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v. Graefes Archiv fiir OphthMmologie, Bd. 156, S. 519--534 (1955). Aus dem Physiologischen Institut der Universit/~t Greifswald. Die ontogenetische Entwicklung des Helligkeits- und Farbensehens beim Menschen. I. Mitteilung. Die Entwicklung des Helligkeitssehens. Von DIETRICH und [NGEBORG TRINCKER. Mit 1 Textabbildung. I. Systematische Untersuchungen fiber den Lichtsinn der Neugeborenen hat mit einer physikalisch und physiologisch exakt definierten Methodik zuerst A. PEI~'EI~ (1927) durehgefiihrt. Er benutzte hierffir den yon ihm entdeckten ,,Augenreflex auf den Hals", der sich bei fast a~llen reifen und unreifen Neugeborenen auslSsen l~Bt: ,,Man bringt dazu das Kind in aufrechte Stellung, wobei der Kopf nieht unterstfitzt werden darf. Be- tichte~ man mm plStzlich die Augen, so wird der Kopi mit einem l~uck nach hinten geworfen, so dab der ganze K5rper in eine opisthotonische Haltung ger/~t." PEII'EI~ benutzte fiir seine Versuche zun~chst das unge- filterte (,,weil~e") Licht einer Glfihbirne und fand bei stufenweiser tterabsetzung der Lichtintensit~t, dab die l~eaktion hel]igkeitsabh~Lngig ist und sieh mit guter Genauigkeit eine Reizsehwelle ermitteln 1/~/3t. Weiterhin verwandte er nun Farbfilter, um die Reizschwellen und damit die relativen Helligkeitswerte ffir verschiedenfarbige Lichter festzu- stellen. Diese Versuche ffihrte PEIFEI~ an hell- und dunkeladaptierten Neugeborenen aus und fand dabei einen signifikanten Unterschied der relativen Empfindlichkeit: Gelb und Rot batten bei Helladaptation einen viel grSi~eren relativen Helligkeitswert als bei Dunkeladaptation. Diese Befunde faSte PEIFER mit Recht als Beweis ffir das Vorhandensein eines PUI~KINJEschen Ph/~nomens bereits beim Neugeborenen auf. Diese aueh ffir die Theorie des Licht- und Farbensinnes wichtige Arbeit PEI- l~El~s ist leider viel zu wenig bekanntgeworden. Sie stellt den Ausgangs- punkt ffir unsere eigenen Untersuchungen dar und wird dm~ diese grunds~tzlich in vollem Umfang best~tigt. Obgleich die von PEII'EI~ mitgeteilten Kurven der relativen Farbhelligkeitswerte das Pul~XlNJEsche Ph/~nomen eindeutig aufzeigen, sah sieh J. M. SMrr~ (1936) ver- ~nlal3t, das Vorhandensein des PCl~Kl~JEschen Phi~nomens bei Neugeborenen zu bestreiten. Die Autorin bezeichnete zwar selbst die Methode yon PEIPER als ,,an excellent one", benutzte bei ihren eigenen Versuchen jedoeh eine offensichtlich weniger geeignete. Sie registrierte mit einem Aktographen bei Dunkelheit sowie bei weiBem und farbigem Licht die motorische Ak~ivit/~t der Kinder (bzw. ihr Schreien)

Die ontogenetische Entwicklung des Helligkeits- und Farbensehens beim Menschen

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Page 1: Die ontogenetische Entwicklung des Helligkeits- und Farbensehens beim Menschen

v. Graefes Archiv fiir OphthMmologie, Bd. 156, S. 519--534 (1955).

Aus dem Physiologischen Institut der Universit/~t Greifswald.

Die ontogenetische Entwicklung des Helligkeits- und Farbensehens beim Menschen.

I. Mitteilung.

Die Entwicklung des Helligkeitssehens.

Von DIETRICH und [NGEBORG TRINCKER.

Mit 1 Textabbildung.

I. Systematische Untersuchungen fiber den Lichtsinn der Neugeborenen

hat mit einer physikalisch und physiologisch exakt definierten Methodik zuerst A. PEI~'EI~ (1927) durehgefiihrt. Er benutzte hierffir den yon ihm entdeckten ,,Augenreflex auf den Hals", der sich bei fast a~llen reifen und unreifen Neugeborenen auslSsen l~Bt: ,,Man bringt dazu das Kind in aufrechte Stellung, wobei der Kopf nieht unterstfitzt werden darf. Be- tichte~ man mm plStzlich die Augen, so wird der Kopi mit einem l~uck nach hinten geworfen, so dab der ganze K5rper in eine opisthotonische Haltung ger/~t." PEII'EI~ benutzte fiir seine Versuche zun~chst das unge- filterte (,,weil~e") Licht einer Glfihbirne und fand bei stufenweiser tterabsetzung der Lichtintensit~t, dab die l~eaktion hel]igkeitsabh~Lngig ist und sieh mit guter Genauigkeit eine Reizsehwelle ermitteln 1/~/3t. Weiterhin verwandte er nun Farbfilter, um die Reizschwellen und damit die relativen Helligkeitswerte ffir verschiedenfarbige Lichter festzu- stellen. Diese Versuche ffihrte PEIFEI~ an hell- und dunkeladaptierten Neugeborenen aus und fand dabei einen signifikanten Unterschied der relativen Empfindlichkeit: Gelb und Rot batten bei Helladaptation einen viel grSi~eren relativen Helligkeitswert als bei Dunkeladaptation. Diese Befunde faSte PEIFER mit Recht als Beweis ffir das Vorhandensein eines PUI~KINJEschen Ph/~nomens bereits beim Neugeborenen auf. Diese aueh ffir die Theorie des Licht- und Farbensinnes wichtige Arbeit PEI- l~El~s ist leider viel zu wenig bekanntgeworden. Sie stellt den Ausgangs- punkt ffir unsere eigenen Untersuchungen dar und wird dm~ diese grunds~tzlich in vollem Umfang best~tigt.

Obgleich die von PEII'EI~ mitgeteilten Kurven der relativen Farbhelligkeitswerte das Pul~XlNJEsche Ph/~nomen eindeutig aufzeigen, sah sieh J. M. SMrr~ (1936) ver- ~nlal3t, das Vorhandensein des PCl~Kl~JEschen Phi~nomens bei Neugeborenen zu bestreiten. Die Autorin bezeichnete zwar selbst die Methode yon PEIPER als ,,an excellent one", benutzte bei ihren eigenen Versuchen jedoeh eine offensichtlich weniger geeignete. Sie registrierte mit einem Aktographen bei Dunkelheit sowie bei weiBem und farbigem Licht die motorische Ak~ivit/~t der Kinder (bzw. ihr Schreien)

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und verwandte die hemmende Wirkung der Liehtreize auf die Aktivit~t als Mal3 ffir ihren Helligkeitswert. Wie sich zeigt, liefert dieses Veffahren, das eine viel gr6Bere Streubreite hat, nur reeht ungenaue Werte (das liegt zum Teil auch an den zu kurzen Adaptationszeiten, die S~IT~ anwandte). Trotz dieser M~ngel in methodischer Hinsieht ergibt aueh ein Verg]eieh der intensit/itsgleiehen Werte in den Abb. 5 und 7 der S~IT~sehen Arbei~ die Existenz des Pu~KI~aEsehen Phgnomens (genau wie bei PEIPER auf Grund des grSBeren Helligkeitswertes des Rot bei Helladaptation). Die ablehnende Einstellung yon SMrr~ gegenfiber der Deutung, die PEIPE~ seinen t%esul- taten gab, wird also dureh ihr eigenes Material widerlegt. Es ist notwendig, hierauf ausdrficklich hinzuweisen, da in der angelsiiehsischen Litemtur die Arbeit yon S~IT~ zum Teil ohne Kritik zitiert wird und offenbar mehr bekannt ist als die yon PEreER. Die yon S~aIT~ unternommenen Deutungsversuche sind spekutativ (es wird eine verschiedene Form yon Farbenblindheit bei mgnnliehen und weibliehen Neu- geborenen angenommen), ihre Diskussion erfibrigt sieh daher.

