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Die nachträgliche Leistungserschwerung D I S S E R T A T I O N der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG) zur Erlangung der Würde eines Doktors der Rechtswissenschaft vorgelegt von Corrado Rampini von Cauco (Graubünden) Genehmigt auf Antrag der Herren Prof. Dr. Alfred Koller und Prof. Dr. Ivo Schwander Dissertation Nr. 2596 digiprint, Eschen FL 2002

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Die nachträgliche Leistungserschwerung

D I S S E R T A T I O N der Universität St. Gallen,

Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG)

zur Erlangung der Würde eines Doktors der Rechtswissenschaft

vorgelegt von

Corrado Rampini von Cauco (Graubünden)

Genehmigt auf Antrag der Herren

Prof. Dr. Alfred Koller und

Prof. Dr. Ivo Schwander

Dissertation Nr. 2596 digiprint, Eschen FL 2002

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Die Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissen-schaften (HSG), gestattet hiermit die Drucklegung der vorliegenden Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung zu nehmen. St. Gallen, den 11. Dezember 2001 Der Rektor: Prof. Dr. Peter Gomez

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Meinen Eltern

So steht zum Schluss am rechten Platz der unumstösslich wahre Satz: Die Schwierigkeit ist immer klein, man muss nur nicht verhindert sein.

Wilhelm Busch

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Dank schulde ich allen, die mich bei der Ausarbeitung dieser Arbeit unterstützt und zu deren Gelingen beigetragen haben, namentlich Herrn Prof. Dr. Alfred Koller.

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V

Inhaltsverzeichnis

Literaturverzeichnis XI Abkürzungsverzeichnis XXII

Einleitung 1

Teil 1: Grundlagen 5

§ 1 Die Leistungserschwerung 5

I. Begriff der Leistungserschwerung 5 1. Allgemeines 5 2. Eigentliche Leistungserschwerung 6 3. Atypische Fälle der Leistungserschwerung 7

A. Wertsteigerung der Leistung und verwandte Fälle 7 B. Nicht materielle Nachteile 8

4. Abgrenzungen 9 A. Verwendungserschwerung (oder Verwendungsunmöglichkeit) 9 B. Entwertung der Leistung und Inflation 10

II. Intensität und Dauer der Leistungserschwerung 11 1. Intensität der Leistungserschwerung 11 2. Dauer der Leistungserschwerung 12 III. Gegenstand der Arbeit: Die Leistungserschwerung im Gegensatz zur Ver- 13 wendungserschwerung bzw. das „Erfüllungsproblem“ im Gegensatz zum „Äquivalenzproblem“

§ 2 Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung 15

I. Grundsatz: Pacta sunt servanda 15 II. Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung 16

1. Übersicht 16 A. Begriff der Unmöglichkeit 16 B. Rechtslage bei Unmöglichkeit 19

2. Intensität der Unmöglichkeit im Besonderen 20 A. Übersicht 20

B. Unzumutbarkeitstheorie 21 C. Clausula-Theorie 23 3. Dauer der Unmöglichkeit im Besonderen 24 A. Übersicht 24 B. Abgrenzung der endgültigen von der vorübergehenden Unmöglich- 25 keit

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C. Aufschub des Realerfüllungsanspruchs bei vorübergehender Un- 28 möglichkeit? D. Definitive Befreiung bei vorübergehender Unmöglichkeit? 29

4. Die so genannte subjektive Unmöglichkeit 30 A. Übersicht 30 B. Begriffe der objektiven und der subjektiven Unmöglichkeit nach 31 der Verzugstheorie

C. Dogmatischer Grundgedanke der Verzugstheorie 35 D. Rechtslage bei subjektiver Unmöglichkeit nach der Verzugstheorie 36 E. Exkurs: Einzelfragen zum Begriff der subjektiven Unmöglichkeit 37 F. Bedeutung der Verzugstheorie für die Leistungserschwerung 42

III. Clausula rebus sic stantibus 42 1. Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus 42 2. Rechtsfolgen der clausula rebus sic stantibus 45 IV. Art. 373 Abs. 2 OR 46 V. Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund 47

1. Vorkommen 47 2. Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Allgemeinen 49 3. Leistungserschwerung als wichtiger Grund? 50

VI. Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte 52 VII. Zusammenfassung 54

§ 3 Kritik 55

I. Allgemeines 55 II. Clausula-Theorie 55 III. Unzumutbarkeitstheorie 56 IV. Verzugstheorie 57 V. Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund 59 VI. Schlussfolgerung 59

§ 4 Abgrenzung des Themas und Ausblick 60

I. Abgrenzung des Themas 60 II. Ausblick (und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse) 60 Teil 2: Der Realerfüllungsanspruch und die übermässige Leistungser- 63 schwerung als seine Grenze

§ 5 Der Realerfüllungsanspruch im Allgemeinen 63

I. Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs 63 1. Aus theoretischer Sicht 63

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2. Aus praktischer Sicht 64 3. Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung 66

II. Bestand und Wegfall des Realerfüllungsanspruchs 67 1. Im Allgemeinen 67 2. Einschränkungen der zwangsweisen Durchsetzung des Realerfüllungs- 68 anspruchs bei gewissen Dienstleistungspflichten im Besonderen

III. Exkurs: Der Realerfüllungsanspruch im amerikanischen Recht 70

§ 6 Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung 73

I. Realerfüllungsanspruch bleibt erfüllbar 73 1. Grundsatz 73 2. Ausnahme: Übergeordnete Interessen des Gläubigers oder Dritter 74 II. Zulässigkeit des Verzichts auf Realerfüllung gemäss Art. 107 Abs. 2 OR 74 III. Dogmatische Folgerungen 75

§ 7 Die übermässige Leistungserschwerung als Grenze der Erzwingbarkeit des 77 Realerfüllungsanspruchs

I. Allgemeines 77 1. Keine absolute Geltung von pacta sunt servanda 77 2. Keine Befreiung von der Realerfüllung nach Belieben des Schuldners 78 II. Übermässige Leistungserschwerung: Missverhältnis zwischen Erfüllungs- 79

aufwand und Realerfüllungsinteresse 1. Grundlagen 79

2. Herleitung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungs- 83 aufwand und Realerfüllungsinteresse

A. Beschränkung des Nachbesserungsrechts im Werkvertrag nach 84 Art. 368 Abs. 2 OR

B. Herabsetzung übermässiger Konventionalstrafen nach Art. 163 85 Abs. 3 OR

C. Typische Interessenlage der Parteien 88 D. Richterliche Vertragsanpassung bei ausserordentlichen Umstän- 89

den im Werkvertragsrecht nach Art. 373 Abs. 2 OR 3. Der Einfluss anderer Faktoren auf die übermässige Leistungserschwe- 91 rung

A. Äquivalenzstörung 91 a. Keine Berücksichtigung bei Entscheid über die Verweigerung 91 der Realerfüllung b. Erhöhung der Gegenleistung bei Äquivalenzstörung? 93

B. Verantwortung des Schuldners 94 a. Allgemeines 94 b. Eigener Ansatz 95

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C. Verantwortung und Sphäre des Gläubigers 96 a. Allgemeines 96 b. Erleichterte Anforderungen bei Verantwortung des Gläubigers? 97

D. Voraussehbarkeit 98 a. Lehre und Rechtsprechung 98 b. Kritik 101 c. Eigener Ansatz: Keine selbständige Bedeutung 102

E. Exkurs: Erleichterte Anforderungen bei unentgeltlichen Rechtsge- 103 schäften?

F. Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs 105 III. Die Dauer der Leistungserschwerung im Besonderen 106

1. Allgemeines 106 2. (Vorläufiges) Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners 107

A. Interessenlage 107 B. Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts: Übermässige 108 Leistungserschwerung

3. Endgültige Vertragsanpassung oder -auflösung durch den Richter 110 A. Interessenlage 110 B. Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung oder -auflö- 113 sung C. Exkurs: Analyse der Realoption im Besonderen 117

IV. Konkretisierung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfül- 119 lungsaufwand und Realerfüllungsinteresse anhand klassischer Beispiele

1. Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort 120 A. Im Allgemeinen 120 B. Das Problem des ungewissen Erfüllungsaufwands 121 C. Das Problem der unbestimmten Restdauer der Leistungserschwerung 122 2. Speziessache in fremdem Eigentum 124 A. Im Allgemeinen 124 B. Das Problem des ungewissen Realerfüllungsinteresses 126 3. Fehlende Gattungsware 129 A. Gattungsschulden im Allgemeinen 129 B. Grundsatz: Genus perire non potest 130 C. Ausnahmen 133 a. Beschränkte Gattungsschuld 133

b. Vertragliche Einschränkung der Beschaffungspflicht 135 D. Das Problem stillschweigender vertraglicher Vereinbarungen und 136

der Vertragsergänzung im Besonderen 4. Dienstleistungspflichten 140 A. Begriffe der persönlichen und unpersönlichen Leistungspflicht 140 B. Leistungshindernisse in der Person des Schuldners 143 C. Andere Leistungshindernisse 145

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Teil 3: Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung 147

§ 8 Übersicht 147

I. Nicht übermässige Leistungserschwerung 147 II. Übermässige Leistungserschwerung 148 1. Allgemeines 148 2. Leistungsverweigerungsrecht 148 3. Vertragsanpassung bzw. -auflösung 149 III. Exkurs: Endgültige, absolute Unmöglichkeit 149 IV. Ausblick 150

§ 9 Leistungsverweigerungsrecht 151

I. Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts (Zusammenfassung) 151 II. Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts 151 III. Rechtslage bei Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts 152 1. Allgemeines 152 2. Realerfüllungsanspruch ist nicht klageweise durchsetzbar 153 A. Grundsatz 153 B. Teilerschwerung 154 3. Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers 155 4. Andere Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis 156 IV. Weitere Rechtsfolgen gemäss Verzugsrecht (Art. 102 - 109 OR) 156 1. Vorbemerkung: Leistungserschwerung schliesst Schuldnerverzug 156

nicht aus 2. Haftung für Verspätungsschaden und Haftung für Zufall 158 3. Verzicht auf nachträgliche Erfüllung 159 A. Im Allgemeinen 159 B. Wahlrechte gemäss Art. 107 - 109 OR 160

§ 10 Richterliche Vertragsanpassung 163

I. Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung (Zusammenfassung) 163 II. Rechtsgrundlage und Rechtsnatur 163 III. Arten der Vertragsanpassung 165

1. Übersicht 165 2. Vollständige Vertragsauflösung 165 3. Teilweise Vertragsauflösung 167 A. Im Allgemeinen 167 B. Vorzeitige Vertragsauflösung bei Dauerverträgen 169 4. Vertragsanpassung im engeren Sinn: Abänderung der Leistung 169 (Ersatzleistung)

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5. Keine mögliche Art der Vertragsanpassung: Erhöhung der Gegen- 170 leistung

IV. Übrige Anpassungsfolgen 170 1. Bei Verantwortung des Schuldners 170 2. Bei Verantwortung des Gläubigers 173 3. Mangels Verantwortung des Schuldners oder des Gläubigers 174

Teil 4: Einzelfragen 177

§ 11 Der Anspruch auf eine Ersatzleistung 177

I. Vorbemerkung 177 II. Als Naturalersatz bei Verantwortung des Schuldners 179 III. Mangels Verantwortung des Schuldners 180 1. Anspruch auf ein stellvertretendes Commodum 180 2. Im Allgemeinen: Kein Anspruch auf eine Ersatzleistung 181 IV. Ersatzvornahme nach Art. 98 Abs. 1 OR 182 1. Allgemeines 182 2. Vollstreckungstheorie und Erfüllungstheorie 183 3. Surrogatstheorie 184

§ 12 Voraussetzungen der Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR 186 bei Leistungserschwerung

I. Allgemeines 186 II. Bei ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht 186 1. Nachfristansetzung 186 2. Mahnung 188 3. Fälligkeit 188 III. Mangels ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht 189

§ 13 Vom Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung 191

I. Allgemeines 191 II. Aktives Herbeiführen eines Leistungshindernisses 192 III. Verletzung der Pflicht zur Verhinderung von Leistungshindernissen 192 IV. Nichtüberwindung eines überwindbaren Leistungshindernisses 195 V. Verletzung einer Aufklärungspflicht 196

Zusammenfassung (Verweis) 199

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XI

Literaturverzeichnis Weitere Literaturangaben finden sich in den Anmerkungen. ABEGGLEN, Sandro, Die Aufklärungspflichten in Dienstleistungsbeziehungen, insbeson-

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Abkürzungsverzeichnis

a. A. am Anfang oder anderer Ansicht ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch für Österreich vom 1. Juni

1811 Abs. Absatz/Absätze Abschn. Abschnitt(e) Abt. Abteilung AcP Archiv für die civilistische Praxis (Tübingen) a. E. am Ende AG Aktiengesellschaft AGVE Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide AJP Aktuelle Juristische Praxis allg. allgemein(e) Anm. Anmerkung(en), Fussnote(n) aOR alt OR: BG über das Obligationenrecht vom 14. Juni 1881 AppGer Appellationsgericht AppH Appellationshof Art. Artikel AT Allgemeiner Teil Aufl. Auflage BasK Basler Kommentar BB Der Betriebsberater (Heidelberg) BBl Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft Bd./Bde. Band/Bände BerK Berner Kommentar betr. betreffend BezGer Bezirksgericht BG Bundesgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch für das deutsche Reich vom 18. August

1896

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XXIII

BGB a. F. Bürgerliches Gesetzbuch für das deutsche Reich vom 18. August 1896 (alte Fassung), Stand vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Moder-nisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (Bundesgesetz-blatt 2001 I 3138)

BGB n. F. Bürgerliches Gesetzbuch für das deutsche Reich vom 18. August 1896 (neue Fassung), Stand nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Mo-dernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (Bundesge-setzblatt 2001 I 3138)

BGE Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bun-desgerichtes

BGer Bundesgericht BGH (Deutscher) Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des (deutschen) Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

(Köln) BJM Basler Juristische Mitteilungen Botsch. Botschaft BR Baurecht bspw. beispielsweise BT Besonderer Teil bzw. beziehungsweise ders. derselbe (Autor) d. h. das heisst Diss. Dissertation Einl. Einleitung Ergbd. Ergänzungsband Erw. Erwägung(en) etc. et cetera f. folgende (Seite, Note, usw.) ff. folgende (Seiten, Noten, usw.) FS Festschrift gl. A. gleicher Ansicht GVP St. Gallische Gerichts- und Verwaltungspraxis HandK Handkommentar HGB Handelsgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 10. Mai 1897 HGer Handelsgericht

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XXIV

Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben Hw. Hinweis(e) i. c. in casu i. d. R. in der Regel i. gl. S. in gleichem Sinne insb. insbesondere i. S. im Sinne oder in Sachen i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit i. Zh. m. im Zusammenhang mit JdT Journal des Tribunaux JZ (deutsche) Juristen Zeitung (Tübingen) KassGer Kassationsgericht KGer Kantonsgericht LGVE Luzerner Gerichts- und Verwaltungsentscheide lit. litera, Buchstabe LPG BG vom 4. Oktober 1985 über die landwirtschaftliche Pacht, SR 221.

213.2 Max Maximen, Grundsätzliche Entscheidungen des luzernischen Oberge-

richts und seiner Abteilungen m. E. meines Erachtens m. Hw. mit Hinweisen m. Nw. mit Nachweisen mp Mietrechtspraxis, Zeitschrift für schweizerisches Mietrecht m. w. Hw. mit weiteren Hinweisen N Note(n) NJW Neue Juristische Wochenschrift (München/Frankfurt a. M.) Nr. Nummer(n) Nw. Nachweis(e) OGer Obergericht OLG Oberlandesgericht

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XXV

OR BG vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, Fünfter Teil: Obligationenrecht, SR 220

Pra Die Praxis des Bundesgerichts recht recht, Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis RGZ Entscheidungen des Deutschen Reichsgerichts in Zivilsachen (Leip-

zig) S. Seite(n) s. siehe Semjud La Semaine Judiciaire SJK Schweizerische Juristische Kartothek SJZ Schweizerische Juristen-Zeitung sog. sogenannt SPR Schweizerisches Privatrecht SR Systematische Sammlung des Bundesrechts StenBull NR Amtliches stenographisches Bulletin der Bundesversammlung, Na-

tionalrat StGB Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937, SR 311.0 u. a. unter anderem UCC Uniform Commercial Code (der National Conference of Commissio-

ners on Uniform State Laws und des American Law Institute der Vereinigten Staaten von Amerika)

usw. und so weiter vgl. vergleiche Vorbem. Vorbemerkungen VVG BG vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag, SR 221.229.1 z. B. zum Beispiel ZBJV Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907, SR 210 Ziff. Ziffer zit. zitiert ZPO Zivilprozessordnung ZR Blätter für Zürcherische Rechtsprechung ZSR Zeitschrift für Schweizerisches Recht ZürK Zürcher Kommentar

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1

Einleitung

1 Durch den Abschluss eines synallagmatischen Schuldvertrages verpflichten sich die Parteien gegenseitig zur Erbringung einer Leistung: Jede Partei verpflichtet sich als Schuldner gegenüber der anderen Partei als Gläubiger, eine bestimmte Leistung zu er-bringen. Beim Vertragsschluss hat in der Regel jede Partei gewisse Vorstellungen, wie sie die von ihr geschuldete Leistung erbringen wird und welcher Aufwand, welche Erfüllungsanstrengungen dazu nötig sind. Diese Vorstellungen der Parteien können sich aus verschiedenen Gründen als nicht richtig erweisen. Oft hat sich der Schuldner zu wenig Gedanken oder falsche Vorstellungen über die nötigen Erfüllungsanstren-gungen gemacht oder sich bei deren Bestimmung verrechnet oder verschätzt. Zuweilen waren dem Schuldner gewisse bereits bei Vertragsschluss vorliegende Umstände nicht bekannt. Und manchmal kommt es vor, dass nach dem Vertragsschluss Ereignisse oder Umstände eintreten, welche den Erfüllungsaufwand erhöhen und damit die Erbringung der Leistung erschweren. Dieser letzte Fall, die nach Vertragsschluss ein-tretende, „nachträgliche“ Leistungserschwerung, bildet den Gegenstand der vorliegen-den Arbeit.

2 Der Schuldner bleibt bei nachträglicher Leistungserschwerung grundsätzlich zur Leis-tung verpflichtet. Er hat die auftretenden Schwierigkeiten zu überwinden, auch wenn dazu grössere Erfüllungsanstrengungen nötig sind, als er bei Vertragsschluss gedacht hat. Pacta sunt servanda. Ist der für die Erfüllung nötige Aufwand aber sehr viel grös-ser als vorausgesehen, kann die Bindung des Schuldners an den Vertrag als hart und unbillig empfunden werden. Das Schweizer Recht kennt denn auch verschiedene Regeln, wonach sich der Schuldner bei nachträglichen Verhältnisänderungen unter be-stimmten Voraussetzungen von seiner Leistungspflicht befreien kann. Bei Unmöglich-keit der Leistung entfällt die Leistungspflicht von Gesetzes wegen (Art. 97 und 119 OR). Im Werkvertragsrecht kann der Unternehmer bei nicht voraussehbaren, ausser-ordentlichen Umständen, welche die Werkherstellung übermässig erschweren, die An-passung des Vertrages (Erhöhung des Werkpreises) oder dessen Auflösung verlangen (Art. 373 Abs. 2 OR). Dasselbe Recht steht dem Schuldner gemäss dem allgemeinen Grundsatz der clausula rebus sic stantibus bei allen Verträgen zu, wenn eine unvor-hersehbare nachträgliche Verhältnisänderung ein übermässiges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung (eine sog. „gravierende Äquivalenzstörung“) bewirkt. Bei Dauerverträgen besteht zudem die Möglichkeit der Kündigung aus wich-

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2

tigem Grund. Es ist damit anerkannt, dass Pacta sunt servanda kein unbeschränkt gültiges Prinzip ist.

3 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es aufzuzeigen, unter welchen Voraussetzungen die nachträgliche Leistungserschwerung den Schuldner von der Pflicht zur Erbringung der Leistung befreit und welche Rechtsfolgen die Leistungserschwerung in diesem Falle ausserdem nach sich zieht. Dabei wird wie folgt vorgegangen:

4 Im ersten Teil spreche ich zuerst von der Leistungserschwerung im Allgemeinen (§ 1). Sodann werden die Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung dargestellt (§ 2). Da keine der von der Lehre und Rechtsprechung herangezogenen Gesetzesbestimmun-gen und Rechtsgrundsätze die Leistungserschwerung überzeugend zu regeln vermag (vgl. die Kritik in § 3), wird eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Grenzen der Leistungspflicht des Schuldners notwendig.

5 Im zweiten Teil (§§ 5 - 7) stehen solche grundsätzlichen Überlegungen zum Realerfül-lungsanspruch und seinen Grenzen im Vordergrund. Diese führen zum Resultat, dass die Erzwingung der Realerfüllung nicht (mehr) gerechtfertigt ist, wenn die Leistung so erschwert ist, dass ein Missverhältnis zwischen dem Erfüllungsaufwand und dem Realerfüllungsinteresse des Gläubigers besteht (sog. übermässige Leistungserschwe-rung, vgl. Nr. 220 ff. und insb. Nr. 230 ff.). Dieses Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse des Gläubigers kann durch Gesamtanalogie aus Art. 368 Abs. 2 OR, Art. 163 Abs. 3 OR und Art. 373 Abs. 2 OR abgeleitet werden. Ob der Schuldner die Leistungserschwerung zu verantworten hat, die Leistungserschwerung voraussehbar war oder die Leistungserschwerung zu einer Äquivalenzstörung führt, ist gemäss diesem Kriterium für die Erzwingbarkeit des Realerfüllungsanspruchs nicht entscheidend.

6 Im dritten Teil (§§ 8 - 10) wird sodann die Rechtslage bei übermässiger Leistungser-schwerung dargestellt. Der Schuldner hat ein Leistungsverweigerungsrecht, welches ihn berechtigt, die Erbringung der Leistung während der Dauer der übermässigen Leis-tungserschwerung zu verweigern. Verweigert der Schuldner die Leistung, ist der Gläu-biger seinerseits zur Zurückhaltung seiner Leistung berechtigt (vgl. Art. 82 OR). Es steht dem Gläubiger ferner frei, die Behebung der übermässigen Leistungserschwe-rung abzuwarten und danach Realerfüllung zu fordern oder jederzeit gemäss den Ver-zugsregeln (insb. Art. 107 Abs. 2 OR) auf nachträgliche Erfüllung zu verzichten und damit den Vertrag zu liquidieren. Der Entscheid über den Weiterbestand des Vertrages liegt deshalb grundsätzlich in den Händen des Gläubigers. Nur wenn diese Rechtslage den Schuldner ungebührlich benachteiligt oder wenn die übermässige Leistungser-schwerung offensichtlich endgültig ist, ist der Schuldner ausnahmsweise berechtigt, vom Richter die (endgültige) Vertragsanpassung bzw. Vertragsauflösung zu verlangen.

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7 Im vierten Teil (§§ 11 - 13) werden schliesslich verschiedene Einzelfragen behandelt, namentlich der Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung, die Voraussetzungen der Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR bei Leistungserschwerung und das Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung.

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Teil 1: Grundlagen

§ 1 Die Leistungserschwerung

I. Begriff der Leistungserschwerung

1. Allgemeines

8 Der Begriff der Leistungserschwerung ist kein gesetzlicher oder von Lehre und Recht-sprechung einheitlich verwendeter Begriff.1 In dieser Arbeit wird jede Situation als Leistungserschwerung bezeichnet, bei welcher sich der für die Erfüllung nötige Auf-wand (Erfüllungsaufwand) infolge von nach Vertragsschluss eintretenden Ereignis-sen oder Umständen erhöht. Die Erbringung der geschuldeten Leistung durch den Schuldner (kurz: die Leistung) erfordert infolge dieser Ereignisse oder Umstände grös-seren Erfüllungsaufwand, als nötig wäre, wenn die Ereignisse oder Umstände ausge-blieben wären.2 Genaueres zur Erhöhung des Erfüllungsaufwands hinten Nr. 13 ff.

9 Eine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne beruht nach dem soeben Gesagten auf einem Ereignis oder Umstand, welcher den Erfüllungsaufwand erhöht. Die Lehre bezeichnet solche Ereignisse und Umstände als Leistungshindernisse.3 Obwohl Leistungshindernisse grundsätzlich bei allen Arten von Obligationen auftreten können, beschränken wir uns hier auf die Leistungserschwerung bei vertraglichen Obligationen, genauer auf die Erschwerung einer Hauptleistung bei synallagmatischen Schuldverträgen.

10 Leistungshindernisse können bereits beim Vertragsschluss bestehen (ursprüngliche oder anfängliche Leistungserschwerung) oder erst nach dem Vertragsschluss eintreten (nachträgliche Leistungserschwerung). Beide Fälle stehen sich nahe, wie das folgende Beispiel zeigt:

1 Im Gesetz ist nur vereinzelt von „Erschwerung“ die Rede, beispielsweise in Art. 373 Abs. 2 OR

oder in Art. 527 Abs. 1 OR. 2 Vgl. aus der deutschen Literatur Ingo KOLLER, S. 4: Erhöhung des materiellen oder ideellen Auf-

wands bei der Leistungserbringung. 3 Durch den Eintritt eines Leistungshindernisses unterscheidet sich die Leistungserschwerung im

hier verstandenen Sinne vom einleitend erwähnten Fall, bei welchem sich der Schuldner schlicht zu wenig Gedanken oder falsche Vorstellungen über den Erfüllungsaufwand macht oder er sich bei dessen Bestimmung verrechnet oder verschätzt (Nr. 1).

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11 Beispiel: „Steinbruch-Sarnen-Fall“:4 Die Gemeinde Rapperswil kaufte von Josef Spiller ca. 120 Wagenladungen Kleinpflastersteine im Masse von 8/10 aus dem Stein-bruch des Spiller in Sarnen, welche sie für den Bau einer Strasse benötigte. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Formation des guten Gesteins, welcher die Steine entnommen werden sollten, stark „bergeinfallend“ war, was die Produktion der Steine erheblich ver-teuerte. Dieser Umstand lag unstreitbar schon bei Vertragsschluss vor, er war den Parteien aber nicht bekannt. Unterstellen wir, dass statt dessen ein nach Vertragsschluss eingetretener Felssturz die Produktion der Steine verteuert hat. Im Ergebnis ist die Wir-kung beider Ereignisse dieselbe: Der Schuldner kann die Steine nur mit erheblich höhe-ren Kosten produzieren – in dieser Hinsicht besteht kein Unterschied. Ein Unterschied besteht aber insofern, als der Schuldner im ersten Falle die ungünstige Schichtenlage allenfalls durch Probebohrungen oder andere Massnahmen hätte erkennen können, wäh-rend er im zweiten Falle den Felssturz als zukünftiges Ereignis naturgemäss nicht hat kennen können. Wohl hätte er aber allenfalls die Gefahr eines Felssturzes voraussehen können. Beide Tatbestände, die ursprüngliche und die nachträgliche Leistungs-erschwerung, stehen sich damit sehr nahe.

12 Im Rahmen dieser Arbeit beschränken wir uns auf den zweiten Fall, die nachträgliche Leistungserschwerung. Im Folgenden wird unter einer Leistungserschwerung deshalb immer eine nachträgliche Leistungserschwerung verstanden. Da bei dieser – wie ge-sagt – nach Vertragsschluss ein Leistungshindernis eintritt, handelt es sich um einen Fall der nachträglichen Veränderung der Verhältnisse und Umstände. Als solche ist die Leistungserschwerung von anderen Fällen nachträglicher Verhältnisänderungen abzugrenzen (Nr. 27 ff.).

2. Eigentliche Leistungserschwerung

13 Beim klassischen Fall der Leistungserschwerung erfordert die Erbringung der Leistung zusätzliche, d. h. mehr oder grössere Erfüllungsanstrengungen. Beispielsweise be-nötigt der Unternehmer für die Herstellung des Werkes mehr Material, mehr Personal oder längerdauernde eigene Tätigkeit. Dem gleichzusetzen ist der Fall, dass die Erbrin-gung der Leistung zwar nicht zusätzliche Erfüllungsanstrengungen erfordert, jedoch andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen, welche den Schuldner stärker belasten. Beispielsweise benötigt der Unternehmer statt des geplanten Krans einen grösseren (und damit teureren) Kran. Leistungserschwerungen können bei Sachleistun-gen wie auch bei Dienstleistungen vorkommen. Bei Sachleistungen (Pflicht zur Ver-schaffung einer Sache) besteht die Leistungserschwerung oft in erhöhten Beschaf-fungskosten der geschuldeten Sache.

4 BGE 57 II 508 ff. Vgl. zu diesem BGE hinten Nr. 393 ff.

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14 Beispiel: „Kuriwata-Seiden-Fall“:5 Kopf-Schnewlin (Verkäufer) verkaufte im Juni 1899 1500 Kilogramm Kuriwata-Seide für 7 Franken pro Kilogramm an Bavier & Cie. (Käufer). Gemäss den Behauptungen des Verkäufers zerstörten ein Taifun und damit verbundene Überschwemmungen die Kuriwata-Ernte von 1899/1900 in den japani-schen Produktionsgebieten nahezu gänzlich, so dass die Beschaffung der Seide im Herbst 1899 nicht bzw. nur zu erheblich erhöhten Preisen möglich war.6

15 Nicht von einer Leistungserschwerung sprechen wir, wenn die Erfüllung ausschliess-lich mehr Zeit erfordert, ohne dass gleichzeitig zusätzliche oder andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen, beispielsweise eine längerdauernde Tätigkeit des Schuldners nötig wird. In diesem Falle ist die Erfüllung nicht erschwert, sondern lediglich ver-zögert. Häufig werden freilich eine Leistungserschwerung und Verzögerungen zusam-menfallen.7

3. Atypische Fälle der Leistungserschwerung

16 Sodann gibt es atypische Fälle der Leistungserschwerung, bei welchen die Leistung weder zusätzliche noch andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen erfordert, die (unveränderten) Erfüllungsanstrengungen den Schuldner aber sonst stärker belasten oder die Erfüllung ihm andere, nicht materielle Nachteile bereitet.

A. Wertsteigerung der Leistung und verwandte Fälle

17 Zu diesen atypischen Leistungserschwerungen gehört die Wertsteigerung der Leistung. Ein solcher Fall liegt vor, wenn die geschuldete Leistung nach Vertragsschluss an Wert gewinnt. Ist der Schuldner bereits im Besitze der Leistung, erfordert die Leistungserbringung zwar weder zusätzliche, noch andere Erfüllungsanstrengungen. Doch belastet die Erfüllung den Schuldner insofern stärker, als er die Leistung nun einem Dritten zu vorteilhafteren Konditionen erbringen könnte. Die Erschwerung besteht – ökonomisch gesprochen – in den erhöhten Opportunitätskosten8 der Leis-tungserbringung.

5 BGE 27 II 211 ff. Vgl. zu diesem BGE hinten Nr. 387. 6 Vgl. auch den ähnlich gelagerten Entscheid des OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488, betr.

Steinholzbirnen. 7 Vgl. ERDIN, Nr. 55 und Nr. 63 ff., betr. Art. 373 Abs. 2 OR. 8 Unter Opportunitätskosten versteht man in der Ökonomie die Kosten der Verwendung eines Guts,

die im entgangenen Nutzen (Ertrag) bestehen, der durch eine andere Verwendung des Guts hätte erzielt werden können. Vgl. Peter METZGER, Schweizerisches juristisches Wörterbuch, Bern/ Stuttgart/Wien 1996, S. 416. Beispiel (zu Nr. 18): Wenn der Verkäufer die Seide dem Käufer ver-tragsgemäss liefert, entgeht ihm der (höhere) Kaufpreis, welchen er durch Weiterverkauf der Seide an einen Dritten hätte erzielen können. Die Opportunitätskosten der Lieferung an den

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18 Beispiel: Variante zum „Kuriwata-Seiden-Fall“ (Nr. 14): Unterstellen wir, dass der Verkäufer sich bereits mit Kuriwata-Seide eingedeckt hatte, als der Taifun in Japan wütete. In diesem Falle entstehen ihm zwar keine erhöhten Beschaffungskosten, doch könnte er die Seide nun vermutlich zu einem erheblich höheren Preis als dem vertrag-lich vereinbarten an einen Dritten verkaufen.

19 Ob eine eigentliche Leistungserschwerung oder eine blosse Wertsteigerung der Leis-tung vorliegt, hängt – wie die Beispiele in Nr. 14 und 18 zeigen – oft nur davon ab, ob der Schuldner im Zeitpunkt des Eintritts des Leistungshindernisses bereits im Besitze der Leistung ist, oder ob er sich diese erst noch beschaffen muss.9

20 Zwei Sonderfälle verdienen, besonders erwähnt zu werden:

21 – Dringender Eigenbedarf: Ein Sonderfall der Wertsteigerung der Leistung liegt vor, wenn der Schuldner der Leistung selbst dringend bedarf. Die Wertsteigerung besteht in diesem Falle gerade darin, dass der Schuldner die Sache nun für sich selbst besser verwenden könnte. Die Opportunitätskosten der Leistungserbringung bestehen in der (bei Leistungserbringung nicht möglichen) Eigennutzung.

22 Beispiel: Art. 309 Abs. 2 OR: Der Verleiher kann die ausgeliehene Sache vorzeitig zurückfordern, wenn er selbst wegen eines unvorhergesehenen Falles der Sache dringend bedarf.

23 – Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners: Schliesslich kann die Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners zu Verän-derungen seiner Präferenzen führen: Angesichts der veränderten Vermögensver-hältnisse würde der Schuldner nun in andere Weise als der vertraglich vereinbarten über die Leistung verfügen.

24 Beispiel: Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR: Der Schenker kann das Schenkungsversprechen widerrufen, wenn sich seine Vermögensverhältnisse seit dem Versprechen so geändert haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde.

B. Nicht materielle Nachteile

25 Gelegentlich bereitet die Vertragserfüllung dem Schuldner nicht materielle Nachteile. So verhält es sich oft bei Dienstleistungen, wenn der Schuldner die Leistung aus per-sönlichen Gründen, z. B. wegen Krankheit, Unfall, Alter, körperlicher Behinderung oder wegen ungenügendem Fachwissen oder Know-how nur mit besonderen Mühen erbringen kann.

Käufer entsprechen dem entgangenen (höheren) Kaufpreis, den der Dritte zu bezahlen bereit wäre.

9 Im ersten Falle ist der Schuldner gegen den Preisanstieg abgesichert (oder – wiederum ökono-misch gesprochen – „hedged“), im zweiten Falle nicht.

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26 Bei Verträgen, welche ein Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien voraussetzen, namentlich also bei Dauerverträgen wie beispielsweise bei Arbeitsverträgen, der Ver-pfründung und in abgeschwächtem Masse auch bei Miete, kann sich das persönliche (zwischenmenschliche) Verhältnis der Parteien so verschlechtern (z. B. wegen Unred-lichkeiten, Zänkereien, Streitigkeiten, Verleumdungen, Uneinigkeit, etc. oder wieder-holten kleineren Vertragsverletzungen), dass der Schuldner die Vertragserfüllung als Belastung empfindet. Auch in diesem Falle sind weder zusätzliche noch andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen für die Vertragserfüllung erforderlich, doch belastet die Vertragserfüllung den Schuldner in nicht materieller (ideeller) Hinsicht stärker.

4. Abgrenzungen

27 Die Leistungserschwerung ist von jenen Verhältnisänderungen abzugrenzen, bei welchen die veränderten Verhältnisse und Umstände nicht die Erbringung der Leistung durch den Schuldner beeinflussen, sondern die Verwendung der Leistung durch den Gläubiger.

A. Verwendungserschwerung (oder Verwendungsunmöglichkeit)

28 Bei der sog. Verwendungsunmöglichkeit10,11 oder Verwendungserschwerung kann der Gläubiger die Leistung infolge veränderter Verhältnisse oder Umstände überhaupt nicht mehr oder nicht mehr gleich gut gebrauchen. Sein Interesse an der Leistung ist 10 Vgl. dazu AEPLI, ZürK, N 31 zu Art. 119 OR; ferner BARTH, S. 20; BECKER, BerK, N 16 zu Art.

97 OR; BESSON, S. 34 f.; BUCHER, OR AT, S. 248; GAUCH, Dauervertrag, S. 124; GAUCH/ SCHLUEP/REY, Nr. 3157; GIGER, S. 24 Anm. 2; BISCHOFF, S. 133 f.; Ingo KOLLER, S. 8; ferner JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 654 ff. zu Art. 18 OR; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 415a f.; sowie die in Anm. 11 und 235 zit. Entscheide.

11 Beispiele: (1) Der Mieter kann das Mietlokal nicht mehr verwenden, (a) weil er den im Lokal betriebenen Spielsalon infolge polizeilicher Auflagen aufgegeben hat (BGE 116 II 514), (b) weil dem Mieter der Betrieb von Verkaufsläden verboten wird (BGE 62 II 44), (c) weil die Aufent-haltsbewilligung des Mieters nicht verlängert wird (OGer ZH, ZR 62 (1963) Nr. 79, S. 218 ff.), (d) infolge Kriegsmobilmachung (ZBJV 50 (1914) Nr. 2, S. 537). (2) Der Strombezüger kann den gelieferten Strom nicht verwenden, weil seine Fabrik abgebrannt ist (BGE 48 II 371 f.). (3) Infolge Fabrikbrandes kann der Besteller das bestellte Verpackungsmaterial nicht verwenden (HGer ZH, ZR 34 (1935) Nr. 43, S. 97). (4) Der Käufer kann die Kaufsache nicht verwenden, weil er sie infolge eines Exportverbotes nicht ins Bestimmungsland bringen kann (BezGer ZH, ZR 17 (1918) Nr. 99, S. 185; vgl. auch BGE 44 II 409 f. betr. Einfuhrverbot). (5) Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer nicht beschäftigen, (a) wegen schlechten Wetters (vgl. BGE 114 V 336 ff.), (b) wegen kriegsbedingten Auftragmangels (AppGer BS, SJZ 12 (1915) Nr. 35, S. 135 f.; HGer AG, SJZ 12 (1916) Nr. 75, S. 297), (c) wegen schlechten Geschäftsgangs (BGE 44 II 414). (6) Der Kursbesucher kann die Englischkurse wegen Veränderung seiner Arbeitszeit nicht besuchen (OGer LU, Max 7 Nr. 188, S. 37 ff.). Vgl. ferner BGE 46 II 171 f.; BGE 26 II

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infolge der Verhältnisänderung reduziert oder entfällt sogar vollständig. Dies kann auf allgemeine, objektive Gründe zurückzuführen sein (z. B. Kriegsausbruch) oder auf persönliche Gründe (z. B. Stellenversetzung, Hospitalisierung etc.). Oft führt die Ver-wendungserschwerung zu einer Störung der Leistungsäquivalenz, im Sinne dass der Gläubiger die von ihm geschuldete Gegenleistung wegen der veränderten Verhältnisse oder Umstände im Vergleich zur Leistung des Schuldners als übermässig empfindet.

29 Beispiel: „Börsengebäude-Zürich-Fall“:12 Im Mai 1929 mietete Rogenmoser von der Tiefengrund AG Räumlichkeiten des sich damals noch im Bau befindenden „neuen“ Börsengebäudes Zürich für einen Mietzins von mehr als CHF 150'000.– pro Jahr. Infolge der sich akut verschlechternden Entwicklung der Wirtschaftslage erwirtschaf-tete Rogenmoser in der Folge mit dem in diesen Räumlichkeiten geführten Gastwirt-schaftsbetrieb nicht den erwarteten Umsatz und Ertrag, weshalb er die Herabsetzung des Mietzinses oder die Auflösung des Vertrages verlangte.

30 Bei der Verwendungserschwerung bleiben die Erfüllungsanstrengungen des Schuld-ners (i. c. Vermieters) unverändert, und auch die Erfüllungsanstrengungen des Gläubi-gers (i. c. Mieters) für die Erbringung der Gegenleistung verändern sich nicht (der Mietzins bleibt unverändert). Beeinträchtigt ist einzig die Verwendung der Leistung durch den Gläubiger (i. c. erzielt der Mieter in den Räumlichkeiten nicht den erhofften Umsatz und Ertrag): Unter den gegebenen Umständen ist die Leistung des Schuldners für den Gläubiger weniger wert oder gar ganz wertlos. Aus diesem Grunde empfindet der Gläubiger die von ihm geschuldete Gegenleistung im Vergleich zur Leistung des Schuldners als übermässig.

B. Entwertung der Leistung und Inflation

31 Ein häufiger und typischer Fall der Verwendungserschwerung ist die (allgemeine) Ent-wertung der Leistung, beispielsweise einer Geldleistung (Inflation). Die Entwertung oder Inflation beeinflusst die Erbringung der entwerteten Leistung durch den Schuld-ner in keiner Weise, doch will der Gläubiger den Vertrag oft nicht mehr halten, weil er für seine Gegenleistung nun keine angemessene Leistung mehr erhält.

549; BGE 69 II 145; Semjud 87 (1965), S. 472.

12 BGE 59 II 372 ff. = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 463 ff.; BGE 60 II 205 ff.; BGE 61 II 259 ff.

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II. Intensität und Dauer der Leistungserschwerung

1. Intensität der Leistungserschwerung

32 Gemäss der bisher präsentierten Begriffsumschreibung (Nr. 8 ff.) setzt die Leistungs-erschwerung einzig voraus, dass die Leistung infolge eines nach Vertragsschluss ein-tretenden Leistungshindernisses erhöhten Erfüllungsaufwand erfordert, d. h. zusätz-liche oder andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen (Nr. 13 ff.). Über das Aus-mass der Aufwanderhöhung, d. h. die Intensität, mit welcher der Schuldner an der Erfüllung gehindert wird, wird damit nichts gesagt. Im Rahmen dieser Arbeit soll die Leistungserschwerung gegen „unten“ und gegen „oben“ wie folgt abgegrenzt werden:

33 – Keine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne liegt einerseits vor, wenn die Erfüllung unveränderte Erfüllungsanstrengungen erfordert: Die Erfüllung ist ohne zusätzliche oder andere, weitergehende Erfüllungsanstrengungen möglich, belastet den Schuldner auch nicht stärker und bereitet ihm keine immateriellen Nachteile. Kurz: Die Leistungspflicht des Schuldners ist unverändert und nicht erschwert.

34 – Andererseits kann nicht von einer Leistungserschwerung gesprochen werden, wenn die Erfüllung überhaupt nicht, d. h. mit beliebigen Erfüllungsanstrengun-gen nicht bewirkt werden kann. In diesem Falle ist die Erfüllung nicht nur erschwert, sondern gänzlich ausgeschlossen. Zu denken ist insbesondere an den Fall, dass die geschuldete Leistung einem Naturgesetz, den Regeln der Technik oder der Logik widerspricht, oder dass sie die menschliche Leistungsfähigkeit massiv überschreitet. Klassisches Beispiel ist die – nicht reparierbar – zerstörte Speziessache. Aber auch wenn ein Schuldner, der sich zu einer persönlichen Dienst-leistung verpflichtet hat, infolge Krankheit, Unfall, Alter, körperlicher Behinderung oder wegen ungenügendem Fachwissen oder Know-how (vgl. Nr. 25) so stark an der Erfüllung gehindert wird, dass er die Dienstleistung mit beliebigen Erfüllungs-anstrengungen, also überhaupt nicht (mehr) erbringen kann, liegt keine Leistungs-erschwerung vor.

35 Bei allen dazwischen liegenden Tatbeständen handelt es sich um Leistungs-erschwerungstatbestände im hier verstandenen Sinne. Diese offene, weite Begriffsum-schreibung wird hier ganz bewusst verwendet: Ein und dasselbe Leistungshindernis kann nämlich ganz unterschiedliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners haben. Zudem kommt es bei Leistungserschwerungen relativ häufig vor, dass die Verhältnisse Veränderungen unterworfen sind, die Auswirkungen eines

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Leistungshindernisses auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners somit nicht endgültig feststehen.

36 Beispiel: Im Kuriwata-Seiden-Fall (Nr. 14) kann der Taifun nur wenig Schaden angerichtet haben, so dass lediglich der Preis der Kuriwata-Seide geringfügig steigt. Allenfalls ist Kuriwata-Seide nur noch bei Produzenten ausserhalb des üblichen Be-schaffungsgebiets des Verkäufers erhältlich. Wenn die Lieferung einer ganz seltenen Seidensorte vereinbart wurde, welche nur in einer geographisch eng begrenzten Region gedeiht,13 ist es im Extremfall sogar denkbar, dass solche Seide bis im kommenden Jahr fast gar nicht mehr erhältlich ist. Dabei entspricht es der allgemeinen Lebens-erfahrung, dass die Marktverhältnisse selten stabil sind – in allen drei Fällen kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich die angespannten Marktverhältnisse beispielsweise wegen neu auf den Markt gebrachter Vorräte oder wegen Konkurrenzprodukten wieder entspannen.

2. Dauer der Leistungserschwerung

37 Auch an die Dauer der Leistungserschwerung werden im Rahmen dieser Arbeit keine besonderen Anforderungen gestellt. Als Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne gilt deshalb auch eine Leistungserschwerung, die von vornherein von be-schränkter Dauer oder von nicht absehbarer Dauer ist. Damit wird ebenfalls der soeben erwähnten Erfahrungstatsache Rechnung getragen, dass die Verhältnisse bei Leistungserschwerungen oft Veränderungen unterworfen sind, die Auswirkungen eines Leistungshindernisses auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners somit oft nicht endgültig feststehen.

38 Beispiel: „Colliers-Fall“:14 Ein Juwelier verkauft Colliers an einen Kunden. Die verkauften Colliers werden dem Juwelier in Italien aus dem Wagen gestohlen, so dass der Juwelier die Colliers dem Kunden nicht übergeben kann. Die gestohlenen Colliers können nach kurzer Zeit wieder auftauchen. Dies kann aber auch Jahre dauern. Schliesslich ist es denkbar, dass die Colliers gar nicht mehr zum Vorschein kommen, beispielsweise weil sie zerstört oder umgearbeitet wurden. Im Zeitpunkt des Diebstahls lässt sich über die Dauer des Verschwunden-Seins in der Regel keine Prognose machen.

13 So offenbar im erwähnten Entscheid, BGE 27 II 216. 14 Ein ähnlicher Sachverhalt liegt OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 205 ff., zugrunde. Vgl. auch

BGE 113 II 421 ff. betr. der Haftung des Garagisten bei Diebstahl eines Fahrzeugs, das ihm ein Kunde zur Reparatur anvertraut hat; BGE 126 III 192 ff. betr. Haftung des Aufbewahrers bei Diebstahl der hinterlegten Sache (i. c. Schmuckstücke).

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III. Gegenstand der Arbeit: Die Leistungserschwerung im Gegensatz zur Ver-wendungserschwerung bzw. das „Erfüllungsproblem“ im Gegensatz zum „Äquivalenzproblem“

39 Gegenstand dieser Arbeit bildet die eigentliche Leistungserschwerung (Nr. 13 f.). Daneben wird vereinzelt auch auf atypische Fälle der Leistungserschwerung (Nr. 16 ff.) eingegangen. Hingegen werden die Verwendungserschwerung (Nr. 28 ff.) und die Entwertung der Leistung (Nr. 31) im Rahmen dieser Arbeit nicht behandelt. Der Grund für diese Einschränkungen liegt darin, dass bei der Leistungserschwerung einer-seits und bei der Verwendungserschwerung sowie der Entwertung der Leistung anderer-seits unterschiedliche Fragestellungen im Vordergrund stehen:

40 Bei der Verwendungserschwerung und bei der Entwertung der Leistung steht die Frage der Leistungsäquivalenz (das „Äquivalenzproblem“) im Vordergrund. Typischerweise stehen sich hier bei Vertragsschluss (mehr oder weniger) gleichwertige Leistungspflichten gegenüber, doch gerät die Leistungsäquivalenz nach Vertragsschluss aus dem Gleichgewicht, weil der Gläubiger die Leistung des Schuldners nicht mehr ver-wenden kann bzw. weil die Leistung des Schuldners an Wert verliert. Dieses Problem der nachträglichen Störung der Leistungsäquivalenz ist eine schwierige Frage der mate-riellen Vertragsgerechtigkeit. Eine allgemeine, griffige Regel zur Beurteilung von Äqui-valenzstörungen besteht nicht. Einzelheiten dazu hinten in Nr. 264 ff. und Nr. 402 ff.

41 Bei der Leistungserschwerung steht eine andere Frage im Vordergrund: Es fragt sich, welche Erfüllungsanstrengungen der Schuldner – unabhängig von der Höhe der Gegen-leistung – auf sich nehmen muss, um eine bestimmte Leistung in natura zu erbringen. Es geht um die Grenzen des Realerfüllungsanspruchs. Im Gegensatz zum Äquivalenz-problem besteht zur Lösung dieses „Erfüllungsproblems“ nach hier vertretener Auffas-sung sehr wohl eine objektive, praktikable Regel. Diese Regel soll in dieser Arbeit erar-beitet und dargestellt werden.

42 Dabei muss eingeräumt werden, dass sich Leistungserschwerungen nicht vollständig auf das Erfüllungsproblem reduzieren lassen. Wenn sich bei einer Leistungserschwerung der Erfüllungsaufwand stark erhöht, so gerät dadurch oftmals auch die Leistungsäqui-valenz in Schieflage, weil der Schuldner – bei unveränderter Gegenleistung – viel höhe-ren Erfüllungsaufwand auf sich nehmen muss. Es lässt sich deshalb nicht vermeiden, dass im Rahmen dieser Arbeit an verschiedener Stelle auch zum Äquivalenzproblem Stellung genommen wird (insb. Nr. 264 ff. und Nr. 402 ff.). Dennoch kann das Erfüllungsproblem (die Frage der Grenzen des Realerfüllungsanspruchs) nach hier ver-tretener Auffassung grundsätzlich unabhängig vom Äquivalenzproblem beurteilt wer-den, da eine allfällig durch Leistungserschwerung bewirkte Äquivalenzstörung im Falle des Fortbestandes des Realerfüllungsanspruchs durch Erhöhung der Gegenleistung (vgl.

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Art. 373 Abs. 2 OR) bzw. im Falle des Wegfalls des Realerfüllungsanspruchs durch einen Schadenersatz- oder Ausgleichsanspruch behoben werden kann. Der Entscheid über den Bestand und den Wegfall des Realerfüllungsanspruchs präjudiziert den Ent-scheid über die Anpassung der Leistungsäquivalenz deshalb nicht.

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§ 2 Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung

I. Grundsatz: Pacta sunt servanda

43 Gemäss dem Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) sind Verträge zu halten und die Leistungen so wie versprochen zu erbringen.15 Pacta sunt servanda gilt auch bei Leistungserschwerung (zu Ausnahmen Nr. 44): Der Schuldner hat die Leistung auch dann wie versprochen zu erbringen, wenn der Erfüllungsaufwand grösser ist als vorgese-hen.16 Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung, beispielsweise steigende Preise oder Löhne,17 Arbeitseinstellung im Betrieb des Schuldners18 usw., haben grundsätzlich kei-nen Einfluss auf den Bestand des Vertrages und die Leistungspflicht19,20 und sind vom Schuldner zu überwinden. Der Schuldner muss die Leistung trotz der auftretenden Schwierigkeiten erbringen und der Gläubiger kann die Leistung in natura verlangen, einklagen und zwangsweise durchsetzen.21 Ist der Schuldner mit der Erfüllung der fälligen Leistung in Verzug, so regelt sich die Rechtslage nach den Verzugsregeln, Art. 102 - 109 OR.

44 Pacta sunt servanda gilt jedoch nicht uneingeschränkt: Das Schweizer Recht kennt zahl-reiche Bestimmungen und Rechtsgrundsätze, gemäss welchen nachträgliche Verhältnis-änderungen Auswirkungen auf das Vertragverhältnis und die Leistungspflicht des Schuldners haben.22 Eine solche Bestimmung, welche ausdrücklich auch auf Leistungs-erschwerungen Anwendung findet, ist Art. 373 Abs. 2 OR. Gemäss dieser Bestimmung des Werkvertragsrechts kann der Unternehmer bei nicht voraussehbaren, ausserordent-lichen Umständen, welche die Werkherstellung übermässig erschweren, die Anpas-sung des Vertrages (Erhöhung des Werkpreises) oder dessen Auflösung verlangen. 15 Vgl. z. B. KOLLER, OR AT I, Nr. 613; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 561; DESCHENAUX, SPR II, S.

196; WIEGAND, BasK, N 97 zu Art. 18 OR. 16 KOLLER, OR AT I, Nr. 613; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; ferner JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 633

zu Art. 18 OR; vgl. auch Art. 373 Abs. 1 OR. 17 ZR 21 (1922) Nr. 37, S. 84; BGE 48 II 247 f. = Pra 11 (1922) Nr. 133, S. 336 f.; BGE 48 II 124;

BGE 45 II 320; BECKER, BerK, N 19 zu Art. 97 OR; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 14; WEBER, BerK, N 120 zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR. Auch BGE 68 II 169 ff., 172, ist m. E. in diesem Sinne zu verstehen. Vgl. zu diesem Entscheid Anm. 63. Abwei-chend BGE 46 II 433 ff.

18 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 14; WEBER, BerK, N 120 zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR.

19 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; BECKER, BerK, N 16 zu Art. 97 OR; KELLER/SCHÖBI, I, S. 246 und 248; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 120 zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR.

20 Einzig wenn Schuldner und Gläubiger die Leistungspflicht des Schuldners für bestimmte Schwie-rigkeiten vertraglich ausgeschlossen haben, sind diese Schwierigkeiten ausnahmsweise zu be-rücksichtigen; vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 15, mit Beispielen.

21 Einschränkungen hinten Nr. 194 ff.

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Daneben bestehen andere Bestimmungen und Rechtsgrundsätze, die nicht spezifisch auf Leistungserschwerungen zugeschnitten sind, aber teilweise dennoch zur Befreiung des Schuldners bei Leistungserschwerung herangezogen werden: die Unmöglichkeitsregeln, die clausula rebus sic stantibus oder bei Dauerverträgen die Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund. Ja selbst auf Grundlagenirrtum (Irrtum über zukünftige Sachverhalte) kann sich der Schuldner bei Leistungserschwerungen allenfalls berufen.

45 Im Folgenden wird untersucht, ob und unter welchen Voraussetzungen sich der Schuldner bei Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne gemäss der Lehre und Rechtsprechung gestützt auf die oben genannten Bestimmungen von seiner Leis-tungspflicht oder vom Vertrag befreien kann. Im Vordergrund stehen dabei die Unmöglichkeitsbestimmungen, Art. 97 und 119 OR (Nr. 46 ff.). Diese bedürfen einge-henderer Behandlung, da deren Anwendung auf unzumutbare Leistungen, die so ge-nannte subjektive Unmöglichkeit und die vorübergehende Unmöglichkeit umstritten ist. Es handelt sich dabei um Tatbestände, welche als Leistungserschwerung im hier ver-standenen Sinne aufgefasst werden können oder dieser zumindest nahe stehen. An-schliessend wird – erheblich kürzer – auf die clausula rebus sic stantibus (Nr. 115 ff.), Art. 373 Abs. 2 OR (Nr. 123 ff.), die Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund bei Dauerschuldverhältnissen (Nr. 126 ff.) und auf den (Grundlagen-)Irrtum über zukünf-tige Sachverhalte (Nr. 143 ff.) eingegangen.

II. Nachträgliche Unmöglichkeit der Leistung

1. Übersicht

A. Begriff der Unmöglichkeit

46 Die nachträgliche Unmöglichkeit wird im Obligationenrecht an verschiedenen Stellen geregelt,23 im allgemeinen Teil in Art. 97 und 119 OR.24 Eine Definition des Begriffs der nachträglichen Unmöglichkeit enthält das Gesetz nicht.25 Immerhin umschreibt Art. 97 Abs. 1 OR die nachträgliche Unmöglichkeit, und zwar mit den Worten:26 „Kann 22 WEBER, BerK, N 78 der Vorbem. zu Art. 97 - 109 OR. 23 Im besonderen Teil finden sich die folgenden Bestimmungen betr. die nachträgliche Unmöglich-

keit: Art. 324, 324a und 324b OR (Unmöglichkeit der Arbeitsleistung), Art. 378 und 379 OR (Unmöglichkeit der Werkerstellung im Werkvertrag), Art. 545 Abs. 1 Ziff. 1 OR (Unmöglichkeit des Erreichens des Zwecks der einfachen Gesellschaft).

24 Im allgemeinen Teil regelt ferner Art. 163 Abs. 2 OR die Wirkungen der vom Schuldner nicht zu vertretenden nachträglichen Unmöglichkeit auf die Konventionalstrafe.

25 Vgl. BARTH, S. 21 ff.; AEPLI, ZürK, N 40 zu Art. 119 OR. Art. 119 Abs. 1 OR spricht vom „Un-möglichwerden einer Leistung“ (vgl. die Marginalie), ohne den Begriff zu definieren oder zu um-schreiben.

26 Vgl. AEPLI, ZürK, N 17 zu Art. 119 OR; WIEGAND, Leistungsstörungen, recht 1983, S. 2; ferner

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die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht ... bewirkt werden...“ Unmöglichkeit bedeutet damit Nichtbewirkbarkeit der Erfüllung der Verbindlichkeit, oder anders gesagt Nichterbringbarkeit der Leistung.

47 Nach der gängigen Begriffsumschreibung von Lehre und Rechtsprechung hat der Begriff der nachträglichen Unmöglichkeit drei Begriffselemente oder Voraussetzun-gen: (1.) Nachträgliche Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR setzt den Bestand einer (rechtsgültigen) Obligation zwischen Schuldner und Gläubiger vor-aus.27 (2.) Die Erfüllung der Obligation ist unmöglich. (3.) Die Unmöglichkeit der Erfüllung tritt nach dem Zeitpunkt des Entstehens der Obligation (beispielsweise durch Vertragsschluss) ein.28,29 Durch die dritte Voraussetzung (Nachträglichkeit des Unmöglichkeitseintritts) wird die nachträgliche Unmöglichkeit von der anfänglichen Unmöglichkeit abgegrenzt.30

48 Im Rahmen dieser Arbeit interessiert vor allem die zweite Voraussetzung. Namentlich fragt sich, welche Anforderungen an die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners gestellt werden, damit die Leistung für ihn nicht erbringbar und damit un-

BUCHER, OR AT, S. 334 f.

27 Vgl. AEPLI, ZürK, N 22 zu Art. 119 OR; SCHENKER, Nr. 726 a. E.; ferner WIEGAND, BasK, N 8 zu Art. 97 OR. Dies ist eine logische Selbstverständlichkeit (BARTH, S. 79; AEPLI, ZürK, N 22 zu Art. 119 OR): Die Erfüllung der Leistungspflicht des Schuldners kann nur unmöglich werden, wenn der Schuldner zur Erbringung einer Leistung verpflichtet ist. Vorausgesetzt ist somit beispielsweise, dass ein Vertrag gültig abgeschlossen wurde (Konsens; Art. 1 OR) (RINGIER, S. 33), nicht erloschen ist (durch Erfüllung, Neuerung, Eintritt einer auflösenden Bedingung usw.), nicht wegen eines Formmangels nichtig ist, bzw. nicht durch Berufung auf Übervorteilung (Art. 21 OR) oder Willens-mangels (Art. 23 ff. OR) aufgehoben wurde und einen zulässigen Vertragsinhalt aufweist (Art. 19 und 20 OR). Namentlich darf der Vertrag nicht wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit (bzw. nach der neueren Auffassung von ZIEGLER, S. 20 ff., absoluter Unmöglichkeit; ähnlich KOLLER, OR AT I, Nr. 867 ff.) nichtig sein (AEPLI, ZürK, N 22 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 79; RINGIER, S. 33).

28 Vgl. z. B. WIEGAND, BasK, N 8 zu Art. 97 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3126; KELLER/ SCHÖBI, I, S. 245.

29 Nachträgliche Unmöglichkeit setzt somit voraus, dass Vertragsschluss und Erfüllung zeitlich nicht zusammenfallen. Beim Handgeschäft (vgl. statt vieler SCHÖNENBERGER/JÄGGI, ZürK, N 110 zu Art. 1 OR und N 106 und 121 vor Art. 1 OR; GIGER, BerK, N 184 zu Art. 184 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 267 ff.) ist folglich nachträgliche Unmöglichkeit nicht denkbar, anfängliche hingegen schon. Vgl. betr. der anfänglichen Unmöglichkeit KRAMER, BerK, N 246 zu Art. 19 - 20 OR, m. w. Hw.

30 Anfängliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Erbringung der Leistung bereits zum Zeitpunkt der Entstehung der Obligation unmöglich ist (KRAMER, BerK, N 246 zu Art. 19 - 20 OR; BGE 95 II 554; BGE 96 II 21). Präzisierend ist anzufügen, dass eigentlich nicht auf den Eintritt des Leis-tungshindernisses abzustellen ist, sondern darauf, wann der Eintritt des Leistungshindernisses (bzw. der Eintritt der Unmöglichkeit) objektiv feststand; vgl. AEPLI, ZürK, N 53 zu Art. 119 OR sowie für die anfängliche Unmöglichkeit BARTH, S. 32, m. w. Hw.; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 633, m. w. Hw.; HÜRLIMANN, Nr. 93 und 95; KRAMER, BerK, N 248 zu Art. 19 - 20 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 20 OR; VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263 f.; WEBER, BerK, N 107 und 134 zu Art. 97 OR; BGE 36 II 199; BGE 96 II 21; KGer SG, GVP 1988 Nr. 42, S. 89 Erw. 4 = SJZ 85 (1989) Nr. 67, S. 420 Erw. 4.

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möglich ist. Lehre und Rechtsprechung machen Einschränkungen in zweierlei Hin-sicht:

49 – Intensität der Unmöglichkeit: Die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners muss eine bestimmte Intensität erreichen.31 Die Hindernisse, die sich der Erfüllung entgegenstellen,32 müssen so stark (intensiv) sein, dass der Schuld-ner sie nicht überwinden kann.33 Wann dies der Fall ist, ist in der Lehre umstritten: Nach der Unzumutbarkeitstheorie liegt Unmöglichkeit vor, wenn der Schuldner die Leistung mit nach Treu und Glauben zumutbaren Erfüllungsanstrengungen nicht erbringen kann.34 Gemäss der Clausula-Theorie setzt Unmöglichkeit jedoch voraus, dass die Erfüllung gänzlich ausgeschlossen ist.35 Auf die erforderliche Intensität der Unmöglichkeit wird hinten in Nr. 56 ff. gesondert eingegangen.

50 – Dauer der Unmöglichkeit: Die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners muss sodann endgültig sein. Nur die dauernde oder endgültige Unmöglichkeit ist Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR,36 nicht die vorübergehende Unmöglichkeit.37 Ist die Unmöglichkeit von nicht absehbarer, unüberblickbarer Dauer, so ist nach vorherrschender Auffassung in der Regel von endgültiger Unmöglichkeit auszugehen.38 Auf die Dauer der Unmöglichkeit wird hinten in Nr. 68 ff. ausführlich eingegangen.

31 Wird diese Intensität nicht erreicht, liegt keine Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR, son-

dern vom Schuldner zu überwindende Schwierigkeit (Nr. 43) vor. 32 Vgl. die zahlreichen Beispiele bei AEPLI, ZürK, N 45 f. zu Art. 119 OR. 33 Vgl. BECKER, BerK, N 11 zu Art. 97 OR; ferner AEPLI, ZürK, N 42 zu Art. 119 OR. 34 BGE 57 II 508; BGE 47 II 399 f.; OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488 = Max 6 Nr. 705, S.

70 = Max 9 Nr. 495, S. 446 ff.; BECKER, BerK, N 17 zu Art. 97 OR; DECURTINS, S. 16; HEDE-MANN, S. 307, ohne Stellung zu nehmen; LÖRTSCHER, S. 18; MÜLLER-CHEN, S. 239 f. und S. 242 ff.; OFTINGER, Bundesgerichtspraxis, S. 136; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97 OR und N 4 ff. zu Art. 119 OR (unklar); SCHWENZER, Nr. 63.06; SIEGWART, S. 130 f.; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94 f.; WEBER, S. 66 f., ohne ausdrücklich Stellung zu nehmen; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR; WIELAND, S. 458 ff. Weitere Nw. hinten bei Nr. 57 ff.

35 Vgl. die Nw. in Anm. 68 sowie BISCHOFF, S. 126 ff.; VON BÜREN, OR AT, S. 390; DESCHE-NAUX, SPR II, S. 197; DESCHENAUX, révision, S. 536a ff.; GAUCH, Dauervertrag, S. 119; GLÄTTLI, S. 46; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 600 zu Art. 18 OR; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 245; PICHONNAZ, Nr. 726 ff.; SCHMITZ, S. 13 ff.; SCHÖNLE, faits futurs, S. 419 f. und 439; TERCIER, clausula, JdT 127 (1979), S. 200 f.; WEBER, BerK, N 134 zu Art. 97 OR; KRAMER, BerK, N 312 zu Art. 18 OR; ferner BESSON, S. 51 und 63 f., der aber die Unmöglich-keit trotzdem relativ versteht, vgl. S. 31 f. und 104.

36 „Die Leistung ist unmöglich geworden ... und bleibt es“, AEPLI, ZürK, N 44 zu Art. 119 OR. Vgl. OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206; GAUCH, Dauervertrag, S. 120; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152 und 3274; WIEGAND, BasK, N 16 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 40; BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR.

37 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152 und 3305; BARTH, S. 41 f.; BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR; BUCHER, OR AT, S. 420 f.; GUHL/KOLLER, § 31 N 8; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96 f.; WEBER, BerK, N 131 und 139 zu Art. 97 OR; BGE 44 II 526; ferner AppGer BS, SJZ 16 (1919/ 1920) Nr. 44, S. 197 f.

38 OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206; AEPLI, ZürK, N 44 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 40;

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B. Rechtslage bei Unmöglichkeit

51 Bei gegebenen Voraussetzungen der Unmöglichkeit (namentlich bezüglich Intensität und Dauer) sind drei Fälle zu unterscheiden:

52 – Der Schuldner haftet dem Gläubiger für den aus der Unmöglichkeit entstandenen Schaden, wenn er den Eintritt der Unmöglichkeit zu vertreten hat (Art. 97 Abs. 1 OR): Die unmöglich gewordene Leistungspflicht des Schuldners wandelt sich in eine Schadenersatzpflicht um. Der Realerfüllungsanspruch entfällt mit der Um-wandlung: Der Schuldner darf die Leistung nicht mehr in natura erbringen, und der Gläubiger kann die Leistung nicht mehr einfordern und einklagen.

53 Eine Haftung des Schuldners besteht (1.) bei Verschulden des Schuldners am Eintritt der Unmöglichkeit nach Art. 97 Abs. 1 OR; (2.) wenn der Eintritt der Un-möglichkeit auf einen Erfüllungs- oder Ausübungsgehilfen zurückzuführen ist, für den der Schuldner nach Art. 101 OR einzustehen hat, nach dieser Bestimmung; (3.) wenn die Unmöglichkeit eintritt, während der Schuldner sich mit der Erbringung der Leistung aus Verschulden in Verzug befindet, nach Art. 103 OR;39 (4.) ferner bei vertraglicher Vereinbarung.

54 – Die Leistungspflicht des Schuldners erlischt (Art. 119 Abs. 1 OR), wenn der Schuldner den Eintritt der Unmöglichkeit nicht aus einem der genannten Gründe zu verantworten hat. Der Anspruch auf Realerfüllung entfällt. Bei synallagmati-schen Verträgen wird der Gläubiger gleichfalls von seiner Schuldpflicht befreit (Art. 119 Abs. 2 OR), es sei denn, die Gefahr des Unmöglichwerdens der schuldne-rischen Leistung sei vor dem Eintritt der Unmöglichkeit auf den Gläubiger überge-gangen (Art. 119 Abs. 3 OR). An die Stelle der untergegangenen Obligation tritt allenfalls die Pflicht zur Leistung eines stellvertretenden Commodums.

55 – Im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist der Fall, dass der Gläubiger den Eintritt der Unmöglichkeit zu vertreten hat, sei es aus Verschulden am Eintritt der Unmög-lichkeit oder aus anderem Grunde. Gemäss der herrschenden Lehre erlischt bei sol-cher vom Gläubiger zu vertretender Unmöglichkeit die Leistungspflicht des Schuldners (Art. 119 Abs. 1 OR, der allenfalls bloss analog zur Anwendung

GAUCH, Dauervertrag, S. 120 Anm. 3; KELLER/SCHÖBI, I, S. 245; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96 f.; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152; WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 16 zu Art. 97 OR. Differenzierend BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 40 und 42. BUCHER, OR AT, S. 420, setzt „berechtigte Hoffnung, ... [die Leistung] könne wieder erbracht werden“, voraus.

39 Andere Beispiele einer solchen Haftung für Zufall sind die Haftung des Entlehners für Zufall bei vertragswidrigem Gebrauch (Art. 306 Abs. 3 OR) und die Haftung des Aufbewahrers für Zufall bei Gebrauch der hinterlegten Sache (Art. 474 Abs. 2 OR). Für weitere Beispiele vgl. GAUCH/ SCHLUEP/REY, Nr. 2782 f.

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kommt), doch bleibt der Gläubiger zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet.40 Immerhin muss sich der Schuldner anrechnen lassen, was er durch das Unterbleiben seiner eigenen Leistung erspart hat.41 Dies wird von der Lehre teilweise durch Ver-weis auf Art. 378 OR oder § 324 BGB a. F. begründet.42,43

2. Intensität der Unmöglichkeit im Besonderen

A. Übersicht

56 In der Lehre ist – wie gesagt – umstritten, mit welcher Intensität der Schuldner an der Erfüllung seiner Leistungspflicht gehindert sein muss, damit die Leistung als unmög-lich im Sinne von Art. 97 und 119 OR gilt. Die zahlreichen Ansichten lassen sich – freilich etwas vereinfachend – in zwei Theorien einteilen,44 deren wichtigster Streitpunkt der Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen auf unzumutbare Leistun-gen bildet. Gemäss der einen Auffassung (im Folgenden Unzumutbarkeitstheorie ge-nannt) fallen auch unzumutbare Leistungen unter Art. 97 und 119 OR. Gemäss der anderen Auffassung ist dies nicht der Fall: Die Unmöglichkeitsbestimmungen finden nur Anwendung, wenn die Erfüllung gänzlich ausgeschlossen ist. Erfordert die Leistung unzumutbare Erfüllungsanstrengungen, ist die Befreiung des Schuldners deshalb nur über die clausula rebus sic stantibus möglich. Die zweite Auffassung wird deshalb im Rahmen dieser Arbeit Clausula-Theorie genannt.

40 AEPLI, ZürK, N 150 zu Art. 119 OR; BECKER, BerK, N 8 zu Art. 119 OR; GAUCH/SCHLUEP/

REY, Nr. 3320 f.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 253 f.; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 24 zu Art. 119 OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 119 OR; BGE 114 II 277. A. A. GIGER, S. 110 ff.: Auch die Gegenleistungspflicht erlischt (Art. 119 Abs. 2 OR), doch steht dem Schuldner ein Schaden-ersatzanspruch zu.

41 AEPLI, ZürK, N 151 zu Art. 119 OR; BECKER, BerK, N 8 zu Art. 119 OR; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 119 OR.

42 Vgl. die Nw. in Anm. 40 f. 43 Zur beidseits verschuldeten Unmöglichkeit vgl. BGE 114 II 274 und statt vieler Alfred KOLLER,

Beidseits verschuldete Leistungsunmöglichkeit des Arbeitnehmers, in Jürgen BECKER/Reto M. HILTY/Jean-Fritz STÖCKLI/Thomas WÜRTENBERGER (Hrsg.), Recht im Wandel seines sozialen und technologischen Umfeldes, FS für Manfred REHBINDER, München/Bern 2002, S. 51 ff.

44 Ähnlich PICHONNAZ, Nr. 294 ff. Daneben gibt es verschiedene andere Ansichten. Bemerkenswert ist beispielsweise der Lösungsvorschlag von BUCHER, OR AT, S. 418, der das Augenmerk in erster Linie auf das Verschulden des Schuldners und die damit verbundene Haftpflicht richtet, ohne die Rechtsgrundlage im Einzelnen zu bestimmen. Zu Recht weisen GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3303, darauf hin, dass ein solches Vorgehen nur zulässig ist, wenn die Rechtsfolgen unabhän-gig von der Rechtsgrundlage dieselben sind.

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B. Unzumutbarkeitstheorie

57 Die Unzumutbarkeitstheorie legt den Begriff der Unmöglichkeit weit aus. Gemäss die-ser Lehrmeinung liegt Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR nicht nur vor, wenn der Erfüllung Hindernisse entgegenstehen, deren Überwindung vollständig und gänzlich ausgeschlossen ist. Unter die Unmöglichkeit fällt auch die so genannte Unzu-mutbarkeit der Leistung (auch „relative Unmöglichkeit“45 genannt), bei welcher der Schuldner die Leistung zwar erbringen kann, aber nur mit Erfüllungsanstrengungen, welche ihm nach Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) nicht zugemutet werden können (Nr. 58).46 Unmöglichkeit ist nach dieser Lehrmeinung somit ein vom konkreten Vertrags-verhältnis abhängiger, normativer Begriff.47

58 Entscheidend für die Abgrenzung der Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR ist damit, ob die für die Erfüllung nötigen Erfüllungsanstrengungen dem Schuldner nach Treu und Glauben unzumutbar sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die zur Erfül-lung erforderlichen Mühen und Aufwendungen in keinem vernünftigen Verhältnis zur Leistung oder zu deren Wert stehen.48 Ebenso ist die Erfüllung dem Schuldner unzumut-bar, wenn zwar der Erfüllungsaufwand zumutbar ist, aber die Erfüllung dem Schuldner andere nach Treu und Glauben nicht zumutbare Nachteile bringt (vgl. Nr. 60). Beispiele:

59 – Die Beschaffung einer Speziessache ist unzumutbar, wenn sie mit unverhältnismäs-sigen technischen oder organisatorischen (und damit auch finanziellen) Aufwendun-gen verbunden ist.49 Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn der verkaufte Ring ins Meer fällt und die Bergung unverhältnismässigen Aufwand erfordert.50

45 Unzumutbarkeit und Unerschwinglichkeit (vgl. Nr. 61) werden von der älteren Lehre (vgl. statt

vieler BECKER, BerK, N 17 zu Art. 97 OR) und Rechtsprechung (z. B. BGE 57 II 534) als relative Unmöglichkeit bezeichnet. Dieser Begriff ist m. E. verwirrend. Folgt man der Clausula-Theorie (Nr. 65 ff.), so liegt bei Unzumutbarkeit kein Fall von Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR vor und der Begriff der relativen Unmöglichkeit ist deshalb unpassend. Folgt man hingegen der Unzu-mutbarkeitstheorie, so erübrigt sich eine Unterscheidung zwischen „absoluter“ und „relativer“ Un-möglichkeit, denn beide fallen unter die Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR. Statt von relati-ver Unmöglichkeit wird vereinzelt auch von juristischer Unmöglichkeit gesprochen; vgl. z. B. BECKER, BerK, N 20 zu Art. 97 OR.

46 Vgl. z. B. AEPLI, ZürK, N 43 zu Art. 119 OR; BECKER, BerK, N 17 zu Art. 97 OR; BGE 57 II 534; BGE 82 II 338; ferner die Nw. in Anm. 34 sowie in Anm. 49 - 58. Betr. die anfängliche Unmög-lichkeit vertreten die folgenden Autoren die Unzumutbarkeitstheorie: SCHUBIGER, S. 19; VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 262 f.; in gewissem Masse auch KOLLER, OR AT I, Nr. 871. A. A. ZIEGLER, S. 99 ff.

47 WIEGAND, BasK, N 17 zu Art. 97 OR. 48 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 415a; WIEGAND, BasK, N

14 zu Art. 97 OR. 49 Vgl. BGE 51 II 175: Wurde die verkaufte Liegenschaft teilweise durch Brand zerstört, so liegt

Teilunmöglichkeit vor, wenn der Wiederaufbau der Gebäude unzumutbar ist. Das BGer ging in diesem Fall zu Unrecht davon aus, dass die Frage, ob Unzumutbarkeit vorliege, eine Tatfrage ist,

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60 – Bei persönlichen Leistungspflichten kann namentlich der Gesundheitszustand oder das Alter des Schuldners zur Unzumutbarkeit führen.51 Aber auch moralische, ethische oder psychische Unzumutbarkeit sind zu beachten.52 Insbesondere liegt Unzumutbarkeit vor, wenn die Erbringung der Leistung übergeordnete Rechts-güter des Schuldners gefährdet (z. B. Leib und Leben53,54 oder den geschäftlichen Ruf des Schuldners55)56 oder wenn ein Gebot der Menschlichkeit verletzt wird.57,58

61 Ergibt sich die Unzumutbarkeit der Leistung daraus, dass die Leistung nur mit unver-hältnismässigem, nach Treu und Glauben nicht zumutbarem Aufwand an finanziellen Mitteln erbracht werden kann,59 spricht man von Unerschwinglichkeit60 oder wirt-schaftlicher Unmöglichkeit61. Eine eindeutige Abgrenzung von Unzumutbarkeit und Unerschwinglichkeit lässt sich in den meisten Fällen nicht vornehmen.

die das Bundesgericht binde.

50 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2153; betr. die anfängliche Unmöglichkeit KRAMER, BerK, N 255 zu Art. 19 - 20 OR; HÜRLIMANN, Nr. 98; KOLLER, OR AT I, Nr. 871.

51 Beispiele: (1) BGE 57 II 534: Die Mieterin hatte ein Heimwesen gemietet unter der (notwendi-gen) Voraussetzung, dass sie die vom Vermieter geführte Zahnarztpraxis weiterbetreiben könne. Nachdem 1928 nur noch Personen mit eidgenössischem Zahnarztdiplom zur Ausübung des Zahn-arztberufs zugelassen waren, wurde der Mieterin die Vertragserfüllung unzumutbar, da ihr die Ablegung der erforderlichen Prüfungen wegen ihres Alters und Gesundheitszustands unzumutbar war. (2) In BGE 116 II 514 hat das BGer wieder auf BGE 57 II 534 verwiesen, Unzumutbarkeit i. c. aber abgelehnt. Vgl. auch OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97 OR.

52 Vgl. BGE 82 II 338: Nach der Scheidung ist es dem Schuldner unzumutbar, den ehemaligen Schwiegereltern weiterhin ein Wohnrecht zu gewähren. SCHWENZER, Nr. 63.06, mit dem Beispiel einer Opernsängerin, deren Kind kurz vor ihrem Auftritt tödlich verunglückt. Vgl. auch OFTINGER, Bundesgerichtspraxis, S. 136 ff. Nr. 53.

53 Sofern die Gefährdung „...über das durch seine Stellung oder seinen Beruf gerechtfertigte Mass hinausgeht“, VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; zustimmend BISCHOFF, S. 125; GAUCH/SCHLUEP/ REY, Nr. 3154; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR; DERS., Leistungsstörungen, recht 1983, S. 8; BECKER, BerK, N 20 zu Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 133 zu Art. 97 OR; OSER/ SCHÖNENBERGER, ZürK, N 7 zu Art. 97 OR; KELLER/SCHÖBI, I, S. 248: „So gilt z. B. ein Ret-tungsflug als unmöglich, wenn er wegen der ungünstigen Witterungsverhältnisse zu einer ausser-ordentlichen Gefährdung der Beteiligten führt...“

54 BGE 126 III 75 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 710: Die Opernsängerin, welche sich zum Spielen einer mit Gewaltszenen verbundenen Rolle verpflichtet hat, ist zur Zeit der Proben und Auffüh-rungen im 6. bis 8. Monat schwanger. Vgl. ferner BGE 40 II 242.

55 BECKER, BerK, N 20 zu Art. 97 OR. Vgl. dazu BGE 44 II 525: Der Verkäufer hatte gegenüber der englischen Regierung eine Erklärung unterschreiben müssen, in der er sich verpflichtet hat, keine Ware an Personen, die von der britischen Regierung als Feind betrachtet werden, zu liefern. Eine Lieferung unter Verletzung dieser Verpflichtung war dem Verkäufer nicht zuzumuten, da seine geschäftlichen Verbindungen mit England dadurch gefährdet würden.

56 Ob Gewissenskonflikte des Schuldners zur Unzumutbarkeit der Leistung führen, kann wohl nur im Einzelfall festgestellt werden. A. A. BARTH, S. 29 f. Vgl. dazu auch MÜLLER-CHEN, S. 279 ff.

57 Wenn die Würde als Mensch beeinträchtigt wird, Art. 15 VVG und Art. 32 Ziff. 3 VVG. 58 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; BISCHOFF, S. 125; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3154; WEBER,

BerK, N 132 zu Art. 97 OR; a. A. BARTH, S. 29. 59 Vgl. BECKER, BerK, N 19 zu Art. 97 OR. 60 Vgl. z. B. BGE 45 II 320 f.; DESCHENAUX, SPR II, S. 197; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95. 61 Z. B. AGVE 1987 Nr. 9, S. 33 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 177.

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62 Exkurs: Verschiedene Vertreter der Unzumutbarkeitstheorie lehnen die Anwendung von Art. 97 und 119 OR auf die Verwendungserschwerung und Verwendungsunmöglichkeit (Nr. 28 ff.) oder die Entwertung der Leistung (Nr. 31) ab, auch wenn die Erbringung der Leistung dadurch nach Treu und Glauben unzumutbar wird.62 Andere Vertreter der Unzumutbarkeitstheorie sehen jedoch diese Einschränkung nicht vor und wenden Art. 97 und 119 OR auch auf diese Tatbestände an.

63 Das Bundesgericht pflegte – mit einer einzigen, nicht eindeutigen Ausnahme63 – stets einen wertenden Umgang mit der Unmöglichkeit.64 Namentlich in Kriegszeiten hat es den Schuldner gestützt auf Unmöglichkeit befreit, wenn im logischen Sinne keine Un-möglichkeit vorlag. Das Bundesgericht ist damit mehrheitlich der Unzumutbarkeitstheo-rie gefolgt.65

64 Zusammenfassend fällt eine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne damit nach der Unzumutbarkeitstheorie unter Art. 97 und 119 OR, wenn die Leistung Erfül-lungsanstrengungen erfordert, welche dem Schuldner nach Treu und Glauben nicht zu-gemutet werden können.

C. Clausula-Theorie

65 Die Clausula-Theorie lehnt eine weite Auslegung des Begriffs der Unmöglichkeit ab. Der in Art. 97 und 119 OR verwendete Begriff deckt sich gemäss dieser Lehrmeinung mit dem logischen Begriff der Unmöglichkeit.66 Unmöglichkeit liegt nur vor, wenn die 62 Vgl. SIEGWART, S. 131; BARTH, S. 23; BISCHOFF, S. 128; implizit auch VON TUHR/ESCHER, § 68

I, S. 96 Anm. 19. 63 BGE 68 II 169 ff. wird teilweise als Nachweis für die Clausula-Theorie angeführt (vgl. z. B.

KRAMER, BerK, N 312 zu Art. 18 OR; SCHÖNLE, faits futurs, S. 419; BARTH, S. 23 Anm. 28; gegenteilig WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR; LÖRTSCHER, S. 19 Anm. 8). In diesem Ent-scheid heisst es in den Regesten: „Keine Unmöglichkeit bei blosser Erschwerung der Leistung infolge kriegswirtschaftlicher Massnahmen...“ und im Text: „Jene Massnahmen mögen die Erfül-lung erschwert haben, haben sie aber keineswegs geradezu verunmöglicht“ (S. 172). Daraus zu schliessen, das BGer habe mit diesen wenigen Worten seine langjährige Praxis zur Frage der Unzumutbarkeit ändern wollen, scheint nicht plausibel. Das BGer ist vielmehr davon ausgegan-gen, dass im konkreten Fall blosse Schwierigkeiten vorgelegen haben, deren Überwindung dem Schuldner weder unmöglich noch unzumutbar war. Für diese Interpretation spricht namentlich der im Entscheid wiedergegebene Sachverhalt.

64 Vgl. BGE 51 II 175, Erw. 2 a. E.; BGE 45 II 42; BGE 57 II 508 ff.; BGE 57 II 534 und neuestens den Verweis auf diesen Entscheid in BGE 116 II 514; ferner BGE 40 II 242. Ausdrücklich zur subjektiven Unzumutbarkeit BGE 82 II 338. Offengelassen in BGE 48 II 247 f. = Pra 11 (1922) Nr. 133, S. 336 f., da i. c. blosse Schwierigkeiten vorlagen. Offengelassen ebenfalls in BGE 45 II 398. In BGE 43 II 177 f. hat das BGer zwar den Schuldner für die Nichterfüllung einer Gattungs-schuld haften lassen, den Schadenersatz aber nach Art. 99 Abs. 2 OR i. V. m. Art. 43 Abs. 1 OR wegen „ausserordentlichen Schwierigkeiten..., die nur durch Aufwendung besonderer Be-mühungen und Kosten überwunden werden konnten“ um die Hälfte herabgesetzt. Ähnlich BGE 47 II 401 f.; BGE 44 II 518.

65 Ausführlich dazu PICHONNAZ, Nr. 302 und 307 ff. 66 GAUCH, Dauervertrag, S. 119; VON BÜREN, OR AT, S. 390: „Es gibt eine einzige Unmöglichkeit,

und das ist die objektive, naturgesetzliche.“

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Erfüllung gänzlich ausgeschlossen ist, d. h. die Leistung vom Schuldner mit beliebigen Erfüllungsanstrengungen nicht bewirkt werden kann.

