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DIE PHYSIKER 14+ von Friedrich Dürrenmatt BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK

DIE PHYSIKER 14+ - parkaue.de · den Regieanweisungen von Dürrenmatt aufwendig aufgelistet wurden. Das heißt, die Figuren können sich nicht setzen, sich nicht ausruhen, es sich

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D I E P H Y S I K E R 1 4 +von Friedrich Dürrenmatt

B E G L E I T M A T E R I A L Z U M S T Ü C K

D I E P H Y S I K E R 2

Es spielen:Richard Voß

Fräulein Doktor Mathilde von ZahndMonika Stettler

Johann Wilhelm Möbius Herbert Georg Beutler, genannt NewtonErnst Heinrich Ernesti, genannt Einstein

Regie Bühne + Kostüme

DramaturgieTheaterpädagogik

Licht Ton

Regieassistenz Soufflage

InspizienzTechnischer Direktor

BühnenmeisterMaske

Requisite Ankleiderei

AusstattungsassistenzRegiehospitanz

Birgit BertholdAnna BöttcherElisabeth HeckelJakob KrazeDenis PöppingAndrej von Sallwitz

Ivan Panteleev Jochen Hochfeld Karola MarschSarah Kramer Thomas HolznagelAlexander Hoch Camilla Cecile Körner Franziska Fischer Anne-Sophie Attinost Eddi DamerHenning Beckmann Ilonka Schrön Jens Blau Ute Seyer Antonia Bitter Uta Sewering

Herstellung der Dekoration unter der Leitung von Jörg Heinemann in den Werkstätten der Stiftung Oper in Berlin – Bühnenservice / Herstellung der Kostüme durch die Firma Kostümmanufaktur Dreispitz / Sebastian Thiele, Anja Gil Ricart

Die Aufführungsrechte liegen bei Felix Bloch Erben.

Foto- und Videoaufnahmen während der Vorstellung sind nicht gestattet.

Premiere: 9. März 2016Praterca. 100 MinutenPremierenklasse: DS-Kurs des Oberstufenzentrums „Lise Meitner“

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I N H A L T

Einführung 4

Über das Regieteam 5

Über die Inszenierung 6

Dürrenmatt und die Komödie 8

21 Anmerkungen von Friedrich Dürrenmatt zu den „Physikern“ 8

Dürrenmatt und Brecht 10

Der König Salomo 13

Das atomare Zeitalter 15

Atomunfälle 15Atomzeitalter 15Atomkrieg 15

Anregungen für den Unterricht  16

Hinweise für den Theaterbesuch 20

Impressum 21

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E I N F Ü H R U N GSehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler,mit diesem Material zur Inszenierung „Die Phy-siker“ in der Regie von Ivan Panteleev geben wir Ihnen Anregungen für eine Beschäftigung mit der Inszenierung und einige Hintergründe unserer kon-zeptionellen Überlegungen während der Proben zur Aufführung.Der Regisseur Ivan Panteleev hat sich im Vorfeld der Produktion dafür entschieden, das Stück mit sechs Schauspielerinnen und Schauspielern zu erarbeiten. Das hatte zur Konsequenz, Figuren aus Dürrenmatts Stück zu streichen, was wiederum Umstellungen von Szenen in der Aufführung nach sich zog. Dabei war die zentrale Frage für den Beginn: Wie können wir die Situation des Irrenhauses, in der sich die drei vermeintlichen Physikerpatienten befinden, herstel-len und glaubwürdig erzählen, ohne dass die Schau-spieler „verrückt“ spielen müssen?Von Anfang an war die Herangehensweise an Dür-renmatts Werk so, dass es nicht darum ging, die Geschichte des Atomzeitalters aufzuarbeiten. Das Stück hat Friedrich Dürrenmatt (1921 – 1990) 1961 geschrieben. Es ist eine Parabel auf die selbst auf-erlegte Verantwortung des Wissenschaftlers Johann Wilhelm Möbius, den Zugriff auf seine Erkenntnisse zu verhindern, indem er sich selbst in eine Irren-anstalt eingewiesen hat. Interessant für uns war die darin innewohnende zeitlose Parabel, die als grotes-kes Satyrspiel gelesen werden kann.

Als sich im Sanatorium neuerdings merkwürdige Morde häufen, bröckeln die Masken, werden Fronten gewechselt und moderne Imperien blühen auf: Globale Konzerne arbeiten längst mit Möbius’ Erkenntnissen, die Welt ist dem Abgrund ein Stück näher.Neben „Die Physiker“ zählen das Stück „Der Be-such der alten Dame“ und die Kriminalromane „Der Richter und sein Henker“ und „Der Verdacht“ zu den bekanntesten Werken Dürrenmatts. Der Schweizer Friedrich Dürrenmatt war Schriftsteller, Dramatiker, Maler und Theaterkritiker. Zeitlebens interessierte er sich für naturwissenschaftliche Forschungen und Phänomene.

Ich wünsche einen anregenden und intensiven, aber ebenso unterhaltsamen und spannenden Theater-abend mit dieser Inszenierung.

Für Fragen, Anregungen und Kritik wenden Sie sich bitte an mich unter [email protected]ür eine theaterpädagogische Begleitung wenden Sie sich bitte an die Theaterpädagogin Sarah Kramer unter [email protected].

Freundliche Grüße,

Karola MarschLeitende Dramaturgin

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Ü B E R D A S R E G I E T E A MDer Regisseur Ivan Panteleev studierte Regie an der Staatlichen Akademie für Theater und Film in Sofia. 1998/1999 war er Stipendiat an der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. Im Jahr 2000 zog er mit seiner Familie nach Berlin. Ivan Panteleev in-szenierte u. a. am Staatstheater Stuttgart, am Schau-spielhaus Zürich, am Luzerner Theater, am Theater Freiburg, an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und am Deutschen Theater Berlin. Seine Insze-nierung „Warten auf Godot“, eine Koproduktion der Ruhrfestspiele Recklinghausen und des Deutschen Theaters Berlin, wurde zum Theatertreffen 2015 in Berlin eingeladen.

Der Bühnen- und Kostümbildner Jochen Hoch-feld, 1974 in Hamburg geboren, studierte Kunst-geschichte, bevor er eine Herrenschneiderlehre an der Hamburgischen Staatsoper absolvierte. An-schließend studierte er an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Bühnen- und Kostümbild. Von 2010 – 2012 war Jochen Hochfeld Bühnenbildassis-tent an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und arbeitete vor allem für Bert Neumann, aber auch mit den Regisseuren Herbert Fritsch und Werner Schroeter. Mit Ivan Panteleev arbeitete er bei „Am Beispiel des Hummers“ und „Anna fährt zur Uni“ an der Volksbühne zusammen und an der Schaubühne bei „Katzelmacher“.

Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz, Jakob Kraze und Denis Pöpping

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Ü B E R D I E I N S Z E N I E R U N GIvan Panteleev untersucht in seinen Inszenierungen die Theatertexte als Modelle, in denen das Handeln des Menschen in der Gesellschaft verhandelt wird. So allgemein das klingt, so genau trifft es den Kern von Regiearbeit. Denn es bedeutet, dass nicht nur eine einem Theatertext innewohnende Geschichte, der Plot abgebildet und szenische Abfolgen an-einandergereiht werden, sondern diese Aussagen auf erster Ebene eine Untersuchung des menschlichen Handelns, seine Motivationen, Absichten, zugrunde-liegenden Interessen und Machtverhältnisse erfährt, die den Menschen in seinen Widersprüchen, Ängs-ten, Hoffnungen, Verklemmungen, Ausweglosig-keiten erst sichtbar machen kann. Nicht der primäre Satz, eine schnell hingeworfene Äußerung sind die eigentliche Information eines Textes, einer Szene, sondern der darunterliegende Subtext, der Transport der eigentlichen Information des Interesses einer einzelnen Figur. Wer spielt mit wem welches Spiel und warum? Welche Allianzen sind mit wem zu schließen, um sich eine Machtposition im Spiel des Lebens zu sichern oder schlicht und einfach zu über-leben, wie es Möbius versucht, indem er sich selbst in die Psychiatrie eingewiesen hat? Zu erleben und zu genießen ist ein Geflecht unterschiedlichster, di-vergierender Interessen, die ein höchst komödianti-sches Spiel hervorbringen, immer am Abgrund: Wer wird die Linie übertreten und fallen, wer nimmt das Spiel in die Hand und bestimmt es für sich?Friedrich Dürrenmatts Groteske „Die Physiker“ ist die Folie, auf der sich dieses teuflische Spiel aus-breitet. Das verleitet den Theaterkritiker, der sich eine Gesellschaftskritik zum Umgang mit dem Atomdesaster wünscht, schon mal zu der Aus-sage: „Von der triftigen, gut gebauten Story, die als groteske Komödie getarnt die ernste Frage der Atombombe unterhaltsam thematisiert, bleibt in dieser Inszenierung so gut wie gar nichts übrig. Wollte der bulgarische Regisseur Ivan Pantelev Dürrenmatts Warnung vor der möglichen Selbstver-nichtung der Menschen in einer sich fortwährend technisierenden Welt nur veralbern?“ Nein, Ivan

Panteleev wollte nicht veralbern, sondern von einer konkreten Bedrohung, wie es Dürrenmatt in seinem Stück über die Physiker, die mit ihren Forschungen und Entwicklungen zur Atombombe geführt haben, hin zu einer Frage danach, wie überhaupt die Verant-wortung von Wissenschaft, Politik, Gesellschaft und Kunst in einer Zeit beantwortet werden kann, wo die freien Radikalen des kapitalistischen Marktsystems längst über ein Nachdenken über die Verantwortung zur Atombombe hinaus sind und täglich neue Kata-strophen für die Menschheit auf dem Planeten Erde bereitstehen, die eine Zukunft verunmöglichen. Wie geht man mit diesem Wissen um? Dass mein privater Konsum keine Rolle im Gefüge des Weltklimas spielt, tagtäglich aber Entscheidungen zugunsten von globalen Unternehmern, Eigentümern und Finanz-märkten getroffen werden? Was nützt das Wissen um die Zerstörbarkeit des Lebens auf unserem Planeten, wenn er doch tagtäglich weiterbetrieben und weiter forciert wird? Das macht unsere Welt zum Irrenhaus. Und wie erzählt man von diesem Irrenhaus der Welt auf der Bühne? Der Regisseur Ivan Panteleev hat sich dafür ent-schieden, eine radikale Kunstform zu wählen, die den Zuschauern sofort signalisiert, dass sie sich in einem großen Spiel befinden. Alle Figuren auf der Szene haben diese gemeinsame Verabredung getroffen: Sie sind alle im Spiel. Indem zu Beginn die lange Regieanweisung, die eine Beschreibung des Ortes und der Situation ist, durch die drei ein-sitzenden Physiker Newton, Einstein, Möbius alias Herbert Georg Beutler, Ernst Heinrich Ernesti, alias Alec Jasper Kilton, Joseph Eisler, erfolgt, wird die Rahmung des gleich stattfindenden Theater-stücks gesetzt: Diese drei Physiker sprechen selber darüber, dass sie verrückt seien. Krankenschwester und Inspektor sind anwesend, nur das Fräulein von Zahnd fehlt und erhält in der zweiten Szene ihren Einzelauftritt. Mit dieser Einführung müssen die Schauspieler nicht mehr verrückt oder irr spielen, von nun an werden wir alle ihre Handlungen nach dieser Setzung des Irrseins beurteilen. Das verschafft

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den Zuschauern den Vorteil, sich zurücklehnen zu können und das Spiel vor sich, der Handlung und der Schauspieler anzusehen und zu verfolgen: Ein Kriminalfall ist geschehen und wir wissen bereits, wer der Mörder ist: wie also wird sich dieser Mörder überführen lassen, wodurch wird er sich verraten, woran werden wir ihn überführen können? Der Trick des Stückes ist diese Verwicklung in den Kriminal-fall, bevor im 2. Akt ein ganz anderer und eigentli-cher Kriminalfall zutage tritt: Der Verrat an unserem Planeten. Bei Dürrenmatt heißt es in seiner Anmer-kung Nummer 3 „Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ Im weiteren Verlauf des Materials finden Sie alle Anmerkungen von Dürrenmatt zu den „Physikern“. Sie können mit Ihren Schülerinnen und Schülern nach dem Vorstellungsbesuch die Inszenie-rung daraufhin besprechen, welche Punkte sie in der Inszenierung eingelöst sehen und welche nicht und

auf welche theatrale Weise sie sich eingelöst haben.Der Bühnen- und Kostümbildner Jochen Hochfeld hat einen Raum entworfen, der keine abgeschlos-senen Räume zeigt, es gibt keine Türen. Das heißt, hinter den Wänden kann jeder immer mithören, man weiß nicht, ob jemand wirklich weg ist oder hinter der Wand steht und lauscht, es sei denn, er oder sie wurde ermordet. Auch gibt es keinerlei Möbel, die in den Regieanweisungen von Dürrenmatt aufwendig aufgelistet wurden. Das heißt, die Figuren können sich nicht setzen, sich nicht ausruhen, es sich nicht sicher im Sessel oder auf dem Sofa oder bei einem Glas Kognak oder einer Zigarre bequem machen. Sie sind jederzeit aufmerksam und verfolgen, was gerade geschieht. Das Spiel zwischen den Figuren kann sich entwickeln und nicht das Spiel mit Requi-siten. Auf diese Weise müssen die Figuren handeln, mit ihren Partnern. Oder gegen sie. Und für sich.

