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„Die Motivation zu allgemeinem Nachdenken über Politik ist ganz und gar keine allgemeine, sondern entsteht aus dem mitunter verzweifelten Verlangen,

jenem Spiel von Macht und Streben, das uns an zerklüfteten Orten und in zerrissenen Zeiten wie ein

Strudel umgibt, einen Sinn abzuringen.“(Clifford Geertz)

„Our essential task is understanding (...)“(Robert O. Keohane)

INTERNATIONALE POLITIK

ist mehr als die Gesamtheit aller Außenpolitiken aller Nationalstaaten; umfasst das Handeln einer Vielzahl von (nationalen) Akteuren über Grenzen hinweg

INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN

Teilweise ident mit "Internationaler Politik", richtet sich nicht nur an politische, sondern auch wirtschaftliche, zivile und kulturelle Akteure & Inhalte, auch an Internationale Organisationen, Kirchen, Parteien, „Zivilgesellschaft“

Theorie 2: Bestimmung und Sinn von Theorie

• „Teoria“ – Verinnerlichung des Blicks• Popper: Theorie als Netz, das wir auswerfen, um

die Welt einzufangen, sie zu rationalisieren und zu erklären

• Frei 1974: „Die Theorie ist ein Instrument, mit dem aus der gewaltigen Menge der Tatsachen jene Teilmenge herausgegriffen wird, die der „Welt Struktur und Sinn verleihen kann.“

• Hannah Arendt: Klassifizierung und Reklassifizierung von Wirklichkeit

Klassische Theoriekonzepte der IBAusgangspunkt:• Historischer Kontext• Verankerung in welchem Menschenbild

(wissenschaftstheoretische Verankerung, weltanschauliche Position)

• Immer Reflexion aktueller Gegebenheiten und Probleme

Fragen: • Wer sind die Hauptakteure der IB?• Welches sind die Kernfragen der IB? Worauf legt man

besonderen Stellenwert?• Welches sind die Hauptprozesse der IB?• Welches sind die hauptsächlichen Ergebnisse?

Funktionen von Theorie• Metatheorie (selbstreflexive Aufgabe von Theorie)• Systematische/empirische Theorien: geben Antworten

auf die Frage nach der empirischen Verfasstheit von Politik ("so ist Politik")

• Normative Theorien (politische Philosophie/Ideengeschichte): geben Antworten auf die Frage nach der Begründbarkeit von Politik ("so soll Politik (nicht) sein").

Wichtige Leistungen:• Ordnungs- und Strukturierungsfunktion• Erklärungsgewinn • Praxisrelevanz (Prognostische Fähigkeit?)

Theoretische Reflexion

Gesellschaftliche Entwicklung Politische Praxis

· Soziale Entwicklungen provozieren erklärende (strukturierende)Betrachtungen und kritische Einsichten ("theoretische Reflexion"),· was wieder "politische Praxis" bestärkt oder verändert,· die "gesellschaftliche Folgen" zeitigt (also bisherige Entwicklungen verändert oder neue anstößt),· was wiederum erneut den Theorie-Praxis-Kreislauf in Bewegung setzt, also theoretische Reflexion provoziert, usw.

Kritik an der Theoriebildung

• Eurozentristisch• Staatszentriert (in ihren Anfängen)• Hegemonial begleitet• Männlich dominiert • Dogmatisch• Mainstream-Dominanz –

Vernachlässigung der Side-Streams

Theorienproblem• Theorien sind abhängig vom Konsens der

Mehrheit unter den Mitgliedern der Wissenschaftsgemeinschaft.

• Es gibt Parallelen zu „Modeerscheinungen“ Paradigma/Paradigmenwechsel (Thomas Kuhn):Über einen längeren Zeitraum unhinterfragt geltendes Rahmenmodell. Kann ersetzt werden, oder mehrere Paradigmen gelten.