66 Die Unzumutbarkeit fällt demnach gemäss der Clausula-Theorie nicht unter die Unmög-lichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR67 und hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Bestand der Obligation. Einzig wenn die Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus erfüllt sind, kann der Richter den Vertrag an die geänderten Verhältnisse an-passen.68 Für die richterliche Vertragsanpassung ist namentlich vorausgesetzt, dass infolge einer nachträglichen Veränderung der Verhältnisse und Umstände eine gravie-rende Äquivalenzstörung, d. h. ein grobes, offenbares, übermässiges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht (Nr. 116 ff.).

67 Zusammenfassend führt gemäss der Clausula-Theorie die Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne nie zur Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR. Einzig über die clausula rebus sic stantibus kann die Leistungserschwerung allenfalls berück-sichtigt werden (Näheres dazu hinten Nr. 115 ff.).

3. Dauer der Unmöglichkeit im Besonderen

A. Übersicht

68 Unmöglichkeit der Leistung im Sinne von Art. 97 und 119 OR liegt sodann – wie gesagt – gemäss Lehre und Rechtsprechung nur vor, wenn der Erfüllung ein dauerndes Leis-tungshindernis entgegensteht, die Unmöglichkeit somit endgültig (oder definitiv69)70 ist.71 Dagegen liegt bei einem vorübergehenden Leistungshindernis keine Unmöglich-

67 Vgl. die Nw. in Anm. 35, 68 und 194 - 201. Betr. die anfängliche Unmöglichkeit KRAMER, BerK,

N 255 zu Art. 19 - 20 OR, mit Ausnahme der „wirtschaftlich oder wegen übergeordneter Interes-sen des Schuldners objektiv absolut («exorbitant») unsinnig[en] oder unverantwortbar[en]“ Leis-tungen, und differenzierend HÜRLIMANN, Nr. 98.

68 AEPLI, ZürK, N 43 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 24, S. 26 f.; COMETTA, HandK, N 2 zu Art. 119 OR; ERDIN, Nr. 46; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3299 ff. und 3153; GUGGENHEIM, II, S. 178; KELLER/SCHÖBI, I, S. 247 f., 258; KELLER/SIEHR, S. 28 f.; TERCIER, AT, Nr. 1148a; WEBER, BerK, N 134 zu Art. 97 OR; ZR 21 (1922) Nr. 48, S. 117, 120. Vgl. zu BGE 68 II 169, 172 Anm. 63. Auch die herrschende Lehre zum deutschen Recht – vor Inkraftreten der Schuldrechtsreform – fasst die Unzumutbarkeit nicht als Unmöglichkeit auf, vgl. statt vieler EMMERICH, S. 28 f. und 335 ff., m. Hw., der selbst anderer Auffassung ist. Seit der Schuldrechtsreform gilt § 275 Abs. 2 BGB n. F. Gemäss GUHL/KOLLER, § 38 N 41, steht dem Schuldner zusätzlich „... allenfalls ein Leistungsverweigerungsrecht zu Gebote, dessen Ausübung dann den Schuldner – bei fehlendem Verschulden – befreit...“

69 GUHL/KOLLER, § 31 N 8; KELLER/SCHÖBI, I, S. 245. 70 Anstatt von endgültiger (oder definitiver) Unmöglichkeit sprechen gewisse Autoren von dauern-

der Unmöglichkeit (z. B. AEPLI, ZürK, N 44 zu Art. 119 OR). Dieser Begriff bringt nicht klar zum Ausdruck, dass eine Unmöglichkeit gemeint ist, die für immer besteht, also endgültig ist.

71 Vgl. die Nw. in Anm. 36.

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keit im Sinne von Art. 97 und 119 OR vor.72 Die vorübergehende Unmöglichkeit wird wie eine normale mögliche Leistung behandelt. Der Abgrenzung zwischen endgültiger und vorübergehender Unmöglichkeit kommt deshalb entscheidende Bedeutung zu. Für die Leistungserschwerung ist die Abgrenzung relevant, weil die Verhältnisse bei Leis-tungserschwerung oft Veränderungen unterworfen sind (Nr. 37 f.), die Leistungser-schwerung damit häufig nicht endgültig ist.

B. Abgrenzung der endgültigen von der vorübergehenden Unmöglichkeit

69 1. Endgültige Unmöglichkeit liegt vor, wenn feststeht, dass das der Erfüllung entge-genstehende Leistungshindernis in Zukunft nicht wegfällt oder behoben werden kann (z. B. beim Untergang einer Speziessache). Sodann ist die Leistung endgültig unmög-lich, wenn die Behebung bzw. der Wegfall des Leistungshindernisses in Zukunft als ausgeschlossen erscheint.73 So verhält es sich beispielsweise, wenn die Leistung beim heutigen Stand der Technik nicht erbringbar ist und auch in Zukunft nicht möglich erscheint. Gegebenenfalls geht die Leistungspflicht des Schuldners nach Art. 119 Abs. 1 OR ipso iure unter, bzw. sie wandelt sich nach Art. 97 Abs. 1 OR – und anderen ein-schlägigen Haftungsnormen wie Art. 101 OR usw. – in eine Schadenersatzpflicht um.

70 Exkurs: Rechtslage bei Behebung der vermeintlich endgültigen Unmöglichkeit: Der Unter-gang des Realerfüllungsanspruchs bzw. dessen Umwandlung in einen Schadenersatzanspruch ist gemäss der vorherrschenden Lehre und Rechtsprechung endgültig und irreversibel, und zwar auch dann, wenn die vermeintlich endgültige Unmöglichkeit im Nachhinein behoben wird.74 Der Untergang ist insbesondere definitiv, wenn über die Frage der Unmöglichkeit in einem rechtskräf-tigen Urteil entschieden wurde und eine Revision des Urteils ausgeschlossen ist,75 ebenso – vorbe-hältlich einer Anfechtung wegen Grundlagenirrtums – wenn sich die Parteien über die Rechtsfol-gen ausdrücklich oder stillschweigend (vergleichsweise) geeinigt haben.76 Ein Realerfüllungsan-spruch besteht damit nicht, selbst wenn sich die Erfüllung im Nachhinein als möglich erweist.

71 2. Die Leistung ist bloss vorübergehend unmöglich, wenn feststeht, dass das Leis-tungshindernis in Zukunft wegfällt oder behoben werden kann, somit von beschränkter Dauer ist.77 Die Dauer des Leistungshindernisses kann (mehr oder weniger genau) be-

72 Vgl. die Nw. in Anm. 37. 73 OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206; BARTH, S. 40; AppGer BS, SJZ 16 (1919/1920) Nr. 44,

S. 198. 74 KELLER/SCHÖBI, I, S. 249; BARTH, S. 42 f.; WIEGAND, BasK, N 16 zu Art. 97 OR; VON TUHR/

ESCHER, § 68 I, S. 97, m. Hw. auf die deutsche Rechtsprechung. Anders freilich, wenn die vor-übergehende Unmöglichkeit als solche erkannt und nach den Verzugsregeln behandelt wurde.

75 AEPLI, ZürK, N 61 zu Art. 119 OR. 76 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 97 Anm. 28, mit der Ausnahme von Rückgabeverträgen; BECKER,

BerK, N 21 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 43. 77 Ein Sonderfall der vorübergehenden Unmöglichkeit liegt vor, wenn ein Leistungshindernis be-

steht, von dem aber feststeht, dass es behoben sein wird, bevor der Schuldner die Leistung erbrin-

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kannt sein (dies certus quando) oder unbekannt, jedoch mit Sicherheit begrenzt (dies incertus quando).78 Andere Autoren stellen weniger strenge Anforderungen an die vorübergehende Unmöglichkeit und lassen es genügen, wenn der Wegfall des Leis-tungshindernisses absehbar ist,79 oder wenn die Behebung des Leistungshindernisses „in der Zukunft als möglich erscheint“.80 Die vorübergehende Unmöglichkeit führt bei ge-gebenen Voraussetzungen zum Schuldnerverzug (Nr. 77 ff.).

72 3. Unmöglichkeit, bei der nicht absehbar ist, ob sie endgültig oder vorübergehend ist. Bei gewissen Leistungshindernissen ist nicht von vornherein klar, ob sie überwun-den werden können bzw. wegfallen oder ob sie endgültig sind (dies incertus an). In diesen Fällen kann nicht gesagt werden, ob die Erfüllung in Zukunft möglich sein wird. Beispielsweise ist bei einer gestohlenen Speziessache nicht klar, ob sie der Eigentümer je zurückerhalten wird;81 dies ist insbesondere dann nicht möglich, wenn die Sache in der Zwischenzeit zerstört wurde. Nach vorherrschender Auffassung ist bei solchen Leis-tungshindernissen von nicht absehbarer, unüberblickbarer Dauer in der Regel von end-gültiger Unmöglichkeit auszugehen, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben.82 Damit entfällt der Realerfüllungsanspruch endgültig (Nr. 69 f.).

73 Die Schweizer Lehre begründet kaum, weshalb die Unmöglichkeit von nicht überblickbarer Auffas-sung als endgültige Unmöglichkeit zu behandeln sei. Es lohnt sich deshalb ein Blick auf das deutsche Recht, dem der Gedanke zu entstammen scheint. Gemäss § 285 BGB a. F. bzw. § 286 Abs. 4 BGB n. F. kommt der Schuldner „...nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat“. Der Gläubiger konnte deshalb – vor Inkraft-treten der Schuldrechtsreform – bei nicht zu vertretender vorübergehender Unmöglichkeit man-gels Schuldnerverzug nicht vom Vertrag zurücktreten.83 Die Parteien blieben, wenn sie sich nicht auf eine Auflösung des Vertrages einigen konnten, an den Vertrag gebunden. Die deutsche Lehre hat deshalb dazu tendiert, dieses Resultat durch eine extensive Interpretation des Unmöglich-

gen muss, also vor Eintritt der Fälligkeit der Leistung oder sogar vor Eintritt der Erfüllbarkeit der Leistung. Ein solches Leistungshindernis berührt die Leistungsfähigkeit des Schuldners nicht. Es liegt keine Unmöglichkeit vor. Vgl. AppGer BS, SJZ 16 (1919/1920) Nr. 44, S. 197 f. sowie dazu und zu weiteren Sonderfällen im Zusammenhang mit der anfänglichen Unmöglichkeit GIGER, S. 32, m. Hw.; KRAMER, BerK, N 247 zu Art. 19 - 20 OR; VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 264; BUCHER, OR AT, S. 248 und 421; BUCHER, OR BT, S. 62 f.

78 Vgl. GUHL/KOLLER, § 39 N 8. 79 KELLER/SCHÖBI, I, S. 245. 80 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96 und WIEGAND, BasK, N 16 zu Art. 97 OR; ferner KREN

KOSTKIEWICZ, HandK, N 8 zu Art. 97 OR. 81 KOZIOL/WELSER, S. 233. 82 Vgl. die Nw. in Anm. 38. 83 Vgl. RGRK/ALFF, N 20 zu § 275 BGB. Diese Rechtslage wurde als unbefriedigend erachtet und

auf Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts durch Einführung eines allge-meinen, verschuldensunabhängigen Rücktrittsrechts (§ 323 BGB n. F.) in der Schuldrechtsreform behoben; vgl. Abschlussbericht, S. 31 und 162 ff. Dementsprechend wird nun auch in der deutschen Lehre bereits vorgeschlagen, auf die Gleichstellung der Unmöglichkeit von nicht absehbarer Dauer mit der endgültigen Unmöglichkeit zu verzichten, s. ARNOLD, JZ 2002, S. 870 f.

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keitsbegriffs zu verhindern.84 Nicht nur die Unmöglichkeit von nicht überblickbarer Dauer wurde als endgültige behandelt.85 Allgemein wurde ein vorübergehendes Hindernis wie ein dauerndes behandelt, „wenn die Erreichung des Vertragszwecks durch die vorübergehende Unmöglichkeit in Frage gestellt wird und deshalb dem Vertragsgegner nach dem Grundsatz von Treu und Glauben unter billiger Abwägung der Belange beider Vertragsteile die Einhaltung des Vertrags nicht zuge-mutet werden kann“86 (vgl. Nr. 76). Im Schweizer Recht besteht nicht derselbe Bedarf für eine extensive Auslegung des Unmöglichkeitsbegriffs, weil Schuldnerverzug im Schweizer Recht kein Verschulden voraussetzt, so dass der Gläubiger im synallagmatischen Vertrag auch bei nicht zu vertretender vorübergehender Unmöglichkeit auf nachträgliche Erfüllung verzichten kann.87 Wer analoge Grundsätze für das Schweizer Recht dennoch befürwortet, kann deren Begründung zwar auf das Interesse des Schuldners an der Befreiung vom Vertrag stützen, nicht aber auf das Befrei-ungsinteresse des Gläubigers,88 da dieses durch die Möglichkeit, auf nachträgliche Erfüllung zu verzichten, bereits hinreichend geschützt ist.

74 4. Ausnahmsweise kann ein vorübergehendes Leistungshindernis endgültige Unmög-lichkeit bewirken. (1) Beim absoluten Fixgeschäft kann die Leistung, wenn der verein-barte Erfüllungstermin verpasst ist, nicht mehr nachgeholt werden. Das Verstreichen des Erfüllungstermins bewirkt die Unmöglichkeit der Leistung.89,90 Steht der Leistung ein Hindernis entgegen, das erst nach dem Erfüllungstermin behoben werden kann, so ist die Erfüllung der Leistung gleichwohl endgültig unmöglich. (2) Kann bei einem Dauer-vertrag die vorübergehende Unmöglichkeit erst behoben werden, wenn die Restdauer des Vertrages bereits abgelaufen ist, so ist die Unmöglichkeit eine endgültige.91

75 Beispiele: (1) Wenn ein Photograph, der von einer bestimmten Sonnenfinsternis Photos machen sollte, drei Tage vor dem Ereignis erkrankt und für eine Woche das Bett hüten muss, so kann die Leistung bei Genesung nicht nachgeholt werden. Die Leistung ist endgültig unmöglich. (2) Die betagte Nachbarin, die der Verreisten während der Abwe-senheit den Garten giessen soll, bricht sich zwei Wochen vor deren Rückkehr bei

84 Ausdrücklich SOERGEL/WIEDEMANN, N 44 zu § 275 BGB; WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 470 vor §

373 BGB; Münchener Kommentar/EMMERICH, N 39 f. zu § 275 BGB. 85 Vgl. SOERGEL/WIEDEMANN, N 42 und 44 zu § 275 BGB; STAUDINGER/LÖWISCH, N 35 zu § 275

BGB, m. Hw. auf die Rechtsprechung. 86 BGHZ 83, 200; STAUDINGER/LÖWISCH, N 34 f. zu § 275 BGB; JAUERNIG/VOLLKOMMER, N 6 zu

§ 275 BGB. Vgl. ferner z. B. RGRK/ALFF, N 21 zu § 275 BGB; SOERGEL/WIEDEMANN, N 42 ff. zu § 275 BGB; ERMAN/BATTES, N 11 zu § 275 BGB.

87 Nur bei nicht synallagmatischen Verträgen kann der Gläubiger nicht zurücktreten, so dass sich analoge Probleme wie im deutschen Recht stellen; vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305.

88 A. A. BARTH, S. 42, und offenbar auch WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR. Wie hier neuestens zum deutschen Recht ARNOLD, JZ 2002, S. 870 f.

89 GUHL/KOLLER, § 31 N 8; SCHENKER, Nr. 528; WIEGAND, BasK, N 6 zu Art. 108 und N 18 zu Art. 97 OR; DERS., Leistungsstörungen, recht 1983, S. 8; ferner BARTH, S. 41.

90 Beim relativen Fixgeschäft hat das Verstreichen des Fälligkeitstermins nur zur Folge, dass der Gläubiger sein Wahlrecht nach Art. 107 Abs. 2 OR ohne Nachfristansetzung ausüben kann (Art. 108 Ziff. 3 OR).

91 „...weil die Pflicht zur Dauerleistung mit Ablauf der Vertragsdauer ohnehin erlischt, ob erfüllt oder nicht“, GAUCH, Dauervertrag, S. 120. Vgl. auch GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3306; AEPLI, ZürK, N 123 zu Art. 119 OR; ferner BGE 126 III 78 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 713.

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einem Sturz das Bein und ist für drei Monate bettlägerig. Die Erfüllung des Auftrags ist ihr endgültig unmöglich.

76 Ob aus diesen Ausnahmen ein allgemeiner Grundsatz abgeleitet werden kann, ist umstritten. Wird dies bejaht,92 so liegt endgültige Unmöglichkeit immer vor, wenn die vorübergehende Unmöglich-keit erst in einem Zeitpunkt behoben werden kann, der mit der für den Vertrag massgebenden Erfül-lungszeit unvereinbar ist.93 Ob solche Unvereinbarkeit vorliegt, ist durch Auslegung des Vertrages zu bestimmen.94 Unvereinbarkeit ist zu bejahen, wenn ein dem Vertrage zugrunde liegender Zweck anerkanntermassen bei Behebung der Unmöglichkeit nicht mehr gegeben sein wird. Abzustellen ist sowohl auf die Interessen des Gläubigers an der Erfüllung, wie auch darauf, ob dem Schuldner die Erfüllung nach Beseitigung des Hindernisses zugemutet werden kann.95

C. Aufschub des Realerfüllungsanspruchs bei vorübergehender Unmöglichkeit?

77 Die vorübergehende Unmöglichkeit fällt – wie gesagt – nicht unter die Unmöglich-keitsregeln. Wenn der Schuldner die Leistung wegen eines vorübergehenden Leis-tungshindernisses nicht erbringt, gerät er – bei gegebenen Voraussetzungen – in Ver-zug.96 Der Realerfüllungsanspruch bleibt grundsätzlich bestehen, bis der Gläubiger gemäss Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichtet.97

78 Dennoch scheint ein Teil der Lehre davon auszugehen, dass die vorübergehende Unmöglichkeit während ihrer Dauer gewisse Auswirkungen auf das Vertragsverhält-nis hat. Nicht zuletzt aus praktischen Gründen wird der Realerfüllungsanspruch wäh-rend der Dauer der vorübergehenden Unmöglichkeit in einer nicht vollständig geklär-ten Weise aufgeschoben: DECURTINS vertritt die Auffassung, dass während der Dauer der Unmöglichkeit die Fälligkeit der Leistung aufgeschoben wird, die Leistungspflicht suspendiert ist.98 Ohne der vorübergehenden Unmöglichkeit eine fälligkeitsaufschieben-de Wirkung zuzuerkennen, gehen andere Autoren – ohne Nennung von speziellen Grün-den – davon aus, dass die Realerfüllung verzögert wird,99 der Gläubiger das Ende der 92 So die deutsche Lehre und Rechtsprechung; vgl. Nr. 73. 93 Ähnlich BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR; BARTH, S. 42; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96;

GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152; SCHWENZER, Nr. 63.10; MÜLLER-CHEN, S. 123 und S. 136; kritisch SCHENKER, Nr. 24 f.; BGE 45 II 199 ff. Vgl. zum deutschen Recht statt vieler STAUDIN-GER/LÖWISCH, N 34 f. zu § 275 BGB, m. Nw.

94 In HGer ZH, ZR 18 (1919) Nr. 138, S. 264, wurde die Klausel „Eingang der Garne vorbehalten“ so interpretiert, dass der Verkäufer frei wird, wenn die Ware ohne sein Verschulden verspätet ein-geht. Ähnlich HGer ZH, ZR 19 (1920) Nr. 139, S. 271 ff. In HGer ZH, ZR 21 (1922) Nr. 37, S. 82 f., wurde die Sistierung einer Lieferung bis nach Kriegsende als blosser Aufschub der Fällig-keit verstanden.

95 BGHZ 83, 200. 96 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3152 und 3305; BARTH, S. 41 f.; BUCHER, OR AT, S. 420 f.; GUHL/

KOLLER, § 31 N 8; MÜLLER-CHEN, S. 119. Vgl. BGE 44 II 526. 97 BUCHER, OR AT, S. 420; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305. 98 DECURTINS, S. 22, m. Hw. auf die deutsche Lehre; a. A. ZIEGLER, S. 49. 99 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96; KELLER/SCHÖBI, I, S. 245; SCHOBERT, S. 37. Noch weniger

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Verhinderung abzuwarten hat.100 Der Vertrag ist in einem Schwebezustand.101 Der Schuldner ist für die Dauer der Unmöglichkeit nicht zur Leistung verpflichtet.102 Schliesslich hat gemäss der Lehrmeinung von EMMERICH zum deutschen Recht der Schuldner während der Dauer der vorübergehenden Unmöglichkeit ein (vorübergehen-des) Leistungsverweigerungsrecht, auf das er sich berufen muss, ansonsten er uneinge-schränkt zur Leistung verurteilt wird.103 Gemeinsam ist diesen Auffassungen wohl, dass während der Dauer der Unmöglichkeit ein Anspruch auf ein unbedingtes Realerfül-lungsurteil nicht besteht und ein Leistungsurteil nur unter dem Vorbehalt des Möglich-werdens der Leistung erfolgen kann.104

D. Definitive Befreiung bei vorübergehender Unmöglichkeit?

79 Durch den Aufschub des Realerfüllungsanspruchs bei vorübergehender Unmöglichkeit wird die Vertragserfüllung – unter Umständen um Jahre – verzögert, was für den Schuldner nachteilig sein kann (Nr. 315 ff.). Wie gesagt kann der Gläubiger auf Real-erfüllung verzichten (Nr. 77). Es fragt sich deshalb, ob auch dem Schuldner bei lange dauernder, vorübergehender Unmöglichkeit ein spezielles „Vertragsauflösungs-recht“ zusteht. In der schweizerischen Lehre und Rechtsprechung wird ein spezielles Vertragsauflösungsrecht des Schuldners jedoch soweit ersichtlich nirgends erwähnt. Einzig BARTH105 verweist auf die Lehrmeinung von ENNECCERUS/LEHMANN zum deutschen Recht, welche den Parteien, also anscheinend auch dem Schuldner, aus Billigkeitsgründen ein Rücktrittsrecht gewähren.106

80 Die überwiegende Mehrheit scheint deshalb eine Lösung des Schuldners vom Vertrage nur nach den allgemeinen Regeln zuzulassen. Die Lehre, namentlich in Deutschland (vgl. Nr. 73), behilft sich mit einer grosszügigen Annahme von endgültiger

weitgehend BECKER, BerK, N 21 zu Art. 97 OR, gemäss welchem die vorübergehende Unmög-lichkeit „bloss aufschiebende Bedeutung, gemäss den Bestimmungen über den Verzug“ hat. Vgl. ferner WEBER, BerK, N 139 zu Art. 97 OR: „...diesfalls [bei vorübergehender Unmöglichkeit] besteht Verzug, der unter Umständen bei Nichtvertretenmüssen durch den Schuldner wegen höherer Gewalt ... mit der Folge der Vertragssuspendierung gemildert wird...; entscheidend ist, bis wann bei Suspension der Leistungserbringung dem Gläubiger die Entgegennahme der Leis-tung zugemutet werden darf (Interessenverlust).“

100 BARTH, S. 42; GUHL/KOLLER, § 31 N 8; BGE 44 II 526 Erw. 3. 101 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305. 102 Zum deutschen Recht: ENNECCERUS/LEHMANN, § 46 IV, S. 206; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33

zu § 275 BGB; SOERGEL/WIEDEMANN, N 42 zu § 275 BGB. Nach Behebung der Unmöglichkeit lebt die Leistungspflicht wieder auf, vgl. RGZ 117, 127.

103 Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB. 104 Vgl. BGE 44 II 526 Erw. 3. Gemäss Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB,

ergeht das Urteil auf zukünftige Leistung oder wird zur Zeit abgewiesen. 105 BARTH, S. 43. 106 ENNECCERUS/LEHMANN, § 46 IV, S. 206.

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Unmöglichkeit, beispielsweise wenn das Leistungshindernis von nicht überblickbarer Dauer ist (Nr. 72). Die dem Schuldner durch ein Zuwarten entstehenden Nachteile können auch dazu führen, dass die Erfüllung bei Behebung des Leistungshindernisses als mit der für den Vertrag massgebenden Erfüllungszeit unvereinbar erachtet wird (Nr. 74 ff.). Schliesslich wird der Schuldner gemäss der Unzumutbarkeitstheorie nach Art. 97 und 119 OR von seiner Leistungspflicht befreit, wenn die Erfüllung bei Behebung der vorübergehenden Unmöglichkeit nach Treu und Glauben unzumutbare Erfüllungsanstrengungen erfordert.107 Gemäss der Clausula-Theorie ist jedoch auch in diesem Fall höchstens eine Anpassung des Vertrages nach der clausula rebus sic stantibus möglich (Nr. 65 ff.).

4. Die so genannte subjektive Unmöglichkeit

A. Übersicht

81 Ein Teil der neueren Lehre (im Folgenden Verzugstheorie genannt) hat zur Abgren-zung des Anwendungsbereichs von Art. 97 und 119 OR die Unterscheidung zwischen der nachträglichen subjektiven Unmöglichkeit und der nachträglichen objektiven Un-möglichkeit eingeführt. Objektive Unmöglichkeit liegt vor, wenn die Unmöglichkeit für jedermann besteht. Besteht die Unmöglichkeit für den Schuldner, nicht aber für jedermann, spricht man von subjektiver Unmöglichkeit (Genaueres hinten Nr. 83 ff. und 99 ff.). Während die objektive Unmöglichkeit echte Unmöglichkeit ist, welche unter Art. 97 und 119 OR fällt, wird eine subjektiv unmögliche Leistung (subjektive Un-möglichkeit) wie eine mögliche Leistung behandelt:108 Art. 97 und 119 OR finden 107 Vgl. BGE 44 II 527: „Endlich fordern die Grundsätze von Treu und Glauben, dass die Beklagte

zur Erfüllung ... nicht angehalten werden kann, wenn die Verhältnisse sich inzwischen derart ver-ändert haben sollten, dass die Lieferung nur zu ganz wesentlich erschwerten Bedingungen, ins-besondere zu bedeutend höheren Preisen als denjenigen zur Zeit des Vertragsabschlusses, erfol-gen könnte. Denn alsdann wäre die Leistung, trotz Gleichheit des Inhaltes, eine viel schwerere geworden, als wie es die Parteien vernünftigerweise gewollt haben, was nicht angeht.“

108 Die Verzugstheorie wurde soweit ersichtlich von VON BÜREN begründet (vgl. VON BÜREN, OR AT, S. 390 und 122) und wird namentlich durch GAUCH und SCHLUEP vertreten (GAUCH/ SCHLUEP/REY, Nr. 3140 ff.; vgl. auch GAUCH, Werkvertrag, Nr. 719 und 755). In der Folge haben sich zahlreiche Autoren dieser Lehrmeinung angeschlossen, z. B. AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR; EHRAT, Nr. 232 ff.; GEHRER, Mélanges Assista, S. 183; GIGER, S. 12 ff.; GLÄTTLI, S. 48; HIGI, ZürK, N 19 zu Art. 258 OR; HÖCHLI, S. 50 f.; SCHENKER, Nr. 17 ff.; SCHÖNLE, ZürK, N 125 zu Art. 185 OR; SCHÖNLE, faits futurs, S. 421; SCHÖNLE, responsabilité, Semjud 99 (1977), S. 469 f.; TERCIER, clausula, JdT 127 (1979) I, S. 201; TERCIER, AT, Nr. 1147 f.; ZIEGLER, S. 66. Ferner SVIT-Kommentar Mietrecht, N 18 Vorbem. zu Art. 258 - 259i OR. Zudem werden bestimmte, allerdings nicht eindeutige und m. E. nicht einschlägige Aussagen verschiedener älterer Autoren als Bestätigung der neueren Lehre verstanden, z. B. WELTI, S. 21, und HENGGELER, S. 258a. Ferner finden sich Anzeichen für eine Bestätigung dieser Lehre in einigen Gerichtsentscheiden, die aber bei genauerer Betrachtung selten wirklich Fälle subjektiver Unmöglichkeit im eigentlichen Sinne betreffen. Vgl. z. B. den in Anm. 522 zit. BGE 59 II 378 =

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keine Anwendung, und der Schuldner kommt bei gegebenen Voraussetzungen in Ver-zug, wenn er die fällige Leistung nicht erbringt. Das entscheidende Abgrenzungskrite-rium für die Anwendbarkeit der Unmöglichkeitsregeln ist damit nach dieser Verzugs-theorie das Begriffspaar der subjektiven und der objektiven Unmöglichkeit.

82 Die traditionelle Lehre und Rechtsprechung lehnt die Unterscheidung zwischen nachträglicher objektiver und nachträglicher subjektiver Unmöglichkeit ab.109 Gemäss dieser Unmöglichkeitstheorie ist einzig der Begriff der Unmöglichkeit (Nr. 46 ff.) massgebend für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Unmöglichkeitsregeln. Entscheidend ist also nicht, ob die Unmöglichkeit für jedermann besteht oder ob Dritte oder zumindest ein Dritter die Leistung erbringen können. Es kommt einzig darauf an, ob die Leistung für den Schuldner erbringbar ist:110 Vorausgesetzt wird, dass einerseits der Schuldner selbst die Leistung nicht erbringen kann und andererseits der Schuldner keinen Dritten zur Erbringung der Leistung an seiner Stelle bewegen kann.111

B. Begriffe der objektiven und der subjektiven Unmöglichkeit nach der Ver-zugstheorie

83 Unter subjektiver Unmöglichkeit versteht die Lehre – wie gesagt – eine Unmöglich-keit, die für den Schuldner, nicht aber für jedermann besteht: „Der Schuldner ist nicht imstande, eine Leistung vorzunehmen, die von anderen Personen erbracht werden könnte...“112 „Die Leistung ist nicht schlechthin unmöglich, sondern nur dem bestimm-

Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f.

109 BARTH, S. 37 ff.; BECKER, BerK, N 11 ff. zu Art. 97 OR; BÉGUELIN, SJK Nr. 534, S. 1; BESSON, S. 31; BUCHER, OR AT, S. 418 (dazu AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR); COMETTA, HandK, N 4 zu Art. 119 OR; ENGEL, AT, Nr. 209 S. 706; FUNK, N 2 zu Art. 97 OR; GIOVANOLI, S. 122 f.; GUHL/ KOLLER, § 31 N 4 f.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 246; LEMP, S. 6; LÖRTSCHER, S. 19; MARTIN, l’inexe-cution, ZSR 33 (1914), S. 88 f.; MARTIN, code, S. 177; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 414a f.; SCHMITZ, S. 13; SCHUBIGER, S. 19; SCHWENZER, Nr. 64.09; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94; WEBER, BerK, N 124 zu Art. 97 OR; WIEGAND, Leistungsstörungen, recht 1984, S. 22; WIEGAND, BasK, N 12 f. zu Art. 97 OR; WIELAND, S. 458. Auch die bundesgerichtliche und kantonale Recht-sprechung muss mehrheitlich als Bestätigung der Unmöglichkeitstheorie aufgefasst werden, was je-doch – insbesondere für einzelne Entscheide – umstritten ist. Vgl. BGE 43 II 80; BGE 43 II 177; vgl. auch BGE 82 II 338 betr. (subjektive) Unzumutbarkeit; ferner BGE 117 II 72; BGE 112 II 237; BGE 109 II 474 ff.; BGE 48 II 218 ff.; BGE 47 II 201; OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206.

110 Der deutsche Wortlaut von Art. 97 OR („Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht ... bewirkt werden...“) gibt für eine solche Interpretation zwar kaum Anlass. Der französische und der italienische Wortlaut sind bedeutend offener und scheinen diese Interpretation der Unmög-lichkeit eher zuzulassen: „Lorsque le créancier ne peut obtenir l’exécution de l’obligation...“ bzw. „Il debitore che non adempie l’obbligazione…”. Der Wortlaut von Art. 119 OR ist weniger auf-schlussreich, weil die Unmöglichkeit nicht umschrieben wird.

111 MOMMSEN, S. 28, in Bezug auf Speziesschulden; MÜLLER-CHEN, S. 244. 112 VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263 (betr. Art. 20 OR); AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR;

DESCHENAUX, révision, S. 537a Anm. 76; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3135; WEBER, BerK, N 119 zu Art. 97 OR. Zur anfänglichen Unmöglichkeit vgl. GUGGENHEIM, I, S. 54; KELLER/

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ten Schuldner“.113 Ein Dritter ist zur Erfüllung imstande. Zu denken ist insbesondere an folgende Fallgruppen:

84 – Fallgruppe 1: Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort: Zur ersten Fall-gruppe gehören jene Fälle, bei welchen die geschuldete Speziessache (also eine individuell bestimmte Sache, Nr. 352) nach Vertragsschluss abhanden kommt,114 beispielsweise weil sie gestohlen wird115 oder verloren geht.116 Der Schuldner kann nicht mehr erfüllen, weil ihm die tatsächliche Verfügungsmacht über die Sache fehlt und er sie sich – mangels Kenntnis des Aufenthaltsorts der Sache – nicht wieder verschaffen kann. Hingegen wäre der Dritte (der Dieb, Finder, Hehler etc.), bei welchem sich die Speziessache befindet (so sie noch existiert!), theoretisch zur Er-füllung imstande. Ein typisches Beispiel ist der „Colliers-Fall“ (Nr. 38).

85 – Fallgruppe 2: Speziessache in fremdem Eigentum und ähnliche Tatbestände (Fehlende rechtliche Verfügungsmacht über eine Speziessache): Die zweite Fall-gruppe umfasst alle Situationen, bei welchen ein Dritter nach Vertragsschluss Eigentum oder ein anderes Recht an der geschuldeten Speziessache erwirbt, welches dem obligatorischen Anspruch des Gläubigers vorgeht. Weil der Schuldner nicht mehr die volle rechtliche Verfügungsmacht über die geschuldete Speziessache hat, kann er nicht mehr ohne Mitwirkung des Berechtigten erfüllen.117 Die Beispiele für solche Fälle sind recht zahlreich (vgl. Nr. 367 ff.). Dazu gehört namentlich der Dop-pelverkauf einer Speziessache:118

86 Beispiel: „Ferrari-F40-Fall“: Ein Ferrari-Händler verkauft einem Kunden (dem Erst-käufer) einen Ferrari F40. Bevor der Ferrari F40 dem Erstkäufer übergeben wird, ver-

SCHÖBI, I, S. 145; SCHUBIGER, S. 19; ZIEGLER, S. 55.

113 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3135 und 3159; KELLER/SCHÖBI, I, S. 246; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 187; SCHWENZER, Nr. 63.08; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94; ENGEL, AT, Nr. 209 S. 706. In Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit HÜRLIMANN, Nr. 97; KOLLER, OR AT I, Nr. 854; KRAMER, BerK, N 250 zu Art. 19 - 20 OR; ZIEGLER, S. 55.

114 BECKER, BerK, N 18 zu Art. 97 OR. 115 Für subjektive Unmöglichkeit BISCHOFF, S. 125 Anm. 43; VON BÜREN, OR AT, S. 122 und 390;

CAYTAS, S. 75; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3151; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 414a f.; SCHWENZER, Nr. 63.08; i. gl. S. wohl auch RINGIER, S. 6. A. A. BARTH, S. 37; BUCHER, OR AT, S. 248; WIEGAND, BasK, N 13 zu Art. 97 OR; DERS., Leistungsstörungen, recht 1983, S. 7. Die deutsche Lehre nimmt bei Diebstahl der verkauften Speziessache teilweise auch subjektive Un-möglichkeit an, vgl. BGHZ 8, 231; LARENZ, Schuldrecht AT, S. 102; a. A. ENNECCERUS/ LEHMANN, S. 131; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33 zu § 306 BGB. Bei anfänglicher Unmöglichkeit für subjektive Unmöglichkeit KOLLER, OR AT I, Nr. 865; ZIEGLER, S. 63.

116 Für objektive Unmöglichkeit ENNECCERUS/LEHMANN, S. 131; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33 zu § 306 BGB, m. Hw.

117 VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263, insb. Anm. 72; BGE 82 IV 182 ff., 185, m. Nw.; KRAMER, BerK, N 256 zu Art. 19 - 20 OR.

118 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3162; CORTESI, S. 42 Anm. 173 und S. 91 f.; betr. anfängliche Unmöglichkeit KOLLER, OR AT I, Nr. 840.

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kauft und überträgt der Händler denselben Wagen dem Zweitkäufer. Der Erstkäufer klagt auf Schadenersatz.119

87 – Fallgruppe 3: Fehlende Gattungsware: Fallgruppe 3 betrifft Gattungs- oder Genus-schulden, Sachschulden also, bei welchen nach Art und Menge, das heisst der Gat-tung nach bestimmte Sachen (Gattungsware) geschuldet ist (Nr. 382 ff.). Ist der Schuldner von Gattungsware nicht im Besitze von Gattungsware, über die er frei verfügen kann, und kann er auch keine Gattungsware beschaffen, so behauptet er oft, die Erfüllung sei unmöglich. Meist existieren freilich noch Exemplare der Gat-tung, die sich im Besitze eines Dritten befinden bzw. von einem Dritten beschafft werden könnten. Weshalb der Gattungsschuldner selbst keine verfügbare Ware hat, kann verschiedene Gründe haben: Der Schuldner hatte schon bei Vertragsschluss keine Gattungsware und seine Beschaffungsquelle fällt aus. Oder der Schuldner hatte bei Vertragsschluss verfügbare Ware, verliert seine Vorräte aber durch Zerstö-rung, Verkauf oder aus anderen Gründen. Ein typisches Beispiel ist der „Kuriwata-Seiden-Fall“ (Nr. 14).

88 – Fallgruppe 4: Verhinderung des Schuldners bei Dienstleistungspflichten: Der Schuldner einer Dienstleistung, also einer anderen Leistung als einer Sachleistung, kann aus persönlichen Gründen an der Erfüllung gehindert sein. Zu denken ist an Leistungshindernisse, die ihre Ursache in der Person des Schuldners selbst haben, einerseits an fehlende körperliche (physische) Leistungsfähigkeit, beispielsweise infolge Krankheit, Alter, körperlicher Behinderung, Unfall usw., andererseits an geistige oder psychische Unfähigkeit zur Erbringung der Leistung, z. B. infolge mangelnder Ausbildung, mangelnden Wissens usw. Sodann können dem Schuld-ner die für die Erfüllung nötigen Werkzeuge und Betriebsmittel fehlen. Meist ist die geschuldete Dienstleistung nicht einzigartig, so dass sie von einem Dritten, der die für die Erfüllung nötigen Fähigkeiten und Mittel hat, erbracht werden könnte.

89 Beispiel: „Flachmaler-Beispiel“: Ein Flachmaler bricht sich beim Skilaufen beide Arme und kann deshalb die vereinbarten Malerarbeiten nicht vornehmen.

90 Die objektive Unmöglichkeit ist das begriffliche Gegenstück zur subjektiven Unmög-lichkeit. Unter objektiver Unmöglichkeit versteht die Lehre die Unmöglichkeit, die nicht nur für den Schuldner, sondern für jedermann besteht:120 Überhaupt nie-mand kann die geschuldete Leistung erbringen.121 Die Leistung kann „...von einem

119 Dieser Sachverhalt liegt BGE 120 II 296 ff. zugrunde. 120 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3159; KELLER/SCHÖBI, I, S. 145; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 187; VON

TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94; in Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit HÜRLIMANN, Nr. 97; KOLLER, OR AT I, Nr. 854; ZIEGLER, S. 55.

121 BUCHER, OR AT, S. 418; SCHWENZER, Nr. 63.08; WIEGAND, BasK, N 10 zu Art. 97 OR, vgl. auch N 5 zu Art. 119 OR: „... die Erfüllung [kann] überhaupt nicht mehr erfolgen“.

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beliebigen Schuldner nicht erbracht werden...“,122 weder vom Schuldner, noch von einem Dritten.123 Objektive Unmöglichkeit liegt beispielsweise vor, wenn die geschul-dete Leistung einem Naturgesetz, den Regeln der Technik oder der Logik widerspricht, oder wenn sie die menschliche Leistungsfähigkeit massiv überschreitet.124 Ebenso liegt objektive Unmöglichkeit vor, wenn jemand eine Sache schuldet, die gar nicht mehr exi-stiert, beispielsweise weil sie zerstört wurde.125

91 Entscheidendes Abgrenzungskriterium zwischen der objektiven Unmöglichkeit, welche unter Art. 97 und 119 OR fällt, und der subjektiven Unmöglichkeit ist damit, ob die Un-möglichkeit für jedermann besteht (objektive Unmöglichkeit) oder für den Schuldner, nicht aber für jedermann (subjektive Unmöglichkeit). Dieses Abgrenzungskriterium wird im Folgenden das „Abgrenzungskriterium des erfüllungsfähigen Dritten“ genannt.

92 Die Verzugstheorie setzt auch bei objektiver Unmöglichkeit voraus, dass die Unmöglichkeit für jedermann endgültig (Nr. 50 und 68 ff.) und unüberwindbar (Nr. 49 und 56 ff.) ist. Anders bei der subjektiven Unmöglichkeit: Wenn irgend ein Dritter die Leistung erbringen kann, so liegt nach der Verzugstheorie keine (objektive) Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR vor. In diesem Falle kann offen bleiben, ob der Schuldner selbst die Leistung erbringen kann (so dass die Leis-tung möglich ist) oder ob der Schuldner die Leistung nicht erbringen kann (so dass eigentliche subjektive Unmöglichkeit vorliegt), weil die Rechtsfolgen in beiden Fällen identisch sind (Nr. 96). Die Vertreter der Verzugstheorie unterscheiden deshalb oft nicht klar zwischen der eigentli-chen subjektiven Unmöglichkeit, bei der der Schuldner dauernd und unüberwindbar an der Erfül-lung gehindert wird, Dritte aber zur Erfüllung imstande sind, und der möglichen Leistung. Viele der in Nr. 84 - 89 genannten Beispiele der Verzugstheorie für „subjektive Unmöglichkeit“ können deshalb auch als normale mögliche Leistungen – oder eben als Leistungserschwerungen im hier verstandenen Sinne – aufgefasst werden.

122 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3128; WEBER, BerK, N 114 zu Art. 97 OR; in Bezug auf die an-

fängliche Unmöglichkeit BUCHER, OR AT, S. 248; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 634; GUHL/ KOLLER, § 7 N 18; KRAMER, BerK, N 250 zu Art. 19 - 20 OR; etwas abweichend BECKER, BerK, N 2 zu Art. 20 OR: „...nicht nur dem Schuldner persönlich, sondern auch einem Dritten unmög-lich...“ „Diese formelhafte Umschreibung der objektiven Leistungsunmöglichkeit gehört zum festen Bestand der herrschenden Lehre...“, GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3130.

123 AEPLI, ZürK, N 47 zu Art. 119 OR; DESCHENAUX, révision, S. 537a Anm. 76; GUGGENHEIM, II, S. 174; in Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit GUGGENHEIM, I, S. 54; HÜRLIMANN, Nr. 97; KOLLER, OR AT I, Nr. 854; ZIEGLER, S. 55; ferner BUCHER, OR AT, S. 248.

124 KRAMER, BerK, N 250 zu Art. 19 - 20 OR; LARENZ, Schuldrecht AT, S. 98. 125 OGer ZH, ZR 54 (1955) Nr. 183, S. 371: Mit der Vernichtung der einem Arzt übergebenen Akten

wird die Erfüllung der vertraglichen Rückgabepflicht unmöglich. Vgl. statt vieler WEBER, BerK, N 115 zu Art. 97 OR.

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C. Dogmatischer Grundgedanke der Verzugstheorie

93 VON BÜREN begründete die Verzugstheorie damit, dass die so genannten subjektiven Unmöglichkeiten blosse Pseudounmöglichkeiten seien,126 weil die Verhinderung auf Seiten des Schuldners nur eine momentane sei,127 und nennt als Beispiele den Diebstahl einer Speziessache oder ein Einfuhrverbot.128 „Es brauchen sich nur die Verhältnisse etwas zu ändern (beispielsweise der Dieb gefasst zu werden), und schon entpuppt sich die sog. Unmöglichkeit als ganz ordentliche Möglichkeit“.129 Im Grunde genommen betrachtet VON BÜREN damit die subjektive Unmöglichkeit als vorübergehende Un-möglichkeit bzw. als Unmöglichkeit von nicht absehbarer Dauer und behandelt sie aus diesem Grunde nach den Verzugsregeln.130 Der subjektiven Unmöglichkeit fehlt die erforderliche Dauer der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners. Das Argument VON BÜRENs hat freilich einiges für sich: Da bei der subjektiven Unmöglich-keit (definitionsgemäss) ein Dritter zur Erfüllung imstande ist, kann nicht ausgeschlos-sen werden, dass der Dritte sich in Zukunft zur Mitwirkung bei der Erfüllung bereit erklärt, so dass die Erfüllung wieder möglich würde. Insofern ist die subjektive Unmög-lichkeit stets bloss vorübergehend oder von nicht absehbarer Dauer.

94 Die subjektive Unmöglichkeit kann auch als mögliche Leistung aufgefasst werden, welcher die erforderliche Intensität der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners fehlt. Die Begründung dafür gleicht der obigen Argumentation: Da bei der subjektiven Unmöglichkeit (definitionsgemäss) ein Dritter zur Erfüllung imstande ist, kann der Schuldner theoretisch immer erfüllen, nämlich indem er den Dritten zur Erfül-lung beizieht. Der Beizug des Dritten mag praktische Schwierigkeiten bereiten, im logischen Sinne ausgeschlossen ist er jedoch nie.131

95 Zum Vergleich: Der traditionellen Lehre und Rechtsprechung (Unmöglichkeitstheorie) liegt demgegenüber der Gedanke zugrunde, dass die ipso iure eintretenden Rechtsfolgen der Unmög-lichkeitsregeln, insbesondere der Untergang bzw. die Umwandlung des Realerfüllungsanspruchs, einzig bei endgültigen und unüberwindbaren Leistungshindernissen gerechtfertigt sind. Die sub-jektive Unmöglichkeit soll dabei nicht a priori vom Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsregeln ausgeschlossen werden. Sofern die Voraussetzungen der Unmöglichkeit insbesondere bezüglich Dauer (Nr. 50 und 68 ff.) und Intensität (Nr. 49 und 56 ff.) im konkreten Fall erfüllt sind, finden die Unmöglichkeitsbestimmungen ohne weiteres auch auf die subjektive Unmöglichkeit Anwendung.

126 VON BÜREN, OR AT, S. 390. 127 VON BÜREN, OR AT, S. 122. 128 VON BÜREN, OR AT, S. 390 und 122. 129 VON BÜREN, OR AT, S. 122. 130 Vgl. auch GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3145; AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR; ZIEGLER, S.

66 f.; SCHÖNLE, responsabilité, Semjud 99 (1977), S. 469. 131 Vgl. MÜLLER-CHEN, S. 242.

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D. Rechtslage bei subjektiver Unmöglichkeit nach der Verzugstheorie

96 Die subjektiv unmögliche Leistung (subjektive Unmöglichkeit) wird gemäss der Ver-zugstheorie wie eine normale mögliche Leistung behandelt. Art. 97 und 119 OR fin-den keine Anwendung. Der Realerfüllungsanspruch bleibt bestehen. Der Gläubiger kann die Leistung bei Fälligkeit in natura einklagen und mit Zwangsmassnahmen voll-strecken lassen.132 Erbringt der Schuldner die fällige Leistung nicht, kommt er bei gegebenen Voraussetzungen in Verzug.

97 Die Vertreter der Verzugstheorie erwähnen (mit einer selbstverständlichen Ausnah-me133) keine Besonderheiten bei den Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Schuld-nerverzugs.134 In der Regel beschränken sie sich auf die Aussagen, dass die subjektive Unmöglichkeit ein Verzugsfall oder Verzugstatbestand sei135 und verzugsrechtlich zu behandeln sei,136 oder dass die Vorschriften über den Schuldnerverzug Anwendung finden.137 Auch äussern sich die Vertreter der Verzugstheorie nicht zur Frage, ob der Schuldner bei subjektiver Unmöglichkeit tatsächlich in Verzug gerät und die Verzugs-regeln direkte Anwendung finden oder ob die subjektive Unmöglichkeit kein eigent-licher Verzugsfall ist, die Verzugsfolgen, namentlich das Wahlrecht von Art. 107 und 109 OR, bloss analog angewendet werden können. Aus ihrem Stillschweigen zu dieser Frage muss wohl geschlossen werden, dass die Vertreter der Verzugstheorie eine direkte Anwendung der Verzugsregeln befürworten. Die Verzugstheorie geht offenbar davon aus, dass ein ganz normaler Verzugsfall vorliegt.

98 Die Behandlung einer subjektiv unmöglichen Leistung wie eine normale mögliche Leistung hat erhebliche Vorteile. Würden bei der subjektiven Unmöglichkeit Besonderheiten gelten, müsste die

132 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3141a und auch Nr. 3151; auch HÖCHLI, S. 51. 133 Schuldnerverzug setzt voraus, dass der Schuldner seine bestehende (vgl. EHRAT, Nr. 217;

SCHENKER, Nr. 5 ff.; WEBER, BerK, N 50 zu Art. 102 OR) Leistungspflicht nicht erfüllt. Ist die Leistungspflicht des Schuldners aus irgendeinem Grund erloschen, ist Schuldnerverzug ausge-schlossen (als einzige Ausnahme hebt freilich der Verzicht auf nachträgliche Erfüllung gemäss Art. 107 Abs. 2 OR den zugrunde liegenden Schuldnerverzug nicht auf). Der praktisch bedeut-samste Fall ist die Unmöglichkeit gemäss Art. 97 und 119 OR. In der Lehre wird deshalb oftmals – pars pro toto – gesagt, Verzug setze Nichterfüllung der Verbindlichkeit trotz Leistungsmöglich-keit voraus (vgl. statt vieler VON TUHR/ESCHER, § 72, S. 135; SCHWENZER, Nr. 65.02; KOLLER, BerK, N 175 zu Art. 366 OR, oder WEBER, BerK, N 33 zu Art. 102 OR). Nach der Verzugs-theorie muss diese Voraussetzung freilich modifiziert werden: Weil nur die objektive Unmöglich-keit unter Art. 97 und 119 OR fällt, setzt Schuldnerverzug Nichterfüllung trotz objektiver Leis-tungsmöglichkeit voraus (GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2929; SCHENKER, Nr. 22; VON BÜREN, OR AT, S. 365).

134 Einzig KOLLER, OR AT I, Nr. 1025 Anm. 478, erwähnt – soweit ersichtlich – Besonderheiten in Bezug auf die Verzichtserklärung nach Art. 107 Abs. 2 OR und die Nachfristansetzung, lehnt aber die Verzugstheorie ab.

135 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3298; EHRAT, Nr. 236. 136 VON BÜREN, OR AT, S. 390; ZIEGLER, S. 66. 137 AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3140; GAUCH, Werkvertrag, Nr.

719; GEHRER, Mélanges Assista, S. 183; SCHENKER, Nr. 17 ff.; SCHÖNLE, faits futurs, S. 421.

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subjektiv unmögliche Leistung von der möglichen Leistung abgegrenzt werden (Nr. 92). Damit würde die Verzugstheorie eines ihrer Hauptvorteile beraubt.

E. Exkurs: Einzelfragen zum Begriff der subjektiven Unmöglichkeit

99 Die Begriffe der nachträglichen objektiven und subjektiven Unmöglichkeit sind keine gesetzlichen Begriffe. Sie kommen im Obligationenrecht nicht vor,138,139 sondern sind von der Lehre und Rechtsprechung140 in Zusammenhang mit der anfänglichen Unmög-lichkeit141 entwickelt worden.142 Ihre formelhafte Umschreibung gehört zum festen

138 Das Gesetz enthält jedoch einzelne Bestimmungen, die Tatbestände betreffen, die unter die Defi-

nition der subjektiven Unmöglichkeit fallen, beispielsweise – bezüglich der anfänglichen sub-jektiven Unmöglichkeit – Art. 192 ff. (Rechtsgewährleistung beim Fahrniskauf) (VON TUHR/ PETER, § 31 VI, S. 263 Anm. 72): Kann der Verkäufer dem Käufer (unbeschwertes) Eigentum nicht verschaffen, liegt subjektive Unmöglichkeit vor: Der Berechtigte könnte erfüllen. Der Ver-trag ist gültig und es finden Art. 192 ff. Anwendung; vgl. KRAMER, BerK, N 256 zu Art. 19 - 20 OR, m. Hw.

139 Im österreichischen Recht ist die Rechtslage vergleichbar. Dessen ABGB differenziert ebenfalls nicht ausdrücklich zwischen subjektiver und objektiver Unmöglichkeit; vgl. § 878 und 1447 ABGB und dazu statt vieler KOZIOL/WELSER, S. 140 und 233. Bis zur Schuldrechtsreform hat das deutsche BGB den Begriff des nachträglichen Unvermögens gekannt: § 275 Abs. 2 BGB a. F. hat „...das nachträglich eintretende Unvermögen des Schuldners zur Leistung“ der „nach der Ent-stehung des Schuldverhältnisses eintretenden Unmöglichkeit“ ausdrücklich gleichgestellt. Die Bedeutung dieser Bestimmung, insb. ihre historische Bedeutung, ist umstritten; vgl. MÜLLER-CHEN, S. 240 f., m. Hw.

140 Vgl. BGE 82 II 332 ff., 338 Erw. 5; BGE 43 II 784 ff., 793; AppGer BE, SJZ 7 (1910) Nr. 51, S. 161, betr. das aOR; vgl. ferner BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f., wo mit „Unver-mögen“ Geldmangel gemeint ist.

141 Gemäss neuerer Lehrmeinung ist diese Unterscheidung nicht massgebend für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs von Art. 20 OR; vgl. ZIEGLER, S. 20 ff.; KOLLER, OR AT I, Nr. 867 ff.

142 Die Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Unmöglichkeit hat im Pandektenrecht Eingang in die deutsche Lehre gefunden, vgl. MOMMSEN, S. 5 f. sowie 12 f. und 27 f.; VON SAVIGNY, S. 384; insb. WINDSCHEID, § 264 S. 55, (1875): „Bei der ursprünglichen Unmöglich-keit ist ferner zu unterscheiden zwischen objektiver Unmöglichkeit, d. h. Unmöglichkeit an sich, und subjektiver Unmöglichkeit, d. h. Unmöglichkeit bloss für den Schuldner.“ Und S. 56: „Bei der nachfolgenden Unmöglichkeit kommt es nicht darauf an, ob sie eine objektive oder eine sub-jektive ist...“ Diese Lehre wurde ins BGB von 1896 übernommen (vgl. Anm. 139). Ob sie die Verfasser des aOR nachvollzogen haben, geht aus den Materialien zum aOR von 1881 nicht her-vor. Bei der Revision des OR wurde Art. 110 aOR (der heutige Art. 97 OR) unverändert und Art. 145 aOR (der heutige Art. 119 OR) redaktionell nur leicht geändert übernommen (StenBull NR 1909, S. 543), so dass diese Bestimmungen weder in den Expertenkommissionen von 1908 und 1909 noch im Stände- und Nationalrat zu Diskussionen Anlass gaben (vgl. die Erläuterungen von HUBER im Nationalrat, StenBull NR 1909, S. 533 f.). Den Materialien zum OR von 1911 lassen sich deshalb ebenfalls keine Hinweise entnehmen. Die vor oder kurz nach dem Inkrafttreten des OR erschienene Literatur deutet ansatzweise auf eine Übernahme der pandektistischen Lehre hin. Vgl. z. B. SCHNEIDER/FICK, N 2 zu Art. 17 aOR: „Möglich, nämlich objektiv möglich“; FUNK, N 2 zu Art. 97 OR (1928); eindeutig MARTIN, l’inexecution, ZSR 33 (1914), S. 88 f. und MARTIN, code, S. 177. Die historische Entwicklung der Unmöglichkeitslehre vom römischen Recht bis zu den modernen Kodifikationen ist von WOLLSCHLÄGER ausführlich dargestellt sowie neuestens von PICHONNAZ, Nr. 83 ff., zusammengefasst worden. Auf eine erneute Wiedergabe wird hier deshalb verzichtet.

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Bestand der schweizerischen Lehre.143 Die Begriffsdefinition der Verzugstheorie folgt ganz der älteren Lehre zur anfänglichen Unmöglichkeit.144,145 Dennoch bleiben verschie-dene Fragen in Zusammenhang mit dem Abgrenzungskriterium des erfüllungsfähigen Dritten und der Einordnung bestimmter Fälle ungeklärt.

100 Offen sind namentlich gewisse theoretische Fragen: Setzt subjektive Unmöglichkeit voraus, dass ein Dritter eine gleiche Leistung oder etwa nur eine ähnliche Leistung erbringen kann, wie der Schuldner sie schuldet?146 Oder muss ein Dritter die Obligation des Schuldners erfüllen können, so dass die Obligation des Schuldners infolge ihrer Erfüllung untergehen (vgl. Art. 114)147 und der Schuldner von seiner Schuldpflicht befreit würde? Und muss der Dritte die gesamte Schuldpflicht des Schuldners allein erfüllen können, damit subjektive Unmöglichkeit vorliegt, oder genügt es, wenn der Dritte jenen Teil der Leistung erbringen kann, an der die Erfüllung durch den Schuldner scheitert?148 Die Lehre beantwortet solche Fragen nicht.

101 Im Rahmen dieser Arbeit kann darauf verzichtet werden, eine Theorie zur Abgrenzung von objektiver und subjektiver Unmöglichkeit zu entwickeln, weil die Abgrenzung nach hier vertretener Auffassung keine Bedeutung für die Abgrenzung des Anwendungsbe-reichs der Unmöglichkeitsbestimmungen hat (Nr. 218 f. und 444 f.). Einzelne Punkte verdienen dennoch besondere Erwähnung.

102 1. Die Lehre stellt keine strengen Anforderungen an die Voraussetzung des erfüllungs-fähigen Dritten. Es genügt, wenn es eine einzige Person gibt, die erfüllen kann.149 Bei allen Tatbeständen, bei welchen dem Schuldner die rechtliche oder tatsächliche Verfü-gungsmacht über eine Speziessache fehlt (z. B. infolge Diebstahl, Doppelverkauf usw.),

143 So GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3130, in Bezug auf die objektive Unmöglichkeit. 144 Vgl. die zu Nr. 83 und 90 zit. Literatur. 145 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3128: „In allen Fällen ist der Begriff der objektiven Leistungsunmög-

lichkeit der gleiche“. Diese „Parallelinterpretation“ der anfänglichen und nachträglichen sub-jektiven Unmöglichkeit ist neuerdings auf Kritik gestossen. Vgl. ZIEGLER, S. 6 ff.

146 BARTH, S. 37, nimmt generell objektive Unmöglichkeit an, wenn ein Dritter nicht am richtigen Ort oder nicht zur richtigen Zeit erfüllen kann. Vgl. auch PICHONNAZ, Nr. 327.

147 Ein Dritter kann bei unpersönlichen Obligationen mit befreiender Wirkung gegenüber dem Gläu-biger erfüllen, und zwar auch dann, wenn der Schuldner die Erfüllung durch den Dritten ablehnt. Vgl. BGE 83 III 102 und aus der Lehre statt vieler GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2046; VON TUHR/ ESCHER, § 59 II, S. 26.

148 Wird beispielsweise die zu reparierende Uhr beim Uhrenmacher gestohlen, so kann der Dieb er-füllen, indem er die gestohlene Uhr dem Uhrenmacher herausgibt, auf dass dieser die geschuldete Reparatur (allenfalls eine persönliche Leistungspflicht) vornehmen und die reparierte Uhr dem Auftraggeber zurückgeben kann. Zur eigentlichen Reparatur wird der Dieb jedoch i. d. R. nicht fähig sein. Vom eben genannten Beispiel sind die Fälle abzugrenzen, bei denen der Schuldner zur Erbringung der Leistung unfähig ist, ein Dritter ihn aber wieder erfüllungsfähig machen kann, indem er etwas tut, das mit der geschuldeten Leistung überhaupt nicht zusammenhängt. Ein solcher Fall liegt z. B. vor, wenn ein Chirurg dem erblindeten Portraitmaler mittels einer Hornhauttransplantation das Augenlicht zurückgibt. Als Dritter kommt der Chirurg selbstver-ständlich nicht in Frage.

149 So die Formulierung der Definition der subjektiven Unmöglichkeit bei AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR, und ZIEGLER, S. 55.

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ist dies regelmässig der Fall.150 Auch ein unbekannter Dritter kommt nach der Auffas-sung der Lehre als Vergleichsperson in Frage.151 So nimmt die Lehre beim Diebstahl einer Speziessache mehrheitlich subjektive Unmöglichkeit an, obwohl die Person des Diebes nicht bekannt ist.152 Damit wird in Kauf genommen, dass auch Dritte, deren Existenz gar nicht nachgewiesen ist, als Vergleichspersonen herangezogen werden. Zum Beispiel kann bei der gestohlenen Speziessache nicht beurteilt werden, ob die Speziessache überhaupt noch existiert oder aber zerstört wurde. Dasselbe gilt im Falle einer verlorengegangenen Speziessache. Die Lehre lässt es damit in gewissen Fällen genügen, dass abstrakt eine Person denkbar ist, die erfüllen kann (z. B. der allfällige Finder).

103 2. Subjektive Unmöglichkeit ist nach nahezu einhelliger Auffassung bei per-sönlichen Leistungen ausgeschlossen.153 Bei einer persönlichen Leistungspflicht i. S. v. Art. 68 OR darf der Schuldner die Erfüllung nicht einem Dritten übertragen. Die Leistung eines Dritten ist keine vertragsgemässe Erfüllung, und der Gläubiger muss die Leistung eines Dritten grundsätzlich nicht annehmen.154 Wenn der Schuldner nicht selbst – persönlich – erfüllen kann (z. B. ist der Arbeitnehmer krank), braucht sich der Schuldner nicht um Erfüllung durch einen Dritten zu bemühen.155 Zwar ist durchaus denkbar, dass ein Dritter eine ähnliche Leistung erbringen kann (z. B. die Arbeit des Schuldners erledigen). Die Leistung des Dritten wäre aber keine vertragsgemässe Erfül-lung der Obligation des Schuldners. Weil damit kein Dritter die Leistung des Schuldners erbringen kann, ist die Unmöglichkeit bei persönlicher Leistungspflicht immer eine objektive.156,157

150 Vgl. die Nw. zu Nr. 38, 84 - 86, und 368 - 370. 151 A. A. BARTH, S. 37; ENNECCERUS/LEHMANN, S. 131; STAUDINGER/LÖWISCH, N 33 zu § 306

BGB. 152 Nw. in Anm. 115. 153 Vgl. dazu BARTH, S. 36; AEPLI, ZürK, N 48 zu Art. 119 OR. 154 Differenzierend KOLLER, BerK, N 70 ff. zu Art. 364 OR. 155 Vgl. BGE 103 II 56 f. 156 BECKER, BerK, N 3 zu Art. 20 OR; DASSER, HandK, N 4 zu Art. 20 OR; ERDIN, Nr. 39; GAUCH/

SCHLUEP/REY, Nr. 3149 f. und auch Nr. 3164; GUGGENHEIM, I, S. 54 f., DERS., II, S. 175 f.; KOLLER, OR AT I, Nr. 856; KRAMER, BerK, N 254 zu Art. 19 - 20 OR; HUGUENIN, BasK, N 46 zu Art. 20 OR; HÜRLIMANN, Nr. 101; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 8 zu Art. 20 OR; RINGIER, S. 27 f.; ZIEGLER, S. 57 ff. und 62; ferner SCHWENZER, Nr. 63.08; abweichend BARTH, S. 36 f.; ZIEGLER, S. 59; zum deutschen Recht: ENNECCERUS-LEHMANN, § 29 I 3; ERMAN/ BATTES, N 30 vor § 275 BGB; Münchener Kommentar/THODE, N 9 zu § 306 BGB; SOERGEL/ WOLF, N 6 zu § 306 BGB; ferner MOMMSEN, S. 65; a. A. STAUDINGER/LÖWISCH, N 21 zu § 306 BGB; LARENZ, Schuldrecht AT, S. 103; PALANDT-HEINRICHS, N 4 zu § 306; differenzierend NEUMANN-DUESBERG, BB 1970, S. 1462.

157 Beispiele: (1) Der Portraitmaler erblindet; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3149; KRAMER, BerK, N 254 zu Art. 19 - 20 OR; GUGGENHEIM, II, S. 176. (2) Ein Künstler verpflichtet sich zur Erstellung einer Plastik, erkrankt aber an Gicht; HÜRLIMANN, Nr. 101. (3) Ein Fussballspieler erhält keine Spielberechtigung; KGer SG, GVP 1988, Nr. 42, S. 87 ff. = SJZ 85 (1989) Nr. 67, S. 418 ff. (4) Der Architekt erkrankt unheilbar; SOERGEL/WOLF, N 6 zu § 306 BGB. (5) Die Erstellung und

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104 3. BARTH, BESSON, PICHONNAZ und WEBER sowie VON TUHR/PETER und KELLER/ SCHÖBI berücksichtigen bei der Abgrenzung von subjektiver und objektiver Unmöglich-keit – in unterschiedlichem Masse –, ob es sich beim der Unmöglichkeit zugrunde lie-genden Leistungshindernis um ein persönliches Hindernis handelt (subjektive Unmög-lichkeit)158 oder um ein ausserhalb der Person des Schuldners liegendes allgemeines Hindernis (objektive Unmöglichkeit). Im Gegensatz zum Abgrenzungskriterium des erfüllungsfähigen Dritten stellt das Kriterium des persönlichen Hindernisses auf die Art des Leistungshindernisses, nicht auf seine Wirkung ab.

105 Persönliche Hindernisse sind beispielsweise fehlende physische Leistungsfähigkeit (z. B. infolge Krankheit, Alter, körperlicher Behinderung, Unfall), allgemein jede Beein-trächtigung der körperlichen (physischen) Leistungsfähigkeit, fehlende psychische Leistungsfähigkeit des Schuldners (z. B. Ausbildung, Wissen usw.), fehlende wirt-schaftliche Möglichkeiten (z. B. Vermögen, Kredit usw.), fehlende rechtliche oder tat-sächliche Verfügungsmacht, fehlende technische Hilfsmittel oder Betriebsmittel.159 All-gemeine, ausserhalb der Person des Schuldners begründete Hindernisse liegen hingegen vor, wenn die Leistung gegen ein Naturgesetz oder die Logik verstösst, ihrer Zeit in technologischer Hinsicht massiv voraus ist, gegen ein allgemeingültiges Gesetz verstösst usw. Ebenfalls liegt ein solches allgemeines Hindernis vor, wenn eine Speziessache zer-stört wird.

106 Stellt man bei der Abgrenzung von subjektiver und objektiver Unmöglichkeit einzig auf den persönlichen oder allgemeinen Charakter des der Unmöglichkeit zugrunde liegen-den Leistungshindernisses ab, so führt das dazu, dass auch bei persönlichen Leistungs-pflichten subjektive Unmöglichkeit gegeben sein kann (Nr. 103 ff.).160 Diese Auffas-sung wird namentlich von einem Teil der deutschen Lehre vertreten und manchmal „Sphärentheorie“161 genannt, weil darauf abgestellt wird, ob das Leistungshindernis

Lieferung einer Verdampfungs- und Kondensierungsanlage wird dem Schuldner wegen eines behördlichen Ausfuhrverbots unmöglich; vgl. BGE 111 II 352 = BR 1986/3 Nr. 91, S. 66, mit Anm. von Peter GAUCH. (6) Der Betrieb einer Zahnarztpraxis ist der „Pächterin“ unmöglich, weil sie das nach dem neu erlassenen Gesetz erforderliche eidgenössische Diplom nicht hat und auch nicht erwerben kann. Die Leistung ist unmöglich, weil es der Pächterin unzumutbar ist, das Diplom zu erwerben; BGE 57 II 532 ff.

158 BARTH, S. 36 f.; BESSON, S. 11; PICHONNAZ, Nr. 328; WEBER, BerK, N 119 zu Art. 97 OR; und in Bezug auf die anfängliche Unmöglichkeit VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263; KELLER/SCHÖBI, I, S. 145. Abweichende Definition auch bei OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 8 zu Art. 20 OR.

159 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3135; VON TUHR/PETER, § 31 VI, S. 263. 160 Vgl. STAUDINGER/LÖWISCH, N 21 zu § 306 BGB; ferner WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 469 vor §

373 HGB. 161 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3150. Die Sphärentheorie wird in der deutschen Lehre zur

Abgrenzung von Annahmeverzug und Unmöglichkeit vornehmlich bei Arbeits- und Werkverträ-gen verwendet (vgl. EMMERICH, S. 16, m. Hw.) und auch im Schweizer Recht in diesem Zusam-menhang diskutiert (vgl. z. B. STREIFF/VON KAENEL, N 6 zu Art. 324 OR, oder ZINDEL/PULVER, BasK, N 20 zu Art. 376 OR, m. Hw.; ausführlich SCHNÜRIGER, S. 98 ff.).

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ausserhalb der Person des Schuldners (ausserhalb seiner Sphäre) oder allein (genetisch) in seiner Person begründet ist.162

107 Schwachpunkt der Lehre vom persönlichen Leistungshindernis ist die Abgrenzung der persönlichen von den allgemeinen (unpersönlichen) Leistungshindernissen. Sie kann selbstverständlich von Fall zu Fall durch Wertung geschehen. Will man aber auf ein all-gemeines Kriterium abstellen, so ist auch hier danach zu unterscheiden, welche Wirkun-gen ein Leistungshindernis hat, ob das Leistungshindernis nur den Schuldner betrifft, nicht aber jedermann (persönliches Hindernis, Hindernis aus den persönlichen Verhält-nissen des Schuldners), oder aber alle potentiellen Schuldner, ja alle Menschen über-haupt (unpersönliches Hindernis). Es stellt sich damit wiederum die Frage, ob es Dritte gibt, die vom Leistungshindernis nicht betroffen werden.163 Abgesehen vom abweichen-den Ergebnis bei persönlichen Leistungspflichten deckt sich die Lehre vom persönlichen Hindernis damit weitgehend mit dem Abgrenzungskriterium des erfüllungsfähigen Dritten.

108 4. Schliesslich werden andere Abgrenzungskriterien vertreten:

109 – Nach der Lehrmeinung von BARTH zur anfänglichen Unmöglichkeit liegt subjektive Unmög-lichkeit nicht nur vor, wenn ein Dritter zur Erfüllung der Schuldpflicht imstande ist, sondern auch, wenn niemand die Schuldpflicht des Schuldners erfüllen kann, allerdings aus anderem Grunde als der Schuldner.164 Objektive Unmöglichkeit liegt nur dann vor, wenn – aus dem gleichen Grunde wie der Schuldner – niemand die Leistung erbringen kann.

110 – Teilweise werden subjektive und objektive Unmöglichkeit von den Rechtsfolgen her abge-grenzt. Subjektive Unmöglichkeit ist danach die Unmöglichkeit, die sich nach den Verzugsre-geln regelt, während objektive Unmöglichkeit die nach Art. 97 und 119 OR zu behandelnde Unmöglichkeit ist.165 Mit einer solchen Definition wird weder das Kriterium des Dritten noch das eines persönlichen Hindernisses aufrechterhalten. Die Abgrenzung kann im Einzelfall durch Wertung erfolgen.

111 – Teilweise wird bei der Abgrenzung von subjektiver und objektiver Unmöglichkeit auf das Kri-terium der Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs abgestellt.166 Dieses Kriterium ist

162 SOERGEL/WIEDEMANN, N 49 zu § 275 BGB. 163 Nicht sinnvoll ist es jedoch vorauszusetzen, dass auch bei Vorliegen eines persönlichen Hinder-

nisses jeder Schuldner in der betreffenden Situation am Erbringen der Leistung gehindert wäre. Das scheint aber DESCHENAUX, révision, S. 537a Anm. 76, in seiner Definition der subjektiven Unmöglichkeit vorauszusetzen: „Il n'y a impossibilité subjective que si une autre personne que moi, placée dans la même situation, pourrait effectuer la prestation...“ Vgl. auch PICHONNAZ, Nr. 327 f. Dies würde bedeuten, die subjektive Unmöglichkeit überhaupt abzuschaffen, denn sub-jektive Unmöglichkeit wäre hiermit logisch ausgeschlossen. So auch CAYTAS, S. 24.

164 BARTH, S. 37, m. Hw. auf Lehrmeinungen zum deutschen Recht. BARTH, S. 36 f., leitet seine Definition aber ausdrücklich aus der Ratio der Sonderbehandlung der ursprünglichen subjektiven Unmöglichkeit ab und bezieht sie auch nur auf diese. Für die nachträgliche Unmöglichkeit lehnt BARTH den Begriff der subjektiven Unmöglichkeit ab (S. 38 f.).

165 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3159. 166 GAUCH/SCHLUEP, 3. Aufl., Nr. 1869 ff.; in der aktuellen Ausgabe, GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr.

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insofern verständlich, als der Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs nach den Verzugsregeln kaum sinnvoll ist, wenn der Realerfüllungsanspruch nicht durchgesetzt werden kann. Vgl. aber Nr. 300 f.

112 – Schliesslich kann die subjektive Unmöglichkeit negativ definiert werden: Jede Unmöglichkeit ist eine subjektive, die keine objektive ist.167 Eine solche negative Definition der subjektiven Unmöglichkeit trägt freilich nichts zur Klärung des Begriffs bei, weil sie eine Leerformel ist.

F. Bedeutung der Verzugstheorie für die Leistungserschwerung

113 Ein Blick auf die vorne aufgezählten Fallgruppen und Beispiele der subjektiven Unmög-lichkeit (Nr. 84 ff.) zeigt, dass es sich bei diesen fast ausschliesslich oder gar aus-schliesslich um Leistungserschwerungstatbestände im hier verstandenen Sinne handelt. Zweifelsohne ist in den genannten Situationen der Erfüllungsaufwand erhöht. Weil jedoch definitionsgemäss ein Dritter zur Erfüllung imstande sein muss, damit subjektive Unmöglichkeit vorliegt, kann in der Regel nicht gesagt werden, die Leistung sei mit beliebigen Erfüllungsanstrengungen nicht bewirkbar (vgl. Nr. 93 f.).

114 Die Verzugstheorie führt damit dazu, dass diese „subjektiven Leistungserschwerungstat-bestände“ dem Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen entzogen wer-den. Der Schuldner kann sich höchstens über die clausula rebus sic stantibus (dazu sogleich, Nr. 115 ff.) oder allenfalls durch andere Rechtsbehelfe von der Leistungs-pflicht befreien. Im Ergebnis führt damit die Verzugstheorie zu einem ähnlichen Resul-tat wie die Clausula-Theorie.

III. Clausula rebus sic stantibus

1. Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus

115 Die clausula rebus sic stantibus ist ein von der Lehre und Rechtsprechung entwickelter, im Gesetz nicht ausdrücklich geregelter allgemeiner Rechtsbehelf zur Anpassung von Verträgen an veränderte Verhältnisse und Umstände.168 Bei gegebenen Voraussetzungen findet die clausula rebus sic stantibus grundsätzlich auf verschiedene Arten veränderter

3161, noch in Bezug auf unpersönliche Arbeits- und Dienstleistungspflichten; vgl. ferner OGer LU, LGVE 1980 I Nr. 554, S. 617 f. = SJZ 79 (1983) Nr. 26, S. 161, wo das Kriterium der Voll-streckbarkeit jedoch für den Bestand des Realerfüllungsanspruchs an sich vorausgesetzt wurde; zum deutschen Recht vgl. PLANCK/SIEBER, N III 2 vor §§ 275 - 292 BGB.

167 Vgl. z. B. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3134. 168 Vgl. zum Ganzen BAUMANN, ZürK, N 443 ff. zu Art. 2 ZGB; DESCHENAUX, SPR II, S. 199 ff.;

GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1297 ff.; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 620 ff. zu Art. 18 OR; KELLER/ SCHÖBI, I, S. 254 ff.; KRAMER, BerK, N 272 ff. zu Art. 18 OR; MERZ, BerK, N 184 ff. zu Art. 2

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Verhältnisse Anwendung, auch auf Leistungserschwerungstatbestände (vgl. Nr. 117). Ihre Rechtsgrundlage hat die clausula rebus sic stantibus in den Regeln über die Ver-tragsergänzung und Vertragsanpassung,169 nach anderer Auffassung im Verbot des Rechtsmissbrauchs (Art. 2 Abs. 2 ZGB).170 Gemäss der Lehre und Rechtsprechung hat die clausula rebus sic stantibus die folgenden Voraussetzungen:

116 1. Eine Vertragsanpassung kommt nur bei einer nachträglichen Veränderung der Verhältnisse und Umstände in Frage.171,172 Die veränderten Verhältnisse und Umstän-de müssen sich mit einer bestimmten Intensität (kausal) auf das Vertragsverhältnis aus-wirken: Gefordert wird, dass infolge der veränderten Verhältnisse eine „gravierende Äquivalenzstörung“173 eingetreten ist, d. h. ein „grobes“, „offenbares“, „übermässiges“ Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bzw. deren Wert.174,175 Was dies konkret bedeutet, beantwortet das Bundesgericht auch in seiner jüngsten Recht-sprechung noch sehr unterschiedlich: Gemäss BGE 127 III 306 genügt es, „dass das Gleichgewicht der auszutauschenden Leistungen ... erheblich beeinträchtigt wurde“.176 In BGE 122 III 98 wird hingegen verlangt, dass „das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ... so gestört ist, dass das Beharren des Gläubigers auf seinem Vertrags-anspruch geradezu eine wucherische Ausbeutung des Missverhältnisses und damit einen offenbaren Rechtsmissbrauch darstellt“.177,178

ZGB; WIEGAND, BasK, N 95 ff. zu Art. 18 OR.

169 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1293 ff., m. Nw.; MERZ, BerK, N 218 zu Art. 2 ZGB; JÄGGI/ GAUCH, ZürK, N 639 ff. zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 325 ff. zu Art. 18 OR.

170 DESCHENAUX, SPR II, S. 200, m. Nw.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 255; WIEGAND, BasK, N 96 zu Art. 18 OR.

171 BGE 97 II 398 f.; vgl. statt aller WIEGAND, BasK, N 99 zu Art. 18 OR. 172 BGE 100 II 349, BGE 122 III 98, OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 234 ff. und

KELLER/SCHÖBI, I, S. 257, fordern zusätzlich eine ausserordentliche Veränderung der Verhältnis-se. Damit ist wohl entweder die Nichtvoraussehbarkeit der Veränderung (Nr. 119) oder das Aus-mass der Äquivalenzstörung (Nr. 116) oder aber der überindividuelle Charakter der Ereignisse (Nr.118) gemeint. Vgl. dazu KRAMER, BerK, N 352 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 106 zu Art. 18 OR.

173 BGE 127 III 305; KRAMER, BerK, N 346 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 104 zu Art. 18 OR. 174 Vgl. z. B. BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 469; BGE 107 II 348; DESCHENAUX, SPR

II, S. 202; KRAMER, BerK, N 346 ff. zu Art. 18 OR, mit Präzisierungen; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 680 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 104 zu Art. 18 OR; illustrativ BezGer Arlesheim, BJM 1995, S. 25 ff.

175 Aber auch in anderen Fällen kommt die Anwendung der clausula rebus sic stantibus in Betracht, z. B. bei Erschütterung oder Zerstörung des Vertrauensverhältnisses, WIEGAND, BasK, N 95 zu Art. 18 OR.

176 BGE 127 III 306. 177 BGE 122 III 98; ähnlich BGE 107 II 348. 178 Vgl. ferner BGE 100 II 349: „wenn die Verhältnisse von Leistung und Gegenleistung ... so

gestört sind, dass die sich aus dem Vertrag ergebende Risikoverteilung für eine Partei nicht mehr tragbar und das Festhalten der Gegenpartei an ihrem Anspruch nach den gesamten Umständen missbräuchlich ist“; BGE 101 II 19 und BGE 97 II 398: „wenn ... ein derart offenbares Missver-hältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eingetreten ist, dass das Beharren einer Partei auf

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117 Ob die gravierende Äquivalenzstörung durch eine Erhöhung des Erfüllungsaufwands oder eine Entwertung der Leistung herbeigeführt wird, ist nicht ausschlaggebend. Bei gegebenen Voraussetzungen findet die clausula rebus sic stantibus grundsätzlich auf alle Arten veränderter Verhältnisse Anwendung, beispielsweise auch auf Fälle der Ver-wendungsunmöglichkeit und Verwendungserschwerung,179 ausnahmsweise sogar bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Schuldners.180 Auch eine Anwendung auf die Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne ist ohne weiteres denkbar. In der Rechtsprechung finden sich jedoch kaum solche Fälle. Dies kann damit erklärt wer-den, dass das Bundesgericht – wie gesagt – von einem weiten Begriff der Unmöglich-keit ausgeht (Unzumutbarkeitstheorie) und den Schuldner gestützt auf die Unmöglich-keitsregeln befreit hat, wenn im logischen Sinne keine Unmöglichkeit vorlag.181

118 2. Teilweise wird zusätzlich gefordert, dass die veränderten Verhältnisse in einem Ereignis mit überindividuellem Charakter182 bestehen, ja sogar in einer „Sozialka-tastrophe“ wie Kriege, Wirtschaftskrisen, Geldentwertung, Änderungen der Gesetzge-bung oder Rechtsprechung und Naturkatastrophen.183 Mit KRAMER ist aber nicht einzu-sehen, warum eine Anpassung nicht auch in Fällen möglich sein soll, die nur die Vertragsparteien betreffen und in normalen Zeiten vorkommen.184 In Frage kommen damit auch Ereignisse mit persönlichem Charakter wie örtliche Unglücksfälle (z. B. ein Fabrikbrand)185 oder sogar Änderungen der Familienverhältnisse (z. B. Scheidung) bei Verträgen mit persönlichen Elementen.186

119 3. Eine Vertragsanpassung kommt nach der Lehre und Rechtsprechung jedoch nicht in Frage, wenn den Schuldner an den veränderten Verhältnissen ein Verschulden oder eine anderweitige Verantwortung (z. B. nach Art. 101, 103 OR) trifft187 sowie bei

ihrem Anspruch als missbräuchlich erscheint“.

179 Z. B. BGE 127 III 300. Betr. Geldentwertung (alle Entscheide – mit Ausnahme des letztgenann-ten – ohne ausdrückliche Abstützung auf die clausula rebus sic stantibus): BGE 57 II 596; BGE 57 II 368; BGE 54 II 314 (Anpassung i. c. abgelehnt); BGE 51 II 303 und BGE 48 II 242 (Anpas-sung i. c. abgelehnt); dazu WIEGAND/BERGER, S. 83 ff. Ferner KELLER/SCHÖBI, I, S. 259; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 f. Anm. 19; BGE 48 II 372 f.

180 BGE 122 III 97 betr. Scheidungskonvention (Anpassung i. c. abgelehnt); vgl. die (überzeugende) Begründung für den Ausnahmecharakter dieses Entscheides bei Thomas GEISER, AJP 1996, S. 1159 f.

181 Vgl. die Nw. zu Nr. 63. 182 DESCHENAUX, SPR II, S. 202, der aber diese Voraussetzung in Anm. 105 durch Beispiele aus der

bundesgerichtlichen Rechtsprechung stark abschwächt. 183 BISCHOFF, S. 181 und 184 ff. 184 KRAMER, BerK, N 350 zu Art. 18 OR, m. Hw. auf die deutsche Lehre; ebenso TERCIER, clausula,

JdT 127 (1979) I, S. 208; WIEGAND, BasK, N 106 zu Art. 18 OR; i. gl. S. wohl auch JÄGGI/ GAUCH, ZürK, N 629 zu Art. 18 OR.

185 BGE 48 II 366. 186 BGE 82 II 338. 187 Nw. hinten in Anm. 386.

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Voraussehbarkeit der veränderten Verhältnisse.188 Auf diese Voraussetzungen wird hinten ausführlich eingegangen (Nr. 269 ff. bzw. Nr. 282 ff.).

120 4. Spezielle vertragliche und gesetzliche Anpassungsregeln gehen der clausula rebus sic stantibus naturgemäss vor, sowohl wenn sie positiv die Berücksichtigung be-stimmter Veränderungen anordnen, als auch wenn sie negativ deren Nichtberücksichti-gung vorsehen.189 Vertragliche Anpassungsregeln können insbesondere auch implizit im Vertrag enthalten sein. Beispielsweise kommt bei Verträgen mit spekulativem Charakter eine Anpassung kaum in Frage.190

121 5. Schliesslich muss es sich beim anzupassenden Vertrag um einen auf gewisse Zeit angelegten Vertrag handeln, damit sich die Verhältnisse nach Vertragsschluss über-haupt ändern können.191 Darüber hinaus spricht die lange Dauer eines Vertrages aber weder speziell für eine Anpassung (weil nicht alle Veränderungen vorausgesehen wer-den können) noch speziell dagegen (weil man bei langen Verträgen mit Veränderungen rechnen muss192). Die Anwendung der clausula rebus sic stantibus kommt in der Regel nur in Frage, wenn der Vertrag nicht vorbehaltlos vollständig erfüllt wurde.193

2. Rechtsfolgen der clausula rebus sic stantibus

122 Sind die Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus erfüllt, ist der Vertrag umzu-gestalten, dass er den veränderten Verhältnissen entspricht.194 In erster Linie ist dabei auf vertragliche Anpassungsregeln abzustellen, in zweiter Linie auf dispositives Ge-setzesrecht (vgl. Nr. 120) und in dritter Linie auf den hypothetischen Parteiwillen:195 Zu ermitteln ist, was die Parteien nach Treu und Glauben vereinbart hätten, wenn sie den eingetretenen Verlauf der Dinge in Betracht gezogen hätten.196 Dem Richter steht bei der Bestimmung der angemessenen Anpassungsfolge ein gewisser Ermessensspielraum zu.197 Bei Leistungserschwerung kann der Richter den Vertrag auflösen198 oder die 188 Nw. hinten in Anm. 400. 189 Vgl. statt aller BISCHOFF, S. 229; WIEGAND, BasK, N 108 ff. zu Art. 18 OR; ausführlich

KRAMER, BerK, N 276 ff. zu Art. 18 OR. 190 BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 588 zu Art. 18 OR; KRAMER,

BerK, N 293 und 339 zu Art. 18 OR; WIEGAND, BasK, N 103 a. E. zu Art. 18 OR, der spekulati-ve Verträge wegen der Voraussehbarkeit der Änderungen von der Vertragsanpassung aus-schliesst; ebenso MERZ, BerK, N 226 zu Art. 2 ZGB; kritisch BÜHLER, clausula, S. 39.

