ftir die Aus- bildung besonderer, besser Ieitender Wege, mehr und mehr hervor- treten. Ganz gut kann man diese Verhaltnisse auch am Nabel- strange veffolgen. Wahrend man hier zunachst die bekannten verastelten Zellen in einer sehr weicheu Grundsubstanz liegend finder, ohne dass man irgendwelche Saftlticken nachweisen kann, vermag man bei atterea Nabelstrangen, in denen die Grundsub- staaz erheblich an Festigkeit zugcnommen hat, wohl Saftlticken zu sehen. Man wird also annehmen mttssen, dass ~unachst dio Grundsubstanz ftir die $toffwechselfltissigkeiten derartig leizht durchgangig ist, dass eine hesondere Baha filr dieselbea wenigstens nicht sichtbar zu machen ist; ob sie trotzdem vor-

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handen ist, weiss man ja nicht. Sp~ter aber tritt eine solche Bahn mehr und mehr hervor; nat~irlich nur in der Breite und Ausdehnung, wie sie gerade notwendig ist; sie bildet sich ja nur durch die Notwendigkeit. In dieser Weise muss man sich natfir- lich auch, wie ich das oben schon hervorgehoben habe, jene Saft- bahnen im Knorpel entstanden denken, welche nicht als wirkliche Lficken auftreten, sondern nur als Streifen in der Grundsubstanz, die ffir die Stoffwechselflfissigkeiten durchg~tngiger sind als die tibrige GrundsUbstanz, und die man nur auf ganz bestimmte Weise einigermassen deutlich zu machen vermag. Yerasteln sich die Zelten und anastomosieren die Aeste derselben untereinander, so bilden sich auf eine sehr einfache Weise in der Grundsubstanz Kan~lchen. Diese treten um so deutlicher hervor, je consistenter die Grundsubstanz ist. So findet man also je nach der Art der Grundsubstanz und je nach dem Stoffwechselbedtirfnisse der Zellen des betreffenden Gewebes alle m~glichen Arten der Entwicklung der Saftbahnen, yon den unscheinbarsten Anfangen an bis zu sch(in ausgebildeten, komplizierten Lfickensystemen. Es ist dabei, wie ich hier noch besonders hervorheben m(ichte, durchaus anzunehmen, dass yon denselben aus bestimmte Stoffwechsel- produkte auch in die Grundsubstanz eindringen. Die Zelle hat zuerst die Grundsubstanz gebildet und wird sie auch spater voraussichtlich ernahren und beeinflussen. Meiner Meinung nach muss man annehmen, dass die Grundsubstanz ein lebendes Gebilde ist, das unter dem Einflusse der Zelle steht; auch in meiner Gewebelehre (2) habe ich mich schon in diesem Sinne aus- gesprochen.

Ausser in den Bindesubstanzen findet man, wie schon er- wahnt, derartige feine Spaltraume auch im N e r v e n s y s t e m e. In einer Arbeit tiber den Bau der Nervenfaser (5) habe ich zuerst im Jahre 1887 darauf aufmerksam gemacht, dass man zwischen dem Achsenzylinder und der Markscheide in der markhaltigen Nervenfaser einen ftir gewShnlich unsichtbaren, sehr feinen Spalt- raum annehmen mtisse, den ,periaxialen Spaltraum". In einer weiteren Arbeit habe ich im Anfange dieses Jahres ausgeftihrt, dass man bei der marklosen, aber mit einer S c h w a n n schen Scheide versehenen Nervenfaser ebenfalls einen ,,periaxialen Spalt- raum" annehmen mtisse, und bei der markhaltigen, mit einer S c h w a n n schen Scheide versehenen Nervenfaser ausserdem auch