Szenenfoto mit Anna Böttcher und Birgit Berthold

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D Ü R R E N M A T T U N D D I E K O M Ö D I EFriedrich Dürrenmatt griff in seiner Bearbeitung von Stoffen immer wieder auf das Mittel der Komödie zurück, die er in die Groteske steigerte. Zu seinem Stück „Die Physiker“ notierte er 21 Anmerkungen, die seine Arbeitsweise an einem Theatertext und seine künstlerische Übersetzung eines Stoffes in eine Formensprache offerieren. Sie finden sie im Fol-genden aufgeführt. Sie können mit Ihren Schülern und Schülerinnen in der Nachbereitung des Theater-besuches der „Physiker“ unsere Inszenierung dahin-gehend besprechen, inwiefern aufgeführte Punkte in den Anmerkungen die Schüler realisiert sehen, welche es sind und welche in der Theateraufführung für sie nicht zu finden waren. Diese Anmerkungen sind quasi für Dürrenmatt seine eigene Anleitung zum Schreiben seiner Komödien. Im Unterschied zur Tragödie setzt die Komödie immer eine Dis-tanz der Figuren und des Autors zur Wirklichkeit voraus. Erst in der Draufsicht, in der dialektischen Distanz ist eine Beschreibung der Wirklichkeit mit künstlerischen Mitteln auf komische, ja groteske Weise möglich. Wer sich in der Wirklichkeit ver-zettelt, hineingezogen ist, wird keine Komödie schreiben können. Es braucht das Spiel mit der Wirklichkeit oder der fiktiven Situation, in die die Figuren durch den Autor hineingebracht werden. Die Figuren müssen ihr Spiel treiben können. Wer ein Spiel treibt befindet sich im Zustand des Als-ob. Es ist nicht echt und doch echt, es ist maskiert, ein Vielleicht, ein Sozusagen. Das trifft auf alle Figuren des „Physiker“-Stücks zu. Bis hin zur schlimmst-möglichen Wendung, die eine Überraschung herhält, mit der niemand gerechnet hat. Wie schafft man es, eine Situation, eine Wendung herzustellen, mit der niemand gerechnet hat? Man schickt die Leute auf die falsche Fährte und lässt sie über ihre selbst aus-gelegten Fallen stolpern. So wird aus der Sicherheit des Irrenhauses das Gefängnis auf Lebenszeit. Damit das Irrenhaus sich in der Welt als marktfähiges Konstrukt weiter behaupten kann. Wer würde nicht sagen, wir lebten schon lange in einem Irrenhaus,

wenn Staat und Politik ein Shakehand mit der Wirt-schaft unternehmen, um Geld und Macht weiter in den Händen des 1 Prozent der Menschen zu kon-zentrieren auf Kosten aller anderen 99 Prozent mit allen Folgen für diese 99 Prozent und den Planeten? Welche Zukunftsaussichten geben wir unseren Kindern an die Hand in einer Welt der radikalen Ausbeutung des Planeten, der steten Verknappung überlebenswichtiger Ressourcen wie Wasser und Boden, einhergehend mit zunehmenden fundamen-talen Radikalisierungen und dem Aufblühen neuer religiöser Fehden, die mit terroristischen Gewalt-akten ausgeübt werden? Bei Friedrich Dürrenmatt kann man zusehen, wie das funktioniert: Staat und Wirtschaft im Bund um Macht und Vorherrschaft. Wie anders als mit der Komödie, die sich grotesk Bahn bricht, könnte man von diesen Dingen er-zählen, um nicht zu zerreißen, zu verzweifeln, in den Abgrund zu stürzen?

21 Anmerkungen von Friedrich Dürrenmatt zu den „Physikern“1. Ich gehe nicht von einer These, sondern von

einer Geschichte aus.2. Geht man von einer Geschichte aus, muss sie

zu Ende gedacht werden.3. Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht,

wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.

4. Die schlimmstmögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.

5. Die Kunst des Dramatikers besteht darin, in einer Handlung den Zufall möglichst wirksam einzusetzen.

6. Träger einer dramatischen Handlung sind Menschen.

7. Der Zufall in einer dramatischen Handlung besteht darin, wann und wo wer zufällig wem begegnet.

8. Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.

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9. Planmäßig vorgehende Menschen wollen ein bestimmtes Ziel erreichen. Der Zufall trifft sie dann am schlimmsten, wenn sie durch ihn das Gegenteil ihres Ziels erreichen: Das, was sie befürchteten, was sie zu vermeiden suchten (z. B. Ödipus).

10. Eine solche Geschichte ist zwar grotesk, aber nicht absurd (sinnwidrig).

11. Sie ist paradox.12. Ebenso wenig wie die Logiker können die

Dramatiker das Paradoxe vermeiden.13. Ebenso wenig wie die Logiker können die

Physiker das Paradoxe vermeiden.14. Ein Drama über die Physiker muss paradox sein.

15. Es kann nicht den Inhalt der Physik zum Ziele haben, sondern nur ihre Auswirkung.

16. Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkung alle Menschen.

17. Was alle angeht, können nur alle lösen.18. Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen,

was alle angeht, muss scheitern.19. Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.20. Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich

der Wirklichkeit aus.21. Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten,

sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.

Szenenfoto mit Elisabeth Heckel und Andrej von Sallwitz

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D Ü R R E N M A T T U N D B R E C H TImmer wieder werden Bertolt Brecht und Friedrich Dürrenmatt als Gegenpole in der literaturwissen-schaftlichen Auseinandersetzung ausgemacht. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer unternahm eine Untersuchung beider Schriftsteller auf ihr dialekti-sches Verständnis hin, das einen ebenso unterschied-lichen wie ähnlichen Umgang mit dem Tragischen und Komischen bei beiden Autoren hervorbringt. Im Folgenden finden Sie einen Auszug aus Hans Mayers Arbeit:

Brecht und Dürrenmatt oder Die Zurücknahme,1962

„Die Tragödie setzt Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung voraus. In der Wurstelei unseres Jahrhunderts, in diesem Kehraus der weißen Rasse, gibt es keine Schuldigen und auch keine Verantwort-lichen mehr. Alle können nichts dafür und haben es nicht gewollt. Es geht wirklich ohne jeden. Alles wird mitgerissen und bleibt in irgendeinem Rechen hängen. Wir sind zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden unserer Väter und Vorväter. Wir sind nur noch Kindeskinder. Das ist unser Pech, nicht unsere Schuld; Schuld gibt es nur noch als per-sönliche Leidenschaft, als religiöse Tat. Uns kommt nur noch die Komödie bei.“ Hier findet sich bereits der geistige Ansatzpunkt für das Schauspiel „Die Physiker“. Mit einer scheinbaren Einschränkung, die in Wirklichkeit eher eine Spezifizierung bedeutete, hatte der Theoretiker Dürrenmatt noch hinzugefügt: „Doch ist das Tragische noch immer möglich, auch wenn die reine Tragödie nicht mehr möglich ist. Wir können das Tragische aus der Komödie heraus erzielen, hervorbringen als einen schrecklichen Moment, als einen sich öffnenden Abgrund, so sind ja schon viele Tragödien Shakespeares Komödien, aus denen heraus die Tragödie aufsteigt.“ Ange-wandt auf das Schauspiel von den Physikern, ergab das beim Theoretiker Dürrenmatt die Punkte 3 und 4 seines Stückkommentars: „Die Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie ihre schlimmstmögliche

Wendung genommen hat“, und: „Die schlimmst-mögliche Wendung ist nicht voraussehbar. Sie tritt durch Zufall ein.“ …Zunächst freilich scheint eine sehr weitgehende Übereinstimmung mit Brecht vorzuliegen. Auch Brecht hat niemals Tragödien im herkömmlichen Sinne geschrieben … Brecht bot die bekannte Antigone des berühmten Sophokles im historisierenden Zitat. Ein extremer Fall also der Distanzierung. Was immer es sein möchte: Tragödie war es nicht mehr. Dem entsprach auch Brechts Tendenz in seinen Schauspielen, wenn irgend möglich, nicht bloß den üblichen Begriff des tragischen Helden zu vermeiden, sondern ins-besondere die Tragödienkonvention des tragisches Todes eben dieses Helden. In den Schauspielen des Stückeschreibers Brecht kommt es verhältnismäßig selten vor, dass der Bühnentod für die dramatische Handlung bemüht wird …Von hier aus allerdings wäre, obenhin betrachtet, ein extremer Gegensatz zwischen Brecht und Dürrenmatt zu konstruieren, denn im Unterschied zum Stückeschreiber Brecht pflegt der Dramatiker Dürrenmatt den Theaterboden jeweils mit ganzen Leichenbergen zu füllen. Verzicht aber auf den Schaubühnentod und allzu reichliche, geradezu requisitenmäßige Benutzung des Theatertodes ent-springt der gleichen dramatischen Grundposition. In seiner bemerkenswerten Analyse des dramatischen Erstlings „Es steht geschrieben“ von Friedrich Dür-renmatt hat Beda Allemann festgestellt, bei Dürren-matt werde „die Tragödie selbst als die Seinsweise des überlieferten abendländischen Theaters von der Parodie bedroht“. Der Tod des Helden sei nicht mehr möglich, „weil das Pathos, mit dem dieser Tod ausgesprochen werden müsste, unglaubhaft klänge“. Allemann glaubte festzustellen, Dürrenmatt habe dadurch aus diesem Dilemma für sich eine Lösung gefunden, dass bei ihm „der tragische Tod abgelöst wird vom Henkertod“. Das Thema des Henker- und Scharfrichtertodes spielt bekanntlich in den Anfän-gen von Dürrenmatts Werk eine wesentliche Rolle.

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Die Auseinandersetzung konzentrierte sich später zum berühmten „Nächtlichen Gespräch mit einem verachteten Menschen“ von 1957 (geschrieben 1951, wie Dürrenmatt ausdrücklich mitteilt). Gespräch also zwischen Henker und Opfer. Der tragische Tod des Freiheitskämpfers mit Abgangsworten eines Marquis Posa oder Mortimer ist nicht mehr möglich. Das Opfer erkennt in diesem nächtlichen Gespräch: „Welche Komödie! Ich kämpfe für die Freiheit und besitze nicht einmal eine Waffe, um den Henker in meiner Wohnung über den Haufen zu schießen.“ Der Nexus von Schuld und Sühne nimmt parodistische Züge an.Diesem Prinzip ist Dürrenmatt im Grunde treu geblieben, wenngleich er in den späteren Dramen den Henkertod mehr durch Mord und damit durch Mechanismen des Kriminalromans zu ersetzen suchte …Die drei ermordeten Krankenschwestern in den „Physikern“, sogar die dritte, die nach und in einer Liebesszene erwürgt wird, lösen nach Dürrenmatts Willen bloße Heiterkeit aus, keine aristotelische Reinigung der Leidenschaften. Es ist ganz wie im Detektivroman oder Kriminalfilm, wo keiner daran

denkt, sich bei Mitgefühl mit einem der obligaten Ermordeten aufzuhalten, weil es bloß darauf an-kommt, den Mörder zu finden und zur Strecke zu bringen. Die Massentöterei des Dramatikers Dürren-matt entspringt daher ganz ähnlichen Erwägungen wie Brechts Verzicht auf das Requisit des Theaterto-des. Um es mit Dürrenmatts Worten zu wiederholen: „Uns kommt nur noch die Komödie bei.“ Freilich eine Komödie, die mit Leichen umzugehen weiß …Auch das Brechtthema der Verfremdung findet sich schon früh als besondere Abwandlung in den theo-retischen Überlegungen Friedrich Dürrenmatts. In ihrer Ausgabe vom 22. Februar 1952 hatte die in Zürich erscheinende Zeitschrift „Die Weltwoche“, deren Theaterkritiker damals Friedrich Dürrenmatt war, einen Aufsatz „Anmerkung zur Komödie“ ver-öffentlicht. Dürrenmatt sprach sich hier bereits, wie drei Jahre später in den „Theaterproblemen“, gegen die Tragödiengattung aus. Ein Tragiker könne auf vorhandene Mythen zurückgreifen, um sie jeweils abzuwandeln. Der Komödiendichter dagegen sei undenkbar ohne wirkliche Einfälle. Zurück zu Aristophanes. „Aktuell wird jedoch Aristophanes erst durch die Frage nach der Distanz. Die Tragödien