191 MERZ, BerK, N 224 zu Art. 2 ZGB; WIEGAND, BasK, N 100 zu Art. 18 OR. 192 BGE 127 III 305 f.; BGE 100 II 348 f. 193 BGE 127 III 304 f.; BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB; BISCHOFF, S. 219 f.; DESCHENAUX,

SPR II, S. 202, m. Hw. auf die Rechtsprechung; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 675 zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 345 zu Art. 18 OR; MERZ, BerK, N 225 zu Art. 2 ZGB.

194 WIEGAND, BasK, N 98 zu Art. 18 OR. 195 BGE 127 III 307; WIEGAND, BasK, N 118 zu Art. 18 OR. 196 BGE 127 III 307; BÜHLER, clausula, S. 52. 197 BGE 127 III 307.

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vertraglichen Leistungspflichten modifizieren, beispielsweise den Anspruch auf Real-erfüllung ermässigen199 oder auf Schadenersatz, allenfalls reduziert nach Art. 99 Abs. 3 i. V. m. Art. 43 OR,200 erkennen, eventuell in Ergänzung zum ermässigten Realerfül-lungsanspruch, ohne an die Voraussetzung des Verschuldens gebunden zu sein.201 Weil der Richter den Vertrag nach seinem Ermessen anpasst und weil Gerichtsentscheide hierzu weitgehend fehlen, kann nichts Genaueres darüber gesagt werden, wie der Vertrag bei Leistungserschwerung angepasst würde.

IV. Art. 373 Abs. 2 OR

123 Eine Bestimmung, welche ausdrücklich auf die Leistungserschwerung Anwendung findet, ist Art. 373 Abs. 2 OR. Diese Bestimmung betrifft den Fall, dass die Parteien eines Werkvertrages eine „zum voraus genau bestimmte“ Vergütung für die Werker-stellung, d. h. einen Festpreis vereinbart haben.202 Gemäss Art. 373 Abs. 2 OR kann der Richter nach seinem Ermessen den Werkpreis erhöhen oder den Werkvertrag auf-lösen, wenn ausserordentliche Umstände, die nicht vorausgesehen werden konnten oder die nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzungen ausge-schlossen waren, die Fertigstellung des Werkes hindern oder übermässig erschweren. Es handelt sich bei dieser Bestimmung auch um einen Anwendungsfall der clausula rebus sic stantibus,203 aber nicht nur, weil Art. 373 Abs. 2 OR auch auf Umstände An-wendung findet, die bereits bei Vertragsschluss bestanden haben, für den Unternehmer aber erst nach Abschluss des Vertrages zutage treten.204

124 Art. 373 Abs. 2 OR setzt voraus, dass der Mehraufwand (infolge ausserordentlicher Umstände) zu einem krassen Missverhältnis zwischen der Leistung des Unternehmers und der Vergütung des Bestellers,205 d. h. zu einer gravierenden Äquivalenzstörung (Nr. 116) führt, so dass dem Unternehmer die Werkausführung zu den offerierten Preisen unzumutbar ist.206 Sodann müssen die eingetretenen Umstände gemäss dem 198 BGE 127 III 307; WIEGAND, BasK, N 98 und 118 zu Art. 18 OR. 199 MERZ, BerK, N 253 zu Art. 2 ZGB. 200 Nw. hinten in Anm. 660 f. 201 Nw. hinten in Anm. 675. 202 Vgl. zum Anwendungsbereich und möglichen Analogien statt vieler GAUCH, Werkvertrag, Nr.

1044 ff. und 1142 ff. 203 BGE 104 II 315; WIEGAND/BERGER, S. 83; BÜHLER, ZürK, N 20 zu Art. 373 OR; ENGEL, BT,

Nr. 90 S. 458. 204 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1071; ERDIN, Nr. 90 f.; vgl. z. B. BGE 109 II 335; BGE 58 II 421;

BGE 52 II 437. 205 BGE 104 II 317; BGer, Semjud 115 (1993), S. 656; a. A. ERDIN, Nr. 237 ff.: entscheidend sei das

Verhältnis zwischen den infolge der ausserordentlichen Ereignisse entstandenen Kosten und den bei Vertragsschluss kalkulierten Kosten.

206 BGE 113 II 516 = Pra 78 (1989) Nr. 17, S. 82. Vgl. auch BGE 58 II 423: „nur ganz besonders schwerwiegende Ausnahmeverhältnisse”.

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Gesetzeswortlaut nicht voraussehbar (ausführlich dazu Nr. 282 ff.) oder nach den von beiden Beteiligten angenommenen Voraussetzungen ausgeschlossen207 gewesen sein. Schliesslich darf der Schuldner die eingetretenen Umstände nicht verschuldet oder sonst zu vertreten haben (Nr. 269 ff.).208 Ausdrückliche abweichende vertragliche Ver-einbarungen gehen Art. 373 Abs. 2 OR – unter Vorbehalt von Art. 27 ZGB – vor.209

125 Sind die Voraussetzungen von Art. 373 Abs. 2 OR erfüllt, kann der Richter nach sei-nem Ermessen die Gegenleistung erhöhen oder den Vertrag auflösen. Genaueres dazu hinten Nr. 254 ff. Die Rechtsnatur von Art. 373 Abs. 2 OR ist umstritten. Nach dem Wortlaut bedarf die Preiserhöhung bzw. die Vertragsauflösung der Bewilligung des Richters. In BGE 48 II 125 vertrat das Bundesgericht jedoch die Auffassung, der Unternehmer könne den Vertrag durch aussergerichtliche Erklärung auflösen.210 Die Lehre ist dem Bundesgericht gefolgt,211 doch scheint sich neuerdings die andere am Wortlaut orientierte Lehrmeinung durchzusetzen, welche Art. 373 Abs. 2 OR als Gestaltungsklagerecht auffasst.212

V. Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund

1. Vorkommen

126 Das Gesetz gibt den Parteien eines Dauerschuldvertrages an verschiedener Stelle das Recht, den Vertrag aus wichtigen Gründen vorzeitig aufzulösen. Die Voraussetzungen dieser ausserordentlichen Vertragsbeendigungsrechte werden im Gesetz teilweise all-gemein umschrieben: So besteht ein ausserordentliches Beendigungsrecht im Arbeits-vertrag, Agenturvertrag und bei der einfachen Gesellschaft „[a]us wichtigen Gründen“ (Art. 337 Abs. 1 OR, Art. 418r Abs. 1 OR, Art. 545 Abs. 2 OR), bei Miete und Pacht „[a]us wichtigen Gründen, welche die Vertragserfüllung ... unzumutbar machen“ (Art. 266g Abs. 1 OR, Art. 297 Abs. 1 OR), und schliesslich bei der Verpfründung, wenn „...wichtige Gründe ... [die] Fortsetzung [des Pfrundverhältnisses] übermässig er-schweren oder unmöglich machen“ (Art. 527 Abs. 1 OR).

207 Vgl. BGE 58 II 422 f. 208 Nw. in Anm. 389. 209 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1128 ff.; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 6 zu Art. 373 OR;

ZINDEL/PULVER, BasK, N 34 ff. zu Art. 373 OR; ERDIN, Nr. 455 ff. 210 BGE 48 II 125 = Pra 11 (1922) Nr. 67, S. 174 f. 211 GAUTSCHI, BerK, N 13b zu Art. 373 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 16 zu Art. 373 OR;

BECKER, BerK, N 10 zu Art. 373 OR; ENGEL, BT, Nr. 90 S. 459; TERCIER, BT, Nr. 3698. 212 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1122 ff.; ERDIN, Nr. 377 ff., m. w. Hw.; ZINDEL/PULVER, BasK, N 32

zu Art. 373 OR; GEHRER, Melanges Assista, S. 179; BÜHLER, ZürK, N 39 zu Art. 373 OR; vgl. auch BGE 104 II 315.

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127 Daneben gibt es zahlreiche Bestimmungen, welche die ausserordentliche Vertrags-beendigung in besonders umschriebenen Fällen zulassen:

128 Zu denken ist beispielsweise an das Rücktrittsrecht bei Zahlungsunfähigkeit der Gegenpartei nach Art. 83 OR, das Rücktrittsrecht des Darleihers bei Zahlungsunfähigkeit des Darlehensnehmers (Art. 316 OR), das fristlose Kündigungsrecht des Arbeitnehmers bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers (Art. 337a OR) oder das Rücktrittsrecht des Bürgen bei wesentlich verschlechterten Vermögensverhältnissen des Hauptschuldners (Art. 510 OR), ferner an das vorzeitige Rückgabe-recht des Aufbewahrers bei unvorhergesehenen Umständen (Art. 476 Abs. 1 OR) und das vorzei-tige Rückforderungsrecht des Verleihers bei dringendem Eigenbedarf (Art. 309 Abs. 2 OR). Bei der Verpfründung können beide Parteien vom Vertrage zurücktreten, wenn zwischen den Leistun-gen der Parteien ein erhebliches Missverhältnis entstanden ist (Art. 526 OR). Der Schenker kann schliesslich das Schenkungsversprechen und sogar die vollzogene Schenkung aus verschiedenen Gründen wiederrufen (Art. 249 und 250 OR). Daneben bestehen zahlreiche andere Bestimmun-gen, welche besondere Kündigungsrechte vorsehen, z. B. im Mietrecht (Art. 266h, 257d, 257f und 259b lit. a OR).213 Auf manche der genannten Bestimmungen wird zurückzukommen sein.

129 Die Lehre und Rechtsprechung leitet aus diesen Bestimmungen den allgemeinen Grundsatz ab, dass alle Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund ausserordent-lich beendet werden können (sofern dies vom Gesetz nicht ausdrücklich oder still-schweigend ausgeschlossen wird).214 Eine ausserordentliche Beendigung aus wichti-gem Grund ist in der Regel zulässig, wenn die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum nächsten ordentlichen Beendigungstermin der einen Partei nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist.215

130 Dogmatisch handelt es sich bei diesen ausserordentlichen Beendigungsrechten um aus-serordentliche Kündigungsrechte216 bzw. – im Falle von Art. 316 OR und Art. 527 OR – um ausserordentliche Rücktrittsrechte.217 Bei Art. 545 Abs. 2 OR liegt ein Gestal-tungsklagerecht vor.218 In der Lehre werden die ausserordentlichen Beendigungsrechte zuweilen als Anwendungsfälle der clausula rebus sic stantibus bezeichnet.219

213 Diese gehen als leges speciales Art. 266g OR vor, vgl. HIGI, ZürK, N 13 zu Art. 266g OR;

PERMANN/SCHANER, N 2 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 4 zu Art. 266g OR, m. Hw. auf abweichende Auffassungen.

214 GAUCH, Dauervertrag, S. 194 f.; WIEGAND/BERGER, S. 92; KRAMER, BerK, N 163 f. der Allge-meinen Einl. in das schweizerische OR; BGE 122 III 265; unveröffentlichter BGE vom 4. Juli 1995 (4C.412/1994), zit. in Peter MÜNCH, Auflösung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund, ZBJV 131 (1995), S. 601.

215 Vgl. z. B. REHBINDER, BasK, N 1 zu Art. 337 OR; WETTENSCHWILER, BasK, N 4 zu Art. 418r OR; BAUER, BasK, N 1 zu Art. 527 OR.

216 VON TUHR/ESCHER, § 74 IV 4, S. 167 f.; WETTENSCHWILER, BasK, N 1 zu Art. 418r OR. 217 GAUCH, Dauervertrag, S. 100; SCHÄRER, BasK, N 7 zu Art. 316 OR; BAUER, BasK, N 1 zu Art.

527 OR; BREITSCHMID, HandK, N 1 zu Art. 527 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 1 zu Art. 527 OR; SCHAETZLE, BerK, N 1 zu Art. 527 OR.

218 Kritisch GAUCH, Dauervertrag, S. 191 ff. 219 HIGI, ZürK, N 6 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 1 zu Art. 266g OR; WIEGAND,

BasK, N 97 zu Art. 18 OR; WIEGAND/BERGER, S. 92; i. gl. S. auch Pra 84 (1995) Nr. 142, S.

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2. Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Allgemeinen

131 Die ausserordentlichen Beendigungsrechte setzen regelmässig einen wichtigen Grund voraus, der – wie gesagt – im Gesetz allgemein oder speziell umschrieben sein kann.220 Entsprechend unterschiedlich sind die Voraussetzungen an diesen Beendi-gungsgrund. Daneben bestehen weitere Unterschiede bei den Voraussetzungen:

132 – Teilweise wird vorausgesetzt, dass der wichtige Grund auf einem unvorhergesehe-nen Ereignis beruht. Dies gilt nach dem Gesetzeswortlaut für Art. 476 Abs. 2 OR und Art. 309 Abs. 2 OR sowie gemäss der Lehre und Rechtsprechung bei Art. 266g OR.221

133 – Sodann setzt die Lehre und Rechtsprechung bei Art. 266g OR voraus, dass den Kündigenden kein Selbstverschulden trifft, er die Umstände, welche zur Unzumut-barkeit des Vertrags geführt haben, weder vorsätzlich noch fahrlässig verschuldet hat.222

134 Die Rechtsfolgen richten sich ebenfalls nach der jeweilig anwendbaren Bestimmung. Der Vertrag kann durch einseitige, empfangsbedürftige (Gestaltungs-)Erklärung ge-kündigt bzw. durch Rücktritt aufgelöst werden. Die vermögensrechtlichen Folgen bestimmt der Richter gemäss Art. 266g Abs. 2 OR und Art. 337b Abs. 2 OR unter Würdigung aller Umstände. Als solche kommen insbesondere ein Verschulden oder eine andere Verantwortung (Art. 101 und 103 OR) einer Vertragspartei in Frage. Gegebenenfalls schuldet die verantwortliche Partei grundsätzlich „vollen Schadener-satz“ (Art. 337b Abs. 1 OR);223 ausnahmsweise mag anderes gelten. Unter „vollem Schadenersatz“ ist das positive Vertragsinteresse im Sinne von Art. 97 ff. OR zu ver-stehen, welches nach den Bestimmungen von Art. 99 OR in Verbindung mit Art. 43 und 44 OR zu bemessen ist.224 Insbesondere bei Verwendungserschwerung oder -unmöglichkeit (Nr. 28 ff.) kommt deshalb eine Herabsetzung des Schadenersatzes in Frage.225

461; a. A. wohl PERMANN/SCHANER, N 3 zu Art. 266g OR.

220 Auch wenn das Gesetz zuweilen von „wichtigen Gründen“ (im Plural) spricht, so genügt doch re-gelmässig das Vorliegen eines wichtigen Grundes, vgl. HIGI, ZürK, N 29 zu Art. 266g OR.

221 Nw. hinten in Anm. 401. 222 Nw. hinten in Anm. 390. 223 Vgl. WETTENSCHWILER, BasK, N 7 zu Art. 418r OR. 224 BGE 61 II 261 ff.; BGE 46 II 173; Botsch. zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März

1985, BBl 1985 I , S. 1451. 225 Vgl. die in Anm. 224 zit. BGE.

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3. Leistungserschwerung als wichtiger Grund?

135 Im Folgenden interessiert vor allem die Frage, ob die Leistungserschwerung den Schuldner zur Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund berechtigt.

136 – Ausdrücklich ist einzig in Art. 527 Abs. 1 OR von „übermässiger Erschwerung“ die Rede und zwar von der übermässigen Erschwerung der Fortsetzung des Pfrundverhältnisses. In der Praxis stehen aber nicht eigentliche Leistungserschwe-rungstatbestände im Vordergrund, sondern einerseits Vertragsverletzungen der Gegenpartei (z. B. ungenügende Verpflegung,226 Bedrohung oder Misshand-lung227) und andererseits persönliche Umstände wie die völlige Unverträglichkeit der Charaktere des Pfründers und eines Hausgenossen,228 also Leistungserschwe-rungen durch nicht materielle Nachteile (Nr. 25 f.).229

137 – Im Hinterlegungsvertrag kann der Aufbewahrer die Sache vorzeitig zurückgeben, „wenn unvorhergesehene Umstände ihn ausserstand setzen, die Sache länger mit Sicherheit oder ohne eigenen Nachteil aufzubewahren“ (Art. 476 Abs. 1 OR). Da-runter fallen auch eigentliche Leistungserschwerungstatbestände, zum Beispiel wenn von der hinterlegten Sache eine besondere Gefahr ausgeht oder bei Kündi-gung oder Beschädigung der Räumlichkeiten, in welchen die Sache aufbewahrt wird.230 Die Lehre mahnt aber bei der entgeltlichen Hinterlegung zu Recht zur Zurückhaltung bei der Anwendung von Art. 476 Abs. 1 OR.231

138 – Art. 309 Abs. 2 OR und Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR regeln schliesslich spezielle Fälle der unechten Leistungserschwerung, genauer der Steigerung des Werts der Leistung (Nr. 17 ff.). Der Verleiher kann die Sache vorzeitig zurückfordern, wenn er selbst wegen eines unvorhergesehenen Falles der Sache dringend bedarf (Nr. 21 f.). Der Schenker kann das Schenkungsversprechen widerrufen, wenn sich seine Vermögensverhältnisse seit dem Versprechen so geändert haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde (Nr. 23 f.).

226 BGE 79 II 170. 227 BGE 54 II 384 f.; BAUER, BasK, N 1 zu Art. 527 OR; SCHAETZLE, BerK, N 2 zu Art. 527 OR. 228 OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 527 OR; SCHAETZLE, BerK, N 2 zu Art. 527 OR. 229 Art. 526 OR bezieht sich hingegen gemäss der herrschenden Lehre nur auf die anfängliche Leis-

tungsinäquivalenz (vgl. SCHAETZLE, BerK, N 7 zu Art. 526 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 5 zu Art. 526 OR; GAUCH, Dauervertrag, S. 198 Anm. 3; wohl auch BREITSCHMID, HandK, N 1 zu Art. 526 OR), so dass sich der Schuldner nicht auf Art. 526 Abs. 1 OR berufen kann, wenn eine nachträgliche Leistungserschwerung zu einem erheblichen Missverhältnis zwischen den Leistungen führt.

230 Thomas KOLLER, BasK, N 6 f. zu Art. 476 OR. 231 Vgl. Thomas KOLLER, BasK, N 6 zu Art. 476 OR; VON BALLMOOS, HandK, N 2 zu Art. 476 OR;

OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 1 zu Art. 476 OR.

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139 Neben diesen gesetzlich speziell geregelten Fällen können allgemein umschriebene ausserordentliche Beendigungsrechte (z. B. Art. 266g OR und Art. 337 OR) bei Leistungserschwerung Anwendung finden. Im Vordergrund stehen aber auch bei diesen gemäss der Lehre und Rechtsprechung andere Sachverhalte als Leistungser-schwerungstatbestände, namentlich Vertragsverletzungen der Gegenpartei232 und andere Unregelmässigkeiten der Gegenpartei bei der Vertragserfüllung. Da Dauerver-träge oftmals ein persönliches Zusammenwirken und gegenseitiges Vertrauen der Par-teien voraussetzen, kommen als wichtige Gründe insbesondere auch Veränderungen der persönlichen Beziehung der Vertragspartner in Frage,233 beispielsweise infolge Feindschaft, wiederholten Reibereien oder Provokationen234 (Leistungserschwerung durch nicht materielle Nachteile, Nr. 25 f.). Häufige Anwendung finden sie auch auf die Verwendungserschwerung (Nr. 28 ff.). Typisches Beispiel ist, dass der Mieter die Mietsache nicht mehr wie ursprünglich geplant gebrauchen kann.235

140 Hingegen finden sich in der Rechtsprechung und Literatur nur vereinzelte Fälle, bei welchen Art. 266g und 337 OR oder andere allgemein umschriebene ausserordentliche Beendigungsrechte auf eigentliche Leistungserschwerungen im hier verstandenen Sin-ne (Nr. 13 f.) angewendet wurden.236 Dies lässt sich zum Teil damit erklären, dass der Schuldner bei eigentlichen Leistungserschwerungen oftmals aufgrund anderer Geset-zesbestimmungen oder Rechtsgrundsätze befreit wird, so dass er sich nicht auf ein aus-serordentliches Beendigungsrecht zu berufen braucht.237

232 SVIT-Kommentar Mietrecht, N 16 zu Art. 266g OR; PERMANN, HandK, N 6 zu Art. 266g OR;

PERMANN/SCHANER, N 8 zu Art. 266g OR; REHBINDER, BasK, N 1 zu Art. 337 OR; WETTEN-SCHWILER, BasK, N 4 f. zu Art. 418r OR; BAUER, BasK, N 1 zu Art. 527 OR; illustrativ BezGer Pfäffikon, SJZ 62 (1966) Nr. 8, S. 14: Eigenmächtiges Installieren einer Waschmaschine durch den Mieter berechtigt nicht zur Vertragsauflösung.

233 PERMANN, HandK, N 3 zu Art. 266g OR; PERMANN/SCHANER, N 5 zu Art. 266g OR; WIDMER, S. 55 f.; WIEGAND/BERGER, S. 92.

234 Vgl. SVIT-Kommentar Mietrecht, N 13 und 15 zu Art. 266g OR; BGE 113 II 37. 235 BGE 60 II 205 und BGE 61 II 259: Umsatzeinbussen des Mieters infolge Wirtschaftskrise; BGE

46 II 168: Geschäftsaufgabe infolge Ausbruchs des Krieges; BGE 15, 291 f.: Tod eines Mitmie-ters; Pra 84 (1995) Nr. 142, S. 460 und BGE 63 II 79: Wechsel des Arbeitsorts (in beiden Ent-scheiden jedoch abgelehnt, da i. c. voraussehbar); ferner z. B. wegen Krankheit, Unfall, etc.; vgl. PERMANN/SCHANER, N 7 zu Art. 266g OR.

236 Vgl. z. B. den BGE 122 III 262 zugrunde liegenden Sachverhalt: Unverschuldeter Geldmangel in-folge Nichtzahlung der Unterhaltsrente durch den geschiedenen Mann.

237 Ein weiteres Beispiel aus dem Mietrecht: Die Pflicht des Vermieters, die Mietsache in gebrauchs-tauglichem Zustand zu erhalten (Art. 256 Abs. 1 OR) kann erschwert werden, wenn die Miet-sache nachträglich Schaden nimmt. Der Vermieter muss die Mietsache in diesem Falle reparieren. Die Lehre geht jedoch davon aus, dass der Vermieter nur soweit zur Reparatur verpflichtet ist, als ihm dies zumutbar ist. Vgl. SVIT-Kommentar Mietrecht, N 9 zu Art. 259b OR; HIGI, ZürK, N 11 zu Art. 259b OR; Martin ZÜST, Die Mängelrechte des Mieters von Wohn- und Geschäftsräumen, Diss. St. Gallen 1992, Nr. 251. Soweit die Reparatur nicht zumutbar ist, entfällt die Pflicht des Vermieters zum Erhalt der Mietsache in gebrauchstauglichem Zustand. Der Vermieter muss sich deshalb nicht auf Art. 266g OR berufen.

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141 Das gilt zum Beispiel im Arbeitsrecht: Der Arbeitnehmer ist bei „Verhinderung an der Arbeits-leistung“ ohnehin – vorübergehend – von der Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung befreit; dies geht implizit aus Art. 324a OR hervor. Der Arbeitnehmer braucht sich demnach nicht auf Art. 337 Abs. 1 OR zu berufen.238

142 Zusammenfassend kann eine Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne zwar theoretisch einen wichtigen Grund darstellen, welcher den Schuldner zur ausserordent-lichen Vertragsbeendigung berechtigt. In der Rechtsprechung bilden jedoch solche Fälle seltene Ausnahmen.

VI. Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte

143 Schliesslich fragt sich, ob sich der Schuldner bei nachträglicher Leistungserschwerung allenfalls auf Grundlagenirrtum (Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR) berufen kann, d. h. ob der Schuldner geltend machen kann, er sei bei Vertragsschluss davon ausgegangen, dass das eingetretene Leistungshindernis nicht eintrete, und er habe sich damit über einen – im Zeitpunkt des Vertragsschlusses betrachtet – zukünftigen Sachverhalt geirrt.

144 Inwiefern sich die Vertragsparteien auf Irrtum über Sachverhalte berufen können, welche erst nach dem Vertragsschluss eintreten (sog. Irrtum über zukünftige Sachver-halte), ist in der Lehre umstritten. Die bundesgerichtliche Rechtsprechung ist nicht ein-heitlich: Obwohl das Bundesgericht die Berufung auf Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte vereinzelt abgelehnt hat,239 liess es diese in anderen Entscheiden zu, wenn sich der Irrtum auf einen bestimmten, voraussehbaren Sachverhalt bezieht.240 Gemäss der neueren Rechtsprechung ist ein Irrtum zu beachten, wenn er sich auf Tatsachen bezieht, deren Verwirklichung beide Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages als sicher angesehen haben.241 „Blosse Hoffnungen, übertriebene Erwartungen oder gar Spekulationen ... reichen dafür von vorneherein nicht aus“.242 Genauer genügt es, „wenn zwar nur die sich auf den Irrtum berufende Partei fälschlicherweise annahm, ein zukünftiges Ereignis sei sicher, aber auch die Gegenpartei nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit für die andere Partei Vertragsvoraussetzung war“.243 Die Lehre ist geteilt.244 Die ablehnende Haltung245 wird 238 Im Gegenteil: Die Kündigung aus wichtigem Grund durch den Arbeitgeber wird in Art. 337 Abs.

3 OR für den Fall der unverschuldete Verhinderung des Arbeitnehmers sogar explizit ausge-schlossen. Vgl. BGE 126 III 80 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 715.

239 BGE 107 II 150 a. E.; BGE 66 I 312 f.; BGE 47 II 315 f.; BGE 45 II 322; Pra 22 (1933) Nr. 174, S. 465 Erw. 1 (in BGE 59 II 372 ff. nicht abgedruckt); vgl. ferner das dictum in BGE 91 II 280.

240 BGE 48 II 238 ff.; BGE 49 II 493 ff., i. c. verneint; BGE 55 II 188 f.; BGE 95 II 409, i. c. ver-neint; offengelassen in BGE 98 II 18 f.; vgl. ferner BGE 79 II 275.

241 BGE 109 II 110; BGE 95 II 409; ähnlich BGE 48 II 239 f.; differenzierend BGE 117 II 224; BGE 118 II 300.

242 BGE 109 II 111; BGE 107 II 347. 243 BGE 118 II 300.

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nicht zuletzt damit begründet, dass die Anfechtbarkeit als Rechtsfolge des Grundlagen-irrtums (der Vertrag fällt ex tunc dahin) bei zukünftigen Sachverhalten nicht passt.246,247

145 Die vom Bundesgericht unter dem Gesichtspunkt des Grundlagenirrtums über zukünfti-ge Sachverhalte geprüften Fälle betrafen – mit zwei Ausnahmen – freilich keine eigent-lichen Leistungserschwerungstatbestände. Häufig sind Fälle, bei welchen sich ein Grundstückkäufer über die Erteilung einer Baubewilligung,248 einer Subvention,249 des Wirtschaftspatents,250 oder über ein Bauverbot251 irrte, wodurch die Verwendung des gekauften Grundstückes eingeschränkt und damit der Wert des Grundstücks beeinträch-tigt wurde.252 Diese Fälle müssen demnach als Verwendungserschwerungstatbestände aufgefasst werden.

146 Die erwähnten Ausnahmen betrafen folgende Entscheide: In BGE 45 II 317 - 322 (Nr. 48) aus dem Jahre 1919 machte der Schuldner – soweit aus dem Entscheid ersichtlich – geltend, er habe angenommen, dass er die versprochene Ware (15 Fass Montagner) trotz des Krieges in der vorgesehenen Zeit beschaffen könne, was aber nur zu erhöhten Preisen möglich war. Im Ergebnis beruft sich der Schuldner auf den Irrtum über die Beschaffungsmöglichkeit und damit über die für die Erfüllung nötigen Erfüllungsan-

244 Zustimmend ADAMS, recht 1986, S. 14 ff. (mit informationsökonomischer Begründung);

BUCHER, OR AT, S. 204 ff.; BÜHLER, clausula, S. 46; ENGEL, AT, Nr. 69 S. 328; GUHL/KOLLER, § 16 N 16 f.; KELLER/SCHÖBI, I, S. 169 f.; Ulrich KNOEPFEL-KUNZ, Willensbildung, Beeinflus-sung und Vertragsschluss, Diss. Zürich, Bern/Stuttgart 1989, S. 268 ff.; KLAUSBERGER, Die Willensmängel im schweizerischen Vertragsrecht, Diss. Zürich 1989, S. 59 ff.; KRAMER, BerK, N 302 ff. zu Art. 18 OR; SCHWENZER, BasK, N 19 zu Art. 24 OR; SCHMIDLIN, BerK, N 192 ff. zu Art. 23/24 OR; Bruno SCHMIDLIN, Der Irrtum über zukünftige Sachverhalte nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR: Fehldiagnose und Fehlprognose, AJP 1992, S. 1386 ff.; Bruno SCHMIDLIN/Rudolf MEYER-PRITZL, Interessenabwägung bei der Irrtumsanfechtung und Irrtum über zukünftige Sachverhalte, recht 1997, S. 259 f.; SCHWENZER, Nr. 37.33; VON TUHR/ESCHER, § 84 I, S. 256; VON TUHR/PETER, § 37 V 2, S. 313 Anm. 44; WIEGAND/BERGER, S. 80.

245 KOLLER, OR AT I, Nr. 1113 ff.; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 421a; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 610 ff. zu Art. 18 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 801; SCHÖNLE, faits futures, S. 329; MERZ, BerK, N 194 zu Art. 2 ZGB; REHBINDER, BerK, N 33 zu Art. 320 OR; TERCIER, clausula, JdT 127 (1979) I, S. 199 f.; BISCHOFF, S. 144; KOLLY, Nr. 314 ff. und 444.

246 JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 610 zu Art. 18 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 801; KOLLER, OR AT I, Nr. 1114.

247 Nicht zu überzeugen vermag das begriffliche Argument, dass es einen Irrtum über die naturge-mäss unsichere Zukunft nicht geben kann. Vgl. Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 465 Erw. 1 (in BGE 59 II 372 ff. nicht abgedruckt); JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 610 zu Art. 18 OR.

248 BGE 95 II 407, i. c. Grundlagenirrtum verneint; vgl. auch BGE 107 II 347; OGer BL, BJM 2000, S. 193 = BR 2001 Nr. 256, S. 77.

249 BGE 48 II 241. 250 BGE 55 II 184. 251 BGE 98 II 15. Das BGer nahm hier an, der Käufer habe sich über die Lawinengefahr geirrt, die

schon bei Vertragsschluss bestand, also über einen gegenwärtigen Sachverhalt. 252 Vgl. ferner BGE vom 22. November 1979, publiziert in BUNDESAMT FÜR PRIVATVERSICHE-

RUNGSWESEN (Hrsg.), Entscheidungen schweizerischer Gerichte in privaten Versicherungs-streitigkeiten, Vierzehnte Sammlung (1974-1981), Bern 1984, Nr. 101, S. 482 ff., betr. Irrtum über die steuerliche Abzugsfähigkeit von Darlehenszinsen.

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strengungen. Das Bundesgericht hat diesen Irrtum kurzerhand als unwesentlich bezeich-net.253 In BGE 47 II 314 - 319 (Nr. 54) aus dem Jahre 1921 schliesslich berief sich der Vermieter der Parterre- und Souterrainräumlichkeiten im sog. Kaspar-Escher-Haus in Zürich wegen in nicht voraussehbarer Weise gestiegenen Heizungskosten (unter ande-rem) auf Grundlagenirrtum. Das Bundesgericht lehnte die Berufung auf Irrtum ebenfalls ab.254

VII. Zusammenfassung

147 Stark zusammengefasst kann damit Folgendes festgehalten werden: Gemäss der Unzu-mutbarkeitstheorie, der auch das Bundesgericht zu folgen scheint, fällt die eigentliche Leistungserschwerung unter die Unmöglichkeitsregeln (Art. 97 und 119 OR), sofern die Erbringung der Leistung Erfüllungsanstrengungen erfordert, welche dem Schuldner unzumutbar sind (Nr. 49 und 58 ff.). Gemäss der Clausula-Theorie ist dies nicht der Fall. Der Schuldner kann sich gemäss dieser Lehrmeinung deshalb grundsätzlich nur über die clausula rebus sic stantibus befreien, wenn die Leistungserschwerung zu einer gravierenden Äquivalenzstörung führt (Nr. 65 ff. und 116 f.). Zu einem ähnlichen Resul-tat führt die (neuere) Verzugstheorie (Nr. 81 ff.): Diese schliesst die so genannte sub-jektive Unmöglichkeit (und damit viele Fälle der Leistungserschwerung im hier verstan-denen Sinne) vom Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen aus.

148 Daneben finden Leistungserschwerungstatbestände punktuelle Berücksichtigung, allem voran im grundlegenden Art. 373 Abs. 2 OR, ferner beispielsweise in Art. 527 Abs. 1 OR und Art. 476 Abs. 1 OR. Hingegen fehlen Urteile nahezu vollständig, gemäss wel-chen sich der Schuldner bei Leistungserschwerung erfolgreich auf ein Recht zur ausser-ordentlichen Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund oder auf Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte berufen hat.

149 Schliesslich finden sich im Gesetz zwei Bestimmungen betreffend atypische Leistungs-erschwerungen, einerseits bei der Leihe Art. 309 Abs. 2 OR (dringender Eigenbedarf) und andererseits bei der Schenkung Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR (Verschlechterung der Vermögenslage).

253 BGE 45 II 322. 254 BGE 47 II 315 f.

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§ 3 Kritik

I. Allgemeines

150 Die Analyse der Lösungsansätze der Lehre und Rechtsprechung (vgl. § 2) ergibt kein einheitliches Bild: Es werden verschiedene Bestimmungen und Rechtsgrundsätze auf die Leistungserschwerung angewendet, welche sich sowohl in den Voraussetzungen wie auch in den Rechtsfolgen massgeblich unterscheiden. In diesem Kapitel soll auf gewisse Vorzüge und Nachteile der verschiedenen Lösungsansätze hingewiesen wer-den. Erwähnung finden dabei nur die wichtigsten Vor- und Nachteile, welche die Eig-nung der herangezogenen Bestimmungen und Rechtsgrundsätze zur Regelung der Leistungserschwerung betreffen.

151 Weitere Kritikpunkte finden sich an verschiedenen Stellen im Text. Namentlich werden die Voraussetzungen der fehlenden Verantwortung und der fehlenden Voraussehbarkeit, welche bei der clausula rebus sic stantibus, gewissen ausserordentlichen Beendigungsrechten und Art. 373 Abs. 2 OR gelten, in Nr. 269 ff. bzw. Nr. 282 ff. eingehender kritisiert. Zu Art. 373 Abs. 2 OR vgl. ferner Nr. 254 ff. Betreffend die Theorie vom Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhal-te wird auf die in Nr. 144 a. E. erwähnte Kritik und die dazu zitierte Literatur verwiesen. Bereits einleitend wurde gesagt, dass sich die klassische Zweiteilung der Leistungshindernisse in anfäng-liche und nachträgliche Leistungshindernisse wertungsmässig nur ungenügend rechtfertigen lässt (Nr. 10 f.).255 Auch darauf wird im Folgenden nicht mehr eingegangen.

II. Clausula-Theorie

152 Gemäss der Clausula-Theorie fallen Leistungserschwerungen nicht in den Anwen-dungsbereich von Art. 97 und 119 OR, doch können sie – bei gegebenen Vorausset-zungen – zur Anpassung des Vertrages nach der clausula rebus sic stantibus führen. Eine Vertragsanpassung setzt unter anderem das Vorliegen einer gravierenden Äqui-valenzstörung voraus, d. h. dass infolge der Leistungserschwerung ein grosses, offen-bares, übermässiges Missverhältnis zwischen der Leistung und der Gegenleistung ein-getreten ist (Nr. 116 f.). Entscheidend für die Vertragsanpassung ist gemäss der Clau-sula-Theorie damit die Höhe der Erfüllungsanstrengungen im Verhältnis zum Wert der Gegenleistung. Beurteilungsmassstab bildet der hypothetische Parteiwillen und Treu und Glauben.

153 Dieses Kriterium der Leistungsäquivalenz (Verhältnis der Erfüllungsanstrengungen zum Wert der Gegenleistung) ist offensichtlich auf die Beurteilung von Äquivalenzstö- 255 Art. 373 Abs. 2 OR fasst denn auch sowohl nachträgliche wie auch anfängliche Leistungser-

schwerungen in einer Bestimmung zusammen. Vgl. Nr. 123 a. E.

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rungen zugeschnitten. Es passt bei Verwendungserschwerung oder bei Entwertung der Leistung (vgl. Nr. 40). Bei Leistungserschwerungen steht jedoch – wie gesagt – das Erfüllungsproblem im Vordergrund: Es fragt sich, welchen Erfüllungsaufwand der Schuldner – unabhängig von der Höhe der Gegenleistung – auf sich nehmen muss, um die Leistung in natura zu erbringen.

154 Für die Beurteilung der Leistungserschwerung passt das Kriterium der Leistungsäqui-valenz (Verhältnis der Erfüllungsanstrengungen zum Wert der Gegenleistung) meines Erachtens nicht.256 Seine Anwendung würde bedeuten, dass beispielsweise der Gläubi-ger, der durch viel Verhandlungsgeschick einen günstigen Preis für die Leistung aus-gehandelt hat, früher der Vorteile des Vertrages beraubt würde als der Gläubiger, der unbedacht einen hohen Preis zu zahlen vereinbart hat – dies obwohl ersterer die Leis-tung vielleicht viel dringender braucht als letzterer. Vor allem aber kann eine infolge Leistungserschwerung eingetretene Äquivalenzstörung auch durch Erhöhung der Ge-genleistung behoben werden, ohne dass der Gläubiger der Vorteile der Realerfüllung beraubt wird. Für die Befreiung des Schuldners von der Pflicht zur Realerfüllung muss demnach ein anderes Kriterium als die Leistungsäquivalenz massgebend sein. Vgl. da-zu ausführlich hinten in Nr. 220 ff. und insb. Nr. 254 ff. und 259 ff.

155 Die Rechtsfolgen der Anwendung der clausula rebus sic stantibus sind weitgehend ins Ermessen des Richters gestellt. Bei gegebenen Voraussetzungen passt der Rich-ter den Vertrag an die veränderten Verhältnisse an oder er löst ihn auf. Er hat dabei – wie gesagt – einen weiten Spielraum bei der Bestimmung der Art der Anpassung und der Festlegung der Anpassungsfolgen (Nr. 122). Damit besteht die Möglichkeit, im Einzelfall eine sachgerechte Regelung zu treffen, welche auch den Besonderheiten der Leistungserschwerung Rechnung trägt. Diese Flexibilität bei der Bestimmung der Rechtsfolgen ist zwar wünschenswert, doch geht sie zu Lasten der Rechtssicherheit.

III. Unzumutbarkeitstheorie

156 Gemäss der Unzumutbarkeitstheorie wird der Schuldner nach Art. 97 und 119 OR von der Leistungspflicht befreit, wenn die Erbringung der Leistung Erfüllungsanstrengun-gen erfordert, die ihm nach Treu und Glauben nicht zumutbar sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Erfüllungsaufwand in keinem vernünftigen Verhält-nis zum Wert der Leistung steht (Nr. 57 f.). Ausschlaggebend für die Befreiung des Schuldners ist somit gemäss der Unzumutbarkeitstheorie die generelle Zumutbarkeit der Erfüllung bzw. die Höhe der Erfüllungsanstrengungen im Verhältnis zum Wert der Leistung. Beurteilungsmassstab bildet Treu und Glauben. 256 I. gl. S. in Bezug auf die Unmöglichkeit PICHONNAZ, Nr. 407 ff.; in Bezug auf Art. 373 Abs. 2

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157 Während die generelle Zumutbarkeit der Erfüllungsanstrengungen ein gar unbestimm-tes Kriterium für die Beurteilung von Leistungserschwerungen und den Entscheid über den Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs ist, scheint das Verhältnis der Erfül-lungsanstrengungen zum Wert der Leistung grundsätzlich ein passender Ansatz zu sein. Mit letzterem Kriterium wird den Interessen des Schuldners (Höhe der Erfül-lungsanstrengungen) und den Interessen des Gläubigers (Wert der Leistung) gleicher-massen Rechnung getragen. Vgl. zur Begründung ausführlich hinten Nr. 220 ff. Aller-dings werden die Konturen des Kriteriums durch die Bezugnahme auf Treu und Glau-ben und die Zumutbarkeit erheblich verwischt, was zwar Spielraum für Einzelfallge-rechtigkeit schafft, doch zu Lasten der Rechtssicherheit geht.

158 Umgekehrt passt nach dem oben Gesagten das Kriterium des Verhältnisses zwischen der Höhe der Erfüllungsanstrengungen und dem Wert der Leistung nicht für die Beurteilung von Äquiva-lenzstörungen, die beispielsweise bei Verwendungserschwerung oder Entwertung der Leistung im Vordergrund stehen.257

159 Die Rechtsfolgen der Unmöglichkeitsbestimmungen sind auf den klassischen Fall der Unmöglichkeit zugeschnitten, bei dem feststeht, dass die Unmöglichkeit endgültig und unüberwindbar ist: In diesem Fall scheint der ipso iure eintretende Untergang des Real-erfüllungsanspruchs (Art. 119 Abs. 1 OR) bzw. dessen ipso iure eintretende Umwand-lung in einen Schadenersatzanspruch (Art. 97 Abs. 1 OR) angemessen, ja geboten zu sein. Auf die hier in Frage stehenden Leistungserschwerungstatbestände passen diese Rechtsfolgen jedoch nicht. Bei Leistungserschwerung sind die Verhältnisse oft einer Entwicklung unterworfen und stehen nicht ein für allemal fest. Endgültigkeit und Un-überwindbarkeit des der Leistungserschwerung zugrunde liegenden Leistungshindernis-ses sind oft fraglich. Diese für Leistungserschwerungen nicht untypische Ungewissheit verlangt nach einer flexiblen Regelung der Rechtslage, welche die Unmöglichkeitsbe-stimmungen mit ihren ipso iure eintretenden Rechtsfolgen, die gemäss der herrschenden Lehre zudem definitiv sind (Nr. 70), nicht bieten.

IV. Verzugstheorie

160 Um solche Probleme der Anwendung der Unmöglichkeitsbestimmungen auf Leis-tungshindernisse von fraglicher Endgültigkeit oder Unüberwindbarkeit zu vermeiden, schlagen die Vertreter der Verzugstheorie vor, den Anwendungsbereich der Unmög-lichkeitsbestimmungen anhand der Begriffe der objektiven und subjektiven Unmög-lichkeit258 abzugrenzen. Entscheidend soll sein, ob die Leistung für jedermann un-

OR ERDIN, Nr. 237 ff.; zum deutschen Recht LORENZ/RIEHM, Nr. 306.

257 Vgl. die Nw. in Anm. 62. 258 Auch der von der Verzugstheorie verwendete Terminus „nachträgliche subjektive Unmöglich-

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möglich ist oder nur für den Schuldner, nicht aber einem Dritten. Dieses formale Ab-grenzungskriterium vermag jedoch nicht zu überzeugen:

161 – Das Abgrenzungskriterium basiert – wie dargelegt – auf einem logischen Argument: Solange ein Dritter zur Erfüllung imstande ist, ist die Erfüllung nicht unüberwindbar und für alle Zeit ausgeschlossen, weil der Dritte sich jederzeit zur Mitwirkung bei der Erfüllung bereit erklären kann (Nr. 93 f.). Dieses logische Argument ist zwar an sich richtig. Es muss ihm aber entgegengehalten werden, dass es sich im Einzelfall auch anders verhalten kann (und der Dritte seine Mitwirkung auch in Zukunft ver-weigert). Das Kriterium des Dritten ist insofern blosses Indiz für eine mögliche Leistung, nicht aber eine Garantie dafür. Es geht deshalb nicht an, alle subjektiv un-möglichen Leistungen schlicht wie mögliche Leistungen zu behandeln (vgl. unten Nr. 164).

162 – Sodann besteht nach wie vor grosse Unklarheit darüber, wie das Abgrenzungskrite-rium des Dritten zu verstehen ist. Die Einordnung verschiedener Fälle ist umstrit-ten.259 Das formale Abgrenzungskriterium täuscht damit eine Präzision vor, die es in der Anwendung nicht zu vermitteln vermag.

163 – Schliesslich führt das Abgrenzungskriterium dazu, dass unter dem Begriff der sub-jektiven Unmöglichkeit Tatbestände zusammengefasst werden, die wertungsmässig sehr unterschiedlich sind:260 Namentlich die Fälle gestohlener oder verlorener Speziessachen liegen wertungsmässig nahe bei der objektiven Unmöglichkeit.

164 Im Ergebnis führt die Verzugstheorie dazu, dass Leistungserschwerungstatbestände im hier verstandenen Sinne weitgehend oder gar vollständig vom Anwendungsbereich von Art. 97 und 119 OR ausgeschlossen werden. Die Rechtslage richtet sich in diesem Falle nach den Verzugsregeln. Besonderheiten bei der Anwendung der Verzugsregeln auf die subjektive Unmöglichkeit erwähnen die Vertreter der Verzugstheorie – soweit ersichtlich – keine (Nr. 97). Der Gläubiger kann deshalb insbesondere auch auf Erfül-lung beharren und die Leistung mittels Erfüllungsklage erzwingen. Diese Rechtslage scheint jedoch namentlich bei „starken“ Leistungserschwerungen nicht sinnvoll zu sein (beispielsweise bei gestohlenen oder verlorenen Speziessachen oder im Falle eines Doppelverkaufs), da die Erfüllung in diesen Fällen oft aus faktischen Gründen nicht in natura erzwingbar sein dürfte.

keit“ überzeugt nicht, ist doch die subjektive Unmöglichkeit nach der Verzugstheorie ein Ver-zugsfall und kein Fall der Unmöglichkeit i. S. v. Art. 97 und 119 OR. Die Verzugstheorie braucht deshalb eigentlich zwischen subjektiver Unmöglichkeit und möglicher Leistung gar nicht zu unterscheiden (Nr. 92). Vgl. z. B. ZIEGLER, S. 56, betr. anfängliche Unmöglichkeit. GIGER, S. 18, spricht deshalb – mit ähnlicher Begründung – von „Unvermögen“; vgl. § 279 BGB a. F. (durch die Schuldrechtsreform aufgehoben).

259 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3298. 260 So sinngemäss auch GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3159.

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165 Soweit gemäss der Verzugstheorie bei subjektiver Unmöglichkeit ausnahmsweise eine Befreiung des Schuldners über die clausula rebus sic stantibus zulässig ist, kann auf das vorne zur Clausula-Theorie Gesagte verwiesen werden (Nr. 152 ff.).

V. Ausserordentliche Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund

166 Bei der ausserordentlichen Beendigung von Dauerverträgen aus wichtigem Grund steht schliesslich in noch stärkerem Masse die Einzelfallgerechtigkeit im Vordergrund. Einerseits wird bei den Voraussetzungen der ausserordentlichen Vertragsbeendigung auf die Zumutbarkeit der Vertragserfüllung abgestellt: Die ausserordentliche Vertrags-beendigung aus wichtigem Grund ist in der Regel zulässig, wenn einer Partei die Ver-tragserfüllung bis zum Vertragsende oder zum nächsten ordentlichen Vertragsbeendi-gungstermin nach Treu und Glauben nicht zumutbar ist (Nr. 129). Andererseits hat der Richter weitgehendes Ermessen bei der Bestimmung der vermögensrechtlichen und anderen Rechtsfolgen der Vertragsauflösung (Nr. 134). Diese Unbestimmtheit der aus-serordentlichen Vertragsbeendigungsrechte rührt daher, dass diese auf eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Tatbestände zugeschnitten sein müssen (vgl. Nr. 139). Eine spezielle, auf Leistungserschwerungen zugeschnittene Regel lässt sich deshalb aus den ausserordentlichen Vertragsbeendigungsrechten aus wichtigem Grund nicht ableiten.

VI. Schlussfolgerung

167 Zusammenfassend fehlt ein vollständig überzeugender Ansatz zur Regelung der Leis-tungserschwerung:

168 – Einerseits fehlt eine klare Regel, ab welchem Grad der Erschwerung der Leistung eine Leistungserschwerung rechtlich von Bedeutung ist. Die klassischen Lösungs-ansätze stellen letzten Endes alle – in unterschiedlichem Masse – auf Treu und Glauben bzw. die Zumutbarkeit der Vertragserfüllung ab und bleiben damit zwangs-läufig relativ unbestimmt. Die Rechtsprechung erweckt den Eindruck, dass bei Leis-tungserschwerungen die Einzelfallgerechtigkeit im Vordergrund steht.

169 – Andererseits bietet keiner der klassischen Lösungsansätze eine Regelung der Rechtslage, welche den Besonderheiten der Leistungserschwerungstatbestände, insbesondere der oft damit verbundenen Ungewissheit gerecht wird, ohne dass die Rechtsfolgen weitgehend ins Ermessen des Richters gestellt werden.

170 Im Folgenden soll versucht werden, losgelöst von den klassischen dogmatischen Lö-sungsansätzen sachgerechte Regeln zur Beurteilung der Leistungserschwerung zu erar-beiten.

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§ 4 Abgrenzung des Themas und Ausblick

I. Abgrenzung des Themas

171 Die vorliegende Arbeit handelt – wie gesagt – von der nachträglichen Leistungser-schwerung, genauer von der nachträglichen Erschwerung einer Hauptleistungspflicht eines synallagmatischen Schuldvertrages (Nr. 9 und Nr. 12). Nicht eingegangen wird damit auf die anfängliche Leistungserschwerung.

172 Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf der eigentlichen Leistungserschwerung (Nr. 13 ff.). Auf atypische Fälle der Leistungserschwerung wie die Wertsteigerung der Leistung (Nr. 17 ff.) und die Leistungserschwerung durch nicht materielle Nachteile (Nr. 25 f.) wird nur vereinzelt eingegangen.

173 Keine Berücksichtigung findet – wie gesagt – die Verwendungserschwerung und -unmöglichkeit (Nr. 28 ff.) sowie die Entwertung der Leistung (Nr. 31). Dasselbe gilt für andere Hindernisse auf Seiten des Gläubigers, beispielsweise wenn der Gläubiger die Leistung nicht entgegennehmen kann.261 Nicht eingegangen wird schliesslich auf Spezialtatbestände wie die Zweckerreichung262 (der Leistungserfolg stellt sich von selbst ein oder wird durch einen Dritten oder den Gläubiger bewirkt263) und den Zweck-fortfall264 (das Leistungssubstrat, an dem oder mit dem der Schuldner tätig werden sollte, geht unter265).

II. Ausblick (und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse)

174 Im verbleibenden Teil dieser Arbeit soll – wie gesagt – versucht werden, losgelöst von den klassischen dogmatischen Lösungsansätzen (Nr. 43 ff.) sachgerechte Regeln zu Be-

261 Vgl. dazu insb. WEBER, BerK, N 155 ff. zu Art. 91 OR; BECKER, BerK, N 23 zu Art. 91 OR;

OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 16 f. zu Art. 92 OR; VON TUHR/ESCHER, § 72 IV, S. 73; BERNET, BasK, N 13 ff. zu Art. 91 OR; VON BÜREN, OR AT, S. 416; ferner GAUCH/SCHLUEP/ REY, Nr. 2539; OGer ZH, SJZ 40 (1944) Nr. 217, S. 361 f.

262 AEPLI, ZürK, N 51 zu Art. 119 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3155; GIGER, S. 24 f.; WIEGAND, BasK, N 6 zu Art. 119 OR; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94; WIEGAND/BERGER, S. 93 ff.; ferner Münchener Kommentar/EMMERICH, N 38 vor § 275 BGB.

263 Beispiele: (1) Das zu transportierende Holz wird vom Gläubiger weggeschafft (BGE 32 II 334 f.; GIGER, S. 24 nimmt Zweckfortfall anstatt Zweckerreichung an). (2) Der Patient wird vor der Behandlung gesund. (3) Das zu streichende Treppenhaus wird von einem anderen Maler gestrichen. (4) Das Eigentum an der verkauften Sache wird dem Käufer von einem Dritten ver-schafft (VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 94, m. Hw. in Anm. 9).

264 AEPLI, ZürK, N 51 zu Art. 119 OR; GIGER, S. 24 f.; WIEGAND, BasK, N 6 zu Art. 119 OR; WIEGAND/BERGER, S. 93 ff.

265 Beispiele: (1) Der zu behandelnde Patient stirbt vor Eintreffen des Arztes. (2) Das zu streichende Haus brennt nieder.

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urteilung der Leistungserschwerung zu erarbeiten. Ausgangspunkt und Schwerpunkt der Überlegungen bildet dabei der Realerfüllungsanspruch und seine Grenzen.

175 Der Realerfüllungsanspruch im Allgemeinen (§ 5). Der Realerfüllungsanspruch ist aus theoretischer Sicht von grosser Bedeutung, weil er – verschuldensunabhängig – garantiert, dass der Gläubiger die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile verwirklichen (bzw. zu verwirklichen versuchen) kann (Nr. 182 f.). Aus praktischen Gründen wird es der Gläubiger aber oft vorziehen, auf Realerfüllung zu verzichten und sich anderweitig eine Ersatzleistung zu beschaffen (Nr. 184 ff.). Das Interesse des Gläubigers an der Realerfüllung beschränkt sich deshalb in der Regel auf Fälle einzigartiger Leistungen sowie auf Fälle, bei welchen weder die Gegenleistung noch allfällige Schadenersatzan-sprüche für die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung ausreichen (Nr. 187). Das Interesse des Schuldners richtet sich bei Leistungserschwerung typischerweise auf Befreiung vom Realerfüllungsanspruch, doch ist der Schuldner dennoch oft willens, die Leistung trotz des erhöhten Erfüllungsaufwands in natura zu erbringen.

176 Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruch bei Leistungserschwerung (§ 6). Da nach dem Gesagten sowohl der Schuldner als auch der Gläubiger bei Leistungserschwerung ein Interesse an der Erfüllung in natura haben können, bleibt der Realerfüllungsanspruch bei Leistungserschwerung grundsätzlich bestehen, bis der Gläubiger nach Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichtet (Nr. 209 ff.). Art. 97 und 119 OR finden keine Anwendung (Nr. 218 ff.).

177 Die übermässige Leistungserschwerung als Grenze der Erzwingbarkeit des Real-erfüllungsanspruchs (§ 7). Nach hier vertretener Auffassung muss der Schuldner die Erbringung der Leistung hingegen verweigern können, wenn der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht (übermässige Leistungserschwerung) (Nr. 230 ff.). Dieser Regel liegt der Gedanke zugrunde, dass es unsinnig wäre, wenn der Schuldner für die Erbringung der Leistung mehr Aufwand be-treibt, als die Leistung für den Gläubiger wert ist. Sie kann durch Gesamtanalogie aus Art. 368 Abs. 2, Art. 163 Abs. 3 und Art. 373 Abs. 2 OR abgeleitet werden und ent-spricht der typischen Interessenlage der Parteien (Nr. 240 ff.). Ohne Bedeutung ist gemäss dieser Regel, ob der Schuldner die übermässige Leistungserschwerung zu ver-antworten hat, die übermässige Leistungserschwerung voraussehbar war oder zu einer Äquivalenzstörung führt (Nr. 258 ff.). Ebenso ist grundsätzlich nicht entscheidend, ob die übermässige Leistungserschwerung bloss vorübergehend oder endgültig ist – der Schuldner kann die Leistung verweigern, solange die übermässige Leistungserschwe-rung besteht (Nr. 302 ff.). Die Anwendung dieser Regel (bzw. des ihr zugrunde liegen-den Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungs-interesse) auf ausgewählte klassische Beispiele führt zu sinnvollen Ergebnissen (Nr. 350 ff.).

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178 Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung (Teil 3). Die Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung gestaltet sich damit wie folgt (vgl. auch die Über-sicht in § 8, Nr. 433 ff.):

179 Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners (§ 9). Der Schuldner hat bei übermässi-ger Leistungserschwerung das Recht, die Erbringung der Leistung in natura während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung zu verweigern. Es handelt sich dabei um eine Einrede (Nr. 449 f.). Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungs-recht, kann er während der Dauer der übermässigen Leistung nicht zur Erbringung der Leistung in natura verurteilt werden (Nr. 453 ff.). Der Anspruch auf Realerfüllung ist nicht durch Erfüllungsklage erzwingbar. Verweigert der Schuldner die Leistung, ist der Gläubiger seinerseits zur Zurückbehaltung seiner Leistung berechtigt (Nr. 462 ff.). Hingegen schliesst die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht den Eintritt des Schuldnerverzugs nicht aus. Dem Gläubiger stehen bei Verzug – mit Ausnahme der Klage auf Realerfüllung – die (normalen) Wahlrechte gemäss Art. 107 und 109 OR zu: Er kann auf nachträgliche Erfüllung verzichten und gegebenenfalls Ersatz des Erfül-lungsinteresses verlangen oder vom Vertrag zurücktreten (Nr. 467 ff.). Der Gläubiger kann aber stattdessen auch zuwarten und nach Behebung der übermässigen Leistungs-erschwerung nachträgliche Erfüllung verlangen. Solange der Gläubiger nicht auf nach-trägliche Erfüllung verzichtet, bleibt der Schuldner an den Vertrag gebunden.

180 Richterliche Vertragsanpassung (§ 10). Diese Rechtslage kann für den Schuldner un-zumutbare Nachteile bringen (Nr. 315 ff.). Gegebenenfalls hat der Schuldner das Recht, vom Richter die Anpassung oder Auflösung des Vertrages zu verlangen (Nr. 489 ff.). Im Regelfall löst der Richter den Vertrag auf entsprechendes Begehren des Schuldners ganz oder teilweise auf. Ausnahmsweise kann der Richter den Schuldner auch zur Erbringung einer Ersatzleistung verpflichten (Nr. 497 ff.). Zudem bestimmt der Richter die übrigen Folgen der Vertragsanpassung, insb. die vermögensrechtlichen Folgen (Nr. 518 ff.). Das Recht auf richterliche Vertragsauflösung bzw. -anpassung steht dem Schuldner zu, wenn die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist oder das Interesse des Schuldners an definitiver Befreiung das Interesse des Gläubigers am Fortbestand des Vertrages überwiegt (Nr. 326 ff.).

181 Gewisse Einzelfragen werden in Teil 4 separat behandelt, namentlich der Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung (§ 11) sowie die Voraussetzungen der Gläu-bigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR bei Leistungserschwerung (§ 12). In § 13 ist schliesslich vom Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung die Rede.

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Teil 2: Der Realerfüllungsanspruch und

die übermässige Leistungserschwerung als seine Grenze

§ 5 Der Realerfüllungsanspruch im Allgemeinen

I. Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs

1. Aus theoretischer Sicht

182 Grundsätzlich verleiht jede Forderung dem Gläubiger direkt einen Anspruch auf Real-erfüllung. Bei Fälligkeit kann der Gläubiger unabhängig von einem Verschulden des Schuldners die Erbringung der geschuldeten Leistung verlangen.266 Er hat sodann An-spruch auf ein Urteil, welches den Schuldner zur Erbringung der Leistung in natura ver-urteilt, und er hat schliesslich Anspruch auf Vollstreckungsmassnahmen, mit welchen das Urteil durchgesetzt, d. h. die Erbringung der Leistung in natura erzwungen wird.267 Der Realerfüllungsanspruch ermöglicht die zwangsweise Durchsetzung des Vertrages, die Durchführung des Vertrages gegen den Willen des Schuldners. Damit hilft der Real-erfüllungsanspruch sicherzustellen, dass der Gläubiger die Vorteile, die er sich aus dem Vertrag verspricht, tatsächlich verwirklichen kann.268

183 Schuldner und Gläubiger schliessen einen Vertrag, weil sie durch die Vertragserfüllung Bedürfnisse befriedigen oder andere Vorteile erlangen wollen. Einen für sie ungünstigen Vertrag würde keine der Parteien – von besonderen Umständen abgesehen – freiwillig eingehen. Unterbleibt die Vertragserfüllung, bleiben die mit der Erfüllung verbundenen Bedürfnisse unbefriedigt, die erhofften Vorteile unverwirklicht. Zwar kann mittels Scha-denersatz (berechnet nach dem positiven Vertragsinteresse) finanzieller Ausgleich für die unbefriedigten Bedürfnisse und entgangenen Vorteile geschaffen werden. Schaden-ersatz birgt jedoch die Gefahr der Unterkompensation, beispielsweise wenn eine Partei mit der Vertragserfüllung Erwartungen auf Gewinne verbindet, die nicht genügend konkret sind, um Grundlage für die Schadenersatzbemessung zu bilden.269 Zudem ist die 266 Vgl. statt vieler BARTH, S. 61. 267 „Der Anspruch auf Erfüllung und die ihm entsprechende Erfüllungsklage sind selbstverständliche

Begleiterscheinungen der Forderung“, BARTH, S. 61. Die Zulässigkeit der Erfüllungsklage ergibt sich aus Art. 97 Abs. 2 und Art. 98 Abs. 1 OR, ferner aus Art. 107 Abs. 2 OR; vgl. GAUCH/ SCHLUEP/REY, Nr. 2573; VON TUHR/ESCHER, § 87 II, S. 87; BARTH, S. 61, m. Hw. auf die Recht-sprechung; SCHOBERT, S. 35; WEBER, BerK, N 339 zu Art. 97 OR; rechtsvergleichend MÜLLER-CHEN, S. 74.

268 Vgl. MÜLLER-CHEN, S. 75. 269 Beispielsweise setzt die erfolgreiche Geltendmachung von entgangenem Gewinn voraus, dass es

sich um einen üblicherweise erzielbaren Gewinn handelt oder dieser aufgrund der konkreten

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Leistung von Schadenersatz abhängig vom Verschulden oder Vertretenmüssen des Schuldners. Einzig der Realerfüllungsanspruch garantiert – verschuldensunabhängig –, dass der Gläubiger die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile verwirklichen (bzw. zu verwirklichen versuchen) kann. Aus theoretischer Sicht ist der Realerfüllungsanspruch deshalb von grosser Bedeutung.

2. Aus praktischer Sicht

184 In der Praxis hat der Realerfüllungsanspruch nicht die Bedeutung, die er aus theoreti-scher Sicht verdienen würde. Einerseits besteht nicht immer ein Anspruch auf Realer-füllung und gewisse Dienstleistungsobligationen sind von Gesetzes wegen nur be-schränkt real erzwingbar. Darauf wird in Abschnitt II. näher eingegangen (Nr. 194 ff.). Andererseits können praktische Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Realer-füllungsanspruchs dazu führen, dass der Gläubiger es vorzieht, auf die zwangsweise Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs zu verzichten:

185 Die zwangsweise Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs erfolgt auf dem Wege des Zivilprozesses. Ein Prozessverfahren benötigt zwangsläufig Zeit und ist mit Aufwand für die Parteien verbunden. Während der Dauer des Verfahrens verzögert sich die Er-füllung des Vertrages – vorbehältlich von einstweiligem Rechtsschutz – und die Bedürf-nisse des Gläubigers bleiben unbefriedigt. Wenn der Gläubiger mit der Befriedigung seiner Bedürfnisse nicht bis zum Abschluss des Verfahrens zuwarten kann oder will, wird er sich die vertragliche Leistung anderweitig beschaffen und auf zwangsweise Durchsetzung des Vertrages verzichten.270 Für dieses Vorgehen spricht auch die Erfah-rungstatsache, dass eine Leistung (namentlich eine Dienstleistung), die freiwillig er-bracht wird, oft wertvoller ist als eine erzwungene Leistung.271 Der Gläubiger hat dem-nach in der Regel kein Interesse an der Durchsetzung des Realerfüllungsanspruchs, wenn er sich anderweitig gleichwertigen Ersatz für die Leistung beschaffen kann, die schuldnerische Leistung für den Gläubiger also ersetzbar ist.272

186 Beispiel: Der Käufer eines Wagens kann, wenn ihm der Wagen vom Garagisten nicht übergeben wird, zwar auf Herausgabe des Wagens klagen, doch wird er den Wagen erst mit reichlicher Verzögerung erhalten. Wenn der Käufer bereits heute auf einen

Umstände in Aussicht gestanden hat; REY, Nr. 348; BGE 82 II 401; BREHM, BerK, N 70 a. E. zu Art. 41 OR. „Der Richter hat zu beurteilen, ob «nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge» (Art. 42 [Abs. 2] OR) eine genügende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das vom Geschädigten geforderte lucrum cessans ohne das schädigende Ereignis erzielt worden wäre...“, KELLER/GABI, S. 11, m. Hw. Vgl. auch SCHNYDER, BasK, N 6 zu Art. 41 OR; VON TUHR/PETER, § 13 I 10, S. 100 f.; OFTINGER/STARK, I, § 2 N 14 ff.; GLÄTTLI, S. 183 f.; LÜCHINGER, Nr. 153 f.

270 MÜLLER-CHEN, S. 76. 271 MÜLLER-CHEN, S. 104 f. 272 MÜLLER-CHEN, S. 77.

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Wagen angewiesen ist, tut er gut daran, auf Realerfüllung zu verzichten und bei einem anderen Garagisten einen Wagen zu kaufen.273

187 Aus praktischer Sicht ist der Realerfüllungsanspruch deshalb namentlich in Situationen bedeutsam, in welchen sich der Gläubiger keine angemessene Ersatzerfüllung beschaf-fen kann.274 Dies ist einerseits der Fall, wenn die Leistung einzigartig ist und anderer-seits, wenn weder die Gegenleistung noch allfällige Schadenersatzansprüche für die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung ausreichen. Im Einzelnen:

188 – Der Gläubiger hat ein Affektionsinteresse an der Leistung, wenn die Leistung für den Gläubiger aus ganz persönlichen, ausserhalb wirtschaftlicher Überlegungen stehenden Gründen besonders wertvoll ist. Beispielsweise handelt es sich beim vom Gläubiger gekauften Oldtimer-Wagen um genau jenes Fahrzeug, welches der Vater des Gläubigers in jungen Jahren gefahren hat. Oder der Gläubiger hat sich ein Haus exakt nach seinen individuellen Vorstellungen bauen lassen. Weil für eine Leistung mit einem solchen subjektiven oder emotionalen Wert normalerweise kein gleich wertvoller Ersatz existiert, ist die Leistung einzigartig für den Gläubiger.275

189 Dieser auf einem Affektionsinteresse beruhende Wert (in der angloamerikanischen Law and Economics-Terminologie ein „subjective value“ oder „idiosyncratic value“) wird bei der Schadenersatzbemessung nicht berücksichtigt.276 Durch Schadenersatz wird der Gläubiger deshalb nicht vollständig für die ausbleibende Erfüllung entschädigt.

190 – Die (zurückbehaltene oder rückerstattete) Gegenleistung des Gläubigers reicht für die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung nicht aus, wenn beispiels-weise die Preise für die Leistung seit Vertragsschluss gestiegen sind oder der Ver-trag für den Gläubiger besonders vorteilhaft war (Preis unter Marktpreis). In diesen Fällen könnte der Gläubiger allenfalls durch Schadenersatz (berechnet nach dem positiven Vertragsinteresse) entschädigt werden, doch kann der Gläubiger mangels eines Verschuldens oder eines anderen Vertretenmüssens des Schuldners keinen Anspruch auf Schadenersatz haben.

191 Auch wenn der Gläubiger Anspruch auf Schadenersatz hat, reicht dieser für die Beschaffung eines angemessenen Ersatzes zuweilen nicht aus. Dies gilt nament-lich, wenn der Schadenersatz zufolge Mitverschuldens des Gläubigers herabgesetzt

273 Zwar könnte sich der Käufer für die Dauer des Verfahrens auch einen Ersatzwagen mieten. Ob

Mietauslagen für einen Ersatzwagen jedoch einen ersatzfähigen Schaden darstellen, ist zweifel-haft, wenn der Wagen lediglich zum Vergnügen oder aus Prestigegründen benützt wird. Vgl. REY, Nr. 314; BREHM, BerK, N 80 zu Art. 41 OR; KELLER, II, S. 95; MERZ, SPR VI/1, S. 196; STARK, Nr. 147; OFTINGER/STARK, I, § 6 Nr. 373; OFTINGER, Haftpflichtrecht I, S. 256 ff.

274 SCHWENZER, Nr. 61.02; MÜLLER-CHEN, S. 77. 275 Vgl. auch MÜLLER-CHEN, S. 77. 276 BGE 87 II 291 = Pra 51 (1962) Nr. 29, S. 86; VON TUHR/ESCHER, § 15 IV, m. Hw.; REY, Nr.

323, m. Hw.; SCHNYDER, BasK, N 5 zu Art. 41 OR; OFTINGER/STARK, I, § 6 Nr. 379; SCHMID, Folgen der Nichterfüllung, S. 302.

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würde (Art. 44 Abs. 1 OR). Noch wichtiger sind aber all jene Situationen, bei welchen der Schadenersatz gewisse Nachteile des Gläubigers nicht berücksichtigt (unterkompensatorischer Schadenersatz). So verhält es sich beim bereits erwähn-ten Affektionsinteresse (Nr. 188) oder wenn der Gläubiger mit der Vertragserfül-lung Erwartungen auf Gewinne verbindet, die nicht genügend konkret sind, um bei der Schadenersatzbemessung berücksichtigt zu werden (Nr. 183).

192 – Zu denken ist des weiteren an nicht ersetzbaren vertragsspezifischen Aufwand: Der Abschluss oder die Vorbereitung der Durchführung des Vertrages bereitet dem Gläubiger oft Aufwand, der bei Nichterfüllung des Vertrages nutzlos ist und der bei der Beschaffung einer Ersatzleistung nochmals anfällt. Beispielsweise hat der Käufer viel Zeit für die Suche nach einem Oldtimer-Wagen oder die Aushandlung eines Vertrages aufgewendet. Wird der Gläubiger durch Schadenersatz nicht voll-ständig für solchen vertragsspezifischen Aufwand entschädigt,277 wird der Gläubi-ger vom Verzicht auf die Leistung abgehalten. Er wird beispielsweise auf Real-erfüllung beharren, um sich die Mühen einer erneuten Suche bzw. neuer Vertrags-verhandlungen mit einem anderen Vertragspartner zu sparen, weil Such- und Verhandlungsaufwand (Zeit und Auslagen) bei der Bemessung von Schadenersatz (namentlich im Rahmen des positiven Vertragsinteresses) oft nicht genügend be-rücksichtigt wird.278

3. Bedeutung des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung

193 Bei Leistungserschwerung kann sich der Realerfüllungsanspruch zum eigentlichen Streitpunkt entwickeln. Die Leistungserschwerung ändert an einem allfälligen Interesse des Gläubigers an der Realerfüllung im Allgemeinen nichts. Der Schuldner soll in den Augen des Gläubigers trotz der erschwerten Bedingungen gebunden bleiben, solange die Aussicht besteht, dass die Leistung in natura erbracht werden kann. Anders verhält es sich aus Sicht des Schuldners. Zwar ist auch der Schuldner normalerweise an der Durch-führung des Vertrages interessiert, andernfalls er den Vertrag nicht abgeschlossen hätte. Er ist unter Umständen sogar bereit, besondere Aufwendungen und Mühen in Kauf zu nehmen, beispielsweise um seinen Ruf als Geschäftsmann zu festigen. Wenn sich der für die Erfüllung nötige Aufwand jedoch stark erhöht, richtet sich das Interesse des Schuldners typischerweise auf Befreiung von der Pflicht zur Realerfüllung.

277 In der Law and Economics-Terminologie nennt man solche Investitionen, die nur für den abge-

schlossenen Vertrag von Nutzen sind, „relationship specific investments“. 278 GLÄTTLI, S. 186; vgl. zum Ersatz nutzlos gewordener Aufwendungen im Allgemeinen LÜCHIN-

GER, Nr. 170 ff. und Nr. 444 ff.

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II. Bestand und Wegfall des Realerfüllungsanspruchs

1. Im Allgemeinen

194 Grundsätzlich verleiht – wie gesagt – jede Forderung einen Anspruch auf Realerfüllung. Von diesem Grundsatz gibt es jedoch bedeutende Ausnahmen.279 Erstens können die Parteien zwangsweise Durchsetzung der Leistung bei Nichterfüllung durch vertragliche Vereinbarung ausschliessen und andere Rechtsfolgen für den Fall der Nichterfüllung vereinbaren,280 beispielsweise Schadenersatz, eine Konventionalstrafe oder ein Recht zur Vertragsauflösung. Zweitens schliesst das Gesetz in einzelnen Bestimmungen einen Anspruch auf Realerfüllung bei der Nichterfüllung bestimmter Obligationen von Anfang an aus (vgl. z. B. Art. 340b Abs. 3 OR).281 Drittens entfällt der Anspruch auf Realerfül-lung von Gesetzes wegen, wenn die Leistungspflicht des Schuldners aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung ihren Inhalt ändert oder ganz wegfällt. Der Realerfüllungs-anspruch entfällt namentlich bei nachträglicher Unmöglichkeit der Leistung (Art. 97 Abs. 1 und 119 Abs. 1 OR).

195 Viertens entfällt der Anspruch auf Realerfüllung auch bei an sich real erzwingbaren For-derungen, wenn das Beharren des Gläubigers auf Realerfüllung Treu und Glauben widerspricht.282 Rechtsmissbräuchlich verhält sich der Gläubiger, der in Spekulationsab-sicht lange Zeit mit der Geltendmachung des Realerfüllungsanspruchs zugewartet hat.283 Wenn der Gläubiger aus blosser Schikane auf seinem Anspruch beharrt, ist der An-spruch infolge unnützer Rechtsausübung zu verweigern. Der Anspruch auf Realerfül-lung ist auch abzulehnen, wenn der Vorteil des Gläubigers, Realerfüllung anstatt Schadenersatz zu erhalten, im krassen Missverhältnis zum Mehraufwand und Schaden steht, der dem Schuldner bei Realerfüllung entsteht.284 Den letztgenannten Fall könnte man freilich auch als „normale“ Unzumutbarkeit auffassen (vgl. Nr. 56 ff.).285

279 Vgl. zum Ganzen BARTH, S. 62, m. Hw.; VON TUHR/ESCHER, § 87 II, S. 86 f.; BULACHER, S.

14 ff. 280 BUCHER, OR AT, S. 328; GLÄTTLI, S. 54; MERZ, SPR VI/1, S. 268. 281 Die Verpflichtung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, nach Beendigung des Arbeits-

verhältnisses eine konkurrierende Tätigkeit zu unterlassen (Konkurrenzverbot), kann gemäss Art. 340b Abs. 3 OR ohne besondere schriftliche Vereinbarung nicht real durchgesetzt werden.

282 WEBER, BerK, N 345 zu Art. 97 OR; VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87, sprechen in diesem Zusammenhang von Untunlichkeit der Leistung.

283 HGer BE, ZBJV 55 (1919) Nr. 3, S. 82 f.; BARTH, S. 62; LEMP, S. 2; WEBER, BerK, N 345 zu Art. 97 OR.

284 MERZ, BerK, N 388 ff. zu Art. 2 ZGB. Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87; BARTH, S. 62; BECKER, BerK, N 103 zu Art. 97 OR, alle mit Beispielen, namentlich dem Folgenden: Kein Real-erfüllungsanspruch besteht, wenn die zu liefernden Balken in ein Haus eingebaut wurden. Ferner BUCHER, OR AT, S. 331 Anm. 12; SCHOBERT, S. 40; BULACHER, S. 17; WEBER, BerK, N 345 zu Art. 97 OR.

285 Im ersten und zweiten Fall verfolgt der Gläubiger keine schützenswerten Interessen, denn das Interesse des Gläubigers am Spekulationsgewinn verdient ebenso wenig Schutz wie der Lustge-

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196 Der Grundsatz von Treu und Glauben scheint letzten Endes auch dem Wegfall des Realerfüllungs-anspruchs bei Unmöglichkeit zugrunde zu liegen: Wenn Realerfüllung definitiv unmöglich ist, wäre das Beharren des Gläubigers auf den Realerfüllungsanspruch und insbesondere die Erstreitung eines Urteils auf Realerfüllung unnütze Rechtsausübung286 – die Erstreitung des Urteils bringt dem Gläubiger keinerlei Vorteile – und würde damit Treu und Glauben widersprechen.

197 Aus diesen Ausführungen kann der allgemeine Grundsatz abgeleitet werden, dass der Realerfüllungsanspruch entfällt, wenn das Beharren auf Realerfüllung Treu und Glauben widerspricht.287 Treu und Glauben ist freilich ein vages Kriterium, welches der Konkretisierung bedarf. In den §§ 6 und 7 (Nr. 209 ff. und 220 ff.) wird deshalb auf den Wegfall des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung ausführlich eingegangen. Zuvor soll aber auf gewisse Einschränkungen der zwangsweisen Durch-setzung des Realerfüllungsanspruchs im Arbeits- und Auftragsrecht hingewiesen werden, weil durch diese Einschränkungen die Leistungserschwerung in diesen Berei-chen beinahe vollständig auf die Frage des Schadenersatzes (und anderer Rechts-folgen) reduziert wird.

2. Einschränkungen der zwangsweisen Durchsetzung des Realerfüllungsan-spruchs bei gewissen Dienstleistungspflichten im Besonderen

198 Vor Inkrafttreten des OR von 1911 war umstritten, ob Obligationen auf ein Tun (Dienstleistungsobligationen) real erzwungen werden können. Gemäss Art. 111 aOR löst sich „[j]ede Verbindlichkeit etwas zu thun,“ „in eine Verbindlichkeit zum Schadenersatze auf“, „wenn die Nichterfüllung dem Schuldner zur Last fällt“. Diese Bestimmung führte – im Anschluss an eine Abhandlung von FRIEDMANN288 – „zur (freilich sehr umstrittenen) Auffassung ..., dass Zwang zur Realerfüllung (nicht schon: Verurteilung zur Realerfüllung...) bei Obligationen auf ein Tun ausgeschlossen sei...“289 Das Bundesgericht entschied in einem wegleitenden Entscheid, dass Zwang

winn des Gläubigers durch die Schikane. Das Verhalten des Gläubigers ist in beiden Fällen zu missbilligen. Anders verhält es sich bei den „normalen“ Unzumutbarkeitsfällen. Mit der Geltendmachung des Realerfüllungsanspruchs verfolgt der Gläubiger hier durchaus schützens-werte Interessen (er will beispielsweise das gekaufte Liebhaberstück in natura erhalten), jedoch führen die ausserordentlichen Aufwendungen, welche die Erfüllung dem Schuldner bereitet, zur Unzumutbarkeit. A. A. VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87 Anm. 10 a. E.: Die Abgrenzung beruhe auf Billigkeitserwägungen.

286 Vgl. auch MÜLLER-CHEN, S. 62 und 243. 287 Damit ist freilich noch nicht gesagt, ob der Realerfüllungsanspruch auch aus anderen Gründen

entfallen kann. 288 FRIEDMANN, Der Anspruch auf Realerfüllung im schweizerischen Rechte, ZSR 19 (1900), S.

48 ff. 289 BECKER, BerK, N 101 zu Art. 97 OR, m. Hw. Vgl. ferner SCHOBERT, S. 30 ff., m. Hw. in Anm. 1

S. 33.

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gegen die Person des Schuldners nach eidgenössischem Recht ausgeschlossen sei.290 Diese Auffassung des Bundesgerichts wurde bei der Revision des OR durch Strei-chung des ersten Satzes von Art. 111 aOR ausdrücklich verworfen.291

199 Trotzdem schliesst das OR noch heute eine zwangsweise Durchsetzung des Anspruchs auf Realerfüllung bei der Nichterfüllung bestimmter Dienstleistungspflichten in einzel-nen Bestimmungen aus.292 Solche Bestimmungen finden sich im Arbeitsrecht. Gemäss Art. 337d OR hat der Arbeitnehmer, der ohne wichtigen Grund die Arbeitsstelle nicht antritt oder fristlos verlässt, lediglich eine Entschädigung und allenfalls weiteren Scha-denersatz zu entrichten. Die Arbeitsobligation des Arbeitnehmers kann damit nicht zwangsweise real durchgesetzt werden.293 Die ungerechtfertigte fristlose Entlassung durch den Arbeitgeber führt ebenfalls nur zur Schadenersatzpflicht (Art. 337c OR). Schliesslich bejaht die Lehre und Rechtsprechung eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer effektiv zu beschäftigen, auch während laufender Kündigungsfrist, nur unter sehr restriktiven Bedingungen.294 Die Verletzung dieser Pflicht kann zu Schaden-ersatzansprüchen und Genugtuungsansprüchen führen.295 Das Zürcher Obergericht hat die reale Durchsetzbarkeit der Beschäftigungspflicht in einem Entscheid aus dem Jahre 1980 zwar grundsätzlich bejaht, die Durchsetzung mittels vorsorglicher Massnahme jedoch in casu abgelehnt.296

200 Art. 418r OR verweist für die fristlose Auflösung des Agenturvertrages auf das Arbeitsrecht. Ob da-mit Agent und Auftraggeber analog zum Arbeitsrecht einzig Schadenersatzansprüche geltend machen und keine Realerfüllung verlangen können, ist umstritten.297

290 BGE 32 I 654 ff., insb. 659; ferner BGE 35 I 367 ff. 291 HUBER erklärte die Streichung als Berichterstatter im Nationalrat wie folgt: „Es wird dadurch

abgelehnt, dass im Falle der Nichterfüllung schlechtweg eine blosse Schadenersatzpflicht eintreten und das kantonale Recht der Exekution ausgeschlossen sein soll, wie das in der neuesten Judikatur des Bundesgerichts angenommen wurde.“ StenBull NR 1909, S. 534.

292 Die Einschränkungen der zwangsweisen Durchsetzung gewisser Dienstleistungspflichten dienen letztlich dem Schutz der persönlichen Freiheit des Schuldners. Sie können sodann auf die Erfah-rungstatsache abstellen, dass durch Urteil erzwungene Dienstleistungen oft von schlechterer Qualität und damit von geringerem Wert sind als eine vom Schuldner „freiwillig” erbrachte Dienstleistung (Nr. 185). Dieses letztere Argument allein vermag freilich die Einschränkungen nicht zu rechtfertigen, läge es doch in der Hand des Gläubigers zu entscheiden, ob die erzwunge-ne Dienstleistung die besagten Nachteile im konkreten Falle aufweist.

293 Das Arbeitsverhältnis endet mit dem definitiven Verlassen oder Nichtantreten der Arbeitsstelle; vgl. STREIFF/VON KAENEL, N 2 a. E. zu Art. 337d OR; a. A. anscheinend MÜLLER-CHEN, S. 106.

294 Vgl. OGer ZH, ZR 79 (1980) Nr. 115, S. 247: „...wo die Nichtbeschäftigung eine Verletzung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers bedeuten würde und dessen weiteres Fortkommen dadurch in Frage gestellt würde. Dies ist vor allem bei künstlerisch tätigen Personen der Fall...“ Ausführlich zum Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers neuerdings Alfred BLESI, Die Freistellung des Arbeitnehmers, Diss. St. Gallen, Zürich 2000, S. 88 ff., mit zahlreichen Hw.

295 STREIFF/VON KAENEL, N 17 zu Art. 319 OR. 296 OGer ZH, ZR 79 (1980) Nr. 115, S. 245 ff. 297 WETTENSCHWILER, BasK, N 2 zu Art. 418r OR.

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201 Im Auftragsrecht kann der Vertrag jederzeit nach Art. 404 Abs. 1 OR widerrufen oder gekündigt werden. Mit dem Widerruf oder der Kündigung erlischt die Pflicht zur Erfüllung des Auftrages. Die Kündigung zur Unzeit führt lediglich zur Schadenersatz-pflicht. Sowohl Auftraggeber wie Beauftragter können sich deshalb qua Kündigung – unter Vorbehalt von Schadenersatzansprüchen infolge Kündigung zur Unzeit – jeder-zeit der Pflicht zur Realerfüllung entledigen. De facto ist deshalb die Pflicht des Be-auftragten zur Erfüllung des Auftrages nicht real durchsetzbar.298

202 Das jederzeitige Kündigungsrecht von Art. 404 Abs. 1 OR findet gemäss der Lehre auch auf den Mäklervertrag (Art. 412 Abs. 2 OR),299 den Kommissionsvertrag (Art. 425 Abs. 2 OR),300 den Speditionsvertrag (Art. 439 OR i. V. m. Art. 425 Abs. 2 und 440 Abs. 2 OR)301 und auf den Fracht-vertrag (Art. 440 Abs. 2 OR)302 Anwendung. Ein jederzeitiges Kündigungsrecht kann schliesslich auch vertraglich vereinbart werden.