Bei i a s t al len ~Llteren Arbe i t en fiber den Licht- und F a r b e n s i n n der Neugeborenen und S~tuglinge (sowie auch der K i n d e r bis zum Schulal ter) is t n ieh t oder n ieht geni igend ber t ieks icht ig t worden, dag die He]l igkeits- wer te der Spek t r a l f a rben be im K i n d n icht diese]ben zu sein b rauchen wie die fiir den Erwachsenen fes tges te] l ten; eine solehe L 'be re ins t immung da f t n ich t vorausgese tz t werden, sie muB vie lmehr erst exper imente l l bewiesen werden. Zahlre iehe Unte rsueher bed ien ten sieh der sog. , ,Spon tan t endenzen" be im Bl ieken und Greifen der K inde r naeh einer Fa rbenko l l ek t ion . Die yon PEIPER (1928 und 1949) zusammenges te l l t e Ubers ieh t zeigt sehr ansehaul ieh, wie augerorden t l i eh widerspreehend die mi t diesen Verfahren yon den versehiedenen Au to ren e rha l tenen l%esultate sind.

Neuerdings hat STmm~[A~N (1944) mit der sgatistisehen Bestimmung der Bliek- dauer ffir verschiedene Farben noeh einmal einen derartigen Versuch an einer gr6Beren Zahl yon Kindern unternommen. Die von ihm hinsiehtllch eines ange- nommenen Farbensinnes der Neugeborenen gezogenen Schlugfolgerungen sind nieht zwingend (vgl. P ~ I r ~ 1949), jedoeh werden wit in der folgenden Mitteilung bei der Bespreehung unserer Untersuehungen fiber das Farbensehen auf die Resultate yon STm~IMA~ noch zuriiekkommen.

Alle Autoren , die Gre i f reakt ionen verwendeten , m u g t e n die beson- ders wicht ige Un te r suehung der Neugeborenen ganz unter lassen. CAN~ST~Im (1913) versueh te diese Schwier igkei t da du re h zu i iber- winden, dab er den Fon tane l l enpu l s regis t r ier te . E r konn te Re a k t i one n auf Lieht re ize naehweisen, die Methode erwies sieh jedoch als ungeeig- ne t fiir quan t i t a t i ve Bes t immungen . CANESTRINI sehre ib t : , ,Besondere Reak t i onen auf be s t immte F a r b e n konn te m a n n icht naehweisen."

Bei SSouglingelt yon 3 - - 7 Mona ten ffihrte DE I:~UDDER (1927) mi t der pup i l lomotor i schen Methode (nach v. HEss) Un te r suehungen dureh, b e s t i m m t e a]lerdings nur das Verhal tn is der Hel l igke i t swer te yon weiBem und t o t e m Lieht , das er mi t dem beiln Erwachsenen f ibere ins t immend land. Bei Neugeborenen und jungen S/iuglingen ist diese Methode eben- falls ffir quan t i t a t i ve Messungen n icht zuverl/~ssig genug.

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Da unsere Kenntnis der Phylogenese des Licht- und Farbensinnes am meisten durch die Methode der bedingten Reflexe (Dressurmethode) gefSrdert worden ist, war es naheliegend, sie auch fiir die Erforschung der Ontogenese zu verwenden. Ri~HLMA~ (1903) und KRAS~OGORSKI (1913) erzielten bedingte Reflexe auf farbige Milchflaschen, in neuerer Zeit hat vor allem KASSATKI~ (1953) systematische Untersuchungen darfiber angestellt, yon welchem Zeitpunkt ab sich bedingte Reflexe auf Lichtreize bilden l~ssen.

Werm vom 16. Lebenstag ab mit der Ausbildung der bedingten Reflexe begonnen wurde, begarmen die ersten, freflich sehr labflen bedhlgten Reaktionen zwischen dem 34. und 41. Lebenstag, erst nach dem 55. Tag erlangte der bedingte Lichtreiz eine bes~ndige Wirkung. Die Unterscheidung yon Gelb und Griin bzw. Rot und Blau war bei Kindern yon 4--6 Monaten zuerst mSglich.

Als Konsequenz dieser Versuche ergibt sich, dal~ sich bei Kindern im ersten Vierteljahr mitte]s der bedingten Nahrungsreflexe bei Licht- reizen noch keine qualitativen und quantitativen Differenzierungen er- zielen lassen (in offenbarer Ubereinstimmung damit, dab die Grol~hirn- rinde erst nach der Geburt a]lm~hlich funktionsf~hig wird). Man muI~ sich also zur Untersuchung des Licht- und Farbensinnes bei Neugebo- renen anderer (unbedingter) Reaktionen bedieneu. Die einzige Methode, die unter diesen wirldich genaue, zuverlgssig reproduzierbare Bestim- mungen ermSglicht, ist der P]~IPERsche Augenreflex auf den Hals, den wir deshalb auch ffir unsere eigenen Untersuchungen verwandt haben.

Ehe wir mit der Beschreibung unserer Versuche beginnen, mSchten wir auf einen bemerkenswerten Punkt hinweisen, der uns bei der Be- sch~ftigung mit den Ergcbnissen PEre~Rs auffiel. (Einmal aufmerksam geworden, konnten wir die gleiChe Erseheinung auch bei den Resultaten ~on SMIT~ feststellen.)

Vergleicht man die bei Helladaptation yon P ~ R bei Neugeborenen (Frfihgeburten) und beim Erwachsenen gefundenen relativen Helligkeits- werte der Farben (Rot, Gelb, Griin und Blau) miteinander, so zeigt sich eine weitgehende Ubereinstimmung. Man mu~ bereits auf Grund des PE~eERschen Materials zu der Konsequenz kommen, dab die relativen Helligkeitswerte dieser ausgew~hlten Wellenlgngenbereiche fiir das hell- adaptierte Menschenauge (bzw. seinen Zapfenapparat) yon Geburt an immer gleichbleiben.

Ffihrt man denselben Vergleich bei den fiir Dun!celctdaptation erhal- tenen Werten durch, so erkennt man bald, dab die Verhi~ltnisse in diesem Falle komplizierter sein miissen. Vollzieht sich beim Erwachsenenauge der Ubergang yore Tages- zum D~mmerungssehen, so finder jene als PU~glxJEsches Ph~nomen bekannte Anderung der Helligkeitswerte farbiger Lichter start : am langwelligen Ende (Rot) findet man eine erhebliche Abnahme der relativen Helligkeitswerte, am kurzwelligen

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(Blau und Violett) hingegen eine Zunahme; das Hell igkei tsmaximum versehiebt sich in der Rich tung vom Gelb zum Grtin. Vergleieht man nun die D~Lmmerwerte des Erwaehsenen mit den yon Pm~EI~ iiir Neu- geborene best immten, so zeigt sieh ein deutlieher Untersehied hinsieht- lieh der langwelligen Liehter einerseits (Rot und Gelb) und der karz- welligen andererseits (Griin und Blau). I n allen yon PEIPm~ mitgeteil ten F~illen (vgl. die K a r v e n 13--17 der Arbeit yon 1927) t r i t t bei Dunkel- adapta t ion ftir Gelb und Ro t eine starke Abnahme der relat iven Hellig- keitswerte ein, die sogar in quant i ta t iver Hinsieht meist mi t der beim Erwaehsenen festgesteIlten iibereinstimmt. Betraehte t man jedoeh die Werte fiir Blau und Griin, so vermigt man eine entspreehend signifikante Zunahme. Die D~mmerwerte der PErpEI~sehen Neugeborenen s t immen also fiir Gelb und Ro t deutlieh besser als ftir Griin und Blau mit denen des Erwaehsenen iiberein.

