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Die Piraten der Mikrowelt

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 194

Die Piraten der Mikrowelt

Der Kristallprinz unter Plünderern -gefährliche Abenteuer im Land ohne

Sonne

von Hans Kneifel

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9.Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol Hl. ein bruta-ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Herr-schaft antreten zu können.

Gegen den Usurpator kämpft Gonozals Sohn Atlan, Kristallprinz und rechtmäßigerThronerbe des Reiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen, die Orbana-schols Helfershelfern schon manche Schlappe beibringen konnten.

Mit dem Tage jedoch, da der Kristallprinz Ischtar begegnet, der schönen Varganin,die man die Goldene Göttin nennt, scheint das Kriegsglück Atlan im Stich gelassenund eine Serie von empfindlichen Rückschlägen begonnen zu haben.

Gleiches gilt aber auch für Atlans Gegenspieler, den Imperator. Denn Orbana-schols Streitkräfte haben gerade eine schwere Niederlage im Trantagossa-Sektor er-litten – infolge eines Überraschungsangriffs der Maahks und des Einsatzes einerneuen Waffe.

Um den Besitz dieser neuen Waffe, des Molekularverdichters, geht es Atlan, als ersich mit Ischtars Hilfe zum Maahk-Stützpunkt Skrantasquor begibt. Doch Ra, der Bar-bar, spielt dem Kristallprinzen aus Eifersucht einen bösen Streich, so daß Atlan durchden Molekularverdichter erneut in den Mikrokosmos befördert wird – in das Land oh-ne Sonne und unter DIE PIRATEN DER MIKROWELT …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz freundet sich mit Piraten an.Gjeima - Ein Mädchen, das Atlan nachstellt.Darrnogh - Anführer der Plünderer von Jansonthen.Pverganth und Scaltok - Zwei Ballonfahrer von Jansonthen.

1.

Mit der Geschwindigkeit eines abgeschos-senen Armbrustbolzens raste der Bruzacknach Süden. Langsam ließ meine Erregungnach. Ich atmete mehrmals durch und beru-higte mich mühsam.

Versuche, das Gerät unter Kontrolle zubekommen, ehe es irgendwo zerschellt undeuch tötet! schrie unüberhörbar der Extra-sinn.

Mehr und mehr ließ das Leuchten derNachtwolken nach. Ich blickte durch die sie-ben unregelmäßigen Öffnungen oder Lukendieses erstaunlichen Apparates. Frischluftstrich, leicht erwärmt, von irgendwoher. DerRaum um die Sitze war geschlossen, aberich kannte inzwischen den Schalter, der dieSegmente zurückschob. Die Bedeutung vonmehr als neun Zehnteln der anderen Uhren,Skalen, Hebel und Knöpfe kannte ich nicht.Die Landschaft, die ich bereits gesehen hat-te, lag hinter uns. Soeben hatten wir die Hü-gel überflogen.

Vor einigen knappen Minuten war derBruzack röhrend und mit rauschenden Stich-flammen aus den Hecklöchern durch eineGruppe von Büffelreitern hindurchgeschos-sen und hatte die Krethors in helle Panikversetzt.

»Wir sind in Sicherheit! Sie können unsnicht folgen«, flüsterte Gjeima und lächeltemich an. Ihre plumpen Finger suchten dieNähte meines Hemdes. Ich schob sie mit derSchulter zurück in ihren Sitz.

»Aber die Maschine kann uns umbrin-gen«, sagte ich streng. »Jetzt ist nicht dierechte Zeit für Liebe!«

»Wann?«Ich lachte kurz und versicherte: »Auf der

Flucht ist niemals Zeit für Liebe!«

Die Wolken lösten sich auf. Der sonnen-lose Himmel erschien über dem Land. DieSchneedecke, die immer dünner wurde,machte Pfützen und kleinen EisflächenPlatz. Überall sah ich die tiefen Spuren derBüffel. Die runden Löcher im schwarzenBoden hatten sich mit Wasser und Schlammgefüllt. Dunghaufen lagen herum. Ein abge-brochener Speer stak im Boden. DerBruzack raste weiter. Mit gleichmäßiger Ge-schwindigkeit, mit einer riesigen Rauchwol-ke, die träge in die Höhe stieg und verwehtwurde, mit einem tierischen Röhren, das wirim Innern kaum hörten. Hin und wiederklickte ein Schalter.

»Wohin fliegt der Bruzack, Atlanlieb-ling?« erkundigte sich Gjeima mit unver-hüllter Gier in der Stimme. Sie hatte Hunger– auf mich.

»Ich habe keine Ahnung«, gab ich zu undbewegte vorsichtig einen Hebel. Die Rich-tung änderte sich nicht, aber im Bug schobsich eine Klappe zurück und ließ ein stump-fes Rohr erkennen, das sich langsam nachschräg vorn ausrichtete. »Auf alle Fälle nachSüden.«

»Im Süden«, stimmte sie begeistert zu,»ist es wärmer. Dort können wir baden, At-lan. Und uns im Sand lieben!«

Die Aussicht auf Wärme stimmte michversöhnlicher, ihre Erwartungen aber würdeich mit Sicherheit enttäuschen müssen. Sietat mir leid, denn sie war abgrundtief häß-lich. Mitleid reichte vielleicht für eine brü-chige Freundschaft, sagte ich mir, aber nie-mals für Verliebtheit. Ich hatte Farnathiaund die Goldene Göttin geliebt, und meineErinnerung war noch frisch. Wie die Nar-ben, die ich von diesen Begegnungen davon-getragen hatte.

»Wir werden genug zu tun haben, um zuüberleben«, sagte ich, während die Berge im

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Norden verschwanden und der Himmel wie-der sein Fleckenmuster aus verschiedenen,ineinander überfließenden Farben annahm.Mir scheint es, als wäre er bereits hier, zehnMinuten oder mehr Fahrt von Krothenbeetund Darga entfernt, wesentlich heller undfreundlicher.

Noch rasten wir über die Ebene, auf derdie Krethors aufmarschiert waren, ehe sieuns überfielen.

Wieder suchte ich nach einem Schalter,mit dessen Hilfe ich die seltsame Flugma-schine anhalten oder wenigstens beeinflus-sen konnte. Ich war hilflos. Eingesperrt indie Zelle des Bruzack, immer wieder dieHände des Mädchens wegschiebend, unru-hig und aufgeregt. Die Maschine, in der wirgefangen waren, konnte mich jede Sekundeüberraschen. Wieder warf ich einen langenBlick durch die verschiedenen, ringsherumund über uns angebrachten Öffnungen. Siewaren einseitig verspiegelt; in der Scheunehatte ich nicht hindurchsehen können. Aberjetzt sah ich die Änderungen der vorbeihu-schenden Landschaft.

Ich tippte auf einen Knopf, den ich nochnicht kannte.

Durch das unirdische Heulen drang einhartes, krachendes Geräusch. Aus dem Rohrvor uns schoß eine Art Harpune, ein langerAnker, der rasend schnell hinter sich ein Seilaufspulte. Das Geschoß beschrieb, leichtvom Wind abgetrieben, eine flache Kurve.Aber der Bruzack wurde nicht langsamer. Erschwebte unter dem Tau hindurch. AmScheitelpunkt der Bahn, fast direkt über uns,angekommen, verlangsamte die Harpune ih-ren Flug, kippte und raste dann schräg demBoden entgegen. Ich duckte mich unwillkür-lich und begann zu ahnen, was die Folgedieser Überraschung sein würde.

»Festhalten, Gjeima!« schrie ich undkroch tiefer in die weichen Polster des Sitzeshinein. Flüchtig sah ich, wie das Seil ange-zogen wurde und sich straff über das Dachdes geradeaus weiterschwebenden Bruzacklegte. Irgendwo weit hinter uns schlug dieHarpune mit unerhörter Wucht tief in den

Boden. Ich wartete mit verkrampften Mus-keln und zusammengebissenen Zähnen. EineSekunde, zwei Skunden … dann gab eseinen Ruck.

Aber wir wurden nicht nach vorn ge-schleudert!

Der harte, erschütternde Schlag blieb aus.Nur der Bruzack wurde langsamer, ohne daßich einen Schalter berührt hatte. Dann änder-te er seine Richtung und bog scharf nachrechts ab. Gleichzeitig ertönte vor uns einvibrierendes Summen.

»Atlan! Warum hält der Bruzack an? Wastut er?« schrie Gjeima neben mir auf undklammerte sich angsterfüllt an mich. Ich be-freite mich von dem Griff ihrer Hände undspähte nach rechts aus einer der Luken. Ichsah, daß etwa dreihundert Meter entfernt dieHarpune bis zum Ende im Boden steckte.Das Seil hatte sich hart gestrafft und dasRohr war gedreht worden. Und wieder wur-de die teuflische Maschine schneller.

Sie begann, im Kreis um die Harpune her-umzurasen.

»Ich weiß das alles nicht«, erwiderte ichund überlegte, was ich tun konnte. Nichts.Selbst das Aussteigen war bei diesem irrsin-nigen Tempo unmöglich. Die Geschwindig-keit nahm abermals zu. Die Fliehkraftdrückte uns nach links, und Gjeima rutschteaus dem Sitz und auf mich zu.

»Halte dich fest!« sagte ich scharf.Du mußt diese Kreiselfahrt beenden!

Drücke die Knöpfe! befahl der Logiksektor.Ich grinste kalt. Vielleicht gelang es mir,

uns in die Luft zu sprengen. Ich überlegte,welche Schalter mitsamt deren Funktionenich kannte; es waren nur wenige. MeineHand schnellte vor und bewegte einen Kipp-schalter. Außerhalb der Kabine begann eineSirene aufzujaulen. Dann sah ich, wie sichdas Werferrohr abermals bewegte, und einneuer Ruck bewies, daß irgendwo eine Win-de anlief und sich schnell drehte.

»Was tut der Bruzack?« heulte Gjeimaauf. Ich beachtete sie nicht und knurrte:

»Er spult sich auf.«Die unbegreifliche Maschine raste im

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Kreis herum, aus dem, je mehr sich die Win-de drehte und je mehr vom Seil sie aufspul-te, eine Spirale wurde. Der Gleiter hing andem Harpunenanker wie ein Stein an derSchnur eines spielenden Kindes. Ich begriffnichts mehr – wozu diente diese Ausrüstungdes Bruzack? Die Spirale wurde enger, da-durch erhöhte sich die Geschwindigkeit. Ichwurde gegen den Rand der Kabine gepreßt,Gjeima lastete wie ein Sack voller Steine aufmir. Und schließlich, als wir beide würgendnach Luft schnappten, bremste der Bruzack.

Achtung! Eine neue technische Überra-schun!] warnte der Extrasinn.

Wir fielen erschöpft in die Sitze zurück.Die Maschine drehte sich und stieß einenkrächzenden Schrei aus. Dann wurde dasSummen der unsichtbaren Seilwinde schär-fer, das Vehikel begann stärker zu vibrieren.Das Seil spannte sich bis zum Zerreißen.Dann kämpften die Maschinen des Bruzackgegen den festsitzenden Harpunenanker.

Es war einst vielleicht ein Jagdgerät? ver-mutete der Logiksektor.

Wir warteten atemlos. Die Schwingungendes Bruzack wurden stärker, aus dem Heckbrach eine weiße Dampfwolke, und wiederertönte dieses nervenerschütternde Ge-räusch. Dann öffnete sich vor dem Loch desHarpunenwerfers eine kleine Klappe. EinGegenstand, der wie die Mischung einer Sä-ge mit einem Skalpell aussah, zuckte hervorund bewegte sich rasend schnell auf und ab.

Mit ungefähr dreißig Schnitten zertrennteer das Tau. Der Bruzack, von der Last be-freit, ruckte nach hinten.

»Das ist wohl nicht zu glauben!« murmel-te ich verblüfft, als sowohl das Schneideblattals auch das Werferrohr wieder in ihren fu-genlosen Öffnungen verschwanden. Gjeimastarrte mit hervorquellenden Augen auf die-ses Wunder. Wieder stieß ein unsichtbaresHorn einen schrecklichen Ton aus.

Der Bruzack drehte sich um etwa hundert-achtzig Grad, so daß ich wieder direkt nachSüden blickte.

Augenblicklich schossen lange, vielfarbi-ge Flammen aus dem Heck. Eine weiße

Dampfwolke folgte und verhüllte den Blickauf die ferne, fast nicht mehr erkennbareBergkette. Dann kochte ein ungeheurerpechschwarzer Strahl Rauch nach hinten, dieFlammen durchschnitten ihn, und derBruzack nahm wieder Fahrt auf.

Gjeima wimmerte auf, schluckte und ver-stummte, als der Andruck sie gegen dieRückenlehne des Sessels preßte.

»Ich bin nicht einmal dazu gekommen,dieses verdammte Verdeck zu öffnen«,knurrte ich. »Geschweige denn, auszustei-gen. Die Fahrt geht also weiter. Und ichwette, nicht einmal der Bruzack selbst weiß,wohin.« Röhrend und qualmend schoß dieMaschine unbeirrbar auf ihrem Südkurs da-hin. Es war heller geworden. Im Augenblickverzichtete ich darauf, irgendwelche Knöpfezu drücken und an Hebeln zu ziehen, aber esjuckte mich in den Fingerspitzen. Für einekurze Zeit verhielt sich auch Gjeima still; sieschien vorübergehend vergessen zu haben,mich zur Liebe aufzufordern.

Wir waren jetzt bereits jenseits der wei-ten, nassen Ebene. Der Himmel strahlte tat-sächlich viel heller, und das Licht begann,durch die halbdurchsichtigen Fenster einfal-lend, unsere Haut zu wärmen. Die Land-schaft wechselte jetzt unmerklich ihr Ausse-hen.

Schneereste und Nässe verschwanden.Wieder tauchte ein breites Band niedriger

Hügel auf, die mit kleinen, dichten Wäld-chen bewachsen waren. Eine Grassteppe be-gann am Fuß der Hügel. Wir rasten daraufzu, die Nase des Bruzack hob sich. Die Ma-schine folgte den Windungen eines flachenTales und wich den Hügeln aus. Hier wardas Gras nicht mehr staubig und verdorrt,sondern wurde von Minute zu Minute grü-ner. Ich schätzte die Geschwindigkeit aufrund zweihundert Kilometer in der Stunde.Dann hörten die Schlingerbewegungen auf,der Bruzack schwebte wieder schnurgeradenach Süden. Vor uns breitete sich eine Step-pe aus: ich kannte die Merkmale einer sol-chen Landschaft.