III. Exkurs: Der Realerfüllungsanspruch im amerikanischen Recht

203 Der Realerfüllungsanspruch ist ein charakteristisches Merkmal vieler moderner Civil Law-Rechtsordnungen. Anderen Rechtsordnungen ist er jedoch weitgehend fremd.303 Im anglo-amerikanischen Rechtskreis ist eine Klage auf Realerfüllung nur in Ausnah-mefällen zulässig. Diese Regelung basiert auf der historischen Zweiteilung des englischen Rechts in das Common Law im engeren Sinn, welches nur Schadenersatz kannte („legal relief“), und in die Equity-Praxis des Kanzlers und der Kanzlergerichte, welche die Erfüllungsklage ausnahmsweise zuliessen („equitable relief“).304

204 Wird die vertraglich geschuldete Leistung nicht erbracht, hat der Gläubiger grundsätz-lich keinen Anspruch auf Realerfüllung.305 Erfüllungszwang ist dem anglo-amerikani-schen Vertragsrecht grundsätzlich fremd. Der Gläubiger hat nur Anspruch auf Schadenersatz. Im Gegensatz zum Schweizer Recht steht dieser dem Gläubiger aber grundsätzlich unabhängig von einem Verschulden des Schuldners zu.306 Der Schuldner kann im Prinzip frei entscheiden, ob er erfüllt oder – verschuldensunabhängig – Schadenersatz zahlt.307 Der Schadenersatz wird grundsätzlich nach dem positiven

298 Vgl. WEBER, BasK, N 3 zu Art. 397 OR; WEBER, BerK, N 344 zu Art. 97 OR. 299 BGE 115 II 466 f.; BGE 103 II 130; vgl. auch AMMANN, BasK, N 6 zu Art. 412 OR. 300 VON PLANTA, BasK, N 6 zu Art. 425 OR. 301 STAEHELIN, BasK, N 6 zu Art. 439 OR. 302 STAEHELIN, BasK, N 5 zu Art. 440 OR. 303 Das galt beispielsweise für das klassische römische Recht, vgl. z. B. MÜLLER-CHEN, S. 17 und

19; SCHOBERT, S. 14 ff.; zum germanischen Recht MÜLLER-CHEN, S. 27; SCHOBERT, S. 19 ff. 304 Vgl. zu den historischen Hintergründen statt vieler E. Allan FARNSWORTH, Contracts, 2. Aufl.,

Boston/Toronto/London 1990, § 12.4, S. 849 ff., oder ZWEIGERT/KÖTZ, S. 477 f. 305 Vgl. statt vieler ZWEIGERT/KÖTZ, S. 477. 306 Z. B. MÜLLER-CHEN, S. 337 ff., m. Hw. zu Ausnahmen bei gewissen Dienstleistungen. 307 Dieses „Wahlrecht“ des Schuldners kann als Realoption aufgefasst werden. Vgl. Alexander J.

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Vertragsinteresse bemessen (expectation damages), doch sprechen die Gerichte zuweilen auch das negative Interesse zu (reliance damages). Im Allgemeinen wird der Schuldner deshalb die Erfüllung verweigern, wenn die Erfüllungskosten das positive Vertragsinteresse übersteigen, welches dem Wert der Leistung für den Gläubiger entspricht.

205 Die anglo-amerikanische Law and Economics-Literatur hat nachgewiesen, dass die Entscheidung des Schuldners, zu erfüllen oder Schadenersatz zu zahlen, ökonomisch effizient ist (efficient breach theory). Dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der Schadenersatz den Gläubiger vollständig entschädigt, d. h. exakt dem Wert der Leistung für den Gläubiger entspricht. Unter diesen Umständen berücksichtigt der Schuldner bei der Entscheidung, zu erfüllen, nicht nur seine eigenen Interessen, sondern – über den Umweg des drohenden Schadenersatzanspruchs – auch das Erfüllungsinteresse des Gläubigers.308

206 Ausnahmsweise wird jedoch auch im anglo-amerikanischen Recht ein Anspruch auf Realerfüllung (specific performance) gewährt.309 Die Rechtsprechung berücksichtigt dabei, ob Schadenersatz in der konkreten Situation ein adäquates Rechtsmittel ist („adequate“).310 Specific performance wird deshalb namentlich gewährt, wenn der Gegenstand des Vertrages einzigartig („unique“) ist, beispielsweise bei einem Gemälde oder Erbstück.311 Bei Grundstückskäufen wird specific performance in der Regel gewährt. Die Gerichte berücksichtigen aber auch, ob die Realerfüllung bei der Vollstreckung Probleme bereiten würde.

207 Die Law and Economics-Literatur hat diese Rechtsprechung damit zu erklären versucht, dass in diesen Fällen die Bewertung der Leistung besonders schwierig – da durch subjektive Elemente bestimmt – ist. Die Gefahr, dass der Schadenersatzanspruch den Gläubiger nicht vollständig für den erlittenen Schaden entschädigt, ist deshalb in diesen Fällen besonders gross.312 Unter diesen Umständen wäre die Entscheidung des Schuldners, zu erfüllen oder Schadenersatz zu zahlen, nicht effizient, weil das Erfüllungsinteresse des Gläubigers nur unzureichend berücksichtigt wird. Der Schuldner tendiert dazu, die Erfüllung vorschnell zu verweigern. Um das zu verhindern, wird dem Gläubiger in diesen Fällen ein Anspruch auf Realerfüllung gewährt.313

TRIANTIS/George G. TRIANTIS, Timing Problems in Contract Breach Decisions, Journal of Law and Economics 41 (1998), S. 163 ff.

308 Vgl. statt vieler Lewis A. KORNHAUSER, An Introduction to the Economic Analysis of Contract Remedies, University of Colorado Law Review 57 (1986), S. 683 ff., insb. S. 701 oder Richard CRASWELL, Contract Remedies, Renegotiation, and the Theory of Efficient Breach, Southern California Law Review 61 (1988), S. 630 ff., insb. S. 634.

309 ZWEIGERT/KÖTZ, S. 478. 310 So auch Restatement (Second) of Contracts, § 359 sowie UCC 2-716. Vgl. ZWEIGERT/KÖTZ, S.

478 f. 311 Vgl. statt vieler Lon L. FULLER/Melvin Aron EISENBERG, Basic Contract Law, 6. Aufl., 1996, S.

319. 312 Richard A. POSNER, Economic Analysis of Law, 5. Aufl., 1998, § 4.11, S. 145 f. 313 Vgl. zum Ganzen Antony T. KRONMAN, Specific Performance, The University of Chicago Law

Review 45 (1978), S. 351 ff.; Alan SCHWARTZ, The Case for Specific Performance, The Yale Law Journal 89 (1979), S. 271 ff. Specific Performance hat freilich andere Nachteile, vgl. Nr.

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208 Es fällt auf, dass die amerikanischen Gerichte namentlich in jenen Fällen einen Realer-füllungsanspruch gewähren, bei welchen der Gläubiger nach dem Gesagten auch im Schweizer Recht auf Realerfüllung beharren würde (vgl. Nr. 187 ff.). So unterschied-lich das Amerikanische Recht und das Schweizer Recht bezüglich des Realerfüllungs-anspruchs auch sind, so weisen sie doch im Resultat gewisse Ähnlichkeiten auf.

224 ff.

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§ 6 Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs bei Leistungserschwerung

I. Realerfüllungsanspruch bleibt erfüllbar

1. Grundsatz

209 Wie gesagt richtet sich das Interesse des Schuldners bei Leistungserschwerung typi-scherweise auf Befreiung vom Realerfüllungsanspruch. Ausnahmsweise kann es sich jedoch anders verhalten: Der Schuldner hat manchmal ein Interesse, die Leistung trotz auftretender Schwierigkeiten korrekt zu erbringen. Einerseits kann die Durchführung des Vertrages für den Schuldner trotz der Leistungserschwerung vorteilhaft sein, weil der Vertrag besonders günstig für ihn ist. Andererseits bewahrt der Schuldner seinen Ruf als Geschäftsmann, wenn er trotz der Leistungserschwerung erfüllt. Der Schuldner ist deshalb zuweilen bereit, aussergewöhnliche Erfüllungsanstrengungen auf sich zu nehmen, oder die Behebung der Leistungserschwerung abzuwarten. Ein solches Interesse des Schuldners an Realerfüllung ist schützenswert.314 Es widerspricht den Interessen des Gläubigers im Normalfall nicht, denn auch dieser hat ein Interesse an Realerfüllung (Nr. 193).

210 Weil es durchaus möglich ist, dass beide Parteien trotz der Leistungserschwerung an der Durchführung des Vertrages festhalten wollen, wäre ein vollständiger Wegfall des Realerfüllungsanspruchs – wie er bei Unmöglichkeit der Leistung nach Art. 97 und 119 OR ipso iure eintritt – bei Leistungserschwerung nicht gerechtfertigt. Die Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs muss bei Leistungserschwerung grundsätzlich erhalten bleiben. Zwar kann sich der Vertrag bei Leistungserschwerung im Moment und allenfalls auch in der Zukunft als undurchführbar erweisen (z. B. bei Diebstahl einer Speziessache). Dieser Umstand rechtfertigt aber nicht, dem Schuldner die Befreiung durch Erfüllung zu verweigern, wenn er sich dazu in der Lage sieht.315 Dadurch, dass der Schuldner erfüllt, erbringt er den besten Beweis für die Möglichkeit der Leistung.

211 Der Schuldner kann deshalb die Leistung trotz Leistungserschwerung erbringen und der Gläubiger ist – sofern er nicht bereits rechtsgültig auf die Leistung verzichtet hat oder gemäss den allgemeinen Regeln zu Annahmeverweigerung berechtig ist – im Sinne einer Obliegenheit verpflichtet, die korrekt erbrachte Leistung anzunehmen.

314 Das Interesse des Schuldners an der (korrekten) Erfüllung seiner Leistungspflicht wird vom

Gesetz beispielsweise im Verzugsrecht anerkannt, wo der Verzicht des Gläubigers auf die Leis-tung nach Art. 107 Abs. 2 OR unter anderem eine Mahnung des Schuldners und eine Nachfristan-setzung voraussetzt.

315 Vgl. ZIEGLER, S. 66.

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2. Ausnahme: Übergeordnete Interessen des Gläubigers oder Dritter

212 Übergeordnete Interessen des Gläubigers oder eines Dritten können ausnahmsweise bei Leistungserschwerung der Erfüllung entgegenstehen. Der Gläubiger hat in diesem Falle ausnahmsweise das Recht, die Annahme der Leistung zu verweigern.

213 Beispiel: „Opernsängerin-Fall“:316 Die Fondation du Grand-Théâtre de Genève engagierte eine Opernsängerin, um die Rolle der Nedda in der Oper „I Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo zu spielen, eine Rolle, welche mit Gewaltszenen verbunden ist. Als die Opernsängerin am Vorabend der Proben in Genf eintraf, war sie im 6. Monat schwanger; zur Zeit der letzten Aufführung wäre sie gar im 8. Monat schwanger gewesen. Der Regisseur weigerte sich aus Angst um die Gesundheit von Mutter und Kind, die Opernsängerin die Rolle spielen zu lassen.

214 Nach dem oben Gesagten hindert die Leistungserschwerung (i. c. die Schwangerschaft) die Opernsängerin als Schuldnerin grundsätzlich nicht daran, die Leistung zu erbringen – und tatsächlich, die Opernsängerin wollte die Rolle trotz Schwangerschaft spielen! Hier stehen aber übergeordnete Interessen der Fondation (Gläubigerin) (z. B. die korrekte Erfüllung der Pflicht zur Wahrung der Gesundheit, des Lebens und der persön-lichen Integrität der Opernsängerin als Arbeitnehmerin, vgl. Art. 328 OR), der anderen betroffenen Schauspieler und insbesondere des ungeborenen Kindes der Erfüllung ent-gegen. Diese übergeordneten Interessen rechtfertigen eine Ausnahme vom Grundsatz. Das Bundesgericht hat deshalb zu Recht festgehalten, die Fondation sei zur Verweige-rung der Annahme der Leistung der Opernsängerin berechtigt gewesen.317

II. Zulässigkeit des Verzichts auf Realerfüllung gemäss Art. 107 Abs. 2 OR

215 Andererseits kann der Gläubiger bei Leistungserschwerung das Interesse an der Realer-füllung verlieren, weil sich die Erfüllung verzögert oder sich der Vertrag wegen verän-derter Verhältnisse als ungünstig für den Gläubiger erweist. Der Gläubiger will die Leis-tung gar nicht mehr, und er will deshalb von seiner Obliegenheit zur Entgegennahme der Leistung in natura befreit werden. Oder der Gläubiger zieht es vor, sich anderweitig einzudecken, und er muss deshalb verhindern können, dass er die Leistung zweimal erhält.318 Dieses Interesse des Gläubigers am Wegfall des Realerfüllungsanspruchs widerspricht dem Interesse des Schuldners an dessen Fortbestand (Nr. 209).

316 BGE 126 III 75 = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 710. 317 BGE 126 III 79 f. = Pra 89 (2000) Nr. 121, S. 715; i. gl. S. auch Wolfgang WIEGAND, Die privat-

rechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts im Jahre 1999 und 2000, Obligationenrecht, ZBJV 138 (2002), S. 323 f.

318 Vgl. KOLLER, BerK, N 223 zu Art. 366 OR.

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216 Bei Schuldnerverzug hat der Gläubiger unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, gemäss Art. 107 Abs. 2 OR auf den Realerfüllungsanspruch zu verzichten und damit den Realerfüllungsanspruch zum Erlöschen zu bringen. Weil kein Grund besteht, wes-halb der Gläubiger bei Leistungserschwerung schlechter zu behandeln wäre als bei Schuldnerverzug, muss ein Verzicht auf den Realerfüllungsanspruch gemäss Art. 107 Abs. 2 OR bei gegebenen Voraussetzungen auch bei Leistungserschwerung zulässig sein.319,320 Auf Besonderheiten bei den Voraussetzungen des Verzichts bei Leistungs-erschwerung wird hinten im Rahmen eine Sonderfrage ausführlich eingegangen (Nr. 553 ff.). Das Recht des Gläubigers, auf Realerfüllung zu verzichten, stellt sicher, dass die Interessen des Gläubigers durch die Aufrechterhaltung der Erfüllbarkeit nicht gefährdet werden.

217 Hat die Leistungserschwerung nur geringfügige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners, so unterscheidet sich die Leistungserschwerung kaum von einem eigentlichen Verzugs-fall, was für die Zulässigkeit des Verzichts spricht. Sind die Auswirkungen sehr stark, so ist die Durchführung des Vertrages ohnehin durch faktische Gründe gefährdet, was ebenfalls für die Zuläs-sigkeit des Verzichts spricht.

III. Dogmatische Folgerungen

218 Der Fortbestand der Erfüllbarkeit bedarf keiner besonderen dogmatischen Abstützung. Das Gesetz setzt das Recht zu erfüllen als selbstverständlichen Ausfluss jeder Obliga-tion in vielen Bestimmungen voraus (vgl. z. B. Art. 75 OR). Hingegen folgt aus dem Gesagten implizit, dass die Unmöglichkeitsregeln als Rechtsgrundlage für die Leistungserschwerung nicht in Frage kommen. Bei Unmöglichkeit der Leistung geht der Realerfüllungsanspruch des Schuldners nach Art. 119 Abs. 1 OR ipso iure unter, bzw. wandelt er sich nach Art. 97 Abs. 1 OR (und den anderen einschlägigen Haftungsnormen wie Art. 101 OR) in eine Schadenersatzpflicht um. Mit dem Real-erfüllungsanspruch entfällt grundsätzlich auch dessen Erfüllbarkeit. Diese Rechts-folgen sind nach vorherrschender Lehre und Rechtsprechung zudem endgültig und irreversibel (vgl. vorne Nr. 70). Dieser „ipso-iure-Wegfall“ der Erfüllbarkeit des Real-erfüllungsanspruchs ist nur gerechtfertigt, wenn der Erfüllung ein Leistungshindernis entgegensteht, welches eindeutig endgültig und unüberwindbar ist.321 Bei Leistungser-schwerung, bei welchen die Verhältnisse oft Veränderungen unterworfen sind, passt er 319 SCHWENZER, Nr. 68.10, befürwortet ein „Rücktrittsrecht nach Art. 97 Abs. 1 OR bzw. analog

Art. 107 Abs. 2 [OR]“ selbst bei Schlechtleistung, wenn diese eine wesentliche Vertragsverlet-zung darstellt.

320 Vgl. BUCHER, OR AT, S. 420; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3305, in Bezug auf die vorübergehen-de Unmöglichkeit.

321 Typische Beispiele sind etwa der Untergang einer Speziessache und die weiteren in Nr. 90 ge-nannten Beispiele.

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nicht. Aus dem Gesichtspunkt der Erfüllbarkeit des Realerfüllungsanspruchs rechtfer-tigt sich damit eine restriktive Anwendung von Art. 97 und 119 OR.

219 Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die Leistungserschwerung kein Fall der Unmöglichkeit im Sinne von Art. 97 und 119 OR ist. Offen bleibt freilich, ob damit bei Leistungserschwerung eine ganz normale mögliche Leistung vorliegt. Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass das nicht immer der Fall ist (Nr. 220 ff.). Unabhängig davon steht jedoch bereits jetzt fest, dass der Gläubiger bei Leistungs-erschwerung nach Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichten kann, wenn der Schuldner mit der Erbringung der Leistung in Verzug ist.322

322 Der Erhalt der Erfüllbarkeit und die Zulässigkeit eines Verzichts auf nachträgliche Erfüllung ent-

spricht der Rechtslage nach der Verzugstheorie, vgl. VON BÜREN, OR AT, S. 390.

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§ 7 Die übermässige Leistungserschwerung als Grenze der Erzwingbarkeit des Realerfüllungsanspruchs

I. Allgemeines

220 Nach dem in § 6 Gesagten bleibt der Realerfüllungsanspruch bei Leistungserschwerung erfüllbar: Der Schuldner kann – wenn er sich dazu in der Lage sieht – die Leistung trotz der Leistungserschwerung erbringen. In § 7 soll nun die Frage beantwortet werden, ob der Schuldner trotz der Leistungserschwerung zur Realerfüllung verpflichtet bleibt, und ob der Gläubiger die Leistung in natura einklagen und durchsetzen kann.

221 Ausgangspunkt bildet dabei die typische Interessenlage des Schuldners und des Gläubi-gers. Zur Erinnerung (vgl. Nr. 193 ff.): Die Parteien haben oft gegensätzliche Interessen: Der Schuldner möchte bei erhöhtem Erfüllungsaufwand typischerweise von der Pflicht zur Realerfüllung befreit werden (Befreiungsinteresse). Der Gläubiger hat hingegen ein Interesse, die Erfüllung trotz des erhöhten Erfüllungsaufwands in natura einfordern und durchsetzen zu können (Realerfüllungsinteresse). Kurz: Das Interesse des Schuldners richtet sich auf Befreiung, dasjenige des Gläubigers auf Fortbestand des Realerfüllungs-anspruchs. Diese gegensätzlichen Interessen gilt es gegeneinander abzuwägen.

1. Keine absolute Geltung von pacta sunt servanda

222 Eine Regel, wonach der Schuldner immer zur Realerfüllung verpflichtet ist und einzig bei absoluter Unmöglichkeit von dieser Pflicht befreit wird, gibt es im Schweizer Recht nicht. Bei solcher absoluter Geltung des Grundsatzes pacta sunt servanda würde das Be-freiungsinteresse des Schuldners missachtet und nur dann berücksichtigt, wenn das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers aus logischen Gründen (wegen der absoluten Unmöglichkeit) nicht verwirklicht werden kann. Dass der Grundsatz pacta sunt servan-da trotz seiner grossen Bedeutung keine absolute Geltung hat, ist anerkannt (vgl. Nr. 44). Er wird beispielsweise durchbrochen durch die clausula rebus sic stantibus (Nr. 115 ff.), das Recht zur Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund bei Dauerverträgen (Nr. 126 ff.) oder – nach der Unzumutbarkeitstheorie – durch die Anwendung der Unmöglichkeitsbestimmungen auf unzumutbare Leistungen (Nr. 57 ff.).

223 Gegen eine absolute Geltung von pacta sunt servanda sprechen drei Gründe. Erstens könnten (wirtschaftlich) unsinnige Leistungen erzwungen werden, was nicht richtig sein kann. Zweitens wäre der Schuldner der Willkür des Gläubigers ausgeliefert: Der Gläu-biger könnte vom Schuldner bei Erschwerung der Leistung die Bezahlung einer Ablöse-summe erzwingen, welche den Wert der Leistung für den Gläubiger übersteigt. Drittens

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würden sogar Anreize zur Zerstörung wertvoller Sachen gegeben. Dies sei anhand eines klassischen Beispiels verdeutlicht:

224 Beispiel: „Ring-Beispiel“:323 Der Schuldner verkauft dem Gläubiger einen wertvollen Ring für 50'000.- SFr., welchen der Gläubiger für 60'000.- SFr. weiterverkauft. Das Schiff, auf dem sich der Ring zum Zeitpunkt des Verkaufs befindet, geht vor der Über-gabe des Ringes an den Gläubiger unter. Solange der Ring existiert, könnte der Gläubi-ger – bei absoluter Geltung von pacta sunt servanda – auf Erfüllung beharren und die Bergung des Ringes auf Kosten des Schuldners verlangen. Dass dem Schuldner durch die hohen Bergungskosten ein beträchtlicher Schaden entstünde (nehmen wir einmal an, die voraussichtlichen Kosten beliefen sich auf 150'000.- SFr.), der den Kaufpreis und auch den Wert des Ringes (ausgewiesen durch das Kaufangebot für 60'000.- SFr.) überstiege, müsste den Gläubiger nicht stören. Weil der Schuldner (und nicht der Gläubiger selbst) die Bergungskosten zu tragen hätte, würde der Gläubiger auf der Ber-gung beharren, obwohl sie (wirtschaftlich) unsinnig wäre. Die Bergung ist unsinnig, weil die Kosten der Bergung den Wert des Ringes bei weitem übersteigen.

225 Mehr noch: Der Gläubiger könnte die hohen Bergungskosten sogar zu seinem Vorteil nützen, indem er dem Schuldner anbietet, gegen Bezahlung einer „Ablösesumme“ auf Realerfüllung zu verzichten. Der Gläubiger wird die Ablösesumme so wählen, dass sie den Wert des Ringes (60'000.- SFr.) übersteigt, aber geringer ist als die Bergungs-kosten (150'000.- SFr.). Denn einerseits wird der Gläubiger nicht auf den Erfüllungsan-spruch verzichten, wenn er nicht den vollen Wert des Ringes ersetzt bekommt. Und andererseits wird der Schuldner nie mehr als die Bergungskosten zu zahlen bereit sein. Der Schuldner hätte die Wahl zwischen der Bezahlung der Ablösesumme und der Real-erfüllung, und er würde sich für ersteres als das kleinere Übel entscheiden. Damit würde der Gläubiger infolge des Schiffsunglücks auf Kosten des Schuldners mehr erhalten (nämlich die Ablösesumme), als er bei Erfüllung in natura erhalten hätte (den Ring, welcher für ihn 60'000.- SFr. wert ist).

226 Dieser Zwickmühle könnte der Schuldner nur entkommen, wenn es ihm gelänge, den Ring zu zerstören. Dann hätte der Schuldner lediglich Schadenersatz nach Art. 97 OR zu entrichten (positives Vertragsinteresse), welches dem Wert des Ringes (60'000.- SFr.) entspricht. Dass das Recht Anreize zur Zerstörung von Sachen gibt, kann aber nicht die richtige Lösung sein.324

2. Keine Befreiung von der Realerfüllung nach Belieben des Schuldners

227 Ebenso wenig genügt freilich jede Erschwerung der Leistungserbringung für die Befrei-ung des Schuldners von der Pflicht zur Realerfüllung.325 Die Realerfüllung wird im Schweizer Recht nicht ins Belieben des Schuldners gestellt. Andernfalls könnte der 323 Vgl. die Nw. vorne in Anm. 50. 324 Vgl. in anderem Zusammenhang GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 430. 325 Vgl. statt vieler KOLLER, OR AT I, Nr. 613; MÜLLER-CHEN, S. 125.

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Schuldner bei jedem noch so kleinen Erfüllungshindernis, welches er nicht zu vertreten hat, Realerfüllung verweigern. Das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers würde voll-ständig missachtet, und der Gewinn, welchen der Schuldner zu machen hofft, würde ihm implizit garantiert.

228 Exkurs: Obwohl im amerikanischen Recht ein Realerfüllungsanspruch nicht bzw. nur im Aus-nahmefall besteht (Nr. 203), ist der Schuldner beim Entscheid, den Vertrag real zu erfüllen, nicht völlig frei. Im Gegensatz zu den meisten Civil Law-Rechtsordnungen haftet der Schuldner im anglo-amerikanischen Recht verschuldensunabhängig für Schadenersatz bei Nichterfüllung. Der Schuldner wird deshalb die Realerfüllung nur verweigern, wenn der Aufwand der Vertragserfüllung den zu bezahlenden Schadenersatz übersteigt. Ein solches System ohne direkten Realerfüllungs-zwang würde im Schweizer Recht wegen der Haftungsvoraussetzung des Verschuldens nicht funk-tionieren.

229 Auch wird der Schuldner nicht gegen Verlust geschützt.326 Der Schuldner erleidet einen Verlust, wenn der Aufwand der Vertragserfüllung den Wert der Gegenleistung (den „Preis“ der Leistung) übersteigt. Der Schuldner wird nicht von der Pflicht zur Realerfül-lung befreit, nur weil der Erfüllungsaufwand den Wert der Gegenleistung übersteigt. Andernfalls würde auch hier das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers missachtet. Wenn beispielsweise der Gläubiger den Vertrag abgeschlossen hat, um sich gegen den ungewissen Aufwand der Leistung abzusichern, so würde durch die Befreiung des Schuldners dieser Absicherungszweck des Vertrages gerade vereitelt.

II. Übermässige Leistungserschwerung: Missverhältnis zwischen Erfüllungsauf-wand und Realerfüllungsinteresse

1. Grundlagen

230 Damit steht fest, dass die richtige Lösung sowohl dem Interesse des Schuldners an der Befreiung vom Realerfüllungsanspruch (Befreiungsinteresse des Schuldners) als auch dem Interesse des Gläubigers an der Realerfüllung (Realerfüllungsinteresse des Gläubi-gers) Rechnung tragen muss. Es ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Realerfül-lung ist nicht gerechtfertigt, wenn das Befreiungsinteresse des Schuldners das Realerfül-lungsinteresse des Gläubigers überwiegt. Das Befreiungsinteresse des Schuldners misst sich am für die Erfüllung nötigen Aufwand (Erfüllungsaufwand) – je höher der Erfül-lungsaufwand, desto grösser das Interesse des Schuldners an der Befreiung. Realerfül-lung ist deshalb zu verweigern, wenn der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht.327,328 Die Fälle, bei welchen ein

326 Vgl. BGE 104 II 315. 327 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 67 II, S. 87: „Auch kann es ... vorkommen, dass die Erfüllung für den

Schuldner einen Schaden bedeutet, welcher unverhältnismässig grösser ist als das Erfüllungs-

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solches Missverhältnis besteht, werden im Folgenden „übermässige Leistungserschwerung“ genannt.329 Das Ganze bedarf der Erläuterung:

231 1. Grundlage für die Interessenabwägung bildet der Erfüllungsaufwand einerseits und das Realerfüllungsinteresse andererseits. Beide Begriffe sind weit zu verstehen. Zum Erfüllungsaufwand gehören nicht nur die Auslagen des Schuldners für die Beschaf-fung der für die Erfüllung nötigen Leistungen und des Materials, sondern alle dem Schuldner entstehenden Aufwendungen und Mühen, soweit sie für die Erbringung der Leistung wirklich nötig sind.330 Entscheidend ist also der gesamte Erfüllungsaufwand, der entsteht, wenn der Schuldner die Leistung – unter den gegebenen Umständen – auf die wirtschaftlichste Weise erbringt.

232 Ebenso geboten ist eine umfassende Berücksichtigung des Realerfüllungsinteresses des Gläubigers. Das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers ist – wie gesagt – dann be-sonders gross, wenn weder die Gegenleistung noch allfällige Schadenersatzansprüche für die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzleistung ausreichen (Nr. 187 ff.), bei-spielsweise infolge eines Affektionsinteresses oder nicht ersetzbaren vertragsspezifi-schen Aufwands. Damit dem Gläubiger die Chance der Realisierung der mit dem Vertrag verbundenen Vorteile nicht vorschnell genommen wird (Nr. 182 f.), müssen alle schützenswerten Interessen an der Realerfüllung beachtet werden. Zu berücksichtigen ist also nicht nur der blosse Markt- oder Verkehrswert der Leistung, sondern auch ein höherer subjektiver Wert, ja selbst ein Affektionsinteresse.331 Verlorener vertragsspezifi-scher Aufwand, z. B. verlorene Such- und Verhandlungskosten, sind ebenso relevant wie nicht materielle Interessen des Gläubigers, z. B. die Wahrung des guten Rufes des Gläubigers, der die Leistung weiterveräussert hat. Selbst spekulative Hoffnungen des Gläubigers können unter Umständen mitberücksichtigt werden.

233 2. Der Abwägung von Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse liegt der Gedanke zugrunde, dass es unsinnig ist, wenn der Schuldner für die Erbringung der

interesse des Gläubigers. ... In solchen Fällen kann der Richter in billiger Abwägung der Interes-sen die Erfüllungsklage verweigern und den Gläubiger auf Schadenersatz verweisen.“ BARTH, S. 62: „So verweigert man dem Gläubiger die nachträgliche Erfüllung nach Massgabe und gestützt auf das Prinzip von Treu und Glauben, wenn bei an sich erzwingbaren Forderungen die Aufwen-dungen für die Erfüllung in keinem Verhältnis zum Erfüllungsinteresse des Gläubigers stehen.“ Vgl. CAYTAS, S. 45; MÜLLER-CHEN, S. 244, ferner S. 124 f., insb. Anm. 562 (m. Hw. zum anglo-amerikanischen Institut der „hardship“); differenzierend MERZ, BerK, N 388 ff. zu Art. 2 ZGB.

328 Vgl. den im Rahmen der Schuldrechtsreform neu eingeführten § 275 Abs. 2 BGB n. F.: „Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beach-tung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.“ Kritisch dazu ZIMMER, NJW 2002, S. 3.

329 Vgl. auch MÜLLER-CHEN, S. 125. 330 Vgl. die Nw. zu Nr. 242. 331 Vgl. zum deutschen Recht LORENZ/RIEHM, Nr. 307.

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Leistung mehr Aufwand betreibt, als die Leistung für den Gläubiger wert ist (wobei „wert“ im dargelegten Sinne weit zu verstehen ist). Der Zweck der Verweigerung der Realerfüllung liegt damit letzten Endes in der Verhinderung der Verschwendung wertvoller Ressourcen. Gleichzeitig wird verhindert, dass der Gläubiger ungebührliche Vorteile erlangt, indem er gegen Bezahlung einer Ablösesumme auf Realerfüllung ver-zichtet; vgl. Nr. 225. Dieser Zweck liegt verschiedenen Bestimmungen des Obligatio-nenrechts zugrunde, namentlich Art. 368 Abs. 2 OR und Art. 163 Abs. 3 OR (Nr. 241 ff.), aber auch Art. 373 Abs. 2 OR (Nr. 254 ff.). Das Kriterium des Missverhältnis-ses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse kann auf dem Wege einer Gesamtanalogie aus den genannten Bestimmungen abgeleitet werden. Vor allem aber entspricht es der typischen Interessenlage der Parteien (Nr. 250 ff.).332

234 3. Eine Verschwendung von Ressourcen liegt freilich nicht nur vor, wenn das Miss-verhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse „grob, auffällig oder übermässig“ ist, sondern auch, wenn der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsin-teresse bloss geringfügig übersteigt.333 Das Bundesgericht setzt bei der Beschränkung des Nachbesserungsrechts im Werkvertrag, welcher dieselbe Ratio zugrunde liegt (Nr. 241 ff.), voraus, „dass der Nutzen ... die ... Kosten vernünftigerweise nicht mehr zu rechtfertigen vermag“.334 Damit wird – wenn ich das Bundesgericht richtig verstehe – zwar kein qualifiziertes Missverhältnis verlangt, aber dennoch zu einer gewissen Zurückhaltung bei der Befreiung des Schuldners gemahnt. Dem ist zuzustimmen. Neben dem Gedanken, dass nur Realerfüllung es dem Gläubiger erlaubt, die mit dem Vertrag verbundenen Vorteile zu verwirklichen, sprechen die Schwierigkeiten der Bestimmung des Erfüllungsaufwands und des Realerfüllungsinteresses für diese Auffassung.

332 Auch Treu und Glauben lässt sich zur Begründung heranziehen: Wenn der Gläubiger durch das

Bestehen auf einer Ablösesumme ungebührliche Vorteile zu erzwingen versucht (vgl. Nr. 225), verhält er sich treuwidrig. Das Beharren auf Realerfüllung ist für den Schuldner aber die einschneidendere Massnahme. Sie muss deshalb erst recht treuwidrig sein (zumal die Realerfül-lung dem Gläubiger geringere Vorteile bringt als das Erzwingen einer Ablösesumme).

333 Anders § 275 Abs. 2 BGB n. F., der ein „grobes Missverhältnis“ voraussetzt. Vgl. dazu PALANDT-HEINRICHS, Ergbd., N 26 und 28 zu § 275 BGB; KROPHOLLER, N 4 zu § 275 BGB; SCHULZE, Handkommentar BGB, N 21 zu § 275 BGB; sehr restriktiv z. B. LORENZ/RIEHM, Nr. 309 f., die vorschlagen, § 275 Abs. 2 BGB n. F. auf Fälle offensichtlichen Rechtsmissbrauchs zu beschränken, „auf offensichtliche Extremfälle ..., in denen überhaupt kein Zweifel daran bestehen kann, dass der Leistungsaufwand völlig ausser Verhältnis zum Interesse des Gläubigers steht, der Rechtsmissbrauch durch den Gläubiger also evident ist.“

334 BGE 111 II 174, unter Berufung auf KLAUSER, S. 113. Der vollständige Satz lautet: „Da der Aus-schluss des Nachbesserungsanspruchs bei übermässigen Kosten als Anwendungsfall der Untun-lichkeit einer Realerfüllung den Unternehmer vor nach Treu und Glauben unzumutbaren Forde-rungen schützen soll, genügt es für den Wegfall des Nachbesserungsrechts, dass der Nutzen des Bestellers die mit der Verbesserung verbundenen Kosten vernünftigerweise nicht mehr zu recht-fertigen vermag...“ Dies liesse darauf schliessen, dass nach der Auffassung des BGer dasselbe Kriterium als allgemeiner Grundsatz gilt.

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235 Bei der Bestimmung, ob ein solches Missverhältnis vorliegt, kann – im Sinne eines Gedankenexpe-riments – folgende Frage gestellt werden: Würde der Gläubiger, wenn er alle Kosten und Mühen der Leistungserbringung selbst zu berappen hätte, sich noch für die Durchführung des Vertrages ent-scheiden? Jeder rational denkende Gläubiger würde sich nämlich gegen die Durchführung des Ver-trages entscheiden, wenn der Erfüllungsaufwand sein Realerfüllungsinteresse übersteigt.

236 4. Bei der Beurteilung, ob Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse in einem Missverhältnis zueinander stehen, sind vertragliche Vereinbarungen mit zu berück-sichtigen.335 Die Parteien können selbst definieren, wann ein Missverhältnis vorliegt. Sie können vertraglich vereinbaren, welche Erfüllungsanstrengungen der Schuldner – wenn nötig – vornehmen muss bzw. welche er nicht vorzunehmen hat.336 Dass vertragliche Vereinbarungen zulässig sind, ist unbestritten.337 Durch die Konkretisierung der geschuldeten Erfüllungsanstrengungen verteilen die Parteien das vertragliche Risiko, und diese vertragliche Risikoverteilung ist für den Richter verbindlich.338

237 So unbestritten die Zulässigkeit von vertraglichen Vereinbarungen auch ist, so proble-matisch erweist sich im konkreten Fall die Ermittlung, ob die Parteien eine solche ver-tragliche Vereinbarung getroffen haben. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, ob die Parteien eine stillschweigende Vereinba-rung getroffen haben. Ist dies zu verneinen, so gilt die allgemeine Regel des Missver-hältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse. Nur ausnahms-weise, wenn der Vertrag konkrete Anhaltspunkte für einen abweichenden hypotheti-schen Parteiwillen gibt, kann der Vertrag gemäss dem von der allgemeinen Regel abweichenden hypothetischen Parteiwillen ergänzt werden.339 Damit ist die Frage des Wegfalls des Realerfüllungsanspruchs oftmals auch ein Problem der Vertragsauslegung und – seltener – der Vertragsergänzung. Auf diese Probleme wird in Zusammenhang mit Gattungsschulden ausführlich eingegangen (Nr. 382 ff.).

238 5. Gemäss dem soeben Gesagten ist bei übermässiger Leistungserschwerung Realerfüllung zu verweigern. Was damit im Einzelnen gemeint ist, wird hinten in Teil 3 ausführlich dargelegt. Damit die nachfolgenden Ausführungen nicht missverstanden werden, sei das Wichtigste der Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung hier vorweggenommen: Nach hier vertretener Auffassung ist der Schuldner bei über-mässiger Leistungserschwerung berechtigt, die Erbringung der Leistung in natura während deren Dauer zu verweigern.340 Beruft sich der Schuldner auf dieses Leistungs- 335 Vgl. § 275 Abs. 2 BGB n. F.; LORENZ/RIEHM, Nr. 308. 336 Vgl. MÜLLER-CHEN, S. 235 ff. und passim. 337 Sowohl den Unmöglichkeitsregeln (Art. 97 und 119 OR) als auch der clausula rebus sic stantibus

gehen vertragliche Vereinbarungen vor (vgl. Nr. 53 und Nr. 120). 338 MÜLLER-CHEN, S. 235 f. 339 KOLLER, OR AT I, Nr. 613. 340 Vgl. GUHL/KOLLER, § 38 N 41, in Bezug auf die sog. Unerschwinglichkeit. Vgl. zum deutschen

Recht den neuen § 275 Abs. 2 BGB n. F., dazu hinten Anm. 439; bereits vor Inkrafttreten der

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verweigerungsrecht (Einrede), kann er während der Dauer der übermässigen Leistungs-erschwerung nicht zur Realerfüllung verurteilt werden. Der Vertrag bleibt aber im Übri-gen grundsätzlich bestehen: Der Gläubiger kann – wie bereits gesagt – zuwarten und auf die Behebung der übermässigen Leistungserschwerung hoffen, um nach der Behebung Realerfüllung zu fordern. Er kann aber auch jederzeit nach Art. 107 Abs. 2 OR auf nach-trägliche Erfüllung verzichten und damit den Vertrag beenden. Nur unter besonderen Umständen hat der Schuldner das Recht, die Anpassung des Vertrages durch den Richter, namentlich dessen Auflösung zu verlangen.341 Wenn im Folgenden davon die Rede ist, dass bei übermässiger Leistungserschwerung der Realerfüllungsanspruch zu verweigern ist oder entfällt, so ist damit immer (nur) gemeint, dass dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht und unter bestimmten Umständen ein Recht auf rich-terliche Vertragsanpassung zusteht.

239 6. Im Folgenden wird wie folgt vorgegangen: Zuerst ist von der Herleitung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungs-interesse die Rede (Nr. 240 ff.). Sodann wird analysiert, ob verschiedene andere Fakto-ren, beispielsweise das Vorliegen einer Äquivalenzstörung, eines Verschuldens des Schuldners oder Gläubigers an der Leistungserschwerung, deren Voraussehbarkeit oder die Unentgeltlichkeit des Rechtsgeschäftes beim Entscheid über die Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs mit zu berücksichtigen sind (Nr. 258 ff.). Separat wird auf die Dauer der Leistungserschwerung eingegangen (Nr. 302 ff.). Schliesslich wird das Krite-rium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse anhand gewisser klassischer Beispiele konkretisiert (Nr. 350 ff.).

2. Herleitung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse

240 Das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungs-interesse kann nicht aus Art. 97 und 119 OR abgeleitet werden. Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte noch Zweck der Unmöglichkeitsbestimmungen lassen darauf schliessen.342 Auch die Lehre und Rechtsprechung zur clausula rebus sic stantibus kennt

Schuldrechtsreform EMMERICH, § 19 II, S. 212: „[J]edoch erlangt der Schuldner ein vorüber-gehendes Leistungsverweigerungsrecht, sofern und solange ihm die Leistung nicht mehr zuzu-muten ist, insb. wenn es sich um einen Fall der vorübergehenden Unmöglichkeit handelt, der nicht der endgültigen Unmöglichkeit gleichsteht.“ Ferner Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB.

341 Anders die Rechtslage im deutschen Recht: Das neu ins BGB aufgenommene Leistungsverweige-rungsrecht gemäss § 275 Abs. 2 BGB n. F. ist, obwohl als Einrede ausgestattet, Schuldbefrei-ungsgrund wie die in § 275 Abs. 1 BGB n. F. geregelte Unmöglichkeit. Vgl. PALANDT-HEINRICHS, Ergbd., N 26 zu § 275 BGB.

342 Immerhin sind nach der Unzumutbarkeitstheorie die Unmöglichkeitsbestimmungen anwendbar,

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das Kriterium nicht. Das Kriterium geht aber einerseits aus Art. 368 Abs. 2 OR und mittelbar auch aus Art. 163 Abs. 3 OR hervor. Andererseits entspricht es der typischen Interessenlage der Parteien. Schliesslich bestätigt Art. 373 Abs. 2 OR die hier vertretene Auffassung.

A. Beschränkung des Nachbesserungsrechts im Werkvertrag nach Art. 368 Abs. 2 OR

241 Im Werkvertrag hat der Besteller bei mangelhafter Ausführung des Werkes – unter be-stimmten Voraussetzungen – das Recht, die unentgeltliche Verbesserung des Werks zu verlangen (Art. 368 Abs. 2 OR). Gemäss Art. 368 Abs. 2 OR kann Nachbesserung nur geltend gemacht werden, wenn die Nachbesserung „nicht übermässige Kosten verur-sacht“. Übermässig bedeutet unverhältnismässig:343 „Die Nachbesserungskosten sind dann übermässig, wenn sie in einem Missverhältnis zum Nutzen stehen, den die Män-gelbeseitigung dem Besteller bringt“.344 Im Einzelnen:

242 Der gesamte Aufwand der Mängelbeseitigung ist dem gesamten Nutzen gegenüberzustellen. Zum Aufwand gehören damit nicht nur die Kosten der eigentlichen Mängelbeseitigung, sondern auch Begleitkosten, namentlich für Vorbereitungs- und Wiederherstellungsarbeiten, und Mangelbehe-bungsfolgekosten.345 Nicht nur die Auslagen des Unternehmers für eingekaufte Leistungen und Material sind zu berücksichtigen, sondern auch die vom Unternehmer selbst erbrachten Leistungen, ja sogar alle Anstrengungen und Mühen, welche dem Unternehmer entstehen.346 Ebenso sind auf Seiten des Bestellers nicht nur der Mehrwert des verbesserten Werks zu berücksichtigen, sondern auch nichtwirtschaftliche Interessen,347 beispielsweise das Interesse des Bestellers, dass die Hausfas-sade den vereinbarten Farbton aufweist.348 Der Nutzen ist namentlich beträchtlich, wenn vom unver-besserten Werk Gefahren für den Gläubiger oder Dritte ausgehen.349

243 Nicht vorausgesetzt wird jedoch, dass das Missverhältnis qualifiziert, beispielsweise „grob“ oder „krass“ ist.350 Es genügt „für den Wegfall des Nachbesserungsrechts, dass der Nutzen des Bestellers

„wenn die zur Erfüllung erforderliche Mühe und Aufwendung in keinem vernünftigen Verhältnis zum Wert der Leistung steht“, VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95; ferner MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 415a; WIEGAND, BasK, N 14 zu Art. 97 OR.

343 KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 91, unter Hinweis auf das österreichische und deutsche Recht; DERS., BR 1986, S. 11.

344 BGE 111 II 173 (Regeste); HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 11 zu Art. 368 OR; ZINDEL/ PULVER, BasK, N 48 zu Art. 368 OR, m. Hw.; KOLLER, BR 1986, S. 11.

345 BGE 111 II 174; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1755; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 11 zu Art. 368 OR; ZINDEL/PULVER, BasK, N 51 zu Art. 368 OR.

346 Teilweise abweichend ZINDEL/PULVER, BasK, N 52 zu Art. 368 OR. 347 BGE 111 II 174; ferner GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1757; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 11 zu

Art. 368 OR; KOLLER, BR 1986, S. 11; BÜHLER, ZürK, N 144 f. zu Art. 368 OR. 348 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1757. 349 Vgl. GAUCH, Werkvertrag Nr. 1760. 350 ZINDEL/PULVER, BasK, N 50 zu Art. 368 OR; LENZLINGER GADIENT, S. 111; GAUCH, Werkver-

trag, Nr. 1758; a. A. KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 94 Anm. 119: Vom Grundsatz pacta sunt

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die mit der Verbesserung verbundenen Kosten vernünftigerweise nicht mehr zu rechtfertigen ver-mag“.351 Das Bundesgericht lehnt auch die Berücksichtigung eines Missverhältnisses zwischen Ver-besserungskosten und Werklohn (also einer Äquivalenzstörung) richtigerweise ab (vgl. Nr. 259 ff.).352

244 Der Nachbesserungsanspruch ist nichts anderes „als der Erfüllungsanspruch in modifi-zierter Gestalt“.353 Art. 368 Abs. 2 OR setzt dem Realerfüllungsanspruch in Form des Nachbesserungsanspruchs damit ausdrücklich Grenzen. Dass der Gesetzgeber gerade beim Nachbesserungsanspruch eine ausdrückliche Beschränkung des Realerfüllungs-anspruchs vorsieht, erklärt GAUCH mit der Erfahrungstatsache, „dass eine Beseitigung des Mangels regelmässig höhere Kosten verursacht als die zur Vermeidung des Mangels erforderlichen Massnahmen“354 – die Gefahr eines Missverhältnisses zwischen Kosten und Nutzen ist damit hier besonders gross.

245 Gemäss dem Bundesgericht handelt es sich beim Ausschluss des Nachbesserungsan-spruchs bei übermässigen Kosten um einen Anwendungsfall der Untunlichkeit der Real-erfüllung: Der Unternehmer soll vor nach Treu und Glauben unzumutbaren Forderungen geschützt werden.355 Aus Art. 368 Abs. 2 OR lässt sich deshalb der allgemeine Grund-satz ableiten, dass der Realerfüllungsanspruch entfällt, wenn der Erfüllungsaufwand (die „Kosten“) in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse (dem „Nutzen“) steht.

B. Herabsetzung übermässiger Konventionalstrafen nach Art. 163 Abs. 3 OR

246 Das hier vertretene Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse kann sodann auf Art. 163 Abs. 3 OR abgestützt werden. Gemäss dieser Bestimmung sind übermässig hohe Konventionalstrafen durch den Richter nach seinem Ermessen herabzusetzen. Eine hohe Konventionalstrafe hat eine ähnliche Wir-kung wie der Realerfüllungsanspruch. Während durch letzteren die Erfüllung der Leis-tung unmittelbar erzwungen wird, übt erstere mittelbaren Zwang auf den Schuldner aus,

servanda „darf nur in Extremfällen abgewichen werden, so eben in Rechtsmissbrauchsfällen.“ Restriktiv auch GAUTSCHI, BerK, N 19 zu Art. 368 OR.

351 BGE 111 II 174. 352 BGE 111 II 174; zustimmend GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1752 f.; HUBER/SCHWENDENER, HandK,

N 11 zu Art. 368 OR; LENZLINGER GADIENT, S. 112; REBER, S. 150; BÜHLER, ZürK, N 144 zu Art. 368 OR, anders aber in N 146; a. A. KOLLER, BR 1986, S. 11 f., m. Hw.; GAUTSCHI, BerK, N 3c zu Art. 368 OR; ZINDEL/PULVER, BasK, N 50 zu Art. 368: „nur in extremen Fällen“.

353 KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 120, unter Hinweis auf LARENZ, Schuldrecht BT, S. 350; aus-drücklich auch OGer ZH, ZR 79 (1980), Nr. 129 S. 278 = SJZ 78 (1982), S. 9: „Der Verbesse-rungsanspruch ist ein Erfüllungsanspruch.“

354 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1765. 355 BGE 111 II 174; OGer ZH, ZR 79 (1980), Nr. 129, S. 279 = SJZ 78 (1982) Nr. 1, S. 9 f.; zustim-

mend GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1749 und 1765; ZINDEL/PULVER, BasK, N 47 zu Art. 368 OR; KLAUSER, S. 113; KOLLER, BR 1986, S. 11; BÜHLER, ZürK, N 145 f. zu Art. 368 OR.

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den Vertrag real zu erfüllen.356 Wenn die Konventionalstrafe übermässig hoch ist, hat der Schuldner faktisch keine andere Wahl, als die Leistung zu erbringen. Dass Art. 163 Abs. 3 OR den mittelbaren Zwang zur Realerfüllung beschränkt, bestätigt freilich die Auffassung, dass der Realerfüllungsanspruch generell beschränkt sein muss. Es wäre nicht konsequent, die mittelbare Erzwingbarkeit der Realerfüllung in Art. 163 Abs. 3 OR zu beschränken, aber die unmittelbare unbeschränkt zu lassen.

247 Mehr noch: Bei der Beurteilung der Übermässigkeit einer Konventionalstrafe berück-sichtigt die bundesgerichtliche Rechtsprechung das Verhältnis zwischen der vereinbar-ten Konventionalstrafe und dem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung der gesicher-ten Forderung,357 aber auch zahlreiche andere Gesichtspunkte.358 Eine Herabsetzung ist „insbesondere gerechtfertigt, wenn zwischen der Konventionalstrafe und dem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung ein krasses Missverhältnis besteht...“359 Nicht nur die finanziellen Interessen des Gläubigers an der Erfüllung sind zu berücksichtigen, sondern jedes berechtigte Interesse, auch ein Affektionsinteresse.360 In einem Entscheid aus dem Jahre 1903 hat das Bundesgericht sogar ausdrücklich festgehalten, die Konventional-strafe sei „auf denjenigen Betrag herabzusetzen, der, wenn er im Vertrage stipuliert wäre, zwar als das gesamte Erfüllungsinteresse deckend, nicht aber als übermässig zu bezeichnen wäre“.361 Das Bundesgericht scheint deshalb bei Konventionalstrafen jenes Kriterium mit zu berücksichtigen, welches auch Art. 368 Abs. 2 OR zugrunde liegt. Der allgemeine Grundsatz (Nr. 230 ff.) lässt sich deshalb auch auf Art. 163 Abs. 3 OR ab-stützen.362

356 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 87 I, S. 277; FISCHER, S. 162; ZIEGLER, HandK, N 3 zu Art. 161 OR;

ausführlich SANTORO, S. 23 f. und S. 117; BENTELE, S. 12; ferner GUHL/SCHNYDER, § 56 N 12. Nicht treffend erscheint mir, die Konventionalstrafe als „Selbsthilferecht“ zu bezeichnen (so SANTORO, S. 108), ist doch der Gläubiger auch zur Durchsetzung einer Konventionalstrafe auf staatliche Hilfe angewiesen.

357 BGE 82 II 146; BGE 114 II 264; BGE 103 II 108; BGE 103 II 135; BGE 95 II 540; BGE 91 II 383; BGE 69 II 79; BGE 68 II 174; BGE 63 II 249; BGE 29 II 704.

358 BGE 114 II 265 fasst zusammen: Zu den zu berücksichtigenden Umständen des Einzelfalls „...gehören insbesondere die Art und Dauer des Vertrages (BGE 38 II 102), die Schwere des Ver-schuldens und der Vertragsverletzung (BGE 103 II 135, 91 II 383), das Interesse des Ansprechers an der Einhaltung des Verbots (BGE 103 II 135) sowie die wirtschaftliche Lage der Beteiligten (BGE 95 II 539 f.), namentlich des Verpflichteten... Zu berücksichtigen sind ferner allfällige Abhängigkeiten aus dem Vertragsverhältnis und die Geschäftserfahrungen der Beteiligten. Gegenüber einem Arbeitnehmer, der in der Regel auch der wirtschaftlich Schwächere ist, recht-fertigt sich eine Herabsetzung eher als unter wirtschaftlich gleichgestellten und geschäfts-kundigen Vertragspartnern...“ Vgl. ferner die Übersicht bei EHRAT, BasK, N 16 f. zu Art. 163 OR.

359 BGE 103 II 108; BGE 95 II 540; BGE 68 II 174, m. w. Nw. 360 Gl. A. VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 285; BUCHER, OR AT, S. 532; vgl. auch BGE 29 II 704 f.

und BGE 63 II 249 f.; ferner BENTELE, S. 121; FISCHER, S. 164; SANTORO, S. 113; SCHERRER, S. 29.

361 BGE 29 II 706. 362 VON BÜREN, OR AT, S. 412, will Art. 163 Abs. 3 OR analog anwenden auf „Verschärfungen der

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248 Anders ausgedrückt: Der Schuldner wird einen Vertrag mit Konventionalstrafe erfüllen, wenn der Erfüllungsaufwand geringer ist als die Konventionalstrafe. Wenn die Konventionalstrafe in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht, wird der Schuldner auch dann zur Erfüllung in natura gezwungen, wenn der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsinteresse übersteigt. Art. 163 Abs. 3 OR hat den Zweck, ein solches Ergebnis zu verhindern.

249 Gleichzeitig aber widerspricht Art. 163 Abs. 3 OR dem Grundsatz, dass die Parteien durch vertragliche Vereinbarung bestimmen können, wann ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse besteht (Nr. 236). Insofern ist Art. 163 Abs. 3 OR eine problematische Bestimmung: Vereinbaren die Parteien eine hohe Kon-ventionalstrafe, so deutet das darauf hin, dass das Realerfüllungsinteresse der Höhe der Konventionalstrafe entspricht (zur Begründung vgl. Nr. 250 f.).363 Zu Recht wird deshalb allgemein zur Zurückhaltung bei der Anwendung von Art. 163 Abs. 3 OR ge-mahnt.364 Ein richterlicher Eingriff scheint deshalb grundsätzlich nur gerechtfertigt, wenn sich die Verhältnisse seit dem Vertragsschluss verändert haben,365 das Realerfül-lungsinteresse also in der Zwischenzeit gesunken ist. Ausserdem kann eine Herab-setzung geboten sein, wenn sich eine verhandlungsschwache Partei zur Leistung einer Konventionalstrafe an eine verhandlungsstarke Partei verpflichtet hat, weil wegen der ungleichen Verhandlungsmacht allenfalls geschlossen werden muss, dass die Konven-tionalstrafe nicht das Resultat einer ausgewogenen Verhandlung ist,366 und damit dem Erfüllungsinteresse nicht entspricht.

Verstossfolgen irgendwelcher Art, beispielsweise auf über das Gesetz hinausgehende Verfall- oder Verwirkungsklauseln, auf Vereinbarungen, die zwar nicht von einem Schadenseintritt, aber von den Ersatzbemessungsregeln absehen ..., und dergleichen. ... Art. 163 III ist als der Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens anzusehen...“

363 Vgl. VON BÜREN, OR AT, S. 412: Die Konventionalstrafe will „nicht Schadenersatz und nicht Ausgleich sein..., sondern [ist] Ausdruck einer vertraglichen Interessenwertung...“ (Hervorhe-bung hinzugefügt).

364 Vgl. BGE 114 II 264; BGE 103 II 135 f.; BGE 95 II 540; BGE 68 II 174; ferner z. B. EHRAT, BasK, N 10 zu Art. 163 OR; GUHL/SCHNYDER, § 56 N 7; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3951; SANTORO, S. 111; ZIEGLER, HandK, N 5 zu Art. 161 OR. M. E. sollte der Fokus – abgesehen von veränderten Umständen und unterschiedlicher Verhandlungsmacht (siehe Text) – auf Willens-mängel bei der Vereinbarung gerichtet werden; ähnlich VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 284. Das Gesetz gibt für eine solche Auslegung jedoch wenig Anhaltspunkte.

365 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 284; vgl. auch Pra 78 (1989) Nr. 36, S. 147, Erw. 2b (in BGE 114 II 264 f. nicht abgedruckt) und BGE 103 II 136. Bei der Beurteilung der Übermässig-keit der Höhe der Konventionalstrafe ist jedenfalls auf den Zeitpunkt der Nichterfüllung der Hauptleistung, nicht auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, vgl. BGE 114 II 264; BGE 69 II 79; BENTELE, S. 110 und 122; VON BÜREN, OR AT, S. 411 f.; EHRAT, BasK, N 11 zu Art. 163 OR; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3947 und 3954; ZIEGLER, HandK, N 7 zu Art. 163 OR.

366 Vgl. BGE 41 II 142 f.; BENTELE, S. 111; bspw. im Arbeitsvertrag, vgl. SANTORO, S. 108 ff.

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C. Typische Interessenlage der Parteien

250 Die Beschränkung des Realerfüllungsanspruchs bei übermässiger Leistungserschwerung entspricht sodann der typischen (generell-abstrakten) Interessenlage der Parteien und damit der Regel, welche der Richter nach Art. 1 Abs. 2 ZGB modo legislatoris zu schaf-fen hat.367 Die Überlegung, welche dies zeigt, ist eine wirtschaftliche. Sie lässt sich am einfachsten anhand eines Beispiels formal darlegen. Vgl. dazu Nr. 252 f. Das Argument lässt sich aber auch intuitiv erfassen:

251 Ausgangspunkt bildet die Feststellung, dass die Realerfüllung bei übermässiger Leis-tungserschwerung eine Verschwendung von Ressourcen ist, weil es unsinnig ist, wenn der Schuldner mehr Aufwand für die Erbringung der Leistung betreibt, als die Leistung für den Gläubiger wert ist (vgl. Nr. 233). Die Parteien eines Vertrages, der Realerfüllung auch bei übermässiger Leistungserschwerung vorsieht („strenger Vertrag“), können sich deshalb gemeinsam und auch je einzeln besser stellen, wenn sie bei übermässiger Leis-tungserschwerung auf die Durchführung des Vertrages verzichten. Dies zeigt das Ring-Beispiel (Nr. 224 ff.). Die Parteien profitieren beide davon, wenn sie den Vertrag neu verhandeln, so dass der Gläubiger gegen Bezahlung einer Ablösesumme auf Realerfül-lung verzichtet. Sowohl Gläubiger als auch Schuldner werden durch die Neuverhand-lung besser gestellt. Die Parteien brauchen mit der Neuverhandlung freilich nicht zuzu-warten, bis eine übermässige Leistungserschwerung eintritt. Wenn sie von Anfang an einen Vertrag ohne Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung vereinbaren („milder Vertrag“), haben sie die gleichen Vorteile. Zudem vermeiden sie, dass der Gläubiger bei der Neuverhandlung alle Vorteile für sich beansprucht, vom Schuldner also eine zu hohe Ablösesumme verlangt (was gar zum Abbruch der Neuverhandlungen führen könnte). Weil der Vertrag ohne Realerfüllungsanspruch bei übermässiger Leis-tungserschwerung der ideale Vertrag für beide Parteien ist (der Vertrag ist effizient), entspricht es der typischen Interessenlage der Parteien am besten, wenn der Realerfül-lungsanspruch bei übermässiger Leistungserschwerung entfällt.

252 Formal: Nehmen wir an, der Schuldner verspreche dem Gläubiger eine Leistung gegen Bezahlung des Preises p, welcher grösser ist als die Kosten der Leistungserbringung k (sonst würde der Schuld-ner den Vertrag nicht freiwillig eingehen), aber kleiner als der Wert der Leistung für den Gläubiger w (sonst würde der Gläubiger dem Vertrag nicht zustimmen), also w > p > k. Es können jedoch Ereignisse eintreten, welche die Leistungserbringung über den Wert der Leistung hinaus verteuern (übermässige Leistungserschwerung). Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts solcher Ereignisse sei q. Bei Eintritt dieser Ereignisse betragen die Kosten der Leistungserbringung K (K > w).

367 Vgl. MEIER-HAYOZ, BerK, N 317 ff. zu Art. 1 ZGB.

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253 Die Parteien können vertraglich vereinbaren, ob der Schuldner die Leistung auch bei Eintritt der Ereignisse zu erbringen hat („strenger Vertrag“) oder nicht („milder Vertrag“). Wenn der Schuldner die Leistung auch bei Eintritt dieser Ereignisse erbringen muss, so will er dafür entschädigt werden: Er verlangt also einen Preis, der um q · K höher ist als wenn er bei Eintritt der Ereignisse befreit wird.368 Dem höheren Preis entspricht natürlich ein höherer Nutzen für den Gläubiger: Da er Real-erfüllung auch bei Eintritt der Ereignisse erhalten wird, ist der strenge Vertrag q · w mehr Wert als der milde Vertrag, bei dem der Schuldner befreit wird.369 Der Mehrnutzen des strengen Vertrags (q · w) ist aber kleiner als der Preisaufschlag (q · K), den der Gläubiger für den strengen Vertrag zu be-zahlen hat: q · w < q · K.370 Für einen Mehrnutzen von q · w ist kein Gläubiger q · K zu zahlen be-reit.371 Der Gläubiger wird also immer den milden Vertrag abschliessen wollen, während der Schuldner indifferent ist, weil er für die Extrakosten des strengen Vertrages entschädigt wird. Es entspricht deshalb der typischen Interessenlage der Parteien, dass der Schuldner befreit wird, wenn die Kosten der Vertragserfüllung den Nutzen der Realerfüllung übersteigen.

D. Richterliche Vertragsanpassung bei ausserordentlichen Umständen im Werk-vertragsrecht nach Art. 373 Abs. 2 OR

254 Das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungs-interesse wird auch durch Art. 373 Abs. 2 OR bestätigt. Diese Bestimmung sieht – wie gesagt – vor, dass der Richter, „[f]alls ... ausserordentliche Umstände ... die Fertigstel-

368 Wenn der Schuldner bei Eintritt der Ereignisse befreit wird, so entstehen ihm keine Extrakosten.

Er verlangt also den normalen Preis. Wenn der Schuldner die Leistung auch bei Eintritt der Ereig-nisse zu erbringen hat, so entstehen ihm Extrakosten: Wenn die Ereignisse eintreten, was mit Wahrscheinlichkeit q passiert, hat er Kosten von K. Er wird also eine Extraentschädigung verlan-gen, welche der Wahrscheinlichkeit der höheren Kosten multipliziert mit den höheren Kosten ent-spricht, also q · K. Beim strengen Vertrag wird deshalb der Preis um q · K höher sein als beim milden Vertrag.

369 Wenn der Schuldner befreit wird, so hat der Gläubiger keinen Extranutzen. Wenn aber der Schuldner die Leistung auch bei Eintritt der Ereignisse zu erbringen hat, resultiert für den Gläubi-ger ein zusätzlicher Nutzen von q · w, weil der Gläubiger die Leistung auch erhält, wenn er sie beim milden Vertrag nicht erhalten würde.

370 In Nr. 252 haben wir angenommen, dass die Kosten der Leistungserbringung bei Eintritt der Ereignisse den Wert der Leistung übersteigen: K > w. Multipliziert man beide Seiten mit q, erhält man q · K > q · w, oder umformuliert q · w < q · K.

371 Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Gläubiger risikoavers ist, er also gegen das Ausbleiben der Leistung „versichert“ sein will. Dann wäre der Gläubiger allenfalls mehr als q · w und allen-falls sogar mehr als q · K zu zahlen bereit, so dass der strenge Vertrag zustande käme. Dafür muss aber vorausgesetzt werden, dass der Schuldner risikoneutral (oder zumindest weniger risikoavers als der Gläubiger) ist, weil ein risikoaverser Schuldner für das zusätzliche Risiko nicht nur q · K, sondern eine zusätzliche Risikoprämie verlangen würde. Dass der Schuldner weniger risikoavers ist als der Gläubiger, mag zwar im Einzelfall so sein (beispielsweise wenn der Schuldner viele Verträge abgeschlossen hat, so dass er sich selbst versichern kann), im Allgemeinen besteht aber kein Anlass für diese Annahme. Mehr noch: Auch ein risikoaverser Gläubiger würde dem stren-gen Vertrag einen Vertrag vorziehen, der ihm bei Leistungserschwerung den Ersatz des vollen Werts der Leistung in Geld zugesteht. Dieser Vertrag ist für den Gläubiger gleich wertvoll wie der strenge Vertrag, für den Schuldner aber billiger, was sich in einem tieferen Preis nieder-schlägt.

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lung [des Werkes] hindern oder übermässig erschweren ... nach seinem Ermessen eine Erhöhung des Preises oder die Auflösung des Vertrages bewilligen [kann].“ Art. 373 Abs. 2 OR sieht demnach zwei mögliche Eingriffe des Richters in den Vertrag vor, die Erhöhung des Preises372 einerseits und die Auflösung des Vertrages andererseits, wobei letzteres im Prinzip der Verweigerung der Realerfüllung verbunden mit anderen Auf-lösungsfolgen entspricht.373 Welcher der beiden möglichen Eingriffe der angemessenere ist, entscheidet der Richter „nach seinem Ermessen“, das heisst nach Recht und Billig-keit. Er berücksichtigt dabei die Interessen beider Parteien.374

255 Dabei ist zu beachten, dass die beiden möglichen Eingriffe in ihrer Wirkung verschieden sind. Wohl kann durch die Erhöhung der Vergütung ein Missverhältnis zwischen dem (erhöhten) Erfüllungsaufwand und der Vergütung, also eine Äquivalenzstörung behoben werden. Ist aber der Erfüllungsaufwand so gestiegen, dass gar ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse des Gläubigers vorliegt (über-mässige Leistungserschwerung), ist eine Erhöhung der Vergütung nicht sinnvoll. Die Vergütung müsste in diesem Falle über das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers hi-naus erhöht werden, was ihm nicht zugemutet werden kann.375 Der Richter muss des-halb bei übermässiger Leistungserschwerung auf Auflösung des Vertrages erkennen.376 Umgekehrt ist die Auflösung des Vertrages nicht angebracht, wenn zwar keine übermäs-sige Leistungserschwerung, also kein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse vorliegt, wohl aber ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsauf-wand und Vergütung (Äquivalenzstörung).

256 Beispiel: „Badzimmerkacheln-Beispiel“: Ein Bauunternehmer verpflichtet sich zum Umbau des Bads des Bauherrn zu einem Festpreis. Es stellt sich jedoch heraus, dass die ausgewählten Kacheln nur noch sehr schwer erhältlich sind, weil der Produzent seinen Betrieb eingestellt hat. Dadurch wird der Umbau so erheblich verteuert, dass der Erfül-lungsaufwand in einem Missverhältnis zum vereinbarten Festpreis steht. Unterstellen wir, dass der Bauherr die ausgewählten Kacheln ganz besonders schätzt, so dass dem Mehraufwand ein entsprechender Nutzen für den Bauherrn gegenübersteht. Da in diesem Falle keine übermässige Leistungserschwerung vorliegt, wird der Vertrag nicht aufgelöst, doch hat der Bauunternehmer Anspruch auf eine Erhöhung der Vergütung. Sind umge-kehrt aber die Kacheln für den Bauherrn ohne besonderen Wert und durch andere ersetz-

372 Zum Ausmass der Erhöhung BGE 104 II 317; BGE 50 II 167. 373 Vgl. zu den Auflösungsfolgen z. B. ZINDEL/PULVER, BasK, N 28 f. zu Art. 373 OR; GAUCH,

Werkvertrag, Nr. 1117 ff. 374 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1119; ZINDEL/PULVER, BasK, N 30 zu Art. 373 OR. 375 Vgl. ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 zu Art. 373 OR; ferner BÜHLER, ZürK, N 44 zu Art. 373 OR. 376 Ähnlich Jo KOLLER, S. 50: „Die vorzeitige Beendigung des Vertrages kann sich aber rechtferti-

gen, falls das Interesse des Unternehmers an der Vertragsauflösung – obwohl Aussicht auf Preis-aufbesserung besteht – stärker wiegt als das Interesse des Bestellers an der Erfüllung.“ Die herr-schende Lehre gibt dem Richter beim Entscheid zwischen Preiserhöhung und Vertragsauflösung mehr Ermessen; vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1119 ff.; ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 zu Art. 373 OR.

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bar, so besteht ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Wert der Leistung. Der Vertrag wird deshalb (teilweise – d. h. in Bezug auf den Einbau der schwer erhältli-chen Kacheln) aufgelöst und die Parteien können über den Einbau anderer Kacheln eine neue Vereinbarung treffen.

257 Das Gesagte ist insofern etwas vereinfacht, als der Unternehmer zum Zeitpunkt des Ein-tritts der Leistungserschwerung oft mit der Werkausführung bereits begonnen hat. Gege-benenfalls ist der für die Werkvollendung notwendige Erfüllungsaufwand mit dem Interesse des Gläubigers an der Werkvollendung abzuwägen und auf Vertragsauflösung (statt Vergütungserhöhung) zu erkennen, wenn ersterer letzteres übersteigt. Das Interes-se des Gläubigers an der Werkvollendung wird dabei wesentlich dadurch beeinflusst, ob das unvollendete Werk für ihn brauchbar ist.377

3. Der Einfluss anderer Faktoren auf die übermässige Leistungserschwerung

258 Nach dem soeben Gesagten lässt sich aus Art. 368 Abs. 2 OR, Art. 163 Abs. 3 OR und auch Art. 373 Abs. 2 OR auf dem Wege der Gesamtanalogie der Grundsatz ableiten, dass der Realerfüllungsanspruch bei übermässiger Leistungserschwerung zu verweigern ist: Entscheidend ist dabei das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsauf-wand und Realerfüllungsinteresse. In diesem Kapitel wird untersucht, ob andere Fakto-ren beim Entscheid über die Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs mit zu berück-sichtigen sind. Vorab ist die Rede von der Äquivalenzstörung (Nr. 259 ff.) und sodann vom Fall, dass der Schuldner oder der Gläubiger die übermässige Leistungserschwerung zu vertreten hat (Nr. 269 ff. bzw. 276 ff.). Anschliessend wird untersucht, welchen Ein-fluss es hat, wenn der Schuldner die Leistungserschwerung vorausgesehen hat oder wenn die Leistungserschwerung voraussehbar war (Nr. 282 ff.). Schliesslich spreche ich von der Leistungserschwerung bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften (Nr. 296 ff.) sowie von der Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs (Nr. 300 f.).

A. Äquivalenzstörung

a. Keine Berücksichtigung bei Entscheid über die Verweigerung der Realerfül-lung

259 Die clausula rebus sic stantibus setzt für die Anpassung des Vertrages an veränderte Verhältnisse (wie die herrschende Lehre zu Art. 373 Abs. 2 OR) eine gravierende Äqui-valenzstörung voraus, d. h. ein grobes, offenbares, übermässiges Missverhältnis zwischen Leistung (Erfüllungsaufwand) und Gegenleistung (Nr. 116). Dieses Kriterium

377 Vgl. ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 a. A. zu Art. 373 OR; BÜHLER, ZürK, N 44 zu Art. 373 OR.

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der gravierenden Äquivalenzstörung ist nach hier vertretener Auffassung für den Ent-scheid über die Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs nicht relevant.378 Weder dem Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung noch der (absoluten) Höhe der Gegenleistung kommt eine Bedeutung zu (vgl. auch Nr. 229). Dies bedarf der Erläuterung:

260 Einerseits ist eine gravierende Äquivalenzstörung für den Wegfall des Realerfüllungs-anspruchs nicht hinreichend. Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Wert der Gegenleistung kann – wie soeben im Zusammenhang mit Art. 373 Abs. 2 OR erläutert – auf zwei Arten behoben werden, durch Verweigerung der Realerfüllung oder durch Erhöhung der Gegenleistung. Die Verweigerung der Realerfüllung ist die sachge-rechte Lösung, wenn eine übermässige Leistungserschwerung vorliegt, der Erfüllungs-aufwand also in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse steht. Ist dies nicht der Fall, überwiegt also das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers das Befreiungs-interesse des Schuldners nach wie vor, so ist wenn überhaupt die Erhöhung der Gegen-leistung die sachgerechte Lösung (sofern eine Anpassung überhaupt zulässig und gebo-ten ist; dazu Nr. 264 ff.). Dem Gläubiger wird der Anspruch auf Realerfüllung belassen, unter der Bedingung, dass er eine erhöhte Gegenleistung erbringt.

261 Durch die Verweigerung der Realerfüllung wird das Aufwandrisiko vollständig dem Gläubiger übertragen: Will der Gläubiger die Leistung dennoch erhalten, muss er sie sich anderweitig be-schaffen und damit – vorbehältlich eines allfälligen Schadenersatzanspruchs – den gesamten Er-füllungsaufwand selbst tragen. Dies geht zu weit: Das Aufwandrisiko soll dem Schuldner in jedem Falle belassen werden, soweit es gemäss Vertrag vom Schuldner übernommen wurde. Dies lässt sich am einfachsten durch Erhöhung der Gegenleistung erreichen (vgl. Nr. 264 ff.)

262 Andererseits ist eine gravierende Äquivalenzstörung für den Wegfall des Realerfül-lungsanspruchs nicht erforderlich. Der Schuldner kann die Realerfüllung bei übermäs-siger Leistungserschwerung verweigern, auch wenn der Erfüllungsaufwand nicht in einem Missverhältnis zum Wert der Gegenleistung steht. Dies folgt aus der Überlegung, dass der Zweck der Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs die Verhinderung der Verschwendung wertvoller Ressourcen ist. Ob eine solche vorliegt, hängt nicht vom Wert der Gegenleistung ab, sondern einzig vom Erfüllungsaufwand und vom Realerfül-lungsinteresse.

263 Das soeben Gesagte muss auch nach Art. 373 Abs. 2 OR gelten. Die Auflösung des Vertrages nach Art. 373 Abs. 2 OR ist deshalb nach hier vertretener Auffassung entgegen der Lehre und Recht-sprechung379 bei übermässiger Leistungserschwerung zulässig, auch wenn keine gravierende Äqui-valenzstörung besteht.

378 Gl. A. PICHONNAZ, Nr. 407 ff.; ferner in Bezug auf Art. 373 Abs. 2 OR ERDIN, Nr. 237 ff.; zum

deutschen Recht LORENZ/RIEHM, Nr. 306; KROPHOLLER, N 4 zu § 275 BGB. 379 BGE 104 II 314 ff.; ZINDEL/PULVER, BasK, N 22 zu Art. 373 OR, m. Hw.; GAUCH, Werkvertrag,

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b. Erhöhung der Gegenleistung bei Äquivalenzstörung?

264 Eng verknüpft mit dem soeben Gesagten ist die Frage, ob und unter welchen Voraus-setzungen der Schuldner bei einer gravierenden Äquivalenzstörung (ohne dass eine übermässige Leistungserschwerung vorliegt) Anspruch auf eine Erhöhung der Gegen-leistung hat. Gemäss hier vertretener Auffassung ist ein solcher Anspruch – entgegen Art. 373 Abs. 2 OR – mangels einer ausdrücklichen oder stillschweigenden vertragli-chen Vereinbarung nur im absoluten Ausnahmefall zu gewähren, weil er einen Eingriff in die vertragliche Risikoverteilung darstellt:

265 Durch die konkrete Ausgestaltung des Vertrages verteilen die Parteien das vertragliche Risiko. Ent-scheiden sich die Parteien beispielsweise für einen festen Preis für die Leistung des Schuldners, trägt der Schuldner das Risiko, dass die Leistung nur mit erhöhtem Erfüllungsaufwand erbracht wer-den kann („Aufwandrisiko“). Wird umgekehrt ein „Preis nach Aufwand“ vereinbart, trifft das Auf-wandrisiko den Gläubiger. Dazwischen sind beliebige Mittellösungen denkbar. Auch die Umschreibung der Leistungspflicht des Schuldners beeinflusst die Risikoverteilung. Die Parteien können beispielsweise vereinbaren, dass der Schuldner nur bestimmte Erfüllungsanstrengungen vorzunehmen hat oder er bei bestimmten Leistungshindernissen frei wird, und dadurch das Aufwandrisiko des Schuldners beschränken. Oder die Parteien vereinbaren, dass der Schuldner unabhängig vom Erfüllungsaufwand zur Realerfüllung verpflichtet ist.380

266 Eine solche vertragliche Risikoverteilung liegt – ausdrücklich oder stillschweigend – jedem Vertrag zugrunde. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil des von den Parteien ausgehandelten Vertrages und damit für den Richter grundsätzlich verbindlich (Nr. 236). Realisiert sich das allozierte Risiko, so mag die vertragliche Risikoverteilung im Nachhinein als hart oder gar ungerecht erscheinen. Dies gilt namentlich, wenn bei einem Vertrag mit festem Preis der Erfüllungsaufwand infolge veränderter Verhältnisse stark gestiegen ist (vgl. Art. 373 Abs. 2 OR) und eine gravierende Äquivalenzstörung resultiert.381

267 Nach der hier vertretenen Auffassung gilt – mangels abweichender vertraglicher Vereinbarung – die allgemeine Regel, dass der Schuldner die Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung, d. h. wenn der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsinteresse übersteigt, verweigern kann (vgl. zur Begründung insb. Nr. 250 ff.). In einem Vertrag mit festem Preis trägt der Schuldner also das Auf-wandrisiko bis zur Grenze der übermässigen Leistungserschwerung.382 Es fragt sich nun, ob in diese

Nr. 1056 ff.; REBER, S. 85.

380 Zum Ganzen MÜLLER-CHEN, S. 236 f., mit Beispielen. 381 Um dieses Ergebnis zu vermeiden, verweigern gewisse Autoren die Realerfüllung, wenn hinrei-

chende Gründe für die Annahme bestehen, dass der Schuldner das realisierte Risiko nicht über-nommen hat. Vgl. z. B. MÜLLER-CHEN, S. 242: „Niemand würde eine Verpflichtung eingehen, wenn er damit rechnen müsste, ohne Berücksichtigung gravierender Veränderungen daran gebun-den zu bleiben.“

382 Genauer: Der Schuldner hat den Erfüllungsaufwand zu tragen, sofern er das Realerfüllungs-interesse nicht übersteigt (nicht übermässige Leistungserschwerung). Übersteigt der Erfüllungs-aufwand das Realerfüllungsinteresse (übermässige Leistungserschwerung), so kann der Schuldner die Realerfüllung verweigern. Bei Verschulden oder anderer Verantwortung hat er dem Gläubiger aber das Erfüllungsinteresse als Schadenersatz zu ersetzen.

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vertragliche Risikoverteilung zur Korrektur einer Äquivalenzstörung eingegriffen werden darf, wenn die Voraussetzungen einer übermässigen Leistungserschwerung nicht gegeben sind.

268 Generell ist bei der Anpassung der dem Vertrag immanenten Risikoverteilung grosse Zurückhaltung geboten. Die Anpassung der Risikoverteilung ist ein schwerwiegender Eingriff ins Vertragsverhältnis, der – was besonders bedenklich ist – erst vorgenommen wird, nachdem sich das Risiko verwirklicht hat.383 Unzulässig ist der Eingriff deshalb immer, wenn sich die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend über die Risikover-teilung geeinigt haben.384 So ist beispielsweise bei spekulativen Verträgen eine Anpas-sung ausgeschlossen.385 Die Anpassung ist sodann nach hier vertretener Auffassung (und entgegen Art. 373 Abs. 2 OR) nur zulässig, wenn der Vertrag konkrete Anhalts-punkte dafür gibt, dass eine Anpassung der Risikoverteilung dem hypothetischen Partei-willen entspricht. Dies wird hinten anhand des Beispiels der Gattungsschulden ausführ-lich erläutert (Nr. 400 ff.).

B. Verantwortung des Schuldners

a. Allgemeines

269 Lehre und Rechtsprechung lassen eine Vertragsanpassung wegen veränderter Verhält-nisse oder eine ausserordentliche Vertragsbeendigung aus wichtigem Grund (meist) nur zu, wenn die Vertragspartei, welche sich auf die Verhältnisänderung bzw. den wichtigen Grund beruft, die veränderten Umstände nicht zu vertreten hat. Beispielsweise ist die Berufung auf die clausula rebus sic stantibus ausgeschlossen,386 wenn der Schuldner oder eine Hilfsperson, für die der Schuldner gemäss Art. 101 OR einzustehen hat, die veränderten Umstände verschuldet hat oder wenn der Schuldner den Eintritt der ver-änderten Umstände pflichtwidrig nicht verhindert, z. B. durch rechtzeitige Eindeckung mit Ware,387 durch genügende Vorbereitung der Leistungserbringung oder Ergreifung von Gegenmassnahmen388 usw. Die Verantwortung des Schuldners schliesst gemäss der Lehre und Rechtsprechung auch die Berufung auf ausserordentliche Umstände nach Art.

383 Der Eingriff wirkt, pointiert gesagt, etwa so, wie wenn der Richter jemandem erlaubt, rückwir-

kend eine Versicherung abzuschliessen, nachdem der Schadensfall eingetreten ist. 384 MÜLLER-CHEN, S. 235 f. 385 Vgl. die Nw. vorne in Anm. 190, ferner MÜLLER-CHEN, S. 237 und 274. 386 BGE 50 II 166; vgl. auch BGE 127 III 304 f.; BGE 59 II 379 f. = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 470;

BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB; BISCHOFF, S. 216 ff.; KRAMER, BerK, N 342 zu Art. 18 OR; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233; MERZ, BerK, N 227 zu Art. 2 ZGB; SCHMIEDLIN, S. 110. Offener JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 672 f. zu Art. 18 OR: „So kann sich z. B. die Nichtanpassung des Vertrages aus folgenden Gründen rechtfertigen: ...“ (Hervorhebung hin-zugefügt). Differenzierend DESCHENAUX, SPR II, S. 202.

387 OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233. 388 Vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1109; ERDIN, Nr. 349.

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373 Abs. 2 OR389 oder die Kündigung des Mietvertrages aus wichtigem Grund gemäss Art. 266g OR aus.390

270 Zur Begründung dieses Erfordernisses der fehlenden Verantwortung des Schuldners führt die Lehre an, dass sich „nach feststehenden Rechtsgrundsätzen niemand ... auf sein eigenes Verschulden berufen kann“.391 Zudem wird auf die Unmöglichkeitsregeln ver-wiesen: „[W]enn sich der Schuldner bei verschuldeter Unmöglichkeit der Leistung nicht befreien kann [vgl. Art. 97 Abs. 1 OR], so soll ihm dieses Recht a fortiori auch bei blosser Leistungserschwerung nicht zustehen“.392

b. Eigener Ansatz

271 Der Verweis auf die Unmöglichkeitsregeln erweckt Zweifel daran, ob das Erfordernis der fehlenden Verantwortung des Schuldners in dieser Allgemeinheit gilt. Zwar wird der Schuldner bei verschuldeter Unmöglichkeit nicht ersatzlos befreit, doch wandelt sich der Realerfüllungsanspruch immerhin gemäss Art. 97 Abs. 1 OR in einen Schadenersatzan-spruch um (Nr. 52 f.). Der Vertrag gilt also bei Unmöglichkeit auch bei Verschulden des Schuldners nicht unverändert weiter.

272 Bei übermässiger Leistungserschwerung ist meines Erachtens in Analogie zu den Un-möglichkeitsregeln zu entscheiden. Die Verantwortung des Schuldners schliesst die Be-rufung auf übermässige Leistungserschwerung nicht aus.393 Der Schuldner kann Realer-füllung verweigern und es steht ihm – bei gegebenen Voraussetzungen – ein Recht auf richterliche Vertragsanpassung zu. In beiden Fällen hat der Schuldner den Gläubiger jedoch für den entstandenen Schaden schadlos zu halten (vgl. Art. 337b Abs. 1 OR, Art. 97 Abs. 1 OR). Dies bedarf der Erläuterung:

273 1. Die Verweigerung der Realerfüllung bei übermässiger Leistungserschwerung (Leis-tungsverweigerungsrecht bzw. Vertragsanpassung) dient – wie gesagt – der Verhinde-

389 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1109; ERDIN, Nr. 340; BGE 113 II 516 = Pra 78 (1989) Nr. 17, S. 82;

auch BGE 104 II 316. 390 BGE 122 III 265 f.; BGE 33 II 577; Botsch. zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27.

März 1985, BBl 1985 I , S. 1451; HIGI, ZürK, N 36 zu Art. 266g OR; PERMANN, HandK, N 2 und 4 zu Art. 266g OR; PERMANN/SCHANER, N 6 zu Art. 266g OR; SVIT-Kommentar Mietrecht, N 11 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 5 zu Art. 266g OR; LACHAT/STOLL, S. 323 f. und S. 333; MENGE, S. 98; ENGEL, BT, Nr. 40 S. 185.

391 BGE 33 II 577. Vgl. auch OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233; ERDIN, Nr. 340. Ferner z. B. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1109: „Das versteht sich von selbst“.