Analyse- und Theoriegeschichte der Disziplin

• „burning issues“ der internationalen Politik sind in wichtigen moralisch-philosophischen, aber auch analytisch-theoretischen Dimensionen bereits vor dem 20. Jahrhundert von bedeutenden Philosophen, Historikern und Ökonomen diskutiert und behandelt worden. (z.B. Thukydides, Macchiavelli, Thomas Hobbes, Immanuel Kant, Karl Marx)

Theorie-Entwicklungsphasen in den IB

IdealismusIdealismus nach Kramer, Helmut (2002)• „… eine Sicht des Menschen, der Gesellschaft und des

internationalen Systems, in dem ein optimistischer Grundton, der Glauben an das Vernunft- und Demokratieprinzip und deren Durchsetzbarkeit auch in der internationalen Gesellschaft vorherrscht.“

Idealismus nach Menzel, Ulrich (2001)„Der Idealismus ist vom Glauben an den Fortschritt

durchtränkt. Er setzt auf das Gute im Menschen oder zumindest darauf, dass der Mensch vernunftbegabt ist. Vernunftbegabt heißt, dass der Mensch rationalen Argumenten zugänglich und damit lernfähig ist. Langfristig muss demnach die Durchsetzung des Vernunftprinzips zu einer besseren Welt führen, in der alle Konflikte und Interessengegensätze auf kooperative Weise durch Kompromiss und Ausgleich lösbar sind.“

RealismusRealismus nach Kramer, Helmut (2002). „Der Realismus geht von einem pessimistischen Welt- und

Gesellschaftsbild aus. Die Vertreter dieser Schule schätzen die Chancen einer weltweiten Friedensgesellschaft als völlig unrealistisch und utopisch ein. Eine Stärkung und Maximierung von Sicherheit für die Nationalstaaten sei nur durch Rüstungs- und Machtgleichgewichte denkbar.“

Realismus nach Menzel, Ulrich (2001).• “Der Realismus in seiner klassischen Version geht demgegenüber

vom gegenteiligen Menschenbild aus. Der Mensch ist nicht nur gut, sonder auch schlecht, er ist nicht nur vernunftbegabt, sondern auch triebgesteuert. Seiner Lernfähigkeit sind Grenzen gesetzt.

• Damit sind auch den idealistischen Vorstellungen über die Möglichkeit kooperativen und rationalen Verhaltens enge Grenzen gesetzt. Realistischer ist es deshalb, das Selbsthilfeprinzip zuverfolgen. Sicherheit wird durch Aufrüstung bzw. (in der neorealistischen Variante) durch eine Politik des Gleichgewichts und Frieden, hier verstanden als Nichtkrieg, wird durch Abschreckunggarantiert. Das daraus resultierende Sicherheitsdilemma ist prinzipiell nicht aufhebbar.”

Idealismus vs. Realismus

Idealismus vs. Realismus 2

Idealismus vs. Realismus 3

Strukturalismus„Strukturalismus“. Die strukturalistischen Ansätze

betonen vor allem die ökonomische Basis der internationalen Beziehungen und sehen in der ungleichen Machtverteilung im internationalen System die Quellen für kriegerische Konflikte, für Armut und Unterentwicklung. Varianten dieses strukturalistischen Theorieansatzes in der IP werden seit den siebziger Jahren, als Folge der Systemkrise der USA (Vietnamkrieg) und der Zuspitzung des Nord-Süd-Konflikts stärker auch an den Universitäten des Westens beachtet.

Ökonomisierte politische Ansätze

• Globalismus (Bedingungen ökonomischen Wachstums und wirtschaftlicher Wohlfahrt in einer interdependenten Welt – Ziel: Friede durch Kooperation und Interessensausgleich)

• Dependeztheorien (Entwicklung der Akteure des Weltwirtschaftssystems; Gestaltungsprinzipien einer neuen Weltwirtschaftsordnung – Ziel: Gerechtigkeit, Korrektur negativer Verteilungsfolgen wie Imperialismus, Ausbeutung, etc.)

Funktionalismus vs. Neoinstitutionalismus

Funktionalismus vs. Neoinstitutionalismus 2

Funktionalismus vs. Neoinstitutionalismus 3

Neo-Realismus vs. Konstruktivismus 1

Neo-Realismus vs. Konstruktivismus 2

Neo-Realismus vs. Konstruktivismus 3

Kritische Theorie

„Methodenstreit“(wie gelange ich zur Erkenntnis?)