Kehrt der Bruzack vielleicht zu seinen Er-

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bauern zurück? flüsterte der Logiksektor.»Das wäre eine Erklärung«, murmelte ich

im Selbstgespräch.»Soll ich mich ausziehen, Liebling?« flü-

sterte Gjeima und begann, an ihrer Kleidungzu nesteln.

»Nein!« brüllte ich. Sie zuckte er-schrocken zusammen und sah mich begriffs-stutzig an.

»Später!« sagte ich beschwichtigend undlehnte mich zurück. Ich war ausgeliefert,wenn es mir nicht gelang, die Maschinewirklich unter Kontrolle zu bekommen.Wieder ergriff mich die Furcht, in neueAbenteuer verschleppt zu werden, die ichnicht überstehen konnte.

Als ich mich wieder der Landschaft zu-wandte, hatte sie sich abermals verändert.Rundherum war Steppe mit hüfthohem Gras,über das der Bruzack dahinschwebte. Ausdiesem endlosen Gräsermeer, das sich in ei-nem leichten Wind bewegte wie Wasser, er-hoben sich unregelmäßig verstreut kleine,halbkugelige Gebüsche aus Bäumen unddunkelgrünen Sträuchern. Ab und zu tauch-ten harmlos aussehende, aber große Tiereauf. In den Gräsern und den Vegetationsin-seln würde es von kleinem Getier wimmeln.Es schien weder Krethors zu geben, die aufBüffeln ritten, noch Angehörige eines ande-ren Stammes, deren Reitvögel durch dasGras trabten. Hin und wieder sah ich riesigeVögel hoch in der Luft.

Ich riskierte, einen Knopf zu drücken,dessen Funktion mir bekannt war. Mit einemfeinen Sirren schob sich ein Segment überunseren Köpfen zurück. Warme Luft fuhrins Innere des Bruzack.

»Kennst du diese Gegend?« fragte ichGjeima, die ununterbrochen nach draußenblickte und vor Dingen Angst zu haben schi-en, die ich nicht kannte.

»Nein. Ich war niemals hier. Aber es istunsere Welt. Ich werde mit dir zusammeneine Familie aufbauen können, Liebling!«behauptete sie mit einer Sicherheit, die ichnicht begreifen konnte.

»Vermutlich nicht«, erwiderte ich. Ich

wartete auf den nächsten Zwischenfall. Erwürde nicht lange auf sich warten lassen.Wenn der Bruzack wirklich zu seinen Er-bauern zurückkehrte, wenn es eine Maschinewar, die der Verfolgung und der Jagd aufGroßtiere diente, dann würde ich am End-punkt dieser rasenden Wanderung einen wil-den, unbarmherzigen Stamm finden.

Wieder zog ich an einem Hebel, den ichnicht kannte.

Nichts geschah.Jedenfalls nichts, was ich merken konnte.

In unregelmäßigen Abständen sah ich jetztgroße, annähernd pyramidenförmige Fel-strümmer, die verstreut aus dem Gras auf-tauchten und nicht größer waren als einHaus in Krothenbeet. Sie schienen aus starkgeädertem Gestein zu sein, in dem in demvielfarbigen Licht große, funkelnde Ein-schüsse leuchteten. Kleiner, größer, einigezusammen, dann eine Reihe hintereinander,schließlich wieder riesige Zwischenräume –so verteilten sich diese Spitzkegel über dieFläche. Nacheinander drückte ich vierSchalter, die in einer Reihe nebeneinanderdunkelrot leuchteten.

Aus vier Punkten der Außenhülle schobensich teleskopisch lange, silbern glänzendeRohre hervor. Sie trugen an ihren Enden ku-gelförmige Elemente, die wie Linsen wirk-ten.

Der Bruzack wich zuerst einer Vegetati-onsinsel aus, schlug dann vor einer Fels-gruppe einen Haken und steuerte, nachdemdie Röhren sich schräg nach oben voll her-ausgeschoben hatte, plötzlich nach links.Der schwarze Rauch aus den Düsen ver-schwand. Ein blauer Nebel drang anstelledieser Abgase hervor, während das Gefährtlangsamer wurde und sich wie suchend imZickzack über das Gras bewegte, aber im-mer die Hauptrichtung beibehielt.

Es gab im Mikrokosmos zweifellos über-raschende Dinge. Teilweise schien es so, alsob zwischen diesem submikroskopischenBereich und der Wirklichkeit seltsame Ver-bindungen bestünden.

Vielleicht fand ich bei den Erbauern des

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Bruzack irgendeine Möglichkeit, auf demUmweg über den Mikrokosmos die Mördermeines Vaters anzugreifen? Vielleicht gabes Bezüge zwischen diesem Teil des Kos-mos und dem entsprechenden Teil des Mi-krokosmos, der sich in der Nähe Orbana-schols befand? Ich wußte es nicht.

Eine reichlich kühne Hypothese! schaltetesich der Extrasinn ein.

So war es. Aber diese Hypothese war letz-ten Endes nicht kühner und nicht ungewöhn-licher als das, was ich gerade erlebte: ich be-wegte mich in einer Welt, die der wirklichenähnlich war und doch nichts anderes dar-stellte als ein paar Moleküle dieser»normalen« Umgebung. Der Angstschweißbrach mir plötzlich aus, als ich diesen Unter-schied ins Auge faßte.

Und noch immer suchte ich Crysalgiraund Grek-3.

Ich bezweifelte, ob ich sie finden würde.Suchend, langsam, leise und in schlän-

gelnden Linien schwebte der Bruzack in et-wa eineinhalb Metern Höhe über die Spitzender Gräser. Unter uns bewegten sich die Ge-wächse. Der Wind schob sie hin und her,kippte sie, und sie drehten die matten Unter-seiten der Blätter nach oben. Soweit ich se-hen konnte, gab es dieses Wellenmuster. DiePflanzeninseln und die Felsen bildeten For-mationen, die tatsächlich wie Eilande wirk-ten. Und nachdem der Bruzack um eine Fel-sengruppe herumgeschwebt war, hielt erplötzlich an.

Fünfzig Meter vor uns hob ein Tier seinenSchädel aus dem Gras, drehte einen Schlan-genhals und sah uns mit hellen Reptilaugenentgegen. Dann eine zweite Bewegung, mitder sich der Koloß aus dem Gras erhob. DerBruzack begann erregt zu vibrieren und stießeinen fanfarenähnlichen Ton aus.

»Atlan! Ein Tier! Ich kenne es nicht! Eswird uns töten!« kreischte Gjeima und krall-te sich an meinen rechten Arm fest. Viel-leicht, hatte ich durch meine Schaltungen ei-ne Art Jagdprogramm der Maschine akti-viert?

»Es wird uns nicht töten!« versprach ich

und versuchte sie zu beruhigen. Sie verstandmich, wie immer, falsch. Augenblicklichging sie zum Angriff über und begann michzu streicheln. Das Tier stand erstarrt da undglotzte uns an.

Der Bruzack heulte ein zweites, längeresSignal hinaus, schwebte aber noch immerüber der Stelle. Dann fuhr er langsam dievier Optiken ein und schloß die Klappen.Wollte diese Satansmaschine tatsächlich die-ses Riesentier jagen? Es schien ein harmlo-ser Pflanzenfresser zu sein, aber natürlichkannte ich den Tiergiganten nicht.

Ein riesiger, gelbhäutiger Vierfüßler. DieHaut hatte schwarze Flecken, auch rund umdie knotigen Gelenke war sie dunkel ver-färbt und trug dicke Hornhäute. DerSchwanz war ebenso lang wie der Hals. DasTier schien eine Art Saurier zu sein, auf alleFälle eine Echse. Zwischen den kleinen, run-den Ohren begann ein Hornkamm, der überden gesamten Hals, über den Körper undden Schwanz lief, wo er in einem riesigenHaken endete. Auf der Stirn des rundenSchädels saß ein kurzes, dreieckiges Horn.Als der nächste Fanfarenstoß des Bruzacküber die Ebene gellte, riß die Riesenechseden Schwanz steil in die Höhe und begannzu flüchten.

Das war der Augenblick, auf den derBruzack gewartet hatte. Unvermittelt setztesich die silberglänzende Maschine in Bewe-gung. Rechts und links des Vorsprungs, indem wir saßen, schoben sich zwei lange,schlanke Läufe aus der Verkleidung hervor.Gleichzeitig erhellten sich zwei kreisrundeFelder im Material des Armaturenbrettes.Eine Art Zielkreuz erschien in der leuchten-den Fläche.

Also doch ein Jagdgerät!In einem schnellen Trab flüchtete die

Echse. Ihr Hals und der Schwanz federtenauf und ab. Sie wirkten als Steuerorgane.Die Echse rannte auf eine Gruppe von Fel-sen zu, die wir in der Ferne sahen. Die Ma-schine würde zwischen den aufragendenFelsnadeln, den würfelförmigen, spitzkegeli-gen und säulenartigen Steinformationen die

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Jagd nicht fortsetzen können. Aber derBruzack handelte vollkommen selbständig,ohne daß ich etwas schaltete.

Das gelbe Riesentier rannte davon, dieMaschine schob sich näher heran und glittgeräuschlos, nur lange Flammen und blauenNebel ausstoßend, links des Tieres dahin.Die Läufe der beiden Waffen – waren esdiesmal Energiegeschütze? – drehten sichmit, so daß sie wie ein automatisch gesteuer-tes Geschütz immer auf das Tier deuteten.

Die Echse flüchtet. Das bedeutet, daß siediese Maschine kennt oder schon gejagtworden ist, erklärte der Extrasinn.

Ich zweifelte nicht daran, denn die Ge-schwindigkeit des Tieres steigerte sich. DerBruzack folgte mühelos und hielt immerdenselben Abstand. Er handelte wie ein Jä-ger, der das Tier nicht töten, sondern nurhetzen wollte. Ich blickte gespannt auf denRücken des Tieres. Die großen Füße hinter-ließen im hohen Gras eine breite Spur, dasGras wurde niedergewalzt. Wieder wandtedas Tier den Kopf, sah nach seinem Verfol-ger und stieß einen Schrei aus, der mühelosmit dem Horn der Maschine wetteifernkonnte.

»Atlan! Was tut die Maschine?«Ich hob die Schultern und warf Gjeima

einen Blick zu. Sie war ratlos. Die einfacheOrdnung ihrer kleinen Welt war seit demletzten Angriff der Krethors umgeworfenworden. Sie verstand nichts mehr und fielvon einer Verwunderung in eine andere, einSchrecken löste den anderen ab. Es war ver-ständlich, daß sie sich immer wieder wie ei-ne Ertrinkende an mich klammerte. Ich warzwar weitestgehend in derselben Situation,aber ich verstand mehr.

»Diese Maschine jagt das Tier. Warum,das weiß ich nicht. Je länger ich hier bin«,sagte ich voller Unsicherheit, »desto weni-ger begreife ich. Ich bin auf alles gefaßt.«

Die Worte schienen sie innerlich wiederaufgerichtet zu haben. Sie strahlte mich anund flüsterte.

»Wenn du bei mir bist, Atlanliebling,dann wird alles gut.«

Der Bruzack war zu schnell. Sonst wäreich schreiend aus der Luke gesprungen undgeflüchtet. Überflüssig war der Kommentardes Extrasinns:

Damit hättest du dich zusätzlich in Ge-fahr gebracht.

Die seltsame Jagd ging weiter. Das Tierwar jetzt nur noch einen halben Kilometervon den ersten, kleineren Ausläufern derFelsengruppe entfernt. Es befand sich in Pa-nik, schrie ununterbrochen und schlug stän-dig Haken. Der Schwanz schien die Waffedes Tieres zu sein, denn zweimal stellte sichder Riese, drehte den Körper blitzschnellhalb herum und schwang den Schwanz wieeine Peitsche. Aber der Bruzack wich eben-so schnell aus.

Vor mir knisterten und knackten Schal-tungen. Die gesamte Automatik der Maschi-ne befand sich in hellem Aufruhr. Nach wievor deuteten die beiden Läufe auf das Vor-derteil des Tieres. Die Felsen kamen näher.Ich konnte bereits die einzelnen Gewächseauf den Steintrümmern erkennen.

Die Echse schlug nach uns und senkte,nachdem die Schwanzspitze pfeifend dichtüber die Öffnung vorbeigezischt war, denKopf. Mit dem Horn zielte die Echse auf dasVorderteil des Bruzack. Die Maschine heul-te angriffslustig auf und reagierte sofort. DieJagd hatte ein bestimmtes Stadium erreicht.Der Bruzack wich aus, drehte sich herum,die Rohre folgten der Bewegung.

Dann krachten in schneller Folge scharfe,laute Entladungen.

Winzige, helle Kugeln verließen die bei-den Rohre und flogen viel langsamer als Ex-plosivgeschosse auf die Echse zu. Die Rohrezielten auf den Schwanz und den Kopf dergelbhäutigen Beute. Während des Flugeswurden die Kugeln größer. Jedenfalls eineneue, überraschende Waffe.

»Kaum zu glauben!« keuchte ich.Die Kugeln wurden größer. Ein nicht en-

den wollender Strom flog durch die Luft undblähte sich auf. Die erste Kugel aus dem lin-ken Rohr erreichte die scharfe Hornplattedes Schwanzendes, die zweite Kugel berühr-

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te, inzwischen zu doppelt kopfgroßer Größeangeschwollen und durchsichtig geworden,den Hals dicht unterhalb des Kopfes.

Ich wartete, atemlos vor Spannung.Der Kopf zuckte aus einer Höhe von nicht

weniger als fünfzehn Meter herunter, unddas Horn würde den Bruzack rammen. Imletzten Moment führte die Maschine eine ge-ringfügige Schwenkung aus. Das Horn bohr-te sich zwei Handbreit tief in den Boden, derKopf verschwand im Gras. Dann platzte dererste Ballon. Die Haut überzog sich mit ei-nem milchigen Film. Der zweite Ballon zer-riß, die übrigen Kugeln verfolgten die Be-wegungen des Tieres. Der Bruzack schobsich aufbrummend zurück. Für einen Augen-blick hörte der Beschuß der merkwürdigenKugeln auf.

Ich beobachtete das Tier scharf.Es richtete sich auf und sprang röhrend

mit allen vieren in die Höhe. Aber ich sah,daß sich der Hals schwerfälliger bewegte.Und auch der letzte Teil des Schwanzeswirkte wie paralysiert. Einige Kugeln warengeradeaus weitergeflogen, die anderen trafenjetzt.