Ganz ohne Zweifel hat PEIPER (i 927) die Existenz des PUR~INJEsehen Ph/tnomens bei den yon ihm untersuchten Neugeborenen (Frfihgebarten) bewiesen. (Unsere eigenen Untersuehungen haben diesen Beweis dureh- aus best/~tigt.) Andererseits ist nicht zu iibersehen, dab die I)~immer- werte der Neugeborenen offenbar Besonderheiten aufweisen, d.h. der St~bchenapparat seheint sieh auf dieser EntwieMungsstufe funktionell anders zu verhal ten als sparer.

Als Konsequenz dieser Vorstellung ergibt sieh die Frage, ob es einen noeh naeh der Gebar t ablaufenden Entwieklungsprozeg des St~behen- apparates geben k6nne. Die Beantwor tung dieser Frage ist auf Grund des PEIpERsehen Materials nieht m6glieh, es warden also weitere Unter- suehungen notwendig. Es geniigte nnter diesem Aspekt aueh nieht, eine gr6gere Zahl versehieden alter Kinder dareh einmalige Versuehs- reihen zu untersuehen, es mul3te dariiber hinaus versueht werden, die Ergebnisse wiederholter Untersuehungen an mSgliehst zahlreiehen und ansgedehnten individuellen Entwicklungsablgufen vergleichend aus- zuwerten.

I I . Unsere experimentellen Arbeiten fiihrten wit an reifen und unreifen Neu-

geborenen der Greifswalder Universit/~ts-Frauenklinik dutch 1. Mit dem eingangs bereits besehriebenen PEIfE~ehen ,,Augenreflex auf den HMs" lieBen sieh bei fast allen gesunden Kindern die Sehwellenbestimmungen ftir die verwendeten Liehtreize mit groger Zuverl~issigkeit durehffihren. Ein gutes Allgemeinbefinden der Kinder isg freilieh unbedingte Voraussetzung fiir eine ungest6rte Konstanz der Reaktionen. PEIPEI~ sagt geradezu fiber den Reflex: ,,Sein Vorhandensein sprieh~ ftir einen guten Allgemeinzustand." Wenn also bei einem im Versueh befindliehen I4inde die zuvor ganz sieheren Reaktionert plStzlieh unregelm/iBig werden, so karm das fSrmlieh ein Signal ffir eine beginnende Erkrankung sein, bevor an dem Kinde kliniseh irgendein

t Herrn Professor ZINSEI~, Direktor der Klinik, mSehten wit ffir die uns dazu erteilte Erlaubnis unseren verbindliehsten Dank sagen.

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Symptom zu finden ist. Ausgewertet sind hier nur die Befunde yon solehen Kindern, die w~hrend der ganzen Dauer der Versuehe stets sichere Reaktionen gaben. Wit haben besonderen Wert darauf gelegt, zahlreiche untergewiehtige Kinder zu unter- suchen. Frtihgeburten behalten den Augenreflex auf den Hals 2 ~ 4 Monate lang, reife Kinder 2--6 Wochen; nach dieser Zeitspanne werden die Reaktionen sehwaeher und sind am Ende des ersten Halbjahres norma]erweise ganz verschwunden (vgl. aueh PEIPE~ und CATEL). Auch bei besonders unreifen Friihgeburten kSnnen die Reaktionen noch unregelmaSig sein oder (bei Geburtsgewichten unter 1500 g) sogar fehlen (vgl. PEIrEI~).

Die Versuche fanden in einem zweigeteilten Raum start, der eine Teil diente der ttelladaptation, der andere der Dunkeladaptation und enthielt zugleieh die eigent- liche Versuchsanordnung. Diese bestand aus einer schwarzgestrichenen Blechwand, ringsum mit mattschwarzen Papptafeln abgedeckt und an der Stirnseite eines Stativtischchens befestigt, sowie einer Be]euchtungseinriehtung, auf einer optischen Bank auf diesem Tischchen montiert. Die Be]euchtungseinriehtung war auf die Mitre eines Fensters in der Stirnwand zentriert. Dieses Fenster (14 cm breit und 7 cm hoeh) war an der Vorderseite mit einem Rahmen versehen, in den die betreffenden Sehott-Fflter lichtdieht eingesetzt werden konnten. Wit hatten uns si~mtliche ver- wendeten Grau- und Farbfilterglaser in quadratischer Form (7 cm Kantenl~nge) anfertigen lassen und benutzten 2 genau gleiehe (aus derse]ben Schmelze stammen- de) Gl~iser nebeneinander. Die Beleuehtungseinrichtung enthielt eine 200 W- Osram-Nitra-Gliihbirne als LiehtqueHe sowie ein W~rmefilter (5,5 em dieke Wasser- schieht).

Zur stuienweisen Abschws der Ausgangslichtintensit~t wurden folgende Schott-Neutr~]glasfflter verwendet: Glasart NG 6, Dicke 1,49 mm (Extinktion = 20%); NG 6, 2,91 mm (30%); N G 11, 1,42 mm (40%); N G 11, 2,02 mm (50%); NG l l , 2,76 mm (60%); NG 11, 3,46 mm (67,5%); NG 11, 4,19 mm (74%); NGS, 2,48mm (80%); NG5, 2,84mm (84%); •G5, 3,32mm (88%); NG5, 3,60ram (90%); NGS, 3,98mm (92%); NG5, 4,18ram (93%); NGS, 4,44mm (94%); NG4, 2,52mm (95%); ~ G 4 , 2,70ram (96%); NG4, 2,95mm (97%); NG4, 3,30 mm (98%); NG4, 3,58 mm (98,5%) NG4, 3,90mm (99%); NG4, 4,17 mm (99,5%).

Zur Herstellung der monoohromatisehen Liehter benutzten wir folgende Sehott- Fflterkombinationen : 1. BG 12 (4 ram) ~- GG 15 (2 mm), 2. BG 12 (2 X 1 ram) § GG5 (4~-2mm), 3. BG18 ( 2 m m ) ~ - B G 2 0 ( 5 m m ) - i - V G 3 ( 2 m m ) ~ - O G 5 (2ram), 4. BG18 ( l m m ) + V G 3 ( lmm) q - O G 2 (2mm), 5. BG17 (2mm)-~ BG 20 (2 ram) ~- RG 5 (1 ram). Die hiermi~ erha]tenen spektralen Liehter wurden dureh Absehw~ehung .mittds Episkotister auf gleiehe Intensit~t mit einem ,,weigen" (spektral ungefil terten)Licht yon 250 lx gebraeht. Bei dieser Intensiti~t wiesen sie folgende Grenzen auf: 1. 430--465 m/t, 2. 465--500m/~, 3. 550--560m#, 4. 560 bis 585 rote, 5. 645--680 rote. Zur :Durchfiihrung der Sehwellenbestimmungen erfolgte dann yon dieser Ausgangsintensit~t yon 250 ix aus in 22 Stufen die Intensit~tts- absehwaehung bis zu 0,25 lx. Eine tJberschreitung dieses Intensit~tsbereiehes nach oben oder unten war nieht erforderlieh, da in ihm samtliche Sehwellenwerte tagen. Die Eiehung erfolgte mit Zwei-Oktaven-Photozelle (P~ESSLEI~) - - sowie Vakuum-Thermoelement zur Kontrolle - - und ergab folgende Stufen: 250, 205, 160, 120, 90, 65, 42, 30, 22, 16, 12, 9, 6, 4, 3, 2, 1,5, 1,2, 0,9, 0,6, 0,4, 0,25 ix.