Traditionalismus nach Menzel, Ulrich (2001). • “Traditionalismus heißt, dass die IB-Theoretiker sich als

Geisteswissenschaftler verstanden, die sich von der Politischen Theorie und Ideengeschichte, der Diplomatiegeschichte und dem Völkerrecht inspirieren ließen und sich hermeneutischer (hermeneutisch: einen Text o.Ä. erklärend, auslegend) Methoden bedienen.

Behavioralismus nach Menzel, Ulrich (2001). • Behavioralismus bedeutete einerseits die Einführung quantitativer

Methoden in die Lehre von den Internationalen Beziehungen und damit auch das Bemühen um die Striktheit der aus den Naturwissenschaften übernommenen wissenschaftstheoretischen Kriterien der Hypothesenbildung, der Datensammlung, der Verifizierung und Falsifizierung von Aussagen und andererseits die Anwendung der Prinzipien der formalen Logik.

Methode 21) Positivismus (Szientismus): naturwissenschaftliches

Wissenschaftsideal

Demokratiequalität Kriegsbereitschaft(unabhängige Variable) (abhängige Variable)

Veränderung = Veränderung =Ursache A Ursache B

2) Postpositivismus (Konstruktivismus):• subjektive Wahrnehmung der SOWI - keine Wertefreiheit wie bei

Positivismus• andere Methodik• gesell. Phänomen von inne heraus betrachtet/erschlossen (Hermeneutik

– Weg des Verstehens/Kunst der Auslegung)• alles an Werturteile des Forschers gebunden (auch er ist ein Teil des

soz. Umfelds)• Realität ist nicht unmittelbar erschließbar

Umbruch nach 1989/90

• „Die Disziplin Internationale Beziehungen ist am Ende des 20. Jahrhunderts in einem Zustand von Gärung und Konfusion. (...) Kontroversen in der Disziplin haben Aufklärung und Verwirrung in unglücklicherweise ungleichem Masse gemischt. Wir sind auf unruhiger See; aber in einem faszinierenden Ozean mit neuen Geschöpfen, die auf neue Art und Weise interagieren, die es zu beobachten gilt.“ (Robert O. Keohane)

Umbruch durch 1989/90

Komplexität und Offenheit des internationalen Systems nach 1989 –

Reaktionen der DisziplinMerkmale

Krise des Mainstreams, Aufkommen neuer Richtungen und Theorien, „neue Unübersichtlichkeit“ von Gesellschaft, Politik und Weltpolitik (Habermas), Widersprüchlichkeit und „Stückhaftigkeit“ der Welt (Geertz), „deep diversities“ (Charles Taylor)

Neue Ansätze

Klassische Schulen (Realismus, Idealismus, Institutionalismus, Strukturalismus, Funktionalismus) erweitert und ersetzt durch neue Ansätze (Neorealismus, Postmoderne Ansätze und andere „Postismen“, feministische Konzepte, Konstruktivismus, Mehrebeneanalysen, Global Governance, etc.)

Feministische Theorie• Uta Ruppert: Theorien Internationaler Beziehungen aus feministischer

Perspektive, in: Uta Ruppert (Hg.): Lokal bewegen – global verhandeln, Frankfurt-New York 1998, S. 27-55

„Feministische Theorie Internationaler Beziehungen verfolgt ein doppeltes Anliegen: Ersten will sie mit ihrer Überprüfung klassischer Ansätze der Theoriebildung Orte erschließen, ‚die bis dahin den vornehmen Herren der Internationalen Politik zu erbärmlich und unwürdig vorkamen: Fabriken, Bauernhöfe, Bordelle, häusliche Gemeinschaft, kurzum Orte, an denen sogenannte Frauen oft zu Hause sind.“ Zweitens will sie offen legen, dass und wie Frauen als politische Subjekte an diesen Orten „das Internationale und seine Beziehungen verwandeln (...) können’ in eine neue Sphäre, die die politische Bearbeitung der geschlechtlichen Fundierung von Konfliktlagen nicht länger per Definition ausschließt.“

Vier Grundlinien feministischer Theorie Internationaler Beziehungen, S. 44-47:

• Feministische Theorie Internationaler Beziehungen ist emanzipatorisch-herrschaftskritisch.