Die Geschosse schwebten in engen Krei-sen um den Körper des Tieres. Sie trafen dieGelenke, sie hefteten sich, gewaltig aufge-bläht, an die Haut des Halses und des mus-kulösen Schwanzes. Das Tier schrie gellendvor Schmerzen. Nach wie vor bewegten sichdie Rohre und folgten den einzelnen Bewe-gungen. Wieder löste sich ein Schuß, und alsdas Tier, wütend vor Schmerz, den Bruzackangriff, wobei seine Bewegungen immerschwerfälliger und schwächer wurden, lan-dete die aufgeblähte Kugel direkt auf demKopf des Reptils.

»Das war der Fangschuß!« sagte ich leise.Die Kugel platzte. Das Tier, das sich in

unserer Richtung in Bewegung gesetzt hatte,stampfte und polterte heran. Es wirkte wieein wütender Saurier, und trotz der unbehol-fenen Schritte und der Lähmung war dasTier nach wie vor gefährlich. Allein das Ge-wicht des Körpers konnte den Bruzack zu-sammenpressen und in den Boden rammen.

Aber der Bruzack wich langsam rück-wärts aus, und die Entfernung zwischen demtorkelnden Tier und der Maschine bliebgleich groß. Die letzte abgefeuerte Blaseplatzte, der Film legte sich über die Ohren,das Horn und die Augen der Echse. Undüber das weit aufgerissene Maul. Der letzteSchrei der Riesenechse wurde abgeschnit-ten. Verzweifelt schwang der Körper hinund her. Der lange Schwanz zitterte in hal-ber Lähmung. Der Hals bog sich aufwärtsund abwärts – das Tier war nicht mehr Herrseiner Sinne.

»Ich verstehe das alles nicht!« wiederhol-te Gjeima fassungslos zum zehntenmal.»Warum haben sie gekämpft?«

»Weil die Maschine dafür konstruiertwurde. Man hat sie dafür hergestellt«, er-klärte ich.

Die Echse blieb stehen.Der gesamte Körper geriet in unkontrol-

lierte Zuckungen. Dann senkte sich der Kopfbis tief auf den Boden. Der Körper schwank-te hin und her. Nach einigen Sekunden, indenen irgendwelche Gifte in dem Materialder Kugeln zu wirken begannen, kippte derKoloß einfach auf die Seite. Obwohl derBruzack schwebte, glaubte ich die Erschüt-terung zu fühlen.

Triumphierend ertönten das Horn, dieFanfare und alle anderen akustischen Gerätedes Jagdgleiters. Der Bruzack drehte auf derStelle und wurde wieder schneller. Er rasteweiter nach Süden. Diese Jagd, ob einpro-grammiert oder nicht, war nur eine kurzeEpisode gewesen. Einige Minuten vergingenschweigend, und ich sah, daß wieder langeFlammen und schwarzer Rauch aus demdröhnenden Hinterteil der Maschine entwi-chen. Elegant kurvte die Konstruktion umdas nächste Wäldchen herum, scheuchte mitihrem Röhren und Donnern einen Schwarmheller Vögel auf und nahm Kurs nach Sü-den.

Es war später Morgen.»Wir müssen anhalten, ich habe Hunger

und Durst!« sagte Gjeima unvermittelt.»Tatsächlich!« gab ich zu. »Bisher habe

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ich es nicht gemerkt. Aber ich kann diesesverfluchte Gerät nicht anhalten.«

Ich hielt es durchaus für möglich, mit die-ser verblüffenden und verwirrenden Maschi-ne den Trick zu vollziehen, an den ich ebengedacht hatte. Vielleicht gelang es, mit demBruzack in jenen Bereich einzudringen – inForm einer Art von Transitionssprung viel-leicht –, in dem sich Orbanaschol befand.Das wäre eine überraschende Wendung desGeschehens. Ich würde dann nicht mehr pas-siv sein und nur auf Anstöße reagieren, son-dern wieder aktiv handeln können.

»Wenn der Bruzack weiterfliegt, werdenwir verhungern!« sagte Gjeima düster. »Undhier gibt es sicher wilde Stämme, die unsüberfallen.«

Du bist unbewaffnet, denke daran! sagteder Extrasinn.

»Kennst du sie?« fragte ich zurück.»Nein. Du müßtest sie kennen. Denn du

kommst aus dem Süden!« erwiderte sie er-staunt. Ich konnte ihr nicht erklären, woherich wirklich kam. Ich nickte und erklärte:

»Aber ich habe einen anderen Weg zu-rückgelegt. Über diese Ebene voller Felsenund Gras bin ich nicht gekommen.«

Der Bruzack machte einen Satz, um ei-nem im Gras verborgenen Hindernis auszu-weichen. Das Heck senkte sich und schlugschwer gegen etwas Hartes. Donnernd ent-wich eine Flammensäule den Auspufflö-chern. Ich hielt mich fest und hörte durchden entsetzten Schrei des Mädchens einknirschendes, krachendes Geräusch.

Dann vollführte die Maschine eine Seriemerkwürdiger, schneller Bewegungen.

Sie folg einen langgestreckten Zickzack-kurs, dabei schwebte sie auf und nieder. Ein-mal befand sie sich drei oder vier Meter überdem Gras, dann wieder tauchte sie tief bisauf den Boden hinab und wurde durch dieraschelnden Halme abgebremst.

Vertrocknetes Holz und Erdhügel wurdengetroffen, brachen splitternd und wurdenvon der Spitze des Bruzack zur Seite ge-schleudert. Prasselnd schlugen kleine Steinegegen das Metall und die einseitig durch-

sichtigen Flächen. Die Geschwindigkeitnahm zwar nicht ab, aber die Maschine gabeine Reihe von lauten, auffallenden Ge-räuschen von sich.

Eine Fehlschaltung! Die Fahrt geht zuEnde! schrie der Extrasinn.

»Ducke dich! Halte dich fest!« schrie ich.Mein Arm schnellte nach vorn, als derBruzack wieder einmal schleuderte und sichschräg stellte. Ich drückte die Schalter, vondenen ich wußte, daß sie das stählerne Ver-deck öffneten. Gjeima rutschte auf ihremSessel nach vorn und verbarg ihren Kopf inden hochgehaltenen Armen. Ich ließ mich,nachdem ich die Wirkung der Schaltungensah, einfach fallen und bereitete mich aufeinen Zusammenprall mit einem Felsen vor.

Einige Sekunden vergingen …Heulend und trompetend, mit knatternden

und donnernden Auspuffgeräuschen, in ei-nem verwirrenden Kurs, der uns hilflos un-ter den Sitzen herumschleuderte, bewegtesich die Maschine. Sie glich einem Boot, dasüber tobenden Wellen dahinraste. Im Innernknackte und summte es. Schaltungen erfolg-ten in rasender Schnelligkeit. Die Geschwin-digkeit nahm zu, dann bremste das Gerätwieder hart, kippte und beschleunigte aber-mals. Dieser abrupte Wechsel wiederholtesich mehrmals. Ich sah nichts mehr.

»Atlan! Sie wird uns töten!« kreischteGjeima undeutlich.

»Wir werden es überleben!« gab ich zu-rück. Ich spürte direkt körperlich, wie derBruzack mit erhöhter Geschwindigkeit di-rekt auf ein Felsmassiv zusteuerte und dortzerschellen würde.

Keine Panik!Wieder schwang sich die Maschine auf-

wärts, überschlug sich halb in einer Drehungum die Längsachse, dann tauchte sie abwärtsund verschwand im hohen Gras. Der Bodenschrammte über glatte Steine. Ein grauen-haftes Geräusch ging durch den Körper. DerBruzack wurde aus der Bahn geworfen,drehte sich mehrmals und schlug dann hartirgendwo an.

Ein splitterndes, knirschendes Geräusch,

10 Hans Kneifel

mit dem sich Metall verformte und Steinbrach. Eine Lawine von Steinen prasselteauf das Oberteil herunter. Ich bewegte mich,klammerte mich an die Polster und stemmtemich nach oben.

»Schnell, hinaus!« schrie ich. Mit einemdröhnenden Fanfarenstoß und einer Kettevon Explosionen löste sich der Antriebsme-chanismus auf. Ich roch Rauch vontrockenen Pflanzen. Ich krachte, als ich michnach oben schob, mit dem Rücken gegen dasArmaturenbrett und rammte den Schädel ge-gen ein Stück der Schaltung. Dann schwangich mich, mit beiden Händen zupackend, ausder Öffnung. Ich fiel ins Gras, wirbelte her-um und kam wieder auf die Beine. Ich warfmich nach vorn und griff nach den Armendes Mädchens.

»Los, laß dir helfen!« sagte ich kurz undzog Gjeima aus dem Bruzack heraus. Eineheiße, ölige Flüssigkeit war aus dem Heckausgetreten, versickerte im Boden und hattesich entzündet. Flammen züngelten, unddünne Fäden dunkelgrauen Rauchs erhobensich in der heißen Luft.

»Wir werden verbrennen, Liebling!«wimmerte Gjeima. Ich fing sie auf, als sievom Sitz heruntersprang. Ihr Anprall riß unsbeide zu Boden.

»Das können wir verhindern, wenn wirrennen!« murmelte ich, packte sie an derHand und sah mich zwei Sekunden lang um.

Dann begannen wir in die Richtung einerkleinen Insel zu rennen. Sie bestand ausdunkelgrünen, saftigen Gewächsen, die sichhinter dem hohen Gras erhoben. Nach vierSchritten explodierte ein Teil des Bruzack.Flammen schlugen hoch und breiteten sichaus. Einige Schritte später sah ich neben denFelsen eine dicke, schwarze Rauchsäule, diewie ein Signal schräg in die Höhe trieb.

Die rasende Fahrt nach Süden war zu En-de.

Aber noch lebten wir. Hungrig, durstig,waffenlos. Und wenn hier jemand lebte,würde ihn der Rauch dieses Feuers sehrschnell angelockt haben. Ich dachte an dieGrausamkeit der Kämpfe um Krothenbeet

und erschauerte. Um uns herum wogte undknisterte das Gras. Es war schulterhoch, undzahlreiche Tiere versteckten sich zwischenden Halmen. Ich hustete würgend; Blüten-staub legte sich auf die Schleimhäute undbrannte in den Augen.

2.

Von hier aus wirkte die Szene wie einTeil aus einem phantastischen Drama. Halbhinter der Ansammlung spitzkegeliger, zer-rissener Felsnadeln verborgen, brannte derrätselhafte Bruzack aus, den Dophor, Gjei-mas Vater irgendwo erstanden hatte. DieRauchsäule konnte kaum übersehen werden.Sie erhob sich aus dem Grasland und reichtebereits in eine erstaunliche Höhe, in der siezerfaserte und unter dem gefleckten Himmelnach Osten abtrieb.

Von der Stelle jenseits der Felsen, wo derzerstörte Bruzack ausbrannte, bis in den hal-ben Schatten unter den ersten, ausladendenÄsten eines großen, dichtbelaubten Baumes,führte eine breite Doppelspur. Es war unserWeg durch das hohe Gras. Hier, in einemKreisring um die Vegetationsinsel, wuchsdas Gras nicht mehr so stattlich; kleineSteinanhäufungen, Laub, trockenes Geästund kaum kniehohe Büsche unterbrachendie Grasfläche. Mitten in dem zusammenge-trampelten Pfad stand oder kauerte ein klei-nes Tier mit einem grünbraunen Fell undlangen Ohren.

»Was tun wir jetzt, Atlan?« fragte Gjei-ma, die sich mühsam beruhigt hatte undmeine Hand umklammerte, als wäre ich ihreinziger Halt.

»Wir versuchen weiterzuleben«, sagte ichleise. »Zuerst brauchen wir Wasser, Waffen,Essen und dann ein festes Ziel.«

Sie deutete auf das Dunkel unter denZweigen und Ästen und erklärte:

»Wir müssen uns zugespitzte Stöcke her-stellen. Wir werden Wasser finden. OhneWasser keine Bäume.«

Ich suchte nach meinem Messer und fandes, wie erhofft, im Stiefelschaft. Es war

Die Piraten der Mikrowelt 11

mehr als warm, und wir begannen in derdicken Kleidung zu schwitzen. Gjeimabückte sich und suchte drei mittelgroße Stei-ne zusammen.

»Was hast du vor?« fragte ich leise. Daskleine Pelztier sah uns unverwandt ausgroßen Augen an.

»Essen, Atlan. Wir müssen essen. Ich se-he keine Früchte, also brauchen wir einenBraten.«

»Du willst das Tier mit einem Stein erle-gen?« fragte ich ungläubig. Die Entfernungbetrug mindestens fünfzehn Meter.

»Mit drei Steinwürfen, ja!« bestätigte sie.Ich hatte vor, nach Süden weiterzuwan-

dern. Undeutlich sah ich über dem Horizonteine Art Gewitterwolke. Allerdings hüteteich mich, meine Erfahrungen allzu sehr indie Mikrowelt zu projizieren. Es konnteebensogut etwas anderes sein. Aber woWolken sind, gibt es meistens Wasser odereinen ausgedehnten Regenwald. Unterwegswürden wir uns von kleinen Tieren undFrüchten ernähren und versuchen müssen,Waffen zu finden oder herzustellen. Überdie notwendigen Fähigkeiten dazu verfügteich. Ra hatte mir vieles beigebracht. Wiederpackte mich das Heimweh nach Kraumonund die Sehnsucht nach meinen Freunden.Schon der Gedanke an den Bauchaufschnei-der munterte mich auf. Ich trat zurück in denSchatten und sah zu, wie Gjeima den Armhob.

Schnell nacheinander schleuderte sie diedrei Steine.

Der erste schlug hart hinter dem Tier indas verfilzte Gras. Das Tier schnellte sichmit einem weiten Satz nach vorn. Der zweiteStein surrte durch die Luft und traf das Tierin den Rücken. Es zuckte mitten im Sprungzusammen und fiel zu Boden. Dort zer-schmetterte der dritte Stein dem hasen-großen Tier den Schädel.

»Siehst du? Jetzt haben wir einen Bra-ten«, sagte Gjeima zufrieden. »Gib mir dasMesser, Liebling.«

Ich warf das Messer hoch, packte es ander Schneide und gab es ihr. Während sie

auf das Tier zulief, um es aufzubrechen undauszunehmen, hob ich einen dicken,trockenen Ast auf und trat ein paar Zweigedavon ab. Mit dieser primitiven Waffe aus-gerüstet, ging ich nach rechts.