Zu Beginn der betreffenden Versuchsreihe land eine Dunkeladaptation yon 30 min Dauer start, zwischen den einzelnen Versuchen eine Readaptation yon minde- stens 10 min Dauer (die Readaptationszeiten variierten etwas je naeh dem Verhalten des Kindes). Die Adaptation wurde in dem als Dunkelraum eingerichteten Raumtefl, der mattsehwarz ausgeschlagen -mar (und in dem sich auch die Versuohsanordnung

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selbst befand) durchgefiihrt. Die Dauer der Helladaptation betrug im Beginn 15 rain, zwisehen den Versuehen mindestens 5 min. Die Helladaptation wurde in dem anderen, allseitig weiBgetfinchten Raumtefl vorgenommen und das Kind erst unmit te lbar zum Versuch vor die Appara tur gebraeht. U m die Kinder veto Ein- schlafen abzuhalten, muBten sie w~hrend aller Adaptationszeiten st~ndig ant dem Arm umhergetragen werden. Im Falle der Helladaptat ion gJng die das Kind tra- gende Person im gMchen Abs~and yon der annghernd gleiehm&I]ig beleuehteten weiflen Wand auf und ab, in diesem Bereich wurden in AugenhShe des Kindes 1500 lx gemessen.

Die Versuche fanden in der Weise start, dab zun&chst bei dem betreffenden Kind die Reakt ionen auf die obengenannten 5 spektralen Lichter und auf das spek- t ra l ungefilterte ,,weiBe" Lieht bei der Ausgangs in tens i t~ von 250 lx gepruft wurden. Bei dieser Intensit~tt ~gab es s~ets siohere Reaktionen (bei allen gesunden und fiberhaupt normal reagierenden, d. h, fiir die Auswertung in Betraeht kommen- den Kindern). Weiterhin wurden dann alle folgenden schw~cheren Intensit~its- stufen durchgepriift, bis bei einer bes t immten Stufe keine Reaktion mehr auftrat . Hierbei war es (vor allem bei Friihgeburten) besonders wiehtig, einer Ermfidung der Reaktion zu begegnen. Die Ermiidung der Reaktion kommt aber praktisch nur bei einer raschen Wiederho]ung zustande, wir vermieden sie bereits durch die langen Adaptationszeiten zwisehen den Versuehen. Allerdings durfte auch die Gesamtdauer der Versuche in einer Sitzung ein gewisses Nag nicht iiberschreiten. Wir ha]fen uns so, da~ w~r sowohl m~L den efnzelnen Kindern als aueh ~en versch~eclenen spektrMen Liehtern und verschiedenan In tens i ta ten abweehselten.

Eme sehr grebe Schwierigkeit ffir die Durehfiihrung der Versuehe ergab sieh durch das Schlafbediirfnis der Neugeborenen, das unsere Geduld oft auf eine harte Probe stellte. E in kiinstliehes Offenhalten der Lider (durch Lidsperrer) glaubten wir t rotzdem ab]ehnen zu sollen. Wi t beschri t ten zweifellos nicht nur den schonenderen, sondern auch den effolgreicheren Weg, indem wir versuchten, uns m6glichst der Lebensweise der Kinder anzupassen, d .h . die natiirliehen , ,Wachphasen" auszu- nutzen (die natfirlich mit dem Regime der Nahrungsaufnahme in enger Beziehung stehen und die man praktiseh bei jedem Kind ermit teln kann). Das Sehreien der Kinder konnten wit durch das Herumtragen wahrend der Adaptat ion ganz gut be- herrsehen.

Wegen des groBen mit den Versuchen verbundenen Zeitaufwandes haben wfl" fast immer die Nachts tunden zu Hi]fe nehmen miissen, um mit der einmaligen Durch- untersuchung eines best immten Kindes in einem Gesamtzeitraum yon hSchstens 4 Tagen fertig zu werden. Die ])auer einer I)urchuntersuchung noeh welter auszu- dehnen ersch[en uns wegen der besonderen Fragestelinng uaserer Arbei t durchaus unerw~ascht. Wfl" konnten deshalb nur im Schwellenbereich selbst mehrere Einzel- versuche mi t der gMehen Intensi tatsstufe eines unserer Reizliehter durehfahren. Dabei kam uns in hohem MaRe die Tatsaehe zugute, dab mi t der yon uns gewahlten Methode eine sehr sichere und prazise Schwellenbestimmung mSglich war, so daft wit n ieht alle untersehwelligen Stufen durchzuprtifen brauchten, sondern nur die auf den Schwellenreiz zunaehst folgende mi t 10 Einzelversuehen (wenn dabei noch eine Reaktion auftrat , entspreehend die nachstfolgende). Der Sicherheit wegen prfiften wir aueh noch die folgenden 3 Stufen (wit fanden abet niemals, wenn bei einer be- s t immten Stufe Reaktionslosigkeit festgestellt war, bei irgendeiner schwacheren noch Reaktionen).

Ffir eine vergMchende Auswertung der auf diesem Wege gewonnenen Sehwellen- werte der Reizliehtei ffir die AuslSsung des Auge~reflexes auf den Hals bei Hell- nnd bei Dunkeladaptat ion ist es zweekm&gig, n icht die Schwellenwerte selbst, sondern - - wie allgemeia fiblich - - deren Verh~ltniswerte zu verwenden. Diese stellen dann das

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eigentliche Ziel der Untersuchung, die relativen Helligkeitswerte der betreffenden Liehter dar. Wir sind stets so vorgegangen, dal~ wir den ldeinsten Schwellenwert (entsprechend dem Maximum an Empfindlichkeit bzw. an Helligkeitswert) = 100 % gesetzt haben, den grSl~ten Sehwellenwert (entspreehend dem Minimum an Emp- findlichkei~ bzw. an He]ligkeitswert)~ 0%, die iibrigen Werte wurden dann in Prozen~zahlen umgerechnet.

Um die bei Neugeborenen festgestellten relativen Helligkeitswerte der spekt~alen Lichter mit denen des Erwachsenen vergleichen zu k5~men, haben wir zus~Ltzlich noeh mit der gleiehen Versuehsanordnung (beientsprechend st/~rkerer Abschw/~chung) die absohten Sehwellenwerte der benutzten Reizlichter ftir das hell- und dunkel- adaptierte Auge des normal farbentfichtigen Erwachsenen bestimmt und sie in gleieher Weise in relative Helligkeitswerte (in Prozent) umgereehnet. (Bei den Er- wachsenenversuchen wurden die Sehwellen im vor- und riiekl/iufigen Veffahren mit 20 Einzelversuehen je Intensit/~tsstufe ermittelt.)

Wir haben die besehriebene Methodik bei insgesamt 56 Kindern ange- wandt. Von diesen fiel ein gewisser Tell nach der 1. Untersuchung aus (tells wegen interkurrenter Infekte, tells weft sie yon den Mfittern frfiher als vorgesehen nach Hause genommen wurden), es verblieben 38 Kinder , 18 unreife und 20 reife. Von den Unreifen konnten 2 ffinfmal durch- untersucht werden, 9 vierma], 6 dreilnal und 1 zweimal; yon den Reifen 3 viermal, 11 dreimaI und 6 zweimal. Bei den Unreifen fanden diese Untersuchungen in der 1., 2., 4., 7. nnd 10. Lebenswoche start , bei den Reifen in tier 1., 2., 4. und 6. Lebenswoche. (Ffir im strengen Sinne voll beweiskr/iftig mSehten wir selbst nur die F/s halten, bei denen eine mindestens dreimalige Untersuchung m6g]ieh war, das sind 31 Fs jedoch s t immen die Resul ta te yon den 7 nur zweimal untersuchten gu t mit den anderen iiberein.)