Szenenfoto mit Denis Pöpping und Jakob Kraze

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stellen uns eine Vergangenheit als gegenwärtig vor, überwinden Distanz, um uns zu erschüttern … Aris-tophanes geht den umgekehrten Weg. Da sich seine Komödien in der Gegenwart abspielen, schafft er Distanz, und ich glaube, dass dies für die Komödie wesentlich ist.“ Damit ist aber der Dramaturg Dür-renmatt in beträchtliche Nähe zum epischen Theater Brechts geraten, denn gerade Brechts Aufsatz „Die Straßenszene“, von der sich Dürrenmatt drei Jahre später so ausdrücklich auszugrenzen gedachte, geht vom gleichen Gedanken aus: aktuelles Geschehen in distanzierter Form dem Zuschauer vorzutragen …In seiner „Anmerkung zur Komödie“ von 1952 ist Dürrenmatt weit davon entfernt, funktionsloses oder gar irgendein absurdes Theater im damaligen Sinne Ionescos fordern zu wollen. Die Komödie sei Zeittheater und bedürfe der Einfälle. Denn: „Sie ist unbequem, aber nötig. Die Tyrannen dieses Planeten werden durch die Werke der Dichter nicht gerührt, bei ihren Klageliedern gähnen sie, ihre Heldengesän-ge halten sie für alberne Märchen, bei ihren religiö-sen Dichtungen schlafen sie ein, nur eines fürchten sie: ihren Spott.“ Aber das war ein Satz, den auch Brecht geschrieben haben konnte …„Wir haben aufs Neue zu durchdenken, was des Staates und was des Einzelnen ist, worin wir uns zu fügen haben, wo zu widerstehen ist, worin wir frei sind. Die Welt hat sich nicht so sehr durch ihre po-litischen Revolutionen verändert, wie man behaup-tet, sondern durch die Explosion der Menschheit ins Milliardenhafte, durch die notwendige Aufrichtung der Maschinenwelt, durch die zwangsläufige Ver-wandlung der Vaterländer in Staaten, der Völker in Massen, der Vaterlandsliebe in eine Treue der Firma gegenüber.“ Es folgt ein Satz, der heute als geistige Keimzelle des Schauspiels von den drei Physikern anmutet, denn Dürrenmatt glaubt feststellen zu müs-sen: „Der alte Glaubenssatz der Revolutionäre, dass der Mensch die Welt verändern könne und müsse, ist für den Einzelnen unrealisierbar geworden, außer Kurs gesetzt, der Satz ist nur noch für die Menge brauchbar, als Schlagwort, als politisches Dynamit, als Antrieb der Massen, als Hoffnung für die grauen Armeen der Hungernden.“…

Von hier führte der Weg Dürrenmatts zu dem Schau-spiel „Die Physiker“, das alle früheren Themen abermals aufgreift: Nutzen oder Nutzlosigkeit des Opfers; Möglichkeiten des Einzelnen, den Wettlauf zu beeinflussen; Komödie mit Toten; Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Stückeschreiber bei Ver-änderung der Welt. Trotzdem hatte Dürrenmatt nicht einfach die Thesen seiner Schillerrede von 1959 „dramatisiert“. Das Schauspiel selbst bedeutete eine neue Position: auch gegenüber Brecht. De 21 Punkte des Nachworts zum Schauspiel von den Physikern machen as deutlich …Eine Zeitlang mochte es scheinen, als stelle Dür-renmatts gesamte Dramatik immer wieder in Ab-wandlungen die Notwendigkeit und Größe des menschlichen Opfers dar. Aber bereits die Opferung Ills im „Besuch der alten Dame“ entbehrte der tragischen Größe: die ungeheuerliche Konstellation in den Beziehungen zwischen der alten Dame und der Stadt Güllen ließ das herkömmliche Spiel von Schuld und Sühne gar nicht mehr zu. Das „Opfer“ vollends, das der Physiker Möbius auf sich nehmen wollte – „dass es heute die Pflicht eines Genies ist, verkannt zu bleiben“ –, ist weder tragisch noch auch nur erfolgreich. Die Opferung Ills hatte wenigstens, wie der schauerliche Schlusschor bewies, dem Städt-chen Güllen für eine Weile den Wohlstand gesichert. Die Zurücknahme aber seiner Forschungen durch Möbius blieb belanglos, denn die „alte Dame“ dieses neuen Stückes konnte trotzdem, mit Hilfe der zurückgenommenen Forschungen, ihren Trust der Weltbeherrschung oder Weltvernichtung aufbauen. Hatte es ursprünglich so ausgesehen, als neige Dürrenmatt den Gedanken zu, die Benn in seinem Hörspiel „Die Stimme hinter dem Vorhang“ genau zehn Jahre vor den „Physikern“ verkündet hatte: „Im Dunkel leben, im Dunkel tun, was wir können“, so zeigt der Fall Möbius, dass eben dies in der heuti-gen Gesellschaftslage gar nicht mehr möglich ist. Der Physiker Johann Wilhelm Möbius möchte im Dunkel leben und auf Forschen und Handeln ver-zichten. Aber es erweist sich die Richtigkeit der 18. These Dürrenmatts zu seinem Schauspiel von den Physikern: „Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.“ …

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Die Schlussthese zu den „Physikern“ fasst Dür-renmatts Ansicht über die Beziehungen zwischen Substanz und Funktion einer heutigen Dramatik, die weder Brecht noch Benn zu folgen gedenkt, in dem Satz zusammen: „Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit aus-zusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewältigen.“ Demonstriert wird: Opfer des Einzelnen sind heute sinnlos. Der Einzelne kann die Welt weder durch Opfer erlösen, noch durch sein Denken und Handeln von Grund auf verändern, und

sei er selbst der größte Physiker der Menschheits-geschichte. Die Zeit der weltverändernden großen Individuen, der Helden wie der heiligen, scheint für Dürrenmatt vorbei zu sein. Daraus folgt, wie Punkt 17 betont: „Was alle angeht, können nur alle lösen.“ Physiker haben mit der Physik zu tun, mit der physikalischen Forschung nämlich. Deren Aus-wirkungen aber gehen alle Menschen an; weshalb auch nur alle Menschen zusammen, nach Meinung Dürrenmatts, die schlimmstmögliche Wendung zu verhindern vermögen.

D E R K Ö N I G S A L O M OMöbius versteckt sich in seiner gespielten Verrückt-heit hinter der Maske des König Salomo, der ihm erschienen sei. Wofür steht König Salomo?Bei Wikipedia finden sich u.a. folgende Einträge:Um 965 v. d. Z. übernahm König Salomo die Herr-schaft über den israelitischen Staat. Er war der Sohn Bathsebas und Davids.David hatte sein Reich auf einen Umfang aus-gedehnt, welcher in dieser Größe nie wieder erreicht wurde. Dieser Staat jedoch – als heterogenes Ge-bilde – musste äußere und innere Feinde fürchten und es kam zu vielen Auseinandersetzungen und Aufständen.Nachdem Salomo seine letzten Gegner besiegt hatte, war die Herrschaft fest in seiner Hand und eine friedliche Epoche folgte.Salomo mochte es als ein Monarch und Staatsmann orientalischen Stils zu erscheinen. Er sammelte lieber Reichtümer, als Kriege zu führen, und ver-suchte stets diplomatisch vorzugehen. Besonders widmete sich Salomo dem Ausbau von Handel und Gewerbe. Dabei spielte die günstige geographische Lage des Reiches eine wichtige Rolle. In Israel kreuzten sich entscheidende Handelsrouten, zum Beispiel die zwischen Ägypten und Mesopotamien und Syrien und Südarabien. Gute und enge kulturelle