Ich hatte vor, die nähere Umgebung zuuntersuchen.

Das Gras war feucht gewesen, und derBrand des Bruzack hatte kein Flächenfeuerausgelöst. Aber noch immer brannte die Ma-schine mit knatternden Flammen und be-trächtlicher Rauchentwicklung. Ein stechen-der Geruch breitete sich aus und scheuchtemehr Tiere auf als ich mit meinen Schritten.Hoch am Himmel sammelte sich langsamein Schwarm von Vögeln, die träge ihreKreise zogen.

Der Rauch. Er ist ein deutliches Signal.Dazu kommen die Vögel. Wenn in dieserGrasebene jemand haust, wird er die Zei-chen sehen und nachforschen! erklärte derLogiksektor.

»Richtig!« brummte ich und machte grö-ßere Schritte. Ich hielt mich genau an derGrenze zwischen niedriger und hoher Vege-tation. Ich sah Kotspuren, kleine Vogelne-ster in den Zweigen, den Rest eines Feuers,das vor Monaten hier gebrannt hatte, Kno-chen und zerbrochene Eierschalen. Schlan-gen und handgroße Echsen huschten vormeinen Stiefelabsätzen in Sicherheit. Plötz-lich betrat ich weichen Boden. Unter denSohlen preßte sich nasses Moos zusammen.Ich blieb stehen, blickte nach beiden Seitenund folgte dann der feuchten Spur. Sie führ-te in das Innere des kleinen Waldes hinein.Ich ging schneller, sprang über Wurzeln undschob mit den Armen Äste zur Seite, diepeitschend zurückfederten. Aus der nassenZone wurde, als Steine auftauchten, ein win-ziges, schmales Rinnsal, das den Walddurchquerte und mehr Zulauf erhielt, als icheinen leichten Abhang hinunterrutschte. Ichfolgte dem Wasserlauf und kam auf der ge-genüberliegenden Seite wieder aus demWald hinaus.

Hier war aus der Quelle bereits ein kleinerBach geworden, der über Sand und Steine

12 Hans Kneifel

lief und zwischen den Gräsern versickerte.Ich rannte halb um den Wald herum und

schrie:»Gjeima! Hierher!«Als ich auf die Stelle zurannte, an der ich

das Mädchen zurückgelassen hatte, sah ichkleine Büsche, an denen Früchte hingen. Ichmerkte mir die Stelle. Ich tauchte unter ei-nem breiten Ast hindurch und stand vorGjeima. Das Mädchen lachte mich an undhielt das ausgeweidete und abgezogene Tieran den Hinterläufen hoch.

»Ich habe Wasser gefunden«, sagte ich.»Und Früchte.«

»Wir brauchen nur noch Feuer«, erklärtesie, und offensichtlich schien Gjeima aus-nahmsweise im Augenblick nicht an Liebezu denken. »Holst du welches? Wir habenkeinen Feuerstein.«

Der Brand schwelte noch immer hinterdem Felsen. Ich beschrieb den Weg zumBachlauf und rannte dann davon, um Feuerzu holen. Als ich mit dem brennenden Astzurückkam, hatte Gjeima schon alles vorbe-reitet.

Das hasenähnliche Tier drehte sich überdem Feuer. Fett tropfte in die aufzischendenFlammen.

Auf gewaschenen Blättern lagen aufge-schnittene Früchte. Wir tranken Wasser mitder hohlen Hand. Nur das Salz fehlte.

Über uns hatte sich der Vogelschwarmvergrößert. Die Rauchsäule war vergangen,und die ersten Vögel schraubten sich ab-wärts, um über die Innereien des Tieres her-zufallen. Inzwischen war es Mittag oder spä-ter geworden. Ich lehnte mich an einenBaumstamm und schleuderte einen abgenag-ten Knochen ins Gras.

Denke an die kommende Nacht, warnteder Extrasinn.

Am Rand des Grasfelds tauchte der ge-hörnte Schädel eines Tieres auf, das ein klei-nerer Artgenosse der Krethor-Büffel seinkonnte. Das Tier warf uns einen Blick vollerMißtrauen zu, brüllte dann ärgerlich und sogden Geruch des Feuers und der Bratenrestein die Nase. Dann trollte sich das Tier

durchs Gras davon.»Wir gehen zu Fuß weiter, Atlan?« fragte

Gjeima. Das Bratenfett lief aus ihren Mund-winkeln.

»Ja. Nach Süden. Wir suchen uns für dieNacht einen sicheren Lagerplatz. Ich bin ei-nigermaßen ratlos.«

»Warum?«»Ich habe fest geglaubt, daß uns der

Bruzack dorthin bringt, wo er einmal gebautwurde. Das ist jetzt vorbei.«

Gjeima wußte nicht, was sie von meinemHang nach dem Süden halten sollte. Siefragte mißmutig:

»Warum willst du eigentlich dorthin?Was suchst du dort? Deine Heimat? Es istsicher sehr weit bis dorthin?«

Ich vermied es, sie anzusehen. Sie würdenur wieder glauben, daß ich sie zur Liebeauffordere.

»Ich suche einen Weg, diese Welt zu ver-lassen. Ich habe gedacht, daß ich es mit Hil-fe des Bruzack oder seiner Erbauer tunkönnte. Aber das ist nun vorbei. Ich weiß,daß die Maschine irgendwo dort hätte anhal-ten sollen. Also gehe ich zu Fuß in dieseRichtung.«

»Warum willst du unsere Welt verlas-sen?«

Erschrecke sie nicht zu sehr. Sie verstehtzu wenig, warnte der Extrasinn.

»Weil mein Ziel auf einer anderen Weltliegt. Ich bin nur ein Wanderer. Ich bleibenirgends lange.«

»Auch nicht bei mir?« Sie kroch langsamnäher.

Ich wich ein wenig zurück, aber ich sahein, daß es sinnlos sein würde, zu flüchten.Sie kannte nur dieses Ziel. Andererseitsbrauchte ich sie, denn sie kannte Tiere undFrüchte besser als ich.

»Ich fürchtete, auch unsere Bekanntschaftwird von kurzer Dauer sein«, wich ich aus.

»Das kann ich nicht glauben!« meinteGjeima und stand auf. Die letzten Vögel wa-ren inzwischen gelandet und stritten sich umdie wenigen Reste des Tieres.

»Du wirst es glauben müssen«, sagte ich.

Die Piraten der Mikrowelt 13

»Komm, gehen wir. Gib mir das Messer; wirsuchen uns einen Platz für die Nacht.«

Sie hauchte lächelnd:»Für die Nacht der Liebe, Atlan!«Ich schluckte eine Verwünschung herun-

ter und stand ebenfalls auf. Ich steckte dasMesser in den Gürtel, nahm den zugespitz-ten Ast mit dem Knollen an einem Ende indie Hand und sah in die Richtung derdunklen Wolken, die irgendwo im Südenschwebte.

»Man sagt, daß es weit im Süden großeWälder gibt!« murmelte das Mädchen, alsich in das Meer von Gras eindrang und inmittelschnellem Tempo geradeaus zu gehenbegann. Eine lange, schweißtreibende Wan-derung begann.

*

Einige Stunden später blieb ich stehenund stützte mich schwer gegen den heißenFels. Abermals hatte sich die Landschaftverändert.

Nicht grundlegend, denn sie bestand nachwie vor aus Wäldchen, Felsen und Gras.Aber das Gras war kurz und weitestgehendverdorrt, die Bäume waren kleiner, und dieFelsen zahlreicher. Dies hatte den Vorzug,daß wir den Horizont besser erkennen konn-ten.

»Kennst du die Gegend? Hast du irgendetwas davon gehört?« fragte ich und wischteden Schweiß und den Blütenstaub aus mei-nem Gesicht.

Weit im Westen sah ich wieder einenSchwarm Vögel. Sie waren winzig klein undschienen sich kaum zu bewegen. Gjeimadeutete in dieselbe Richtung.

»Ich kenne eine Sage. Im Westen ist eineHochebene. Ihr Name ist Jansonthen. DieMenschen sollen sehr geschickt sein, manerzählt sich viele Geschichten über ihre zau-berischen Künste.«

»Was weißt du noch von ihnen?«»Nichts. Nur Sagen. Ich glaube nicht, daß

es sie wirklich gibt. Keiner von uns hat jeeinen Menschen aus Jansonthen gesehen.«

»Ich verstehe«, meinte ich unschlüssigund nahm meine Wanderung wieder auf.

Zwischen der Wolke im Süden, die übereiner Art Mauer schwebte – diese Mauerstellte mit Sicherheit den Rand eines großenWaldes dar –, und unserem schattigen Platzlag die Ebene. Sie war völlig flach, wie eineTischplatte. Ich konnte nicht einen einzigenHügel entdecken. Die hügelige Zone lagschon ein gutes Stück hinter uns. Ich schätz-te den Abstand bis zum Waldrand auf etwadreißig Kilometer, wenn ich hier im Mikro-kosmos die gleichen Maße gelten ließ wiean anderer Stelle. Es war merkwürdig: seitdem Augenblick, in dem ich mich imSchnee nahe Krothenbeet wiedergefundenhatte, war ich nicht eine Stunde lang unsi-cher gewesen, irgendwann wieder in meinenormale Größe zurückzuwachsen.

Wir gingen weiter.Nicht mehr so schnell wie in den ersten

Stunden, aber in gutem Tempo. Die Vögelim Westen bildeten jetzt eine Kette undschienen näherzukommen.

Eine Stunde lang wanderten wir schwei-gend geradeaus.

Eine volle Stunde lang versuchte Gjeimanicht, mich zu verführen oder mehr oder we-niger zur Liebe im Schatten eines Buschesoder Baumes aufzufordern. Wir sahen ver-schiedene Tiere, wir stolperten über Steine,sprangen über träge dahinfließende Bäche,umrundeten Sandflächen und gingen immerwieder durch Zonen verdorrten Grases. DieHitze nahm nicht mehr zu, aber sie war großgenug. Wenn es in der Nacht nicht zu kaltwurde, dann konnte ich sicher sein, daß derBruzack uns tatsächlich in eine andere Kli-mazone entführt hatte. Jetzt verdichtetensich auch im Osten einzelne Strukturen zueinem dunklen Band, das wie ein weit ent-fernter Waldrand aussah.

Ich setzte mir für den nächsten Ruhepunkteine Marke. Sie lag etwa dreitausend Meterentfernt – ein grüner Fleck mit einigen Bäu-men neben einem Felsen, der wie eine abge-brochene Säule aussah. Als ich mich nacheiner Weile umdrehte, sah ich Gjeima nach

14 Hans Kneifel

Westen deuten.»Atlan!« rief sie. »Die Vögel dort! Es

sind gar keine Vögel!«Ich blieb stehen und starrte in die Rich-

tung. Tatsächlich! Aus den Punkten, die sichzu einer weit auseinandergezogenen Linieformiert hatten, waren deutlich unterscheid-bare Formen geworden.

Eine neue Gefahr! Verstecke dich! warnteder Extrasinn.

Ich wartete, bis Gjeima aufgeholt hatte,beschattete die Augen mit der flachen Handund spähte den eiförmigen Gegenständenentgegen.

»Das kann ich nicht glauben«, flüsterteich verblüfft. Ich ahnte, daß diese Welt aber-mals mit einer gewaltigen Überraschungausholte, um mich zu verblüffen. Natürlichgeschah nichts meinetwegen, aber was ichdort sah, ließ mich erstarren. Etwa ein Dut-zend Dinge, die aussahen wie riesengroßeEier, die dickeren Enden nach oben, mitschreiend bunten Linien und Punkten, Zick-zackmustern und Farbfeldern, Sternen undallerlei geometrischen Figuren bemalt.

Ballons! flüsterte der Extrasinn.Die Ballons flogen fast in gleicher Höhe.

Sie bildeten eine Linie, die sich schräg nä-herte. Der erste Ballon flog einige Meter hö-her als die anderen und schien Leitfunktionzu haben.

Gjeima rannte in mich hinein, weil sie un-verwandt die Ballons anstarrte. Sie kamenlangsam näher, völlig geräuschlos, nur vondem warmen, leichten Wind getrieben. Jetzterkannte ich die Taue, die sich netzartig überden Ballon spannten und einen Korb hielten.

»Was ist das dort, Atlan!« fragte Gjeimaund deutete mit zitternden Fingern auf dienäherdriftenden Objekte.

»Das sind Ballons!« sagte ich, noch im-mer starr vor Verwunderung. Sekunden spä-ter, nach einem erstickten Atemzug, begannGjeima gellend zu schreien.

»Ballons! Ballons!«Dann wandte sie mir ihr schreckensblei-

ches Gesicht zu und fragte:»Was sind Ballons, Atlan?«

Fasziniert betrachtete ich die näherschwe-benden Ballons. Etwa fünf- bis sechshundertMeter trennten den vordersten Ballon mitseinem würfelförmigen Korb von uns. Hat-ten sie uns gesehen? Im vordersten Ballonsah ich zwei Männer mit Helmen aus hellemMetall oder kahlrasierten Schädeln.

»Ballons«, sagte ich langsam und sah zu,wie die beiden Männer Ballast abwarfen,und wie der Ballon unmerklich seine Rich-tung änderte und auf uns zudriftete, »sindDinge, die leichter sind als Luft und deshalbschweben. Sie schweben so wie Luftblasenim Wasser.«

»Aber … da sind Männer! Es sind dieZauberer von Jansonthen! Wir müssenflüchten, Atlan! Sie bringen uns um!«

Ich blieb stehen und versuchte zu erken-nen, was die Ballonfahrer taten. Einer vonihnen warf köpf große Steine aus dem Korb.Ich sah, daß außerhalb der Ballongondel aneinem langen Arm eine Halbkugel hing, ausder Rauch aufstieg.

»Sie bringen uns nicht um! Sie kennenuns nicht«, erwiderte ich. Die Linie ändertegeringfügig ihre Richtung. Die Männer hat-ten uns gesehen. Ich sah sie gestikulieren,und aus den anderen Ballonkörben kamenentsprechende Antworten. Je näher sie ka-men, desto aufgeregter wurden sie. Als ichin der Hand eines der Männer einen Bogensah, griff ich nach Gjeimas Arm.