392 BISCHOFF, S. 216 f.; MERZ, BerK, N 227 zu Art. 2 ZGB. 393 Eine Mittellösung gilt im deutschen Recht: Das Vertretenmüssen eines Leistungshindernisses

schliesst zwar die Berufung auf § 275 Abs. 2 BGB n. F. nicht aus, doch ist gemäss § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB n. F. „[b]ei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ... auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.“ Vgl. SCHULZE, Handkommentar BGB, N 22 zu § 275 BGB; KROPHOLLER, N 4 zu § 275 BGB.

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rung der Verschwendung von wertvollen Ressourcen (Nr. 233). Diese Überlegung gilt unabhängig davon, ob der Schuldner die übermässige Leistungserschwerung zu vertre-ten hat oder nicht: Es kann nicht sein, dass eine (wirtschaftlich) unsinnige Leistung er-zwungen wird, selbst wenn der Schuldner den Eintritt der entsprechenden Situation selbst zu verantworten hat. So wenig wie der Bestand des Realerfüllungsanspruchs von einem Verschulden des Schuldners abhängt, so wenig tut es sein Wegfall.

274 2. Andererseits soll der Schuldner seine Lage aber durch sein (schuldhaftes) Verhalten nicht zum Nachteil des Gläubigers verbessern können. Bei der Bestimmung der ver-mögensrechtlichen und übrigen Folgen der Verweigerung des Realerfüllungsanspruchs müssen deshalb die Interessen des Gläubigers möglichst vollständig berücksichtigt wer-den – dies mit der Ausnahme des Realerfüllungsinteresses des Gläubigers, denn hier überwiegt das Befreiungsinteresse des Schuldners. Der Schuldner schuldet deshalb vollen Schadenersatz (vgl. Art. 337b Abs. 1 OR; Art. 97 Abs. 1 OR).394 Können die Interessen des Gläubigers dadurch besser befriedigt werden, so kann der Schuldner allenfalls auch zur Erbringung einer Ersatzleistung verpflichtet werden (dazu Nr. 530 ff.).

275 3. Das Gesagte soll freilich nicht bedeuten, dass eine Vertragsanpassung auch in ande-ren Situationen (als bei übermässiger Leistungserschwerung) trotz eines Verschuldens des Schuldners zulässig wäre. Im Gegenteil: Die hier vorgeschlagene Lösung bezieht sich ausschliesslich auf den Spezialfall der übermässigen Leistungserschwerung und be-ruht auf der Ratio, dass in diesem Falle die Realerfüllung objektiv betrachtet unsinnig ist. In anderen Fällen, z. B. bei einer blossen Äquivalenzstörung, stellt sich dieses Prob-lem nicht. Mit Ausnahme der übermässigen Leistungserschwerung kann deshalb am Er-fordernis der fehlenden Verantwortung des Schuldners als Voraussetzung für die Ver-tragsanpassung nach der clausula rebus sic stantibus oder anderen Bestimmungen fest-gehalten werden.

C. Verantwortung und Sphäre des Gläubigers

a. Allgemeines

276 Nach dem soeben Gesagten kann sich der Schuldner auch auf eine übermässige Leis-tungserschwerung berufen (und die Leistung verweigern oder die Anpassung des Ver-trages durch den Richter verlangen), wenn er die übermässige Leistungserschwerung selbst zu vertreten hat. A fortiori muss dem Schuldner dieses Recht zustehen, wenn der Gläubiger die übermässige Leistungserschwerung zu vertreten hat oder das der über-

394 Vgl. auch Art. 377 OR.

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mässigen Leistungserschwerung zugrunde liegende Leistungshindernis in der Sphäre des Gläubigers begründet ist. Das versteht sich eigentlich von selbst.

277 Zudem muss die Verantwortlichkeit des Gläubigers an der übermässigen Leistungser-schwerung bei der Bestimmung der vermögensrechtlichen Folgen der Leistungsverwei-gerung bzw. Vertragsanpassung berücksichtigt werden: Nach hier vertretener Auffas-sung kann der Richter den Gläubiger zum Ersatz der Auslagen des Schuldners verpflich-ten, wenn die Leistung durch einen im Gefahrenbereich des Gläubigers eingetretenen Umstand übermässig erschwert wurde (in Analogie zu Art. 378 Abs. 1 und 376 Abs. 3 OR). Trifft den Gläubiger gar ein Verschulden am Eintritt der übermässigen Leistungs-erschwerung oder hat er diese aus anderem Grunde zu vertreten (z. B. nach Art. 101 OR), so hat der Schuldner zusätzlich Anspruch auf Schadenersatz (analog zu Art. 378 Abs. 2, 376 Abs. 3 und 337b Abs. 1 OR). Vgl. dazu hinten Nr. 525 f.

b. Erleichterte Anforderungen bei Verantwortung des Gläubigers?

278 Wie verhält es sich aber, wenn das Verhalten des Gläubigers zwar nicht zu einer über-mässigen Leistungserschwerung führt, die Leistung durch das Verhalten des Gläubigers aber dennoch (nicht übermässig) erschwert wird? Nach der allgemeinen Regel wäre der Schuldner in diesem Falle eigentlich nicht zur Leistungsverweigerung berechtigt. Es er-scheint jedoch als stossend, wenn der Schuldner die Leistung unverändert erbringen muss, obschon der Gläubiger die Leistungserschwerung verschuldet oder aus anderem Grunde zu vertreten hat.395

279 Vielmehr hat der Schuldner in diesem Falle Anspruch auf Vergütung seiner (zusätzli-chen) Erfüllungsanstrengungen,396 welche durch das Verhalten des Gläubigers verur-sacht wurden. Eine solche „Zusatzvergütung“ scheint sachlich gerechtfertigt: Mangels ausdrücklicher abweichender Vereinbarung trifft jede Vertragspartei eine aus Treu und Glauben abgeleitete, stillschweigende Nebenpflicht oder Obliegenheit,397 die Erbrin-gung der Leistung der Gegenpartei nicht zu erschweren.398 Die Verletzung dieser Ne-benpflicht bzw. Obliegenheit rechtfertigt meines Erachtens einen Anspruch auf eine Zu-satzvergütung. Es wäre unbillig, wenn eine Partei die Erbringung der Leistung der Ge-genpartei erschweren könnte, ohne die Gegenpartei dafür zu entschädigen. Im Einzel-nen:

395 Vgl. ERDIN, Nr. 263. 396 In diesem Sinne BGE 52 II 442 f.; ERDIN, Nr. 263 ff. 397 Ob es sich um eine eigentliche Pflicht des Gläubigers handelt oder um eine Obliegenheit, wird

hier offengelassen. 398 Vgl. GIGER, S. 68, in Bezug auf Leistungsunmöglichkeit.

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280 1. Der Schuldner kann die Erbringung der Leistung von der Bezahlung oder Sicher-stellung einer angemessenen Zusatzvergütung abhängig machen. Er hat das Recht, die Erbringung der Leistung zu verweigern, solange ihm die Zusatzvergütung weder bezahlt noch sichergestellt wird. Das Gesetz sieht dies freilich für diesen Fall nicht ausdrücklich vor, doch gewährt es dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht in anderen Fäl-len: Nach Art. 83 OR, wenn der Gläubiger zahlungsunfähig geworden ist und dadurch der Anspruch des Schuldners gefährdet wird,399 und nach Art. 82 OR, wenn der Vertrag Zug um Zug zu erfüllen ist oder der Gläubiger vorleistungspflichtig ist und er die Ge-genleistung nicht bereits erbracht oder Erfüllung angeboten hat. Es rechtfertigt sich meines Erachtens in Analogie zu diesen Bestimmungen auch im vorliegenden Falle, die Leistungsverweigerung zuzulassen.

281 2. Wenn der Gläubiger die Zusatzvergütung innert angemessener Frist weder bezahlt noch sicherstellt, kann der Schuldner den Vertrag in Analogie zu Art. 83 Abs. 2 OR aus-serordentlich auflösen. Gegebenenfalls hat der Schuldner zusätzlich Anspruch auf Scha-denersatz (Nr. 277).

D. Voraussehbarkeit

a. Lehre und Rechtsprechung

282 Verschiedene Gesetzesbestimmungen lassen eine Vertragsanpassung oder ausserordent-liche Vertragsbeendigung nur zu, wenn die Partei, welche sich auf eine Verhältnisände-rung beruft, die Verhältnisänderung nicht vorausgesehen hat und auch nicht voraussehen konnte. So besteht ein Anspruch auf Vertragsanpassung gemäss Art. 373 Abs. 2 OR bei „Umstände[n], die nicht vorausgesehen werden konnten“, nicht aber bei voraussehbaren Umständen. Auch das vorzeitige Rückgaberecht des Aufbewahrers (Art. 476 Abs. 1 OR) und das vorzeitige Rückforderungsrecht des Verleihers (Art. 309 Abs. 2 OR) setzen „unvorhergesehene Umstände“ bzw. „eine[n] unvorhergesehenen Fall...“ voraus. Die Lehre und Rechtsprechung hat dieses Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit (und der fehlenden Voraussicht) ausserdem auf die clausula rebus sic stantibus400 und Art. 266g OR401 übertragen. Es fragt sich damit, ob die Befreiung des Schuldners von der Realer- 399 Vgl. auch Art. 316 Abs. 1 OR. 400 BGE 127 III 304 f.; BGE 101 II 19 und 21; BGE 97 II 398; ferner BGE 59 II 374 f. und 380 = Pra

22 (1933) Nr. 176, S. 465 f. und 471; BGE 51 II 197; BAUMANN, ZürK, N 455 zu Art. 2 ZGB; BISCHOFF, S. 204 ff.; WIEGAND, BasK, N 101 ff. zu Art. 18 OR; ferner DESCHENAUX, révision, S. 555a ff.; DESCHENAUX, SPR II, S. 202; ENGEL, BT, Nr. 40 S. 185; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 663 ff. zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 337 ff. zu Art. 18 OR; MERZ, BerK, N 223 zu Art. 2 ZGB; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233 f.

401 BGE 122 III 265 f.; BGer, mp 96/1, S. 17 f.; BGer, Pra 84 (1995) Nr. 142, S. 459 ff.; Botsch. zur Revision des Miet- und Pachtrechts vom 27. März 1985, BBl 1985 I, S. 1451; BGE 63 II 82; BGE 33 II 577 zum alten Art. 292 OR; abgeschwächt in BGE 60 II 211 ff. zum alten Art. 292

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füllung (Leistungsverweigerungsrecht bzw. Vertragsanpassung) bei übermässiger Leis-tungserschwerung ebenfalls nur zulässig ist, wenn der Schuldner die Umstände, welche zur übermässigen Leistungserschwerung geführt haben, weder vorausgesehen hat noch voraussehen konnte. Bevor zu dieser Frage Stellung genommen wird (Nr. 293 ff.), sollen vier Punkte zur Lehre der Voraussehbarkeit kurz dargestellt werden:

283 1. Gemäss der Lehre und Rechtsprechung geht es beim Erfordernis der Nichtvoraus-sehbarkeit nicht allein darum, ob das eingetretene Ereignis bzw. die eingetretene Ver-hältnisänderung voraussehbar war. Entscheidend ist vielmehr, ob auch die konkreten Auswirkungen der verwirklichten Verhältnisänderung auf das zu beurteilende Vertrags-verhältnis voraussehbar waren.402 Eine Vertragsanpassung kommt deshalb auch in Frage, wenn „...zwar die Verhältnisänderung als solche voraussehbar war, nicht aber deren Art, Umfang oder Auswirkung auf den Vertrag“.403

284 2. Das Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit ist vom Standpunkt eines sorgfältigen und sachkundigen Schuldners (objektive Betrachtungsweise),404 nicht von der Warte des Gläubigers aus zu beurteilen.405 Jedoch sind dem individuellen Schuldner besondere Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen anzulasten (subjektive Betrachtungsweise).406 Voraussehbar sind Ereignisse (bzw. deren Auswirkungen auf den Vertrag), „wenn die betreffende Partei nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit der späteren Entwicklung vernünftigerweise rechnen musste“.407 Dies trifft zu, wenn die Wahrscheinlichkeit dieser Entwicklung so gross war, „dass für einen vernünftigen Menschen in der Lage des Be-troffenen Grund bestand, den Vertragsschluss zu unterlassen oder jedenfalls eine Siche-rung in den Vertrag aufzunehmen“.408

OR; HIGI, ZürK, N 37 zu Art. 266g OR; PERMANN, HandK, N 2 zu Art. 266g OR; PERMANN/ SCHANER, N 4 zu Art. 266g OR; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 5 zu Art. 266g OR; SVIT-Kommentar Mietrecht, N 11 zu Art. 266g OR; MENGE, S. 98; ENGEL, BT, Nr. 40 S. 185.

402 BISCHOFF, S. 204 f.; WIEGAND/BERGER, S. 89; vgl. BGE 50 II 166. 403 JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 670 zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 340 zu Art. 18 OR; BGE 127 III

305 f.; BGE 50 II 166. In BGE 51 II 197 hat das Bundesgericht die Kriegserklärung im rumä-nisch-österreichischen Krieg i. c. zwar für voraussehbar gehalten, aber festgehalten, dass dennoch „nicht gefolgert werden [kann], dass deshalb auch sämtliche durch diese Kriegserklärung bewirk-ten Ereignisse voraussehbar gewesen seien und daher die Einrede der höheren Gewalt für alle diese Fälle von vorneherein ausgeschlossen worden sei.“

404 BGE 109 II 336; BGE 104 II 317; BGE 58 II 422 f.; BGer, Semjud 115 (1993), S. 656; BGer, Semjud 111 (1989), S. 335 = BR 1989, S. 69 f., Nr. 101; ERDIN, Nr. 284.

405 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1076. 406 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1076; ERDIN, Nr. 291 ff.; AppH BE, ZBJV 118 (1982), S. 524 = BR

1983, S. 72, Nr. 56. 407 JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 667 zu Art. 18 OR; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1079; SCHMIEDLIN, S.

111; BISCHOFF, S. 207; ERDIN, Nr. 285; ähnlich BGer, mp 96/1, S. 18; BGE 104 II 316; BGer, Semjud 111 (1989), S. 335 = BR 1989, S. 69 f., Nr. 101; implizit auch BGE 58 II 423.

408 G. KEGEL, Empfiehlt es sich, den Einfluss grundlegender Veränderungen des Wirtschaftslebens auf Verträge gesetzlich zu regeln und in welchem Sinn?, Gutachten für den 40. Deutschen Juris-tentag 1953, Heft II B, Tübingen 1954, S. 135 ff., S. 203; zit. nach BISCHOFF, S. 207; ferner

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285 3. Damit ist allerdings noch nicht viel darüber gesagt, was für ein Massstab anzuwen-den ist. Die Meinungen gehen auseinander: Teilweise wird ein „eher strenger Mass-stab“409 gefordert: Schon bei „einfacher Möglichkeit“ des Eintritts der betreffenden Ereignisse kann Voraussehbarkeit gegeben sein.410 Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Ereignisse braucht also nicht besonders hoch zu sein. Andere Autoren wiederum for-dern, dass es mit der Voraussehbarkeit „nicht zu streng genommen“ wird.411 Das Bundesgericht hat zu unterschiedlichen Zeiten verschieden entschieden. Gemäss BGE 109 II 336 aus dem Jahre 1934 bleibt dem Schuldner die Berufung auf veränderte Ver-hältnisse nur verwehrt, wenn er um die Verhältnisänderungen „geradezu gewusst“412 hat. Gemäss Pra 84 (1995) Nr. 143 aus dem Jahre 1994 ist umgekehrt die Berufung auf die veränderten Verhältnisse nur zulässig, wenn im Zeitpunkt des Abschlusses des Ver-trages mit dem künftigen Ereignis „absolut nicht zu rechnen war“.413

286 4. Die Unzulässigkeit einer Vertragsanpassung wird im Falle tatsächlicher Voraus-sicht wie folgt begründet: Hat der Schuldner die kritischen Ereignisse „tatsächlich vor-ausgesehen, so ist anzunehmen, er habe das Risiko bewusst auf sich genommen“.414 Andernfalls „hätte nach Treu und Glauben ein unmissverständlicher Vorbehalt ange-bracht werden müssen“,415 „...weil es die Parteien in diesem Fall in der Hand gehabt hätten, sich gegen das Risiko der Verhältnisänderung abzusichern“.416 Im Falle blosser Voraussehbarkeit tritt der Aspekt des Verschuldens in den Vordergrund:417 Hat der Schuldner „die betreffenden Ereignisse nicht vorausgesehen, obwohl sie voraussehbar waren, so gereicht ihm diese Nichtvoraussicht zum Verschulden, was eine Berufung

JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 667 zu Art. 18 OR.

409 BGE 109 II 336; BGE 104 II 317; BGer, Semjud 111 (1989), S. 335 = BR 1989, S. 69 f., Nr. 101; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1076.

410 DESCHENAUX, révision, S. 555a f. Oder wie BISCHOFF, S. 207 es ausdrückt: Die Verhältnisände-rungen „brauchen also nicht geradezu wahrscheinlich zu sein“.

411 KRAMER, BerK, N 339 zu Art. 18 OR; abwägend WIEGAND, BasK, N 101 zu Art. 18 OR. 412 Vgl. BGE 60 II 213 (zum alten Art. 269 OR): „Nur wenn man dem Kläger entgegenhalten könn-

te, er habe geradezu gewusst , dass sich die wirtschaftliche Lage in dieser Weise entwickeln wer-de, könnte ihm das Recht zur Kündigung ... versagt werden.“ Und weiter: „...es kann lediglich ge-sagt werden, der Kläger habe die Entwicklung zu optimistisch beurteilt und habe sich dabei sehr stark verrechnet. Das steht einer Berufung auf Art. 269 OR aber nicht im Wege.“

413 Pra 84 (1995) Nr. 143, S. 461 (zu Art. 266g OR); zustimmend PERMANN/SCHANER, N 6 zu Art. 266g OR.

414 OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233. Ferner BGE 63 II 79; SCHMITZ, S. 47; SCHMIEDLIN, S. 110 f.

415 MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 498a. 416 KRAMER, BerK, N 337 zu Art. 18 OR; BGE 33 II 577: „weil aus dem Umstande, dass jemand

einen ...[Vertrag] abschliesst, trotzdem ihm gewisse ... Übelstände bekannt sind oder bekannt sein müssen, der Schluss zu ziehen ist, dass er diese Übelstände nicht als «unerträglich» betrachtet.“

417 Vgl. z. B. SIEGWART, S. 114; GAUTSCHI, BerK, N 15a zu Art. 373 OR.

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darauf ausschliesst“.418 Das Nichtbeachten von Umständen, die für einen korrekten und vernünftigen Menschen voraussehbar sind, ist ein Fall von (Selbst-)Verschulden.419

b. Kritik

287 Das Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit und fehlenden Voraussicht vermag nicht in jeder Hinsicht zu überzeugen:

288 1. Dies gilt einerseits für seine Begründung (vgl. Nr. 286): So kann nicht gesagt wer-den, dass der Schuldner, der eine Verhältnisänderung tatsächlich vorausgesehen hat, das Risiko der Verhältnisänderung in jedem Falle bewusst auf sich genommen hat. Die Par-teien können sehr wohl eine Verhältnisänderung vorausgesehen haben, aber keine Regel in den Vertrag aufgenommen haben, beispielsweise weil sie dies vergessen oder nicht für wichtig befunden haben oder sich darüber nicht einigen konnten. In diesem Falle haben sie die Frage der Verhältnisänderung aber nicht stillschweigend zu Lasten des Schuldners geregelt, sondern eben stillschweigend offengelassen. Der offengelassene Punkt ist vom Richter „nach der Natur des Geschäftes“ (vgl. Art. 2 Abs. 2 OR), d. h. nach dem hypothetischen Parteiwillen zu schliessen,420 der so oder anders sein kann.

289 Aber auch im Falle der blossen Voraussehbarkeit überzeugt die Begründung der Lehre nicht vollends: War der Eintritt einer übermässigen Leistungserschwerung vorausseh-bar, so hat der Schuldner allenfalls die Pflicht, den Gläubiger darauf hinzuweisen (vgl. Nr. 596 ff.). Unterlässt er dies, gereicht ihm dies unter Umständen zum Verschulden. Hat er dies aber getan, oder war das Risiko dem Gläubiger bekannt, so kann dem Schuldner kein Vorwurf gemacht werden. Hinzu kommt: Wird die Voraussehbarkeit als Fall des Verschuldens des Schuldners aufgefasst, so dürfte sie gemäss der hier vertrete-nen Ansicht die Befreiung des Schuldners vom Realerfüllungsanspruch bei übermässi-ger Leistungserschwerung (Leistungsverweigerungsrecht bzw. Vertragsanpassung) nicht ausschliessen, sondern würde lediglich (aber immerhin!) zu voller Schadloshaltung führen (vgl. Nr. 271 ff.).

290 2. Als problematisch erscheint andererseits die Unterscheidung zwischen voraussehba-ren und nicht voraussehbaren Ereignissen. Voraussehbar sind gemäss der Lehre und Rechtsprechung – wie gesagt – Ereignisse, welche ein sorgfältiger und sachkundiger Schuldner beim Vertragsschluss hätte beachten müssen (Nr. 284). Der sorgfältige und 418 BISCHOFF, S. 205; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 233. BGE 59 II 380 = Pra 22

(1933) Nr. 176, S. 471: „[D]er tatsächlichen Voraussicht der künftigen Veränderung der Umstän-de ist das Voraussehenmüssen ... gleichzuachten, sonst liefe die Anwendung der Klausel auf eine Prämierung des Leichtsinnes zum Nachteil des Vertragsgegners hinaus.“ Vgl. auch ERDIN, Nr. 277.

419 HIGI, ZürK, N 37 zu Art. 266g OR. 420 Vgl. KOLLER, OR AT I, Nr. 592.

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sachkundige Schuldner bezieht aber nicht nur Ereignisse mit hoher Eintretenswahr-scheinlichkeit in seine Kalkulation ein, sondern auch andere Ereignisse, indem er sie als Restrisiko berücksichtigt. Er kann dies beispielsweise tun, indem er bei seiner Preiskal-kulation einen entsprechenden Zuschlag „für unvorausgesehene Ereignisse“ macht oder einen Vorbehalt für „höhere Gewalt“, „starken Preisanstieg“ oder ähnliches in den Vertrag aufnimmt. Er braucht dazu keine konkrete Vorstellung vom Ereignis zu haben, das eintreten könnte. Insofern ist jedes Ereignis „voraussehbar“, auch die so genannt nicht voraussehbaren.

291 Angenommen, der Ausbruch eines Krieges im Land des Schuldners führe zu einer erheblichen Preissteigerung des vom Schuldner benötigten Rohstoffes. Auch wenn im Zeitpunkt des Vertrags-schlusses niemand mit dem Ausbruch eines Krieges gerechnet hat, so ist doch die dadurch bewirkte Preissteigerung nur Teil eines umfassenderen Risikos, nämlich des Risikos einer Rohstoffpreisstei-gerung im Allgemeinen, welches als Ganzes sehr wohl voraussehbar und abschätzbar sein kann. Deshalb kann das Argument, dass die Ursache, welche letztlich zur Verwirklichung des umfassen-deren Risikos geführt hat, nicht voraussehbar war, nicht zur Entlastung des Schuldners führen. Da das umfassendere Risiko voraussehbar war, kommt nichts darauf an, ob der Ausbruch des Krieges im Schuldnerland, Unruhen im Ursprungsland der Rohstoffe, Unfälle beim Transport, Arbeitskampf im Transportgewerbe, eine drastische Veränderung der Wirtschaftslage oder sonst etwas (oder auch verschiedene Ereignisse zusammen) die Veränderung bewirkt hat. All diese Ereignisse mögen für sich allein genommen nicht voraussehbar sein, zusammen sind sie es. Da aber jedes Ereignis in eine umfassendere Risikokategorie eingeteilt werden kann, die abschätzbar ist, scheint das Erfordernis der Voraussehbarkeit, wie es von der Lehre und Rechtsprechung verstanden wird, kein taugliches Kriterium zu sein.421,422

292 Will man am Erfordernis der Voraussehbarkeit festhalten, so sollte es meines Erachtens anders verstanden werden: Voraussehbarkeit ist gegeben, wenn der Schuldner hätte er-kennen können, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit ein bestimmtes oder irgendein unbe-stimmtes übermässiges Leistungshindernis eintreten kann. Die Voraussehbarkeit bezieht sich damit auf den Eintritt einer übermässigen Leistungserschwerung im Allgemeinen, nicht auf ein konkretes Leistungshindernis oder Ereignis.

c. Eigener Ansatz: Keine selbständige Bedeutung

293 Nach hier vertretener Auffassung kommt dem Erfordernis der Nichtvoraussehbarkeit und fehlenden Voraussicht keine selbständige Bedeutung zu. Das heisst freilich nicht, dass die Voraussehbarkeit bzw. Voraussicht einer übermässigen Leistungserschwerung

421 Grundlegend dazu George G. TRIANTIS, Contractual allocations of unknown risks: a critique of

the doctrine of commercial impracticability, University of Toronto Law Journal 1992, S. 450 ff. 422 Vgl. zur Illustration die Ausführungen von WIEGAND/BERGER, S. 90 ff., zur Voraussehbarkeit

der Auswirkungen der Einführung des Euro.

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gänzlich unbeachtlich wäre. Sie findet sehr wohl Beachtung, einerseits bei der Vertrags-auslegung und -ergänzung und andererseits im Rahmen des Verschuldens:

294 1. Einerseits ist der Umstand, dass der Schuldner eine übermässige Leistungserschwe-rung vorausgesehen hat oder dass sie voraussehbar war, bei der Vertragsauslegung und Vertragsergänzung zu berücksichtigen. Dieser Umstand kann zusammen mit anderen Umständen im Rahmen der Vertragsauslegung zum Auslegungsresultat führen, dass der Schuldner oder der Gläubiger das entsprechende Risiko stillschweigend übernommen hat. Ist eine entsprechende stillschweigende Vereinbarung nicht erkennbar, so kann der Umstand der Voraussicht oder Voraussehbarkeit zusammen mit anderen Umständen im Rahmen der Vertragergänzung für einen bestimmten hypothetischen Parteiwillen sprechen, der so oder anders sein kann. Dazu sind aber immer konkrete Anhaltspunkte im Vertrag notwendig. Ist weder das eine noch das andere möglich, so gilt die (unge-schriebene) Regel, dass der Schuldner das Risiko der Leistungserschwerung bis zur Grenze der übermässigen Leistungserschwerung trägt, darüber aber der Gläubiger. Die Voraussicht bzw. Voraussehbarkeit ist damit ein Indiz bei der Vertragsauslegung und Vertragsergänzung. Mehr als ein Indiz ist sie nicht – insbesondere besteht meines Erachtens keine strikte Regel, wonach die Voraussicht oder Voraussehbarkeit (im Sinne einer ungeschriebenen Auslegungsregel oder von ungeschriebenem dispositivem Ge-setzesrecht) generell für die Übernahme des Risikos durch den Schuldner spricht.

295 2. Andererseits kann die Voraussicht bzw. Voraussehbarkeit einer übermässigen Leis-tungserschwerung dem Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen zum Verschulden gereichen. Denn hat der Schuldner vorausgesehen, dass eine übermässige Leistungs-erschwerung droht, oder war dies voraussehbar, so hat er allenfalls die Pflicht, den Gläu-biger darüber aufzuklären.423,424 Unterlässt er dies, so kann er wegen der Verletzung der Aufklärungspflicht haftbar werden (Nr. 595 ff.). Gegebenenfalls wird der Schuldner zwar dennoch von der Realerfüllungspflicht befreit (Leistungsverweigerungsrecht bzw. Vertragsanpassung), doch schuldet er vollen Schadenersatz (Nr. 274).

E. Exkurs: Erleichterte Anforderungen bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften?

296 Der Schenker kann das Schenkungsversprechen gemäss Art. 250 Abs. 1 OR aus ver-schiedenen Gründen widerrufen, unter anderem wenn seit dem Versprechen die Vermö-gensverhältnisse sich so geändert haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde. Bei der Gebrauchsleihe wiederum kann der Verleiher die Sache

423 Vgl. BGE 57 II 535 f.; BGE 54 II 337 ff. 424 Eine solche Pflicht besteht bei Voraussicht oder Voraussehbarkeit einer nicht übermässigen Leis-

tungserschwerung nicht, weil der Schuldner gemäss der dispositiven Regel das Risiko solcher Leistungserschwerungen ohnehin selbst trägt.

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gemäss Art. 309 Abs. 2 OR vorzeitig zurückfordern, „wenn er selbst wegen eines unvor-hergesehenen Falles der Sache dringend bedarf.“ Diese Bestimmungen offenbaren die gesetzgeberische Tendenz, bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften die ausserordentliche Vertragsauflösung grosszügig zuzulassen. Es fragt sich, ob damit bei der Schenkung im Besonderen aber auch bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften im Allgemeinen erleichterte Voraussetzungen für die Befreiung des Schuldners von der Realerfüllung bei Leistungs-erschwerung (Leistungsverweigerungsrecht und Vertragsanpassung) gelten. Dies ist nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich zu bejahen:

297 Anders als beim entgeltlichen Rechtsgeschäft gibt es beim unentgeltlichen Rechtsge-schäft keine „ausgehandelte“ Risikoverteilung, da sich nur eine Partei zur Erbringung einer Hauptleistung verpflichtet. Es wäre in dieser Situation unbillig, wenn beispiels-weise der Schenker auch bei Eintritt von Ereignissen, die die Erfüllung des Schenkungs-versprechens stark erschweren, gebunden bliebe. Der Gesetzgeber hat den Schenker privilegiert, vermutlich um Schenkungen als altruistische425 Akte zu fördern, indem er die Haftung des Schenkers eingeschränkt hat, in Bezug auf das vorausgesetzte Verschul-den (vgl. Art. 248 Abs. 1 OR),426 den Umfang der Haftung (Art. 99 Abs. 2 OR)427 und die Verzugszinsen (Art. 105 Abs. 1 OR).428 Wenn also die Haftung des Schenkers für Schadenersatz beschränkt ist, so scheint naheliegend (wenn auch nicht zwingend), dass auch die Leistungspflicht selbst nicht unbegrenzt gilt.429

298 Diese Auffassung wird durch Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR bestätigt: Gemäss dieser Bestimmung kann – wie gesagt – das Schenkungsversprechen vom Schenker widerrufen werden, „wenn seit dem Ver-sprechen die Vermögensverhältnisse des Schenkers sich so geändert haben, dass die Schenkung ihn ausserordentlich schwer belasten würde“. Die Bestimmung stellt eine Ausnahme zum Grundsatz dar, dass die Vermögensverhältnisse des Schuldners keinen Einfluss auf den Bestand seiner Schuld-pflicht haben.430 Sie ist in folgender Hinsicht verallgemeinerungsfähig:431 Nicht nur geänderte

425 Vgl. VON BÜREN, OR BT, S. 274. 426 Die Bestimmung findet auf beliebige Leistungsstörungen Anwendung, vgl. KOLLER, Einem ge-

schenkten Gaul, S. 101; a. A. CAVIN, SPR VII/1, S. 195. Vgl. aber BUCHER, OR AT, S. 156 und VOGT, BasK, N 1 zu Art. 250 OR: Gemäss diesen Autoren kann der Beschenkte nicht gemäss Art. 107 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichten und statt dessen Schadenersatz verlangen.

427 Vgl. CAVIN, SPR VII/1, S. 195; GUHL/KOLLER, § 43 N 30; ROMELLI, HandK, N 3 zu Art. 248 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 2 zu Art. 248 OR; TERCIER, BT, Nr. 1400; vgl. auch BUCHER, OR BT, S. 156: „...die besonderen Verhältnisse bei der Schenkung müssen in vielen Fällen dazu führen, eine vertragliche Haftungswegbedingung anzunehmen“, dies insbesondere für den Fall verspäteter Erfüllung.

428 Vgl. VON BÜREN, OR BT, S. 274. 429 Die herrschende Lehre zu Art. 248 OR geht auf den Fall der Leistungserschwerung nicht ein und

beschränkt sich darauf festzustellen, dass der Beschenkte – ausser bei Unmöglichkeit – Anspruch auf Realerfüllung hat. Vgl. BUCHER, OR BT, S. 156; MAISSEN, Nr. 363; ROMELLI, HandK, N 2 zu Art. 248 OR; TERCIER, BT, Nr. 1399; VOGT, BasK, N 1 zu Art. 248 OR.

430 VOGT, BasK, N 1 zu Art. 250 OR. 431 Die analoge Anwendung von Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR auf andere Verträge, insbesondere ent-

geltliche Verträge, ist freilich ausgeschlossen, vgl. AppGer BS, SJZ 45 (1949) Nr. 12, S. 42;

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Vermögensverhältnisse berechtigen den Schenker zum Widerruf der Schenkung, sondern alle Um-stände, welche dazu führen, dass die Erfüllung der Schenkung den Schuldner im Sinne der genann-ten Bestimmung „ausserordentlich schwer belasten würden“ (Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR). In Frage kommen also auch Umstände, die die Erfüllung der Schenkung so erschweren, dass der Schuldner in finanzielle Bedrängnis geraten würde. Die Erwähnung der Veränderung der Vermögensverhält-nisse ist insofern nur beispielhaft. Damit kann sich der Schenker bei jeder Leistungserschwerung, bei der die Erfüllung ihn ausserordentlich schwer belasten würde, gestützt auf Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR vom Vertrag lösen, auch wenn keine übermässige Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne vorliegt.

299 Konkret bedeutet dies: Bei der Schenkung sowie bei anderen unentgeltlichen Rechtsge-schäften ist die Befreiung des Schuldners von der Realerfüllung bei Leistungserschwe-rung (Leistungsverweigerungsrecht und Vertragsanpassung) grosszügiger zuzulassen. Sie kommt unter Umständen auch dann in Frage, wenn keine übermässige Leistungser-schwerung im hier verstandenen Sinne vorliegt.432 Zudem haftet der Schenker für die leicht fahrlässige Herbeiführung einer Leistungserschwerung nicht (Art. 248 Abs. 1 OR).

F. Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs

300 PICHONNAZ433 (und gewisse andere Autoren434) stellen schliesslich beim Entscheid über die Verweigerung der Realerfüllung auf die Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsan-spruchs ab. Der Gedanke ist naheliegend, denn dem Gläubiger ist mit dem Realerfül-lungsanspruch prima vista nur gedient, wenn er auch vollstreckt werden kann.435,436

301 Diese Auffassung verkennt aber, dass der Realerfüllungsanspruch auch für die Haftung des Schuldners eine gewisse Bedeutung hat:437 Der Schuldner handelt schuldhaft, wenn er ein Leistungshindernis, welches er überwinden muss, nicht überwindet (vgl. Nr. 590).

VOGT, BasK, N 1 zu Art. 250 OR.

432 Ähnlich ERDIN, Nr. 273: Bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften gelte ein weniger strenger Mass-stab bei der Anwendung von Art. 373 Abs. 2 OR.

433 PICHONNAZ, Nr. 355 ff., insb. Nr. 360 f. 434 Nw. in Anm. 166. 435 MÜLLER-CHEN, S. 105. 436 Ein Realerfüllungsurteil, welches endgültig nicht vollstreckt werden kann, muss letzten Endes in

ein auf Schadenersatz lautendes Urteil umgewandelt werden. Diese sog. Taxation ist eine Frage des materiellen Privatrechts, also des Bundesrechts, vgl. BGE 30 II 565 f.; ZR 99 (2000) Nr. 59, S. 161; ferner z. B. VON TUHR/ESCHER, § 67 III, S. 89; BARTH, S. 65; SCHOBERT, S. 42. Dem kantonalen Recht bleibt die Regelung des Verfahrens der Taxation überlassen; vgl. z. B. § 309 Abs. 1 ZPO ZH oder § 431 ZPO AG. Ob Art. 97 ff. OR direkt (in diesem Sinne BGE 30 II 365) oder bloss analog (ZR 99 (2000) Nr. 59, S. 162) Anwendung findet, ist nicht geklärt, ebenso wie zahlreiche andere Einzelfragen zur Taxation. Vgl. dazu insb. ZR 99 (2000) Nr. 59, S. 161 ff.; ferner VON TUHR/ESCHER, § 67 III, S. 89; und insb. BULACHER, S. 76. Gegen das kantonale Taxationsurteil ist die Berufung ans Bundesgericht zulässig; vgl. BGE 30 II 559; BGE 102 II 9 f.

437 A. A. PICHONNAZ, Nr. 358.

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Die Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs würde damit mittelbar die Haftung des Schuldners beeinflussen. Nach hier vertretener Auffassung darf die materiellrecht-liche Frage des Bestands und Wegfalls des Realerfüllungsanspruchs deshalb nicht mit der prozessrechtlichen Frage der Vollstreckbarkeit des Realerfüllungsanspruchs ver-mischt werden.

III. Die Dauer der Leistungserschwerung im Besonderen

1. Allgemeines

302 Bei der Unmöglichkeit der Leistung ist die Dauer der Unmöglichkeit gemäss der Lehre und Rechtsprechung – wie bereits gesagt – von entscheidender Bedeutung für die Rechtsfolgen: Endgültige Unmöglichkeit fällt unter Art. 97 und 119 OR, vorüber-gehende Unmöglichkeit nicht (Nr. 68 ff.).

303 Die Bestimmung, ob endgültige oder vorübergehende Unmöglichkeit vorliegt, bereitet jedoch oft Schwierigkeiten (vgl. Nr. 69 ff.). Zwar gibt es Fälle, in welchen zweifelsfrei feststeht, dass ein Leistungshindernis endgültig ist (z. B. bei Zerstörung einer Spezies-sache) oder bloss vorübergehend ist (z. B. wenn der Vermieter dem Mieter die Miet-sache wegen Erstreckung des Mietverhältnisses des Vormieters während der Dauer der Erstreckung nicht übergeben kann). Im Regelfall ist für die Bestimmung der Dauer eines Leistungshindernisses jedoch eine Prognose über zukünftige Entwicklungen not-wendig, beispielsweise über das Ende kriegerischer Auseinandersetzungen (vgl. das Beispiel in Nr. 319), die Entwicklung der Marktverhältnisse, technische Innovationen oder die Wahrscheinlichkeit der Wiedererlangung gestohlener Sachen (vgl. das Col-liers-Beispiel, Nr. 38). Solche Prognosen sind erfahrungsgemäss schwierig zu stellen.

304 Um solche Schwierigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden, wird im Rahmen dieser Arbeit für die übermässige Leistungserschwerung eine Lösung vorgeschlagen, bei wel-cher der Dauer der Leistungserschwerung nicht eine solch zentrale Bedeutung zu-kommt. Dies scheint insbesondere sachgerecht zu sein, weil die Verhältnisse bei Leistungserschwerungen – wie einleitend gesagt – oft Veränderungen unterworfen sind (Nr. 37 f.). Die Regelung der übermässigen Leistungserschwerung soll insbeson-dere auch auf Leistungshindernisse von unbestimmter oder nicht absehbarer Dauer zugeschnitten sein. Die hier vorgeschlagene Lösung gestaltet sich übersichtsweise wie folgt:

305 – Der Schuldner hat bei übermässiger Leistungserschwerung ein Leistungsverweige-rungsrecht, welches den Schuldner zur Verweigerung der Realerfüllung während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung berechtigt (Nr. 309 ff.). Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, ist der Gläubiger seiner-

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seits zur Zurückhaltung der Gegenleistung berechtigt. Damit wird der Vertrag bei übermässiger Leistungserschwerung vorerst auf unbestimmte Zeit, d. h. bis zur all-fälligen Behebung der übermässigen Leistungserschwerung suspendiert.

306 – Der Gläubiger hat jedoch das Recht, jederzeit gemäss Art. 107 Abs. 2 OR auf Realerfüllung zu verzichten und damit den Vertrag aufzulösen (Nr. 215 ff. und 475 ff.). Er kann aber auch zuwarten und auf Behebung der übermässigen Leis-tungserschwerung hoffen. Im Allgemeinen wird der Gläubiger zuwarten, wenn die Realerfüllung für ihn besonders wertvoll ist und er die Wahrscheinlichkeit der Be-hebung der übermässigen Leistungserschwerung für hinreichend erachtet. Er wird hingegen auf nachträgliche Leistung verzichten, wenn er nicht mit deren Behe-bung rechnet. Es bleibt damit grundsätzlich dem Gläubiger überlassen, den Ver-trag zu „liquidieren“.

307 – Unter bestimmten Umständen soll diese Möglichkeit aber auch dem Schuldner zu-stehen. Der Schuldner ist einerseits berechtigt, vom Richter die (definitive) Ver-tragsanpassung oder -auflösung zu verlangen, wenn die Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist – der Gläubiger kann in diesem Falle kein schützens-wertes Interesse an der Weitergeltung des Vertrages haben. Ausserdem kann der Schuldner die richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung verlangen, wenn ihm die Bindung an den Vertrag solche Nachteile bereitet, dass das Interesse des Schuldners an der Befreiung vom Vertrag das Interesse des Gläubigers an dessen Fortbestand überwiegt. Ob dies der Fall ist, hängt auch – aber nicht nur! – von der voraussichtlichen Restdauer der übermässigen Leistungserschwerung ab (Nr. 315 ff.).

308 Im Folgenden ist zuerst (kurz) von den Voraussetzungen des Leistungsverweigerungs-rechts des Schuldners die Rede, insbesondere bei vorübergehenden Leistungshinder-nissen, und sodann ausführlich von den Voraussetzungen der definitiven Vertragsan-passung oder -auflösung auf Begehren des Schuldners.

2. (Vorläufiges) Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners

A. Interessenlage

309 Wie vorne ausführlich dargelegt ist bei Leistungserschwerung das (am Erfüllungsauf-wand bemessene) Befreiungsinteresse des Schuldners gegen das Realerfüllungsinteres-se des Gläubigers abzuwägen (Nr. 230 ff.): Steht der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers (übermässige Leistungs-erschwerung), ist die Erzwingung der Leistung in natura unsinnig, eine Verschwen-

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dung wertvoller Ressourcen. Der Gläubiger soll deshalb in diesem Falle mit einer Erfüllungsklage nicht durchdringen.

310 Diese Überlegungen gelten unabhängig davon, ob die Leistungserschwerung auf einem endgültigen oder bloss auf einem vorübergehenden Leistungshindernis beruht, die übermässige Leistungserschwerung also endgültig oder bloss vorübergehend ist. Bei bloss vorübergehenden Leistungshindernissen wäre es erst recht unsinnig, Real-erfüllung mit unverhältnismässigem Aufwand sofort zu erzwingen, anstatt die Behe-bung des Leistungshindernisses abzuwarten. Der Schuldner hat deshalb – nach hier vertretener Auffassung – das Recht, die Realerfüllung bei übermässiger Leistungs-erschwerung zu verweigern, wenn und solange die Leistungserschwerung übermässig ist.438,439 Dabei braucht die Dauer der übermässigen Leistungserschwerung im Zeit-punkt der Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht nicht festzustehen: Die Leis-tungsverweigerung kann vorerst auf unbestimmte Zeit erfolgen. Erst im Zeitpunkt der allfälligen Behebung der übermässigen Leistungserschwerung entfällt das Leistungs-verweigerungsrecht wieder.

B. Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts: Übermässige Leistungser-schwerung

311 Voraussetzung für den Bestand eines Leistungsverweigerungsrechts ist – wie gesagt –das Vorliegen eines Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfül-lungsinteresse (übermässige Leistungserschwerung). Von dieser Voraussetzung war bereits ausführlich die Rede (Nr. 230 ff.). Zwei Punkte bleiben nachzutragen:

312 1. Es rechtfertigt sich nicht, an das Vorliegen von übermässiger Leistungserschwe-rung bei vorübergehenden Leistungshindernissen andere (strengere oder mildere) An-

438 Diese Rechtslage – Fortbestand des Realerfüllungsanspruchs, aber eingeschränkte Durchsetzbar-

keit des Realerfüllungsanspruchs während der Dauer der Verhinderung – scheint von einem Teil der Lehre zumindest dem Grundsatze nach anerkannt zu werden (Nr. 77 ff.).

439 Das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners gemäss dem nun Gesetz gewordenen § 275 Abs. 2 BGB n. F. besteht dem Wortlaut nach nur bei endgültigen Leistungshindernissen. Die kon-solidierte Fassung des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes sah jedoch noch vor, dass der Schuldner auch bei vorübergehenden Leistungshindernissen zur Leis-tungsverweigerung berechtigt sei. § 275 Abs. 2 BGB lautete in dieser Fassung: „Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit und solange diese einen Aufwand erfordert, der...“ (Her-vorhebung angefügt). Vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts. Der ausdrückliche Einbezug von vorübergehenden Leistungs-hindernissen in § 275 BGB wurde namentlich von CANARIS, JZ 2001, S. 499, kritisiert und ist schliesslich auf Antrag des Bundesrates mit dem Hinweis auf im Entwurf nicht geregelte Folge-probleme fallengelassen worden. Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, Nr. 19; Gegenäusserung der Bundesregierung, Zu Nr. 19; Bericht des Rechtsausschusses, Zu § 275: „Damit bleibt die Ein-ordnung vorübergehender Leistungshindernisse wie bisher auch Rechtsprechung und Wissen-schaft überlassen.“ Vgl. dazu ARNOLD, JZ 2002, S. 868 ff.

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forderungen zu stellen als bei definitiven Leistungshindernissen. Gegen strengere An-forderungen spricht schon das – soeben erwähnte – Argument, dass es unsinnig wäre, die Leistung real zu erzwingen, wenn sie nach Behebung der übermässigen Leistungs-erschwerung mit verhältnismässigen Anstrengungen erbracht werden kann. Aber auch besondere Milde ist nicht gerechtfertigt, weil der Schuldner dadurch auf Kosten des Gläubigers bevorzugt würde. Dies sei anhand des Ring-Beispiels (Nr. 224 ff.) verdeut-licht:

313 Beispiel: Nehmen wir an, im Ring-Beispiel sei das Schiff mit dem Ring im Herbst ge-sunken, doch könne der Ring geborgen werden, ohne dass übermässiger Aufwand ent-steht. Eine sofortige Bergung des Rings im Winter ist aber wesentlich teurer als eine Bergung im Sommer. Der Gläubiger will den Ring möglichst früh erhalten, so dass er die sofortige Bergung im Winter vorzieht. Wenn der Schuldner die Bergung im Winter verweigern kann, so muss der Gläubiger den Schuldner für die Mehrkosten der Ber-gung im Winter entschädigen, um den Ring sofort zu erhalten. Wenn der Schuldner die Bergung im Winter nicht verweigern kann, so wird der Schuldner dem Gläubiger an-bieten, eine Ablösesumme zu zahlen, damit er einer Bergung im Sommer zustimmt. So oder anders werden sich die Parteien voraussichtlich auf eine Bergung im Winter eini-gen können, wenn die Vorteile der Bergung im Winter die Mehrkosten überwiegen. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, dass im ersten Fall der Gläubiger, im zweiten Fall der Schuldner die Mehrkosten der Bergung im Winter trägt. Weshalb aber der Gläubiger an den Erfüllungskosten beteiligt werden sollte, obwohl die Ber-gung im Winter sinnvoll ist und der Erfüllungsaufwand in beiden Fällen nicht über-mässig ist, ist nicht ersichtlich.

314 2. Nicht vorausgesetzt ist eine bestimmte (minimale) Dauer der übermässigen Leistungserschwerung. Das Leistungsverweigerungsrecht berechtigt den Schuldner – wie gesagt – nur zur Verweigerung der Leistung während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung. Der Richter wird deshalb eine Leistungsklage nur (zur Zeit) abweisen, wenn die übermässige Leistungserschwerung im Zeitpunkt des Urteils noch besteht, und er kann den Schuldner sogar zu einer zukünftigen Leistung verurteilen, wenn der Zeitpunkt der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung im Zeit-punkt des Urteils ausnahmsweise bereits feststeht (zum Ganzen Nr. 451 ff.). Eine Ein-schränkung des Leistungsverweigerungsrechts auf Fälle mit einer bestimmten minima-len Dauer ist deshalb nicht nötig.

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3. Endgültige Vertragsanpassung oder -auflösung durch den Richter

A. Interessenlage

315 Wie soeben dargelegt bleibt der Realerfüllungsanspruch auch bei übermässiger Leistungserschwerung grundsätzlich bestehen. Zwar kann der Schuldner Realerfüllung während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung verweigern. Endgültig befreit wird er jedoch nicht, bis der Gläubiger – bei gegebenen Voraussetzungen – nach Art. 107 Abs. 2 OR auf nachträgliche Erfüllung verzichtet. Der Gläubiger muss nicht auf Erfüllung verzichten. Er kann die Entwicklung der Verhältnisse abwarten und auf die Behebung der übermässigen Leistungserschwerung hoffen. Wird die über-mässige Leistungserschwerung behoben, so kann er auch nach langer Zeit noch Real-erfüllung fordern. Diese Rechtslage kommt dem Gläubiger stark entgegen, wird es doch ihm überlassen, über das Vertragsschicksal zu entscheiden. Für den Schuldner kann diese Rechtslage verschiedene Nachteile haben (vgl. gleich nachfolgend Nr. 318 ff.).440 Diese sind gegen das Interesse des Gläubigers an der unveränderten Weitergeltung des Vertrages abzuwägen.

316 1. Der Gläubiger hat ein Interesse an der unveränderten Weitergeltung des Vertrages, wenn er damit rechnet oder hofft, dass die übermässige Leistungserschwerung in Zu-kunft behoben werden könnte, so dass er gegebenenfalls Realerfüllung doch noch er-halten wird. Dieses Interesse des Gläubigers ist grundsätzlich schützenswert. Ein Zu-warten des Gläubigers verdient hingegen keinen Schutz, wenn die übermässige Leis-tungserschwerung offensichtlich endgültig ist. Da in diesem Falle feststeht, dass die Leistung auch in Zukunft mit verhältnismässigen Erfüllungsanstrengungen nicht er-bracht werden kann, kann sich der Gläubiger nicht auf ein schützenswertes Interesse an der Weitergeltung des Vertrages berufen.

317 Gemäss dem in § 5 dargelegten allgemeinen Grundsatz entfällt der Realerfüllungsanspruch end-gültig, wenn der Gläubiger kein schützenswertes Interesse an der Realerfüllung hat, so dass das Beharren des Gläubigers auf Realerfüllung Treu und Glauben (Art. 2 ZGB) widerspricht (Nr. 197). Dies ist bei übermässiger Leistungserschwerung nur der Fall, wenn sie offensichtlich end-gültig ist. Besteht hingegen die Aussicht oder Möglichkeit, dass die übermässige Leistungs-erschwerung wegfallen wird oder behoben werden kann, verhält sich der Gläubiger nicht a priori treuwidrig, wenn er die Entwicklung der Verhältnisse abwartet und auf Behebung der Leistungs-erschwerung hofft.441

318 2. Die Weitergeltung des Vertrages kann jedoch für den Schuldner erhebliche Nachteile haben: Solange der Gläubiger nicht nach Art. 107 Abs. 2 OR auf die Leis- 440 Vgl. auch ARNOLD, JZ 2002, S. 871. 441 Vgl. EMMERICH, § 19 II, S. 212.

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tung verzichtet hat, lebt der Schuldner in Ungewissheit über seine Leistungspflicht. Er muss damit rechnen, dass der Gläubiger nach Behebung der übermässigen Leistungs-erschwerung auf Realerfüllung beharrt. Der Schuldner kann deshalb über die für die Erfüllung nötigen Ressourcen (den Vertragsgegenstand, Hilfsmittel, usw.) nicht frei verfügen. Weil er nach der Behebung zur Erfüllung bereit sein muss, werden seine Dispositionsmöglichkeiten eingeschränkt. Die Erhaltung der Erfüllungsbereitschaft kann dem Schuldner in gewissen Situationen erhebliche Nachteile bereiten.

319 Beispiel: „Gewebe-Fall“: BGE 45 II 192 ff. liegt (stark vereinfacht) der folgende Sachverhalt zugrunde: Ein englischer Händler verkaufte Gewebe an einen Käufer in der Schweiz. Wegen der Knappheit an Transportmitteln während des ersten Weltkrie-ges konnten die Gewebe während längerer Dauer nicht in die Schweiz transportiert werden. Das Bundesgericht hatte namentlich über die Frage zu entscheiden, ob eine zwischen Käufer und Verkäufer vereinbarte „Kriegsklausel“442 den Verkäufer endgül-tig von der Lieferpflicht befreite, oder ob der Verkäufer nur während der Dauer der Lieferschwierigkeiten zur Verweigerung der Leistung berechtigt war, so dass er die Ware hätte aufbewahren müssen. Das Bundesgericht hat bei der Auslegung der Kriegs-klausel die Zumutbarkeit der Erhaltung der Erfüllungsbereitschaft mitberücksichtigt: „Nach der Ansicht der Klägerin wäre die Beklagte gezwungen, das grosse Warenquan-tum, das sie seinerzeit in England zur Deckung der klägerischen Bestellungen nach den vorinstanzlichen Feststellungen angeschafft hat, Jahr und Tag zu behalten, ohne das in-vestierte beträchtliche Kapital wiederum verwenden zu können. Sie müsste die Lager-spesen tragen...“443

320 Sodann können sich die Verhältnisse, namentlich die wirtschaftlichen Rahmenbedin-gungen, während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung so stark zu Un-gunsten des Schuldners verändern, dass eine unveränderte Weitergeltung des Ver-trages nach Behebung des Leistungshindernisses unbillig wäre. Zu denken ist vor allem an den Fall, dass die geschuldete Leistung stark an Wert gewinnt oder die Gegenleistung massiv entwertet wird. Der Vertrag entwickelt sich während der Dauer der Leistungserschwerung zu einem Verlustgeschäft für den Schuldner.

321 Beispiel: In BGE 45 II 192 (Nr. 319) hat das Bundesgericht drohende Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mitberücksichtigt: Die Beklagte müsste „... untätig zusehen, wie die Preise der Gewebe sich zu ihren Ungunsten verändern, um endlich bei ganz anderen Verhältnissen (schon zur Zeit der Ausfällung des handelsge-richtlichen Urteils hatten sich die Preise verdoppelt) die Käuferin zu den vertraglichen Konditionen zu bedienen und ihr damit einen ungeahnten Spekulationsgewinn zu ver-schaffen“.444

442 Die Klausel lautete im Wortlaut: „Infolge eventueller Nichtlieferung können ausser Annullations-

recht keinerlei Ansprüche entstehen.“ Vgl. BGE 45 II 193. 443 BGE 45 II 200. 444 BGE 45 II 200.

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322 Wie das Bundesgericht richtig erkennt, kann der Gläubiger bei Leistungserschwerung auf eine für ihn günstige Veränderung der Verhältnisse (namentlich auf eine Stei-gerung des Werts der Leistung) spekulieren:445 Der Gläubiger wird bei Leistungs-erschwerung vorerst zuwarten. Fällt der Wert der Leistung, so wird er auf Realerfül-lung verzichten und vom Vertrag zurücktreten. Steigt der Wert, so wird er nach der Behebung des Leistungshindernisses auf Realerfüllung beharren und die Gegen-leistung erbringen. Der Gläubiger kann deshalb von einer Wertsteigerung profitieren, ohne das Risiko einer Wertverminderung tragen zu müssen.446

323 Die genau gleichen Vorgehensweisen stünden dem Gläubiger offen, wenn der Schuld-ner dem Gläubiger (ohne eine besondere Entschädigung zu verlangen) eine Kaufoption eingeräumt hätte (ausführlich dazu Nr. 340 ff.). Die übermässige Leistungs-erschwerung schiebt deshalb nicht nur (qua Leistungsverweigerungsrecht) die Erfül-lung auf, sie verändert den eigentlichen Charakter des Vertrages: Aus einem normalen Terminvertrag oder Vertrag mit aufgeschobener Fälligkeit wird plötzlich ein Vertrag, der stark an einen eigentlichen Optionskontrakt erinnert.

324 Beispiel: Der Gläubiger kann in BGE 45 II 192 (Nr. 319) die Preisentwicklung der Gewebe abwarten. Steigen die Preise der Gewebe, so beharrt er nach Behebung der Transportschwierigkeiten auf Erfüllung und bezahlt den Kaufpreis, sinken die Preise, verzichtet er auf nachträgliche Erfüllung und verweigert die Bezahlung. Damit hat der Gläubiger eine eigentliche Kaufoption auf Gewebe: Er kann die Gewebe zum verein-barten Kaufpreis (dem „Ausübungspreis“ der Option) beziehen, kann aber auch auf Durchführung des Vertrages verzichten (die Option verfallen lassen).

325 3. Grundsätzlich soll der Gläubiger bei Leistungserschwerung die Entwicklung der Verhältnisse abwarten können, damit er nicht sofort entscheiden muss, ob er auf Real-erfüllung verzichten oder die Leistung nach Behebung des Leistungshindernisses in natura einfordern will. Dem Schuldner dürfen jedoch durch ein Zuwarten des Gläu-bigers nicht unverhältnismässige Nachteile entstehen. Belastet ihn die Erhaltung seiner Erfüllungsbereitschaft übermässig, oder ist die Gefahr gross, dass der Gläubiger auf Kosten des Schuldners spekuliert und sich dadurch übermässige Vorteile verschafft, so hat der Schuldner schützenswerte Interessen an definitiver Befreiung vom Realerfül-lungsanspruch. Das Interesse des Gläubigers am Fortbestand des Realerfüllungs-anspruchs und das Interesse des Schuldners an definitiver Befreiung sind deshalb gegeneinander abzuwägen. Ein allfälliges Interesse des Gläubigers an der Auflösung des Vertrages braucht – anders als vor der Schuldrechtsreform im deutschen Recht, vgl. Nr. 73 – nicht mitberücksichtigt zu werden, steht es dem Gläubiger doch jederzeit frei, auf Realerfüllung zu verzichten.

445 MÜLLER-CHEN, S. 123. 446 Gleichzeitig kann der Gläubiger auch auf die Entwertung der Gegenleistung spekulieren.

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B. Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung oder -auflösung

326 Aus der dargestellten Interessenlage ergibt sich, dass der Schuldner in zwei Fällen ein Recht auf richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung haben muss: Einerseits kann der Richter den Vertrag anpassen oder auflösen, wenn die übermässige Leistungser-schwerung offensichtlich endgültig ist, da sich der Gläubiger in diesem Falle nicht auf schützenswerte Interessen am Fortbestand des Vertrages berufen kann (Nr. 316). Dieser Fall ist unproblematisch und bedarf keiner weiteren Erläuterung.

327 Genauerer Erläuterung bedürfen jedoch die Voraussetzungen der Vertragsanpassung oder -auflösung im anderen Fall, wenn also die übermässige Leistungserschwerung nicht offensichtlich endgültig ist: Der Richter darf den Vertrag in diesem Falle nur an-passen bzw. auflösen, wenn ein Zuwarten des Gläubigers dem Schuldner447 unver-hältnismässige Nachteile bereitet. Ob die dem Schuldner entstehenden Nachteile un-verhältnismässig sind, ist letzten Endes ein Ermessensentscheid. Viel hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Einzelnen:

328 1. Wird die Erfüllung zufolge der Leistungserschwerung auf bestimmte oder unbe-stimmte Zeit hinausgeschoben, ist in der Regel nicht absehbar, wie sich die Verhältnis-se zur Zeit der Erfüllung gestalten werden.448 Freilich scheint es nicht der richtige An-satz zu sein, erst im Zeitpunkt der Erfüllung zu entscheiden, ob die Aufrechterhaltung des Vertrages dem Schuldner zumutbar ist. Der Schuldner soll grundsätzlich schon vor der Behebung der Leistungserschwerung die Auflösung des Vertrages verlan-gen können, weil er sonst – unter Umständen für lange Zeit – in Ungewissheit über seine Leistungspflicht leben muss. Der Schuldner wäre gezwungen, sich zur Erfüllung bereit zu halten, obwohl der Gläubiger später möglicherweise auf Realerfüllung ver-zichtet oder der Richter den Vertrag anpasst oder auflöst. Neben diesen Interessen des Schuldners sprechen die öffentlichen Interessen des Rechtsfriedens und der Rechts-sicherheit für die Zulässigkeit einer frühzeitigen Vertragsanpassung oder -auflösung.449

329 Damit kann der Entscheid über die Vertragsauflösung nicht von den Verhältnissen bei Behebung des Leistungshindernisses abhängig gemacht werden, sind diese doch im

447 Zu berücksichtigen sind nur die Nachteile auf Seiten des Schuldners, nicht solche auf Seiten des

Gläubigers, da die Interessen des Gläubigers durch das Recht, auf Realerfüllung zu verzichten, hinreichend geschützt werden. Die in der deutschen Lehre entwickelten Grundsätze lassen sich deshalb nicht ohne weiteres auf das Schweizer Recht übertragen. Vgl. Nr. 73.

448 WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 479 Vor § 373 HGB. 449 Ähnliche Überlegungen liegen der Verjährung zugrunde; vgl. statt vieler VON TUHR/ESCHER, §

80 I, S. 211 f.; BUCHER, OR AT, S. 444 f.

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Zeitpunkt des Entscheids häufig noch nicht absehbar.450 Auch sollte sich der Richter jeder Prognose der Verhältnisse bei Behebung des Leistungshindernisses enthalten:451 Nicht nur würden solche „Marktprognosen“ den Rahmen richterlicher Funktionen sprengen. Die ökonomische Theorie geht davon aus, dass es in effizienten Märkten gar nicht möglich ist, Prognosen über die Entwicklung von Preisen zu machen (Markteffi-zienzhypothese).452

330 2. Richtigerweise muss die Vertragsauflösung auf objektiven Kriterien basieren, welche – soweit möglich – bereits im Zeitpunkt der Vertragsauflösung feststehen. Welche Faktoren bei Vertragsauflösung zu berücksichtigen sind, ist nicht offensicht-lich. Bedenkt man aber, dass der Gläubiger bei Leistungserschwerung wirtschaftlich betrachtet eine Kaufoption auf die Leistung hält (er kann entweder die Leistung nach Behebung des Leistungshindernisses gegen Erbringung der Gegenleistung beziehen oder auf Realerfüllung verzichten), so kann man sich an jenen Faktoren orientieren, welche nach der Optionspreisbildungstheorie den Wert der Option des Gläubigers (Optionspreis) beeinflussen (ausführlicher hinten Nr. 340 ff.). Für die Auflösung sprechen damit namentlich die folgenden Faktoren:453

331 – Hohe Volatilität des Werts der Leistung: Wenn eine Leistung starken Preis-schwankungen unterworfen ist, so ist die Gefahr der Spekulation durch den Gläu-biger offensichtlich besonders gross. Eine Auflösung des Vertrages ist deshalb bei solchen Leistungen eher zu bejahen als bei Leistungen, deren Preis kaum variiert.454

332 – Lange Restdauer der Leistungserschwerung: Wenn ein Leistungshindernis vor-aussichtlich noch lange besteht, so ist die Gefahr einer ungünstigen Preisentwick-lung besonders gross. Die Vertragsauflösung kommt deshalb am ehesten in Frage, wenn der Schuldner bei voraussichtlich lange dauernder Leistungserschwerung frühzeitig Auflösung des Vertrages verlangt.

450 Auch wäre es kaum sinnvoll, den Schuldner bloss provisorisch zu befreien, würden damit doch

die mit der frühzeitigen Befreiung angestrebten Ziele (Nr. 328) gerade nicht (oder nur teilweise) erreicht.

451 Genau das wird im deutschen Recht implizit vom Richter verlangt: Für die Annahme von vor-übergehender Unmöglichkeit muss im Zeitpunkt des Eintritts des Leistungshindernisses abzuse-hen sein, „dass der die Leistung verhindernde Umstand noch innerhalb eines Zeitraums fortgefal-len sein wird, von dem unter normalen Umständen anzunehmen ist, dass die für den Abschluss auf beiden Seiten motivierende Situation sich nicht wesentlich verändert haben wird...“ vgl. statt vieler WÜRDINGER/RÖHRICHT, N 470 Vor § 373 HGB.

452 Für eine Übersicht vgl. z. B. Richard A. BREALEY/Stewart C. MYERS, Priciples of Corporate Finance, 5. Aufl., New York etc. 1996, S. 323 ff.

453 Entgegen der herrschenden Lehre (Nr. 72) hängt die Befreiung des Schuldners deshalb nicht allein von der Dauer der Leistungserschwerung, sondern ebenso von anderen Faktoren ab.

454 Vgl. WIELAND, S. 461, gemäss welchem bei Gattungskäufen über Waren, die Konjunktur- und Preisschwankungen unterliegen, bei vorübergehender Unmöglichkeit stets endgültige Unmöglich-keit vorliege.

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333 Der Unterscheidung zwischen vorübergehenden Leistungshindernissen und Leistungshinder-nissen von nicht absehbarer Dauer kommt deshalb entgegen der herrschenden Lehre (Nr. 72) keine entscheidende Bedeutung zu. Auch bei vorübergehenden Leistungshindernissen kann die Befreiung gerechtfertigt sein, wenn sie lange dauern. Umgekehrt kann bei Leistungshin-dernissen von nicht absehbarer Dauer eine definitive Befreiung des Schuldners nicht gerecht-fertigt sein, wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Leistungshindernis frühzeitig be-hoben wird.

334 – Anstieg des Werts der Leistung bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung:455 Ist der Wert der Leistung seit dem Eintritt des Leistungshindernisses stark gestie-gen (wie z. B. im Gewebe-Fall, Nr. 319), so besteht eine erhöhte Wahrscheinlich-keit, dass die Erfüllung bei Behebung des Leistungshindernisses den Schuldner be-lasten wird. Seit dem Eintritt des Leistungshindernisses eingetretene Preissteige-rungen sprechen daher eher für eine Befreiung. Hingegen ist eine Steigerung des Werts der Leistung keinesfalls eine notwendige Voraussetzung für die Befreiung. Auch wenn die Verhältnisse sich bis dato nicht verändert haben, kann eine Auflö-sung des Vertrages bei stark volatilen Leistungen und lange dauernden Leistungs-hindernissen gerechtfertigt sein.

335 – Hohes Realzinsniveau einer risikolosen Anlage. Der Preis von Optionen hängt sodann vom Realzinsniveau risikoloser Anlagen mit einer der Dauer der Leis-tungserschwerung entsprechenden Laufzeit ab. Hohe Realzinsen begünstigen eine Befreiung vom Vertrag. Diese Voraussetzung lässt sich kaum intuitiv erfassen, folgt aber, wie die anderen, aus der Optionspreisbildungstheorie.

336 Ob der Schuldner die Leistungserschwerung zu vertreten hat, ist beim Entscheid über die definitive Vertragsanpassung oder -auflösung nicht zu berücksichtigen. Zwar spricht die durch das Gerechtigkeitsempfinden motivierte Überlegung, dass dem schuldhaft handelnden Schuldner (namentlich bei Absicht) grössere Nachteile zuge-mutet werden können, prima vista für eine Berücksichtigung des Verschuldens (Nr. 270). Dagegen spricht hingegen, dass der Gläubiger bei Verschulden des Schuldners durch den Schadenersatzanspruch ohnehin bereits besser geschützt ist als bei fehlen-dem Verschulden des Schuldners, so dass der Gläubiger eigentlich keines zusätzlichen Schutzes bedarf.456 Im Gegenteil: Weil der Gläubiger bei der nicht zu vertretenden Leistungserschwerung keine Schadenersatzansprüche geltend machen kann, sollte ihm gerade in diesem Fall die Möglichkeit gelassen werden, die Behebung des Leistungs-hindernisses abzuwarten. Es rechtfertigt sich deshalb nach hier vertretener Auffassung

455 In BGE 45 II 200 hat das Bundesgericht berücksichtigt, dass sich die Preise der verkauften Waren

schon bis zur Zeit des vorinstanzlichen Urteils verdoppelt hatten. 456 Dies wird bestätigt durch den Umstand, dass eine amerikanische Option (Situation bei verschul-

deter Leistungserschwerung) mindestens gleich wertvoll ist wie die entsprechende europäische Option (Situation bei nicht zu vertretender Leistungserschwerung). Vgl. hinten Nr. 343 f.

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nicht, das Verschulden beim Entscheid über die Vertragsauflösung zu berücksichtigen (vgl. auch vorne Nr. 271 ff.).

337 Ebenso wenig ist der tatsächliche Eintritt einer für den Schuldner ungünstigen Verän-derung der Verhältnisse eine notwendige Voraussetzung für die Vertragsanpassung oder -auflösung. Der Richter kann den Vertrag anpassen, selbst wenn sich später herausstellt, dass die Verhältnisse bei Behebung der Leistungserschwerung unverän-dert sind. Es genügt, wenn die obengenannten Faktoren auf eine beträchtliche Gefahr der Spekulation durch den Gläubiger hinweisen – ob der Gläubiger letzten Endes mit seiner Spekulation Erfolg hatte, kann nicht ausschlaggebend sein. Aus diesem Grunde ist der einmal angepasste oder aufgelöste Vertrag auch bei unveränderten Verhältnis-sen nicht wieder herzustellen. Umgekehrt aber hindert die Verweigerung der Vertrags-anpassung oder -auflösung natürlich nicht, dass der Schuldner in einem späteren Zeit-punkt aufgrund veränderter Umstände befreit wird.

338 3. Zusätzlich zu den obengenannten Faktoren muss der Richter Nachteile berück-sichtigen, welche dem Schuldner durch die Erhaltung seiner Erfüllungsbereitschaft entstehen. Zu denken ist beispielsweise an folgende Arten von Nachteilen: Der Schuldner kann über den Vertragsgegenstand nicht verfügen, so dass das darin investierte Kapital gebunden bleibt.457 Die Aufbewahrung des Vertragsgegenstandes verursacht Lagerkosten.458 Der Vertragsgegenstand benötigt während der Aufbewah-rung Unterhalt oder Pflege (z. B. das Pferd, das nicht exportiert werden kann) oder muss gegen Umwelteinflüsse oder Diebstahl geschützt werden. Die für die Erfüllung benötigten Hilfsmittel sind während der Leistungserschwerung gebunden (z. B. die Baumaschinen stehen während des Baustopps still, können aber nicht anderweitig ein-gesetzt werden, weil der Abtransport und Rücktransport zu kostspielig wäre). Der Schuldner kann nicht ohne weiteres neue Aufträge annehmen, weil er sonst bei Behe-bung des Leistungshindernisses ungenügende Kapazitäten für die Erfüllung des Ver-trages hätte (z. B. eigene Arbeitskraft, Personal, Maschinen usw.).

339 4. Schliesslich müssen die dem Schuldner entstehenden Nachteile die Interessen des Gläubigers am Weiterbestand des Vertrages überwiegen. Der Richter hat bei dieser Interessenabwägung zwangsläufig ein relativ weites Ermessen, lassen sich die Interessen doch kaum quantifizieren. Das Spekulationsinteresse des Gläubigers darf bei der Interessenabwägung selbstverständlich nicht mitberücksichtigt werden, geht es doch hier gerade darum, spekulatives Verhalten des Gläubigers zu verhindern.

457 Vgl. BGE 45 II 200. 458 Vgl. BGE 45 II 200.

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C. Exkurs: Analyse der Realoption im Besonderen

340 Die Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung werden in dieser Arbeit durch Vergleich der Situation der vorübergehenden Leistungserschwerung mit einem Optionsrecht abgeleitet (Nr. 330). Weil dieses Vorgehen in der schweizerischen Rechtswissenschaft unüblich ist und zudem ein gewisses Verständnis der Grundlagen der Optionspreistheorie voraussetzt, sollen hier einige Punkte im Sinne eines Exkurses ausführlicher dargelegt werden:

341 1. Bei Leistungserschwerung hat der Gläubiger – wie gesagt – zwei Vorgehensmög-lichkeiten: (1) Einerseits kann der Gläubiger auf Realerfüllung beharren und die ver-tragliche Leistung nach Beendigung der vorübergehenden Leistungserschwerung gegen Entrichtung der Gegenleistung beziehen. Der Gläubiger wird sich für diese Variante entscheiden, wenn der Wert der Leistung gestiegen ist. (2) Andererseits kann der Gläubiger jederzeit auf Realerfüllung verzichten. Er muss die Gegenleistung nicht erbringen, bzw. er kann die bereits erbrachte Gegenleistung zurückfordern. Der Gläu-biger wird so vorgehen, wenn der Wert der Leistung in der Zwischenzeit gesunken ist. Genau dieselben Vorgehensweisen stünden dem Gläubiger offen, wenn der Schuldner dem Gläubiger eine Kaufoption auf die vertragliche Leistung eingeräumt hätte. (1) Wenn der Wert der Leistung bei Verfall der Option den Ausübungspreis übersteigt, würde der Gläubiger die Option ausüben. Er bezahlt den Ausübungspreis und bezieht die Leistung. (2) Wenn der Wert der Leistung bei Verfall den Ausübungspreis nicht übersteigt, lässt er die Option verfallen. Er bezieht die Leistung nicht und behält den Ausübungspreis.

342 Technisch gesehen hat der Gläubiger bei Leistungserschwerung somit eine Option, die Leistung gegen Erbringung der Gegenleistung zu beziehen. Es handelt sich um eine Realoption, um ein Optionsrecht also, welches nicht auf besonderer vertraglicher Ver-einbarung, sondern auf der Verteilung der Rechte und Pflichten in dieser besonderen Situation beruht.459 Die Realoption ist nicht eine (beabsichtigte) Rechtsfolge der Leis-tungserschwerung, sie ist eine (unbeabsichtigte) Folge der Rechte, welche dem Gläubi-ger gemäss den allgemeinen Regeln bei Leistungserschwerung zustehen.

343 Bei der Realoption handelt es sich um ein Kaufoption (Call-Option) auf die vertragliche Leistung. Der „Ausübungspreis“ der Option entspricht der Gegenleistung. Die Laufdauer der Option richtet sich nach der Dauer der Leistungserschwerung. Ist sie im Voraus bestimmt, so hat die Option eine bestimmte Laufdauer. Ist die Dauer der Leistungserschwerung unbestimmt, so hat die Option eine unbestimmte (stochastische) Laufdauer. Real kann die Leistung freilich nur nach Behebung der

459 Vgl. TRIANTIS/TRIANTIS (zit. in Anm. 307), S. 163 ff.

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Leistungserschwerung durchgesetzt werden (Nr. 341). Weil die Option damit nur am Ende der Laufzeit ausgeübt werden kann, handelt es sich um eine europäische Option.

344 Anders verhält es sich, wenn der Schuldner die Leistungserschwerung zu verantworten hat. In die-sem Falle steht dem Gläubiger eine zusätzliche Vorgehensweise offen. Er kann auf Realerfüllung verzichten und Schadenersatz bemessen nach dem positiven Vertragsinteresse verlangen. Der Gläubiger wird damit finanziell gleich gestellt, wie wenn der Vertrag real erfüllt worden wäre. Diese Situation kann deshalb als Option aufgefasst werden, welche den Gläubiger berechtigt, jederzeit während der Dauer der Leistungserschwerung gegen Erbringung der Gegenleistung den Geldwert der Leistung zu beziehen. Es handelt sich somit um eine amerikanische Option auf den Wert der Leistung.

345 2. Die Option des Gläubigers ist ein wertvolles Recht. Sie fällt dem Gläubiger wie gesagt bei Eintritt der Leistungserschwerung ohne weiteres als (unbeabsichtigte) Folge der allgemeinen Rechte des Gläubigers zu. Der Gläubiger erhält damit die Option völlig umsonst, ohne dem Schuldner eine besondere Entschädigung als Optionsprämie zu zahlen.460 Aufgabe des Rechts muss deshalb sein, dafür zu sorgen, dass die mit der vorübergehenden Leistungserschwerung verbundene Realoption den Gläubiger nicht ungebührlich auf Kosten des Schuldners bevorzugt.

346 Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems wäre, dem Gläubiger den Verzicht auf die Leistung bei vorübergehender Leistungserschwerung generell zu verweigern und eine Vertragsauflösung nur im gegenseitigen Einverständnis zuzulassen – dies würde der Rechtslage bei nicht zu vertretender vorübergehender Unmöglichkeit im deutschen Recht vor der Schuldrechtsrevision entsprechen (Nr. 73). Damit würde die Option ent-fallen. Wie aber bereits dargelegt wurde, hat der Gläubiger durchaus berechtigte Inte-ressen daran, sich durch Verzicht auf Realerfüllung vom Vertrag lösen zu können (Nr. 215). Diese Variante missachtet die Interessen des Gläubigers und ist deshalb nicht sinnvoll.

347 Exkurs: Theoretisch könnte der Gläubiger verpflichtet werden, dem Schuldner eine Entschädi-gung für die Option zu bezahlen, genauer eine Entschädigung für die Dauer, während er nicht auf Realerfüllung verzichtet und damit die Option hält. Die Optionspreisbildungstheorie liefert ver-schiedene Modelle, mit welchen Optionen bewertet werden können, zum Beispiel die Black/ Scholes-Formel. Voraussetzung für die Bewertung ist freilich, dass genügend Daten betreffend der Volatilität des Preises vorliegen. Dies wird freilich nur ausnahmsweise der Fall sein. Eine Ent-schädigung des Werts der Option kommt deshalb im Allgemeinen nicht in Betracht.

348 Die einzige gangbare Lösung ist also, dem Schuldner dann einen Anspruch auf end-gültige Befreiung vom Realerfüllungsanspruch zu gewähren, wenn die Bevorzugung des Gläubigers durch das Optionsrecht besonders stossend ist. Dies ist der Fall, wenn die Realoption besonders wertvoll ist. Der Wert einer Kaufoption widerspiegelt nichts 460 Es ist auch anzunehmen, dass sich die meisten Parteien dessen beim Vertragsschluss nicht be-

wusst sind, so dass das allfällige Optionsrecht im Vertragspreis nicht berücksichtigt ist.

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anderes als Gewinnchancen, welche die Option dem Gläubiger verleiht.461 Ein hoher Optionswert bedeutet hohe Gewinnchancen für den Gläubiger und damit hohes Verlustrisiko für den Schuldner. Es liegt deshalb nahe, den Schuldner zu befreien, wenn der Wert der Realoption des Gläubigers hoch ist.

349 Ein Blick auf die Optionspreistheorie zeigt, welche Faktoren den Preis der Option beeinflussen: Der Ausübungspreis der Option (in unserem Fall also der Wert der Gegenleistung, Nr. 343), die Restlaufzeit der Option (also die Restdauer der Leistungs-erschwerung), der gegenwärtige Wert des Gegenstands der Option (also der Wert der Leistung), die Volatilität des Werts des Gegenstands der Option (also die Volatilität des Werts der Leistung) und der Zinssatz einer risikolosen Anlage mit derselben Lauf-zeit wie die Option.462

IV. Konkretisierung des Kriteriums des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsauf-wand und Realerfüllungsinteresse anhand klassischer Beispiele

350 Nach dem Gesagten hat der Schuldner bei übermässiger Leistungserschwerung ein Leis-tungsverweigerungsrecht (Nr. 309 ff. und hinten Nr. 447 ff.). Eine übermässige Leis-tungserschwerung liegt vor, wenn ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse besteht (Nr. 230 ff.). Dieses Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse soll hier anhand klassischer Beispiele eingehender erläutert und konkretisiert werden. Dabei wird auf verschiedene praktische Probleme bei der Anwendung des Kriteriums hingewiesen und Lösungsan-sätze dafür präsentiert.

351 Unter bestimmten Voraussetzungen hat der Schuldner bei übermässiger Leistungser-schwerung zusätzlich zum vorübergehenden Leistungsverweigerungsrecht das Recht, vom Richter die endgültige Anpassung oder Auflösung des Vertrages zu verlangen (Nr. 315 ff. und hinten Nr. 489 ff.). Ob dieses Recht besteht, hängt neben anderen Faktoren auch von der Restdauer der übermässigen Leistungserschwerung ab. Im Sinne eines Ex-kurses wird am Beispiel der Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort (z. B. Dieb-stahl einer Speziessache) auf das Problem der unbestimmten Restdauer des Vertrages eingegangen.

461 Vgl. BREALEY/MYERS (zit. in Anm. 452), S. 568 ff. 462 Vgl. Heinz ZIMMERMANN, Preisbildung und Risikoanalyse von Aktienoptionen, St. Gallen 1988,

S. 33; BREALEY/MYERS (zit. in Anm. 452), S. 573.

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1. Speziessache mit unbekanntem Aufenthaltsort

A. Im Allgemeinen

352 Eine Stückschuld oder Speziesschuld liegt vor, wenn die Parteien ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart haben, dass der Schuldner eine (oder mehrere) individuell be-stimmte Sache (Speziessache) schuldet.463 Beispielsweise verkauft der Schuldner dem Gläubiger ein ganz bestimmtes Colliers. Kommt bei einer Speziesschuld die geschuldete Speziessache nach Vertragsschluss abhanden, beispielsweise weil sie gestohlen wird oder verloren geht, so wird der Schuldner nicht einfach von der Pflicht zur Realerfüllung befreit. Vielmehr muss der Schuldner Nachforschungen anstellen und nach der Spezies-sache suchen, das heisst alles vornehmen, was ihrer Wiederbeschaffung dient. Diese Wiederbeschaffungspflicht ist im Gesetz nirgendwo ausdrücklich festgeschrieben, und sie wird auch in der Literatur kaum erwähnt. Sie ist ein Ausfluss des Realerfüllungsan-spruchs und folgt namentlich aus der allgemeinen Pflicht des Schuldners, Leistungshin-dernisse zu überwinden.

353 Der Schuldner ist jedoch gemäss dem dargelegten allgemeinen Grundsatz berechtigt, die Wiederbeschaffung zu verweigern, wenn der Wiederbeschaffungsaufwand das Realer-füllungsinteresse übersteigt. Die Ratio für diese Beschränkung ist immer dieselbe: Es ist unsinnig, wenn der Schuldner mehr zur Wiederbeschaffung einer Sache aufwendet, als die Sache für den Gläubiger wert ist (Nr. 233).

354 Wie viel Aufwand für die Wiederbeschaffung einer abhanden gekommenen Speziessa-che nötig ist, ist jedoch oft unbekannt. Wie lange beispielsweise eine verlorene Sache gesucht werden muss, bevor sie gefunden wird, weiss man im Allgemeinen erst, wenn die Sache gefunden wurde. Der Erfüllungsaufwand ist objektiv ungewiss. Nicht nur der Schuldner und der Gläubiger kennen den Erfüllungsaufwand nicht. Auch für ein Gericht ist es schwierig oder gar nicht möglich, den zu erwartenden Aufwand zuverlässig zu be-stimmen. Einen Entscheid über den Bestand des Leistungsverweigerungsrechts zu fällen ist damit bei Abhandenkommen einer Speziessache schwierig.

355 Beispiel: „Falken-Beispiel“: Ein Züchter verkauft einen kostbaren, für die Jagd abge-richteten Falken, welcher jedoch vor der Übergabe entfliegt. Wenn keine Anhaltspunk-te über den Aufenthaltsort des entflogenen Falken bestehen, kann nicht festgestellt wer-den, wie viel Aufwand die Suche bereitet und ob er überhaupt gefunden und wieder eingefangen werden kann.

463 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 97; GUHL/KOLLER, § 8 N 4; KELLER/SCHÖBI, I, S. 99 und 203;

VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 53; BUCHER, OR BT, S. 63.

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B. Das Problem des ungewissen Erfüllungsaufwands

356 Bei objektiver Ungewissheit über den zu erwartenden Erfüllungsaufwand besteht keine andere Lösung, als dass der Aufwand unter Berücksichtigung der Umstände des Einzel-falls und allgemeiner Erfahrungstatsachen geschätzt wird.

357 Konkret wird das Gericht ermitteln, mit welchen Massnahmen das Leistungshindernis überwunden werden könnte. Es ermittelt sodann die Kosten der einzelnen Massnahmen. Schliesslich schätzt es für jede Massnahme einzeln und kombiniert mit anderen, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie zur Wiederbeschaffung der Leistung führt. All jene Massnahmen, deren Kosten unter Berücksichtigung ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit nicht im Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers stehen, muss der Schuldner vornehmen.464 Das Gericht wird zwar kaum je all diese Schritte einzeln so abklären, sie liegen aber dem Schätzungsprozess implizit zugrunde.

358 Beispiel: Nehmen wir an, der Züchter habe im Falken-Beispiel (Nr. 355) zwei Möglich-keiten, um den Falken wiederzubeschaffen. Er kann einerseits durch Vogelbeobachtung nach dem Falken suchen, im engeren und im weiteren Umkreis, und er kann andererseits Fallen mit Ködern aufstellen. Wenn nun beispielsweise das Aufstellen einer Falle nur eine sehr geringe Erfolgswahrscheinlichkeit hätte, zum Beispiel 1%, so ist der Schuldner dazu nicht verpflichtet, wenn die Kosten 1% des Werts des Falken übersteigen. Analog entscheidet sich, ob der Schuldner den Falken suchen muss. Dabei kann es durchaus sein, dass der Schuldner zur Suche im engeren Umkreis verpflichtet ist, nicht aber zur Suche in der weiteren Umgebung.

359 Zusammenfassend kann also nicht gesagt werden, der Schuldner sei in den Fällen von Speziessachen mit unbekanntem Aufenthaltsort regelmässig zur vollständigen Verwei-gerung der Leistung berechtigt.465 Meistens existieren gewisse Erfüllungsanstrengungen, deren Kosten unter Berücksichtigung ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit verhältnismässig sind – welche hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Die Vornahme solcher Erfüllungsanstrengungen darf der Schuldner nicht verweigern. Zur Abklärung, welche Massnahmen erfolgversprechend und verhältnismässig sind, ist der Schuldner immer verpflichtet. Bei Diebstahl einer Speziessache beispielsweise wird der Schuldner ferner regelmässig verpflichtet sein, Anzeige zu erstatten und die Polizei bei ihren Ermittlun-gen zu unterstützen. Geht die Speziessache verloren, so ist der Schuldner im Allgemei-nen zumindest verpflichtet, die Sache am Ort, wo sie verloren ging, zu suchen, sowie das Fundbüro zu benachrichtigen. Je nach den Umständen können freilich auch viel wei-tergehende Massnahmen verhältnismässig sein.