und ökonomische Verbindungen bestanden zu den Phönizieren. Auch die vielen ausländischen Frauen in Salomos Harem lassen auf gute Beziehungen zu den betreffenden Ländern schließen.König Salomo war berühmt geworden für seine Weisheit, die auch in der Bibel immer wieder betont wird. Deutlich wird diese sprichwörtliche Weisheit in einer kleinen Geschichte. In dieser kamen zwei Frauen zu König Salomo. Jede dieser Frauen hatte ein Kind geboren, jedoch nur eines überlebte. Beide allerdings behaupteten die Mutter des noch lebenden Kindes zu sein. Salomo beschloss daraufhin das Kind zu zweiteilen und jeder Frau eine Hälfte zu geben. Eine der beiden aber verzichtete auf ihr An-recht und entpuppte sich somit als die wahre Mutter, woraufhin sie das Kind zugesprochen bekam.Salomo konnte das israelitische Großreich in allen Beständen, das nach Davids Tod zu zerfallen drohte, ohne größere kriegerische Auseinandersetzungen sichern.Salomo verstärkte das Festigungssystem, reorga-nisierte das Heerwesen und teilte das israelitische Staatsgebilde in 12 Provinzen ein, um die Ver-waltung effizienter zu machen. Die Aramäer von Damaskus und die Edomiter machten sich unter Salomo selbstständig.Seine großartige Hofhaltung, große Palastbauten und

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eine gegenüber Fremdkulturen freizügige Religions-politik trugen zur kulturellen Blüte des Landes bei. Die Handelsbeziehungen zu den phönizischen Städten (besonders Tyrus) wurden intensiv aus-gebaut. Handelsschiffe fuhren sogar bis nach Spa-nien. Durch den Bau des Tempels wurde Jerusalem zum religiösen Zentrum. Auf dem Ölberg östlich von Jerusalem hatte Salomo Heiligtümer für die Kulte seiner ausländischen Frauen einrichten lassen.Trotz seiner hervorragenden Begabungen hatte Salomo die Kräfte Israels und Judas übermäßig be-ansprucht.Obwohl sein Reich schon bald nach seinem Tod zerfallen war, wurde König Salomo immer mehr zum Idealbild des mächtigen und weisen Herrschers.Möbius’ alias Salomos Lied im Stück über seine einstige Weisheit und seine Reichtümer ist ein Abge-sang auf den Umgang der Menschen mit den eins-tigen Reichtümern der Erde. Die einzige Weisheit,

die einen einigermaßen friedlichen Fortgang des Lebens auf der Erde sichern kann, wie es Salomo bestrebt war zu praktizieren, besteht für Möbius im Einbehalt zerstörerischen Wissens. Was einst Auf-streben und Reichtum und Wohlleben bedeutete, die Forschungen, die Salomo betreiben ließ, die Bauten, die er errichten ließ, die Weltoffenheit gegenüber anderen Religionen, die er lebte, hat die Erde in eine Müllhalde und explosive Kugel verwandelt, der man nicht schnell genug entfliehen kann. Das ist sein Lied: Aufbruch in die Weiten des Univer-sums, vielleicht einer Rettung entgegen. Vielleicht findet sich hier der Ort für eine Utopie eines anderen Lebens und Miteinanders? Werden wir die 40 Aus-erwählten für die Marsexpedition ohne Rückfahrkar-te eines Tages beneiden? Doch von selbsternannten Märtyrern muss sich die Welt verabschieden, will sie weitermachen. Bei einem Neurobiologen ist zu lesen: das Einzige, wofür der Mensch sein Gehirn

braucht, ist Bewegung. Das heißt, Bewegung ist Veränderung, steter Aufbruch zu neuen Ufern. Wer be-stimmt die Ufer?

Szenenfoto mit Denis Pöpping, Anna Böttcher, Andrej von Sallwitz und Jakob Kraze

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D A S A T O M A R E Z E I T A L T E RWenn sich Schüler im Zusammenhang mit Dür-renmatts Stück „Die Physiker“ doch intensiver mit dem atomaren Zeitalter, mit Atomunfällen und den Fastkatastrophen eines atomaren Krieges aus-einandersetzen wollen, dann empfehle ich, folgende Weblinks zu verfolgen. Selbstverständlich kann sich jeder selbst ins WWW begeben und selber suchen.

Atomunfällehttp://www.atomunfall.de/https://www.greenpeace.de/themen/energiewende/atomkraft/atomunfaellehttps://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Unf%C3%A4llen_in_kerntech-nischen_Anlagenhttps://www.youtube.com/watch?v=_QAAxZh6OUA

Atomzeitalterhttps://de.wikipedia.org/wiki/Atomzeitalter

Atomkrieghttp://www.spiegel.de/politik/ausland/kalter-krieg-nato-manoever-fuehrte-1983-beinahe-zum-atom-krieg-a-931489.htmlhttp://www.spiegel.de/einestages/vergessener-held-a-948852.htmlhttps://de.wikipedia.org/wiki/Stanislaw_Jewgrafo-witsch_Petrowhttps://www.youtube.com/watch?v=6FiI657X4_Q

Szenenfoto mit Birgit Berthold und Anna Böttcher

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A N R E G U N G E N F Ü R D E N U N T E R R I C H T Die Schlussthese zu den „Physikern“ deutet darauf hin, dass das Opfer des Einzelnen heute sinnlos sei. Der Einzelne kann die Welt weder durch Opfer erlösen, noch durch sein Denken und Handeln von Grund auf verändern, und sei er selbst der größte Physiker der Menschheitsgeschichte. Aus diesem Grund dienen die folgenden Anregungen der Ver-tiefung und der Infragestellung dieser These in Form einer praktischen Auseinandersetzung mit dem Inhalt und der Form der Inszenierung. Dabei betonen die Aufgaben vor allem Prozesse, in denen eine Gruppe miteinander in Verhandlung tritt, denn „Was alle angeht, können nur alle lösen.“

Versuch a. – SupertrumpfEine Erfindung kann ein Triumph (Supertrumpf) sein. Sie kann die Welt verändern. Doch solche Ideen bringen auch Verantwortung mit sich. Wissen-schaftler sollten die Folgen ihrer Forschungen bedenken. In „Die Physiker“ tut Möbius dies erst, als die geniale Weltformel bereits besteht. Er wird sich seiner eigenen Verantwortung bewusst mit der Kon-sequenz, dass er sich selbst in eine Irrenanstalt ein-weist, er „spielt“ den Verrückten, um sich und seine Formel vor der gesamten Menschheit zu verbergen.