Die Abb. 1 gib~ mit ihren 16 Einze]darstellungen einen Uberb]ick fiber die Ergebnisse, die bei 2 unreifen (I und I I ) und 2 reifen ( I I I und IV) Kindern erzielt wnrden und zum Vergleich die Erwachsenenwerte (V), die zeichnerisch noeh besonders markier t sind. Bei allen 4 Kindern s tammen die mit ,1" bezeichneten Darste]lungen (I,1; I I ,1 ; I I I ,1 und IV, l) yon den in der 1. Lebenswoche dnrchgefiihrten Untersuchungen, die mit ,,2" bezeichneten aus der 2. Woche, die mit , 3 " bezeichneten alle ans der 4. Woehe, w~thrend die mit ,,4" bezeichneten bei den beiden Fri ihgeburten (I und I I ) aus der 10. Woche, bei dem reifen Neuge- borenen (II I ) aus der 6. Woche herriihren. (Bei dem anderen reifen Kinde, IV, erlanbte das yon der 5. Lebenswoche ab einsetzende Erl6- schen der Reflext~ttigkeit - - vgl. oben - - keine weitere Auswer~nng mehr.) Alle bei Helladaptation gewormenen Werte sind dnreh ansge - zogene Striche zu einer Kurve der jeweiligen re]ativen Helligkei~swerte verbunden, die bei Dunkeladaptation erhaltenen Kurven der betreffenden re]ativen spektralen Empfind]ichkeit sind gestrichelt dargestel]t (die Erwachsenenwerte - - der besseren Unterscheidung wegen - - punk- tiert). Oer Klarheit und ~bersichtl ichkeit der Darstellung wegen haben

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526 DIETRICH und I5~GEBOI~G TRI)TCKE~:

wir hier nur die relativen Helligkeitswerte ffir die benutzten fiinf spek- tralen Lichter verwandt und die ffir das spektral ungefilterte , , W e i g "

weggelassen. Dutch das vorliegende experimen~elle Material wird in eindeutiger

Weise die Ubereinstimmung der relativen Helligkeitswerte der spek- tralen Lichter ffir den Erwhchsenen mit den bet sgmtlichen reifen nnd un- reifen Kindern a]lerAlters- bzw. Entwicklungsstufen festgestellten Werten be- wiesen, wenn wir zun~chs~ die bei H e l l a d a p t a t i o n er- haltenen Werte miteinan- der vergleichen. Wir fin- den bei t tel ladaptstion einen so wei~gehend gleichfSrmigen Kurven- typ, dal~ man nicht nur die yore gleiehen Kind stammenden Kurven, son- dern alle Kurven yon s~mtlichen, untersuchten Kindern mitteln k~nn nnd d~nn framer noch die

do GO0 ~0 dog qdg dgg d~d Jgg ~g $0d ddg Jgg qdO $gg ddg dgg ~dd charakteristische Form ~sG q~g ~ ~ erhg!t, die sieh mit der

Abb. 1. Die relativen ttelligkeitswerte der spektr~len Erwachsenenkurve deckt. Lichter bei Hellad~ptation (gusgezogene Xurven) und idle eingangs besproche- bei Dunkel~daptation (gestriehelt) fiir die verschiede- hen Entwicklungsstufen (1--~) yon ~ Friihgeburten Ylen R e s l l l t ~ t e PEIPERS ( Iund II) un4 2 reJf geborenen Kindern ( I I I und IV) im Vergleich mit den ~Tertea des Erwaellsenen (V). werdendudurchbesti~tigt; Auf den Abszissen die Wellenlangen, auf den Ordin~ten d a wir die physikalischen die relativen Helligkeitswerte in Prozent (N~heres im

Text). Daten unserer Reiz]ichter gfinstiger w~hlen konnten,

sind unsere Ergebnisse sogar noch gleichfSrmiger (trotz der grol~en Versuehsz~hl) geworden. Es ist also der Beweis erbr~cht, dal~ die rel~- Given ttelligkeitswerte der spekfralen Lichter ffir den photopischen oder Zgpfenappargt bereits bei unreifen Neugeborenen dem definitiven Funkti0nstyp entsprechen; in dieser Hinsicht gibt es k e i n e n pos~natalen Eni,wicklungsprozeI~.

Dieses Ergebnis sggt selbstverstgndlich gar nichts ~us fiber einen l~arbensinn der Neugeborenen, Ob ein so]cher existiert oder nichL kann mi t einer Methode wie der hier ~ngew~ndten grundsgtzlieh nieht entschieden werden. I n einer I I . Mitteilung werden wit fiber Un~ersuchungen zur Kl~rung dieser Fr~ge beriehten.

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Entwicklung des HeUigkeits- und F~rbensehens beim Menschen. I. 527

Vergleieht m~n die bei Dun/sdadaptation gewonnenen Werte der unreifen und reifen Kinder mit denen des Erw~chsenen, so ergibt sich

~uf den ersten Blick, dM~ yon einer Einheitlichkeit der Kurven hier keine Rede sein k~nn. Wir h~tten bereits bei der Besprechung der Re- sulfate PEI P ~ s auf die Untersehiede zwisehen den yon ihm ermJttelten D~mmcrwerten der Neugeborenen und den Erw~chsenenwerten hin- gewiesen. Unsere dar~u~hin ge~ul~erte Vermutung, dM~ die Verh~ltnisse bei dem skotopischen App~r~t wesentlieh ~nders liegen kOnnten Ms bei dem photopisehen, d~B es eine postn~tMe Xnderung oder Entwieklung der St~behenfunktion geben kSnne, finder durch d~s vorliegende eigene experimentelle iK~teriM eine kl~re Best~tigung.

Bei s~mtliehen Untersuohungen linden wir ein iPuR~1~J~,sches Ph~nomen, ~ber nur bei den sp~testen Entwicklungsstufen ist es mit dem des Erw~chsenen vSllig oder doch n~hezu identisch. In den meisten F~%llen sehen wir ein wohl deutlieh erkennb~res, aber doch unvollstgndi- ges (oder, wie wir sagen mSchten, ein noch nieht vollstgndig entwiekeltes) P[Cl~KI~JEsehes Ph~nomen v o r u n s . Der besseren lJbersicht wegen mSchten wir den Ver]auf dieses Entwieklungsprozesses, der yon einer den bei Helladaptation erhMtenen Werten noch mehr ~hnliehen Kurven- form bis zu den typischen D~mmerwerten des Erwachsenen fiihrt, in Stufen einteilen. Wenn wir zun~chst 3 Stulen definieren wol]en, so tun wir dgs auf Grund der besonderen H~ufigkeit dieser , ,Kurventypen" in dem GesamtmateriM und besonders wegen der gesetzm~gigen zeit- lichen Aufeinanderfolge dieser ,,Stufen". Der Ubergang yon Stufe zu Stufe erfolgt selbstverstandlich nicht sprunghaft, was unser MateriM darch die Existenz yon Ubergangsformen beweist ; doch kommen diese, wie gesagt, seltener zur Erfassung, und wir mtissen annehmen, dM~ die Entwicklung immerhin in Schiiben verl~iuft.

Die TatsaChe, da~ wir ohnehin nur in Abst~inden nntersnchen konnten, erklart diese Erscheinnng keineswegs, denn Alter post partum nnd Entwieklungsstufe deeken sich bei den versehiedenen Individuen nicht (vor Mlem natiirlich nicht, wenn m~n reife und nnreife Kinder vergleieht); so fanden wit h~ufig ,,gleiehMte" Kinder auf verschiedenen Stufen. Durohaus gesetzmgSig aber verhalt sich die Aufeingnderfolge der Stufen.