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noch einen ,perimyelinen Spaltraum" zwischen Markscheide und S c h w a n n scher Scheide. Alle solche Spaltraume kC)nnen natiir- lich nur zwischen Gebilden vorkommen, welche vOllig unabhangig voneinander sind (ira morphologischen Sinne) und sich daher auch direkt voneinander abheben k(innen. Das ist der Fall. Sowohl die Bindegewebszellen mit ihren Fortsatzen wie die Grundsubstanz, sowohl der Achsenzylinder und die Markscheide wie die S c h w a n n sche Scheide sind selbstandige, organisierte Bildungen, welche einander nur anliegen, sich aber gegebenenfalls glatt voneinander zu trennen verm(igen. Dass dies der Fall ist, sieht man sofort, wenn eine Veranderung der Teile eintritt, dureh welche ein Abheben bedingt wird: dann treten deutlich die Raume der Saftlticken hervor, dann sieht man deutlieh Raume entstehen zwischen Achsenzylinder und S c h w a n n scher Scheide, zwischen Achsenzylinder und Markscheide, zwischen Markscheide und S c h w a n nscher Scheide. Ich habe in meiner ersten Nerven- arbeit (5) das Verhalten des Achsenzylinders zu der Markscheide verglichen mit dem Verhalten tier beiden Pleurabl,~tter zueinander. Die Lunge mit dem sie fiberziehenden Pleurablatte liegt unter normalen Verhaltnissen dem 'parietalen Pleurablatte zweifellos dicht an. Zwischen den beiden Blattern liegt sicher eine ausser- ordentlich feine Flfissigkeitsschicht, welche eben das leichte Gleiten der beiden BIatter aufeinander gewahrleistet. An den Stellen, an denen aus irgend einem Grunde die Blatter auseinander- weichen, so z. B. bei dem ?Jbergange in die Sinus pleurae, wird die Flfissigkeitsschicht an I)icke zunehmen. An den Stellen des engen Aneinanderliegens der beiden Bl,~tter wird sie wahrscheinlich so rein sein, class sie auf einem Durchschnitte ebenfalls unsichtbar se~n w~irde. Die Blatter sind eben auf ihrer Oberflache einfach feucht. Wenn wir zwei Blatter feuchten Papiers nehmen und diese aufeinanderlegen, so wird sich zwischen beiden eine feine Flfissigkeitsschicht befinden. Die Bh~tter sind feucht, weil auf ihrer Oberflache eine feine Fltissigkeitsschicht liegt. Lege ich die Blatter aufeinander, so verbinden sich die beiden Schichten zu einer. Die Dicke. dieser Schicht wird verschieden sein, je nach dem Drucke, durch welchen die beiden Blatter aufeinander gepresst werden. Wird dieser Druck sehr gross, so werde ich die gesamte Flfissigkeit aus den beiden Blattern auspressen kSnnen, dann werden die Blhtter trocken werden und die Flfissig-

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keitsschicht zwischen ihnen wird verschwinden; bei einem massigen Drucke aber werden die Blatter feucht bleiben nnd die Fl~issig- keitsschicht zwischen ihnen wird nur, je nach der Starke des Druckes, verschieden dick sein. Im KSrper wird es sich immer nur um einen m~ssigen Druck handeln, die Gewebsteile werden stets hinreichend feucht sein, aber auch hier wird der Druck innerhalb gewisser Grenzen schwanken kSnnen, und die Dicke der Fliissigkeitsschicht wird demgem~tss verschieden sein. Der Druck der in dem KSrper aufeinanderwirkenden Teile wird einmal abh~ngen yon der inneren Spannung der aufeinander- wirkenden Teile, yon der ,,Protoplasmaspannung ~, wenn man so sagen darf, und dann yon dem in der betreffenden KOrpergegend gerade herrschenden Fltissigkeitsdrucke. Ist die Spannung der organisierten Teile, die nicht einfach physikalisch yon der Fl~issig- keit durchsetzt werden, gering, so wird tier Fl~issigkeitsdruck ~iberwiegen und die Spalten werden breiter werden und umge- kehrt. Ich glaube allerdings nicht, dass die VerhMtnisse immer so einfach liegen werden, ich m6chte vielmehr annehmen, dass sie oft sehr kompliziert sein werden, besonders auch unter patho- logischen Verh~tltnissen. Hierauf bier naher einzugehen, hat keinen Zweck.