464 Der Schuldner kann eine Massnahme verweigern, wenn die Kosten der Massnahme grösser sind

als der Wert der Leistung multipliziert mit der Erfolgswahrscheinlichkeit der Massnahme, formal: c > w · p.

465 So aber z. B. ENNECCERUS/LEHMANN, § 29 I 3, S. 131: „Kommt dagegen die verkaufte Sache dem Verkäufer spurlos abhanden, so liegt objektive Unmöglichkeit vor, weil ihre Lieferbarkeit praktisch ausgeschlossen ist“ (Hervorhebung angefügt); ebenso MÜLLER-CHEN, S. 245.

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360 Umgekehrt ist der Schuldner kaum je zu unbedingter Realerfüllung verpflichtet. Es geht nicht an, dass die offensichtlichen Schwierigkeiten der Wiederbeschaffung der Spezies-sache vom Recht negiert werden und der Schuldner unbedingt zur Realerfüllung verur-teilt würde, wie wenn er im Besitze der Sache wäre.466 Der Schuldner ist nicht ver-pflichtet, „das Unmögliche möglich zu machen“, er soll nur – aber immerhin – all das vornehmen, was hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht. Der Gläubiger kann des-halb im Allgemeinen nicht einfach die Herausgabe der Sache verlangen.467

361 Objektive Ungewissheit des Erfüllungsaufwands ist besonders häufig oder sogar typisch beim Abhandenkommen einer Speziessache. Sie kann freilich auch bei anderen Fällen der Leistungserschwerung auftreten. Diese Ausführungen können deshalb auf andere Leistungserschwerungstatbestände übertragen werden.

C. Das Problem der unbestimmten Restdauer der Leistungserschwerung

362 Im Sinne eines Exkurses soll hier auf das Recht des Schuldners auf endgültige richter-liche Vertragsanpassung oder -auflösung (Nr. 315 ff.) eingegangen werden. Die rich-terliche Vertragsanpassung oder -auflösung setzt neben einer übermässigen Leistungs-erschwerung voraus, dass dem Schuldner durch die Bindung an den Vertrag Nachteile entstehen (durch die Pflicht zur Erhaltung der Erfüllungsbereitschaft und die Möglich-keit der Spekulation durch den Gläubiger), welche das Interesse des Gläubigers am Weiterbestand des Vertrages überwiegen (Nr. 339). Ob dies der Fall ist, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. In Bezug auf die Möglichkeit des Gläubigers, auf Kosten des Schuldners zu spekulieren, ist – wie gesagt – namentlich auf die Vola-tilität des Werts der Leistung (d. h. ob die Leistung starken Preisschwankungen ausge-setzt ist), die voraussichtliche Restdauer des Leistungshindernisses, einen allfälligen 466 Auch könnte ein solches Realerfüllungsurteil kaum vollstreckt werden: Fehlt dem Schuldner die

tatsächliche Verfügungsmacht über eine Sache, so ist die Vollstreckung durch direkten behördli-chen Zwang gegen Sachen (Wegnahme, vgl. § 426 Abs. 1 ZPO AG, Beschlagnahme, Räumung, Zwangsbenutzung etc.) mangels Verfügbarkeit der Sache ausgeschlossen. Vgl. OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 205 ff.; OGer ZH, ZR 86 (1987) Nr. 34, S. 77 f.; OGer ZH, ZR 72 (1973) Nr. 57, S. 140 f.; FRANK/STRÄULI/MESSMER, N 3 zu § 307 ZPO; GULDENER, S. 623 Anm. 40; PFENNINGER, S. 74; ferner BGE 102 II 8. Die unbedingte Verurteilung zur Leistung unter An-drohung von Ordnungsbusse oder einer Ungehorsamsstrafe wäre unzulässig. Es ist ein fundamen-taler Grundsatz unserer Strafordnung, dass nur für eine Unterlassung bestraft werden kann, wer die Tatmacht hatte, d. h. die Möglichkeit, die gebotene Handlung vorzunehmen. Vgl. Günter STRATHENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I: Die Straftat, 2. Aufl., Bern 1996, § 14 Nr. 37; Jörg REHBERG/Andreas DONATSCH, Strafrecht I, Verbrechenslehre, 7. Aufl., Zürich 2001, S. 251; Peter NOLL, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, Allgemeine Voraussetzungen der Strafbarkeit, Zürich 1981, S. 189 und 193 f. Vgl. in Bezug auf das unechte Unterlassungsdelikt Stefan TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar, Zürich 1989, N 40 zu Art. 1 StGB: „Dass es für den Täter objektiv möglich gewesen sein muss, den Erfolg abzuwenden (Tatmacht), ist selbstverständlich.“

467 So im Ergebnis OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206.

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Anstieg des Werts der Leistung bis zum Zeitpunkt der Vertragsanpassung oder -auflösung und das Realzinsniveau abzustellen (Nr. 330 ff.). All diese Faktoren kön-nen im Einzelfall so oder anders ausfallen.

363 Hier soll auf das Problem der voraussichtlichen Restdauer der Leistungserschwerung eingegangen werden. Während die übrigen Faktoren im Zeitpunkt der Vertragsauflö-sung im Prinzip feststehen,468 muss der Richter über die Restdauer der Leistungser-schwerung eine Prognose treffen. Dies kann im Einzelfall einfach sein: Zu denken ist beispielsweise an den Fall, dass der Vermieter die Mietsache dem Mieter wegen der Erstreckung der Miete des Vormieters nicht übergeben kann (vgl. Nr. 368) – die Dauer der Leistungserschwerung entspricht der Dauer der Erstreckung des Mietverhältnisses. Oft ist die Dauer der Leistungserschwerung jedoch unbestimmt469 und nicht abseh-bar.470

364 Letzteres trifft beispielsweise bei der abhanden gekommenen Speziessache zu: Die Dauer der Verhinderung ist bei Abhandenkommen einer Speziessache nie im Voraus bestimmt (vgl. Nr. 38). Es steht nicht einmal fest, ob die abhanden gekommene Sache überhaupt je wieder auftaucht.471 Entscheidende Bedeutung kommt deshalb der Wahr-scheinlichkeit des Auftauchens der Speziessache und dem wahrscheinlichen Zeitpunkt des Auftauchens zu. Die Wahrscheinlichkeit des Auftauchens wird von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, beispielsweise von den Umständen des Abhandenkommens der Speziessache, von der Art der abhanden gekommenen Sache, und von der Zeit, die seit dem Abhandenkommen verstrichen ist. Solche Umstände müssen deshalb beim Entscheid über die Vertragsauflösung mitberücksichtigt werden.

365 Beispielsweise spielen beim Diebstahl einer Speziessache die Umstände des Diebstahls, allfällige Hinweise auf die Täterschaft usw. eine wichtige Rolle bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Rückerstattung.472 Relevant kann auch sein, was für eine Sache gestohlen wurde.473 Bei einem berühmten Bild eines berühmten Malers (z. B. Munchs 468 Durch (historische) Aufzeichnungen über Preise der Leistung – sofern verfügbar – kann ermittelt

werden, ob die Leistung starken Preisschwankungen unterliegt (Volatilität) bzw. ob der Preis der Leistung seit dem Eintritt des Leistungshindernisses gestiegen ist. Das Zinsniveau ist eine leicht feststellbare Tatsache.

469 So beispielsweise im „Englische-Voile-Fall“ (Nr. 398). 470 So beispielsweise im „Falken-Beispiel“ (Nr. 355). 471 Vgl. dazu WEBER, BerK, N 132 zu Art. 97 OR. 472 Das Obergericht Zürich ist in einem Fall, der von Unbekannten in Italien gestohlene Colliers

betraf (vgl. Nr. 38), von endgültiger Unmöglichkeit ausgegangen, freilich ohne die Umstände des Diebstahls im Einzelnen zu berücksichtigen; OGer ZH, ZR 78 (1979) Nr. 85, S. 206. Dies ent-spricht der herrschenden Lehre. Vgl. z. B. GAUCH, Dauervertrag, S. 120.

473 Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts werden beim gutgläubigen Erwerb einer abhan-den gekommenen Sache nach Art. 936 ZGB erhöhte Anforderungen an die zu verlangende Auf-merksamkeit gemäss Art. 3 Abs. 2 ZGB gestellt, in Geschäftsbereichen, in denen oft Waren zwei-felhafter Herkunft angeboten werden (Auto-Occasionshandel, BGE 113 II 397; Antiquitätenhan-del, BGE 122 III 1). Es liegt deshalb nahe, beim Diebstahl von (namentlich auffälligen) Sachen

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Schrei) ist das Auftauchen und die Rückgabe an den Besitzer wahrscheinlicher als bei einem Bild eines unbekannten Malers, nicht zuletzt, weil berühmte Bilder im Kunsthan-del bekannt sind und in den Medien über den Diebstahl eines berühmten Bildes oft aus-führlich berichtet wird. Die Zeit, die seit dem Diebstahl verstrichen ist, kann ebenfalls eine Rolle spielen. Ein gestohlenes Fahrrad wird in vielen Fällen binnen weniger Tage wieder auftauchen, wenn der Entwender es nur für eine Strolchenfahrt verwendet hat. Sind aber bereits einige Wochen seit dem Diebstahl vergangen, liegt die Vermutung nahe, dass der Dieb das Fahrrad behalten oder zerstört hat (z. B. hat er es in einen Fluss geworfen), so dass mit der Rückgabe nicht mehr zu rechnen ist. Es scheint deshalb in diesem Fall sinnvoll, den Schuldner erst nach Ablauf einer gewissen Wartefrist zu be-freien.474

366 Die ungewisse Dauer der Leistungserschwerung ist zwar typisch für die Fälle abhan-den gekommener Speziessachen, kommt aber ebenso bei anderen Fällen der Leis-tungserschwerung vor. Diese Ausführungen haben deshalb auch für andere Leistungs-erschwerungstatbestände Gültigkeit. Letzten Endes muss der Richter in solchen Fällen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles abschätzen, wie wahrschein-lich eine frühzeitige Behebung des Leistungshindernisses ist.

2. Speziessache in fremdem Eigentum

A. Im Allgemeinen

367 In dieser Fallgruppe werden alle Situationen zusammengefasst, bei welchen eine Dritt-person nach Vertragsschluss ein dingliches oder anderes Recht an der geschuldeten Speziessache erwirbt, welches dem obligatorischen Anspruch des Gläubigers vorgeht. Klassisches Beispiel ist der bereits erwähnte Doppelverkauf475 (Nr. 85), jedoch fallen auch zahlreiche weitere Lebenssachverhalte, namentlich aus dem Bereich des Mietrechts darunter (vgl. die Beispiele in Nr. 368 und 370). Weil der Schuldner nicht mehr ohne

aus diesen Geschäftsbereichen nicht vorschnell endgültige Leistungserschwerung anzunehmen. 474 KOZIOL/WELSER, S. 233, schlagen deshalb für das österreichische Recht vor, im Einzelfall durch

Wertung zu bestimmen, ob die Behebung oder die Nichtbehebung der Unmöglichkeit bei Berück-sichtigung aller Umstände als wahrscheinlicher erscheint. Ähnlich MÜLLER-CHEN, S. 282 f.: Der Schuldner sei in der Regel zu befreien, doch sei dem Gläubiger der Erfüllungsanspruch aus-nahmsweise zu belassen, wenn konkreter Anlass für die Annahme bestehe, dass die gestohlene Ware wieder auftauche.

475 Nur ausnahmsweise kann der Erstkäufer beim Doppelverkauf direkt gegen den Zweitkäufer vor-gehen und die Übertragung der Kaufsache direkt vom Zweitkäufer verlangen: Hat der Zweitkäu-fer sittenwidrig gehandelt, wird er dem Erstkäufer – bei gegebenen Voraussetzungen – nach Art. 41 Abs. 2 OR ersatzpflichtig; dieser Ersatzanspruch kann durch Naturalrestitution durchgesetzt werden. KRAMER, BerK, N 55 zu Allg. Einl. in das OR, m. w. Hw.; CORTESI, S. 92 f.; BGE 114 II 333 Erw. 2a. Sittenwidrigkeit ist hingegen nur bei besonderer Anstössigkeit der Verleitung zum Vertragsbruch anzunehmen. Vgl. BGE 102 II 340; BGE 52 II 376 f.

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Mitwirkung der berechtigten Drittperson erfüllen kann, werden diese Fälle von einem Teil der Lehre zur subjektiven Unmöglichkeit gezählt.

368 Beispiele: (i) Der Verkäufer ist bei Vertragsschluss nicht Eigentümer der Speziessache. Der Eigentümer hat ihm aber den Verkauf in Aussicht gestellt. Nach Vertragsschluss ver-kauft der Eigentümer an einen Dritten.476 (ii) Die zur Aufbewahrung übergebene Speziessache wird vom Aufbewahrer verkauft.477 (iii) Wird die vermietete/verpachtete aber vom Vermieter/Verpächter noch nicht übergebene Miet-/Pachtsache verkauft, geht das Miet-/Pachtverhältnis nicht über.478 (iv) Der Eigentümer einer Liegenschaft, der einem Nachbarn ein nicht im Grundbuch eingetragenes Wegrecht eingeräumt hat, ver-kauft die Liegenschaft, ohne dem neuen Eigentümer das Wegrecht zu überbinden.479 (v) Die vermietete Liegenschaft kann dem neuen Mieter nicht überlassen werden, weil der Vormieter ein Mieterstreckungsverfahren anstrebt und das Mietverhältnis erstreckt wird.480 (vi) Der Vermieter vermietet die vermietete Sache an einen zweiten Mieter und räumt diesem den Besitz ein (Doppelvermietung).481

369 Macht ein Dritter Rechte an der geschuldeten Speziessache geltend, so ist der Schuldner verpflichtet, sich gegen die behaupteten Rechte zur Wehr zu setzen. Wie dies zu gesche-hen hat, hängt von den jeweiligen einschlägigen Bestimmungen (des Sachenrechts, Mietrechts, usw.) ab. Nach diesen Regeln bestimmt sich auch, ob das behauptete Recht tatsächlich besteht. Oft muss der Schuldner auf dem Rechtswege gegen den Dritten vor-gehen, wenn der Dritte sich zu Unrecht auf ein dem obligatorischen Anspruch des Gläu-bigers vorgehendes Recht beruft.482

370 Beispiel: Ein Mieter vermietet die Mietsache an den Untermieter, jedoch kann er die Mietsache dem Untermieter nicht zum Gebrauch überlassen, weil der Eigentümer dem

476 Vgl. BGE 96 II 21 Erw. 2a, betr. Gattungsschuld. Betr. anfängliche Unmöglichkeit vgl. KOLLER,

OR AT I, Nr. 855. 477 BGE 109 II 474 ff.: Der Aufbewahrer hat die aufzubewahrenden Aktien verkauft. Vgl. ferner

BGE 97 II 362 = Pra 61 (1972) Nr. 52, S. 159 (ohne Sachverhalt); AEPLI, ZürK, N 129 zu Art. 119 OR.

478 HIGI, ZürK, N 13 f. zu Art. 261 - 261a OR; a. A. ZIHLMANN, S. 88, mit Verweis auf Art. 107 ff. OR. Nach der Übergabe der Miet-/Pachtsache gelten Art. 261, 261a und 290 lit. a OR; vgl. GUHL/ KOLLER, § 44 N 72 ff.; WEBER/ZIHLMANN, BasK, N 3 zu Art. 261 OR. Bei der landwirtschaftli-chen Pacht gelten Art. 14 f. LPG. Vor der Miet- und Pachtrechtsrevision vom 15. Dezember 1989 galt dies noch generell, wenn die vermietete/verpachtete Sache/Liegenschaft ohne Überbindung des Miet-/Pachtvertrags an den Erwerber verkauft wurde. Vgl. BGE 28 II 283 betr. Miete; BGE 112 II 235 ff. betr. Pacht.

479 BGE 84 II 10. 480 BGE 117 II 71 f. = Pra 80 (1991) Nr. 164, S. 737; BGE 47 II 201 f.; HIGI, ZürK, N 20 zu Art. 258

OR. Den Vermieter trifft ein Verschulden an der Unmöglichkeit, „car il est imprudent de conclure un nouveau contrat aussi longtemps qu'il doit compter avec la prolongation de l'ancien bail“; BGE 117 II 72. Vgl. auch BGE 47 II 201 Erw. 1; BGE 90 I 142 ff.; AppGer TI, SJZ 55 (1959) Nr. 100, S. 261.

481 SVIT-Kommentar Mietrecht, N 17 Vorbem. zu Art. 258 - 259i OR; HIGI, ZürK, N 19 zu Art. 258 OR.

482 BGE 36 II 185 f.

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Untermieter den Zutritt zur Mietsache verweigert.483 Erfolgt die Zutrittsverweigerung zu Unrecht, so muss der Mieter (und Untervermieter) rechtliche Schritte gegen den Eigen-tümer ergreifen, um dem Untermieter Besitz an der Mietsache zu verschaffen.484 Hat der Eigentümer jedoch lediglich seine Zustimmung zur Untervermietung verweigert (Art. 262 OR), ohne den Zutritt physisch zu verweigern,485 und erfolgt die Verweigerung der Zustimmung zu Unrecht, so steht der Untervermietung nichts entgegen. Die Zustim-mungsverweigerung ist schlicht unbeachtlich.486

371 Besteht das Recht des Dritten zu Recht, so kann einem rechtlichen Vorgehen gegen den Dritten kein Erfolg beschieden sein. Dennoch wird der Schuldner nicht einfach von der Pflicht zur Realerfüllung befreit.487 Es trifft ihn grundsätzlich die Pflicht, alles zu ver-suchen, damit der Dritte – allenfalls gegen eine Entschädigung – auf sein Recht verzich-tet. Dass der Gläubiger vom Schuldner den „Freikauf der Leistung“ verlangen kann, ist jedoch keine Selbstverständlichkeit.488 Meines Erachtens folgt aber auch diese Pflicht aus der allgemeinen Pflicht des Schuldners, Leistungshindernisse zu überwinden.489

372 Freilich kann der Schuldner den Freikauf der Leistung verweigern, wenn der Drittbe-rechtigte eine so hohe Ablösesumme fordert, dass der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht, oder wenn der Dritte den Freikauf gar schlechthin ablehnt.490

B. Das Problem des ungewissen Realerfüllungsinteresses

373 Der Schuldner ist demnach verpflichtet, dem Drittberechtigten eine Ablösesumme anzu-bieten, welche dem Realerfüllungsinteresse des Gläubigers entspricht. Dabei kann sich

483 HÖCHLI, S. 50 f. Vgl. auch BGE 36 II 183 ff.: Der Eigentümer liess den Untermieter nicht einzie-

hen, „...da sein Mobiliar mit Wanzen behaftet sei“; und den Entscheid der Vorinstanz, AppH BE, ZBJV 46 (1910) Nr. 41, S. 489 ff.

484 BGE 36 II 185 ff. 485 Vgl. HIGI, ZürK, N 16, 49, 52 zu Art. 262 OR. 486 Vgl. HIGI, ZürK, N 54 ff. zu Art. 262 OR. 487 Fehlt dem Schuldner die rechtliche Verfügungsmacht über die Sache, so kann ein Realerfüllungs-

urteil, das ihn trotzdem zur Erfüllung zwingt, nicht vollstreckt werden, weil sich der Berechtigte durch Einsprache gegen die Vollstreckung zur Wehr setzen kann; § 305 ZPO ZH. Vgl. FRANK/ STRÄULI/MESSMER, N 1 zu § 305 ZPO; ferner BULACHER, S. 75; zum Verfahren ausführlich SIEGRIST, S. 68 ff.

488 Zum Vergleich: Im Kaufrecht ist bei bereits vor Vertragsschluss bestehenden Rechtsmängeln um-stritten, ob dem Gläubiger neben der Rechtsgewährleistung ein Anspruch auf Realerfüllung zu-steht; ablehnend HONSELL, BasK, N 6 Vorbem. zu Art. 192 - 210 OR, m. Hw., und N 1 zu Art. 192 OR; wohl auch VON BÜREN, OR BT, S. 16 f.; bejahend GIGER, BerK, N 8 zu Art. 192 OR; keine eindeutige Stellungnahme bei GUHL/KOLLER, § 42 N 1; KELLER/SIEHR, S. 70.

489 VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 115, scheinen die Pflicht als Anwendungsfall der Naturalrestitution zu verstehen.

490 Vgl. VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 115 Anm. 3: „Ist die Wiederverschaffung der Sache untunlich, weil der Erwerber sie nur zu einem übermässigen Preis herausgeben will, so wird der Richter den Kläger auf den Weg des Geldersatzes verweisen.”

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der Schuldner aber nicht damit begnügen, dem Dritten bloss die Bezahlung des objekti-ven Markt- oder Verkehrswerts anzubieten. Die Ablösesumme muss – wenn nötig – mindestens dem subjektiven Wert entsprechen, welcher die Sache für den Gläubiger be-sitzt. Ja sogar nicht materielle Interessen müssen bei der Bemessung der maximal anzu-bietenden Ablösesumme berücksichtigt werden. Zu unterscheiden sind drei Fälle:

374 1. Unproblematisch ist die Situation, wenn die Leistung einen Markt- oder Verkehrs-wert besitzt und der Drittberechtigte als Ablösesumme die Bezahlung dieses Marktwerts verlangt. Der Gläubiger wird die Sache auch mindestens zu ihrem Marktwert bewerten, weil er Ersatz nur zu diesem Preis erwerben könnte. Ein Missverhältnis zwischen Erfül-lungsaufwand und Realerfüllungsinteresse liegt nicht vor, so dass der Anspruch auf Realerfüllung ohne weiteres zu bejahen ist.

375 2. Oft wird der Drittberechtigte jedoch eine Leistung mit Markt- oder Verkehrswert nur gegen Bezahlung eines Zuschlags zu veräussern bereit sein, was verschiedene Grün-de haben kann. Der Drittberechtigte hat beispielsweise ein Affektionsinteresse an der Leistung, so dass die Leistung für ihn einzigartig oder zumindest besonders wertvoll ist. Er braucht die Leistung dringend, beispielsweise in seinem Betrieb, so dass er nicht bis zum Erwerb einer Ersatzleistung darauf verzichten will. Er möchte für die Mühen der Suche nach einer Ersatzleistung entgolten werden. Oder er hat bereits Investitionen im Zusammenhang mit der Sache getätigt, welche verloren wären (z. B. hat er für das ge-kaufte Gemälde einen Rahmen anfertigen lassen).

376 Der Realerfüllungsanspruch wäre in diesem Falle nur zu bejahen, wenn sich auch der Gläubiger auf ein besonderes, den Markt- oder Verkehrswert übersteigendes Interesse an der Realerfüllung berufen kann.491 Wie aber kann überprüft werden, ob beispiels-weise ein vom Gläubiger behauptetes Affektionsinteresse tatsächlich besteht? Nicht ma-terielle Interessen des Gläubigers sind schwer überprüf- und bewertbar. Der Entscheid des Richters ist deshalb in solchen Situationen letztlich ein Ermessensentscheid, ein Ent-scheid mit weitreichenden Konsequenzen freilich:

377 Einerseits garantiert der Realerfüllungsanspruch, dass der Gläubiger die Chance hat, alle mit dem Vertrag verbundenen Interessen und Erwartungen zu realisieren. Der Gläubiger entschliesst sich nicht nur im Hinblick auf den objektiven Wert der Leistung zum Ab-schluss des Vertrages, sondern im Hinblick auf all seine Interessen an der Leistung. Wird der Realerfüllungsanspruch zu früh verweigert, werden gewisse Interessen frustriert. Der Gläubiger würde – bei Verschulden des Schuldners – auf einen blossen Schadenersatzanspruch verwiesen, welcher namentlich immaterielle Interessen nur unzureichend schützt (Nr. 187 ff.). Wird andererseits der Realerfüllungsanspruch zu spät 491 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3162, lehnen eine Pflicht zur Beschaffung der Leistung ab, wenn der

Dritte zufolge eines Affektionsinteresses zum Verkauf nicht bewegt werden kann. Vgl. auch

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verweigert, führt dies zur Verschwendung wertvoller Ressourcen, und es besteht die Ge-fahr, dass der Gläubiger ungebührliche Vorteile erlangt, indem er gegen Bezahlung einer Ablösesumme auf Realerfüllung verzichtet (Nr. 233).

378 Exkurs: Als Grund dafür, dass immaterielle Interessen bei der Schadensberechnung nicht berück-sichtigt werden, wird angeführt, dass sie schwer zu überprüfen sind und deshalb die Gefahr des Missbrauchs besteht. Ebenso wichtig ist meines Erachtens eine andere Überlegung: Schadenersatz braucht ein Affektionsinteresse nicht zu schützen, weil der Gläubiger ja normalerweise Realerfül-lung verlangen und somit immaterielle Interessen in natura realisieren kann. Das würde freilich wiederum bedeuten, dass der Realerfüllungsanspruch nicht vorschnell verweigert werden sollte.

379 3. Noch schwieriger sind die Verhältnisse, wenn die geschuldete Speziessache keinen Markt- oder Verkehrswert besitzt, weil sie ihrer individuellen Eigenschaften zufolge nicht mit anderen Speziessachen verglichen werden kann. Zu denken ist beispielsweise an Kunstwerke, Antiquitäten, generell Gegenstände, die stark durch individuelle Züge geprägt sind, beispielsweise gewisse Grundstücke. Der Wert, den der Gläubiger einer solchen Sache zumisst, ist zwangsläufig subjektiv, eine innere Tatsache, die sich nur schwer verifizieren lässt. Das oben Gesagte (Nr. 377 f.) gilt hier in noch verstärktem Ausmasse.

380 4. Entscheidende Bedeutung kommt deshalb der Beweislastverteilung zu. Gemäss der allgemeinen Regel von Art. 8 ZGB hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Die Beweislast der übermässigen Leistungserschwerung als Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts bzw. der Vertragsanpassung oder -auflösung trifft deshalb regelmässig den Schuldner, der sich darauf beruft.492 Der Schuldner hat demnach zu beweisen, dass der Erfüllungsaufwand das Realerfüllungsinteresse übersteigt. Soweit jedoch immaterielle Interessen des Gläu-bigers bzw. ein rein subjektiver Wert der Leistung für den Gläubiger in Frage stehen, befriedigt dies nicht: Der Schuldner wäre zu beweisen gezwungen, dass diese nicht bzw. nicht im erforderlichen Umfang bestehen. Das erscheint nach dem Gesagten kaum mög-lich zu sein. Es rechtfertigt sich deshalb in Bezug auf immaterielle Interessen des Gläu-bigers und einen rein subjektiven Wert eine Beweislastumkehr.493

381 Immaterielle Interessen oder der subjektive Wert können freilich auch vom Gläubiger selbst nicht im eigentlichen Sinne bewiesen werden. An das erforderliche Beweismass

CORTESI, S. 42 Anm. 173. 492 Bei Art. 373 Abs. 2 OR hat der Unternehmer die übermässige Erschwerung der Fertigstellung zu

beweisen, vgl. ERDIN, Nr. 253; Alfred BÜHRER, Von der Beweislast im Bauprozess, in Alfred KOLLER (Hrsg.), Aktuelle Probleme des privaten und öffentlichen Baurechts, St. Gallen 1994, S. 319; i. gl. S. auch BÜHLER, ZürK, N 52 zu Art. 373 OR. Der Schuldner, der sich auf Unmöglich-keit beruft, hat deren Vorliegen zu beweisen, vgl. z. B. AEPLI, ZürK, N 156 zu Art. 119 OR; WIEGAND, BasK, N 20 zu Art. 119 OR.

493 Vgl. zur Tunlichkeit der Beweislastumkehr bei unbestimmten Negativa im Allgemeinen SCHMID, BasK, N 73 zu Art. 8 ZGB.

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sind deshalb meines Erachtens erleichterte Anforderungen zu stellen: Der Gläubiger hat nicht materielle Interessen bzw. einen subjektiven Wert bloss glaubhaft zu machen. Dem Schuldner steht dabei natürlich der – schwierig zu führende! – Gegenbeweis offen.

3. Fehlende Gattungsware

A. Gattungsschulden im Allgemeinen

382 Eine Genus- oder Gattungsschuld liegt vor, wenn die Parteien vereinbart haben, dass eine oder mehrere Sachen einer bestimmten Art (Gattung) geschuldet sind.494 Die ge-schuldete Sache ist nicht individuell bestimmt, sondern durch eine Mengenangabe und durch die Umschreibung der Gattung (z. B. 120 Wagen Kleinpflastersteine495).496 Den Schuldner trifft bei Gattungsschulden die Pflicht, Gattungsware zu beschaffen, wenn er nicht im Besitze von Gattungsware ist (Beschaffungspflicht).

383 Entscheidend für die Bestimmung, was geschuldet ist, ist die Vereinbarung der Parteien.497 Sie bestimmt, ob eine Spezies- oder Gattungsschuld vorliegt,498 und im letzteren Falle welche Gattungs-merkmale die Ware aufzuweisen hat.499 Haben sich die Parteien auf eine bestimmte Gattung ge-einigt, so kann bei der Auslegung, was unter der vereinbarten Gattung zu verstehen ist, hilfsweise auf die Verkehrsauffassung abgestellt werden.500

384 Unter einer begrenzten bzw. beschränkten Gattungsschuld wird eine Pflicht zur Leis-tung von Sachen verstanden, die zwar der Gattung nach bestimmt sind, jedoch durch zu-sätzliche Merkmale auf bestimmte Teile der Gattung eingegrenzt werden. Beispiels-weise ist nur Ware eines bestimmten Herstellers, aus einem bestimmten Ursprungsland

494 BGE 121 III 454. 495 Zu jeder Gattung (z. B. Kleinpflastersteine im Masse von 8/10) ist grundsätzlich eine enger und

eine weiter umschriebene Gattung denkbar (z. B. Kleinpflastersteine im Masse von 8/10 aus dem Steinbruch Sarnen bzw. Kleinpflastersteine). Das Beispiel entstammt dem „Steinbruch-Sarnen-Fall“, BGE 57 II 508 ff.

496 GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 98; KELLER/SCHÖBI, I, S. 99 und 203; KOLLER, OR AT I, Nr. 114; VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 53 f.; ferner GUHL/KOLLER, § 8 N 4; BUCHER, OR BT, S. 63.

497 BGE 121 III 456 f. Die Unterscheidung zwischen Speziesschulden und Gattungsschulden deckt sich damit nicht mit der Unterscheidung zwischen vertretbaren und nicht vertretbaren Leistungen. Diese zweite Unterscheidung stellt darauf ab, ob die vereinbarte Sache nach der Verkehrsauffas-sung als individuell bestimmt oder als bloss nach Zahl, Mass oder Gewicht und Qualität (also der Gattung nach) bestimmt angesehen wird. Vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 100; KELLER/ SCHÖBI, I, S. 99 f.; VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 53 f.; BUCHER, OR BT, S. 63 f.

498 VON TUHR/PETER, § 8 I, S. 54. 499 Allgemeinen Gattungseinteilungen, etwa der botanischen, kommt in diesem Zusammenhang

keine Bedeutung zu; vgl. OGer ZH, SJZ 44 (1948) Nr. 69, S. 226; teilweise abweichend BGE 69 II 100 f. und BGE 22, 571.

500 OGer ZH, SJZ 44 (1948) Nr. 69, S. 226.

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oder aus einem bestimmten Lager oder Vorrat geschuldet.501 Im letztgenannten Fall spricht man von einer Vorratsschuld.502

B. Grundsatz: Genus perire non potest

385 Der Schuldner von Gattungsware schuldet – wie gesagt – nicht bestimmte Exemplare der Gattung, sondern irgendwelche Exemplare von mittlerer Qualität (Art. 71 Abs. 2 OR). Er bleibt deshalb zur Realerfüllung verpflichtet, wenn er nicht aus den Vorräten oder Quellen erfüllen kann, mit welchen er zu erfüllen beabsichtigte. Der Schuldner ist verpflichtet, Gattungsware anderweitig zu beschaffen. Die Pflicht zur Beschaffung von Gattungsware besteht – mangels gegenteiliger vertraglicher Vereinbarung – gemäss der herrschenden Auffassung, solange überhaupt ein Exemplar der Gattung existiert. Weil es aber – namentlich bei weit umschriebenen Gattungen – kaum denkbar ist, dass alle Exemplare der Gattung untergehen, bleibt die Beschaffungspflicht gemäss der herr-schenden Lehre praktisch immer bestehen. Das ist mit „genus perire non potest“ ge-meint.503

386 Eine übermässige Leistungserschwerung tritt bei Gattungsschulden im Allgemeinen nicht auf. Leistungshindernisse, beispielsweise Unwetter, Naturkatastrophen, Import- oder Exportverbote werden zwar zu einer Knappheit an Gattungsware, steigenden Prei-sen und damit erhöhten Beschaffungskosten führen. Den erhöhten Beschaffungskosten steht aber regelmässig ein erhöhter Wert der Leistung für den Gläubiger gegenüber, könnte er doch Ersatzware ebenfalls nur zu den gestiegenen Preisen erwerben.504 Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse kann deshalb bei Gattungsschulden in einem funktionierenden Markt grundsätzlich nicht auftreten (zu Ausnahmen Nr. 392 ff.). Dies sei anhand des Kuriwata-Seiden-Falls verdeutlicht:

387 Beispiel: Kuriwata-Seiden-Fall:505 Kopf-Schnewlin (Verkäufer) verkaufte im Juni 1899 1500 Kilogramm Kuriwata-Seide für 7 Franken pro Kilogramm an Bavier & Cie. (Käufer). Der Verkäufer lieferte nicht, weil – gemäss den Behauptungen des Verkäu-fers – ein Taifun und damit verbundene Überschwemmungen die Kuriwata-Ernte von 1899/1900 in den japanischen Produktionsgebieten nahezu gänzlich zerstört hatten.506

501 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 99; GUHL/KOLLER, § 8 N 6; HONSELL, BasK, N 20 zu Art.

97 OR; KOLLER, OR AT I, Nr. 115; ferner AEPLI, ZürK, N 50 zu Art. 119 OR; BUCHER, OR BT, S. 63; KRAMER, BerK, N 256 zu Art. 19 - 20 OR.

502 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 16; BUCHER, OR AT, S. 421 Anm. 17; BUCHER, OR BT, S. 63; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 99; KOLLER, OR AT I, Nr. 115.

503 Vgl. statt vieler WEBER, BerK, N 115 zu Art. 97 OR, m. Hw.; GUGGENHEIM, II, S. 177; TERCIER, AT, Nr. 1148.

504 Gl. A. LORENZ/RIEHM, Nr. 306. 505 BGE 27 II 211 ff. Vgl. auch vorne Nr. 14. 506 I. c. verlangte der Käufer nicht Realerfüllung, sondern Schadenersatz. Der Verkäufer berief sich

auf Unmöglichkeit der Leistung. Das Bundesgericht lehnte es ab, Beweise über die Auswirkun-

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Offenbar sind infolge des Taifuns die Preise von Kuriwata-Seide gestiegen,507 was die Beschaffungskosten des Verkäufers erhöhte. Der Wert der Leistung ist aber genauso gestiegen, weil der Gläubiger Ersatzware, welche er zur Erfüllung seinerseits eingegan-gener Verträge benötigte, nun auch nur zu höheren Preisen hätte kaufen können. Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse bestand des-halb nicht, und der Wegfall des Realerfüllungsanspruchs wäre nicht gerechtfertigt ge-wesen.508

388 Die Rechtsprechung geht deshalb zu Recht davon aus, dass den Schuldner eine Pflicht zur rechtzeitigen Beschaffung von Gattungsware trifft. Die Beschaffungspflicht besteht selbst dann, wenn die Preise der Ware gestiegen sind509 oder wenn der Schuldner nicht aus den Vorräten liefern kann, mit denen er gerechnet hat.510 Fällt der Lieferant eines Gattungsschuldners aus, so muss der Schuldner den Lieferanten zur nachträglichen Lie-ferung zu bewegen versuchen und sich rechtzeitig um Ersatzware eines anderen Liefe-ranten bemühen.511 Er ist verpflichtet, allenfalls Ware aus dem Ausland zu importieren oder beim Importgeschäft Ersatzware im Inland zu beschaffen512 und die dazu nötigen Ausfuhr- bzw. Einfuhrbewilligungen zu beschaffen und allfällige Extrakosten in Kauf zu nehmen.513

389 Das Gesagte ist freilich nicht unbestritten. Nach einer anderen Lehrmeinung entfällt die Beschaffungspflicht, „wenn die Beschaffung derart schwierig geworden ist, dass sie nach Treu und Glauben im Verkehr dem Schuldner billigerweise nicht mehr zumutbar ist...“514 Diese Auffassung entspricht der Unzumutbarkeitstheorie (Nr. 57 ff.). Sie wird

gen des Taifuns zuzulassen, denn „...von einer nachgewiesenen eigentlichen Unmöglichkeit der Beschaffung von Ersatzware [könnte] nur dann gesprochen werden, wenn solche überhaupt nicht vorhanden war, wenn daher nicht nur die sämtliche Ware der Kampagne 1899/1900 zerstört, son-dern auch die ältere Ware überall vollständig aufgebraucht war“, BGE 27 II 219. Dies wurde aber vom Verkäufer nicht behauptet.

507 Bavier & Cie. hat die Seide für 7.50 Franken pro Kilogramm weiterverkauft, so dass sie einen Gewinn von 50 Rappen pro Kilogramm gemacht hätte. Weil Bavier & Cie. diesen Vertrag nicht erfüllen konnte, wurde sie von einem Gericht in Lyon zur Bezahlung von Schadenersatz im Um-fang von 3375 Franken verurteilt, also 2.23 Franken pro Kilogramm. Der Marktpreis der Seide dürfte deshalb zufolge des Taifuns auf ca. 9.73 Franken pro Kilogramm gestiegen sein.

508 Vgl. auch OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488. 509 Vgl. HGer ZH, ZR 21 (1922) Nr. 37, S. 84; BECKER, BerK, N 19 zu Art. 97 OR. 510 BGE 27 II 218; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95. Anders aber bei Vorratsschulden; s. hinten Nr.

393 ff. 511 BGE 27 II 218; BGE 43 II 176 f.; BGE 43 II 793; OGer LU, ZBJV 55 (1919) Nr. 7, S. 488;

BECKER, BerK, N 16 zu Art. 97 OR. 512 KGer GR, SJZ 47 (1951) Nr. 28, S. 80. Eine solche Pflicht zur Beschaffung im Inland wurde ver-

neint in BGE 43 II 174 f.; ebenso in BGE 43 II 84 ff. und BGE 45 II 42. 513 BGE 43 II 176 ff., wo der Schadenersatz nach Art. 43 OR reduziert wurde. 514 OGer AG, AGVE 1987 Nr. 9, S. 33 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 177 f.; BGE 44 II 527; BESSON,

S. 32; BUCHER, OR AT, S. 421; MÜLLER-CHEN, S. 248 ff.; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 f., m. Hw.; WIELAND, S. 458 f., unter Berufung auf BGE 27 II 218. Vgl. auch BECKER, BerK, N 18 zu Art. 97 OR: „[D]as Abgesperrtsein von der ganzen Gattung ist als Unmöglichkeit anzuerken-nen, wenn das Überwinden des Hindernisses eine «überobligationsmässige» Anstrengung erfor-

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hier abgelehnt, weil – wie gesagt – bei Gattungsschulden ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse grundsätzlich nicht eintritt (zu Ausnah-men Nr. 392 ff.), auch wenn sich der Erfüllungsaufwand „unzumutbar“ erhöht.

390 Ob die Beschaffungspflicht des Schuldners auch bestehen bleibt, nachdem der Schuldner (bzw. der Gläubiger) die zur Erfüllung des einzelnen Vertrages erforderliche Gattungsware ausgewählt hat (Art. 71 Abs. 1 OR), ist in der Lehre umstritten. Nach wohl vorherrschender Lehrmeinung trägt der Schuldner die Gefahr des Untergangs der Leistung (Leistungsgefahr) auch nach erfolg-ter Konkretisierung.515 Er muss selbst dann Gattungsware beschaffen, wenn die von ihm ausge-wählte Ware zerstört wurde. Ausdrücklich geregelt ist die Frage einzig beim Gattungskauf, und zwar gerade anders: Gemäss Art. 185 Abs. 2 OR geht die Gefahr (gemeint ist die Leistungs- und die Preisgefahr)516 mit erfolgter Konkretisierung auf den Käufer über. Ab diesem Zeitpunkt trifft den Schuldner bei zufälligem Untergang der Gattungsware damit keine Beschaffungspflicht mehr.517

391 Exkurs: „Geld muss man [immer] haben“.518 Am kompromisslosesten ist die Parömie „genus perire non potest“ bei Geldschulden verwirklicht, die freilich im Allge-meinen keine echten Gattungsschulden, sondern Geldsummenschulden (bzw. Wertver-schaffungsschulden519) sind.520 Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse kann bei Geldschulden nie eintreten, weil ein Franken immer ein Franken wert ist, sowohl für den Schuldner, wie auch für den Gläubiger. Fest veran-kert in Lehre521 und Rechtsprechung522 ist deshalb der Grundsatz, dass Geldmangel nie

dern würde...“

515 VON TUHR/PETER, § 8 III f., S. 55 ff.; LEU, BasK, N 4 f. zu Art. 71 OR; a. A. WIEGAND, BasK, N 21 zu Art. 97 OR; MERZ, SPR VI/1, S. 142 f.; ohne Stellungnahme BARTH, S. 53; KOLLER, BasK, N 11 zu Art. 185 OR. Abweichend vom Schweizer Recht auch § 243 Abs. 2 BGB, vgl. dazu statt vieler MEDICUS, Bürgerliches Recht, Nr. 258.

516 KOLLER, BasK, N 22 zu Art. 185 OR, m. Hw. 517 Vgl. VON TUHR/PETER, § 8 IV, S. 56; GUHL/KOLLER, § 8 N 7; WEBER, BerK, N 115 zu Art. 97

OR. 518 MEDICUS, „Geld muss man haben“, AcP 188 (1988), S. 489 ff. 519 CANTIENI, S. 3. 520 Vgl. GUHL/KOLLER, § 11 N 2 ff. 521 „Das Schuldrecht speziell, aber überhaupt das Privatrecht als Ganzes würden allen Boden ver-

lieren, wenn nicht eisern der Satz bestünde, dass man Geld schlichtweg zu haben hat“, VON BÜREN, OR AT, S. 392; AEPLI, ZürK, N 49 zu Art. 119 OR; BARTH, S. 54; BECKER, BerK, N 16 zu Art. 97 OR; BISCHOFF, S. 125; ENGEL, AT, Nr. 209 S. 706 und Nr. 204 S. 694; GAUCH, Dauervertrag, S. 121; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3136, 3160 und 3165; KELLER/SCHÖBI, I, S. 247; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96; VON TUHR/PETER, § 7 II, S. 46 f.; MARTIN, l'inexecution, ZSR 33 (1914), S. 80 und 120; betr. die anfängliche Unmöglichkeit KRAMER, BerK, N 256 zu Art. 19 - 20 OR. Vgl. zum deutschen Recht SOERGEL/WIEDEMANN, N 55 zu § 275 BGB.

522 In diesem Sinne ist wohl auch BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f. zu verstehen: „Das Merkmal des drohenden Ruins des Schuldners beim Beharren auf der Leistungspflicht würde übrigens im letzten Grunde bedeuten, dass es auf seine subjektive Leistungsfähigkeit ankommen solle, also auf einen Umstand, der nach Art. 119 OR gerade ohne Belang sein soll; das Obligationenrecht steht auf dem Boden, dass blosses subjektives Unvermögen des Schuldners keinen Erlöschungsgrund einer Forderung bilden soll.“ Vgl. ferner ZR 34 (1935) Nr. 16, S. 43; AppGer BS 9 (1946 - 1948) Nr. 17, S. 52 f.; BGE 25 II 67; BGE 60 II 339.

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zur Befreiung des Schuldners von einer Geldschuld führt. Hat der Schuldner einer Geld-leistung nicht genügend Geldmittel (Bargeld, Buchgeld, Kredit usw.) zur Erfüllung seiner Geldschuld, so führt dies in keinem Falle zu übermässiger Leistungserschwerung oder zur Anwendbarkeit des Unmöglichkeitsrechts.523 Vielmehr liegt ein normaler Verzugsfall vor. Der Gläubiger kann direkt auf Erfüllung klagen und die Leistung nach den Regeln des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts vollstrecken lassen. Er kann den Schuldner in Verzug setzen und beispielsweise – bei gegebenen Voraussetzungen – Verzugszinsen und bei Verschulden Ersatz weiteren Schadens fordern (Art. 104 - 106 OR)524 oder nach Art. 107 Abs. 2 OR vom Vertrage zurücktreten. Das Gesagte gilt grundsätzlich auch, wenn die Erfüllung der Geldschuld die wirtschaftliche Existenz des Schuldners gefährdet.525

C. Ausnahmen

392 Trotz „genus perire non potest“ hat das Bundesgericht den Gattungsschuldner in ver-schiedenen Entscheiden von der Leistungspflicht (bzw. von der Schadenersatzpflicht) befreit.

a. Beschränkte Gattungsschuld

393 Einerseits hat das Bundesgericht den Schuldner bei beschränkten Gattungsschulden be-freit, beispielsweise in BGE 57 II 508 ff. aus dem Jahre 1931:

394 Beispiel: „Steinbruch-Sarnen-Fall“: Die Gemeinde Rapperswil kaufte von Josef Spil-ler ca. 120 Wagenladungen Kleinpflastersteine im Masse von 8/10 aus dem Steinbruch des Spiller in Sarnen, welche sie für den Bau einer Strasse benötigte. Es stellte sich je-doch heraus, dass die Formation des guten Gesteins, welcher die Steine entnommen wer-den sollten, stark „bergeinfallend“ war.526 Das Bundesgericht erachtet die Lieferung der Pflastersteine als nicht erschwinglich und wies die Schadenersatzforderung der Gemein-de Rapperswil ab.527

395 Wendet man das Kriterium des Missverhältnisses zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse auf dieses Beispiel an, so liegt hier ausnahmsweise eine über-mässige Leistungserschwerung vor. Einerseits war der Abbau von Steinen im Stein- 523 Ausdrücklich BISCHOFF, S. 125; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3165; PICHONNAZ, Nr. 364; vgl.

ferner GAUCH, Dauervertrag, S. 121. BARTH, S. 54, weist richtigerweise darauf hin, dass dies bei einer Geldsortenschuld nicht unbedingt gilt. Ausführlich CANTIENI, S. 18 ff.

524 Ausführlich CANTIENI, S. 28 ff. 525 BGE 59 II 378 = Pra 22 (1933) Nr. 176, S. 468 f., vgl. dazu Anm. 522. 526 Es handelt sich dabei streng genommen um einen Beispiel einer anfänglichen Leistungserschwe-

rung, vgl. Nr. 11 f. 527 BGE 57 II 508 f.

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bruch Sarnen sehr kostspielig: Die Kosten für den Abbau überstiegen den Marktwert der Kleinpflastersteine offensichtlich. Andererseits waren die Pflastersteine aus dem Stein-bruch Sarnen für die Käuferin nicht wertvoller als Pflastersteine aus anderen Brüchen, welche sie beim Strassenbau ebenso gut verwenden konnte.528 Unter diesen Voraus-setzungen standen freilich die Kosten der Realerfüllung in einem Missverhältnis zum Wert der Leistung für den Gläubiger.529

396 Zu diesem Resultat konnte das Bundesgericht jedoch nur gelangen, wenn es davon aus-ging, dass die Parteien die Lieferung von Kleinpflastersteinen aus dem Steinbruch Sarnen vereinbart hatten.530 Weil sich die Beschaffungspflicht des Schuldners grund-sätzlich nur auf Gattungsware bezieht,531 war der Schuldner nicht zur Beschaffung von Kleinpflastersteinen aus anderen Steinbrüchen verpflichtet. Hätten die Parteien hingegen die Lieferung von Kleinpflastersteinen schlechthin vereinbart, wäre anders zu entschei-den gewesen. Der Schuldner wäre zur Beschaffung von Steinen aus anderen Brüchen verpflichtet gewesen, was zu Marktpreisen auch ohne weiteres möglich gewesen wäre. Übermässige Leistungserschwerung hätte nicht vorgelegen. Dies zeigt: Der vertrag-lichen Abgrenzung der Gattung durch die Parteien bzw. der Auslegung der vertraglichen Gattungsabgrenzung kommt ganz entscheidende Bedeutung zu.

528 Die Gemeinde Rapperswil hat sich nicht darauf berufen, dass die Steine ihrer späteren Bezugs-

quelle minderer Qualität gewesen wären. 529 Dies ist wohl auch der wahre Grund für die Befreiung des Schuldners im berühmten Eichenlaub-

Fall des deutschen Reichsgerichts (RGZ 57, 116 ff.): Der Schuldner hatte die Lieferung von 6000 Zentnern doppelgesiebtes, entfasertes Baumwollsamenmehl Marke „Eichenlaub“ versprochen, welches nach geheimem Rezept und Verfahren von einer bestimmten Mühle in Hamburg mit eigens dazu konstruierten Maschinen hergestellt wurde. Die Mühle brannte samt Vorräten ab, doch wurden in der Nacht vor dem Brand noch 2000 Zentner elbaufwärts versandt. Obwohl es – wenn auch mit aussergewöhnlichen Anstrengungen – möglich gewesen wäre, bereits ausgeliefer-tes Mehl im In- und Ausland aufzukaufen, befreite das Reichsgericht den Schuldner von seiner Leistungspflicht. Der Befreiung ist zuzustimmen, sofern der Aufwand für das Zusammenkaufen der geschuldeten Menge Mehl den Wert des Mehls für den Gläubiger übersteigt. Dies ist nament-lich der Fall, wenn der Gläubiger Mehl anderer Herkunft ebenfalls hätte verwenden können, das Mehl Marke Eichenlaub also für den Gläubiger substituierbar war. Dies scheint i. c. der Fall ge-wesen zu sein, denn der Gläubiger hat nicht behauptet, nur das originale Mehl Marke Eigenlaub gebrauchen zu können, sondern er hat verlangt, dass das Mehl in einer anderen Mühle hergestellt werde.

530 Zur Frage, ob diese Annahme berechtigt war, vgl. Nr. 403. 531 Hat der Schuldner beispielsweise Voile englischer Provenienz versprochen, so muss er solche be-

schaffen, aber er ist nicht verpflichtet, auch Voile anderer Provenienz zu beschaffen; vgl. BGE 45 II 41. Wurde nur Ware eines bestimmten Lieferanten verkauft, so hat sich der Schuldner nur um Belieferung durch diesen Lieferanten zu kümmern; vgl. BGE 43 II 85 f.

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b. Vertragliche Einschränkung der Beschaffungspflicht

397 In anderen Fällen hat das Bundesgericht angenommen, dass die Beschaffungspflicht vertraglich beschränkt war, beispielsweise in BGE 45 II 37 ff. aus der Zeit des ersten Weltkrieges:

398 Beispiel: „Englische-Voile-Fall“: Die Verkäuferin verkaufte der Käuferin im Februar 1915 300 Stück Voile englischer Provenienz. Wegen eines Einfuhrverbots war aber ab Juli 1915 die Einfuhr von Voile aus England in die Schweiz ausgeschlossen, so dass sich die Verkäuferin Ware nur noch im Inland hätte beschaffen können. Das Bundesgericht verneinte eine Pflicht zur Beschaffung von Ware im Inland: „Insbesondere war [die Verkäuferin] nicht verpflichtet[,] Voile englischer Provenienz in der Schweiz aufzukaufen, und zwar schon deswegen nicht, weil die Parteimeinung auf Kauf bzw. Verkauf von aus England einzuführenden Waren ging... Auf dieser Parteimeinung fusste die Preiskalkulation (in der Schweiz befindliche Ware wäre offenbar viel teurer zu stehen gekommen), und sie allein kommt, mangels anderer Abrede, mit Rücksicht darauf in Frage, dass der Verkehr der Parteien sich bisher stets in dieser Weise abgespielt hatte“.532

399 Der Umfang der Beschaffungspflicht ergibt sich aus der vertraglichen Vereinba-rung. Die Parteien können eine unbegrenzte Beschaffungspflicht verabreden oder die Beschaffungspflicht durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung vertrag-lich einschränken.533 Das Bundesgericht hat im vorliegenden Fall angenommen, dass die Parteien die Beschaffung von englischer Voile im Inland vertraglich ausgeschlossen ha-ben.534 Eine Beschaffung von englischer Voile wäre deshalb nur unter Umgehung des Importverbots (durch Schmuggel!) möglich gewesen. Das Bundesgericht hat das Inte-resse des Schuldners, nicht unter Umgehung gesetzlicher Bestimmungen erfüllen zu müssen, zu Recht höher gewichtet als das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers.535 Hätte das Bundesgericht umgekehrt angenommen, dass die Parteien die Beschaffung von englischer Voile im Inland nicht vertraglich ausgeschlossen haben, so hätte der Schuldner die Ware im Inland beschaffen müssen, selbst wenn die Preise für die Ware 532 BGE 45 II 42. 533 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 95 Anm. 15. 534 Vgl. die folgenden Entscheide mit ähnlichen Sachverhalten: In BGE 43 II 174 ff. wurde die

Pflicht zur Beschaffung von Kupferdraht französischer Provenienz im Inland abgelehnt, Unmög-lichkeit aber verneint, weil kein generelles Einfuhrverbot bestand. In BGE 44 II 513 f. wurde Unmöglichkeit der Beschaffung des für die Erfüllung erforderlichen Rohmaterials abgelehnt. Vgl. auch BGE 42 II 380 ff. = Pra 5 (1916) Nr. 127, S. 314 f., betr. den Import von Eiern eines be-stimmten österreichischen Produzenten. KGer GR, SJZ 47 (1951) Nr. 28, S. 80, betr. italienische Stoffe.

535 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96, m. Hw.; ferner BECKER, BerK, N 9 zu Art. 97 OR: Schmuggelt der Verkäufer die Ware, begeht er (in der Regel) eine positive Vertragsverletzung. Der Käufer kann die Annahme der Ware, die unter Verletzung eines Importverbots an den Erfüllungsort gebracht wird, verweigern, ohne in Annahmeverzug zu geraten; vgl. WEBER, BerK, N 160 zu Art. 91 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 17 zu Art. 92 OR.

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wegen der Importsperre sehr hoch gewesen wären. Ein Missverhältnis zwischen Erfül-lungsaufwand und Realerfüllungsinteresse hätte in diesem Falle nicht bestanden. Dies zeigt, dass vertragliche Vereinbarungen über die Einschränkung der Beschaffungspflicht und die Auslegung des Vertrages in dieser Hinsicht von entscheidender Bedeutung sind für die Feststellung, ob bei Gattungsschulden eine übermässige Leistungserschwerung vorliegt.536

D. Das Problem stillschweigender vertraglicher Vereinbarungen und der Ver-tragsergänzung im Besonderen

400 Von der Abgrenzung der Gattung (Nr. 396) und der Einschränkung der Beschaffungs-pflicht (Nr. 399) im Vertrag hängt deshalb bei Gattungsschulden letzten Endes ab, ob eine übermässige Leistungserschwerung vorliegt (bzw. vorliegen kann), so dass der Schuldner von der Realerfüllung (und bei nicht zu vertretenden Leistungshindernissen letztlich auch von der Haftung für Schadenersatz, Nr. 590 ff.) befreit wird. Vertragsaus-legung und Vertragsergänzung sind deshalb namentlich bei Gattungsschulden von ent-scheidender Bedeutung. Die Versuchung der Gerichte ist gross, den Schuldner aus Bil-ligkeitsgründen durch die Annahme stillschweigender vertraglicher Vereinbarungen oder durch Vertragsergänzung zu befreien, selbst wenn die Voraussetzungen dafür nicht gegeben oder zumindest zweifelhaft sind. Ein solches Vorgehen ist problematisch: Die Abgrenzung der Gattung und die Einschränkung der Beschaffungspflicht sind Entschei-de, welche die vertragliche Risikoverteilung beeinflussen und deshalb von den Parteien selbst geregelt und nicht dem Richter überlassen werden sollten (Nr. 265 ff.). Der Rich-ter darf deshalb auch bei Gattungsschulden nur in den Vertrag eingreifen, wenn die Vo-raussetzungen für die Annahme einer stillschweigenden vertraglichen Vereinbarung oder für die Vertragsergänzung gemäss den allgemeinen Regeln im konkreten Fall er-füllt sind. Im Einzelnen:

401 Ausdrückliche Vereinbarungen der Parteien über die Abgrenzung der geschuldeten Gat-tungs oder die Einschränkung der Beschaffungspflicht sind für den Richter verbindlich. Fehlt eine ausdrückliche Vereinbarung, so ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, ob die Parteien eine stillschweigende Vereinbarung getroffen haben. Ist auch dies zu ver-neinen, so gilt die allgemeine Regel, wonach ein Missverhältnis zwischen Erfüllungs-aufwand und Realerfüllungsinteresse bei Gattungsschulden grundsätzlich nicht eintreten kann (genus perire non potest, Nr. 385 ff.). Die Ergänzung des Vertrages durch eine Be-schränkung der geschuldeten Gattung oder durch die Einschränkung der Beschaffungs-pflicht kommt hingegen nur in Frage, wenn der Vertrag konkrete Anhaltspunkte für

536 Vgl. DESCHENAUX, révision, S. 537a.

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einen solchen hypothetischen Parteiwillen gibt.537,538 Die Vertragsanpassung ohne Vor-liegen von konkreten Anhaltspunkten für einen abweichenden hypothetischen Partei-willen nach der clausula rebus sic stantibus539 kommt schliesslich nur in Ausnahmefäl-len in Frage.540

402 In den hier interessierenden Situationen gibt der Wortlaut in der Regel keine hinreichen-den Hinweise für die Annahme einer stillschweigenden Vereinbarung,541 so dass auf er-gänzende Auslegungsmittel wie die Entstehungsgeschichte des Vertrages, Begleitum-stände, das Verhalten der Parteien vor oder nach Vertragsschluss, die Interessenlage der Parteien, den Vertragszweck oder Verkehrssitte und Usancen abgestellt werden muss.542 Dazu einige Hinweise:

403 – Die Umstände lassen in der Regel Rückschlüsse zu, wie der Schuldner zu erfüllen plante. Im „Steinbruch-Sarnen-Fall“ (Nr. 394) war der Verkäufer der Besitzer dieses Steinbruchs, eine Delegation des Gemeinderates von Rapperswil hatte den Stein-bruch besichtigt und Lieferung war „franco Station Sarnen“ vereinbart;543 dies deutet darauf, dass der Verkäufer aus dem eigenen Steinbruch zu liefern plante. Und im „Englische-Voile-Fall“ (Nr. 398) hatte die Käuferin „aus ihrem früheren Verkehr den Charakter der [Verkäuferin] als einer Importfirma gekannt“,544 so dass die Käu-ferin wohl wusste, dass die Verkäuferin zu importieren und nicht im Inland zu be-schaffen gedachte. Aus der beabsichtigten Art der Erfüllung, welche sich aus den Umständen ergibt, kann aber nicht ohne weiteres auf die geschuldete Leistung ge-schlossen werden. Ein solcher Schluss ist zwar oft naheliegend, aber meist nicht zwingend, und häufig unzulässig. Lassen die Umstände nicht auf einen dem Gläubi-ger erkennbaren Willen des Schuldners schliessen, die Lieferung nur auf die geplan-te Art ausführen zu müssen, kommt eine Vertragsergänzung nicht in Betracht.

404 Beispiel: Der Umstand, dass der Schuldner im Steinbruch-Sarnen-Fall aus dem Stein-bruch Sarnen zu liefern plante, sagt nichts darüber aus, was die Parteien vereinbart hät-ten, wenn sie an den Fall gedacht hätten, dass Lieferung aus dem Steinbruch Sarnen –

537 KOLLER, OR AT I, Nr. 613; ERDIN, Nr. 123, m. w. Hw.; vgl. ferner WIEGAND, BasK, N 71 zu

Art. 18 OR; in Zusammenhang mit der clausula rebus sic stantibus z. B. KRAMER, BerK, N 322 ff. zu Art. 18 OR.

538 In der Praxis gehen Vertragsauslegung und Vertragsergänzung ineinander über. Vgl. WIEGAND, BasK, N 59 zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 220 ff. zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 553 ff. zu Art. 18 OR; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1263.

539 Vgl. z. B. KOLLER, OR AT I, Nr. 613; KRAMER, BerK, N 330 ff. zu Art. 18 OR. 540 Vgl. z. B. KRAMER, BerK, N 333 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 646 zu Art. 18 OR. 541 Wenn beispielsweise ein Gemüsebauer im Juni Salat verkauft, wobei er nach vertraglicher Ver-

einbarung bei Hagelschäden von der Lieferpflicht befreit wird, der Salat aber durch Frost zerstört wurde, woran die Parteien im Juni natürlich nicht gedacht haben.

542 Vgl. dazu z. B. WIEGAND, BasK, N 26 ff. zu Art. 18 OR; KOLLER, OR AT I, Nr. 569 f.; GAUCH/ SCHLUEP/SCHMID, Nr. 1212 ff.

543 BGE 57 II 508 f. 544 BGE 45 II 41.

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aus welchen Gründen auch immer – nicht möglich sein wird. Sie hätten vereinbaren kön-nen, dass der Schuldner in diesem Falle frei wird. Sie hätten aber ebenso gut vorsehen können, dass der Schuldner Steine aus einem anderen Steinbruch liefern werde.545 Da die Umstände weder für das eine noch für das andere sprechen, sind die Parteien auf dem zu behaften, was sie ausdrücklich vereinbart haben, nämlich: Kleinpflastersteine aus dem Steinbruch Sarnen (und nichts anderes).

405 – Andererseits kommen Absichten des Schuldners, mögen sie noch so naheliegend sein, keine Bedeutung zu, wenn sie nicht aus den Umständen hervorgehen. Bei-spielsweise rechtfertigt die selbstverständliche Absicht jedes Händlers, die Ware bei einem anderen Händler oder direkt bei einem Erzeuger einzukaufen, die Befreiung des Händlers bei Ausfall seiner „üblichen“ oder „normalen“ Bezugsquelle nicht. Insbesondere ist es aber unzulässig, aus dem Umstand, dass niemand gerne grosse Risiken übernimmt, zu schliessen, dass die Lieferpflicht bei starken Preis-steigerungen oder anderen grossen Beschaffungsschwierigkeiten generell erlischt.546

406 Beispiel: „Château-Petrus-Fall“.547 Der Käufer bestellte 1984 vom Verkäufer 12 Flaschen Château Petrus MC 1982 für 97 Franken die Flasche. Der Verkäufer hatte sich seinerseits bei A.B. eingedeckt, welcher wiederum mit C.D., einem grossen französi-schen Weinhändler unter Vertrag war. C.D. belieferte A.B. nicht, und wegen Unregel-mässigkeiten im Betrieb von C.D. war Château Petrus MC 1982 auf dem „normalen“ Markt in der Schweiz überhaupt nicht erhältlich. Er wurde jedoch an Weinauktionen gehandelt. Der Käufer klagte gegen den Verkäufer auf Schadenersatz, mit der Begrün-dung, der Verkäufer habe den Wein an einer Auktion zu kaufen. Das Obergericht Aargau stellte zuerst richtig fest, dass der Ausfall des Lieferanten allein den Verkäufer nicht zu befreien vermag (Erw. 2a). Sodann stellt das Gericht fest, dass es den Gepflogenheiten im Geschäftsverkehr entspreche, dass der Verkäufer die verkaufte Ware, wenn er sie nicht schon beim Vertragsabschluss besitze, am Markt ankaufte, wobei stets vorausge-setzt sei, dass die Ware am Markt vorhanden sei, gehandelt werde und einen Marktpreis habe. Und weiter: „Der Wein eines bestimmten Jahrgangs einer bestimmten Provenienz, der nicht mehr auf dem üblichen Weg verkauft wird und nur noch in kleinen Beständen bei Händlern und Privaten zu Spekulationszwecken mit dem Ziel lagert, an Versteigerun-gen einen möglichst hohen Preis zu erzielen, hat keinen Marktpreis mehr und ist im Han-del nicht mehr erhältlich. Mit der Beschaffung der Ware auf dem ungewöhnlichen Weg

545 Beispielsweise behauptete der Verkäufer, der Käuferin nach Bekanntwerden der ungünstigen

Schichtenlage angeboten zu haben, fristgemäss „60 Wagen ab Bruch Sarnen und 60 Wagen ab Bruch Wolfenschiessen“ (also für die Hälfte ein abweichender Erfüllungsort) zu liefern, worauf die Käuferin nicht einging.

546 So aber MÜLLER-CHEN, S. 237, m. Hw. auf die deutsche Lehre und Rechtsprechung: „Die ver-tragliche Risikoübernahme gilt nicht schrankenlos: Besteht die Gefahr der Existenzvernichtung, so muss vermutet werden, dass eine vernünftige Partei dieses extreme Risiko nicht tragen wollte.“ Vgl. auch Anm. 381. Dem kann nicht zugestimmt werden: Im Gegenteil entspricht es der Erfah-rung, dass beim unternehmerischen Handeln zuweilen Risiken übernommen werden (müssen), welche bei sehr ungünstiger Entwicklung der Dinge zum Konkurs führen bzw. führen können.

547 Vgl. OGer AG, AGVE 1987 Nr. 8, S. 32 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 177 f.; (zu Recht) kritisch

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über Auktionen rechnet der Verkehr nicht, weshalb der Beklagten die Erfüllung des Vertrages unzumutbar und damit unmöglich im Sinne von Art. 119 Abs. 1 OR war“.548

407 Die Argumentation des Obergerichts Aargau überzeugt nach dem Gesagten nicht.549 Selbst wenn „der Verkehr“ nicht damit rechnet, Wein an einer Auktion beschaffen zu müssen – ob dies zutreffe bleibe dahingestellt –, so heisst das nicht, dass es nicht der Wille der konkreten Vertragsparteien gewesen sei, dass der Wein notfalls auch auf diesem Wege beschafft werde. Sofern der Vertrag keine konkreten Anhalts-punkte dafür gibt, dass die „Verkehrsübung“ dem hypothetischen Parteiwillen ent-spricht, darf nicht von deren Geltung ausgegangen werden.550

408 – Auch die Höhe der Gegenleistung (der „Preis“ der Leistung) lässt in der Regel keine Rückschlüsse auf die vertragliche Risikoverteilung zu. Zwar ist es richtig, dass die vertragliche Risikoverteilung den Preis der Leistung beeinflusst, 551 doch handelt es sich dabei nur um einen unter vielen Faktoren. Der Preis hängt namentlich auch von der Einschätzung des Risikos durch jede Partei, von der gegenseitigen Verhand-lungsmacht und dem Verhandlungsgeschick der Parteien, von Angeboten der Kon-kurrenz, der Qualität der Leistung usw. ab. Der vereinbarte Preis ist damit ein Re-sultat einer Vielzahl von Faktoren. Nur wenn eine Vertragspartei ihre Leistung regelmässig mit verschiedener Risikoverteilung zu entsprechend unterschiedlichen Preisen anbietet, kann nach dem Vertrauensprinzip ausnahmsweise aus dem Preis auf die vertragliche Risikoverteilung geschlossen werden.

409 Beispiel: Ein Reiseveranstalter bietet dieselbe Pauschalreise ohne Annulations-versicherung und gegen Bezahlung eines Zuschlags auch mit Annulationsversicherung an. Wenn ein Kunde den höheren Preis bezahlt hat, kann allenfalls geschlossen werden, dass die Annulationsversicherung im Preis inbegriffen war.

410 Die Befreiung des Schuldners auf dem Wege der Vertragsanpassung, also bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte im Vertrag, beruht hingegen letzten Endes auf Billigkeitserwä-gungen. Die Billigkeit kann Anlass zur Vertragsanpassung geben, wenn sich der Vertrag völlig überraschend für die eine Partei als ein eigentlicher grosser Glücksfall, für die andere Partei als schweres Unglück erweist. Ob letztere in eine Notlage gerät (Art. 44 Abs. 2 OR), kann allenfalls mitberücksichtigt werden.552 Wenn das wahre Motiv der

dazu GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3300 f.

548 OGer AG, AGVE 1987 Nr. 8, S. 34 = SJZ 85 (1989) Nr. 30, S. 178. 549 Ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse liegt nicht vor,

wenn davon ausgegangen wird, dass der Gläubiger den Wein zum vom Schuldner bezahlten Preis weiterverkaufen könnte.

550 Verkehrsübung kann zur Vertragsergänzung nur herangezogen werden, wenn das Gesetz auf die Verkehrsübung verweist oder wenn sie dem hypothetischen Parteiwillen entspricht. Vgl. JÄGGI/ GAUCH, ZürK, N 524 zu Art. 18 OR; KOLLER, OR AT I, Nr. 612.

551 Vgl. ADAMS, recht 1986, S. 22. 552 Freilich kann die Verhinderung der Insolvenz des Schuldners kein Ziel des materiellen Rechts

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Vertragsanpassung aber solche Billigkeitsüberlegungen sind, ist nochmals zu höchster Zurückhaltung bei ihrer Anwendung zu mahnen.

4. Dienstleistungspflichten

411 Die bisher behandelten Fälle der Leistungserschwerung betrafen Sachleistungen (Gat-tungs- und Speziesschulden). Bei der Beurteilung der Leistungserschwerung bei Dienst-leistungen spielt die Unterscheidung zwischen persönlichen und unpersönlichen Leis-tungspflichten eine wesentliche Rolle, weshalb sie hier vorab zu behandeln ist.

A. Begriffe der persönlichen und unpersönlichen Leistungspflicht

412 1. Art. 68 OR handelt von der Pflicht des Schuldners, persönlich zu erfüllen. Trifft den Schuldner eine Pflicht zu persönlicher Erfüllung (sog. persönliche – oder höchstpersön-liche, vgl. Nr. 418 – Leistungspflicht) so muss er eine persönliche Leistung erbringen (vgl. Marginalie zu Art. 68 OR), d. h. selbst553 erfüllen.554 Der Schuldner darf die Er-bringung der Leistung nicht einem Dritten übertragen, und der Gläubiger muss die Leis-tung eines Dritten nicht annehmen. Die Erbringung der Leistung durch einen Dritten stellt bei persönlicher Leistungspflicht keine Erfüllung dar.555

413 Bei einer unpersönlichen Leistungspflicht hat der Schuldner die Wahl, die Leistung persönlich zu erbringen oder die Erfüllung einem Dritten zu übertragen (Substitution).556 Der Gläubiger muss die Leistung (im Sinne einer Obliegenheit) auch dann annehmen, wenn sie nicht vom Schuldner selbst, sondern von einem Dritten erbracht wird.557 Selbstverständlich darf der Schuldner auch Hilfspersonen bei der Erfüllung beiziehen oder die Erfüllung nur teilweise an Dritte übertragen. Leistungen, welche nicht persön-lich zu erbringen sind, werden als unpersönliche Leistungen bezeichnet.558

sein. Diese Aufgabe fällt dem Schuldbetreibungs- und Konkursrecht zu.

553 Vertraglich kann vereinbart werden, dass nicht der Schuldner, sondern eine bestimmte Hilfsper-son (bei juristischen Personen allenfalls eines ihrer Organe) die Leistung erbringt, weil es dem Gläubiger auf die persönlichen Eigenschaften dieser Hilfsperson ankommt. Das hier zur persön-lichen Leistungspflicht Gesagte gilt in diesem Fall analog.

554 Die hier interessierende Unterscheidung zwischen persönlicher und unpersönlicher Leistungs-pflicht darf nicht verwechselt werden mit der Unterscheidung zwischen sachlichen Leistungen und Dienstleistungen („persönlichen“ Leistungen); vgl. zu letzterer Unterscheidung VON TUHR/ PETER, § 7 II, S. 45; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 37; KOLLER, OR AT I, Nr. 20.

555 KOLLER, BerK, N 69 zu Art. 364 OR, differenzierend in N 70 ff. Die Leistung eines Dritten ist keine vertragsgemässe Leistung, vgl. KOLLER, OR AT I, Nr. 856.

556 Vgl. statt vieler GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2019. 557 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2023; VON TUHR/ESCHER, § 59 I, S. 25. 558 Anstatt von unpersönlichen Leistungen sprechen verschiedene Autoren von „vertretbaren Leis-

tungen“, beispielsweise KELLER/SCHÖBI, I, S. 209, oder SCHRANER, ZürK, N 3 zu Art. 68 OR.

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414 2. Ob der Schuldner zu persönlicher Erfüllung verpflichtet ist, hängt gemäss Art. 68 OR davon ab, ob es bei der Leistung auf die Persönlichkeit des Schuldners ankommt. Die Lehre stellt mehrheitlich darauf ab, ob „die Leistung so stark durch ... [die] individu-ellen (physischen, fachlichen, geistigen, moralischen) Eigenschaften [des Schuldners] geprägt ist, dass die Leistung nicht ohne Veränderung des Inhalts von einem Dritten er-bracht werden kann“.559 Ob dies der Fall ist, richtet sich primär nach vertraglicher Ver-einbarung. Beispielsweise wird vereinbart, dass der Betriebsinhaber einer Autogarage den defekten Motor des Wagens des Kunden persönlich zu reparieren hat.560 Fehlt eine vertragliche Vereinbarung, so ist gemäss KOLLER in zweiter Linie auf die Natur des Ge-schäftes (vgl. Art. 364 Abs. 2 OR) und in letzter Linie auf eine allfällige Übung (vgl. Art. 398 Abs. 3 OR) abzustellen.561 Für den Fall, dass alle drei Kriterien nicht zu einem Resultat führen, stellt das Gesetz verschiedene Vermutungen auf. Eine persönliche Leis-tungspflicht besteht vermutungsweise für die Arbeitsleistung (Art. 321 OR), die Leitung und Überwachung der Werksausführung durch den Unternehmer im Werkvertrag (Art. 364 Abs. 2 OR),562 die Leistung des Beauftragten (Art. 398 Abs. 3 OR) und in bestimm-ten anderen Fällen.563 Bei allen übrigen Leistungen besteht vermutungsweise keine per-sönliche Leistungspflicht (Art. 68 OR).564

415 3. Auch bei persönlicher Leistungspflicht muss der Schuldner in der Regel nicht sämt-liche Erfüllungshandlungen selbst vornehmen.565 Er kann gewisse Verrichtungen auf eine Hilfsperson übertragen. Unter Umständen ist er bloss zur persönlichen Leitung ver-pflichtet (vgl. Art. 364 Abs. 2 OR). Wie weit der Schuldner die Leistung persönlich zu erbringen hat, d. h. wie weit der Umfang der persönlichen Leistungspflicht geht, richtet sich ebenfalls nach den genannten drei Kriterien (Nr. 414).566 Jenen Teil der Leistung, bei dem es auf die Persönlichkeit des Schuldners ankommt, muss der Schuldner in je-dem Falle selbst erbringen.

416 4. Ist der Schuldner zu persönlicher Leistung verpflichtet, so wirkt die Beschränkung der Leistungspflicht auf persönliche Erfüllung dem Grundsatz nach sowohl zu 559 Vgl. LEU, BasK, N 3 zu Art. 68 OR; SCHRANER, ZürK, N 16 zu Art. 68 OR; ähnlich z. B. VON

TUHR/ESCHER, § 59 I, S. 23; KELLER/SCHÖBI, I, S. 209. Dieser restriktiven Formulierung zum trotz sind an die Annahme einer persönlichen Leistungspflicht keine strengen Anforderungen zu stellen.

560 Beispiel von SCHRANER, ZürK, N 33 zu Art. 68 OR. 561 KOLLER, BerK, N 10 zu Art. 364 OR, mit überzeugender Begründung. 562 Vgl. KOLLER, BerK, N 17 und 19 zu Art. 364 OR. 563 Vgl. SCHRANER, ZürK, N 17 ff. zu Art. 68 OR; LEU, BasK, N 3 zu Art. 68 OR. 564 Ein Sonderfall liegt vor, wenn der Schuldner überhaupt der Einzige ist, der die Leistung zu

erbringen imstande ist, die Leistung des Schuldners also einmalig und unersetzbar ist. Eine solche Leistung kann selbstverständlich aus praktischen Gründen nur vom Schuldner selbst erbracht werden. Vgl. NEUMANN-DUESBERG, BB 1970, S. 1462. ZIEGLER, S. 57.

565 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2848; LEU, BasK, N 1 zu Art. 68 OR; VON TUHR/ESCHER, § 59 I, S. 24.

566 KOLLER, BerK, N 12 zu Art. 366 OR.

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Gunsten des Gläubigers als auch zu Gunsten des Schuldners. Die Vereinbarung einer persönlichen Leistungspflicht bedeutet also nicht nur, dass der Schuldner die Er-füllung nicht einem Dritten übertragen darf, sondern ebenso, dass er zur Erbringung der Leistung durch Übertragung der Erfüllung auf einen Dritten nicht verpflichtet ist. Der Gläubiger seinerseits muss zwar Erfüllung durch einen Dritten nicht annehmen, er kann aber auch nicht fordern, dass der Schuldner durch Übertragung auf einen Dritten erfülle. Dass sich Recht und Pflicht zum Beizug eines Dritten entsprechen, gilt freilich nur dem Grundsatz nach. Die Parteien können auch eine persönliche Leistungspflicht einseitig zu Gunsten des Gläubigers oder einseitig zu Gunsten des Schuldners vereinbaren. Ob eine persönliche Leistungspflicht zweiseitig oder einseitig vereinbart wurde, bestimmt sich ebenfalls nach der Parteivereinbarung, der Natur des Geschäftes und Übung (Nr. 414).

417 Eine persönliche Leistungspflicht gilt einseitig zu Gunsten des Gläubigers, wenn der Schuldner zwar persönlich erfüllen muss, der Gläubiger aber das Recht hat, auf persön-liche Erfüllung zu verzichten und Erfüllung durch Beizug eines Dritten zu fordern. Durch den Verzicht auf persönliche Erfüllung wird die persönliche Leistungspflicht zu einer unpersönlichen. Einseitig zu Gunsten des Schuldners wirkt die persönliche Leis-tungspflicht, wenn der Gläubiger nur Erfüllung durch den Schuldner fordern kann, der Schuldner aber auch durch Dritte erfüllen darf und der Gläubiger die Leistung des Drit-ten anzunehmen hat.

418 5. In der Lehre wird zuweilen auch von höchstpersönlichen Leistungen gesprochen. Die Verwendung dieses Begriffs ist jedoch nicht einheitlich. Teilweise wird der Begriff der höchstpersönlichen Leistung gleichbedeutend mit dem Begriff der persönlichen Leistung verwendet.567 Andere Autoren sprechen in Zusammenhang mit Art. 68 OR von persönlicher Leistung und in Zusammenhang mit der Unmöglichkeit von höchstpersön-lichen Leistungen, teilweise ohne dass klar wird, ob ein materieller Unterschied zwischen den persönlichen und den höchstpersönlichen Leistungen besteht.568 Schliess-lich werden jene Teile einer Leistung als höchstpersönlich bezeichnet, welche der Schuldner selber vorzunehmen hat, oder jene Leistungen, bei welchen sich der Schuld-ner nicht auf die persönliche Leitung der Leistungserbringung beschränken kann.569 In dieser Arbeit wird der Begriff der höchstpersönlichen Leistung wegen der Unklarheit seines Inhalts vermieden und nur von persönlicher Leistung gesprochen. Sofern nicht ausdrücklich auf eine einseitig persönliche Leistung Bezug genommen wird, wird darunter immer eine zweiseitig persönliche Leistung im oben beschriebenen Sinne (Nr. 416) verstanden.

567 So anscheinend SCHRANER, ZürK, N 29 zu Art. 68 OR. 568 Vgl. z. B. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2019 ff. einerseits und Nr. 3149 andererseits; ferner GIGER,

S. 23 Anm. 2. 569 KOLLER, BerK, N 17 und N 54 f. zu Art. 364 OR.

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B. Leistungshindernisse in der Person des Schuldners

419 Der Schuldner einer Dienstleistung kann – wie bereits einleitend gesagt (Nr. 25) – aus persönlichen Gründen an der Erfüllung gehindert sein. Zu denken ist primär an Leis-tungshindernisse, die ihre Ursache in der Person des Schuldners selbst haben.570 Bei-spielsweise fehlt dem Schuldner die für die Erfüllung nötige körperliche (physische) Leistungsfähigkeit, infolge Krankheit, Alter, körperlicher Behinderung, Unfall, Tod571 oder aus anderen Gründen. Oder der Schuldner hat die nötigen geistigen, intellektuellen oder psychischen Fähigkeiten nicht, um die Leistung zu erbringen, beispielsweise infol-ge mangelnder Ausbildung, Wissen, Know-how.

420 Leistungshindernisse, die ihre Ursache in der Person des Schuldners selbst haben, sind grundsätzlich nach dem allgemeinen Grundsatz zu beurteilen: Der Realerfüllungsan-spruch entfällt bei übermässiger Leistungserschwerung. Ob aber der Erfüllungsaufwand des Dienstleistungsschuldners das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers übersteigt, wird wesentlich dadurch beeinflusst, ob die Dienstleistungspflicht des Schuldners eine persönliche oder eine unpersönliche Leistungspflicht ist: Der Schuldner einer unpersön-lichen Dienstleistung, der die Dienstleistung zufolge mangelnder physischer oder psy-chischer Leistungsfähigkeit nicht selbst zu erbringen in der Lage ist, kann die Vertrags-erfüllung in aller Regel mit geringem Aufwand auf einen Dritten übertragen.572 Diese Möglichkeit besteht bei einer persönlichen Leistungspflicht gerade nicht. Dies sei an-hand zweier Beispiele erläutert.

421 Beispiel: Ein Kunstmaler verpflichtet sich zum Erstellen von religiösen Fresken in einer Kirche. Die Wandmalereien sind nach der Vereinbarung der Parteien persönlich auszuführen. Wird der Kunstmaler zufolge eines Unfalls invalid, so dass er die Male-reien – wenn überhaupt – nur noch mit grossen Mühen und Zeitaufwand selbst ausfüh-ren kann, so kann er die Ausführung der Malereien in der Regel verweigern. Der Erfül-lungsaufwand überwiegt in diesem Falle das Realerfüllungsinteresse des Gläubigers.573

422 Anders ist bei unpersönlichen Leistungspflichten zu entscheiden. Wird beispielsweise der Flachmaler invalid, der sich zum Bestreichen der Kirchenmauern verpflichtet hat, so wird er die Malerarbeiten zwar ebenfalls nicht selbst ausführen können. Anders als der Kunstmaler ist er aber berechtigt und wenn nötig auch verpflichtet, die Erfüllung

570 Vgl. auch Art. 324a Abs. 1 OR: „Gründe, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Er-

füllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes“. 571 Vgl. Art. 379 Abs. 1 OR. 572 Dasselbe gilt bei einseitig zu Gunsten des Gläubigers vereinbarten persönlichen Leistungspflich-

ten, nachdem der Gläubiger auf die persönliche Erfüllung verzichtet hat. Vgl. Nr. 417. 573 Hingegen bestehen unter Umständen gewisse – aus Treu und Glauben abgeleitete – Nebenpflich-

ten in Zusammenhang mit dem Eintritt der übermässigen Leistungserschwerung, z. B. die Pflicht des Schuldners, dem Gläubiger Empfehlungen für einen Ersatz zu geben.

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Dritten zu übertragen oder die Leistung durch Hilfspersonen zu erbringen. Zwar ist auch dies mit gewissem zusätzlichem Aufwand für den Flachmaler verbunden. Beson-dere Verhältnisse vorbehalten, besteht jedoch kaum je ein Missverhältnis zum Realer-füllungsinteresse des Gläubigers, müsste doch dieser ebenfalls einen Dritten beauftra-gen, um Realerfüllung zu erhalten. Der zu einer unpersönlichen Leistung verpflichtete Flachmaler kann deshalb zwar die persönliche Ausführung der Malerarbeiten verwei-gern, doch bleibt er zur Ausführung der Malerarbeiten durch Beizug von Hilfspersonen oder Übertragung der Malerarbeiten an einen Dritten verpflichtet – die Erfüllung auf diesem Wege kann er nicht verweigern.

423 Das Gesagte kann auf Art. 379 Abs. 1 OR abgestützt werden. Gemäss dieser Bestim-mung erlischt der Werkvertrag bei Tod oder Unfähigkeit des Unternehmers zur Vollen-dung des Werkes nur, wenn der Werkvertrag „mit Rücksicht auf die persönlichen Eigen-schaften des Unternehmers eingegangen war“.574 Art. 379 Abs. 1 OR scheint der Gedan-ke zugrunde zu liegen, dass der Schuldner einer unpersönlichen Leistungspflicht bei per-sönlichen Hindernissen in der Regel durch Beizug von Hilfspersonen oder durch Über-tragung der Erfüllung an Dritte erfüllen kann.575

424 Nachzutragen bleiben drei Präzisierungen: 1. Gilt eine persönliche Leistungspflicht ein-seitig zu Gunsten des Gläubigers, so kann der Gläubiger auf persönliche Erfüllung ver-zichten und Erfüllung durch Beizug eines Dritten fordern (Nr. 416 f.). Die Erfüllung durch Beizug eines Dritten ist nach dem Gesagten in der Regel nicht übermässig er-schwert (Nr. 422).