Die erste Stufe ist dadurch charakterisiert, dM~ bei ihr das PcR- ~ I ~ s c h e Phgnomen fast ganz auf die Mitte des Spektrums beschr~inkt ist, w~ihrend die relativen Helligkeitswerte der kurz- nnd langwelligen Lichter bei Hell- nnd Dunkeladaptation noch kaum voneinander ver- schieden sind, Iq~ch einem ~uf den ersten Blick besonders pr~gnanten MerkmM kSnnen wir diese Stufe noehmals nnterteilen:

Stule la. Obgleich die Dammerwerte gegeniiber den Tageswerten eine signifik~nte Empfindlichkeitssteigernng im Gelbgriin nnd angren- zenden Grtin aufweisen, l~tSt sigh, wenigstens mit unserer Methode, noeh/seine Verschiebnng des Helligkeitsmaximums nachweisen (vgl. die

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528 I)IETI%ICII und INGEBOI~G TI%INCKER:

Kurven I, 1 und II , 1 der Abb. l). Diese Stufe fanden wil �9 nut bei Friihge- burten mit st/~rkerem Entwick]ungsrfickstand in 5 FMlen in der 1. Woche.

Stu/e lb. Es t r i t t eine Verschiebung des Helligkeitsmaximums yore Gelb zum Ge]bgrfin ein. Wenn eine Herabsetzung des relativen Helligkeitswertes fiir l~ot da ist, so ist sie nur gering und nicht signifi- kant. (Vgl. I I I ,1 ; 1,2 und I I , 2 . - IV,1 stellt bereits den Anfang eines Uberganges zu der n/ichsten Stufe dar.) Bei den 5 Friihgeburten mit Stufe 1 a in der 1. Woche fanden wir diese Stufe (1 b) in der 2 , bei wei- teren 11 Unreifen und auch bei 4 dem Gewicht und Aspekt nach Reifen in der 1. Woehe.

Stu]e 2. Diese Stale nnterscheidet sieh yon der vorangehenden

durch die signifikante Herabsetzung des relativen Helligkeitswertes fiir Rot yon der folgenden dadurch, d~S das Rot immer noch einen h6heren D&mmerwert hat als das Blau. Man kann dgs Wesen dieser Stufe aueh so definieren, dag hier das PuR~:i~JEsche Ph/inomen nicht nut in der Mitre, sondern auch am langwelligen Ende des Spektrums in Erscheinung tritt . Am kurzweUigen Ende fehlt es noch (bzw. die Steigerung der re]ativen Helligkeitswerte ist noch gering nnd nicht signifikant). Die Stufe 2 fanden wir bei weitem am hgufigsten, sie deckt sich mit den oben bereits ausfiihrlich zitierten Befnnden yon P ~ I P ~ . In der 1. Woche fanden wir diese Stufe bei 2 Unreifen und 16 Reifen, in der 2. bei 13 Unreifen nnd allen l~eifen bis auf 3 Uberg~ngsf~lle zur n&chsten Stufe. In der 4. Woche gehSrten alle Unreifen, in der 7. eines davon hierzu (vgl. 1,3; I I ,3 und III ,2) .

Stu/e 3. Auf dieser Stufe erscheint das Pu~:INJEsche Phgnomen nun auch am kurzwelligen Ende des Spektrums. Das Blau hat einen gr6geren re]ativen Helligkeitswert als das l~ot. Man k6nnte hier ebenfalls noeh unterteilen in 3a: mit einem Dgmmerwert fiir das B]au, der zwar grSf3er ist g]s der des Rot, aber geringer als der des Erwachsenen - - und 3b : mit einem Dgmmerwert des Blau, der mit dem des Erwachsenen iibereinstimmt (ffir 3a vg]. I I I , 3 und IV,2; ffir 3b vgl. H,4; I I I ,~ nnd IV,3). Tats/ich]ich erfolgt der Ubergang yon Stufe 3a zu 3b (vgl. 1,4) aber sehr al]m~hlich, es ist keine rechte Tremmng m6glich. Stufe 3 haben wir in ~einem Fulle in der 1. Woche gefunden, in der 2. waren 3 F/ille gerade yon 2 zu 3a fibeigegangen (mit fast gleichem Diimmer- weft yon l~ot und Blau, vgl. IV,2), in der ~. Woche gehSrten alle Reifen hierher, ebenso die in der 6 .Woche untersuchten l~e~en, yon den in der

7. untersuehten Unreifen alle bis auf 1 Kind, in der 10. Woehe ergab sich gleiehfalls Stufe 3. Abweiehungen yon der Reihen/olge dieser Stufen haben wir nieht gefunden.

I I I .

Als besonders bemerkenswerte Konsequenz ergibt sieh aus den mit- geteflten Untersuehungen, dab die D~mmerwerte der Neugeborenen

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Entwicklung des Helligkeits- und Farbensehens beim 3genschen. I. 529

zuniichst charakteristisch yon denen des Erwaehsenen verschieden sind und sich im Verlaufe yon etwa 4 Wochen (bei reifen) bis 10 Woehen (bei unreifen Kindern) stufenweise denen des Erwachsenen angleiehen, dab vor allem bei dem Verlauf dieses Angleichens eine ganz gesetz- m~13ige Reihenfolge der Mitte, des lang- und des kurzwelligen Endes des Spektrums besteht. Dies erinnert an Befunde yon G. B I a u g o w (1949) tiber die Entwieklung des Tages- und Dammerungssehens beim Froseh (R. temporaria), die er mit Hilfe der optomotorisehen Reaktionen durehfiihrte. Bei jungen Larvenstadien (Kaulquappen) zeigte sieh ein fast vollstandiges aVehlen des PU~KI~J~sehen Ph/~nomens (die Farb- helligkeitswerte bei Dunkeladaptation waren denen bei tIel ladaptation sehr i~hnlieh). Mit fortschreitender Entwieklung erfolgte ein allmiihlieher Ubergang zu den D/tmmerungswerten erwaehsener Tiere, zuerst fiir ~las Gelb und Gelbgriin, dann fiir das Rot, zuletzt fiir Blau und Blaugrfin. Unter Bezugnahme auf die Arbeiten yon GaANIT vermute t BIRUKOW ein aufeinanderfolgendes Ausreifen yon drei versehiedenen Stiibchen- typen. In einer kurzen Mitteilung unserer gesul ta te (1954) haben wir bereits darauf hingewiesen, dab in wesentliehen Punkten zwisehen unseren und PEte r , s Befunden am Mensehen und denen y o n BIRUKOW

am Froseh prinzipielle Ubereinstimmung besteht: 1. Fiir den Zap[en- apparat sind auf allen untersuehten Entwieklungsstufen dem Erwaeh- senen entspreehende Helligkeitswerte gefunden worden. 2. Der Stiibchen- apparat maeht bei Froseh und Menseh einen Entwiclclungsproze[3 seiner Funktion dm'eh, das Erreiehen der Erwaehsenenhelligkeitswerte geht bei Froseh und Menseh fiir die einzelnen spektralen Bereiehe in der gleichen Reihen[olge vor sieh. Ein Untersehied zwisehen den Verh~lt- nissen beim Froseh und beim Mensehen besteht dar in , dab bei offenbar analoger Art und giehtung des EntwieMungsprozesses doeh der experi- mentell erfagbare Aussehnitt aus dessen Verlauf beim Mensehen kleiner ist; ein vSlliges Fehlen des PvgKI~JEsehen Ph~nomens gibt es nut beim Froseh, nieht beim Mensehen.