»Los! Wir versuchen, an ihnen vorbeizu-kommen. Sie treiben nach Osten. Wir müs-sen laufen, Mädchen.«

Sie nickte, und wir spurteten los. Nochzweihundertfünfzig Meter, aber die Reiheder Ballons war mindestens einen Kilometerlang. Wir rannten nach Süden. Ich sprangüber die Grasflächen, versuchte, in Deckungzu bleiben, aber die wenigen Sträucher ge-nügten nicht. Bleiche Holzstücke, die wieuralte Knochen aussahen, lagen im Gras undlösten sich in modrig stinkenden Wolken ausHolzmehl auf, wenn wir darauftraten. Dasdürre Gras raschelte unter unseren Schrittenauf. Hinter uns erhoben sich kleine Staub-wölkchen.

Die Piraten der Mikrowelt 15

»Schneller! Sie werden uns fangen!«keuchte Gjeima hinter mir.

»Sind sie bösartig?« rief ich zurück.»Ich weiß es nicht. Sie richten die Waffen

auf uns!«Ich blieb kurz stehen. Schweiß rann über

mein verstaubtes Gesicht. Jetzt erkannte ichdie Gondeln und die Männer darin sehr ge-nau. Wieder flogen einige Ballaststeine nachunten. In manchen Körben waren zwei, inden meisten drei Männer. Ihre Oberkörperwaren nackt, aber sie steckten in ledernenWamsen, die mit Metallplatten oder Nietenverstärkt waren. Der Mann im zweiten Bal-lonkorb legte einen langen Pfeil auf den Bo-gen, hielt die Spitze in die Nähe des Feuer-korbes, dann spannte er den Bogen und feu-erte einen Pfeil in unsere Richtung ab.

Sie greifen tatsächlich an! Flucht! befahlder Extrasinn.

Plötzlich bekam alles eine gefährliche Be-deutung. Der Einruck des Leichten, Schwe-benden war augenblicklich verwischt. DieLeute aus Jansonthen kannten uns nicht,aber sie griffen an. Der erste Brandpfeil, derüber uns hinwegheulte, eine Rauchspur hin-ter sich herzog und mit einem trockenenSchlag in den Boden fuhr, war der deutlicheBeweis.

Flieht! Schneller! Die Ballons sind nur inGrenzen steuerbar! meldete sich der Extra-sinn.

Wir rannten weiter. Ich zog Gjeima mitmir, aber ihre kurzen Beine konnten mitmeinen langen Schritten nicht mithalten.Wir keuchten und schwitzten, als wir unsereFlucht in Richtung Süden fortsetzten. Jetzthörte ich bereits die Kommandos, die zwi-schen den einzelnen Mannschaften hin undhergingen.

Wieder drehte ich mich um.Wir befanden uns jetzt in einem großen

Fleck staubtrockenen Grases, durchsetzt vonkleinen, dürren Büschen, an denen vertrock-nete Früchte hingen. Der brennende Pfeilwar am Rand der Grasfläche eingeschlagen.Augenblicklich begann das Gras zu brennen.Eine tödliche Falle baute sich auf.

»Schneller! Wir sind erst in Sicherheit,wenn wir feuchten Boden erreichen«, keuch-te ich und steigerte mein Tempo. Auch Gjei-ma strengte sich mehr an. Sie hatte begrif-fen, daß es um unser Leben ging.

Der erste Ballon befand sich hinter uns,aber in einer Höhe mit der Geraden unseresFlugwegs. Wieder spannte der glatzköpfigeMann in der Gondel seinen Bogen undschoß einen zweiten Brandpfeil hinter unsher. Das Geschoß schlug an anderer Stelleein und entfachte abermals einen neuenBrand. Die Zone des Brandes hatte sich ver-größert. Ein Halbkreis aus Rauch kroch hin-ter uns her.

Jetzt hörten wir auch das Knistern undPrasseln der Flammen. Eine warme Luftströ-mung würde aufsteigen und die Ballons hö-hertreiben, was uns aber nicht rettete. Wirversuchten, auf dem schnellsten Weg ausdem Grasfleck herauszukommen, aber dieFlammen wurden schneller, und der Gras-fleck schien kein Ende zu nehmen.

Von rechts schob sich der zweite in derReihe der Ballons heran. Er schwebte genauan die Stelle heran, an der wir uns in einigenSekunden befinden würden. Mir lief derSchweiß in die Augen, ich blinzelte. DerFührungsballon schwebte weiter und wurde,was den Angriff betraf, unwichtig, aber jetztkamen wir in den Bereich der gezieltenBrandpfeile des zweiten Ballons.

»Schließt sie ein!«»Der Fremde darf uns fnicht

entkommen!«»Sagt dem dritten, was zu tun ist!«Ich hörte die Kommandos über mir. Sie

waren in einem Dialekt gebrüllt, den ich ver-stand. Er war so ähnlich wie derjenige, dendie Leute von Krothenbeet sprachen. Wasich nicht verstand, konnte ich erraten undheraushören. Ich blickte nach oben.

Zwei Männer befanden sich in der Gon-del, die aus geflochtenem Material bestand,das wie Bast oder flachgewalztes Rohr aus-sah. Einer von ihnen warf gerade einen Bal-laststein nach Gjeima, der aber nicht traf.Der andere zielte mit einem Pfeil, dessen

16 Hans Kneifel

Spitze zu Rauchen begonnen hatte. Auchhier sah ich den Feuertopf außerhalb derKanzel, daneben hing ein tropfender Was-serschlauch. Der Pfeil jaulte durch die rau-cherfüllte Luft und schlug an einer Stelleein, an der das neu entstehende Feuer in denlanggezogenen Halbkreis des ersten Flä-chenfeuers übergehen würde. Ihr Ziel warklar. Sie wollten uns einschließen und töten,oder dann, wenn wir vom Rauch hilflos ge-worden waren, in die Gondeln hinaufholen.

»Gut«, sagte ich grimmig. »Ich werde eseuch zeigen.«

Ich riß Gjeima mit mir und spurtete los.Ich nahm meine letzten Kräfte zusammenund raste schräg nach Südosten, entferntemich also von dem anvisierten Punkt. Hinteruns bildeten die drei Feuer eine breite, nichtweniger als zweihundert Meter umfassendeMauer aus Rauch und Flammen, die sich mitderselben Geschwindigkeit näherte, mit derwir flüchteten. Zahllose Insekten surrten hinund her und kamen in den Flammen um. Ei-nige der hasenähnlichen Tiere rasten mitbrennendem und rauchendem Fell im Zick-zack durch das Gras. Wo sie rannten, bilde-ten sich neue Zentren der Flammen. In eini-gen Minuten würde das gesamte Grasfeldein einziges Meer aus Flammen und Rauchsein.

Wieder pfiffen einige Pfeile ins Gras,rechts und links von unserem neuen Flucht-weg. Ich stolperte. Ich fing mich wieder,aber meine Zehen schmerzten. Ich war übereine Ader aus scharfkantigen Steinen gestol-pert, die sich wie das ausgetrocknete Bett ei-nes schmalen Baches durch das Gras zog.Eine Idee ließ mich zusammenzucken. Ichhielt Gjeima an der Schulter fest und stießhervor:

»Du kannst gut werfen, Gjeima. Traust dudir zu, einen Ballon zu treffen?«

Sie nickte eifrig, und sofort sammeltenwir Steine in der richtigen Größe und mitscharfen Kanten auf. Über uns trieb derzweite Ballon vorbei und warf Ballast ab,um nicht in den direkten Bereich der Flam-men und des Rauches zu kommen.

»Groß genug ist er!« sagte Gjeima schweratmend mit langen Pausen zwischen den ein-zelnen Worten. »Welcher Ballon, Atlan?«

Wir rannten weiter, auf der Flucht vordem Feuer, das jetzt von hinten und vonrechts auf uns zukam. Die Sicht nahm im-mer mehr ab. Noch hatte uns der Rauchnicht erreicht, und wir befanden uns nicht inunmittelbarer Lebensgefahr. Aber die Fristnahm von Sekunde zu Sekunde ab.

»Der dritte. Er kommt gerade in der rich-tigen Geschwindigkeit näher.«

Wir änderten abermals unseren Kurs. Hin-ter uns schoß die Besatzung des zweitenBallons noch einige Male ins Gras und griffdann nicht mehr in den Kampf ein. Aber diebeiden Männer mit den spitzen Ohren undden großen, dunklen Augen sahen konzen-triert zu, was die Besatzung des folgendenBallons unternahm. Der erste Ballon hatteweit außerhalb der Feuerzone eine Leine miteinem Haken ausgeworfen und schwebte re-gungslos in dreißig Metern Höhe über derEbene. Vermutlich würde auch der zweiteBallon ein solches Manöver unternehmen.

Jetzt kam der dritte Ballon, etwas tieferschwebend, in die richtige Position. Ich hieltan und sah mich um.

Achte auf die Pfeile! beschwor mich derLogiksektor.

Noch waren Flammen und Rauch nichtheran, aber die Lage wurde bedrohlich. Gjei-ma holte aus und schleuderte mit allerWucht den ersten Stein. Er beschrieb eineleichte Kurve, schien weit unter der roten,grünen und mit einem breiten schwarzenMäander bemalten Hülle des eiförmigenBallons hindurchzufliegen, aber dann … ichsah, daß ich einer optischen Täuschung erle-gen war.

Der Stein traf und verschwand in der dün-nen Hülle. Ich sah nichts mehr als einenkopfgroßen Riß, der sich aber nicht erwei-terte. Sofort holte das Mädchen ein zweitesMal aus, und der zweite Stein traf die Hülleweiter oben, da der Ballon nähergetriebenund um einige Meter abgesackt war. DerBogenschütze feuerte einen nicht brennen-

Die Piraten der Mikrowelt 17

den Pfeil auf uns ab, aber wir warfen unsrechtzeitig auseinander.

Ich hechtete nach dem Pfeil, der im Bo-den steckte. Ich riß ihn heraus und brach ihneine Handbreit hinter der Spitze ab. So hatteich eine zweite Waffe. Der dritte Stein, gera-dezu virtuos von Gjeima geschleudert, rißentlang einer Naht oder Verbindungsstelleein langes Loch in die obere Hülle, und jetztwar der Ballon entscheidend getroffen.

»Renne weiter!« schrie ich. »Dorthin! Daist kein Feuer, und dort kommt auch keinBallon mehr vorbei! Schnell!«

»Und du?«»Ich versuche, einen Ballon in meine Ge-

walt zu bekommen!« schrie ich und ranntelos. Die Besatzung in der Gondel hatte dieGefahr erkannt. Der Ballon sank deutlichtiefer. Mehr und mehr Ballast wurde ausdem Korb geworfen. Der Korb begann zuschwanken und zu pendeln. Offensichtlichwaren die Hüllen mit einem leicht brennba-ren Gas gefüllt, denn in den Gesichtern derMänner sah ich deutlich die Panik. Sie küm-merten sich nicht mehr um mich, sondernnur noch um sich selbst. Als erstes sah ich,wie eine Strickleiter aus dem Korb gekipptwurde, die sich schnell aufrollte und auf denBoden aufschlug. Dort schleifte sie ein gan-zes Stück nach. Der Ballon sank, aber nichtso schnell, daß er innerhalb der Feuerzoneniedergehen würde. Ich schlug einen Hakenund spurtete auf die Stelle zu, an der die Lei-ter durch das Gras schleifte. Ein schnellerBlick nach rückwärts: Gjeima rannte schrägan einem Ausläufer des Feuers vorbei.

Ich war jetzt nur noch drei Sprünge vondem durchhängenden Teil der Leiter ent-fernt. Über mir sah ich, als ich beide Händeausstreckte und meine Muskeln spannte, denBoden des Korbes.

Achtung. Sie werden das zusätzliche Ge-wicht bemerken!

Ich nahm einen Anlauf und sprang. MeineHände klammerten sich um eine Strebe, ichwurde nach vorn und zur Seite gerissen. Ei-nige Sekunden lang hing ich hilflos in derLuft, dann wirkte sich das zusätzliche Ge-

wicht aus.Die Gondel sank tiefer.Ich zog meine Beine an und konnte den

rechten Fuß auf eine Sprosse stellen. Sofortgriff ich höher und umklammerte die näch-ste Sprosse. Die Leiter knickte ab, und ichwurde durch das aufstaubende Gras gezerrt.Wieder zog ich mich höher. Ich warf einenBlick nach oben und sah in der letzten Se-kunde den schweren Ballaststein, der haar-scharf an meiner Schulter vorbeifiel und dasEnde der nachschleifenden Leiter traf.

»Ich werde … es euch zeigen!« keuchteich und zog und stemmte mich Sprosse umSprosse höher. Der Ballon sank immertiefer. Jetzt betrug der Abstand zum Bodennur noch fünfundzwanzig Meter, nicht mehr.

Ich wurde nach vorn gerissen, schaukeltehin und her, aber ich war frei vom Boden.Einen Augenblick lang orientierte ich mich.Weit hinter mir waren die anderen neun Bal-lons, Gjeima rannte um ihr Leben, aber siewürde gerade noch am ersten Ausläufer desFeuers vorbeikommen und einen grünenFleck erreichen. Dann allerdings war sie imBereich der nächsten Gondel. Der erste Bal-lon hatte einen Anker ausgebracht, der zwei-te Korb begann ebenfalls zu schaukeln, alsder zweite Schlepphaken griff. Die Ballonsschwebten über einer saftiggrünen Zone ausBüschen und kleinen Bäumen.

Ich legte den Kopf in den Nacken. Jetztbefand ich mich fünf Meter unterhalb desKorbes. Das wilde Schaukeln hatte aufge-hört, aber der Ballon sank weiter nach unten.Ich setzte zu einem letzten Angriff an undzog mich Holm um Holm höher, so schnelles ging.

Wasser tropfte mir auf den Kopf. Ein paarSteine sausten unschädlich an mir vorbei indie Tiefe. Unter mir brannte das Gras; dreiStreifen Feuer bildeten ein Dreieck. Schrägtrieb der graue Rauch aufwärts und ließmich husten. Meine Augen begannen zu trä-nen, aber ich hatte weder Zeit noch Gelegen-heit, mich darum zu kümmern. Jetzt um-klammerten meine Hände diejenige Sprosseder Strickleiter, die auf gleicher Höhe mit

18 Hans Kneifel

dem Korbboden war. Obwohl ich wie beses-sen geklettert war, befand ich mich noch im-mer gleich weit vom Boden entfernt. DerBallon, aus dem das Gas entwich, beschriebeine abwärtsweisende Gerade. In wenigerals zweihundert Metern würde er den Bodenberühren.