425 2. Ausnahmsweise besteht gemäss hier vertretener Auffassung auch bei „normalen“, sowohl zu Gunsten des Gläubigers wie auch zu Gunsten des Schuldners vereinbarten persönlichen Leistungspflichten die Möglichkeit, eine gleichartige und gleichwertige Leistung eines Dritten als Ersatzleistung zu verlangen. Der Anspruch auf eine Ersatz-leistung setzt namentlich eine Verantwortung des Schuldners an der Leistungserschwe-rung voraus. Vgl. dazu Nr. 530 ff.

426 3. Bei der Abwägung des Erfüllungsaufwands des Schuldners und des Realerfüllungs-interesses des Gläubigers stellen sich besondere Probleme, weil auf Seiten des Schuld-ners häufig nicht wirtschaftliche Interessen tangiert sind. Beispielsweise fragt sich, ob der Schuldner trotz der Krankheit, der körperlichen Behinderung etc. die geschuldeten Erfüllungshandlungen vornehmen muss576 oder ob der Erfüllungsaufwand unter diesen

574 Gemäss BGE 103 II 58 fallen sowohl die unverschuldete wie auch die verschuldete Leistungsun-

fähigkeit des Schuldners unter Art. 379 Abs. 1 OR. Gl. A. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 757; a. A. ZINDEL/PULVER, BasK, N 6 zu Art. 379 OR.

575 Vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 755; ZINDEL/PULVER, BasK, N 12 zu Art. 379 OR; BGE 34 II 262.

576 Vgl. z. B. im arbeitsrechtlichen Kontext STREIFF/VON KAENEL, N 10 zu Art. 324a/b OR.

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Umständen das Realerfüllungsinteresse überwiegt. Diese Abwägung ist stark durch wer-tende, teilweise ethische Entscheidungen geprägt.577

C. Andere Leistungshindernisse

427 Keine entscheidende Bedeutung hat die Abgrenzung zwischen unpersönlicher und per-sönlicher Leistungspflicht hingegen bei Leistungshindernissen, welche von der Per-son des Schuldners unabhängig sind. Hier gilt einzig der allgemeine Grundsatz der übermässigen Leistungserschwerung, wobei das Resultat so oder anders ausfallen kann.

428 Beispiel: Ein Goldschmied verpflichtet sich zur Herstellung eines Halsbandes aus Gold, doch erhöht sich der Aufwand für dessen Herstellung, weil die Goldpreise stark ansteigen. Die steigenden Goldpreise beeinflussen aber nicht nur den Erfüllungsauf-wand, sondern ebenso den Wert des Halsbands für den Gläubiger, der entsprechend an-steigt. Analog zum Kuriwata-Seiden-Fall (Nr. 387) liegt ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand nicht vor. Der Goldschmied kann deshalb die Herstellung des Hals-bandes nicht verweigern.578

429 Beispiel: Ein Flachmaler hat sich zum Streichen einer Mauer mit einer ganz bestimm-ten Farbe eines bestimmten Herstellers verpflichtet, doch brennt die Fabrik des Herstel-lers samt Lagerbeständen ab. Der Flachmaler müsste die Farbe nun auf dem Markt zu-sammenkaufen, was beträchtlichen Aufwand erfordert. Ob der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse steht, hängt davon ab, ob die verein-barte Farbe für den Gläubiger einzigartig oder sonst wie besonders wertvoll ist, oder ob er die Farbe eines anderen Herstellers, welche noch zu unveränderten Preisen erhältlich ist, ebenso schätzen würde. Ist letzteres der Fall, so liegt übermässige Leistungser-schwerung vor. Der Flachmaler kann in diesem Falle die Ausführung der Malerarbeiten mit der vereinbarten Farbe verweigern. Dies entspricht der Situation im Steinbruch-Sarnen-Fall (Nr. 394).

430 Zur Ausführung der Malerarbeiten mit einer anderen als der vereinbarten Farbe ist der Flachmaler nach hier vertretener Auffassung nur verpflichtet, wenn die Voraussetzun-gen zur Geltendmachung einer Ersatzleistung gegeben sind (vgl. Nr. 530 ff.), nament-lich also bei Verantwortung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwe-rung. In allen anderen Fällen kann eine solche Pflicht nur mit Zustimmung beider Par-teien begründet werden (einvernehmliche Vertragsanpassung).

431 Schliesslich gibt es eine Gruppe von Leistungshindernissen, die ihre Ursache im Ver-mögen des Schuldners haben. Diese liegen zwischen den beiden genannten Fällen, meist aber näher beim zweitgenannten. Beispielsweise fehlen dem Schuldner die für die Erfüllung nötigen Hilfsmittel (Werkzeuge, Maschinen, Material, Arbeiter etc.).579 577 Vgl. die vorne in Anm. 51 f. zit. Entscheide. 578 Er hat jedoch allenfalls Anspruch auf eine Erhöhung der Gegenleistung. Vgl. Nr. 437. 579 Vgl. ZINDEL/PULVER, BasK, N 9 zu Art. 379 OR.

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Grundsätzlich muss sich der Schuldner die nötigen Hilfsmittel beschaffen, und er hat den entsprechenden Aufwand in Kauf zu nehmen. Dabei ist unbeachtlich, ob der Schuldner persönlich zu erfüllen hat. Die Möglichkeit des Schuldners einer unpersönli-chen Leistung, die Erfüllung einem Dritten zu übertragen, erleichtert ihm zwar die Beschaffung der nötigen Hilfsmittel, doch scheint die Erleichterung meist nicht von ent-scheidender Bedeutung zu sein.

432 Im Einzelfall mag freilich anders zu entscheiden sein. Zu denken ist insbesondere an den Fall, dass der Schuldner in der Zwischenzeit sein Geschäft aufgegeben hat.580 Der Schuldner einer unpersönlichen Leistung kann und muss in diesem Falle durch Übertra-gung der Arbeiten an einen Dritten erfüllen. Er kann die Leistung nicht verweigern. Der zur persönlichen Erfüllung verpflichtete Schuldner kann hingegen nur erfüllen, wenn er seine Geschäftstätigkeit vorübergehend wieder aufnimmt, weil er (sofern die persönliche Leistungspflicht nicht einseitig zu Gunsten des Gläubigers vereinbart wurde und der Gläubiger auf persönliche Erfüllung verzichtet hat, vgl. Nr. 424) zum Beizug von Drit-ten nicht berechtigt ist.581 Die Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit dürfte in der Re-gel eine übermässige Leistungserschwerung bedeuten, so dass der Schuldner die Erfül-lung verweigern kann (vgl. zur Leistung eines Dritten als Ersatzleistung Nr. 530 ff.).

580 BGE 103 II 58. 581 Vgl. BGE 103 II 57; die Ausführung der Arbeiten mit geliehenem Personal und geliehenen

Maschinen und Geräten erachtete das Bundesgericht wegen der persönlichen Leistungspflicht als unzulässig.

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Teil 3: Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung

§ 8 Übersicht

I. Nicht übermässige Leistungserschwerung

433 Die nicht übermässige Leistungserschwerung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf den Vertrag oder die Leistungspflicht des Schuldners. Der Schuldner bleibt – trotz der Leistungserschwerung – zur rechtzeitigen und vertragsgemässen Erbringung der Leistung verpflichtet und der Gläubiger kann die Erbringung der fälligen Leistung in na-tura verlangen. Erbringt der Schuldner die Leistung nicht rechtzeitig, gerät er – bei gege-benen Voraussetzungen – in Verzug. Es liegt ein normaler Verzugsfall vor. Die Rechts-lage richtet sich nach den Verzugsregeln, Art. 102 - 109 OR.

434 Vorbehalten bleibt der Fall, dass sich der Schuldner ausnahmsweise aufgrund (aus-drücklicher oder stillschweigender) vertraglicher Vereinbarung oder besonderer Ge-setzesbestimmungen bei nicht übermässiger Leistungserschwerung vom Vertrag lösen kann (beispielsweise wenn im Einzelfall die Voraussetzungen für die Kündigung eines Dauervertrages aus wichtigem Grund erfüllt sind). Daneben ist auf drei Sonderfälle hin-zuweisen:

435 – Wenn der Gläubiger die (nicht übermässige) Leistungserschwerung zu verant-worten hat, so kann der Schuldner die Erbringung der Leistung von der Bezahlung oder Sicherstellung einer zusätzlichen Vergütung abhängig machen. Vgl. dazu Nr. 278 ff.

436 – Bei unentgeltlichen Rechtsgeschäften ist die Befreiung des Schuldners bei Leis-tungserschwerung grosszügig zuzulassen. In Analogie zu Art. 250 Abs. 1 Ziff. 2 OR rechtfertigt sich ein Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners immer, wenn die Erfüllung den Schuldner infolge Leistungserschwerung „ausserordentlich schwer belasten“ würde. Vgl. dazu Nr. 296 ff.

437 – Schliesslich kann der Unternehmer im Werkvertrag gemäss Art. 373 Abs. 2 OR vom Richter eine Erhöhung der Vergütung (Gegenleistung) verlangen, wenn aus-serordentliche Umstände eine gravierende Äquivalenzstörung bewirken (Nr. 123 ff.). Die Vertragsauflösung gemäss Art. 373 Abs. 2 OR kommt hingegen nach hier vertretener Auffassung nur bei übermässiger Leistungserschwerung in Frage (Nr. 254 ff.).

438 Ausserhalb des Anwendungsbereiches von Art. 373 Abs. 2 OR (zu denken ist insbe-sondere an Situationen wie im „Kuriwata-Seiden-Fall“, Nr. 14 und 387, oder im

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„Château-Petrus-Fall“, Nr. 406) ist die Erhöhung der Gegenleistung bei einer gra-vierenden Äquivalenzstörung nach hier vertretener Auffassung weitestgehend ab-zulehnen, wenn im Vertrag konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden hypo-thetischen Parteiwillen fehlen. Vgl. vorne Nr. 264 ff.

II. Übermässige Leistungserschwerung

1. Allgemeines

439 Eine übermässige Leistungserschwerung liegt vor, wenn der Erfüllungsaufwand so stark erhöht ist, dass ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinte-resse besteht (Nr. 230 ff.). Zur Erinnerung sei hier nochmals erwähnt, dass der Bestand der übermässigen Leistungserschwerung nicht davon abhängig ist, ob eine gravierende Äquivalenzstörung vorliegt (Nr. 259 ff.), der Schuldner oder der Gläubiger die übermäs-sige Leistungserschwerung zu verantworten hat (Nr. 269 ff.) oder die übermässige Leis-tungserschwerung voraussehbar war (Nr. 282 ff.). Die beiden letztgenannten Punkte sind jedoch für die Haftung von Bedeutung.

440 Die Leistungspflicht des Schuldners und der Vertrag als Ganzes bleibt auch bei über-mässiger Leistungserschwerung grundsätzlich bestehen. Der Schuldner kann deshalb die Leistung trotz übermässiger Leistungserschwerung erbringen (Nr. 209 ff.) und der Gläubiger ist zur Annahme der vertragsgemäss erbrachten Leistung verpflichtet, es sein denn übergeordnete Interessen des Gläubigers (oder von Dritten) rechtfertigen aus-nahmsweise ein Annahmeverweigerungsrecht (Nr. 212 ff.). Erbringt der Schuldner die Leistung nicht rechtzeitig, richtet sich die Rechtslage nach dem Verzugsrecht (vgl. dazu Nr. 467 ff.). Jedoch ergeben sich bei übermässiger Leistungserschwerung zwei we-sentliche Besonderheiten:

2. Leistungsverweigerungsrecht

441 Einerseits hat der Schuldner das Recht, die Erbringung der Leistung in natura während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung zu verweigern (§ 9). Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, kann er während der Dauer der über-mässigen Leistung nicht zur Erbringung der Leistung in natura verurteilt werden. Der Anspruch auf Realerfüllung ist nicht klageweise erzwingbar. Auf den Ausschluss der Erzwingbarkeit bzw. Klagbarkeit des Realerfüllungsanspruchs beschränkt sich je-doch die Wirkung des Leistungsverweigerungsrechts. Insbesondere schliesst die Beru-fung auf das Leistungsverweigerungsrecht nicht aus, dass der Schuldner in Verzug fällt, wenn er die Leistung nicht rechtzeitig erbringt. Dem Gläubiger stehen bei Verzug – mit

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Ausnahme der Klage auf Realerfüllung – die (normalen) Wahlrechte gemäss Art. 107 und 109 OR zu: Er kann auf nachträgliche Erfüllung verzichten und gegebenenfalls Er-satz des Erfüllungsinteresse verlangen oder vom Vertrag zurücktreten. Der Gläubiger kann aber stattdessen auch zuwarten – er kann sich dabei seinerseits auf ein Zurückbe-haltungsrecht berufen – und nach Behebung der übermässigen Leistungserschwerung noch nachträgliche Erfüllung verlangen. Solange der Gläubiger nicht auf nachträgliche Erfüllung verzichtet, bleibt der Schuldner an den Vertrag gebunden.

3. Vertragsanpassung bzw. -auflösung

442 Diese Rechtslage kann dem Schuldner unzumutbare Nachteile bringen. Der Schuldner hat deshalb unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, vom Richter die Anpas-sung oder Auflösung des Vertrages zu verlangen (§ 10). Im Normalfall löst der Rich-ter den Vertrag auf entsprechendes Begehren des Schuldners ganz oder teilweise auf. Ausnahmsweise kann der Richter den Schuldner auch zur Erbringung einer Ersatzleis-tung verpflichten.

443 Dieses Recht auf richterliche Vertragsauflösung bzw. -anpassung steht dem Schuldner jedoch nur zu, wenn die übermässige Leistungserschwerung offensichtlich endgültig ist oder das Interesse des Schuldners an definitiver Befreiung das Interesse des Gläubigers am Fortbestand des Vertrages überwiegt. Genaueres dazu in Nr. 330 ff.

III. Exkurs: Endgültige, absolute Unmöglichkeit

444 Weder die nicht übermässige Leistungserschwerung noch die übermässige Leistungser-schwerung fallen damit nach hier vertretener Auffassung in den Anwendungsbereich von Art. 97 und 119 OR. Weil die Verhältnisse bei Leistungserschwerung oft Verände-rungen unterworfen sind und kaum je endgültig feststehen, rechtfertigen sich die ipso-iure eintretenden Rechtsfolgen der Unmöglichkeitsbestimmungen (insbesondere der vollständige Wegfall des Realerfüllungsanspruchs) nicht.

445 Der Anwendungsbereich der Unmöglichkeitsbestimmungen beschränkt sich deshalb nach hier vertretener Auffassung auf Fälle der endgültigen, absoluten Unmöglichkeit (vgl. Nr. 218), wenn also die Leistung definitiv mit beliebigen Erfüllungsanstrengungen nicht bewirkt werden kann. Zu denken ist an die vorne in Nr. 34 erwähnten Beispiele. Ob die Voraussetzungen der endgültigen, absoluten Unmöglichkeit erfüllt sind, ist im konkreten Einzelfall zu ermitteln. Bei Zweifeln über die Endgültigkeit der Unmöglich-keit oder die Möglichkeit der Leistung ist nach den Regeln der (übermässigen) Leis-tungserschwerung vorzugehen.

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IV. Ausblick

446 Im Folgenden ist nur noch von der Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung die Rede, und zwar zuerst vom Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners (Nr. 447 ff.) und anschliessend vom Recht des Schuldners auf richterliche Vertragsanpas-sung (Nr. 489 ff.). Auf verschiedene Einzelfragen, namentlich den Anspruch des Gläu-bigers auf eine Ersatzleistung, die Besonderheiten der Voraussetzungen des Verzichts auf nachträgliche Erfüllung, sowie auf die Verantwortung des Schuldners an der Leis-tungserschwerung, wird in Teil 4 gesondert eingegangen.

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§ 9 Leistungsverweigerungsrecht

I. Voraussetzung des Leistungsverweigerungsrechts (Zusammenfassung)

447 Das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners setzt den Bestand einer übermässigen Leistungserschwerung, d. h. ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Real-erfüllungsinteresse voraus (Nr. 230 ff.). Nicht vorausgesetzt ist, dass die übermässige Leistungserschwerung endgültig ist oder während einer bestimmten Minimaldauer be-steht (Nr. 314). Auch bei bloss vorübergehender übermässiger Leistungserschwerung besteht ein Leistungsverweigerungsrecht, doch ist der Schuldner immer nur zur Verwei-gerung der Leistung berechtigt, solange die übermässige Leistungserschwerung an-dauert.

448 Die Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts müssen im Zeitpunkt der Beru-fung auf das Leistungsverweigerungsrecht und während der ganzen Dauer der Leis-tungsverweigerung bestehen. Die Beweislast für die Voraussetzungen trifft – mit Aus-nahme von allfälligen immateriellen Interessen des Gläubigers oder eines rein subjekti-ven Werts der Leistung für den Gläubiger, welche vom Gläubiger glaubhaft zu machen sind – den Schuldner (Nr. 380 f.).

II. Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts

449 Das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners kann als Einrede verstanden wer-den:582 Eine Einrede ist ein dem Schuldner „...zustehendes Recht, die geschuldete Leistung aus besonderem Grunde zu verweigern“.583 „Sie besteht und sie erschöpft sich in der Befugnis, die Erfüllung eines Rechts, das sich gegen den Einredeberechtig-ten richtet, zu verweigern...“584 Statt von einem Leistungsverweigerungsrecht könnte man deshalb auch von der „Einrede übermässiger Leistungserschwerung“ sprechen.

450 Aus der Rechtsnatur des Leistungsverweigerungsrechts als Einrede folgt, dass sich der Schuldner auf die Einrede berufen muss, wenn er sein Leistungsverweigerungsrecht ausüben will. „Die Ausübung der Einrede besteht im Verweigern der geschuldeten Leistung und erfolgt, wenn der Anspruch auf Leistung aussergerichtlich erhoben wird, durch Erklärung an den Gegner, wenn der Anspruch eingeklagt ist, durch Erklärung vor Gericht“.585,586 Der Richter darf die übermässige Leistungserschwerung nicht von 582 Vgl. zum deutschen Recht PALANDT-HEINRICHS, Ergbd., N 32 zu § 275 BGB; LORENZ/RIEHM,

Nr. 320; MATTHEUS, JuS 2002, S. 214; SCHULZE, Handkommentar BGB, N 18 zu § 275 BGB. 583 VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 27. 584 Vgl. statt vieler GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 76 (Hervorhebung weggelassen). 585 VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 29.

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Amtes wegen berücksichtigen.587 Beruft sich der Schuldner nicht auf sein Leistungs-verweigerungsrecht, so ist es nicht Aufgabe des Richters, nach Gründen für die Nicht-erfüllung des Schuldners zu suchen. Dies folgt nicht nur aus der Rechtsnatur des Leis-tungsverweigerungsrechts, sondern entspricht auch der Lebenstatsache, dass der Schuldner selbst am besten beurteilen kann, ob er die Leistung erbringen kann.

III. Rechtslage bei Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts

1. Allgemeines

451 Die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht bei übermässiger Leistungser-schwerung verändert die Rechtslage nicht grundlegend: Sie bewirkt grundsätzlich nur, dass der Gläubiger die Leistung nicht in natura erzwingen kann: Der Realerfüllungsan-spruch ist während der Dauer der Leistungserschwerung nicht klageweise durchsetzbar (Nr. 453 ff.). Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, steht umgekehrt auch dem Gläubiger das Recht zu, die Gegenleistung für die Dauer der Leistungsverweigerung des Schuldners zurückzubehalten (Nr. 462).

452 Hingegen schliesst die Geltendmachung des Leistungsverweigerungsrechts den Eintritt von Schuldnerverzug nicht aus (Nr. 467 ff.). Bei gegebenen Voraussetzungen stehen dem Gläubiger deshalb – mit Ausnahme der Klage auf Realerfüllung während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung – grundsätzlich alle Vorgehensweisen des Verzugsrechts offen. Insbesondere kann der Gläubiger bei gegebenen Vorausset-zungen jederzeit, d. h. auch während der Dauer der übermässigen Leistungserschwe-rung auf nachträgliche Erfüllung verzichten (Art. 107 Abs. 2 OR) und Ersatz des aus Nichterfüllung entstandenen Schadens verlangen oder vom Vertrage zurücktreten (Art. 107 Abs. 2 und Art. 109 OR). Der Gläubiger kann aber auch zuwarten und hoffen, dass die Leistungserschwerung behoben wird. Solange er nicht auf nachträgliche Erfüllung verzichtet hat, kann er nach Behebung der übermässigen Leistungserschwe-rung auf Erfüllung klagen und – bei Verschulden des Schuldners – Ersatz des Verspä-tungsschadens (Art. 103 Abs. 1 OR) verlangen.

586 Vgl. Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB, in Bezug auf die vorübergehende

Unmöglichkeit; ähnlich PALANDT-HEINRICHS, Ergbd., N 32 zu § 275 BGB. 587 Vgl. statt vieler BUCHER, OR AT, S. 38, ferner Art. 142 OR betr. Verjährung und BGE 76 II

298 ff. = Pra 39 (1950) Nr. 133, S. 403 ff. betr. Art. 82 OR.

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2. Realerfüllungsanspruch ist nicht klageweise durchsetzbar

A. Grundsatz

453 Die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht berührt den Bestand der Leis-tungspflicht des Schuldners als solche nicht.588 Der Schuldner wird durch die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht nicht von der Pflicht zur Realerfüllung befreit.589 Betroffen ist vom Leistungsverweigerungsrecht einzig die Durchsetzbarkeit (Klagbar-keit) des Realerfüllungsanspruchs und auch diese wird nur vorübergehend beeinträch-tigt:590 Der Realerfüllungsanspruch ist während der Dauer der übermässigen Leis-tungserschwerung nicht mittels Erfüllungsklage durchsetzbar (klagbar).

454 In sachlicher Hinsicht bezieht sich das Leistungsverweigerungsrecht nur auf jene Teile der Leistung (s. Nr. 460 f.) und jene Arten der Leistungserbringung, welche übermässig erschwert sind. Einer Verurteilung des Schuldners zur Leistung steht des-halb nichts entgegen, wenn dem Schuldner verschiedene Möglichkeiten zur Leistungs-erbringung offen stehen (z. B. durch persönliche Leistung oder Erfüllung durch einen Dritten), von welcher nur eine (z. B. persönliche Erfüllung) übermässig erschwert ist (vgl. Nr. 422 und Nr. 531).

455 In zeitlicher Hinsicht besteht das Leistungsverweigerungsrecht – wie gesagt – nur während der Dauer der Leistungserschwerung und nur solange entfällt die Klagbarkeit des Realerfüllungsanspruchs. Ob der Schuldner zur Realerfüllung verurteilt werden kann, ist aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt der Urteilsfällung, nicht im Zeitpunkt der Klageeinleitung zu beurteilen:

456 – Solange die übermässige Leistungserschwerung im Zeitpunkt der Urteilsfällung besteht, wird die Klage auf Realerfüllung (zur Zeit) abgewiesen.591 Der Gläubiger

588 Einreden zerstören den Anspruch nicht, gegen den sie sich richten, sondern hemmen ihn bloss.

Vgl. VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 32; ferner GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, Nr. 77. 589 Anders offenbar die deutsche Lehre zu § 275 Abs. 2 BGB n. F., vgl. PALANDT/HEINRICHS,

Ergbd., N 32 zu § 275 BGB. 590 KOLLER, OR AT I, Nr. 75, betr. dilatorische Einreden im Allgemeinen. Ferner Rolf STEINER, Das

Gestaltungsrecht, Diss. Zürich 1984, S. 30. 591 Vgl. BGE 44 II 526 Erw. 3 betr. vorübergehende Unmöglichkeit, der aber wegen der zwischen

den Parteien vereinbarten „Kriegsklausel“ nur beschränkt als Präjudiz gelten kann. Ob das Urteil abgewiesen oder bloss „zur Zeit“ abgewiesen wird, ist letztlich ein Streit um Begriffe, denn aus materiellrechtlichen Gründen steht fest, dass der Gläubiger nach Wegfall der übermässigen Er-schwerung erneut auf Realerfüllung klagen kann (s. gleich anschliessend im Text); vgl. LEUCH/ MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, N 4a zu Art. 204 ZPO BE. Bei begründeter Einrede des nicht erfüllten Vertrages wird der Schuldner zur Leistung Zug um Zug, d. h. zu einer aufschiebend be-dingten Leistung verurteilt, vgl. BGE 127 III 200, ferner BGE 111 II 197 f.; BGE 94 II 269 f.; ausführlich SCHRANER, ZürK, N 206 ff. zu Art. 82 OR, m. Hw.; WEBER, BerK, N 222 zu Art. 82 OR.

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kann jedoch nach der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung eine neue Realerfüllungsklage einreichen.592 Es liegt keine res iudicata vor.593 Ist die übermässige Leistungserschwerung im Urteilsfällungszeitpunkt behoben, steht einer Verurteilung zur Realerfüllung nichts entgegen.

457 – Vorbehalten bleibt der Fall, dass im Zeitpunkt der Urteilsfällung die übermässige Leistungserschwerung zwar noch besteht, aber der Zeitpunkt ihrer Behebung bereits mit hinreichender Bestimmtheit absehbar ist. In diesem Falle wäre die Ab-weisung der Klage unbillig. Das Urteil ergeht statt dessen auf Erbringung einer zu-künftigen Leistung: Der Schuldner wird zur Erbringung der Leistung zu oder nach einem mit Datum bestimmten Zeitpunkt verurteilt. Dieser Zeitpunkt ist so zu be-messen, dass dem Schuldner die zur Erfüllung notwendige Zeit ab dem Zeitpunkt der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung bleibt.594 Es versteht sich von selbst, dass das Urteil erst ab dem im Urteil bestimmten Datum vollstreckt werden kann.

458 – Verlangt schliesslich der Schuldner im Prozess widerklageweise die definitive Vertragsanpassung oder -auflösung und sind die Voraussetzungen dafür erfüllt (beispielsweise bei offensichtlich endgültiger übermässiger Leistungserschwe-rung), so kann der Richter die Realerfüllung definitiv verweigern und den Vertrag anpassen oder auflösen (vgl. Nr. 489 ff.).

459 Anzufügen bleibt, dass der Schuldner jederzeit auf seinen Entscheid, die Einrede aus-zuüben, zurückkommen kann.595 Solange der Gläubiger nicht auf nachträgliche Erfül-lung verzichtet hat (Nr. 475 ff.), darf der Schuldner die Leistung doch noch erbringen (vgl. die Einschränkung in Nr. 212). Dabei hat er jedoch dem Gläubiger die Änderung seiner Absicht rechtzeitig anzuzeigen.

B. Teilerschwerung

460 Bei teilweiser übermässiger Leistungserschwerung besteht das Leistungsverweige-rungsrecht des Schuldners – wie gesagt – nur für die übermässig erschwerten Teile der Leistung. Soweit die Leistung nicht übermässig erschwert ist, kann der Schuldner die

592 Vgl. VON TUHR/PETER, § 3 IV, S. 31, betr. dilatorische Einreden im Allgemeinen. 593 Vgl. FRANK/STRÄULI/MESSMER, N 5 zu § 188 ZPO, in Bezug auf nicht fällige Leistungen;

WEBER, BerK, N 223 zu Art. 82 OR; SCHRANER, ZürK, N 209 zu Art. 82 OR, in Bezug auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages.

594 Ähnlich Münchener Kommentar/EMMERICH, N 28 vor § 275 BGB, betr. vorübergehende Unmög-lichkeit: Das Urteil ergeht auf zukünftige Leistung oder wird zur Zeit abgewiesen.

595 Die Ausübung einer Einrede ist (im Gegensatz zur Ausübung von „normalen“ Gestaltungsrech-ten) nicht unwiderruflich. Vgl. KOLLER, OR AT I, Nr. 76.

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Leistung nicht verweigern und der Gläubiger kann nicht übermässig erschwerte Teil-leistungen durch Klage auf Realerfüllung durchsetzen (vgl. Nr. 505 ff.).

461 Umgekehrt ist der Gläubiger jedoch grundsätzlich zur Annahme einer Teilleistung nicht verpflichtet (Art. 69 OR).596 Vorbehältlich abweichender vertraglicher Vereinba-rungen darf er die Annahme einer Teilleistung verweigern.597

3. Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers

462 Beruft sich der Schuldner auf das Leistungsverweigerungsrecht, so ist der Gläubiger seinerseits zur Zurückbehaltung seiner eigenen Leistung berechtigt. Wenn der Schuld-ner vorleistungspflichtig ist oder der Vertrag Zug um Zug zu erfüllen ist, ergibt sich dies ohne weiteres aus Art. 82 OR. Aber auch dem vorleistungspflichtigen Gläubiger steht meines Erachtens in Analogie zu Art. 83 OR ein Zurückbehaltungsrecht zu:

463 Art. 83 OR berechtigt die Partei eines synallagmatischen Vertrages, ihre Leistung bis zur Sicherstel-lung der Gegenleistung zurückzuhalten, wenn die andere Partei zahlungsunfähig geworden ist und durch diese Verschlechterung der Vermögenslage die Erbringung der Gegenleistung gefährdet ist. Die Bestimmung beruht auf der Überlegung, dass einer Partei nicht zuzumuten ist, die eigene Leis-tung zu erbringen, wenn die Erbringung der Gegenleistung wegen der Zahlungsunfähigkeit der Gegenpartei gefährdet ist.598 Wenn der Schuldner infolge übermässiger Leistungserschwerung die Erfüllung verweigert, liegt eine vergleichbare Situation vor. Da die schuldnerische Leistung in die-sem Falle gleichermassen gefährdet sein kann, muss gegebenenfalls auch der vorleistungspflichtige Gläubiger in Analogie zu Art. 83 OR seine Leistung verweigern können.

464 Ein Zurückbehaltungsrecht besteht deshalb immer, wenn sich der Schuldner ausdrück-lich auf das Leistungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leistungserschwerung beruft. Die Zurückbehaltung muss sodann auch zulässig sein, wenn der Schuldner unter Berufung auf Leistungshindernisse implizit zum Ausdruck bringt, die Leistung nicht planmässig erbringen zu können bzw. zu wollen (der Schuldner erklärt beispiels-weise, dass die geschuldete Speziessache gestohlen worden sei), oder wenn die Erbrin-gung der Leistung infolge der Leistungshindernisse objektiv betrachtet ernstlich ge-fährdet599 ist (der Schuldner liegt beispielsweise krank im Spital). Weitergehende Zurückbehaltungsrechte können sich – bei gegebenen Voraussetzungen – aus Art. 82 OR ergeben. Gegenüber dem vorleistungspflichtigen Gläubiger kann der Schuldner das Zurückbehaltungsrecht beseitigen, indem er seine Erfüllungsfähigkeit und -willig-keit nachweist.

596 BGE 75 II 140 ff. 597 A. A. in Zusammenhang mit der Teilunmöglichkeit die in Anm. 652 zit. Autoren. 598 SCHRANER, ZürK, N 2 zu Art. 83 OR, m. Hw.; WEBER, BerK, N 4 zu Art. 83 OR. 599 Als Massstab können die Anforderungen von Art. 83 OR gelten. Vgl. WEBER, BerK, N 44 ff. zu

Art. 83 OR; SCHRANER, ZürK, N 23 zu Art. 83 OR.

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465 Wie das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners ist das Zurückbehaltungsrecht des Gläubigers bloss vorübergehender Natur und besteht nur, solange der Schuldner die Leistung wegen übermässiger Leistungserschwerung verweigert bzw. die anderen Voraussetzungen von Nr. 464 gegeben sind. Bei Wegfall des Leistungshindernisses muss der vorleistungspflichtige Gläubiger die fällige Gegenleistung umgehend erbrin-gen, ansonsten er riskiert, seinerseits in Schuldnerverzug zu geraten.

4. Andere Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis

466 Die Ausübung des Leistungsverweigerungsrechts kann ferner andere Auswirkungen auf das Vertragsverhältnis haben, die von den Umständen des Einzelfalls abhängig sind. Beispielsweise können vertragliche Nebenpflichten während der Dauer der Leis-tungsverweigerung weitergelten, d. h. erstreckt werden (z. B. die Pflicht zur sorgfälti-gen Verwahrung des Vertragsgegenstandes) oder bis zur Leistungserbringung aufge-schoben werden (z. B. die Pflicht zum Versand des Vertragsgegenstandes in der ver-einbarten Verpackung). Auch können neue Nebenpflichten hinzutreten; zu denken ist namentlich an die Pflicht des Schuldners, den Gläubiger über die Fortschritte bei der Behebung der Leistungshindernisse zu informieren.

IV. Weitere Rechtsfolgen gemäss Verzugsrecht (Art. 102 - 109 OR)

1. Vorbemerkung: Leistungserschwerung schliesst Schuldnerverzug nicht aus

467 Der Schuldner, der die Leistung trotz Fälligkeit nicht rechtzeitig erbringt, fällt – bei ge-gebenen Voraussetzungen (Nr. 471) – in Schuldnerverzug (Art. 102 OR). Dabei ist grundsätzlich irrelevant, aus welchen Gründen der Schuldner die Leistung nicht recht-zeitig erbringt. Neben der willkürlichen Späterfüllung ist jene wegen kleineren, über-windbaren Leistungshindernissen ein typischer Verzugsfall.600 Nach hier vertretener Auffassung kann der Schuldner – bei gegebenen Voraussetzungen – auch bei Verzöge-rung der Leistung infolge Leistungserschwerung in Verzug geraten. Die Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners wegen übermässiger Leistungser-schwerung schliesst Schuldnerverzug – im Gegensatz zu anderen Einreden601 – nicht aus.602

600 Vgl. z. B. VON BÜREN, OR AT, S. 365. 601 BGE 45 II 349. Vgl. ferner statt aller WEBER, BerK, N 59 zu Art. 102 OR, m. Nw. 602 A. A. die deutsche Lehre zu § 275 Abs. 2 BGB n. F., vgl. LORENZ/RIEHM, Nr. 321. Wie hier aber

ARNOLD, JZ 2002, S. 869, unter Hinweis auf die Regelung der „Priciples of European Contract Law“.

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468 – Dies ergibt sich primär aus dem Sinn und Zweck des Leistungsverweigerungsrechts: Durch das Leistungsverweigerungsrecht soll verhindert werden, dass der Gläubiger die Erbringung der Leistung real erzwingen kann, obwohl der Erfüllungsaufwand in einem Missverhältnis zum Realerfüllungsinteresse des Gläubigers steht. Weil die Realerfüllung einer Verschwendung von Ressourcen gleichkäme, wird das Interesse des Gläubigers an Realerfüllung vorübergehend hintangestellt (Nr. 309 f.). Hinge-gen bezweckt das Leistungsverweigerungsrecht nicht, den Gläubiger in anderer Hinsicht (beispielsweise bei der Geltendmachung von Verspätungsschaden) zu be-nachteiligen.

469 – Einzig wenn Leistungshindernisse die Erfüllung endgültig absolut unmöglich ma-chen, ist Schuldnerverzug ausgeschlossen. Gegebenenfalls fällt die Pflicht des Schuldners zur Realerfüllung gemäss Art. 119 OR dahin, bzw. sie wandelt sich ge-mäss Art. 97 Abs. 1 OR in die Pflicht zur Leistung von Schadenersatz um. Mit dem Wegfall der Leistungspflicht kann Verzug, der die nicht rechtzeitige Erfüllung einer bestehenden Leistungspflicht voraussetzt,603 nicht mehr eintreten. Da bei Leistungs-erschwerung – auch bei übermässiger Leistungserschwerung – die Pflicht zur Real-erfüllung aber grundsätzlich bestehen bleibt (Nr. 453), steht die Leistungserschwe-rung dem Eintritt des Schuldnerverzugs nicht entgegen.

470 – Auch setzt Schuldnerverzug kein Verschulden oder anderes Vertretenmüssen des Schuldners voraus.604 Der Schuldner kann deshalb auch in Verzug geraten, wenn der übermässigen Leistungserschwerung Leistungshindernisse zugrunde liegen, die der Schuldner nicht zu vertreten hat.

471 Die Rechtslage bei übermässiger Leistungserschwerung – wie auch bei nicht übermässi-ger Leistungserschwerung (Nr. 433 ff.) – richtet sich deshalb grundsätzlich nach Verzugsrecht. Es gelten die allgemeinen Grundsätze: Der Schuldner fällt in Verzug, wenn er die fällige Leistung trotz Mahnung oder Eintritt des Verfalltags nicht erbringt (Art. 102 OR). Vorbehalten bleibt der Fall, dass der Schuldner nicht pflichtwidrig han-delt, weil sich der Gläubiger in Annahmeverzug befindet oder der Schuldner eine ver-zugsausschliessende Einrede (z. B. Art. 82 OR605 oder Art. 83 OR) erhoben hat; die Gel-tendmachung des Leistungsverweigerungsrechts selbst hat – wie gesagt – nicht diese Wirkung.

603 Vgl. Anm. 133. 604 BECKER, BerK, N 27 zu Art. 102 OR; BUCHER, OR AT, S. 356; GUHL/KOLLER, § 32 N 7;

GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2932; VON TUHR/ESCHER, § 72 V, S. 141 f.; WEBER, BerK, N 37 zu Art. 102 OR; MÜLLER-CHEN, S. 63.

605 Vgl. aber Nr. 462 ff.

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472 Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Darstellung der Grundzüge der Rechtslage bei Schuldnerverzug (Art. 102 - 109 OR); für Einzelheiten (auch zu den Vo-raussetzungen des Schuldnerverzugs) sei auf die einschlägige Literatur verweisen.606

2. Haftung für Verspätungsschaden und Haftung für Zufall

473 Wird die Leistung infolge einer Leistungserschwerung mit Verspätung erbracht (bei-spielsweise weil der Schuldner wegen des erhöhten Erfüllungsaufwands mehr Zeit für die Erfüllung benötigt oder er die Behebung einer übermässigen Leistungserschwerung abgewartet hat), so haftet der Schuldner bei Verzug – und gegebenen übrigen Vorausset-zungen – für Verspätungsschaden (Art. 103 Abs. 1 OR). Die Haftung setzt insbesondere ein Verschulden oder eine andere Verantwortung des Schuldners an der Leistungser-schwerung bzw. am Verzug voraus (vgl. Nr. 572 ff.). Zu ersetzen ist das Erfüllungsinte-resse, genauer das Zeitinteresse: Der Gläubiger soll so gestellt werden, wie wenn der Schuldner rechtzeitig erfüllt hätte (sog. Verspätungsschaden oder Verzugsschaden).607

474 Zudem haftet der Schuldner – bei gegebenen Voraussetzungen – für Zufall (Art. 103 Abs. 1 OR). Die Haftung für Zufall betrifft den Fall, dass die Leistung während der Dauer des Verzuges durch ein zufälliges, d. h. weder vom Schuldner noch vom Gläubi-ger zu vertretendes Ereignis608 verschlechtert609 oder verunmöglicht wird. Art. 103 OR sieht vor, dass der Schuldner in diesem Falle nicht nur für den durch Verspätung ent-standenen Schaden, sondern auch für die durch Zufall eingetretene Verschlechterung oder Unmöglichkeit der Leistung haftet. Voraussetzung der Haftung für Zufall ist (ne-ben den allgemeinen Voraussetzungen), dass den Schuldner am Verzug ein Verschulden oder eine andere Verantwortung trifft (Nr. 572 ff.)610 und dass der Verzug für die Ver-schlechterung bzw. das Unmöglichwerden der Leistung kausal war.611 Dem Schuldner steht deshalb einerseits der Einwand zu, dass ihn am Verzug keine Verantwortung trifft, und andererseits, dass der Zufall die Leistung auch bei rechtzeitiger Erfüllung getroffen

606 Vgl. für eine ausführliche Darstellung neueren Datums z. B. die Kommentierung von WEBER,

BerK, zu Art. 102 bis 107 OR, oder KOLLER, BerK, N 97 ff. zu Art. 366 OR. 607 SCHENKER, Nr. 266, m. Hw.; BUCHER, OR AT, S. 360 f.; WEBER, BerK, N 14 f. und N 36 zu

Art. 103 OR. 608 Vgl. z. B. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2998 f.; SCHENKER, Nr. 307; WEBER, BerK, N 48 zu Art.

103 OR. 609 Obwohl der Wortlaut vom Untergang einer Speziessache ausgeht, ist anerkannt, dass die Zufalls-

haftung auf alle Arten von Leistungen und auf jede Art der Verschlechterung oder Verunmögli-chung der Leistung anwendbar ist. Vgl. die in Anm. 612 zit. Literatur.

610 Haftung für „Casus mixtus“, vgl. WEBER, BerK, N 46 zu Art. 103 OR, m. Hw. 611 Hier genügt natürliche Kausalität, vgl. WEBER, BerK, N 49 zu Art. 103 OR; GAUCH/SCHLUEP/

REY, Nr. 2999; sowie sogleich im Text.

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hätte (Art. 103 Abs. 2 OR). Bei gegebenen Voraussetzungen hat der Schuldner das posi-tive Vertragsinteresse zu ersetzen.612

3. Verzicht auf nachträgliche Erfüllung

A. Im Allgemeinen

475 Der Gläubiger kann dem Schuldner bei Verzug sodann eine angemessenen Nachfrist zur nachträglichen Erfüllung ansetzen (Art. 107 Abs. 1 OR) und nach ungenutztem Ablauf der Nachfrist unverzüglich gegenüber dem Schuldner erklären, auf nachträgliche Erfül-lung zu verzichten (Art. 107 Abs. 2 OR).

476 – Bei der Bemessung der Nachfrist gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln: Was angemessen ist, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalles, na-mentlich nach den Interessen des Gläubigers und der Art der Leistung.613 Für die blosse Wiedereinschaltung von Apparaten614 kann also beispielsweise eine kürzere Frist gesetzt werden als für die Errichtung eines komplexen Werkes. Bei Leistungs-erschwerung ist zudem dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Erfüllung er-höhte Erfüllungsanstrengungen erfordert, was in der Regel eine längere Nachfrist rechtfertigt. Allerdings braucht die Frist nicht so bemessen zu sein, dass der Schuld-ner die der Leistungserschwerung zugrunde liegenden Hindernisse (in jedem Falle) überwinden kann.615 Schon gar nicht braucht der Gläubiger die Behebung der Leis-tungserschwerung abzuwarten, bevor er auf die Leistung verzichten kann (Nr. 215 f.).

477 – Umgekehrt ist die Ansetzung einer Nachfrist in den Fällen von Art. 108 OR nicht erforderlich. Die Nachfristansetzung erübrigt sich insbesondere, wenn der Schuldner die Leistung unter Berufung auf sein Leistungsverweigerungsrecht bestimmt ver-weigert oder wenn aus objektiven Gründen voraussehbar ist, dass der Schuldner in-nert einer angemessenen Nachfrist nicht wird erfüllen können. Ausführlich dazu in Nr. 553 ff.

612 Vgl. zum Ganzen statt vieler z. B. WEBER, BerK, N 45 ff. zu Art. 103 OR; GAUCH/SCHLUEP/

REY, Nr. 2996 ff.; VON TUHR/ESCHER, § 73 I, S. 145 f. 613 BGE 103 II 106. 614 Vgl. BGE 103 II 106; Semjud 68 (1946), S. 61 ff.; KOLLER, BerK, N 303 ff. zu Art. 366 OR;

WEBER, BerK, N 66 ff. zu Art. 107 OR; WIEGAND, BasK, N 9 zu Art. 107 OR; VON TUHR/ ESCHER, § 73 III, S. 149.

615 Ebenso wenig wie die Frist beim „normalen Verzug“ so weit zu bemessen werden braucht, dass sie einem Schuldner, der noch nichts getan hat, die Möglichkeit zur Erfüllung gibt. Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 73 I, S. 149; WEBER, BerK, N 69 zu Art. 107 OR; BGE 43 II 172; HGer ZH, ZR 23 (1924) Nr. 170, S. 289.

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478 Hat der Gläubiger rechtswirksam auf die nachträgliche Erfüllung verzichtet (Art. 102 Abs. 2 OR), entfällt der Realerfüllungsanspruch. Der Gläubiger kann die Leistung nicht mehr real einfordern, und der Schuldner kann nicht mehr mit befreiender Wir-kung erfüllen. Der Verzicht ist grundsätzlich unwiderruflich ist,616 so dass der Gläubi-ger nur mit der Einwilligung des Schuldners auf seinen Entscheid zurückkommen kann: Damit der Realerfüllungsanspruch wieder auflebt, bedarf es einer entsprechen-den Vereinbarung.617

479 Hat der Gläubiger bereits eine Teilleistung angenommen, kann er grundsätzlich nur in Bezug auf die noch nicht erbrachte Teilleistung verzichten. Auf die ganze Leistung verzichten kann er in diesem Falle nur, wenn die teilweise Aufrechthaltung des Vertra-ges für den Gläubiger unzumutbar wäre, z. B. weil der schon erbrachte Teil der Leis-tung für den Gläubiger ohne Interesse oder wertlos ist.618 Das in Nr. 507 f. Gesagte gilt analog.

B. Wahlrechte gemäss Art. 107 - 109 OR

480 Trifft den Schuldner an der Leistungserschwerung ein Verschulden oder ein anderes Vertretenmüssen (Nr. 572 ff.), hat der Gläubiger – bei gegebenen übrigen Vorausset-zungen – Anspruch auf Schadenersatz. Der Gläubiger kann nach dem rechtswirksamen Verzicht entweder „Ersatz des aus der Nichterfüllung entstandenen Schadens verlan-gen“ (positives Vertragsinteresse) (Art. 107 Abs. 2 OR). Oder der Gläubiger kann vom Vertrage zurücktreten und „Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachse-nen Schadens“ verlangen (negatives Vertragsinteresse) (Art. 109 Abs. 2 OR). Zwi-schen diesen beiden Möglichkeiten steht dem Gläubiger ein Wahlrecht zu. Das Wahl-recht wird durch eine entsprechende Erklärung des Gläubigers ausgeübt.619

481 – Entscheidet sich der Gläubiger für den Ersatz des positiven Vertragsinteresses, wandelt sich die Leistungspflicht des Schuldners – gemäss der üblichen Formulie-rung der Lehre – in eine Schadenersatzpflicht um.620 Der Gläubiger kann nach freier Wahl die eigene Leistung erbringen und den ganzen Schadenersatz verlangen (Aus-tauschtheorie) oder die eigene Leistung behalten und deren Wert vom Schadener-

616 BGE 123 III 22; VON TUHR/ESCHER, § 73 V, S. 153; WEBER, BerK, N 114 zu Art. 107 OR; diffe-

renzierend KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 503 ff. 617 Vgl. z. B. KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 499. 618 Vgl. statt vieler BUCHER, OR AT, S. 382; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3091; VON TUHR/ESCHER,

§ 73 VIII, S. 158; WEBER, BerK, N 214 zu Art. 107 OR, m. w. Hw.; WIEGAND, BasK, N 21 zu Art. 107 OR und N 10 zu Art. 109 OR.

619 Vgl. zu den Modalitäten der Wahlentscheidung KOLLER, Verzichtsfolgen, S. 11 ff. Zur Frage eines ius variandi BGE 123 III 16 ff.; KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 503 ff.; Vedat BUZ, Das ius variandi des Gläubigers bei Verzug des Schuldners, recht 1997, S. 201 f.

620 Vgl. statt vieler GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3052; WEBER, BerK, N 159 und 163 zu Art. 107 OR.

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satz in Abzug bringen (Differenztheorie).621 Das Vorgehen nach der Differenztheo-rie steht dem Gläubiger gemäss der herrschenden Lehre jedoch nur offen, solange er die eigene Leistung noch nicht erbracht hat.622 Nach anderer Auffassung kann der Schuldner in jedem Falle nach der Differenztheorie vorgehen und die bereits er-brachte Leistung zurückfordern (strikte Differenztheorie).623

482 Der Schadenersatz bemessen nach dem positiven Vertragsinteresse kann sehr hoch ausfallen, wenn der Wert der Leistung infolge der Leistungserschwerung stark gestiegen ist. Es stellt sich in diesem Falle die Frage, ob der Schadenersatz gemäss Art. 43 Abs. 1 OR i. V. m. Art. 99 Abs. 3 OR herabzusetzen ist. Vgl. dazu hinten Nr. 520 ff.

483 Zudem hat der Richter auf ein entsprechendes Begehren des Gläubigers die Mög-lichkeit, dem Gläubiger an Stelle einer Schadenersatzleistung in Geld (bemessen nach dem positiven Vertragsinteresse) eine gleichartige und gleichwertige Ersatz-leistung als Naturalersatz zuzusprechen. Die Zusprechung einer Ersatzleistung ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn dies den Interessen des Gläubigers besser entspricht, weil Geldersatz den Gläubiger nicht vollständig entschädigen würde (Einzelheiten in Nr. 530 ff.).

484 – Entscheidet sich der Gläubiger dafür, vom Vertrag zurückzutreten und Ersatz des negativen Vertragsinteresses zu verlangen (Art. 107 Abs. 2 i. V. m. Art. 109 Abs. 2 OR), wandelt sich der Vertrag in ein vertragliches Rückabwicklungsverhält-nis um:624 Der Gläubiger kann seine Leistung behalten bzw. zurückverlangen, wenn er sie bereits erbracht hat. Der Schadenersatz richtet sich auf das negative Ver-tragsinteresse. Der Gläubiger ist so zu stellen, wie wenn er den Vertrag nicht abge-schlossen hätte.

485 Das Schicksal der Gegenleistung hängt von der Ausübung der Wahlrechte durch den Gläubiger ab. Der Anspruch auf die Gegenleistung entfällt, wenn der Gläubiger vom Vertrag zurücktritt (Nr. 484) oder er sich für den Ersatz des aus der Nichterfüllung ent-standenen Schadens und ein Vorgehen nach der Differenztheorie entscheidet (Nr. 481). Wählt der Gläubiger hingegen den Ersatz des positiven Vertragsinteresses nach 621 BezGer ZH, ZR 91/92 (1992/1993) Nr. 16, S. 61 = SJZ 89 (1993) Nr. 12, S. 122; AppGer TI, SJZ

58 (1962) Nr. 171, S. 306 f.; HGer und KassGer ZH, SJZ 53 (1957) Nr. 138, S. 327; AppGer BS, SJZ 51 (1955) Nr. 51, S. 74 f.; WIEGAND, BasK, N 18 zu Art. 107 OR; BUCHER, OR AT, S. 381; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3072; GUHL/KOLLER, § 32 N 29; SCHENKER, Nr. 673 ff.; WIEGAND, BasK, N 55 zu Art. 97 OR; a. A. KELLER/SCHÖBI, I, S. 275; VON TUHR/ESCHER, § 73 VI, S. 155; offengelassen in BGE 105 II 87; BGE 104 II 198; BGE 65 II 174; BGE 54 II 311.

622 Die herrschende Lehre lehnt ein Vorgehen nach der Differenztheorie bei bereits erfolgter Erfül-lung (sog. strikte Differenztheorie) ab; BUCHER, OR AT, S. 381 f.; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3073; SCHENKER, Nr. 676.

623 KOLLER, Leistungsverzicht, ZSR 116 (1997) I, S. 500 f.; DERS., BasK, N 24 zu Art. 214 OR; DERS., Verzichtsfolgen, S. 7 ff., mit zahlreichen Nw.; WEBER, BerK, N 200 zu Art. 107 OR; gl. A. im Ergebnis GLÄTTLI, S. 239 ff.

624 BGE 114 II 157 f.; a. A. EHRAT, Nr. 402 ff.; BGE 61 II 258.

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der Austauschtheorie oder verlangt er eine Ersatzleistung (Nr. 483 ff.), bleibt er zur Er-bringung der Gegenleistung verpflichtet.

486 Trifft den Schuldner kein Verschulden und keine andere Verantwortung an der Leis-tungserschwerung, wird sich der Gläubiger regelmässig für den Rücktritt vom Vertra-ge entscheiden, da er in diesem Falle seine Leistung behalten bzw., falls er sie bereits erbracht hat, zurückfordern kann.625 Zu erwähnen sind jedoch zwei Sonderfälle:

487 – Ausnahmsweise können bei übermässiger Leistungserschwerung besondere Ge-fahrtragungsregeln Anwendung finden. Gegebenfalls bleibt der Gläubiger trotz des Rücktritts vom Vertrag zur Erbringung der Gegenleistung verpflichtet. Vgl. dazu Nr. 502.

488 – Erwirbt der Schuldner in Zusammenhang mit dem Eintritt einer übermässigen Leistungserschwerung ein stellvertretendes Commodum (z. B. eine Versicherungs-leistung bei Diebstahl der verkauften Speziessache), so kann der Gläubiger das stellvertretende Commodum allenfalls als Ersatzleistung herausverlangen. Auch in diesem Falle muss der Gläubiger die Gegenleistung erbringen. Vgl. dazu Nr. 539 ff.

625 Vgl. statt vieler KOLLER, Verzichtsfolgen, S. 5.

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§ 10 Richterliche Vertragsanpassung

I. Voraussetzungen der richterlichen Vertragsanpassung (Zusammenfassung)

489 Das Recht des Schuldners, vom Richter die (endgültige) Anpassung oder Auflösung des Vertrages zu verlangen, setzt erstens eine übermässige Leistungserschwerung, d. h. ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse voraus (Nr. 230 ff.).

490 Zweitens wird vorausgesetzt, dass die übermässige Leistungserschwerung offensicht-lich endgültig ist (weil der Gläubiger in diesem Falle kein schützenswertes Interesse am unveränderten Weiterbestand des Vertrages haben kann, Nr. 316 f. und Nr. 326) oder dass das Interesse des Schuldners an der Vertragsanpassung bzw. -auflösung das Interesse des Gläubigers am Fortbestand des Vertrages überwiegt. Im letzteren Fall sind fünf Faktoren zu berücksichtigen: Für eine Vertragsanpassung oder -auflösung sprechen eine lange voraussichtliche Restdauer der übermässigen Leistungserschwe-rung, eine hohe Volatilität des Werts der vertraglichen Leistung, ein starker Anstieg des Werts der Leistung bis zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung bzw. -anpassung und ein hohes Realzinsniveau. Daneben sind andere Nachteile zu berücksichtigen, welche dem Schuldner durch die Erhaltung seiner Erfüllungsbereitschaft entstehen. Genaueres dazu vorne Nr. 330 ff.

491 Weder die Verantwortung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwerung (Nr. 271 ff.), noch die Voraussehbarkeit der übermässigen Leistungserschwerung (vgl. aber Nr. 293 ff) schliessen die Vertragsanpassung oder -auflösung aus. Nicht entscheidend ist ferner, ob infolge der Leistungs-erschwerung eine gravierende Äquivalenzstörung eingetreten ist (Nr. 259 ff.).

492 Ob die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung oder -auflösung erfüllt sind, hat der Richter aufgrund der Sachlage im Zeitpunkt der Urteilsfindung zu beurteilen. Die Beweislast für die Voraussetzungen trifft den Schuldner; eine Ausnahme gilt nur für all-fällige immaterielle Interessen des Gläubigers oder einen rein subjektiven Wert der Leis-tung für den Gläubiger, welche vom Gläubiger glaubhaft zu machen sind (Nr. 380 f.).

II. Rechtsgrundlage und Rechtsnatur

493 Die richterliche Vertragsanpassung oder -auflösung bei übermässiger Leistungserschwe-rung kann dogmatisch als ein besonderer Anwendungsfall der clausula rebus sic stantibus aufgefasst werden. Nach dem Gesagten decken sich die Voraussetzungen der Vertragsanpassung bei der übermässigen Leistungserschwerung freilich nicht mit den „normalen“ Voraussetzungen der clausula rebus sic stantibus, sondern weisen verschie-

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dene leistungserschwerungsspezifische Besonderheiten auf (Nr. 489 ff.). Die Abstüt-zung auf die clausula rebus sic stantibus ist nicht erforderlich, soweit sich der Schuldner aufgrund besonderer vertraglicher oder gesetzlicher Bestimmungen von seiner Leis-tungspflicht befreien kann, beispielsweise im Werkvertrag nach Art. 373 Abs. 2 OR oder bei Dauerverträgen durch Kündigung aus wichtigem Grund. Vertragliche oder gesetzliche Bestimmungen gehen der clausula rebus sic stantibus als subsidiärer Rechts-behelf auch bei übermässiger Leistungserschwerung naturgemäss vor.626

494 Dogmatisch handelt es sich beim Recht des Schuldners, vom Richter die Vertragsan-passung oder -auflösung zu verlangen, um ein Gestaltungsklagerecht. Das Urteil hat konstitutiven Charakter. Dies entspricht nicht nur der Rechtsnatur der clausula rebus sic stantibus im Allgemeinen, sondern auch jener der Mehrheit der Gesetzesbe-stimmungen (vgl. sogleich), aus welchen das Kriterium des Missverhältnisses zwi-schen Erfüllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse im Wege der Gesamtanalogie abgeleitet wurde (Nr. 240 ff.).

495 Die Herabsetzung einer Konventionalstrafe gemäss Art. 163 Abs. 3 OR erfolgt gemäss dem aus-drücklichen Gesetzeswortlaut durch den Richter, also durch konstitutives Urteil.627 Die Rechtsna-tur von Art. 373 Abs. 2 OR ist umstritten, doch scheint sich neuerdings – wie gesagt – die am Wortlaut orientierte Lehrmeinung durchzusetzen, welche Art. 373 Abs. 2 OR als Gestaltungs-klagerecht auffasst (Nr. 125).628 Einzig bei Art. 368 Abs. 2 OR ist die Verhältnismässigkeit der Nachbesserungskosten nach dem Gesetzeswortlaut eine materielle Voraussetzung für den Bestand des Nachbesserungsrechts.629

496 Auch sachlich scheint ein Gestaltungsklagerecht gerechtfertigt zu sein. Erstens steht dem Schuldner während der Dauer der übermässigen Leistungserschwerung ohnehin das Leistungsverweigerungsrecht zu, eine Einrede, welche er ausserprozessual – ohne Mitwirkung des Richters – erheben kann. Der Gläubiger hat umgekehrt ein Zurückbe-haltungsrecht in Bezug auf die Gegenleistung. Berufen sich die Parteien auf ihre Leis-tungsverweigerungsrechte, wird der Vertrag in diesem Sinne bis auf weiteres sus-pendiert. Da damit eine sinnvolle provisorische Regelung der Rechtslage besteht (und da sich der Gläubiger ohnehin jederzeit durch Verzicht auf nachträgliche Erfüllung vom Vertrag lösen kann), scheint ein Gestaltungsrecht des Schuldners nicht erforder-lich zu sein. Zudem ist der Entscheid über die (endgültige) Vertagsanpassung oder -auflösung bei nicht offensichtlich endgültiger übermässiger Leistungserschwerung ein

626 Nw. in Anm. 189. 627 Vgl. z. B. VON TUHR/ESCHER, § 87 IV, S. 284 f.; a. A. BENTELE, S. 123 ff. 628 Nw. in Anm. 212. 629 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1748; KOLLER, Nachbesserungsrecht, Nr. 90; HONSELL, OR BT, S.

279.

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schwieriger Ermessensentscheid, der besser in die Hand des Richters gelegt wird, als dass er einseitig vom Schuldner getroffen wird.630

III. Arten der Vertragsanpassung

1. Übersicht

497 Ziel der richterlichen Vertragsanpassung ist die Behebung der übermässigen Leistungs-erschwerung. Dieses Ziel kann im Wesentlichen auf drei Arten erreicht werden: Entwe-der befreit der Richter den Schuldner gänzlich von der Pflicht zur Realerfüllung und löst den Vertrag auf (Nr. 499 ff.). Diese weitgehende Massnahme ist jedoch nicht in jedem Falle erforderlich. Sind nur gewisse Teile der geschuldeten Leistung übermässig erschwert, so genügt es in der Regel, wenn der Richter die Leistungspflicht des Schuld-ners reduziert – er löst den Vertrag nur teilweise auf (Nr. 504 ff.). Schliesslich kann der Richter die Leistungspflicht des Schuldners unter bestimmten Umständen modifizieren, d. h. er verpflichtet den Schuldner zu einer anderen als der vertraglich geschuldeten Leistung (Ersatzleistung) (Nr. 513 ff.). Die übrigen Anpassungsfolgen, insbesondere die vermögensrechtlichen Folgen der Vertragsanpassung bestimmt der Richter nach seinem Ermessen (Nr. 518 ff.).

498 Der Richter hat sich für jene Art der Vertragsanpassung zu entscheiden, welche dem hy-pothetischen Parteiwillen entspricht631 bzw. welche unter Berücksichtigung der Interes-sen von Schuldner und Gläubiger die angemessenere ist.632 Dabei ist er an den durch die Parteianträge abgesteckten Rahmen gebunden.633

2. Vollständige Vertragsauflösung

499 Die erste Art der Behebung der übermässigen Leistungserschwerung besteht in der voll-ständigen Auflösung des Vertrages. Sie entspricht der bei Unmöglichkeit als Regelfall vorgesehen Lösung (Art. 97 Abs. 1 und Art. 119 OR) und steht nach hier vertretener Auffassung auch bei übermässiger Leistungserschwerung den Normalfall dar.634

630 Vgl. ERDIN, Nr. 382. 631 Vgl. BGE 127 III 307; WIEGAND, BasK, N 118 zu Art. 18 OR; KRAMER, BerK, N 358 zu Art. 18

OR. 632 KRAMER, BerK, N 358 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 652 zu Art. 18 OR. 633 Vgl. KRAMER, BerK, N 357 zu Art. 18 OR; JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 638 zu Art. 18 OR; MERZ,

Revision, ZSR 61 (1942), S. 480a ff.; ferner in Zusammenhang mit Art. 373 Abs. 2 OR ERDIN, Nr. 386 und Nr. 564 ff.; GAUCH, Werkvertrag, Nr. 1121; ZINDEL/PULVER, BasK, N 31 zu Art. 373 OR.

634 BISCHOFF, S. 230.

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500 Hebt der Richter den Vertrag auf, so wird der Schuldner vollständig von der Pflicht zu Realerfüllung befreit. Ebenso entfällt dem Grundsatze nach die Gegenleistungspflicht des Gläubigers (Art. 119 Abs. 2 OR analog; zu den Ausnahmen sogleich in Nr. 501 f.). Der Gläubiger braucht die Gegenleistung nicht zu erbringen bzw. er kann die Gegenleis-tung, soweit er sie bereits erbracht hat, zurückfordern. Gleichzeitig hat der Richter über die übrigen Anpassungsfolgen zu befinden (Nr. 518 ff.), namentlich Schadenersatzan-sprüche.

501 – Die Gegenleistungspflicht des Gläubigers bleibt trotz der Vertragsaufhebung beste-hen, wenn der Gläubiger infolge Verantwortung des Schuldners Schadenersatz be-messen am positiven Vertragsinteresse verlangen kann und er sich für ein Vorge-hen nach der Austauschtheorie entscheidet (Nr. 519 ff.).

502 – Gemäss Art. 119 OR fällt die Gegenleistungspflicht des Gläubigers bei vom Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit nur dahin, wenn nicht „die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht“ (Art. 119 Abs. 3 OR). Bei abweichenden Gefahrtra-gungsregeln wie beispielsweise Art. 185 Abs. 1 OR oder Art. 324a OR bleibt der Gläubiger trotz des Dahinfalls der Leistungspflicht des Schuldners zufolge vom Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit zur Erfüllung verpflichtet. Ob solche abweichenden Gefahrtragungsregeln bei vom Schuldner nicht zu vertre-tender übermässiger Leistungserschwerung analoge Anwendung finden, ist durch Auslegung der einzelnen Bestimmungen zu ermitteln.635 Beispielsweise bezieht sich die arbeitsrechtliche Lohnfortzahlungspflicht, Art. 324a OR, auf typische Leistungserschwerungstatbestände („Verhinderung des Arbeitnehmers“) und ver-langt deshalb bei gegebenen Voraussetzungen zwingend angewendet zu werden. Bei Art. 185 Abs. 1 OR ist im konkreten Einzelfall zu entscheiden, ob trotz „blos-ser“ übermässiger Leistungserschwerung ein dem Untergang oder der Verschlech-terung der Speziessache wertungsmässig gleichzusetzender Tatbestand vorliegt.636

503 Hat der Richter den Vertrag aufgelöst, so ist die Vertragsauflösung definitiv. Auch nach der Auflösung eintretende Veränderungen können den Vertrag nicht mehr zum entste-hen bringen.

635 Eine Anwendung kommt jedenfalls nur bei übermässiger Leistungserschwerung in Betracht,

welche den Schuldner zur Leistungsverweigerung berechtigt. 636 Als solche kommen nur die Kaufsache betreffende Ereignisse in Frage; vgl. VON TUHR/ESCHER,

§ 72 III, S. 135; GIGER, BerK, N 18 zu Art. 185 OR. Die Lehre erachtet Art. 185 Abs. 1 OR bei-spielsweise auch auf den Entzug der Sache durch Enteignung und Beschlagnahme für anwendbar, vgl. CAVIN, SPR VII/1, S. 30; KOLLER, BasK, N 4 zu Art. 185 OR.

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3. Teilweise Vertragsauflösung

A. Im Allgemeinen

504 Sodann wird es nicht selten vorkommen, dass durch ein Leistungshindernis nur gewisse Teile der geschuldeten Leistung übermässig erschwert werden, während die Erbringung der Leistung im Übrigen mit verhältnismässigen Erfüllungsanstrengungen möglich bleibt. Beispielsweise kann der Schuldner im „Steinbruch-Sarnen-Fall“ wegen der un-günstigen Schichtenlage nur 60 Wagenladungen Kleinpflastersteine statt der geschul-deten 120 Wagenladungen mit verhältnismässigem Aufwand liefern.637 Oder der Werkunternehmer kann zwar den Aushub vornehmen und das Fundament legen, nicht aber den Aufbau erstellen. Bei solcher teilweise übermässiger Leistungserschwerung ist zu deren Behebung meist nicht die vollständige Vertragsauflösung erforderlich – es genügt, die Leistungspflicht des Schuldners teilweise aufzuheben bzw. zu reduzie-ren.638

505 1. Im Regelfall wird der Richter den Schuldner bei so gearteter teilweiser übermässi-ger Leistungserschwerung nur teilweise von der Leistungspflicht befreien: Der Schuld-ner bleibt zur Erbringung der nicht übermässig erschwerten Leistungsteile verpflichtet, doch wird er von der Pflicht zur Erbringung der übermässig erschwerten Leistungsteile befreit.639 Die Gegenleistungspflicht wird dem Grundsatze nach ebenfalls entspre-chend reduziert.640,641 Mit anderen Worten wird der Vertrag teilweise aufgelöst.

506 2. Die Interessen des Gläubigers oder des Schuldners können jedoch die vollständige Auflösung des Vertrages gebieten.642 Zwei Fälle sind zu unterscheiden:

507 – Hat der Schuldner die Leistung bereits teilweise erbracht (und der Gläubiger die Teilleistung angenommen), so kann der Richter den Vertrag nur vollständig auflö-sen, wenn eine teilweise Auflösung dem Gläubiger unzumutbar ist.643 Entscheidend

637 BGE 57 II 508 ff., ausführlich dazu Nr. 394 ff. Der Sachverhaltsbeschreibung des Entscheids ist

zu entnehmen, dass in Wirklichkeit nur eine teilweise Leistungserschwerung vorgelegen hat. 638 BISCHOFF, S. 235 f.; vgl. i. Zh. m. Art. 373 Abs. 2 OR ERDIN, Nr. 466 ff. 639 Vgl. in Bezug auf die Teilunmöglichkeit BGE 32 II 647 f.; ZR 84 (1985) Nr. 142, S. 318;

BUCHER, OR AT, S. 420; VON BÜREN, OR AT, S. 389; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3317; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 97; WEBER, BerK, N 140 f. zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 13 zu Art. 119 und N 15 zu Art. 97 OR; auch BECKER, BerK, N 22 zu Art. 97 OR.

640 Vgl. in Bezug auf die Teilunmöglichkeit ZR 84 (1985), Nr. 142, S. 318; BUCHER, OR AT, S. 420. Anders jedoch, wenn der Gläubiger ausnahmsweise die Gefahr trägt (Nr. 502), vgl. GAUCH/ SCHLUEP/REY, Nr. 3317.

641 Zur Bemessung vgl. insb. die Lehre zur Teilvergütung gemäss Art. 378 Abs. 2 OR, z. B. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 730; ZINDEL/PULVER, BasK, N 18 zu Art. 378 OR.

642 AEPLI, ZürK, N 115 ff. zu Art. 119 OR; BARTH, S. 48 f. 643 AEPLI, ZürK, N 115 zu Art. 97 OR; BUCHER, OR AT, S. 420; VON BÜREN, OR AT, S. 389;

GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3317; WIEGAND, BasK, N 13 zu Art. 119 OR.

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sind dabei die Verkehrsauffassung und die Umstände des Einzelfalls.644 Für eine vollständige Vertragsauflösung spricht namentlich, wenn die bereits erbrachte Teil-leistung für den Gläubiger weniger Wert ist als für den Schuldner oder die Teil-leistung für den Gläubiger keinen645 oder nur einen geringen646 Wert besitzt.647,648

508 Im Normalfall wird demnach der bereits teilweise erfüllte Vertrag nur ex nunc, d. h. für den noch nicht erbrachten Teil der Leistung aufgelöst.649 Beispielsweise hatte der Schuldner im Aprikosenmarkfall650 bereits 200 der 800 geschuldeten Kisten Aprikosenmark geliefert, als ein Ausfuhrverbot der spanischen Behörden die Lieferung weiterer Kisten verunmöglichte. Soweit der Vertrag bereits erfüllt wurde, hat es damit sein bewenden.

509 – Hat der Schuldner aber die Leistung noch überhaupt nicht erbracht, auch nicht teilweise, so hat der Gläubiger ein – beschränktes (Nr. 510) – Wahlrecht. Er kann die Erbringung einer Teilleistung verlangen oder deren Annahme verweigern (Art. 69 Abs. 1 OR). Dieses Wahlrecht ist gerechtfertigt, weil dem Gläubiger – sofern sich der Schuldner in Verzug befindet – der Verzicht auf die (ganze) nachträgliche Leistung ohnehin offen stünde (Nr. 215 ff.).651 Es erscheint unbillig, dem Gläubiger, der in Hoffnung auf die vollständige Erbringung der Leistung auf Realerfüllung beharrt hat, die Annahme einer Teilleistung entgegen Art. 69 OR aufzuzwingen,652 wenn er das Recht gehabt hätte, auf die ganze Leistung zu verzichten.

510 Vorbehalten bleibt jedoch der Fall, dass dem Schuldner die vom Gläubiger ge-wählte Lösung unzumutbar ist. Die Erbringung einer Teilleistung kann beispiels-weise für den Schuldner unzumutbar sein, weil die herabgesetzte Gegenleistung für ihn wertlos wäre.653 Die vollständige Vertragsauflösung kann für den Schuld-

644 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3317. 645 BGE 32 II 647; VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 97; SCHWENZER, Nr. 64.31: „ob der Gläubiger an

der Leistung des möglichen Teils ein Interesse hat oder nicht...“ 646 BECKER, BerK, N 22 zu Art. 97 OR; KREN KOSTKIEWICZ, HandK, N 7 zu Art. 97 OR; WEBER,

BerK, N 140 f. zu Art. 97 OR; WIEGAND, BasK, N 15 zu Art. 97 OR. 647 Dies entspricht auch der Rechtslage bei Teilverzug, vgl. Nr. 461. 648 Hilfsweise kann (in Anlehnung an Art. 20 Abs. 2 OR) darauf abgestützt werden, ob „...nach den

Umständen anzunehmen ist, dass derjenige Kontrahent, dessen Forderung infolge des Eintrittes des schädigenden Ereignisses zum Teil nicht mehr realisiert werden kann, den Vertrag nicht ge-schlossen haben würde, wenn er die teilweise Unmöglichkeit der Erfüllung der von ihm ausbe-dungenen Leistung vorausgesehen hätte.“ AppH BE, ZBJV 36 (1899/1900) Nr. 55, S. 255, ferner BUCHER, OR AT, S. 420; SCHWENZER, Nr. 64.31.

649 BISCHOFF, S. 231. 650 BGE 69 II 97 ff. Ausführlich zu diesem Entscheid Nr. 532. 651 Vgl. WEBER, BerK, N 141 zu Art. 97 OR. 652 A. A. AEPLI, ZürK, N 115 zu Art. 119 OR; BUCHER, OR AT, S. 420; auch VON BÜREN, OR AT,

S. 389 Anm. 110. 653 BARTH, S. 49.

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ner unzumutbar sein, wenn er für die Vorbereitung der Leistungserbringung bereits erhebliche Aufwendungen getätigt hat, welche verloren wären.

B. Vorzeitige Vertragsauflösung bei Dauerverträgen

511 Bei Dauerschuldverhältnissen gelten die soeben dargelegten Grundsätze analog. Tritt während der Vertragsdauer ein Leistungshindernis ein, welches die weitere Erfüllung des Vertrages übermässig erschwert, so wird der Vertrag dem Grundsatze nach ex nunc, d. h. für die Zukunft aufgelöst.654 Man kann diese vorzeitige Vertragsauflösung als Teilauflösung bzw. als Änderung (Abkürzung) der Vertragsdauer auffassen. Ver-tragliche und gesetzliche ordentliche oder ausserordentliche Kündigungs- oder Rück-trittsrechte haben selbstverständlich auch bei Dauerverträgen Vorrang.

512 Beispiel: Der Schuldner hat sich für zwölf Monate zur Lieferung eines bestimmten Quantums Wasser aus seiner Quelle verpflichtet, z. B. 100 hl pro Tag. Wegen einer un-erwartet aufgetretenen Reduktion der Wasserleistung der Quelle kann der Schuldner nach drei Monaten plötzlich nur noch 50 hl pro Tag liefern. Soweit der Schuldner den Vertrag bereits erfüllt hat, bleibt der Vertrag unverändert bestehen. Der Gläubiger wäre gar nicht in der Lage, das während der ersten drei Monate erhaltene Wasser zurückzu-geben. Eine Vertragsanpassung kommt damit nur für die verbleibende Vertragsdauer in Frage. Auch hier rechtfertigt sich aber keine vorzeitige Vertragsauflösung, sondern der Schuldner bleibt während der Restdauer der Vertrages zur Lieferung der noch mögli-chen Wassermenge von 50 hl pro Tag verpflichtet. Sogar könnte der Richter in diesem Beispiel die Vertragsdauer für zusätzliche neun Monate erstrecken, so dass der Gläubi-ger letztendlich die gesamte geschuldete Wassermenge erhält, wenn auch über einen längeren Zeitraum.

4. Vertragsanpassung im engeren Sinn: Abänderung der Leistung (Ersatzleis-tung)

513 Schliesslich kann die Leistungserschwerung in gewissen Fällen durch eine Abänderung der Leistungspflicht des Schuldners behoben werden: Der Schuldner wird anstatt zur Er-bringung der geschuldeten Leistung zur Erbringung einer anderen, abgeänderten Leistung verpflichtet (Ersatzleistung). Auf diesen Fall und die Frage der Zulässigkeit der Verurteilung zur Erbringung einer Ersatzleistung im Allgemeinen wird hinten in Nr. 530 ff. ausführlich eingegangen. Das Wichtigste sei hier vorweggenommen:

514 – Ein Anspruch auf eine Ersatzleistung besteht nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich nur, wenn der Schuldner die übermässige Leistungserschwerung ver-

654 BISCHOFF, S. 231; OGer ZH, ZR 84 (1985) Nr. 142, S. 317 ff.

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schuldet oder aus anderen Gründen zu verantworten hat. Gegebenenfalls kann der Richter den Schuldner zur Erbringung einer Ersatzleistung verpflichten, wenn den Interessen des Gläubigers dadurch besser gedient ist als durch Zusprechung von Schadenersatz in Form einer Geldleistung. Dies kann namentlich bei immateriellen Interessen des Gläubigers angezeigt sein (Nr. 535 ff.).

515 – Trifft den Schuldner keine Verantwortung an der Leistungserschwerung, so kann der Gläubiger nur – aber immerhin – ein allfälliges stellvertretendes Commodum als Ersatzleistung verlangen (Nr. 539 ff.).

516 – Schliesslich gibt Art. 98 Abs. 1 OR dem Gläubiger Anspruch auf eine Art Ersatz-leistung, nämlich auf Übernahme der Kosten der Ersatzvornahme. Ob dafür ein Ver-schulden vorausgesetzt wird, ist umstritten (Nr. 544 ff.).

5. Keine mögliche Art der Vertragsanpassung: Erhöhung der Gegenleistung

517 Nicht in Frage kommt hingegen bei übermässiger Leistungserschwerung eine Erhöhung der Gegenleistung des Gläubigers. Durch die Erhöhung der Gegenleistung kann zwar ein Missverhältnis zwischen der Leistung und Gegenleistung (Äquivalenzstörung) be-seitigt werden, nicht aber ein Missverhältnis zwischen Erfüllungsaufwand und Realer-füllungsinteresse des Gläubigers (vgl. Nr. 255 und 259 ff.).

IV. Übrige Anpassungsfolgen

518 Mit der blossen Anpassung der Leistung und Gegenleistung hat es freilich nicht sein be-wenden. Die übrigen Anpassungsfolgen, namentlich die vermögensrechtlichen Folgen wie Schadenersatzansprüche, bestimmt der Richter unter Würdigung aller Umstände nach seinem Ermessen (vgl. Art. 226g Abs. 2 OR und Art. 337b Abs. 2 OR). Als solche Umstände sind insbesondere das Verschulden bzw. die Verantwortung von Schuldner und Gläubiger zu berücksichtigen, namentlich aber auch die Interessen des Gläubigers. Zu unterscheiden sind drei Fälle:

1. Bei Verantwortung des Schuldners

519 Trifft den Schuldner ein Verschulden an der übermässigen Leistungserschwerung, oder trifft ihn aus anderem Grunde eine Verantwortung an der übermässigen Leistungser-schwerung (z. B. aus Art. 101 OR oder bei Haftung für Zufall bei Schuldnerverzug, Art 103 OR), so schuldet er vollen Schadenersatz (analog zu Art. 97 Abs. 1 OR und Art. 337b Abs. 1 OR). Der Schadenersatz bemisst sich grundsätzlich nach dem positiven

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Vertragsinteresse (Erfüllungsinteresse), doch hat der Gläubiger in Analogie zu Art. 107 Abs. 2 i. V. m. Art. 109 Abs. 2 OR die Wahl, statt des positiven Vertragsinteresses das negative Vertragsinteresse zu verlangen.655

520 Die Bemessung des Schadenersatzes bereitet bei übermässiger Leistungserschwerung im Allgemeinen keine besonderen, „leistungserschwerungsspezifischen“ Probleme.656 Fraglich kann jedoch sein, ob der Schuldner Anspruch auf Herabsetzung des Schaden-ersatzanspruches gemäss Art. 44 Abs. 1 OR i. V. m. Art. 99 Abs. 3 OR hat, wenn der zu leistende Schadenersatz sehr hoch ausfallen würde, weil der Wert der Leistung infolge des eingetretenen Leistungshindernisses stark gestiegen ist.657 Das Bundesge-richt hat den Schadenersatzanspruch des Gläubigers namentlich in einer Reihe von Ent-scheiden betreffend Gattungsschulden aus der Zeit des ersten Weltkriegs herabge-setzt.658,659

521 Die erwähnten Entscheide betrafen Gattungskäufe, bei welchen der Verkäufer nicht lieferte und sich im anschliessenden Prozess auf kriegsbedingte Beschaffungsschwierigkeiten berief. Das Bundesge-richt hat das Vorliegen von Unmöglichkeit im Sinne von Art. 119 OR in allen Entscheiden verneint (genus perire not potest) – übermässige Leistungserschwerung im hier verstandenen Sinne lag in keinem der beurteilten Fälle vor (vgl. Nr. 385 ff.) – und den Schuldner zur Bezahlung von Schaden-ersatz verurteilt. Weil der Marktpreis der geschuldeten Gattungsware infolge der Kriegswirren jeweils gestiegen war, machten die Kläger (Gläubiger) in allen Entscheiden hohe Schadenersatzfor-

655 Die Mehrheit der neueren Lehre lässt den Rücktritt vom Vertrag gemäss Art. 107 Abs. 2 i. V. m.

Art. 109 Abs. 2 OR auch bei nachträglicher Leistungsunmöglichkeit zu; vgl. z. B. BUCHER, OR AT, S. 339 f. und 424; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3163; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 9 zu Art. 97 OR; WEBER, BerK, N 118 und 269 zu Art. 97 OR; differenzierend WIEGAND, BasK, N 58 zu Art. 97 OR; a. A. insb. VON TUHR/ESCHER, § 68 III, S. 105 Anm. 79. A fortiori muss die Zu-sprechung des negativen Vertragsinteresses bei „blosser“ übermässiger Leistungserschwerung zu-lässig sein; dies damit der Gläubiger bei richterlicher Vertragsauflösung nicht schlechter gestellt wird, als wenn er aus eigener Initiative auf nachträgliche Erfüllung verzichtet hätte und vom Ver-trag zurückgetreten wäre, vgl. Nr. 484.

656 Vgl. aber zu den Grenzen des klassischen Schadensbegriffs vorne Nr. 183 und Nr. 188 ff. sowie die dort angeführten Nw., ferner statt vieler WEBER, BerK, N 184 ff. zu Art. 97 OR, und GAUCH/ SCHLUEP/REY, Nr. 2632 ff.

657 Zu denken ist beispielsweise an den „Englische Voile-Fall“ (Nr. 398), BGE 45 II 37 ff.: Der Schuldner konnte infolge eines Einfuhrverbotes die versprochene englische Voile nicht in die Schweiz importieren. Da er gemäss – stillschweigender – vertraglicher Vereinbarung nicht zur Beschaffung der englischen Voile durch Aufkauf bereits importierter Ware im Inland verpflichtet war, wurde der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit. Unterstellen wir (entgegen dem BGE 45 II 37 zugrunde liegenden Sachverhalt), dass der Schuldner pflichtwidrig die Voile nicht rechtzeitig beschafft und importiert hat, als das Einfuhrverbot noch nicht in Kraft getreten war. Der Schuldner haftet in diesem Falle für Schadenersatz, der sich am Wert der englischen Voile in der Schweiz im Zeitpunkt des Urteils bemisst. Es ist davon auszugehen, dass der Wert der engli-schen Voile infolge des Einfuhrverbots erheblich gestiegen ist.

658 Z. B. BGE 43 II 170 ff.; BGE 47 II 391 ff. und BGE 44 II 510 ff. Vgl. ferner die Übersicht über diese Rechtsprechung bei SIEGWART, S. 187 ff.

659 Vgl. – in Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung – BISCHOFF, S. 129; ENGEL, AT, Nr. 209 S. 707 f.; HENGGELER, S. 258a; MERZ, Revision, ZSR 61 (1942), S. 415a f.; DERS., BerK, N 191 zu Art. 2 ZGB; OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 248; SCHMITZ, S. 25.

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derungen geltend. Das Bundesgericht hat den Schadenersatz gestützt auf Art. 99 Abs. 3 OR i. V. m. Art. 43 Abs. 1 OR erheblich reduziert.660 In BGE 43 II 170 ff. begründete es dies ausführlich damit, dass „die Erfüllung ... mit ausserordentlichen Schwierigkeiten verbunden [war], die nur durch Auf-wendung besonderer Bemühungen und Kosten überwunden werden konnten,“ „die Möglichkeit, zum Ziele zu gelangen, eine [im Vergleich zu normalen Markt- und Verkehrsverhältnissen] ausser-ordentlich geringe“ war, und „beim Vertragsschluss nicht anzunehmen war, dass [die Lieferungser-schwerung] in diesem Masse zunehmen werde“.661

522 Gegen diese Praxis des Bundesgerichts sprechen grundsätzliche Überlegungen: Vorab rechtfertigt weder ein hoher Erfüllungsaufwand noch ein hoher Wert der Leistung (und seien diese im Einzelfall auch ausserordentlich hoch) für sich allein eine Herabsetzung des Schadenersatzes. Es entspricht der dispositiven gesetzlichen Risikoverteilung, dass der Schuldner das Aufwandrisiko bis zur Grenze der übermässigen Leistungserschwe-rung (der Erfüllungsaufwand übersteigt das Realerfüllungsinteresse) trägt; über dieser Grenze hat der Schuldner dem Gläubiger bei Verschulden oder anderer Verantwortung das Erfüllungsinteresse als Schadenersatz zu ersetzen. Wird – mit dem Bundesgericht – der am Erfüllungsinteresse bemessene Schadenersatz bei starker Aufwanderhöhung quasi automatisch reduziert, so bedeutet dies eine Verschiebung des Vertragsrisikos zu Lasten des Gläubigers.662 Ein solcher Eingriff in die vertragliche Risikoverteilung (vgl. 266 ff.) ist jedoch nur zulässig, wenn sich aus dem Vertrag konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden hypothetischen Parteiwillen ergeben (Nr. 237 und Nr. 401 ff.). Die Höhe des Erfüllungsaufwands genügt für sich alleine nicht für die Annahme eines solchen hypothetischen Parteiwillens (Nr. 405 f.). Vorbehalten bleiben freilich aus-drückliche oder stillschweigende vertragliche Haftungsbeschränkungen.663

523 Zulässig ist jedoch eine Herabsetzung des Schadenersatzes gemäss Art. 99 Abs. 3 i. V. m. Art. 43 Abs. 1 OR in Fällen, bei welchen andere Umstände als die Höhe des Er-füllungsaufwandes oder des Werts der Leistung eine Reduktion rechtfertigen.664 Zu den-ken ist in erster Linie an die Grösse des Verschuldens (vgl. Art. 43 Abs. 1 OR). Dabei darf freilich nicht angenommen werden, dass das Verschulden des Schuldners bei star-ker Aufwanderhöhung oder (übermässiger) Leistungserschwerung generell ein geringes sei. Vielmehr ist die Grösse des Verschuldens nach allgemeinen Grundsätzen zu beurtei-len.665

660 BGE 43 II 177 f.: „auf ungefähr die Hälfte“; BGE 47 II 401 f.: auf „ein[en] erheblich reduzier-

te[n], ex aequo et bono zu bestimmende[n] Entschädigungsbetrag“; BGE 44 II 518: „auf circa die Hälfte“.