Es ist zweifellos naheliegend ftir uns, den von BIRUKOW vorgesehla- genen Erkl~irungsversueh auf unsere Ergebnisse zu iibertragen. Das yon uns festgestellte Verhalten der D/~mmerwerte in der menschliehen Ontogenese muB man jedenfalls als ein Entwiclclungsgeschehen auf- fassen; es ist nut die Frage, welcher Anteil des gesamten optisehenAppa- rates es ist, dessen Entwieklung wit bier quanti tat iv verfolgen konnten. Es w~re mSglich, dag die Vorg/~nge prim~ir die Sehsubstanz, das Rhodopsin (bzw. seine mSgliehen Vorstufen) betreffen, man kann weiter an einen Reifevorgang der St~behen bzw. ihrer Mikrostruktur denken, also das Gesehehen in die Photoreeeptoren selbst verlegen - - man kann sieh abet aueh ein sukzessives Ingangkommen der Yunktion der zuge- h6rigen nerv6sen Analysatoren vorstellen, wobei es zungehst unent~

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530 I)IETRICH und INGEBORG TI~INCKER:

sehieden ble iben darf , ob m a n eher an die in der R e t i n a oder an die im Gehirn gelegenen Teile des Zen t ra lo rgans denken mSehte (oder an das gemeinsame System). GewiB k6nn te m a n aueh an einen lor t sehre i ten- den Anpassungsvorgang an das L ieh t als die En twiek lung s t imul ie renden Reiz denken ; aber es is t sehr sehwierig, in d iesem Fa l le zu einer einiger- mal3en p laus ib len A n n a h m e dar i iber zu kommen, warum sieh die end- gi i l t igen D~mmerwer t e i i i r die versehiedenen Spekt ra lbere iehe in einem so eharak te r i s t i sehen zei t l iehen Naehe inande r einstellen.

tli~uKow versuehte (1948) die l%olle des zentrMnervSsen Faktors dadureh n~her zu analysieren, dM? er beim intrakraniMen Teil des Sehnerven einen leiehten Einsehnitt vornahm. Als Folge wurde eine Versehiebung der Tageswerte in l~iehtung auf die D~mmerwerte konstatiert.

13esonders wieht ig erseheint uns in diesem Zusammenhang die Frage , ob es in der morphologischen Entwiek lung der Sehzellen A n h M t s p u n k t e daft ir gibt , dab sieh die Zapfe n sehneller entwiekeln als die St~behen. Es s ind in de r T a t A n g a b e n hier t iber gemaeh t worden; da sie offenbar wenig b e k a n n t sind, sollen sie hier angef i ihr t werden. SEEFELDER (1910) sehreibt e in le i tend :

,,Das Studium der EntwieMung der Zapfen und St/~behen hat einen so vorziig- lichen Konservierungsgrad der Retina zur Voraussetzung, wie ihn mensehliehe Embryonen und F6ten nut ansnahmsweise besitzen diirftenl. ' '

CttIEVITZ (1887) l a n d zuerst , dag die En twiek iung der Zap/enzeUen in dem zen t ra l s t en Bezirk der R e t i n a am frf ihesten beginnt . S~SEFELDE~ konn te berei ts bei E m b r y o n e n yon 50 70 m m gr6Bter Liinge (9. bis 10. Woehe) an d e r L imi t ans ex te rna eine einfaehe Zellage naehweisen, die , , unverkennbare Merkmale yon jungen Zapfenzel len" e rkennen lieB. W a h r e n d also bere i ts im 3. E m b r y o n a l m o n a t siehere Zapfenzel len in der Area eentral is vo rhanden sind, beg innt die S t~behenentwick lung (CHIEVlTZ; F~CHI) erst im 5. Monat in der parazentralen Zone und sehreitet dann (wie die Zalofenentwieklung ) in Riehtung auf die Netz- hautperipherie fort. (Auf die Besonderheiten der weiteren Entwieklung der Fovea eentralis, die gegen Ende des 6, Monats deutlieh unterscheid- ba r wird, werden wit in der folgenden Mit te i lung eingehen.)

G. L. WALLS (1934) hat an einer sehr grogen Zahl yon I~eptilienarten die ,,Trans- mutation" yon Zapfen zu St~bchen (einem Weehsel der Lebensweise entspreehend) aufzuzeigen versueht, wobei die Zapfen als Ausgangsform erseheinen (aueh dann, wenn sehlieglieh aus Stgbehen wieder Zapfen werden). Er glaubt Mlerdings, dab die besonderen Entwieklungsverhgl~nisse bei den Reptilien sieh nieht ohne weiteres auf die anderen Wirbeltiergruploen iibertragen lassen. BIR~KOW (1949) land beim Froseh, dal3 beide Sehzelltypen in der Ontogenese aus ,,einer gemeinsamen, zapfen- ghnliehen Grundform" hervorgehen. BERNARD (1903), CAME~OSr (1905, 1911) und DETWlLE~ und LA~mENS (1921) haben gleiehfalls an der Entwicldung der Amphibien- netzhaut den eindeutigen Befund einer Prioritgt der zapfengtmliehen Zellen erlmben.

1 Das ist aueh die Ursaehe dafiir, dab in dem Werk yon I. MANN ,,The develop- ment of the human eye" so erstaunlieh wenig fiber die Sehzellen selbst zu linden ist. Die Autorin bezieht ihre Angaben im wesentliehen auf CHIm~ITZ und SEEFEnDER.

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Entwicklung des Helligkeits- und Farbensehens beim Menschen. I. 531

"In these early stages the visual cells are all cone-like", stellen DETWILER und LAITRE~S bei der Untorsuchung der Ontogenese yon Amblystoma Jest. Demgegen- fiber erscheinen ausgebildete St~bchen erst sehr sp~t (die Retina der erwaehsenen Tiere enth~lt reichlich charakteristiscbe St~bchen und Zapfen).

I n ]fingster Zeit ha t L. SAXON (1953/54) sehr sorgf~ltige histologische Unte r suchungen fiber die Ontogenese der Sehzellen bei R a n a t empora r i a und Xenopus laevis durchgeff ihrt . I n fdbere ins t immung ml t den ge- n a n n t e n Au to ren stel l t aueh er les t : ' ,Dur ing deve lopment , the photopic a p p a r a t u s is formed f i rs t" , was aueh ffir Xenopus gilt, bei dem nach voi lendeter En twick lung das Sehen vorwiegend du tch den skotopischen A p p a r a t ve rmi t t e l t wird. Seine rein Inorphologischen Arbe i t en h a t SAXON du tch Unte r suehungen fiber das re t inomotor i sche Verhal ten, die Bewegungen der Sehzellen a n d des P igments bei Hell- und Dunke]- a d a p t a t i o n ]n physiologischer R ich tung ergEnzt. Bei R a n a t empora r i a ffihren zuers t die Zapfen, erst erheblich sparer auch die St~behen Be- wegungen aus (bei Xenopus gibt es bis zur Metamorphose keine deut - l ichen St~bchenbewegungen, und auch beim erwaehsenen Tier sind sie sehr gering).

l~Tber das stets zuerst auftretende Bewegungsverm6gen der Zapfen sagt SAXON zweifellos mit Reeht: "The movements in this case probably only show the earlier development of these cells and not, as would be correct according to GAt~TEN'S (1907) explanation, that the rods are already functional." Als Beweis daffir sieht er die Unbeweglichkeit des Pigments in diesem Stadium an; erst etwa gleichzeitig mit dem Beginn der St~behenbewegungen f~ngt auch das Pigment zu wandern an.

Auffa l lend wenig Beziehungen lassen sich zwischen den angeff ihr ten ana tomischen und physiologischen Befunden, besonders auch den yon PEIPm~ und uns mi tgete i l ten , und dem Ergebnis yon ZETTEI~STI~SM {1951/52) herstel len. Die Auto r in un te rsuch te bei re]fen und unreifen Neugeborenen und K i n d e r n bis zu einem J a h r das E l ek t ro r e t i nog ramm (mit der Methodik yon KAI~PE).