• Feministische Theorie Internationaler Beziehungen schreibt nicht an einer alternativen Großtheorie Internationaler Beziehungen.

• Feministische Theorie Internationaler Beziehungen weist eine ausgeprägte Orientierung an den frauenpolitischen Praxis in der internationalen Arena auf.

• Feministische Theorie Internationaler Beziehungen entwirft internationale Politik als globale Politik.

„Weiche“ WIssenschaft• Die hohe Komplexität und Nicht-Linearität gesellschaftlicher

Prozesse und menschlich-historischen Handelns. So ist die Entstehung, der Verlauf und die Beendigung eines bewaffneten Konfliktes, eines Krieges (oder eines epochalen politischen Prozesses wie dem Ende des Ost-West-Systemkonflikts und den demokratischen und pazifistischen Revolutionen in Osteuropa Ende 1989) als komplexes Netzwerk unterschiedlicher Faktoren, Ebenen und Wechselwirkungen(wirtschaftlicher, sozialer, psychologischer und politischer Natur) zu sehen und zu verstehen, deren Besonderheit aus der jeweiligen spezifischen historischen Konstellation, seinen innergesellschaftlichen, regionalpolitischen und internationalen Umweltbedingungen erwächst;

• Die Tatsache, dass die Menschen freie, nicht historisch und deterministisch festgelegte Wesen sind. Oder, wie dies eine der bedeutendsten Philosophinnen des 20. Jahrhunderts – Hannah Arendt –so schön formuliert hat, dass „der Mensch zum Handeln im Sinne des Neuanfangs begabt ist, (was) daher nur heißen (kann), dass er sich aller Absehbarkeit und Berechenbarkeit entzieht.“ (Arendt 1992, 167)

Befreiung nach 1989 – neue Ansätze als Folge der Komplexität

Clifford Geertz: Welt in Stücken. Kultur und Politik am Ende des20. Jahrhunderts, Wien 1996, S. 15

„Wenn das Allgemeine überhaupt zu begreifen und Einheiten zu entdecken sind, können sie offenbar nicht auf direktem Wege und in einem Anlauf erfasst werden. Wir müssen sie über den Umweg von Beispielen, Unterschieden, Variationen und Besonderheiten erschließen – Stück für Stück eben und von Fall zu Fall. Die Splitter sind es, an die wir uns in einer zersplitterten Welt halten müssen. Und hier muss die Theorie ansetzen, wenn es sie überhaupt noch geben soll.“

„Wir brauchen neue Denkweisen, die mit Besonderheiten, Individualitäten, Absonderlichkeiten, Diskontinuitäten, Kontrasten und Singularitäten umgehen können und die auf etwas ansprechen, was Charles Taylor kürzlich ‚tiefe Vielfalt’ (deep diversity) genannt hat – eine Pluralität der Zugehörigkeiten und Seinsweisen. Es fehlt uns an Zugängen, die aus diesen Seinsweisen, aus dieser Pluralität dennoch das Gefühl einer Verbundenheit gewinnen können, die weder umfassend noch einförmig, weder originär noch unwandelbar und dennoch wirklich ist.“

Conclusio• Es wird empirisch nicht so heiß gegessen, wie es

theoretisch gekocht wird!! • Neue Bescheidenheit: Einsicht in die Notwendigkeit

einer offenen, auf Verstehen von möglichen und denkbaren Zusammenhängen und gesellschaftlich-historischen Entwicklungslinien und Alternativen ausgerichteten Analyseperspektive in der internationalen Politik bedeutet auch, die naiv-arrogante Haltung abzulegen, dass die Wissenschaft (ob Natur- oder Sozialwissenschaft) per se eine höherwertigere und bessere Form der Erschließung der Wirklichkeit als andere Erkenntnismöglichkeiten (Kunst, Literatur, Philosophie) darstellen würde.