661 BGE 43 II 177. 662 I. gl. S. WEBER, BerK, N 229 zu Art. 99 OR. 663 Die Abstützung auf Art. 43 Abs. 1 OR ist in diesem Falle nicht notwendig. 664 Vgl. dazu statt vieler WEBER, BerK, N 229 ff. zu Art. 99 OR; SCHNYDER, BasK, N 8 ff. zu Art.

43 OR. 665 Vgl. dazu WEBER, BerK, N 231 zu Art. 99 OR; WIEGAND, BasK, N 18 zu Art. 99 OR; ferner

SCHNYDER, BasK, N 8 ff. zu Art. 43 OR.

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524 Exkurs: Das Bundesgericht hat auch in einer zweiten Fallkonstellation regelmässig von der Herab-setzung des Schadenersatzes gemäss Art. 99 Abs. 3 OR i. V. m. Art. 43 Abs. 1 OR Gebrauch ge-macht, nämlich bei Verwendungserschwerung bzw. -unmöglichkeit. In der Tat wäre es bei Verwen-dungserschwerung oder -unmöglichkeit nicht sinnvoll, die Partei, welche die Anpassung oder Auf-lösung des Vertrages verlangt, in vollem Umfang haften zu lassen. Wenn beispielsweise der Mieter im „Börsengebäude-Zürich-Fall“ (Nr. 29) aus wichtigem Grund kündigen kann, dem Vermieter aber den vollen Mietzinsausfall bis zum nächsten ordentlichen Kündigungstermin bzw. – falls der Ver-trag auf fixe Dauer abgeschlossen wurde – bis zum Vertragsende zu entschädigen hat, so ist ihm da-mit nicht gedient, weil er in diesem Fall genauso gut ordentlich hätte kündigen können bzw. das or-dentliche Vertragsende hätte abwarten können.666 Das Bundesgericht hat deshalb den Schadenersatz im „Börsengebäude-Zürich-Fall“667 und in ähnlich gelagerten Fällen668 erheblich herabgesetzt. – Mit dem soeben Gesagten soll jedoch keine Stellung genommen werden zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Vertragsanpassung oder -auflösung bei Verwendungserschwerung bzw. -unmöglichkeit zulässig und geboten ist.

2. Bei Verantwortung des Gläubigers

525 Wurde die Leistung durch einen im Gefahrenbereich des Gläubigers eingetretenen (zu-fälligen) Umstand669 übermässig erschwert, so kann der Richter den Gläubiger zum Er-satz der Auslagen des Schuldners verpflichten. Dies ergibt sich aus Analogie zu Art. 378 Abs. 1 OR auch Art. 376 Abs. 3 OR.670 Zu denken ist insbesondere an Umstände, die in der Person des Gläubigers, seines Betriebs, seinem Verhalten, dem Verhalten seiner Hilfspersonen oder sonst in seinem vertraglichen Risikobereich gründen.671 Gegebenen-falls hat der Schuldner Anspruch auf Ersatz der Auslagen, welche er im Hinblick auf die Leistungserbringung getätigt hat, und die nun „verloren“ sind.672 Hat der Schuldner die Leistung bereits teilweise erbracht, hat er zudem Anspruch auf eine Teilvergütung, d. h. auf eine teilweise Erbringung der vereinbarten Gegenleistung (Nr. 504 ff.). Der An-spruch auf Auslagenersatz reduziert sich in diesem Falle auf Auslagen, welche durch die Teilvergütung nicht bereits abgegolten sind (vgl. Art. 378 Abs. 2 OR).

666 Die Verurteilung zu ungekürztem Schadenersatz kommt bei Verwendungserschwerung wirt-

schaftlich der Verweigerung der Vertragsanpassung gleich. 667 BGE 61 II 261 ff. 668 BGE 46 II 172 f. Vgl. ferner BGE 48 II 252 f. 669 Vgl. zur Abgrenzung des Gefahrenbereichs des Gläubigers im werkvertraglichen Kontext

GAUCH, Werkvertrag, Nr. 724 f.; HUBER/SCHWENDENER, HandK, N 3 zu Art. 378 OR; ZINDEL/ PULVER, BasK, N 16 zu Art. 378 OR.

670 In wessen Gefahrenbereich ein Ereignis eingetreten ist, wird von den Gerichten beispielsweise auch bei der Bestimmung der vermögensrechtlichen Folgen der fristlosen Auflösung eines Arbeitsvertrages gemäss Art. 337b Abs. 2 OR berücksichtigt, vgl. STAEHELIN, ZürK, N 11 zu Art. 337b OR, m. Hw.; STREIFF/VON KAENEL, N 7 zu Art. 337b OR, m. Hw.

671 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 724, m. Hw. 672 GAUCH, Werkvertrag, Nr. 731.

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526 Trifft den Gläubiger am Eintritt der übermässigen Leistungserschwerung zudem ein Verschulden, oder hat er aus anderem Grunde dafür einzustehen (z. B. nach Art. 101 OR), so hat der Schuldner Anspruch auf Schadenersatz (Art. 378 Abs. 2 OR, Art. 376 Abs. 3 OR und Art. 337b Abs. 1 OR). Zu ersetzen ist grundsätzlich das positive Vertragsinteresse;673 der Schuldner soll so gestellt werden, wie wenn der Vertrag ohne Eintritt der vom Gläubiger verschuldeten übermässigen Leistungserschwerung erfüllt worden wäre. Auszugehen ist damit vom Erfüllungsaufwand, der dem Schuldner ohne das schuldhafte Verhalten des Gläubigers entstanden wäre.

3. Mangels Verantwortung des Schuldners und des Gläubigers

527 Trifft weder den Schuldner noch den Gläubiger eine Verantwortung am Eintritt der übermässigen Leistungserschwerung, ist keine der Parteien zur Leistung von Schadener-satz verpflichtet. Auch die Verurteilung zu einer Ersatzleistung kommt – mit der Aus-nahme eines Anspruchs auf ein stellvertretendes Commodum bzw. (wenn der Vollstre-ckungstheorie oder der Erfüllungstheorie gefolgt wird) eines Anspruchs auf Ersatzvor-nahme nach Art. 98 Abs. 1 OR – nicht in Frage.

528 In Ausnahmefälle mag diese Rechtslage nicht vollständig befriedigen, beispielsweise wenn sich bei einer Teilerschwerung die Leistung des Gläubigers nicht im gewünschten Verhältnis teilen lässt. Die Lehre zur clausula rebus sic stantibus gibt dem Richter denn auch das Recht, der einen oder anderen Vertragspartei auch bei fehlendem Verschulden eine Schadenersatzleistung (oder „Kompensationsleistung“674) zuzusprechen,675 „um einen gerechten und billigen Ausgleich der beiderseitigen Interessen zu erreichen“.676 Solange Kompensationszahlungen – wie im Beispiel – zur Behebung von Wertdifferen-zen oder anderer Schwierigkeiten bei der Vertragsanpassung beschränkt bleiben und sich auf den hypothetischen Parteiwillen abstützen, ist dagegen nichts einzuwenden. Keinesfalls dürfen aber solche Kompensationszahlungen zur Einführung einer verschul-densunabhängigen Haftung missbraucht werden.

529 Verschuldensunabhängige Kompensationszahlungen stehen im Widerspruch zum Grundsatz, dass Schadenersatz wegen einer Vertragsverletzung im Schweizer Recht – mit Ausnahme des Wiener Kaufrechts677 – immer von einem Verschulden (Art. 97 Abs. 1, Art. 103, Art. 107 Abs. 2 OR etc.)

673 Vgl. zur Berechnung GAUCH, Werkvertrag, Nr. 735; ZINDEL/PULVER, BasK, N 21 zu Art. 378

OR. 674 SCHMITZ, S. 65. 675 OFTINGER, Veränderung, SJZ 36 (1939/40), S. 247 f.; SCHMITZ, S. 65 f.; TERCIER, clausula, JdT

127 (1979) I, S. 210; DESCHENAUX, SPR II, S. 204; KGer SG, SJZ 64 (1968), S. 361; implizit wohl auch JÄGGI/GAUCH, ZürK, N 635 zu Art. 18 OR; ferner in Bezug auf Art. 373 Abs. 2 OR ERDIN, Nr. 449; vgl. auch HGer ZH, ZR 95 (1996) Nr. 51, S. 158 ff.

676 BISCHOFF, S. 232. 677 Vgl. statt vieler KELLER/SIEHR, S. 160.

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oder einer anderen Verantwortung (z. B. aus Art. 101 OR oder Haftung für casus mixtus, z. B. Art. 103 Abs. 1 OR) abhängig ist:678 Der Gläubiger kann zwar – sofern keine übermässige Leis-tungserschwerung vorliegt – unabhängig vom Verschulden des Schuldners Realerfüllung fordern. Schadenersatz schuldet der Schuldner jedoch nur, wenn ihn ein Verschulden oder eine andere Verantwortung trifft. Verschuldensunabhängige Kompensationszahlungen müssen deshalb im Schweizer Recht die Ausnahme bilden, wenn eine ausdrückliche oder stillschweigende Vereinba-rung der Parteien fehlt.

678 MÜLLER-CHEN, S. 330, m. Hw.

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Teil 4: Einzelfragen

§ 11 Der Anspruch auf eine Ersatzleistung

I. Vorbemerkung

530 Grundsätzlich ist der Schuldner nur zur Erbringung der vertraglich vereinbarten Leis-tung verpflichtet. Der Gläubiger kann nur diese und keine andere Leistung fordern. Diese Rechtslage kann für den Gläubiger unbillig erscheinen, wenn der Schuldner die Erbringung der vereinbarten Leistung wegen übermässiger Leistungserschwerung ver-weigern kann. Es fragt sich deshalb, ob der Gläubiger bei übermässiger Leistungser-schwerung nicht ausnahmsweise eine andere Leistung als Ersatz für die vertraglich vereinbarte Leistung (eine „Ersatzleistung“) fordern kann. Das Gesetz gibt gewisse Ansatzpunkte für die Gutheissung eines solchen Anspruchs auf Ersatzleistung (vgl. Nr. 535 ff.). Bevor auf diese eingegangen wird, sind jedoch zwei Vorbemerkungen anzu-bringen:

531 – Eine echte Ersatzleistung liegt vor, wenn der Gläubiger eine andere Leistung als die vertragliche vereinbarte Leistung fordert. Beispielsweise fordert der Gläubiger eine andere Sache als die geschuldete Speziessache, eine Leistung eines Dritten anstatt der vereinbarten persönlichen Dienstleistung des Schuldners oder Ware, welche nicht der vereinbarten Gattung entspricht. Davon abzugrenzen ist eine un-echte Ersatzleistung, welche der vertraglich vereinbarten Leistung gerade noch entspricht, auch wenn sie in gewissen Nebenpunkten oder Modalitäten der Leis-tung von der vollständig vertragsgemässen Erfüllung abweicht. Beispielsweise for-dert der Gläubiger Ware, die zwar minderer Qualität ist, von der vertraglichen Umschreibung der zu liefernden Gattungsware aber noch gedeckt ist. Eine solche unechte Ersatzleistung kann der Gläubiger direkt gestützt auf den Anspruch auf Realerfüllung fordern, ohne dass sich besondere Fragen des Bestands eines An-spruchs auf eine (echte) Ersatzleistung stellen. Ob das eine oder das andere vor-liegt, ist durch Auslegung des Vertrages in Bezug auf die geschuldete Leistung zu bestimmen.

532 Beispiel: „Aprikosenmark-Fall“:679 Die Migros AG, Zürich kaufte im Juni 1941 von der Andalpin AG, Zürich 1000 Kisten zu je 10 Büchsen Aprikosenmark „Extra“, Marke „La Torrentina“, zum Preis von CHF 43.50 pro Kiste, franko spanische Grenze. Andalpin AG lieferte 200 Kisten, und berief sich des weiteren darauf, es sei wegen eines

679 BGE 69 II 97 ff.

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Ausfuhrverbots der spanischen Behörden nicht möglich, die übrigen 800 Kisten Apriko-senmark in Blechbüchsen zu liefern. Die Migros beharrte auf Lieferung und erklärte sich bereit, das Aprikosenmark notfalls auch in Holzfässern anzunehmen. Das Bundesgericht prüfte richtigerweise vorab die Frage, ob Aprikosenmark in Holzfässern der vereinbarten Leistung entsprach, was es – m. E. zu unrecht680 – bejahte.

533 – Ein Anspruch auf eine (echte oder unechte) Ersatzleistung steht sodann nur zur Diskussion, wenn die Erbringung der fraglichen (echten oder unechten) Ersatzleis-tung selbst nicht übermässig erschwert ist. Wenn beispielsweise im Aprikosen-mark-Fall (Nr. 532) die Lieferung von spanischem Aprikosenmark in Blechbüch-sen wegen eines Ausfuhrverbots der spanischen Behörden übermässig erschwert ist, so kommt die Verurteilung des Schuldners zur Lieferung von Aprikosenmark in Holzfässern jedenfalls nur dann in Frage, wenn dies mit verhältnismässigen Erfüllungsanstrengungen möglich ist, also namentlich dann nicht, wenn sich das Ausfuhrverbot auch auf Aprikosenmark in Holzfässer bezieht.681 Das versteht sich von selbst, ist unbestritten682 und bedarf keiner weiteren Erläuterung.

680 Das Bundesgericht hat auf diese Frage die Kriterien zur Abgrenzung einer Schlechtlieferung

(peius) von einer Falschlieferung (aliud) bei Gattungsschulden angewandt und damit auf die Ver-kehrsauffassung und den im Einzelfall vereinbarten Verwendungszweck abgestellt, BGE 69 II 100 f. Im Ergebnis hielt es fest: „Im vorliegenden Fall besteht der Unterschied zwischen der be-stellten und der allenfalls noch lieferbaren Ware abgesehen von der Marke einzig in der verschie-denen Packung, die auch eine schlechtere Qualität zur Folge haben kann. Es liegt kein Anhalts-punkt dafür vor, dass gerade diese Unterschiede Kennzeichen verschiedener Gattungen darstellen. Vielmehr ist der Regelfall anzunehmen, dass es sich, da in beiden Fällen die gleiche Frucht in Frage steht, auch rechtlich um die gleiche Gattung handelt. Die angeführten Unterschiede sind wohl geeignet, dem Käufer unter Umständen einen Preisminderungs- oder Wandelungsanspruch zu verschaffen. Sie reichen aber nicht aus, um die Sache zu einer andern zu machen.“ BGE 69 II 101.

Das vom Bundesgericht angewandte Kriterium (Abgrenzung zwischen peius und aliud, vgl. dazu BGE 121 II 453 ff.) ist nur eines von mehreren möglichen Kriterien. Beispielsweise hätte auch darauf abstellt werden können, ob der Gläubiger bei Lieferung von Aprikosenmark in Holzfäs-sern zur Wandelung des Vertrages berechtigt gewesen wäre. M. E. ist entscheidend, welche der vereinbarten Merkmale (i. c. z. B. das Prädikat „Extra“, die Marke „La Torrentina“ oder die Ver-packung in Büchsen) gemäss der Auffassung der Parteien wesentliche Elemente der Gattungsum-schreibung sind, nicht blosse Modalitäten der Leistungserbringung, von welchen der Schuldner notfalls abweichen muss. Welche Leistung der Gläubiger fordern kann, ist selbstständig, d. h. unabhängig von anderen Abgrenzungen durch Vertragsauslegung zu bestimmen. Dabei sind alle Umstände des Vertrages zu berücksichtigen, – falls diese keinen eindeutigen Schluss zulassen – auch eine allfällige Verkehrsauffassung.

681 Das Bundesgericht wies deshalb den Entscheid an die Vorinstanz zurück zur Abklärung, ob die Lieferung von Aprikosenmark in Holzfässern zulässig und möglich war. Gleichzeitig wies es die Vorinstanz an abzuklären, „ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere die Preise, seit dem Kaufabschluss nicht so tiefgreifend geändert haben, dass die allenfalls noch mögliche Leis-tung ... nunmehr – wirtschaftlich gesehen – als eine inhaltlich völlig andere erscheinen würde...“, BGE 69 II 101 f.

682 Die Lehre lässt die Verurteilung des Schuldners zu Naturalersatz statt Geldersatz (vgl. Nr. 535) nur zu, wenn Naturalersatz „dem Schuldner nicht übermässige Kosten verursacht“; vgl. WEBER, BerK, N 278 zu Art. 99 OR; BECKER, BerK, N 29 zu Art. 99 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 9 zu Art. 43 OR.

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534 Im Folgenden wird unter einer Ersatzleistung immer eine echte Ersatzleistung verstan-den, die selbst nicht übermässig erschwert ist.

II. Als Naturalersatz bei Verantwortung des Schuldners

535 Der Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung kann auf den Schadenersatzan-spruch abgestützt werden. Wie gesagt hat der Gläubiger unter bestimmten Vorausset-zungen Anspruch auf Schadenersatz bemessen nach dem positiven Vertragsinteresse, wenn den Schuldner ein Verschulden oder eine andere Verantwortung am Eintritt einer übermässigen Leistungserschwerung trifft (Nr. 481 ff. und Nr. 519 ff.). Der Schadenersatz besteht in der Regel in einer Geldleistung.683 Gemäss Art. 43 Abs. 1 OR i. V. m. Art. 99 Abs. 1 OR ist es freilich Sache des Richters, die Art des Schadenersat-zes zu bestimmen.684 Der Richter kann anstatt auf Leistung einer Geldsumme auf Na-turalersatz erkennen, sofern Naturalersatz den Umständen des Falles besser entspricht (Art. 43 Abs. 1 OR), d. h. nach der Beschaffenheit des Schadens und den Verhältnis-sen der Parteien zweckmässiger oder besser durchführbar ist.685 Insbesondere kann der Richter auf Naturalersatz erkennen, wenn dies den Interessen des Gläubigers besser entspricht.686 Der Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung kann deshalb als Schadenersatzanspruch in der Form von Naturalersatz aufgefasst werden.687

536 Bei dieser dogmatischen Grundlage setzt der Anspruch auf eine Ersatzleistung erstens ein Verschulden bzw. eine andere Verantwortung des Schuldners voraus sowie zweitens, dass die Ersatzleistung den Interessen des Gläubigers besser entspricht als Geldersatz: Die Zusprechung einer Ersatzleistung ist damit gerechtfertigt, wenn Geld-ersatz den Gläubiger nicht voll zu entschädigen vermag. Dies ist namentlich bei nicht oder schwer bewertbaren („einzigartigen“) Leistungen der Fall, ferner bei nicht materiellen Interessen des Gläubigers,688 z. B. Affektionsinteressen, oder wenn der Gläubiger spekulative Erwartungen mit der Erfüllung verbindet, welche zu unsicher sind, um Grundlage für die Bemessung von Schadenersatz zu bilden. Für die

683 Vgl. z. B. BARTH, S. 70, m. w. Hw., und S. 72; BECKER, BerK, N 29 zu Art. 99 OR; VON BÜREN,

OR AT, S. 32 und 72; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2785; SCHWENZER, Nr. 15.04; VON TUHR/ PETER, § 15 I, S. 115; WEBER, BerK, N 258 zu Art. 97 OR und N 274 zu Art. 99 OR; WIEGAND, BasK, N 54 zu Art. 97 OR.

684 BARTH, S. 69; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2785; SCHWENZER, Nr. 15.01; VON TUHR/ESCHER, § 68 II, S. 101; BECKER, BerK, N 22 zu Art. 99 OR; WEBER, BerK, N 272 zu Art. 99 OR; LEMP, S. 207, der Art. 43 Abs. 1 OR allerdings analog anwendet.

685 VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 114 f.; BARTH, S. 70. 686 VON TUHR/PETER, § 15 I, S. 115; BECKER, BerK, N 29 zu Art. 99 OR. 687 Diese Auffassung ist freilich nicht unbestritten. SCHWENZER, Nr. 15.03, lehnt beispielsweise Na-

turalersatz ab, wenn Schadenersatz wegen Nichterfüllung eines Vertrages verlangt wird, „da dies dem Erfüllungsanspruch gleichkäme“.

688 SCHWENZER, Nr. 15.03.

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Zusprechung einer Ersatzleistung als Schadenersatz kann auch sprechen, dass der Schuldner die Ersatzleistung leichter beschaffen kann als der Gläubiger, beispielsweise weil der Schuldner – im Gegensatz zum Gläubiger – im Handel mit solchen Waren spezialisiert ist. Hingegen kann eine Ersatzleistung nicht gefordert werden, wenn der Gläubiger sich die Ersatzleistung mit einer Schadenersatzleistung in Geld selbst erwerben kann.

537 Beispiel: Der Gläubiger kauft vom Schuldner ein Bild, doch wird es vor der Übergabe an den Gläubiger gestohlen, weil es vom Schuldner unzureichend gegen Diebstahl gesichert wurde. Unterstellen wir, dass das gekaufte Exemplar aus einer Serie von Bildern dessel-ben Malers stammt, von welcher der Schuldner noch weitere Exemplare besitzt. Hier kann die Zusprechung eines gleichwertigen Exemplars derselben Serie sinnvoll sein.

538 Hinsichtlich des Gegenstands der Ersatzleistung ist einschränkend festzuhalten, dass der Schuldner wohl nur zu einer gleichartigen und (mehr oder weniger) gleichwertigen Leistung verpflichtet werden kann.689 Es geht nicht an, dass der Gläubiger unter dem Titel der Ersatzleistung etwas völlig anderes verlangt, als der Schuldner sich zu liefern verpflichtet hat.690 Ist die Erbringung einer gleichartigen und gleichwertigen Leistung nicht möglich, z. B. weil auch dies übermässig erschwert ist, so muss sich der Gläubi-ger mit Geldersatz begnügen.

III. Mangels Verantwortung des Schuldners

1. Anspruch auf ein stellvertretendes Commodum

539 Mit dem Schadenersatzanspruch lässt sich der Anspruch auf eine Ersatzleistung nicht begründen, wenn den Schuldner keine Verantwortung an der eingetretenen Leistungs-erschwerung trifft. Immerhin hat der Gläubiger gemäss der Lehre und Rechtsprechung bei nachträglicher, vom Schuldner nicht zu vertretender Unmöglichkeit Anspruch auf ein allfälliges vom Schuldner erworbenes stellvertretendes Commodum: Leistungen oder Ansprüche, welche der Schuldner als Ersatz für die entfallene Leistung im Zu-sammenhang mit dem Eintritt der Unmöglichkeit erwirbt, können vom Gläubiger an Stelle der unmöglich gewordenen Leistung herausverlangt werden.691 Begründet wird der Anspruch auf das stellvertretende Commodum mit dem Argument, dass die Befrei-ung vom Realerfüllungsanspruch bei Unmöglichkeit nur dann den Anforderungen der

689 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 68 II, S. 101; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 10 zu Art. 43 OR. 690 Dies schliesst m. E. jedoch weder die Zusprechung einer Dienstleistung eines Dritten an Stelle

einer persönlichen Leistung noch die Zusprechung einer Speziessache anstelle einer anderen Speziessache zwingend aus.

691 BGE 51 II 175 f.; BGE 46 II 436 ff.; BGE 43 II 234; KELLER/SCHÖBI, I, S. 250; VON TUHR/ ESCHER, § 71 I 2, S. 131 ff.; BUCHER, OR AT, S. 424 ff.; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 187 ff.

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Billigkeit entspricht, wenn der Schuldner die erlangte Ersatzleistung herausgibt.692 Analog zur Rechtslage bei Unmöglichkeit ist auch bei übermässiger Leistungser-schwerung ein Anspruch auf das stellvertretende Commodum zuzulassen, wenn der Schuldner ausnahmsweise in Zusammenhang mit dem Eintritt einer übermässigen Leistungserschwerung ein stellvertretendes Commodum erwirbt.693

2. Im Allgemeinen: Kein Anspruch auf eine Ersatzleistung

540 Im Allgemeinen ist ein Anspruch des Gläubigers auf eine Ersatzleistung bei fehlender Verantwortung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwerung nach hier vertretener Auffassung abzulehnen, und zwar aus grundsätzlichen Überlegungen:

541 Gemäss dem vorne Gesagten (Nr. 529) haftet der Schuldner bis zur Grenze der über-mässigen Leistungserschwerung verschuldensunabhängig für Realerfüllung. Tritt aber eine übermässige Leistungserschwerung ein, so hat er nur bei Verschulden oder ande-rer Verantwortung für den dem Gläubiger entstandenen Schaden einzustehen. Ein An-spruch auf eine Ersatzleistung passt in dieses Konzept, solange er sich auf den Fall der vom Schuldner zu verantwortenden Leistungserschwerung beschränkt und an Stelle des Schadenersatzanspruchs tritt. Bei fehlender Verantwortung des Schuldners würde ein Anspruch auf eine Ersatzleistung hingegen zu einer Ausweitung der Haftung des Schuldners führen: Der Gläubiger würde neben dem Realerfüllungsanspruch einen zu-sätzlichen verschuldensunabhängigen Anspruch erhalten. Dies widerspricht dem Kon-zept des Leistungsstörungsrechts des schweizerischen Obligationenrechts.

542 Wird – entgegen der hier vertretenen Auffassung – dennoch auch bei fehlender Ver-antwortung ein Anspruch auf eine Ersatzleistung bejaht, so müsste dieser klar ein-grenzbar sein, damit die Parteien im Voraus, d. h. bereits bei Vertragsschluss wissen, in welchen Situationen ein Ersatzanspruch bei Leistungserschwerung gegeben sein wird. Ein solcher verschuldensunabhängiger Anspruch auf eine Ersatzleistung beein-flusst das vertragliche Austauschverhältnis (die Vertragsäquivalenz), weil der Gläubi-ger – bei gegebenen Voraussetzungen – die Ersatzleistung erhält, wenn er sonst leer ausginge.694 Wichtig ist deshalb, dass ein (verschuldensunabhängiger) Anspruch auf eine Ersatzleistung nicht nachträglich „willkürlich“ durch Richter eingeführt wird.

692 BGE 51 II 175 f.; BGE 43 II 234. 693 Zu denken ist z. B. an eine Versicherungsleistung bei Diebstahl der geschuldeten Speziessache. 694 Trifft den Schuldner eine Verantwortung an der übermässigen Leistungserschwerung, so stellt

sich dieses Problem nicht im gleichen Masse, weil die Ersatzleistung in diesem Falle grundsätz-lich an Stelle des Schadenersatzanspruchs tritt. Sofern der Wert der Ersatzleistung bzw. der Auf-wand der Erbringung der Ersatzleistung ungefähr der Höhe des Schadenersatzes entspricht, wird die Vertragsäquivalenz nicht erheblich beeinflusst.

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543 Hintergrund des Aprikosenmark-Falls695 (Nr. 532) war – wie mittelbar aus dem Entscheid hervor-geht – ein (vermutlich durch das Exportverbot verursachter) ausserordentlicher Preisanstieg von Aprikosenmark. Es ist anzunehmen, dass die Migros nicht zuletzt auf Erfüllung – notfalls in Holz-fässern – beharrte, weil sich das Geschäft für sie als äusserst günstig erwies. Indem das Bundesge-richt die Leistungspflicht des Schuldners weit – m. E. zu weit – auslegte (und dem Gläubiger damit faktisch einen Anspruch auf eine Ersatzleistung zusprach), wies es das Risiko des Preisanstiegs im Ergebnis dem Schuldner zu. Hätte es sich strikt an den Wortlaut des Vertrages gehalten (und damit keine Ersatzleistung zugesprochen), hätte Migros das Risiko tragen müssen. Für die Parteien ist es entscheidend, bereits bei Vertragsschluss abschätzen zu können, wie der Entscheid im Falle even-tueller Leistungshindernisse ausfallen wird – dies weil die „Preiskalkulation“ von der Risikovertei-lung abhängt.

IV. Ersatzvornahme nach Art. 98 Abs. 1 OR

1. Allgemeines

544 Gemäss Art. 98 Abs. 1 OR kann sich der Gläubiger, sofern „der Schuldner zu einem Tun verpflichtet“ ist, „ermächtigen lassen, die Leistung auf Kosten des Schuldners vor-zunehmen“ (so der Wortlaut) oder durch einen Dritten vornehmen zu lassen. Bei gege-benen Voraussetzungen hat der Gläubiger Anspruch auf Ersatz oder Vorschuss696 der Kosten der Ersatzvornahme. Ersatzvornahme kommt gemäss dem Gesetzeswortlaut nur bei Verpflichtungen auf ein Tun (Art. 98 Abs. 1 OR) in Frage, wobei umstritten ist, ob damit nur Arbeits- oder Dienstleistungspflichten697 oder – so die Minderheitsmeinung – auch Sachleistungspflichten gemeint sind.698 Ferner muss die Leistung des Schuldners gemäss der Lehre vertretbar sein;699 damit ist wohl eine unpersönliche Leistung im Sin-ne von Art. 68 OR gemeint.700,701 Die Ersatzvornahme im Sinne von Art. 98 Abs. 1 OR kann als eine Art Ersatzleistung aufgefasst werden (Genaueres in Nr. 549 und 552).

695 BGE 69 II 97 ff. 696 Vgl. WEBER, BerK, N 80 zu Art. 98 OR, m. Hw.; NIKLAUS, Nr. 1.87, m. Hw. 697 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2586 f.; BUCHER, OR AT, S. 331 f.; GAUCH, Ersatzvornahme, recht

1987, S. 26, insb. Anm. 10; BECKER, BerK, N 1 zu Art. 98 OR; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 126; WIEGAND, BasK, N 4 zu Art. 98 OR.

698 So NIKLAUS, Nr. 1.73; VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 92; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 f. zu Art. 98 OR; WEBER, BerK, N 56 zu Art. 98 OR.

699 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2586; WIEGAND, BasK, N 4 zu Art. 98 OR; OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 4 zu Art. 98 OR.

700 Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 92; GAUCH, Ersatzvornahme, recht 1987, S. 26 Anm. 11; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2586; NIKLAUS, Nr. 1.74; WEBER, BerK, N 54 zu Art. 98 OR. Unper-sönliche Leistungen werden bisweilen auch als vertretbare Leistungen bezeichnet, vgl. SCHRANER, ZürK, N 3 zu Art. 68 OR. Andererseits wird der Begriff auch für Sachleistungen ver-wendet, welche nach der Verkehrsauffassung als nach Zahl, Mass oder Gewicht und nach Quali-tät bestimmt (also nicht als individuell bestimmt) angesehen werden (vgl. Anm. 497).

701 Diese Auffassung drängt sich insbesondere auf, wenn der Vollstreckungs- oder Erfüllungstheorie (Nr. 547 f.) gefolgt wird: Wäre Ersatzvornahme auch bei persönlichen Leistungen zulässig, wür-

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545 Bei übermässiger Leistungserschwerung – wie auch generell – setzt der Bestand eines Anspruchs auf Ersatzvornahme gemäss dem einleitend dargelegten Grundsatz (Nr. 533) zusätzlich voraus, dass die Ersatzvornahme selbst nicht übermässig erschwert ist. Ersatzvornahme kommt deshalb nicht in Frage, wenn ein Missverhältnis zwischen den (vom Schuldner zu tragenden) Kosten der Ersatzvornahme und dem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung durch Ersatzvornahme besteht.

546 Umstritten ist in der Lehre, ob durch Art. 98 Abs. 1 OR lediglich der fällige Realerfül-lungsanspruch in natura durchgesetzt werden soll oder ob Art. 98 Abs. 1 OR dem Gläu-biger Anspruch auf eine andere Leistung an Stelle des Realerfüllungsanspruchs gibt, die – ähnlich wie der Schadenersatzanspruch – ein Surrogat für die Leistung darstellt. Im Rahmen dieser Arbeit wird zu dieser Kontroverse nicht Stellung bezogen, weil beide Auffassungen mit der hier vertretenen Ansicht zur Rechtslage bei übermässiger Leis-tungserschwerung vereinbar sind. Im Einzelnen:

2. Vollstreckungstheorie und Erfüllungstheorie

547 Gemäss der herrschenden Lehre dient Art. 98 Abs. 1 OR der Durchsetzung des Realer-füllungsanspruchs. Demgemäss setzt die Ersatzvornahme den Bestand eines Anspruchs auf Realerfüllung voraus.702 Ob die Leistungspflicht zusätzlich bereits durch ein ent-sprechendes Realerfüllungsurteil festgestellt sein muss, ist umstritten: Die Voll-streckungstheorie703 bejaht dies, die Erfüllungstheorie704 verneint dies. Gemäss keiner der beiden Theorien wird für die Ersatzvornahme ein Verschulden des Schuldners vor-ausgesetzt,705 da letztlich der – verschuldensunabhänige – Realerfüllungsanspruch durchgesetzt wird.706

548 Wird dieser Vollstreckungstheorie bzw. Erfüllungstheorie gefolgt, so hat der Schuldner bei übermässiger Leistungserschwerung zwar das Recht, die eigene Leistung zu verwei-

de der Gläubiger eine Leistung erhalten, auf die er keinen Anspruch hat, und der Schuldner müss-te für die Bezahlung dieser nicht geschuldeten Leistung aufkommen. Vgl. BECKER, BerK, N 1 zu Art. 98 OR; KELLER/SCHÖBI, IV, S. 126. Dies stünde im Widerspruch zu den genannten Theo-rien, welche davon ausgehen, dass die Ersatzvornahme lediglich der Durchsetzung des Realerfül-lungsanspruchs dient.

702 Vgl. FELLMANN, recht 1993, S. 110; WIEGAND, BasK, N 2 zu Art. 98 OR; auch BUCHER, OR AT, S. 332; GAUCH, Ersatzvornahme, recht 1987, S. 26. Entgegen dem Anschein, den die Einord-nung der Bestimmung im Anschluss an Art. 97 OR erwecken könnte, besteht gemäss der herr-schenden Lehre bei Unmöglichkeit der Leistung i. S. v. Art. 97 und 119 OR mangels eines An-spruchs auf Realerfüllung gerade kein Anspruch auf Ersatzvornahme.

703 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2588; VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 90; GAUCH, Ersatzvornahme, recht 1987, S. 28; WEBER, BerK, N 47 zu Art. 98 OR; WIEGAND, BasK, N 6 zu Art. 98 OR.

704 FELLMANN, recht 1993, S. 115 f.; OGer LU, LGVE 1985 I Nr. 11, S. 28 = SJZ 83 (1987) Nr. 30, S. 203 = ZBJV 122 (1986), S. 140 f. = BR 1987, S. 66 f., mit Anm. von Peter GAUCH.

705 Vgl. statt vieler VON TUHR/ESCHER, § 67 IV, S. 91 f. 706 WEBER, BerK, N 49 zu Art. 98 OR.

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gern. Der Gläubiger kann jedoch auf Realerfüllung auf dem Wege der Ersatzvornahme beharren, sofern die Kosten der Ersatzvornahme nicht in einem Missverhältnis zum Inte-resse des Gläubigers an der Erfüllung durch Ersatzvornahme stehen. Eine Verantwor-tung des Schuldners an der übermässigen Leistungserschwerung ist dafür nicht voraus-gesetzt. Mit anderen Worten bezieht sich das Leistungsverweigerungsrecht des Schuld-ners nur auf die eigene Leistung, nicht auf die Ersatzvornahme. Der Realerfüllungsan-spruch bleibt deshalb in beschränktem Umfang, d. h. soweit Ersatzvornahme verlangt wird, bestehen und der Ersatzvornahme steht nichts entgegen.

549 Von einer echten Ersatzleistung kann – wenn der Vollstreckungstheorie oder der Erfüllungstheorie gefolgt wird – nicht gesprochen werden: Da – wie gesagt – durch Art. 98 Abs. 2 OR letztlich der Realerfüllungsanspruch durchgesetzt wird, handelt es sich bei der Ersatzvornahme um eine unechte Ersatzleistung. Das rechtfertigt auch den Verzicht auf die Voraussetzung der Verantwortung des Schuldners.

3. Surrogatstheorie

550 Gemäss der neuerdings von KOLLER im Berner Kommentar zum Werkvertrag vertrete-nen Auffassung ist Art. 98 Abs. 1 OR keine Vorschrift, die auf die Durchsetzung der Leistung in natura zielt,707 sondern eine materiell-rechtliche Regel, welche dem Gläubi-ger unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Ersatz der Kosten der Ersatzvornahme als Surrogat für die Leistung gewährt.708 Dieser Anspruch auf Kosten-ersatz setzt dementsprechend weder den Bestand des Realerfüllungsanspruchs noch ein Realerfüllungsurteil voraus. Im Gegenteil, Voraussetzung für die Geltendmachung des Kostenersatzanspruchs ist gerade, dass der Gläubiger auf die Leistung verzichtet hat oder die Leistungspflicht aus anderem Grunde dahingefallen ist.709 Hingegen setzt Ersatzvornahme nach KOLLER ein Verschulden des Schuldners voraus.710

551 Wird der Surrogatstheorie gefolgt, muss der Gläubiger auf die Leistung verzichten, um einen Anspruch auf Ersatzvornahme geltend zu machen. Dies gilt auch bei übermässiger Leistungserschwerung. Der Anspruch auf Ersatzvornahme steht dem Gläubiger so dann nur bei Verantwortung des Schuldners zu und nur unter der Voraussetzung, dass kein Missverhältnis zwischen den vom Schuldner zu tragenden Kosten der Ersatzvornahme und dem Interesse des Gläubigers an der Erfüllung durch Ersatzvornahme besteht.

552 Anders als nach der Vollstreckungstheorie oder Erfüllungstheorie kann der Anspruch auf Kostener-satz nach der Surrogatstheorie als echte Ersatzleistung oder – in der Terminologie Kollers – als

707 KOLLER, BerK, N 89 zu Art. 366 OR. 708 KOLLER, BerK, N 90 zu Art. 366 OR. 709 KOLLER, BerK, N 89 f. sowie N 7 und 10 zu Art. 366 OR; NIKLAUS, Nr. 1.72 und 1.75 ff. 710 KOLLER, BerK, N 91 f. zu Art. 366 OR; NIKLAUS, Nr. 1.80.

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Surrogat der Leistung aufgefasst werden. Als echte Ersatzleistung kommt die Ersatzvornahme nach dem vorne Gesagten grundsätzlich nur bei Verantwortung des Schuldners in Frage.

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§ 12 Voraussetzungen der Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR bei Leis-tungserschwerung

I. Allgemeines

553 Wie gesagt gerät der Schuldner – bei gegebenen Voraussetzungen – in Verzug, wenn er die fällige Leistung infolge Leistungserschwerung nicht rechtzeitig erbringt (Nr. 467 ff.); das Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners bei übermässiger Leistungser-schwerung schliesst den Eintritt des Verzuges nicht aus. Der Gläubiger kann dem Schuldner namentlich eine angemessene Nachfrist zur nachträglichen Erfüllung anset-zen, nach ungenutztem Ablauf der Nachfrist unverzüglich auf nachträgliche Erfüllung verzichten und die Wahlrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR (Ersatz des positiven Ver-tragsinteresses oder Rücktritt vom Vertrag und Ersatz des negativen Vertragsinteresses) ausüben.

554 Die Voraussetzungen für die Geltendmachung dieser Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR richten sich auch bei übermässiger Leistungserschwerung nach den allgemei-nen Regeln. Fraglich kann jedoch sein, ob beispielsweise die Mahnung des Schuldners oder eine Nachfristansetzung sinnvoll und erforderlich sind, wenn der Schuldner die Leistung unter Berufung auf übermässige Leistungserschwerung verweigert. Zu unter-scheiden sind verschiedene Fälle:

555 – Vorab wird der Fall behandelt, dass der Schuldner die Leistung verweigert und sich dabei ausdrücklich auf sein Leistungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leis-tungserschwerung beruft (Nr. 557 ff.).

556 – Anschliessend wird auf andere Fälle eingegangen, beispielsweise wenn der Schuld-ner erklärt, wegen bestimmten Leistungshindernissen nicht erfüllen zu können oder wenn die Leistung wegen der Leistungshindernisse objektiv betrachtet als gefährdet erscheint (Nr. 566 ff.).

II. Bei ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht

1. Nachfristansetzung

557 Gemäss Art. 108 Ziff. 1 OR ist die Ansetzung einer Nachfrist nicht erforderlich, „...wenn aus dem Verhalten des Schuldners hervorgeht, dass sie sich als unnütz erweisen würde“. Hauptanwendungsfall dieser Bestimmung ist die Erfüllungsverweigerung:711 In der Tat erscheint die Ansetzung einer Nachfrist zwecklos und unnütz, wenn sich der 711 SCHWENZER, Nr. 66.19; KOLLER, BerK, N 274 zu Art. 366 OR.

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Schuldner rundweg weigert, die Leistung zu erbringen.712 Der Gläubiger ist deshalb gegebenenfalls berechtigt, ohne Nachfristansetzung auf Erfüllung zu verzichten.713,714 Dabei muss jedoch vorausgesetzt werden, dass die Weigerung des Schuldners so klar und endgültig ist,715 „so dass die Fristansetzung keinen Sinn mehr hätte und sich als leere Form erweisen würde“.716 Dieses Erfordernis der Endgültigkeit der Erfüllungs-verweigerung meint zweierlei:

558 – Einerseits muss der Schuldner die Leistungsverweigerung in einer Weise zum Aus-druck bringen, dass der Gläubiger annehmen darf, der Schuldner liesse sich durch die Nachfristansetzung nicht umstimmen. Daran fehlt es gemäss der bundesgericht-lichen Rechtsprechung beispielsweise, wenn der Schuldner bloss eine Fristerstre-ckung verlangt,717 ohne sich über die Folgen der Verweigerung der anbegehrten Er-streckung zu äussern, oder wenn der Schuldner bloss Zweifel an der Gültigkeit des Vertrages äussert.718

559 – Andererseits muss der Schuldner die Erfüllung nicht nur momentan verweigern, sondern ein für allemal, oder zumindest für so lange Zeit, dass die Leistung klarer-weise innert einer angemessenen Nachfrist nicht mehr erbracht wird. Daran fehlt es, wenn der Schuldner behauptet, momentan nicht erfüllen zu können,719 oder wenn er die Leistung nur momentan zurückbehält.720

560 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kommt nichts darauf an, ob sich der Schuldner zu Recht auf das Leistungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leistungserschwerung beruft: Mit anderen Worten entfällt das Erfordernis der Nachfristansetzung – bei gege-benen Voraussetzungen – auch dann, wenn der Schuldner die Leistung bei nicht über-mässiger Leistungserschwerung endgültig verweigert.

712 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3033; SCHENKER, Nr. 505; SCHMID, Schuldnerverzug, S. 24 f. 713 OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300. 714 Der Schuldner braucht die Leistung nicht schlechthin zu verweigern – es genügt, wenn er nicht

zur vertragsgemässen Leistung bereit ist. Vgl. VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150 Anm. 57; ferner z. B. BGE 54 II 31 und die Vorzinstanz, HGer ZH, ZR 27 (1928) Nr. 45, S. 85.

715 Vgl. z. B. BGE 110 II 144 („clair“) = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567 („bestimmt“); OSER/ SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 108 OR: “ernstlich und entschieden”; SCHWENZER, Nr. 66.19: „ernsthaft und endgültig“; VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150: „ernstlich und be-stimmt“; WEBER, BerK, N 13 zu Art. 108 OR: „klar und eindeutig“.

716 OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 3 zu Art. 108 OR. 717 BGE 110 II 145 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567. Anders wiederum BGE 116 II 430 f., wo das

BGer festhielt, der Gläubiger, der auf rasche Erfüllung beharre, könne ohne Nachfristansetzung auf Realerfüllung verzichten, wenn der Schuldner den Kaufpreis neu zu verhandeln versucht.

718 BGE 110 II 145 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567; VOSER, S. 89 f. Anders wiederum, wenn der Schuldner „bestimmt erklärt hat, nicht in der verlangten Art und Weise erfüllen zu w o l l e n, weil er sich, nach s e i n e r Auffassung des Vertrages, hiezu nicht für verpflichtet hält“, Pra 1 (1912) Nr. 42, S. 111; zustimmend VOSER, S. 89.

719 BGE 110 II 145 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567. 720 BGE 48 II 408.

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2. Mahnung

561 Der Gedanke von Art. 108 Ziff. 1 OR kann auch auf das Erfordernis der Mahnung über-tragen werden.721 „Das Erfordernis der Mahnung bezweckt, den Schuldner gegen eine allzu harte Behandlung zu schützen, wenn die Erfüllungszeit ihm unbekannt oder unbe-stimmt ist“.722 Der Schuldner soll erkennen, dass der Gläubiger die Leistung nun be-stimmt verlangt. Wenn aber der Schuldner die Leistung zuvor bereits endgültig verwei-gert hat, so braucht er nicht zu wissen, ob und wann der Gläubiger die Leistung verlan-ge.723 Grundsätzlich entfällt deshalb bei endgültiger Leistungsverweigerung auch das Erfordernis der Mahnung.724

562 An das Endgültigkeitserfordernis (Nr. 557 ff.) sind hier aber erhöhte Anforderungen zu stellen, muss doch der Gläubiger gestützt auf das Verhalten des Schuldners anneh-men dürfen, der Schuldner liesse sich weder durch Mahnung noch durch Nachfristanset-zung zur Erfüllung bewegen.725 „Ergibt sich aus der Erklärung oder aus den Umständen, dass der Schuldner vielleicht doch noch leisten wird, wenn der Gläubiger darauf besteht, so ist Mahnung am Platz und daher Voraussetzung...“726 der Gläubigerrechte.

3. Fälligkeit

563 Schliesslich fragt sich, ob der Gläubiger bereits vor Eintritt der Fälligkeit Gläubigerrech-te analog zu Art. 107 Abs. 2 OR geltend machen kann, wenn der Schuldner die Leistung in diesem Zeitpunkt verweigert.727 Dies ist umstritten, wird in der Lehre jedoch mehr-heitlich bejaht.728 Es kann dem Gläubiger nicht zugemutet werden, an einen synallagma- 721 Das aOR enthielt keine Art. 108 Ziff. 1 OR entsprechende Bestimmung, doch wurde eine entspre-

chende Regel von der Rechtsprechung entwickelt (vgl. z. B. Pra 1 (1912) Nr. 42, S. 111) und bei der Revision ins OR aufgenommen; vgl. VOSER, S. 34; VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150 Anm. 55. Es scheint deshalb durchaus zulässig, auch in Bezug auf die Mahnung die nötigen er-gänzenden Regeln durch richterliche Rechtsfindung zu bilden.

722 Pra 60 (1971) Nr. 143, S. 448 = BGE 97 II 64. 723 SCHMID, Schuldnerverzug, S. 11. 724 BGE 110 II 144 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 567; VOSER, S. 34: „Der sich beharrlich weigernde

Schuldner hat kein Recht, sich darauf zu berufen, er sei nicht gemahnt worden.“ 725 VON TUHR/ESCHER, § 72 IV 4, S. 141; zustimmend BGE 97 II 64 = Pra 60 (1971) Nr. 143, S.

449; BGE 94 II 32 = Pra 57 (1968) Nr. 145, S. 511; OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300; ferner OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 15 zu Art. 102 OR.

726 VON TUHR/ESCHER, § 72 IV 4, S. 141 Anm. 55. 727 Die Lehre spricht in diesem Fall von einem „antizipierten Vertragsbruch“, vgl. GAUCH/SCHLUEP/

REY, Nr. 2676. 728 OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300: „Die Art. 107 ff. OR, die nach ihrem Wortlaute und

ihrer Stellung im System des Gesetzes Verzug des Schuldners voraussetzen, sind hier nicht un-mittelbar, sondern nur allenfalls analog anwendbar.“ BGE 69 II 243 ff. Ferner GAUCH/SCHLUEP/ REY, Nr. 2676; OGer ZH, ZR 40 (1941) Nr. 114, S. 300; GÖSCHKE, ZBJV 60 (1924), S. 72; Eduard HONEGGER, Über das Rücktrittsrecht bei gegenseitigen Verträgen nach dem Schweizeri-schen Obligationenrecht, Diss. Zürich 1926, S. 33 und 39.

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tischen Vertrag gebunden zu bleiben, wenn sich das vertragswidrige Verhalten des Schuldners aufgrund der Verweigerungserklärung mit Gewissheit voraussehen lässt.729

564 Dogmatisch kann diese Auffassung auf Art. 366 OR abgestützt werden: Aus dieser Bestimmung lässt sich der allgemeine Grundsatz ableiten, dass vorzeitige Gläubigerrechte überall dort gerechtfer-tigt sind, „wo – wie bei Art. 366 OR – der Vertragszweck erheblich gefährdet und es dem Gläubiger aus diesem Grund nicht mehr zumutbar ist, an der Leistung festzuhalten“.730

565 Vor Fälligkeit sind aber noch strengere Anforderungen an die Endgültigkeit der Erfül-lungsverweigerung (Nr. 557 ff.) zu stellen.731 Zulässig ist die Ausübung von Gläubiger-rechten nur, wenn der Gläubiger annehmen darf, dass der Schuldner seine Meinung bis zum Eintritt der Fälligkeit nicht ändern wird. Weil dies kaum je mit Sicherheit feststeht, lehnen VON TUHR/ESCHER732 und OSER/SCHÖNENBERGER733 den Verzicht bei Erfül-lungsverweigerung vor Fälligkeit gänzlich ab.734 Das geht meines Erachtens zu weit: Der Schuldner, der die Erfüllung vor Fälligkeit verweigert, muss sich auf seine Erklä-rung behaften lassen und soll nicht Zeit gewinnen können mit dem Argument, er könne seine Meinung ja noch ändern.735

III. Mangels ausdrücklicher Berufung auf das Leistungsverweigerungsrecht

566 Zusammenfassend kann der Gläubiger nach dem Gesagten ohne Mahnung, Nachfristan-setzung und sogar bereits vor Eintritt der Fälligkeit die Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR ausüben, wenn der Schuldner die Leistung unter Berufung auf sein Leis-tungsverweigerungsrecht wegen übermässiger Leistungserschwerung endgültig verwei-gert. Erleichterte Voraussetzungen können aber auch ohne ausdrückliche Leistungsver-weigerung gerechtfertigt sein:

567 1. Gleich zu behandeln wie die ausdrückliche endgültige Leistungsverweigerung ist der Fall, wenn der Schuldner endgültig erklärt, er könne wegen unüberwindbaren Leis-tungshindernissen nicht leisten.736 Der Schuldner muss sich auf seine Aussage behaften lassen: Es kann dem Gläubiger nicht zugemutet werden, an einen Vertrag gebunden zu sein, von dem der Schuldner erklärt, dass er ihn nicht wird erfüllen können.

729 SCHENKER, Nr. 225. 730 Vgl. KOLLER, BerK, N 26 zu Art. 366 OR. 731 GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2676. 732 VON TUHR/ESCHER, § 72 IV 4, Anm. 53. 733 OSER/SCHÖNENBERGER, ZürK, N 15 zu Art. 102 OR und N 3 zu Art. 108 OR. 734 Vgl. auch SCHMID, Schuldnerverzug, S. 25; VOSER, S. 89 f., mit Einschränkungen. 735 Umgekehrt „darf eine [blosse] Ansichtsäusserung nicht schlechthin als Willensäusserung ausge-

legt und aus konkludenten Handlungen nicht leicht auf definitive Weigerung geschlossen werden, noch nicht fällige Raten zu liefern“, BGE 45 II 61 f. betr. Sukzessivlieferungsvertrag.

736 SCHENKER, Nr. 505; VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150; BGE 32 II 122; AppGer TI, SJZ 55 (1959) Nr. 27, S. 74.

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568 Beispiel: In BGE 43 II 225 hatte sich der Verkäufer von aus dem Ausland zu lieferndem Getreide „seit dem Beginn des Lieferungsverzugs stetsfort und bestimmt gegenüber dem Begehren des Beklagten auf Realleistung ablehnend verhalten und sich auf den Stand-punkt gestellt, die Lieferung sei ihm durch den Kriegsausbruch verunmöglicht worden und es könne sich nur noch um Leistung einer Geldentschädigung ... handeln. Dass sich der Kläger [der Verkäufer] von dieser Auffassung noch durch Fristansetzung werde ab-bringen lassen, musste ... als ausgeschlossen gelten...“737

569 2. Ebenso kann der Gläubiger die Gläubigerrechte gemäss Art. 107 Abs. 2 OR unter erleichterten Voraussetzungen geltend machen, wenn objektiv feststeht, dass der Schuldner nicht rechtzeitig wird erfüllen können. Beispielsweise ist der Schuldner we-gen der Leistungserschwerung mit der Erfüllung so in Rückstand, dass weder das Ab-warten der Fälligkeit, noch eine Mahnung, noch eine angemessene Nachfrist ihm zur nachträglichen Erfüllung ausreichen würden.738

570 3. Hingegen besteht kein Recht zur Geltendmachung von Gläubigerrechten unter er-leichterten Voraussetzungen, wenn das Verhalten des Schuldners bloss als Versuch zu interpretieren ist, bessere Vertragsbedingungen auszuhandeln, solange nicht sicherge-stellt ist, dass der Schuldner nicht trotzdem zu den ursprünglichen Bedingungen zu er-füllen bereit ist. Dies gilt namentlich dann, wenn der Schuldner auf das Verständnis des Gläubigers für die Leistungshindernisse hofft und eine Abänderung der Vertragsbedin-gungen, namentlich eine Fristerstreckung auszuhandeln versucht.739

571 Beispiel: In BGE 110 II 141 = Pra 73 (1984) Nr. 210, S. 566 schrieb die X Meubles SA dem Käufer am 19. Mai 1980, die Lieferung der verkauften Möbel werde im Laufe des Juli 1980 erfolgen (statt Ende Mai 1980); sie könne die Möbel vom Lieferanten nicht früher erhalten. Das Bundesgericht hielt fest, beide Parteien seien mit Recht davon aus-gegangen, der Brief vom 19. Mai 1980 sei als eine Offerte der Verkäuferin zur Änderung des Liefertermins zu betrachten; der Brief habe aber nicht gesagt, welche Folgen eine Ablehnung der Offerte hätte. Es habe jedenfalls nicht als ausgeschlossen erschienen, dass die Lieferung noch innert der vereinbarten Frist hätte erfolgen können, oder mindestens innert der angemessenen Frist, die der Käufer der Verkäuferin hätte ansetzen sollen. Unter diesen Umständen erscheine die Mahnung nicht als unnütz.

737 BGE 43 II 230. 738 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3033; SCHENKER, Nr. 505; BECKER, BerK, N 4 zu Art. 108 OR;

VON TUHR/ESCHER, § 73 IV 1, S. 150; SCHMID, Schuldnerverzug, S. 25; VOSER, S. 91. BGE 97 II 64; ferner KGer SG, GVP 1991, Nr. 38 S. 85.

739 Vgl. Anm. 717.

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§ 13 Vom Verschulden des Schuldners bei Leistungserschwerung

I. Allgemeines

572 Im Rahmen dieser Arbeit war bereits an verschiedener Stelle von der Verantwortung des Schuldners die Rede: Die Verantwortung des Schuldners bildet namentlich eine Voraus-setzung für den Schadenersatzanspruch (vgl. Nr. 473, 480 ff. und 519 ff.), und – nach hier vertretener Auffassung – für den Anspruch auf eine Ersatzleistung (Nr. 535 ff.).

573 Der Hauptfall der Verantwortung bildet das Verschulden. Daneben trifft den Schuldner in verschiedenen anderen Fällen eine Verantwortung, beispielsweise bei der bereits er-wähnten Haftung für Zufall bei Schuldnerverzug (Nr. 474), bei Haftung aus Billigkeit (Art. 54 Abs. 1 OR) oder bei besonderer vertraglicher Vereinbarung. Praktisch am be-deutendsten ist jedoch neben dem Verschulden der Fall, dass der Schuldner gemäss Art. 101 OR für das Verhalten einer Hilfsperson einzustehen hat.740

574 Im Folgenden spreche ich ausschliesslich vom Verschulden des Schuldners. Der urteils-fähige Schuldner, der seine vertraglichen Pflichten kennt,741 handelt schuldhaft, wenn er eine vertragliche Pflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt.742 Bei Leistungserschwe-rung ist insbesondere an vier typische Fallkonstellationen zu denken:

575 – der Schuldner führt ein Leistungshindernis (bzw. eine Leistungserschwerung, was gleichbedeutend ist, vgl. Nr. 9) aktiv herbei (Nr. 580 ff.);

576 – der Schuldner verhindert den Eintritt eines Leistungshindernisses pflichtwidrig nicht (Nr. 582 ff.);

577 – der Schuldner überwindet ein Leistungshindernis, welches er überwinden müsste, pflichtwidrig nicht (Nr. 590 ff.); und

578 – der Schuldner klärt den Gläubiger pflichtwidrig bei Vertragsschluss über drohende Leistungshindernisse nicht auf, obwohl er mit deren Eintritt rechnet oder rechnen muss (Nr. 595 ff.).

579 Dabei wird immer unterstellt, dass der Schuldner die Leistung infolge des Leistungshin-dernisses (bzw. der Leistungserschwerung) nicht, nicht rechtzeitig oder sonst wie nicht vertragskonform erbringt. Das versteht sich von selbst: Der Schuldner, der beispielswei-se ein Leistungshindernis herbeiführt oder den Gläubiger über ein drohendes Leistungs-hindernis nicht aufklärt, aber dennoch rechtzeitig und vollständig vertragskonform er- 740 Vgl. zu den Haftungsvoraussetzungen statt vieler WEBER, BerK, N 39 ff. zu Art. 101 OR;

KOLLER, Erfüllungsgehilfe, Nr. 109 ff. 741 Vgl. zur entschuldbaren Unkenntnis von Leistungspflichten z. B. VON TUHR/ESCHER, § 69 III, S.

116; BUCHER, OR AT, S. 347; WEBER, BerK, N 26 zu Art. 99 OR.

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füllt, begeht keine Pflichtverletzung, und die Frage der Verantwortung des Schuldners stellt sich damit auch nicht.

II. Aktives Herbeiführen eines Leistungshindernisses

580 Den Schuldner trifft – wie gesagt – ein Verschulden, wenn er ein Leistungshindernis durch aktives Tun vorsätzlich oder fahrlässig herbeiführt. Beispielsweise handelt der Verkäufer einer Speziessache schuldhaft, wenn er die Speziessache im vollen Be-wusstsein, den Vertrag mit dem Käufer zu verletzen, an einen Dritten verkauft und über-trägt (absichtlicher Doppelverkauf).743 Ebenso trifft ihn ein Verschulden, wenn er die Speziessache in nicht entschuldbarem Irrtum doppelt verkauft (fahrlässiger Doppel-verkauf).

581 Besondere Probleme stellen sich (namentlich bei Dienstleistungsschulden), wenn der Schuldner bei oder neben der Vertragserfüllung Tätigkeiten vornimmt, die seine Ge-sundheit oder sonstige Leistungsfähigkeit gefährden. Der Schuldner begibt sich bei-spielsweise mit völlig ungeeigneter Ausrüstung auf eine schwierige Bergtour. Verletzt sich der Schuldner bei einer gefährlichen Tätigkeit, kann er wegen des fahrlässigen Her-beiführens seiner Leistungsunfähigkeit haftbar werden. Es scheint jedoch angebracht, bei der Annahme von Fahrlässigkeit Zurückhaltung zu üben.744 Jedenfalls wäre es mit Hinblick auf die persönliche Freiheit des Schuldners verfehlt, dem Schuldner jede po-tentiell gefährliche Tätigkeit als Verschulden anzurechnen – gewisse Risiken darf der Schuldner eingehen.745 Anhaltspunkt kann dabei die Lehre und Rechtsprechung zu Art. 324a OR sein.746

III. Verletzung der Pflicht zur Verhinderung von Leistungshindernissen

582 Sodann trifft den Schuldner ein Verschulden, wenn er nicht hinreichende Massnah-men zur Verhinderung des Eintritts von Leistungshindernissen trifft, obwohl er da-zu verpflichtet wäre.747 Dies bedarf der Erläuterung:

742 VON TUHR/ESCHER, § 69 I, S. 114. 743 Vgl. LGVE 1980 I Nr. 155, S. 619: Der Schuldner schliesst einen neuen, vierten Automatenauf-

stellungsvertrag ab, obwohl er weiss, dass er aufgrund einer neuen gesetzlichen Regelung, die nur einen Geldspielautomaten pro Gaststätte erlaubt, zwei seiner drei bestehenden Verträge auflösen muss.

744 Vgl. GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2266. 745 Vgl. OGer ZH, ZR 88 (1989) Nr. 70, S. 222; STREIFF/VON KAENEL, N 29 zu Art. 324a/b OR. 746 Vgl. STREIFF/VON KAENEL, N 29 zu Art. 324a/b OR; REHBINDER, BerK, N 16 zu Art. 324a OR;

REHBINDER, BasK, N 3 zu Art. 324a OR; alle mit zahlreichen Hw. auf die Rechtsprechung. 747 Vgl. ERDIN, Nr. 349.

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583 1. Die Haftung des Schuldners setzt den Bestand einer Pflicht des Schuldners zur Ver-hinderung des Eintritts von Leistungshindernissen voraus. Bei solchen Pflichten handelt es sich um vertragliche Nebenpflichten, deren Funktion in der Ermöglichung und Siche-rung der Leistungserbringung liegt (leistungssichernde oder leistungsorientierte Neben-pflichten).748 Sie zielen auf den Schutz des Leistungsinteresses. Zu denken ist beispiels-weise an die Pflicht, den Vertragsgegenstand oder das Vertragsobjekt (beispielsweise das zu reparierende Fahrzeug, vgl. Nr. 585) vor Beschädigung, Diebstahl oder anderem zu sichern.749

584 2. Leistungssichernde Nebenpflichten (in der Lehre auch Obhuts-, Fürsorge-, Erhal-tungs- oder Schutzpflichten genannt) werden zuweilen ausdrücklich oder stillschwei-gend vertraglich vereinbart. Teilweise, jedoch nur punktuell, sind sie auch im Gesetz verankert (vgl. z. B. Art. 256 und 284 OR sowie Nr. 585).

585 Beispiel: Den Unternehmer trifft gemäss Art. 365 Abs. 2 OR die Pflicht, vom Besteller gelieferten Stoff mit aller Sorgfalt zu behandeln. Das Bundesgericht hat diese Bestim-mung in BGE 113 II 421 ff. = Pra 77 (1988) Nr. 110, S. 404 ff. auf den Diebstahl eines dem Garagisten zur Reparatur überlassenen Personenwagens angewandt und geprüft, ob der Garagist der aus Art. 365 Abs. 2 OR abgeleiteten Pflicht zur Sicherung der anvertrau-ten Sache gegen Diebstahl750 in casu nachgekommen ist.751

586 Vor allem aber ergeben sich leistungssichernde Nebenpflichten ungeschrieben und un-ausgesprochen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 2 ZGB).752 „Der Schuld-ner ist verpflichtet, alles zu tun, um die richtige Erfüllung der Hauptleistung und die Verwirklichung des Leistungserfolges zu sichern“.753 Beispielsweise muss der Verkäu-fer den Kaufgegenstand sachgemäss behandeln und verwahren.754 Dabei hat der Schuld-ner gemäss KOLLER einem Durchschnittsstandard zu genügen, der jedoch variiert, je nachdem, welche Fähigkeiten und Eigenschaften des Schuldners dem Gläubiger bei Vertragsschluss bekannt waren; über den Durchschnittsstandard hinausgehenden subjek- 748 KOLLER, positive Vertragsverletzungen, AJP 1992, S. 1485; GUHL/KOLLER, § 31 N 15; KOLLER,

BerK, N 260 zu Art. 363 OR. 749 Damit unterscheiden sich leistungssichernde Nebenpflichten namentlich von jenen, welche aus-

schliesslich dem Schutz der Rechtsgüter des Gläubigers, d. h. des Erhaltungsinteresses dienen. 750 Aus Art. 365 Abs. 2 OR leitet die Lehre eine umfassende Obhutspflicht (Schutz vor Lagerschä-

den, Beschädigung, Diebstahl, missbräuchlicher Benutzung, mutwilliger Zerstörung, schädlichen Umwelteinflüssen etc.) ab; vgl. GAUCH, Werkvertrag, Nr. 828; GAUTSCHI, BerK, N 32c zu Art. 365 OR; BECKER, BerK, N 6 zu Art. 365 OR; KOLLER, BerK, N 32 ff. zu Art. 365 OR.

751 Vgl. BGE 113 II 422 f. Erw. 2 und 3 = Pra 77 (1988) Nr. 110, S. 405 f. Erw. 2 und 3, mit illustra-tiven Ausführungen zur Sicherungspflicht des Garagisten; BGE 126 III 196 f. betr. Hinterle-gungsvertrag.

752 GUHL/KOLLER, § 2 N 25; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2266 und Nr. 2608; differenzierend KOLLER, BerK, N 270 zu Art. 363 OR; BGE 114 II 65 f.; BGE 116 II 434; OGer ZH, ZR 75 (1976) Nr. 77, 200 ff.; für das Kaufrecht: GIGER, BerK, N 50 zu Art. 184 OR; KOLLER, BasK, N 70 zu Art. 184 OR.

753 GUHL/KOLLER, § 2 N 25; KOLLER, BerK, N 260 zu Art. 363 OR. 754 GIGER, BerK, N 55 zu Art. 184 OR; KELLER/SIEHR, S. 20.

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tive Eigenschaften und Fähigkeiten hat der Schuldner einzusetzen, auch wenn sie dem Gläubiger nicht bekannt sind (diligentia quam in suis).755

587 Leistungssichernde Nebenpflichten lassen sich nicht immer von eigentlichen Hauptpflichten unter-scheiden. Zum Beispiel trifft den Verkäufer von Gattungsware – wie gesagt – eine aus dem Realer-füllungsanspruch abgeleitete Pflicht zur Beschaffung von Gattungsware. In der Wahl des Zeitpunkts der Beschaffung ist der Verkäufer grundsätzlich frei. Wenn aber Schwierigkeiten der Beschaffung voraussehbar sind, so dass die Beschaffung unmöglich zu werden droht, so trifft den Schuldner die Pflicht, die Ware frühzeitig zu beschaffen und nicht bis zum Ende der Lieferfrist zuzuwarten.756 Handelt es sich bei dieser vom Bundesgericht entwickelten Pflicht zur frühzeitigen Beschaffung um eine blosse Konkretisierung der Beschaffungspflicht des Gattungsschuldners, oder ist es eine leis-tungssichernde Nebenpflicht, welche die Möglichkeit der Beschaffung sichert? Die Frage kann offengelassen werden, weil eine unterschiedliche Behandlung in unserem Zusammenhang nicht gerechtfertigt ist (vgl. gleich nachfolgend).757

588 3. Die Verletzung leistungssichernder Nebenpflichten kann zu einer Störung der Leis-tungshandlung bzw. des Leistungserfolgs führen.758 Im Einzelnen können die Folgen unterschiedlich sein. Beispielsweise kann die ungenügende Sicherung der Kaufsache zu deren Beschädigung führen, so dass eine mittelbare Schlechterfüllung759 vorliegt. In un-serem Zusammenhang interessiert freilich einzig der Fall, dass die Verletzung einer leis-tungssichernden Nebenpflicht in einer Leistungserschwerung resultiert. Die ungenügend gesicherte Kaufsache wird zum Beispiel gestohlen, so dass die Übergabe der Kaufsache verzögert wird oder schliesslich ganz ausbleibt. Solche mittelbare Leistungserschwe-rungstatbestände sind eigentliche Leistungserschwerungstatbestände und unterscheiden sich von diesen nicht in den Rechtsfolgen. Die (schuldhafte) Verletzung leistungs-sichernder Nebenpflichten wird dem Schuldner als Verschulden an der Leistungser-schwerung zugerechnet.760 Die besonderen Regeln betreffend Schlechterfüllungstatbe-stände oder so genannte positive Vertragsverletzungen passen für mittelbare Leistungs-erschwerungstatbestände nicht.

589 4. Der Schuldner kann bei Verletzung von leistungssichernden Nebenpflichten jedoch einwenden, dass das Leistungshindernis auch eingetreten wäre, wenn er alle geschulde-

755 Genaueres bei KOLLER, BerK, N 270 ff. und 421 ff. zu Art. 363 OR. 756 BGE 44 II 514. Der Verkäufer braucht jedoch die Ware nicht während langer Zeit physisch an

Lager zu halten, sondern kann sich mit der vertraglichen Eindeckung bei Lieferanten begnügen; vgl. BGE 45 II 41 f.

757 Vgl. auch BGE 32 II 187: Der Mieter (und Untervermieter) hat die Schlüssel vom ausziehenden Untermieter nicht rechtzeitig herausverlangt und dem neuen Untermieter übergeben, sondern es geschehen lassen, dass der ausziehende Untermieter die Schlüssel der Wohnungseigentümerin aushändigte.

758 GLÄTTLI, S. 35. 759 KOLLER, positive Vertragsverletzungen, AJP 1992, S. 1485; GUHL/KOLLER, § 31 N 15. 760 Vgl. GUHL/KOLLER, § 2 N 30; GLÄTTLI, S. 35; KOLLER, BerK, N 417 f. zu Art. 363 OR.

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ten Sicherungsmassnahmen getroffen hätte.761 Vgl. zu diesem Einwand rechtmässigen Alternativverhaltens hinten Nr. 601.

IV. Nichtüberwindung eines überwindbaren Leistungshindernisses

590 Zudem handelt der Schuldner schuldhaft, wenn er ein Leistungshindernis, welches er überwinden müsste, pflichtwidrig nicht überwindet. Welche Leistungshindernisse zu überwinden sind, bestimmt sich nach dem Kriterium des Missverhältnisses zwischen Er-füllungsaufwand und Realerfüllungsinteresse (Nr. 230 ff.). Demnach sind zwei Fälle zu unterscheiden:

591 Bei übermässiger Leistungserschwerung ist der Schuldner zur Verweigerung der Leis-tung berechtigt, solange die übermässige Leistungserschwerung dauert (Nr. 230 ff.). Er-bringt der Schuldner die Leistung nicht oder nicht rechtzeitig, handelt er damit nicht schuldhaft, es sei denn er habe die übermässige Leistungserschwerung aus anderem Grunde zu verantworten, beispielsweise weil er sie aktiv herbeigeführt (Nr. 580 f.), de-ren Eintritt pflichtwidrig nicht verhindert (Nr. 582 ff.) oder den Gläubiger über eine dro-hende Leistungserschwerung pflichtwidrig nicht aufgeklärt hat (Nr. 595 ff.).

592 Ist die Leistungserschwerung hingegen nicht übermässig, so muss sie der Schuldner überwinden und er haftet für den durch die Verzögerung oder das Ausbleiben der Leis-tung verursachten Schaden. Zur Überwindung des Leistungshindernisses ist dem Schuldner aber die dafür nötige Zeit zu lassen. Wenn der Schuldner mit der Behebung eines Leistungshindernisses sofort nach dessen Eintritt beginnt und die Behebung zügig vorantreibt, kann ihm kein Vorwurf gemacht werden.762 Vorbehalten bleibt freilich wie-derum der Fall, dass der Schuldner die Leistungserschwerung aus anderem Grunde zu verantworten hat (vgl. Nr. 591 a. E.).

593 Beispiel: Der Schuldner ist im Kuriwata-Seiden-Fall (Nr. 387) nicht berechtigt, die Leis-tung zu verweigern. Er muss Kuriwata-Seide beschaffen, auch wenn dies mit Schwierig-keiten verbunden ist.763 Nimmt die Beschaffung eine gewisse Zeit in Anspruch, beispielsweise weil der Schuldner dazu persönlich nach Japan reisen muss, so trifft ihn erst ein Verschulden an der Verzögerung der Erfüllung, wenn er sich nicht sofort um die Beschaffung kümmert und diese zügig vorantreibt.

594 Exkurs: Zu den überwindbaren Leistungshindernissen gehört namentlich der blosse Geldman-gel.764 Blosser Geldmangel liegt vor, wenn der Schuldner seine Leistungspflicht wegen mangelnder Geldmittel nicht erfüllt, ohne dass die Leistung übermässig erschwert ist. Beispielsweise kann der 761 Zum rechtmässigen Alternativverhalten hinten Nr. 601. 762 Semjud 71 (1949), S. 388 ff.; vgl. auch WEBER, BerK, N 26 zu Art. 99 OR; ferner BUCHER, OR

AT, S. 347; ENGEL, AT, Nr. 210 S. 712. 763 BGE 27 II 219. 764 Vgl. zum Geldmangel bei Geldschulden Nr. 391.

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Schuldner die geschuldete Gattungs- oder Speziessache nicht beschaffen, weil er nicht genügend Bargeld oder Kredit hat.765 Oder der Schuldner kann das versprochene Werk nicht vollenden, weil er seine Arbeiter und das erforderliche Material nicht bezahlen kann. Der so geartete Mangel an den für die Erfüllung nötigen Geldmitteln berechtigt den Schuldner nicht zur Verweigerung der Leis-tung, sondern ist eine blosse Schwierigkeit, die vom Schuldner zu überwinden ist.766 Der blosse Geldmangel ist ein Leistungshindernis, welches immer – definitionsgemäss – überwindbar ist.767 Der Schuldner gerät – bei gegebenen Voraussetzungen – in Verzug, und an diesem trifft ihn in aller Regel ein Verschulden.768

VI. Verletzung einer Aufklärungspflicht

595 Schliesslich trifft den Schuldner ein Verschulden, wenn er bei Vertragsschluss mit dem Eintritt einer Leistungserschwerung gerechnet hat oder damit rechnen muss-te769 und er den Gläubiger pflichtwidrig darüber nicht aufgeklärt hat770,771 und er auch keinen entsprechenden Vorbehalt in den Vertrag aufgenommen hat. Es liegt ein Spezial-fall der culpa in contrahendo vor.772 Das Bundesgericht hat wiederholt in diesem Sinne entschieden:773 Der Vermieter wird beispielsweise haftbar, wenn er mit einem neuen Mieter einen Vertrag abschliesst, obwohl er mit der Erstreckung des Mietverhältnisses des Vormieters rechnen muss.774 Ebenso haftet der Verkäufer, wenn er im Zeitpunkt des Vertragsschlusses damit rechnet oder rechnen muss, auf eine „Schwarze Liste“ gesetzt zu werden, so dass er den Vertrag nicht wird erfüllen können.775 Im Einzelnen:

765 VON TUHR/ESCHER, § 68 I, S. 96 Anm. 25. Vgl. ferner BISCHOFF, S. 125; zum deutschen Recht

MEDICUS, „Geld muss man haben“, AcP 188 (1988), S. 508 ff. 766 Vgl. die Nw. in der vorangehenden Anm. 767 VON BÜREN, OR AT, S. 368; VON TUHR/ESCHER, § 73 I, S. 144. 768 BGE 25 II 67; BGE 60 II 339; VON BÜREN, OR AT, S. 368 und ausführlich S. 391 f. 769 Vgl. BGE 57 II 513: Nicht schuldhaft verhielt sich der Verkäufer im Steinbruch Sarnen-Fall (Nr.

394), weil er das Versiegen der Ausbeute infolge einer bedeutenden Veränderung der Schichten-lage bei gehöriger Sorgfalt nicht hätte voraussehen können.

770 Vgl. LEMP, S. 200; MÜLLER-CHEN, S. 331. Ähnlich verhält es sich bei gewissen anfänglichen Leistungshindernissen. Zu denken ist an den Fall, dass der Schuldner Waren verkauft, welche er bei Vertragsschluss nicht besitzt (bzw. er hat noch keine Verträge zum Erwerb der Ware abge-schlossen) und die Beschaffung in der Folge misslingt. Der Schuldner handelt jedenfalls dann schuldhaft, wenn er mit dem Misslingen der Beschaffung rechnen musste. VON BÜREN, OR AT, S. 392 f., will den Schuldner für die Beschaffungsmöglichkeit gar kausal haften lassen.

771 BGE 88 II 203; BGE 42 II 372; ferner BGE 111 II 372; GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 3167. Steht hingegen bei Vertragsschluss objektiv fest, dass der Schuldner die Leistung nicht wird erbringen können, liegt anfängliche Unmöglichkeit vor. Abweichend offenbar WEBER, BerK, N 117 zu Art. 97 OR.

772 Vgl. z. B. LÜCHINGER, Nr. 237. 773 Z. B. BGE 54 II 337. Vgl. auch das Beispiel von LEMP, S. 200: Der Schuldner hat sich bereits vor

Vertragsschluss bei einem ungenügend leistungsfähigen Fabrikanten eingedeckt, der nach Ver-tragsschluss tatsächlich nicht liefern kann, erwähnt aber beim Vertragsschluss nichts von seiner zweifelhaften Bezugsquelle.

774 BGE 117 II 72. 775 BGE 48 II 218 ff.

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596 1. Die Haftung des Schuldners setzt voraus, dass der Schuldner zur Aufklärung des Gläubigers über eine drohende Leistungserschwerung bzw. drohende Leistungshinder-nisse verpflichtet ist. Im Allgemeinen ergeben sich Aufklärungspflichten aus vertragli-cher Vereinbarung und teilweise aus Gesetz, namentlich aber aus dem Grundsatz von Treu und Glauben.776 Ob Treu und Glauben die Aufklärung über ein potentielles Leis-tungshindernis gebieten, kann gemäss Lehre und Rechtsprechung nur im konkreten Ein-zelfall gesagt werden:777 Einzelheiten sind umstritten.778 Drei Aspekte sind im hier inte-ressierenden Zusammenhang hervorzuheben:

597 – Erstens setzt eine Aufklärungspflicht voraus, dass der Schuldner mit dem Eintritt einer Leistungserschwerung gerechnet hat oder rechnen musste oder – mit anderen Worten – dass er die Leistungserschwerung vorausgesehen hat oder voraussehen musste.779 Dabei ist entscheidend, ob aufgrund aller bei Vertragsschluss bekannten Umstände und Anzeichen der Eintritt einer Leistungserschwerung eine bestimmte Wahrscheinlichkeit780 aufweist (vgl. Nr. 292 und sogleich Nr. 600). Anzuwenden ist ein Durchschnittsstandard, doch sind dem Schuldner besondere Fähigkeiten zuzu-rechnen (Nr. 284). Es kann auf das vorne zur Voraussehbarkeit Gesagte verwiesen werden (Nr. 282 ff.). Die Voraussehbarkeit der Leistungserschwerung alleine genügt jedoch für eine Begründung der Haftung noch nicht.

598 – Sodann wird vorausgesetzt, dass der Gläubiger der Aufklärung bedarf.781 Dies ist in der Regel nicht der Fall, wenn der Gläubiger selbst mit dem Eintritt der Leistungser-schwerung gerechnet hat oder er damit rechnen musste.782 Die Aufklärung kann jedoch geboten sein, wenn die drohenden Leistungshindernisse in der Sphäre des Schuldners gründen (z. B. in seinem Betrieb),783,784 oder wenn der Schuldner spezielle Fachkenntnisse besitzt, der Gläubiger aber gerade nicht.785 Hingegen be-steht über allgemeine Hindernisse wie zum Beispiel das Risiko eines Kriegsaus-

776 Vgl. HARTMANN, Nr. 51 ff.; ABEGGLEN, S. 78 ff. 777 BGE 116 II 434; KOLLER, OR AT I, Nr. 1182; BUCHER, OR AT, S. 220; kritisch HARTMANN,

Nr. 58 ff., m. Hw. 778 Vgl. HARTMANN, Nr. 51 ff.; ABEGGLEN, S. 166 ff.; ferner GONZENBACH, S. 104 ff.; KOLLER,

OR AT I, Nr. 1182. 779 Vgl. HARTMANN, Nr. 68 f. 780 Dieser Einschränkung liegt der Gedanke zugrunde, dass sich bei „unwahrscheinlichen“ Leis-

tungshindernissen die Mühe der Aufklärung nicht lohnt: Der Vorteil, der dem Gläubiger durch die Aufklärung entsteht, mag die Mühe der Aufklärung (zu denken ist in erster Linie an den Auf-wand des Erforschens möglicher Leistungshindernisse) nicht zu rechtfertigen.

781 Vgl. HARTMANN, Nr. 72, und ABEGGLEN, S. 172: „Erkennbarer Informationsbedarf“. 782 Vgl. HARTMANN, Nr. 74. 783 Ähnlich HARTMANN, Nr. 79. 784 Vgl. zum Beispiel GONZENBACH, S. 104: „Je mehr ... bestimmte Informationen im Einfluss- und

Einsichtsbereich nur einer Partei liegen, desto eher ist für sie eine Aufklärungspflicht anzuneh-men.“

785 Ähnlich HARTMANN, Nr. 80; ABEGGLEN, S. 175 ff.

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bruchs normalerweise keine Aufklärungspflicht, weil beide Parteien dessen Wahr-scheinlichkeit gleich gut abschätzen können. Anders wäre allenfalls zu entscheiden, wenn der Betrieb des Schuldners oder seine Leistungsfähigkeit durch den Eintritt eines allgemeinen Leistungshindernisses stärker als andere betroffen wäre und der Gläubiger dies weder weiss noch wissen kann.

599 Beispiel: Wenn der Kunsthändler A dem Kunsthändler B ein Gemälde verkauft, braucht A B nicht über das Risiko eines allfälligen Diebstahls des Gemäldes aufzuklären, weil B als Kunsthändler das Risiko ebenso gut abschätzen kann. Anders verhält es sich jedoch, wenn bereits mehrmals versucht wurde, bei A einzubrechen, was B nicht wissen kann.

600 – Schliesslich sind die Folgen der Nichterbringung der Leistung für den Gläubiger mit zu berücksichtigen.786 Je grösser der Schaden des Gläubigers bei Leistungserschwe-rung ist, desto eher gebietet sich eine Aufklärung über drohende Leistungshindernis-se. Wenn beispielsweise der Schuldner weiss, dass selbst eine kurzfristige Verzöge-rung der Leistung den ganzen Produktionsbetrieb des Gläubigers lahm legen würde, so hat er auch über weniger wahrscheinliche Leistungshindernisse zu informieren.

601 2. Hat der Schuldner eine bestehende Aufklärungspflicht verletzt, so haftet er für den aus der Verletzung der Aufklärungspflicht adäquat kausal entstandenen Schaden.787,788 Der Schuldner kann geltend machen, dass der Gläubiger den Vertrag auch bei erfolgter Aufklärung abgeschlossen hätte und der Gläubiger keine zusätzlichen Massnahmen zur Verhinderung des Schadenseintritts getroffen hätte.789 Gegebenenfalls fehlt zwischen der Verletzung der Aufklärungspflicht und dem Schaden, der dem Gläubiger durch das Leistungshindernis entstanden ist, die erforderliche Kausalität. Das Bundesgericht, welches die Berücksichtigung eines solchen „rechtmässigen Alternativverhaltens“ in an-derem Kontext befürwortet,790 hatte soweit ersichtlich bisher keine Gelegenheit, den Einwand in unserem Zusammenhang zu prüfen.

786 Vgl. HARTMANN, Nr. 88 ff.; ABEGGLEN, S. 173. 787 Vgl. HARTMANN, Nr. 299: „Der Ersatzanspruch richtet sich ... auf die Differenz zwischen dem

gegenwärtigen Stand des Vermögens und dem Vermögensstand, wie er bei korrekter Information gegeben wäre“ (Hervorhebung weggelassen); GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2705, m. Hw.

788 Die Schadenersatzpflicht richtet sich auf das negative Vertragsinteresse (wenn der Gläubiger gel-tend macht, er hätte den Vertrag bei erfolgter Aufklärung nicht abgeschlossen, bzw. er hätte mit einer anderen Partei einen Vertrag mit geringerem Risiko abgeschlossen) oder auf das positive Vertragsinteresse (wenn der Gläubiger geltend macht, er hätte Massnahmen zur Verhinderung des Schadens getroffen, z. B. hätte der Kunsthändler B im obigen Beispiel auf sofortige Übergabe des Bildes bestanden und es selbst diebstahlsicher verwahrt).

789 Vgl. z. B. BGE 122 III 229 ff.; ausführlich zum rechtmässigen Alternativverhalten KOLLER, Fehl-geschlagene Sterilisation, S. 19 ff.; ABEGGLEN, S. 88 ff.

790 Vgl. die Nw. bei GAUCH/SCHLUEP/REY, Nr. 2722.

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Zusammenfassung (Verweis)

Ein kurze Übersicht und Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit findet sich vorne in Nr. 175 ff.

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Lebenslauf

1976-1988 Primarschule und Gymnasium in Zürich

1988-1992 Juristisches Studium an der Universität St. Gallen (HSG)

1992-1995 Assistent bei Prof. Dr. Alfred Koller, St. Gallen

1995-1997 Anwaltspraktikum und Anwaltsprüfung in Zürich

1998- Rechtsanwalt in Zürich

1999-2000 Studium an der University of Chicago Law School (LL.M.)