Was würde also passieren, würde man durch einen Zufall eine geniale Entdeckung machen? Wie stellen wir uns unsere Zukunft vor? Wozu ist die Wissen-schaft vielleicht schon bald in der Lage? Kommen Sie mit Ihren Schülern ins Gespräch und überlegen Sie gemeinsam, welche Erfindungen aktuell in den Medien diskutiert werden. Was sind ihre Risiken und was sind ihre Vorteile?

Vorbereitung:Geben Sie Ihren Schülern den Impuls, selbst zu Erfindern zu werden und sich mit 4 Personen ihrer Wahl an einen Tisch zu setzen. Verteilen Sie 32 leere Karten gerecht an die Gruppentische. Geben Sie

den Schülern die Aufgabe ein Supertrumpf-Karten-spiel (https://de.wikipedia.org/wiki/Supertrumpf) zu entwerfen. Dafür müssen Sie zunächst mit allen Beteiligten Kategorien aufstellen, an welchen sich die Karten in ihrem symbolischen Wert aneinander messen lassen. Das gemeinsame Thema ist „Visio-nen der Wissenschaft“. Jede Gruppe hat die Aufgabe mind. 1 Messwert zu erfinden, z.B. Effizienz, Fun-fact-Faktor, soziale Beziehung usw. und 4 Zukunfts-visionen zu entwickeln. Tragen Sie alle Messwerte zusammen und entscheiden Sie sich für 5 davon (siehe Blobfish).

s.o. lustiges Beispiel für eine Supertrumpfkarte

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Szenenfoto mit Denis Pöpping

Jede Erfindung wird mit einem selbsterdachten Punktesystem von 4 Personen gemeinsam bewertet und somit vergleichbar gemacht und mit den anderen Erfindungen in Konkurrenz gesetzt. Meist wird der höchste Wert als der beste angesehen, aber dies ist diskutabel. Bei manchen Kategorien empfiehlt sich, vor dem Spiel einvernehmlich festzulegen, welche Karte als die bessere gilt. In der Entwicklung des Spieles liegt der Fokus auf der Aushandlung eben dieser Kategorien und die gemeinsame Verhandlung ihrer Wertigkeit. Fordern Sie die Schüler auf, ihre „Vision“ auf der Karte zu Illustrieren und somit für alle sichtbar zu machen.

Spielverlauf:Am Spiel können bis zu 4 Personen teilnehmen. Die Karten werden gemischt und gleichmäßig unter die Spieler verteilt. Jeder Spieler hält seine Karten zu ei-nem Päckchen gestapelt so in der Hand, dass nur das oberste Blatt – und zwar nur für ihn – zu sehen ist. Der Spieler links vom Geber nennt nun eine Kenn-größe seiner Karte, dabei handelt es sich um eine der festgelegten Kategorien. Die Mitspieler nennen nun die entsprechenden Daten auf ihren obersten Karten und der Spieler, dessen Karte den besten Wert hat, gewinnt die obersten Karten aller Mitspieler und legt diese zuunterst zu seinem Päckchen. Besitzen

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zwei oder mehr Spieler Karten mit demselben besten Wert, so legen alle Spieler ihre obersten Karten in die Mitte und die Spieler mit dem besten Wert spielen eine Entscheidungsrunde. Der Spieler, der zuvor angesagt hat, nennt wiederum eine Kennzahl; der Sieger dieser Runde gewinnt zusätzlich zu den Karten aus der Stichrunde die Karten aus der unent-schiedenen Runde.Hat ein Spieler alle Karten verloren, so scheidet er aus, und das Spiel wird von den verbleibenden Teilnehmern fortgesetzt. Der Spieler, der zuletzt alle Karten gewonnen hat, ist Sieger. Da das Spiel so unter Umständen sehr lange dauert, empfiehlt es sich, eine Zeitbegrenzung festzusetzen. Der Rest der Gruppe fungiert als stiller Beobachter. Ist das Spiel zu Ende, darf der Sieger eine Karte be-stimmen, die ihm besonders gefallen hat.Reflektieren Sie im Anschluss an das Spiel den Produktionsprozess. Gab es Unstimmigkeiten in der Vergabe der Kategorien? Wie wurde ein Wert-system entwickelt? Welche Visionen sind besonders spannend?

Versuch b. – MachtspielTeilen Sie ihre Schüler in 4 unterschiedlich große Gruppen. Als Ausgangspunkt bekommt jede Gruppe eine „geniale Erfindung“ in ihre Hände. Dies kann z.B. eine besonders interessante Karte aus dem Ver-such 1 – Supertrumpf sein. Die Erfindung ist dann besonders spannend, wenn sie sowohl zu guten als auch zu bösen Zwecken genutzt werden könnte und somit unsere Gesellschaft oder unsere Umwelt nachhaltig verändern könnte. Bestimmen Sie dies gemeinsam mit Ihren Schülern.

Anschließend erhält jede Gruppe ein Rollenprofil:

Gruppe 1: Die Wissenschaftler- Sie vertreten das Interesse an der Forschung.- Sie haben allein durch Ihr geniales Wissen diese

Erfindung ermöglicht. Sind Sie somit verantwort-lich für das Erfundene und dessen Weitergabe? Wenn ja, an wen würde diese erfolgen und wa-rum?

Gruppe 2: Die Politiker- Sie tragen von Anfang an Verantwortung für das

Land, welches Sie regieren.- Weshalb sind genau Sie geeignet, die Weltformel

in den Händen zu halten?- Wofür würden Sie diese verwenden?

Gruppe 3: Eine Gesellschaft- Sie sind die Zahlreichsten. Doch wieviel Einfluss

haben Sie auf die Forschungsergebnisse? Wird Ihre Stimme erhört, wenn Sie Ihre Meinung dazu kundtun?

- Wie würden Sie diese Erfindung verwenden, wenn sie die Chance dazu bekämen?

Gruppe 4: Das Gericht- Sie sind die kleinste Gruppe mit der größten Ent-

scheidungsgewalt. Sind sich alle Beteiligten Ihrer Verantwortung bewusst?

- Um eine Entscheidung zu treffen, müssen sich alle Mitglieder dieser Gruppe einig sein.

- Das Gericht versucht sich neutral zu verhalten. Sie treten souverän auf und dürfen sich für eine geheime Beratung zurückziehen.

Nach einer internen Vorbereitungszeit, in welcher sich jede Gruppe bespricht, Argumente sammelt, Vertreter auswählt und auf seine Rolle vorbereitet, wird im Klassenraum eine Gerichtsverhandlung eingerichtet. Die drei Gruppen treten vor das Ge-richt, welche einander im Geheimen beraten können. Unter Beobachtung aller Beteiligten, treten die zuvor ausgewählten Vertreter der einzelnen Parteien vor, um ihren Standpunkt vor dem Gericht zu vertreten. Am Ende des Spiels entscheidet das Gericht, wel-cher Gruppe die Erfindung zugesprochen wird und aus welchem Grund.