Wenn ich vorher davon gesprochen habe, dass diese feinen Spaltraume so fein sein kSnnen, ja unter normalen VerhMtnissen sogar gewShnlich so rein sind, dass sie auch bei unseren st~trksten Vergr6sserungen unsichtbar bleiben, so k~nnte es scheinen, dass es unm6glich ist, in ihnen eine Zirkulation anzunehmen. Ich mSchte indessen annehmen, dass das nicht der Fall ist. Liegen zwei Punkte nicht weiter yon einander entfernt als 0,2 p, so ist es bekanntlich ffir die besten Mikroskope und die st~trksten Ver- gr6sserungen nicht mehr m6glich, diese Punkte getrennt zu sehen. Wenn die yon mir angenommenen Spaltraume also diese Breite besitzen, so wird es physikalisch unm~glich sein, sie als solche zu erkennen. Wie breit sie in Wirklichkeit sind, weiss man nicht, da sie eben unsichtbar sind. Vergleichen wir eine solche Breite des Spaltraumes aber mit der wahtscheinlichen Gr6sse der Molek(ile, so finden wir, dass er im VerhMtnis zu dieser immer- hin noch breit ist, ja selbst noch dann, wenn seine Breite zehn- real geringer sein sollte. Wir werden als0 auch in einem so kleinen Spaltraume eine Zirkulation noch annehmen k6nnen und dieses um

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~o eher, da es sich nicht um eiaen yon starren Wanden begrenzten Raum handelt, und da die Waade selbst mehr oder weniger an der Ausseheidung yon Fltissigkeit in den Spaltraum teitnehmen und so also auch die nStige Kraft fiir die Zirkulation liefern.

Ganz aaders werdea die Verhaltnisse aber liegen, wenn pathologische Veranderungen eintreten. Tritt z. B. eine Quellung eiaes der aneinanderliegenden Gebilde ein, so wird der Spaltraum in mehr oder weniger grosser Ausdehnung und in mehr oder weniger hohem Grade verengert werden kSnnen, hToch mehr wird dies der Fall sein, wean eines der aneinaaderliegenden Ge- bilde derartig verandert wird, class es sich nicht mehr glatt yon dem anderen abheben lasst, sondern an ihm anhaftet, anklebt, oder wenn es Stoffe ausscheidet, welche den Spaltraum ver- eagern oder v011ig unterbrechen, event, so beschaffen sind, dass sle ebenfalls an dem anliegendea Gebilde zu haften vermSgen. Dann werden auf mehr oder weniger lange Strecken vSllige Ver- legungen des Spaltraumes m6glich seia und als Folge davon eine Unterbreehung der Zirkulation des Stoffwechselstromes, und als Folge hiervon wieder Ern~thrungsst6rungen eintretea k6nnen. Alle diese Veranderungen werden ihrer GrSsse nach so gering sein kSnnen, dass sie unsichtbar b!eiben, zumal wenn man nicht besonders an die Mtiglichkeit des Vorkommens derartiger Ver- anderungen denkt und die Untersuchung besonders auf sie richtet. So ist es wohl m6glich, dass manche Erkrankungen, bei denen man bisher eine morphologische Veranderung in den Geweben nicht hat auffinden ktianea, auf Veranderungen in diesen so feinen Spaltraumen zuriickzuftihren sind. Wie weit das der Fall ist, mtissen erst nahere Untersuchungen lehren. Es wird oft nicht leicht sein, nachzuweisen, dass diese feinen Spaltraume dabei beteiligt .sind, und es wird dies wahrscheinlich zunachst nur dann gelingen, wenn die Raume infolge der Veranderungen so breit werden, dass man sie sehen kann. Von solchen FMlea aus wird man dann event. Riickschltisse auch auf andere machen kSnnen, in denen sie unsichtbar geblieben sind. Es Iiegt die Sache hier ja ganz ahnlich wie bei dem Auffinden dieser Raume unter normalen VerhMtnissea. Ich bin seinerzeit bei der Nerven- faser zu der Annahme dieser Raume auch nur dadurch gekommen, dass ich beobachtete, wie die einzelnen Teile unter bestimmten %Jmstaaden sich voneinander abhoben. Ich habe angenommen,