Versuche, in den Korb zu gelangen! flü-sterte drängend der Extrasinn.

Ich streckte den Kopf vor.Die beiden Männer schienen noch immer

in panischem Schrecken zu versuchen, denAbstieg des Ballons zu verhindern. Der Bal-lon, den ich entern wollte, war zudem lang-samer geworden, und ich konnte hören, wiedie Besatzung der nächsten Gondel zuschreien begann. Sie sahen mich inmittender Rauchschwaden unterhalb des Korbesschaukeln. Ich zog mein Messer aus demGürtel und klemmte es zwischen die Zähneund zog mich in einer letzten Anstrengunghoch. Ich griff gerade nach dem Rand desKorbes, als einer der Männer sich umdrehteund mich sah.

Er schrie einen Namen oder einen Begriff,den ich nicht verstand, dann hob er einendicken Schlagstock hoch und zielte nachmeinen Händen. Ich löste blitzschnell die ei-ne Hand und griff, nachdem das Vorderteildes Stockes schwer in das Flechtwerk desKorbes schlug, nach dem Ende.

Der Ballonfahrer riß wütend daran. Ichnutzte den Zug aus, stieß mich ab und ließmich halb in den Korb hineinziehen.

Dann griff ich an.Ich riß das Messer zwischen den Zähnen

hervor und sah, daß der andere Mann kaumin den Kampf eingreifen würde. Er war da-mit beschäftigt, aus einer merkwürdig ausse-henden Apparatur Gas in den Füllschlauchströmen zu lassen. Es sah aus, als würde dasGas durch einen chemischen Prozeß erzeugt,zu dessen Fortgang sie die Feuerschalebrauchten.

»Hör auf!« brüllte ich, kappte mit demMesser eines der Halteseile und wehrte mitUnterarm und Schulter die Schläge des an-deren Mannes ab.

Der Mann, der versuchte, mich wieder ausdem Korb hinauszudrängen, war dürr wieein Skelett und kahlköpfig. Seine Augen tra-ten weit hervor, sie waren groß und dunkel.

»Hört auf!« schrie ich ihn an. »Wir sindharmlose Wanderer!«

Er starrte mich grimmig an, während ichmit einem Schnitt das zweite Halteseil kapp-te. Der Korb kippte um einen halben Meter,und als der Ballonfahrer auf mich zustolper-te, schlug ich zu und traf sein Handgelenk.Der Schlagstock wirbelte durch den Rauchdavon. Ich trieb den Verteidiger mit demMesser zwei Schritte zurück in eine Eckeund preßte ihn gegen den Rücken des ande-ren, der an seinem Gerät hantierte.

»Wir sind keine Feinde!« wiederholte ich.»Aber ihr seid zwischen uns und dem

Ruinenwald. Ihr seid die Barbaren, die unsimmer wieder angreifen.«

»Wir kommen weit aus dem Norden«,sagte ich und stach eine Finte mit dem Mes-ser, um zu verhindern, daß er zu einer ande-ren Waffe griff. »Und wir haben euch nichtangegriffen.«

Der andere Ballonfahrer schrie plötzlichauf und sprang zur Seite. Die Gondel gerietin heftige Schwankungen, und ohne daß dieSchneide meines Messers ein Seil berührte,riß ein weiteres Haltetau aus der Befestigungdes Korbes. An dem dünnen Füllschlauchdes Ballons kroch rasend schnell eine winzi-ge Flamme hoch.

»Er brennt! Hinaus aus dem Korb!« schrieder Ballonfahrer. Ich senkte das Messer undblickte nach oben.

Ich hörte das Summen und Brausen derFlammen. Das Gas brannte an einer Stelle,die wir nicht sahen. Vermutlich an demgroßen Riß fast am oberen Pol des Ballons.Dort war das große Loch, das Gjeimas Steingerissen hatte. Die Abwärtsbewegung desBallons wurde schneller, der Boden schoßuns förmlich entgegen. Ich sagte kurz:

»Hinaus! Schnell! Sonst verbrennen wir!Ich helfe euch!«

Ich steckte das Messer ein, machte kurzdie Geste des Friedens und schwang meinen

Die Piraten der Mikrowelt 19

Körper auf den Rand des Korbes. MeineFußspitzen berührten die erste Sprosse derLeiter. Aus den anderen Gondeln schrien dieMannschaften und deuteten auf uns. Ichstreckte die Hand aus und versuchte, einemder dünnen Männer zu helfen.

Im gleichen Augenblick spannte sich dieStrickleiter. Es gab einen harten Ruck, dermich und den einen Ballonfahrer förmlichzur Seite katapultierte. Der Ballon hatte sichquer gelegt, er brannte mit laut heulendenFlammen, und wir landeten in dem netzför-migen Geflecht der Halteseile, die sich zwi-schen Korb und Ballon spannten.

Dann, am Ende der Strickleiter, die sichirgendwo festgehakt hatte, krachte der Korbauf den Boden. Die Gaserzeugungsanlagedetonierte mit einem peitschenden Knall.Glühende Stücke flogen nach allen Richtun-gen, und jetzt begann auch das Unterteil desBallons zu brennen.

Und die glühenden Teile des Fahrzeugssetzten an vielen Stellen das Gras in Brand.Ich rollte mich zur Seite, aber die Ballonhül-le senkte sich auf uns. Verzweifelt versuchteich, meine Arme und Beine aus den Schlin-gen der Taue zu befreien, aber ich würde esnicht mehr schaffen. Auch nicht die beidenanderen Männer.

3.

Es gab keine Möglichkeit mehr. Die Frontdes Bodenfeuers kam näher und war nurnoch zehn Meter entfernt. Ich sah direkt indie Flammen. Der Rauch bildete an drei Sei-ten rund um den brennenden Ballon einedichte Wand.

Der eiförmige Ballon schlug auf und zer-riß. Das Material brannte, die farbigen Strei-fen und Felder färbten sich braun undschließlich schwarz, dann wirbelte das Ma-terial in Flocken davon. Das Gras flammteauf. Ich bekam einen Arm frei, stützte michauf und zog den rechten Fuß aus dem Netz.Eine Woge Gas kam auf mich zu und mach-te mich halb bewußtlos.

Weg vom Feuer! Rette dich! schrie der

Extrasinn.Ich kam taumelnd auf die Beine. Wieder

sackte ein Teil des Ballonmaterials zusam-men. Flammen zuckten puffend durch dieLuft. Ich stolperte mit brennenden und trä-nenden Augen aus dem Bereich des aufflam-menden und sich auflösenden Ballons undholte würgend Luft. Dann sah ich wiederklar, die Benommenheit wich.

Einer der zwei Männer kroch auf allenvieren aus dem Bereich der Schlingen her-aus. Ich machte einen Satz, packte ihn amArm und rannte mit ihm durch die Flammenin den Bereich der weißen Asche hinaus.

»Bleib hier!« stieß ich hervor.Dann holte ich tief Luft, stürmte in die

Richtung des schwelenden Korbes undpackte den leblos daliegenden zweiten Mannunter den Achseln. Ich bot meine letzteKraft auf, um ihn durch die Trümmer desBallons und durch den Rauch nach außen zuziehen. Dann knickte ich in den Knien zu-sammen und fiel in den heißen, aufstauben-den Ruß und die weiße Asche.

Ich wurde wach, als ich spürte, daß sichjemand an meinem Kopf zu schaffen mach-te. Zuerst fühlte ich etwas Kühles, Feuchtesüber den Augen, dann hob ich mühsam denKopf.

Ich blickte in Gjeimas breites Gesicht. Siestarrte mich besorgt an und wischte immerwieder mit einem feuchten Fell über meineStirn.

»Ich habe dich abstürzen sehen, Lieb-ling!« sagte sie besorgt.

»Sind die beiden anderen in Sicherheit?«fragte ich mühsam.

»Ja. Dort! Ihre Leute …«Sie drehte meinen Kopf. Ich sah zwei Bal-

lons, die nebeneinander auf der Stelleschwebten. Von ihnen gingen lange Doppel-seile aus und endeten am Boden. Vermutlichhatten sich die Anker festgehakt. Stricklei-tern führten hinunter in die Asche. Zwei be-waffnete Männer kamen langsam näher. Sieschwiegen, aber sie blickten irgendwie ver-wundert.

Die beiden Männer blieben regungslos

20 Hans Kneifel

vor uns stehen. In den Händen trugen siehalblange, gebogene Schwerter, deren Spit-zen breiter als die Klingen unterhalb desGriffes waren. Die langen, einwärts ge-krümmten Dornen der Spitzen deuteten indie Asche.

»Ihr seid Barbaren aus dem Ruinen-wald?« fragte schließlich der ältere der zweiBewaffneten.

»Wir sind Bewohner des Nordens!« sagteich und richtete mich mit Gjeimas Hilfe insitzende Stellung auf.

»Keine Barbaren? Warum seid Ihr ge-flüchtet?«

Gjeima sprang auf die Füße, stemmte dieArme in die Hüften und schrie die Männeran.

»Nein, keine Barbaren! Atlan ist einMann aus dem Süden, und ich bin die Toch-ter Dophors. Wir kamen im Bruzack! Ihrhabt den Rauch gesehen?«

»Ja. Warum seid ihr gerannt, als ihr dieBallons saht?«

Ich röchelte:»Wir flüchteten erst, als der erste Pfeil ab-

geschossen wurde.«Ich versuchte, aufzustehen. Ich schaffte es

erst, als Gjeima mir half. Die zwei Ballon-fahrer lagen nach Luft schnappend auf demBoden. Auch ihre Gesichter waren gereinigtworden. Zwischen uns lag der Wassersack –Gjeima mußte ihn geholt haben.

»Woher kommt ihr?«Ich antwortete und vergaß nicht, die aben-

teuerliche Fahrt mit dem Bruzack zu schil-dern. Die Verständigung war leichter, als ichgedacht hatte.

»Und wohin wollt ihr?«»Dorthin, wo die Maschine hin wollte. Ich

denke«, erklärte ich und registrierte, daßmeine Kräfte langsam zurückkehrten, »daßdie Erbauer des Bruzack mir helfen kön-nen.«

»Es gibt niemanden, der eine solche Ma-schine bauen kann. Sie ist vielleicht aus demRuinenwald. Kennt ihr die Barbaren vomRuinenwald?«

»Wir kennen nicht einmal den Ruinen-

wald«, entgegnete ich. »Und jetzt – kämpfenwir weiter, oder sind wir so etwas wieFreunde?«

Große, hervorquellende Augen mustertenmich abschätzend und ein wenig verwun-dert. Die Hosen aus gutem Tuch lagen dichtan, die Füße der Männer steckten in leichtenStiefeln. Sie machten den Eindruck kühner,vagabundierender Leute. Ich mußte, wennich sie ansah, an Piraten denken.

»Du hast zwei Männer aus den Flammengezogen!« war die knappe Antwort. Ichdrehte den Kopf und sah hinüber, wo dieschwelenden Reste des Ballons lagen.

»Ich habe die Männer gerettet, die mitBrandpfeilen nach uns geschossen und unsbeide beinahe getötet haben. Vielleichtreicht es euch!«

Ich deutete auf die Männer neben mir, diegerade versuchten, aufzustehen. Sie hattenmehr Rauch geschluckt als ich. Ihre Gesich-ter sahen schlimm aus.

»Es reicht. Wir danken euch. Ihr seid kei-ne Barbaren … aber du, Fremder! Du bistnicht wie wir!«

»Du sagtest es schon«, gab ich zurück.»Ich bin fremd hier. Ich komme weit ausdem Süden. So weit, daß es schon eine ande-re Welt ist.«

Gjeima murmelte:»Ich weiß heute noch nicht, wie du zu uns

gekommen bist, ohne das Land zu kennen,das zwischen deiner Heimat und Krothen-beet liegt.«

»Ich war nicht bei Sinnen«, entschuldigteich mich. »Wohin fliegen eure Ballons?«

»Zum Ruinenwald.«»Wo ist der Ruinenwald?« fragte ich. Ich

versuchte, nicht zu neugierig zu wirken.»Dort, im Osten.«»Und wie kommt ihr mit den Ballons wie-

der zurück nach Jansonthen, das im Westenliegt?«

Die Männer lachten und halfen endlich ih-ren Kameraden. Die beiden Männer, derenBrauen versengt waren, tranken das Wassermit gierigen Schlucken.

»Wir warten auf günstige Winde.«

Die Piraten der Mikrowelt 21

»Ich verstehe. Ich war auf dem Weg nachSüden. Wir sind vor der Vernichtung ge-flüchtet, denn Barbaren griffen uns an. Sieritten auf Büffeln. Und ein sehr merkwürdi-ger Apparat brachte uns bis dorthin. Er zer-schellte an einem Felsen. Wir gingen zu Fußweiter. Ich hoffte, die Erbauer des Bruzackkönnten mir zu bestimmten Einsichten hel-fen.«

»Vielleicht findest du eine ähnliche Ma-schine in den Ruinen. Willst du mit unskommen?«

Gjeima schlug die Hände vors Gesichtund fragte aufgeregt und ungläubig:

»Ihr meint, in euren fliegenden Dingern?«»Genau das meine ich. Wollt ihr euch uns

anschließen? Wir brauchen Hilfe und Helfer,und die Ruinen sind sehr bemerkenswert.«

»Wie ist dein Name?« fragte ich und deu-tete auf den Mann, der mit größter Autoritätsprach und irgendwie den Eindruck einesAnführers machte.

»Ich bin Darrnogh, Fremder. Und du?«»Mein Name ist Atlan«, erwiderte ich.

»Schließen wir Frieden, Darrnogh?«»Schließen wir Frieden, ja!«Ich streckte meine Hand aus. Auch diese

Männer waren um mehr als einen Kopf klei-ner als ich, aber nicht so wuchtig gebaut wieDophors Leute oder seine Töchter. Ich lach-te kurz; die Kette von Abenteuern, die mirmehr oder weniger sinnlos erscheinen muß-ten, riß nicht ab. Und das ferne Ziel war dieverschwindend geringe Möglichkeit, mitHilfe einer Maschine, einem Super-Bruzacketwa, diese Dimension zu verlassen. Ichschüttelte die Hände von Darrnogh und demanderen Mann, der Pverganth hieß. Dannwandte ich mich an Darrnogh:

»Ich suche eine junge Frau, die so ähnlichaussieht wie ich. Ihr Name ist Crysalgira. IhrBegleiter ist ein Wesen mit dem NamenGrek. Er hat folgendes Aussehen …«

Ich schilderte in wenigen Sätzen die Cha-rakteristika eines Maahks. Dann schloß ichmeine Frage ab.