Bei Neugeborenen zeigte sich entweder fiberhaupt kein ERG oder eine sehr schwache positive Welle (b-Welle). Auch bei Kindern von 3 Monaton betrug das b-Potential erst 0,10--0,20 mV, die a-Welle feh]te noch, doch entsprachen Latonz und Dauer ungef~Lhr denen Erwachsener. Mit 5--6 Monaten war bis auf die fehlende a-Welle hast der Stand des Erwachsenen erreicht. Erst ungef~hr mit dem vollendeten ersten Lebensjahr trat ~uch die a-Welle auk (bei 3 yon 13 F~llen !); das b-Potential war noch immer etwas niedriger als beim Erwaehsenen.

Bei der Interpretation dieser Resultate mul] man berficksichtigen, dab (unter pathologischen Bedingungen) aueh beim Erwachsenen trotz relativ guten Visus das ERG vSllig ]ehlen kann (vgl. BJSI~K und KARPE, fiber das EI~G bei prim~rer Rethfitis pigmentosa). (Vielleicht besteht hier sogar eine eehte Beziehung: Das ffihrende Symptom der l~etinitis pigmentosa ist die ~achtblindheit - - das Neugeborenenauge unterscheidet sich yon dem des Erwachsenen durch die noch nicht roll entwickelte Funktion des skotopischen Apparates, in beiden F~]len finder man eine unvoll- kommene St~bchenfunktion und ein fehlendes oder schwach ausgebildetes ERG.)

Die Entwicldung des El~Gin der 0ntogenese der Maus haben KEEI~s,I~, SI~TCI~IFFE U. CtLAFFEE (1928) untersucht. Sie fanden zuerst 13 Tage nach der Geburt ein ERG (mit a-Welle und flacher b-Welle), yon dem Beginn der 4. Woche ab ging es in die

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532 DIETRICH und ~NGEBORG TRINCKER:

roll ausgebfldete Form fiber. Am Htihnerembryo und jungen Kticken hat HASA~A (1941) die Entwicklung des ERG und der Pigmentverschiebung beobachtet. Bereits vor dem Schltilofen (am 20.--21. Bebriitungstag) erhielt er ein monophasisches EI%G; Pigmentverschiebungen traten jedoeh erst etwa 10 Tage naeh dem Sehliipfen auf. Beim Frosch untersuchten kiirzlieh Mi3LI, m~-LI~OTI~ und A~I)I~E die Ontogenese des Et%G, wobei sie im Unterschied zu den bisher genannten Autoren nieht nur ,,weii]es", sondern ~uch farbiges Licht verwandten. Sie erhielten die ersten, noeh sehr schwachen monophasischen ERG vom 6. Tage nach dem Schltipfen ab ftir weil]es Licht (100 lx), in der 3. Woche erfolgte dann ziemlich sprunghaft der Ubergang zu dem loo]yphasischen Typ des ERG der erwaehsenen Fr6sehe. Zu dieser Zeit ergeben Rot, Grfin und Blau noeh nicht ein vollst~ndiges ERG, sondern t%ot einen st~rkeren, Griin einen sehw~icheren monophasischen Aussehlag und Blau tiberhaupt keine erkennbare Reaktion. Am Beginn der 4. Woche erfolgt - - ebenfalls recht sprunghaft - - fiir Rot, Grtin und Blau der i/Tbergang in die po]yph~sische Form. Diese interessan~en Befunde werden yon den Autoren anschliel3end mit den Resul- taten yon BIRUKOW (s. oben!) vergliehen. Ein derartiger Vergleich mul3 offenbar, soweit es sich um Licht versehiedener Wellenl~Lnge handelt, die ,,relativen" l%eiz- werte dieser Lichter hinsichtlich der AuslSsung des ERG einerseits und die relativen Helligkeitswerte dieser Lichter (im optomotorischen Versuch) andererseits betreffen (die Entwicldung eines ,,Farbensinnes" ist ein hiervon getrennt zu behandelndes Problem). Vergleicht man unter diesem Gesiehtspunk?6 die Ergebnisse der Autoren mit denen yon Bna~xow, so finder man eine prinzipie]le lJbereinstimmung aueh hinsiehtlieh der r Lichter: Wenn man yon dem Gelb und Gelbgriin, das die Autoren nicht untersucht haben, absieht, so steht bei beiden Methoden Rot an erster Stelle, Blau an letzter, das Grtin dazwischen (wie es aueh bei unseren Unter- suehungen der Fall ist).

Uberbl ickt in~n d~s in der Li ter~tur bisher ~ngegebene Material in Verb indung mi t den bier mitgete i l ten Resul ta ten , so zeigt sieh ein in den wesentl iehen Zfigen reeht einheitliches Bild. Wir sehen sowohl in der Phy]ogenese wie auch in der Ontogenese des Mensehen tiberein- s t immend ein ]ri~heres Ausrei/en des Z~pfen~pparates, des photopischen, nicht, wie meist mi t v. Kt~I~S angenommen wurde, des skotopischen

App~r~tes.

Zusammen/assung. Mit dem yon A. PEI~I~ besehriebenen ,,Augenreflex auf den Ha]s: '

werden die re la t iven Helligkeitswerte der monoehromat isehen spektr~len Lichter bei reifen und unreifen Neugeborenen der ersten 10 Lebens- wochen ftir Hell- und Dunke ladap ta t i on best i lnlnt . Die bei Hell~d~pta- t ion gew0nnenen Werte s t immen auf allen Entwicklungss tufen weit- gehend mit denen des Erwaehsenen iiberein. Bei Dunke ladap t~ t ion hingegen sind sic zungchst s ignif ikant yon den Erw~ehsenenwerten ver- schieden und gleichen sieh erst irn Verlauf eines Entwick]ungsprozesses (der bei Fr i ihgebur ten 10 Wochen dauern kann) den Erwaehsenenwer ten an. Die endgtil t igen Diimmerwerte werden zuerst fiir den Bereich der spektralen Mitre (Gelb und Gelbgriin), d a n n ftir den l~ngwelligen (Rot) und zuletzt ftir den kurzwelligen Teil (Blaugriin und Blau bis Blau- violett) erreieht. Dabei sind Unterschiede der Tages- und Diimlnerwerte im Sinne des PUP~KINJEsehen Ph~nomens - - wie yon PEII']~I~ zuerst

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Entwicklung des Helligkeits- und Farbensehens beim Menschen. I. 533

b e s c h r i e b e n - - a u f a l l en E n t w i c k l u n g s s t u f e n d e r e x t r ~ u t e r i n e n m e n s c h -

l i c h e n O n t o g e n e s e f e s t z u s t e l l e n ( d a l n i t w i r d d ie g e g e n t e i l i g e A n s i c h t

,con SlVIITI~ wide r l eg t ) . I n d i e s e m P u n k t b e s t e h t e in U n t e r s c h i e d z w i s c h e n

d e n y o n PEIPEtr u n d u n s a m M e n s c h e n u n d d e n y o n BIRUKOW a m

F r o s c h e r h o b e n e n B e f u n d e n ; d e n n be i d e n j f i n g s t e n F r o s c h e n t w i c k -

l u n g s s t u f e n f e h l t d a s P v l ~ K I ~ E s c h e P h ~ n o m e n , w i i h r e n d d e r w e i t e r e

V e r l a u f d e r E n t w i c k l u n g d e r S t S b c h e n f u n k t i o n i m P r i n z i p i i be re in -

s t i l n m t . E n t g e g e n d e r A n n a h m e y o n v. I~21r h a t d e r Z a p f e n a p l 0 a r a t

be i d e r m o r p h o l o g i s c h e n u n d f u n k t i o n e l l e n E n t w i c k l u n g d ie P r i o r i t ~ t

v o r d e m S t ~ b c h e n a p p a r a t .

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Dozent Dr. D. TRIiNCKER, Physiologisches Ins t i tu t der Universit&t, Greifswald, Rubenowstr. 3.