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dass der periaxiale Spaltraum fur die Ernahrung r des Achsen- zylinders bei der markhaltigen Nervenfaser yon grosser Bedeutung sein mttsse : die dutch die R a n v ie r schen Einschnt~rungen hindurchgetretenen Nahrungsstoffe verbreiten sich meiner Meinung nach in dem periaxialen Spaltraume langs des Achsenzylinders und umht~llen ihn so als eine Flfissigkeitsscheide. In diese Flfissig_- keitsschicht treten aber nattirlich auch die yon dem Achsen- zylinder abgegebenen Stoffe ein und ebenso die yon der Mark- scheide abgegebenen. Dass sich der Achsenzylinder und die Markscheide wahrend des Lebens gegenseitig beeinflussen, ist sehr wahrscheinlich, wenn man an die starken Veranderungen denkt, welche in der Markscheide eintreten, wenn der Achsenzylinder erkrankt, z. B. wenn er nach Durchschneidung degeneriert. Ein Teil der yon dem Achsenzylinder ausgeschiedenen Stoffe muss aber natttrlich als unbrauchbar auch wieder aus dem Periaxial- raume nach aussen hin entleert werden. Ganz ahnlich liegen die Verhaltnisse bei der marklosen Faser, nur einfacher. Hier werden yon den Zellen tier S c h w a n n s c h e n Scheide nur bestimmte Stoffe aus der yon aussen zutretenden Ernahrungsflfissigkeit hindurchgelassen, die dann die Ernahrung des Achsenzylinders bewirken; ahnliches gilt f~r die Ausscheidungsprodukte. Auch bei der markhaltigen Faser wird die S c h w ann sche 8cheide elektiv wirken, dazu wird dann noch die Wirkung der Mark- scheide mit den Zwischenscheiben und Zwischentrichtern kommen. Sowohl in dem periaxialen wie in dem perimyelinen 8paltraume wird man eine Zirkulation der Stoffe annehmen k6nnen. Es ist Mar, dass schwere Ernahrungsst0rungen des Achsenzylinders und vielleicht auch der Markscheide eintreten werden, wenn die Zirkulation in diesen Raumen unterbrochen wird. Das kann nun, wie ich oben schon ausgeft~hrt habe, durch Erkrankung der einzelnen aneinanderliegenden Teile geschehen, es k0nnte hier aber noch an andere Hindernisse gedacht werden. So ware es m0glich, dass bei jenen eigenartigen Erkrankungen der Caisson- arbeiter, bei denen bekanntlich ein. Gasaustritt in d e n Blut- gefassen beobachtet worden ist, sich minimale Gasb.laschen in diesen Spaltraumen bilden und so die Zirkulation in ihnen hemmen. Herr Prof. R trm p f muchte mich in der Disl~ssion zu meinem Vortrage hierauf aufmerksam. Durch die Beobachtungen yon L. v. S ch r 6 t t e r (10) i st festgestellt worden, dass bei diesen

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Erkrankungen Stickstoffgasblasen im Blute auftreten und so eine Zirkulationsbehinderung eintritt. Solche Gasblasen konnten auch bei Versuchstieren nach rascher Dekompression in den Coronar- gefitssen des Herzens beobachtet werden. L.v. S c h r 5 t t e r (10) nnd ebenso H.v. S c h r 0 t t e r (11) nehmen daher an, class alas Wesen der sogenannten ,Caissonkrankheit", yon den selteneren Hirnerscheiuungen abgesehen, in ischaemisch entstandenen, be- grenzteren oder disseminierten Nekrosen, namentlich der weissen, in der geringeren Anzahl yon Fifllen abet auch der grauen Sub- stanz des Rfickenmarkes besteht. Die Ischaemie wird bewirkt dutch die Gasblasen; yon Blutungen ins Gewebe findet man nichts. Die Gr0sse und Form tier Nekroseherde wird durch die Art der Gefitssverzweigung (Endarterien tier Tractus antero- und posterolaterales) bestimmt. So entstehen H0hlenbildungen, d~ (lurch die Nekrose nicht nur die Nervenelemente, sondern auch (lie Stiitzsubstanz zugrunde gegangen sind. Diese multiplen, herdweise~ Nekrosen treten, wig schon oben bemerkt, insbesondere i~1 r weissen, seltener in der grauen Substaaz des Riicken- markes auf, da diese letztere infolge des gr0sseren Reiehtumes an Kapill,~ren in der Mehrzahl der Falle verschont bleibt. Wie I-[. v. S eh r 5 t t e r (9) hervorhebt, besteht die beste Therapie dieser Erkrankutlgen in einer m0glichst bahl ausgefiihrten Rekompression, infolge deren augenscheinlich die Gasblasen wiedGr gel0st werden und so die Behinderung in tier Blutbahn fortfallt.