»Habt ihr sie gesehen? Wißt ihr etwas vondem Mädchen und dem Grek? Kennt ihr je-

manden, der euch etwas erzählt hat? Dennihr selbst habt gesagt, daß ihr mit den Bal-lons weite Strecken zurücklegt.«

Pverganth und Darrnogh schüttelten lang-sam die Köpfe.

»Nein. Wir wissen nichts. Wir haben auchnichts von solchen Fremdlingen gehört. Die-se Welt ist groß und voller Rätsel, und wirkennen nur ein paar von ihnen. Der Ruinen-wald ist eines von ihnen.«

Darrnogh richtete seinen Blick nachOsten und schien an Dinge zu denken, diewir nicht sehen konnten.

»Nein«, wiederholte er. »Wir habennichts gesehen und gehört.«

Das Feuer, das im Gras keine Nahrungmehr gefunden hatte, war an zwei Seiten er-loschen, weil es im feuchten Gras keineNahrung mehr gefunden hatte. Ein Streifenbrannte weiter und entfernte sich in Rich-tung Süden. Die Gewitterwolke über demfernen Wald hatte sich verdichtet und ver-größert. Sie schien näherzukommen.

»Ihr fahrt zum Ruinenwald?« fragte Gjei-ma.

»Ja. Wollt ist mitkommen? Dein Freundsieht aus, als könnte er uns bestimmte Dingeerklären.«

»Ich komme mit!« sagte ich sofort.Es war die richtige Entscheidung, sagte

der Extrasinn.»Tatsächlich? Das wird bei der Verteilung

Probleme geben«, erklärte Darrnogh. »Aberdas regeln wir später.«

Pverganth deutete nach Südosten unddann auf die Ballons, die jetzt in vorbildli-cher Anordnung in einer schrägen Reihehintereinander ankerten.

»Wir müssen noch vor Anbruch der Nachtdort sein. Los, in die Gondeln. Du und dasMädchen – ihr solltet zu Scaltok einsteigen.Drei Personen passen gut in einen Korb.«

»Einverstanden.«Ich nahm Gjeimas Hand und folgte Darr-

nogh, der auf den übernächsten Ballon zu-ging. Schon bevor wir den Korb erreichten,der wie alle anderen etwa zehn Meter überdem Boden schwebte, schrie Darrnogh eini-

22 Hans Kneifel

ge Befehle. Sie waren unverständlich fürmich.

»Hinauf!« lachte Darrnogh. »Und wennes ernst wird, in dem Korb sind genügendgute Waffen.«

Ich schluckte.»Ihr rechnet mit weiteren Kämpfen, Darr-

nogh?« fragte ich leise.»Das ganze Leben ist ein einziger

Kampf«, versicherte er mit einem trockenenGrinsen. »Beeilt euch, wir müssen weiter.«

Wir enterten die Strickleiter, währendDarrnogh weitere Anordnungen brüllte, dievon Gondel zu Gondel weitergerufen undbestätigt wurden. Ein einzelner Mann ranntevon einem Anker zum anderen und riß dieMetallhaken aus dem Boden. Dann schwanger sich auf eine Strickleiter, die aus dem elf-ten Ballonkorb pendelte und kletterte hinauf.

Lautlos setzten sich die Ballons in Bewe-gung. Der Wind hatte, das sah ich deutlichaus dem immer höher kletternden Korb, einwenig gedreht und wehte nun nach Süd-osten. Genau dorthin, wo die dunkle Wolkeaufhörte.

Ich lehnte mich gegen die federnde Ge-flechtwand des Korbes und sah zu, wie dieKonturen des Bodens kleiner und schärferwurden. Lautlos, immer schneller, in immergrößerer Höhe, nur begleitet vom Zischenausströmenden Gases und gelegentlichemBrummen oder Knurren des kahlköpfigenMannes aus Jansonthen.

Was war die Ruinenstadt im Dschungel?Was suchten die Piraten dort?Warte es ab! empfahl der Extrasinn.

*

Ich versuchte mich zu entspannen. AuchGjeima, die auf einer Stange saß, schwiegim Augenblick. Die Stange ging von einerSeite des Korbes zur anderen und bildeteeinen primitiven Sitz. Aus der kleinen Anla-ge, die aus einem runden Keramiktopf, eini-gen Röhren und einer vernieteten Eisen-schachtel bestand, fauchte ein Gasstrom indas Füllrohr in der Mitte der Gondel.

In einer Ecke lehnten zwei lange Bögen.»Scaltok?« fragte ich halblaut.»Was gibt es, Fremder?«»Mein Name ist Atlan, Bruder der Luft.

Meine Frage: wohin genau fliegen wir?«Scaltok wandte sich um. Vor ihm war die

Gondel von einem Netz aus Pflanzenfasernabgeteilt. Dort Jagen die schweren Ballast-steine und anderes Zubehör. Scaltok sahebenso aus wie die anderen, aber zwischenseinen Brauen gab es auf seinem kahlenKopf eine grüne Locke, die sich in die Stirnkringelte.

»Wir steuern den Ruinenwald an, Atlan.Er liegt mitten im Dschungel.«

Ein Ruinenwald im Dschungel. DieseMänner, die mehr denn je den Eindruck vonPiraten machten, segelten mit ihren elf Bal-lons in etwa dieselbe Richtung, die derBruzack eingeschlagen hatte. Ich mußte an-nehmen, daß es zwischen den Ruinen undder seltsamen Maschine einen direkten Zu-sammenhang ab. Ruinen! Das bedeutete, daßdiese Stadt, oder was immer es war, ausge-storben und uralt war. Also gab es auch kei-ne Bewohner mehr. Ich mußte annehmen,daß die Ballonfahrer von Jansonthen Piraten,Räuber und Plünderer waren. Was gab es inden Ruinen zu plündern?

»Gut. Wir fliegen also über die Ebene,über einen Teil des Waldes …«

»Richtig, Atlan.«»Und irgendwo im Wald dort drüben«,

ich deutete in die entsprechende Richtung,»liegen die Ruinen. Ihr sucht dort nach Din-gen, die ihr brauchen oder mit denen ihrhandeln könnt. Richtig?«

Er nickte. Er schien ein ruhiger Mann zusein und nicht sehr redselig.

»Ja.«»Darrnogh ist euer Chef, euer Häupt-

ling?« fragte ich weiter. Gjeimas Blicke gin-gen halb verständnislos von einem zum an-deren. Sie scheute sich, aus so großer Höheden Erdboden anzusehen.

»Er ist der Mann, der die meiste Beute be-kommt«, erklärte Scaltok. »Und er führt unsimmer wieder an die besten Plätze. Er ist der

Die Piraten der Mikrowelt 23

Fürst der Ruinen. Und er kämpft am besten.Ja, er ist unser Häuptling.«

»Jetzt verstehe ich alles!« murmelte ich.Wir folgen einmal ziemlich direkt nach

Süden, dann wieder trieb uns der flotte Windnach Südosten. Unter uns zeichneten sichGrasgebiete ab, kleine Stein- oder Sandflä-chen, dann wieder ein halb ausgetrockneterBachlauf.

Keine Reste von Gebäuden, Straßen oderBrücken.

Nicht die Spur irgendwelcher technischerEinrichtungen. Auch keine Zeugen, die mirsagen würden, daß es hier Zerstörungen ge-geben hatte, die von schweren Waffen oderBomben herrührten.

Inzwischen hatte ich begreifen müssen,daß für die Mikrowelt dieselben Gesetze desLebens galten, die ich gewohnt war. Es gabkeinen Unterschied.

»Wann erreichen wir die Ruinenstadt?Den Ruinenwald?« erkundigte ich michnach einer Weile, in der ich den Flug genos-sen und zwei Becher des Wasservorrats ge-trunken hatte.

»Ich denke, wir können noch vor Beginnder Dunkelheit dort ankern. Ich weiß abernicht, ob Darrnogh einen guten, unberührtenAnkerplatz findet.«

»Das ist klar.«Ich war, ebenso wie Gjeima, müde und

hungrig. Bisher war ich nicht in der Lagegewesen, auch nur ein einziges Teilziel mei-ner Vorhaben zu erreichen. Langsam kamdas dunkle Band des Waldrands näher. Ichblickte nach den anderen Ballons, die einevorbildliche Flugordnung einhielten. Waswürde mir dieser Aufenthalt bei den Ballon-fahrern einbringen?

Trotz aller Gewißheit, daß ich meinSchicksal nur bis zu einem bestimmtenPunkt beeinflussen konnte, begann ich unge-duldig und nervös zu werden. Aber diesesruhige Schweben beruhigte meine aufge-wühlten Nerven.

*

Fasziniert hing ich über dem geflochtenenRand der Gondel und blickte nach unten.Wir schwebten hundertfünfzig Meter überdem Boden und etwa hundert Meter überden Wipfeln der höchsten Bäume. In derlangsam einsetzenden Dunkelheit wirkte derDschungel gefährlich und geheimnisvoll.Mein Herz begann heftiger zu schlagen.

Ein optischer Eindruck kann täuschen,flüsterte der Extrasinn drängend.

»Das kann gut möglich sein«, meinte ich.In unserem Rücken ballte sich die Wolke

immer mehr zusammen. Sie hing wie dieTrombe eines Vulkans über dem Dschungel.Der Ballon des Anführers ging langsamtiefer.

»Werden uns die Tiere angreifen?« fragteGjeima. Scaltok lachte gutmütig.

»Nicht, solange wir in der Luft sind!« warmeine Antwort. Ich sah nur Laub und Lia-nen, einzelne Vögel mit weißen Schwingen,die zwischen den Wipfeln hin und her flo-gen, verschwanden und wieder auftauchten.Vieltausend verschiedene Tierstimmenschrien, kicherten und heulten dort unten. Zuuns drang nur ein Summen, ein unbestimm-ter Geräuschpegel herauf.

»Wie weit ist die Stadt vom Dschungel-rand entfernt, Scaltok?« wollte ich nach ei-ner weiteren Zeitspanne wissen.

»Siehst du den Berg dort hinten?«Ich hob den Kopf und starrte in die heiße,

flimmernde Luft über dem riesigen Regen-wald. Tatsächlich! In mehr als zwanzig Ki-lometern Entfernung ragte mitten aus demdunkelgrünen Meer unter uns ein Berg auf,der wie ein spitzer Vulkankegel aussah.

»Ja. Ich sehe.«»Rund um diesen Berg liegt die Stadt.

Wir kennen nur einen kleinen Teil von ihr,denn wir sind erst seit zehn Jahren in diesenLuftströmungen unterwegs.«

»Aber ihr kennt die Technik der Ballonsschon länger?«

Die Antwort verblüffte mich. Wenn esstimmte, dann gab es hier kaum technischeWeiterentwicklungen.

»Seit zehn Generationen fliegen wir mit

24 Hans Kneifel

den Ballons in alle Teile unserer Welt. Wir,die Leute aus Jansonthen, kennen die Weltam besten. Lasse dir von Darrnogh dieChronik erzählen; er kennt sie fast auswen-dig.«

Zehn Generationen! Mindestens dreihun-dert Jahre meiner Rechnung! Eigentlich hät-te ich nach dieser Auskunft riesige, mitsämtlichen Raffinessen ausgerüstete Ballonserwarten müssen, aber tatsächlich schienendie geringen technischen Möglichkeiten eineWeiterentwicklung nicht zuzulassen. Ichblickte nach links und sah, wie die Besat-zung des Führungsballons zu winken be-gann.

Scaltok schaute hinüber, nachdem ich ihmein Zeichen gegeben hatte.

»In Ordnung«, murmelte er. »Wir werdenlanden. Seht genau zu, was Darrnogh tut.Wir ankern wieder in einer Linie.«

»Ich versuche es.«Der Wind war einmalig günstig. Er trieb

die langegezogene Kette der Ballons, dieüber der grünen Fläche mit ihrer schreiendenBemalung mehr als fremd wirkten, genauauf den abgeschnittenen Berggipfel zu. Ichsuchte unter uns nach Einzelheiten.

»Was suchst du, Atlan?«Gjeima hatte sich näher herangeschoben

und preßte ihre Hüften gegen mich.»Ich weiß es selbst nicht. Einzelheiten. Ir-

gendwelche Dinge. Die Ruinen.«»Ruinen?«»Ja. Ich vermute, daß derjenige, der dei-

nem Vater den Bruzack verkaufte, ihn hieraus dem Dschungel geholt hat.«

Die Bäume standen dicht und gleichmä-ßig. Hin und wieder sah ich dort, wo einerder Bäume umgestürzt war, eine Bresche,die mit kleineren Pflanzen gefüllt war. Ichkonnte nichts bemerken, wenn ich schrägnach unten blickte. Nur im Blickfeld senk-recht nach unten zeichnete sich hin und wie-der etwas ab, das ich als Fragment einesStraßenstücks, einer Brücke oder eines Ge-bäudes erkannte.

»Siehst du, Scaltok, was ich sehe?« fragteich. Scaltok rollte das Seil für den Anker auf

und schraubte an seiner Gaserzeugungsanla-ge.

»Ja. Die ersten Teile des Ruinenwalds.Der erste Teil der Stadt. Achte auf Darrno-gh!«

»Genau das tue ich!«Meine Aufregung wuchs. Was ich bis

jetzt gesehen hatte, entmutigte mich. Es wa-ren Ruinen gewesen, die bis zur Unkennt-lichkeit überwuchert und verfallen waren.Aber vielleicht gab es im Zentrum der Rui-nen lohnenswertere Dinge.

Der erste Ballon trieb jetzt, keine fünfMeter über den höchsten Wipfeln, vor demabgeschnittenen Bergkegel vorbei. Ich sah,wie Darrnogh oder sein Partner den Ankernach unten schleuderte. Der Haken blitzteim letzten Licht auf. Aber noch war der An-ker nicht bis zum Boden heruntergelassenworden.

»Gibt es ein Signal, wenn Darrnogh lan-det?« erkundigte ich mich.