Diskutieren Sie die Entscheidung im Anschluss an das Rollenspiel. Achten Sie darauf, dass die Schüler nur in der Funktion ihrer Rolle angesprochen werden und nicht als Privatperson.

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Fragen zur InszenierungDie Fragen zur Inszenierung stellen eine Kurzform der Nachbereitung dar. Sollten Sie nicht an einem Publikumsgespräch im Theater im Anschluss an eine Vorstellung teilnehmen, können Sie sich an den folgenden Fragen orientieren, um selbst ein Insze-nierungsgespräch mit Ihren Schülern zu führen.

- Wie beschreiben die Zuschauer die Figuren? Wie spielen die Schauspieler die Verrücktheit? Durch welche ästhetischen Mittel wird die Verrücktheit spielerisch dargestellt? Ändert sich daran etwas im Verlauf der Geschichte?

- Wie funktioniert die Gruppe? Wie verhalten sich die drei Physiker bei Schwierigkeiten und Hindernissen? Gibt es Unterschiede?

- Wie kann man die Spielweise der Schauspieler beschreiben? Welche Formen des Erzählens gibt es in der Inszenierung? Wie unterscheiden sich die Formen und was hat das jeweils mit dem Publikum zu tun?

- Was erzählt das Kostüm über die Figuren?

- Aus welchen Elementen besteht das Bühnenbild? Wie wird es von den Schauspielern bespielt? Welche Rolle spielt die Beleuchtung?

- Wie werden in der Inszenierung unterschiedliche Orte und Atmosphären hergestellt?

Geben Sie die folgende Anmerkung Dürrenmatts in die Gruppe:

„Die Dramatik kann den Zuschauer überlisten, sich der Wirklichkeit auszusetzen, aber nicht zwingen, ihr standzuhalten oder sie gar zu bewäl-tigen.“ (Anmerkungen von Friedrich Dürrenmatt zu den „Physikern“ Nr. 21)

- Welcher Wirklichkeit müssen sich die Zuschauer in „Die Physiker“ aussetzen?

- Mit welcher Wirklichkeit könnte Dürrenmatt uns konfrontiert haben wollen?

- Will uns die Inszenierung von Ivan Panteleev mit einer Wirklichkeit konfrontieren?

- Welche Differenzen gibt es zwischen dem Stück und der Spielfassung?

- Unterscheidet sich diese Wirklichkeit von der Wirklichkeit die sich aus Dürrenmatts Text ergibt? Verrückt das die Aussage des Stückes?

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HINWEISE FÜR DEN TH EA TER B ESU C H

Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater. Daher empfehlen wir Ihnen, sich im Vorfeld mit Ihren Schülerinnen und Schülern die be-sondere Situation zu vergegenwärtigen: Das Theater ist ein Ort der Kunst. Hier kommen wir aus dem Alltag in einer anderen Wirklichkeit an. Die Welt und in ihr der Mensch mit seinen Fragen, Sehnsüch-ten, Ängsten, Widersprüchen wird auf dem Theater mit künstlerischen Mitteln dargestellt und bietet Raum für unzählige unterschiedliche Erfahrungen. Jede Zuschauerin, jeder Zuschauer wird das Theater mit anderen Eindrücken und Erlebnissen verlassen: mit den eigenen. Sie unterscheiden sich von den Erfahrungen, die die Nachbarn gemacht haben. Im Theater spielen meistens Schauspieler. Manch-mal sind es auch Puppenspieler mit ihren Puppen und Objekten oder auch Tänzer, Musiker und Sän-ger. Aber alle verschiedenen Theaterformen haben eins gemeinsam: Sie finden alle im Jetzt, im Augen-blick, live statt und immer in Interaktion mit dem Publikum. Ohne Publikum findet kein Theater statt. Besonders Kinder verstehen das Theater als Kom-munikationsort und nehmen an dieser Kommunika-tion teil. Sie sprechen mit, werfen Reaktionen spontan, laut und sofort ein, machen Kommentare, lachen oder erschrecken sich, sie setzen sich zu dem, was sie sehen, in Beziehung. Die meisten Re-aktionen der jungen Zuschauer sind keine bewusste Störung. Über viele dieser Reaktionen freuen wir uns, sie müssen durch Sie nicht unterbunden wer-den. Manche Reaktionen aber offenbaren, dass die Zuschauer nicht realisieren, dass die Schauspieler live für ihr Publikum spielen. Dann können sie auch beleidigend werden. Hier benötigen wir Ihre Unter-stützung, denn für die Schauspieler ist es schwer, aus ihrer Rolle herauszutreten und die Aufführung zu unterbrechen.

Wir möchten Ihnen für den Theaterbesuch mit Ihrer Klasse noch einige Hinweise mit auf den Weg geben, damit die Vorstellung für alle Beteiligten auf der Bühne und im Saal zu einem einmaligen und schönen Theatererlebnis wird:1. Wir bitten Sie, rechtzeitig im Theater einzutreffen,

so dass jeder in Ruhe Jacke und Tasche an der Garderobe abgeben kann. Unsere Garderobe wird während der Dauer der Vorstellung beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten.

2. In unseren Programmzetteln lässt sich nachlesen, wie lange ein Stück dauert und ob es eine Pause gibt. Wenn möglich bitten wir darum, Toiletten-gänge während der Vorstellung zu vermeiden.

3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen, zu trinken, Musik zu hören und das Handy zu benutzen, außer das Publikum wird explizit dazu aufgefordert. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden.

4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung ist eine Anerkennung der Arbeit der Schauspieler und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wir bitten Sie, erst nach dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen.

Unser Einlasspersonal, die ARTIS GmbH, steht den Zuschauern als organisatorischer Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung.Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an die stückbetreuende Dramaturgin oder Theater-pädagogin. Wir freuen uns auf Ihren Besuch. Ihr THEATER AN DER PARKAUE

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I M P R E S S U MSpielzeit 2015/2016

THEATER AN DER PARKAUEJunges Staatstheater BerlinParkaue 2910367 BerlinTel. 030 – 55 77 52 -0www.parkaue.de

Intendant: Kay Wuschek

Redaktion: Karola Marsch, Sarah KramerGestaltung: pp030 – Produktionsbüro Heike PraetorFotos: Christian BrachwitzTitelfoto mit Jakob Kraze und Denis PöppingAbschlussfoto mit Birgit Berthold und Denis Pöpping

Kontakt Theaterpädagogik: Sarah Kramer030 – 55 77 52 [email protected]