Es ist wohl m0glich, class die yon den genannten Autoren ffir die Veranderungen im Rfickenmarke ,~ngenommene Ursache, die dutch die Gasblasen bewirkte Ischaemie, als die alleinige anzu- sehen ist. In der Tat wfirde der grOssere Gefftssreichtum der grauen $ubstanz~ die grSssere M0glichkeit you Anastomosen der Blutgef~tsse es wohl verstehen lassen, dass die Erkrankung haupt- sitchlich die weisse Substanz befitllt. Immerhin ist dabei zu be- denken, dass die gr,~ue Substanz auch einer sehr viel reichlicheren Ern~hrung bedarf als die weisse. So meine ich, ware es immer- hin zu iiberlegen, ob nicht neben tier ja wohl unzweifelhaft vor- handenen Ischaemie auch noch eine andere Ursache ftir die Erkrankung spezie]l der weissen Substanz zu finden ware. Da kSnnte man dann an eine solche Behinderung tier Zirkulation innerhalb der Nervenfasern wohl denken. Vielleicht k0nnte man

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bei der Untersuchung yon weiteren derartigen Erkrankungen auf diesen Punkt die Aufmerksamkeit richten.

Herrn Dr. H. v. S c h r S t t e r sage ich an dieser Stelle meinen Dank ftir die freundliche Beantwortung meiner Anfragen und fttr die Zusendung der oben zitierten Arbeiten.

Wie weit. jene feinen Spalten zwischen den Zcllen der Epithelien ebenfalls zu diesen ,,minimalen R~tumen" zu rechnen sind, ist schwer zu sagen. Einmal sind diese Spalten mitunter verhhltnism~tssig recht breit und dann kommen bier Zellbrticken, Kittsubstanz und del~gleichen Dinge in Frage, dutch welche die Verh~ltnisse wesentlich geftndert werden k6nnen. Wir wisse~l ausserdem fiber diese hier in Frage kommenden Dinge aoch zu wenig, um ihren Einfluss ermessen zu ki}nnen. Ich will daher auf diese Spalten zwischen den Epithelzellen hier nicht welter eingehen, lag es mir doch tiberhaupt nicht so sehr d'tran, nach- zuweisen, wo tiberall im KOrper solche ,minimalen R~tume" vor- kommen, als daran, die Aufmerksamkeit der Forscher auf diese bisher noch gar nicht beachteten Verh~tltnisse zu lenken. Ich hoffe, in dieser kurzen Mitteilung so welt weHigstens die Ye~'- h~tltnisse klar gelegt zu haben, class man diese ,,minimalen R~tume" und ihre Bedeutung, wenn auch noch nicht als sicher bewiesen, so doch wenigstens als wahrscheinlich vorhanden an- sehen wird. Damit aber w~tre, fftr dasVerstSndnis der Ern~thrungs- vorg~tnge im normalen K6rper schon viel gewonnen und ebenso auch far das Verst~tndnis so mancher pathologischer Vorg~tngc. Man wf~rde dann auch zu verstehen vermSgen, dass es Vol"g~t~lge im KOrper gibt, die im Verh~ltnisse zu den Molekularveranderungen, die wir als die Grundursache unseres ganzen Lebens anzusehen haben, verh~tltnism',~ssig noch sehr grob sind, die aber dennoch so fein sind, dass unsere optischen Hilfsmittel nicht mehr gentigen, um sie uns sichtbar zu machen. Daraus wttrde dann folggn, dass wir unter Umst'anden auch dann Veranderungen in den Geweben anzunehmen berechtigt sind, Verttnderungen, welche nicht mole- kularer Natur sind, wo wir solche nicht wahrzunehmen vermOgen. Vielleicht dtirfte es dann aber doch, wenn die Aufmerksamkeit einmal hierauf gerichtet ist, auf irgend eine Weise gelingen, solche Vorgange sichtbar zu machen.

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