»Ja. Ein Horn. Er bläst in ein Horn.«Die Ruinen sind uralt. Vielleicht stammt

der Bruzack von hier. Du wirst erst Gewiß-heit haben, wenn du dich selbst umsiehst!sagte mit klarer Logik mein Extrasinn.

Noch ankerte der erste Ballon nicht.Wir trieben ruhig dahin. Die steinernen

Zeugen unter uns wurden zahlreicher. Zwi-schen den Bäumen gab es immer mehr freieFlächen. Ich erkannte immer nur eine einzi-ge Anordnung: breite Mauern, bis zur Un-kenntlichkeit überwuchert, hin und wiedereine freie Steinplatte. Jetzt sah ich eine auf-ragende, zerbröckelnde Mauer mit den Aus-sparungen ehemaliger Fenster oder sonsti-gen Öffnungen.

Der Berg blieb zurück. Als ich nach vornschaute, sah ich die Stadt in ihrer wahrenAusdehnung.

Sie war riesig.Die Reste einer hochentwickelten Kultur!

sagte der Logiksektor.Plötzlich hörten die Bäume auf. Es gab

nur noch Gestrüpp. Vor uns breitete sich ei-ne ungeheure, ausgedehnte Fläche aus. MeinAuge war einigermaßen trainiert, und ich

Die Piraten der Mikrowelt 25

konnte aus allem nur einen einzigen Schlußziehen.

Die Ruinenstadt war riesig.Sie war vor langer Zeit nicht nur von ge-

waltiger Ausdehnung gewesen, sondern dieGebäude erreichten damals auch eine be-trächtliche Höhe. Die Erbauer dieser Stadtschienen entweder sehr lange oder mit ge-waltigem Aufwand gebaut zu haben. Lang-gezogen, ohne erkennbare Konturen, hierund dort ausgebuchtet, von einer Insel dergewaltigen Bäume unterbrochen, zum Teilüber einen reißenden Urwaldfluß gebaut,dessen Bett von Trümmermassen durchsetztwar und halbe Stromschnellen bildete. Ichschätzte die Ausdehnung auf mehr als fünf-zig Kilometer; die Grenzen verloren sich un-sichtbar am Horizont. Jetzt plötzlich begriffich mehr.

Dies mußte ein erstklassiger Platz für diePiraten der Mikrowelt sein, Beute zu ma-chen.

Welcher Art war sie?Jedenfalls war dies ein deutliches Zeichen

dafür, daß dieser Bereich der Mikrowelt eineHochkultur beherbergt hatte. Weder Kro-thenbeet noch Jansonthen würden diese Grö-ße und Wichtigkeit jemals erreichen können.

Wir befanden uns jetzt über dem erstenViertel der Stadt. Sie verlief in derHauptrichtung von Nordwesten nach Süd-osten. Über ihr wölbte sich der gefleckteHimmel, irgendwo über ihrem Ende konden-sierten sich mehr und mehr die pechschwar-zen Wolken. Dort konnte ein Gewitter oderein Wirbelsturm entstehen.

Ein Hornstoß ertönte.»Wir ankern und suchen uns ein Lager für

die Nacht«, erklärte Scaltok. »Du bist alsoder Mann, der uns allen erklärt, welchenSinn diese Ruinenstadt hat und wer sie er-baute?«

»Vielleicht bin ich der Mann!« sagte ichund rang mir ein Lächeln ab. Ich war sicher,auch hier einige bemerkenswerte Überra-schungen zu erleben.

Aus dem Korb des Führungsballons fielder Anker; der Rest des Seiles wurde über

den Rand geworfen. Darrnogh beugte sichvor, packte das Tau und begann, das Seil zubewegen. Der Anker mit seinen scharfenHaken schwang hin und her und schieneinen Punkt, an dem er einschlagen und sichfesthaken würde, selbst zu suchen.

Auch aus den anderen Ballonkörben fie-len die Taue mit den Mehrfachankern. Siependelten langsam hin und her, wurden an-gezogen und nachgelassen. Hin und wiederklirrte das Metall hart gegen den Stein einerWand oder eines anderen Ruinenteils.

Im letzten Licht des Tages erkannte ich,wie die Geräusche der klirrenden Ankerzahlreiche Tiere aufscheuchten. Riesige,saurierartige Vögel schwangen sich mit hei-serem Kreischen und mit klatschenden Flü-gelschlägen aus Fensterhöhlungen und vonMauervorsprüngen. Die Tiere verschwandenin langsamem Zickzackflug zwischen ande-ren Ruinen und dem Grün des Waldes.

Ich sah affenartige Tiere, die mit aufge-regtem Schreien die Mauern herunterturn-ten, sich an Lianen über die Zwischenräumeschwangen und in Höhlen und anderen Ver-stecken verschwanden.

Direkt vor dem schwingenden Anker»unseres« Ballons sprangen zwei schlankeRaubtiere auf. Sie glichen Tigern oder Leo-parden. Ihre Felle waren gestreift und botenhervorragende Tarnung. Die Raubtiere ris-sen die kantigen Schädel hoch, sahen zu unsherauf und fauchten so laut, daß wir es bishierher deutlich hören konnten. Gjeima be-gann zu zittern. Dann setzten die Tiere miteleganten Sprüngen von Mauer zu Mauer,schossen durch Lücken im Gesträuch, undnur noch wippende Äste und sich schütteln-de Blätter bewiesen, daß die Tiere ein ande-res Versteck suchten.

Jeder Dschungel ist eine Gefahr. Und ei-ne Ruinenstadt wie diese setzt die Gefahrennoch herauf, sagte der Extrasinn.

Im gleichen Augenblick faßte unser An-ker. Ein leichter Ruck ging durch die Gon-del.

»Faßt mit an!« sagte Scaltok ruhig. »Wirmüssen den Ballon tieferziehen.« Er holte

26 Hans Kneifel

tief Atem und schrie zur Nachbargondel hin-über:

»Wir ankern! Alles klar! Wir treffen unsunten!«

»Verstanden, Scaltok! Bringe die Frem-den mit!«

Er winkte, und wir zogen an dem dünnenTau. Der Haken saß, und halbmeterweisesank der Ballon tiefer. Als wir uns zehn Me-ter über einer annähernd ebenen Fläche be-fanden, erklärte Scaltok:

»Haltet das Seil. Ich gehe hinunter undnehme Ballast auf!«

Er bückte sich, packte eine Art zusam-mengerolltes Netz und kippte es über dieBordwand. Die Strickleiter folgte. Dannschwang er sich über den Rand und klettertemit bemerkenswerter Schnelligkeit abwärts.Gjeima und ich hielten das Ankertau, undich wickelte es schließlich um die Sitzstan-ge. Wir hatten den Ruinenwald erreicht.

4.

Scaltok schlug mit dem Schwert zu undlockerte einzelne Quadern mit dem Dorn ander Spitze des Krummschwerts. Das Netzhing, halb offen und mit schlaffen Verbin-dungsschnüren, unter der halb gekipptenGondel. Der Mann mit dem kahlen Kopf ar-beitete schnell und umsichtig und schichteteeinen Stein nach dem anderen in das Netz.Ich hatte nach kurzem Nachdenken die Ge-wißheit: mit geringstem Aufwand und gera-dezu herausfordernd einfacher Technik be-herrschten die Leute aus Jansonthen denBallonflug.

Anstatt das kostbare Gas abzulassen, lu-den sie eine Unmenge von Ballast ein. Die-ser hielt den Ballon fest am Boden. Nach er-folgter Plünderung wurde der Ballast durchBeutegut ersetzt und die Gasmenge erhöht.Durch Abwurf der überflüssigen Ruinenstei-ne konnte das Verhältnis genau eingeregeltwerden. Außerdem setzten sie sich nichtdem Risiko aus, daß durch Kappen der An-kerseile oder durch einen plötzlichen Luft-zug, oder dadurch, daß sich ein Anker löste,

der unersetzliche Ballon davonflog. Einfach,aber fast genial!

Du kannst selbst von ihnen noch lernen,Arkonide! erklärte der Logiksektor.

Ich beugte mich über den Rand und rief:»Können wir herunter, Scaltok?«»Ja. Schicke das Mädchen. Wir lagern

hier!«»In Ordnung.«Unser Ballon befand sich in der Mitte der

Reihe. Die rechts und links von uns schwe-benden Mannschaften versuchten dadurch,daß sie die Anker seitlich schwingen ließen,aufzuschließen. Mehrere von ihnen arbeite-ten zusammen, indem die Bodenmannschaf-ten die Anker umsetzten. Alles ging äußerstzielstrebig vor sich. Ich sah, daß die Männeram Boden schwer bewaffnet waren. Längsthatte ich in unserem Korb das Fach ent-deckt, in dem mehrere Schwerter, Dolcheund Werkzeuge lagen. Auch ich würde nichtunbewaffnet den Boden dieser Stadt betre-ten. Ich fand einen langen Dolch und reichteihn Gjeima.

»Hier«, sagte ich. »Du wirst die Waffehoffentlich nicht brauchen. Ich bin sicher,daß du den Männern aus Jansonthen gewisseHausfrauendienste erweisen mußt. Ich kom-me sofort nach.«

»Ja. Das denke ich auch. Werde ich heuteauf deinem Lager schlafen?«

Ich hob die Schultern und sah sie an. Wie-der suchte ich nach einer Ausrede, aberschließlich murmelte ich:

»Wir werden sehen, Gjeima.« Die elf Bal-lons ankerten alle im Bereich einer einzigen,großen Fläche. Vor vielen Jahren schien diesein hochgelegener Platz gewesen zu seinoder ein Dach einer riesigen Halle. Überallragten Ruinenstücke hoch. Alles war über-wachsen. Ich zählte die Männer in den Gon-deln am Boden. Insgesamt waren wir zwei-unddreißig Personen. Langsam kletterteGjeima nach unten. Einige Ballonfahrer ka-men mit brennenden Fackeln auf den Mittel-punkt der Fläche zu. Sie redeten leise mit-einander.

»Atlan!« rief Scaltok nach einiger Zeit.

Die Piraten der Mikrowelt 27

»Der Ballon ist gesichert! Du kannst herun-terkommen. Bringe die Ausrüstung mit!«

»Verstanden!« rief ich zurück und beob-achtete argwöhnisch die Ränder desDschungels. »Ich komme.«

Ich bewaffnete mich, schnallte mir eineArt Tornister um und warf andere Ausrü-stungsteile über die Schulter. Dann kletterteich vorsichtig die Sprossen der Leiter ab-wärts und stand neben Scaltok. Darrnoghkam auf unsere Gruppe zu.

»Heute ist nichts mehr zu unternehmen«,sagte er mit seiner rauhen Stimme. »Wirschlagen ein Lager auf. Achtet auf Spurender Waldbarbaren.«

»Hier?« fragte Scaltok erstaunt zurück.»Sie sind überall!« erwiderte Darrnogh

kurz. In der Ferne donnerte es, aber das Ge-räusch war schwach und undeutlich.

Wir gingen daran, ein befestigtes Lageraufzuschlagen. Es war logisch, daß seineGrenzen dort verliefen, wo die Anker hingenund die mit Quadern beschwerten Netze.

*

Über den Ausschnitt, dessen Grenzen vonwenigen Mauern und der Kulisse des Wald-rands gebildet wurden, entwickelte sich jetztder Nachthimmel. Er war von einem intensi-ven Dunkelrot. Keine treibenden und leuch-tenden Wolken, keine Flecken, kein Strei-fenmuster. In diesem dunkelroten riesigenFeld, das wie das Innere einer Blase wirkte,erschienen langsam fünf Lichtpunkte. Helle-re Stellen, die in ihrem Zentrum strahlten,als wären sie weit entfernte Sonnen; ein an-derer Vergleich fiel mir nicht ein. Aber sievermochten nicht, den Ruinenplatz zu erhel-len.

Drei mächtige Feuer brannten. Wir hattenwährend einer ersten Suche nach Höhlenoder versteckten Raubtieren eine gewaltigeMenge Holz zusammengetragen. Dort, wodie Anker mit zusätzlichen Hammerschlägenin die Steinfugen hineingetrieben wordenwaren, sah ich kleinere Feuer oder brennen-de Fackeln. Decken waren ausgebreitet wor-

den, und Gjeima hantierte an einem Kessel,aus dem Dampf aufstieg.

Ich stand mit Darrnogh in der Höhlung ei-nes ehemaligen Portals. Vor uns breitetesich der Platz aus. Ein unbehagliches Gefühlhatte mich beschlichen. Auch Darrnogh warnervös und unruhig. Die Kulisse aus Dun-kelheit und Schreien, undeutbaren Ge-räuschen und Tierstimmen beunruhigte uns.Wir hatten Köcher und Bögen über denSchultern und hielten die geschliffenenSchwerter in den Händen.

»Welche Art Beute sucht ihr hier, Darrno-gh?« fragte ich leise. Unablässig suchten un-sere Augen den Bereich jenseits der Hellig-keit ab. Jede Bewegung dort konnte gefähr-lich sein.

»Alles, was du dir denken kannst, Atlan.Nur keine Nahrungsmittel. Du wirst es mor-gen erfahren. Du kannst mit uns kommen.Ich, Pverganth und Scaltok sind die Ent-decker unserer Gruppe.«

Ich nickte. Dort, wo geradeaus der Platzin eine fast unkenntliche Gasse überging,sah ich eine Bewegung. Ich stieß Darrnoghan und deutete in die Richtung.

»Ein Tier!« sagte er.»Bist du sicher?«»Absolut. Sieh die Augen.«Ich bemühte mich, über die Feuer hinweg

und durch das zuckende Streulicht hindurchdie Reflexe in den Raubtieraugen zu sehen,aber alles, was ich erkennen konnte, war ei-ne verwischte Bewegung. Die Augen desMannes neben mir mußten phänomenalscharf sein.

»Ich habe nichts gesehen.«Darrnogh schlug mir mit dem Ellbogen

gegen die Rippen. Er lachte kurz und versi-cherte im Tonfall ruhiger Gewißheit:

»Glaub mir, Fremder mit dem weißenHaar und den roten Augen. Ich erkenneeinen Dschungelbarbaren ziemlich früh. Siegreifen niemals in der Dunkelheit an. Oderfast niemals.«

»Verdammt!« antwortete ich gereizt.»Aber es gibt hier Raubtiere. Ich habe sieselbst gesehen!«

28 Hans Kneifel

»Noch nie gehört, daß Raubtiere eineScheu vor Feuer haben, Fremder?«

»Doch. Ich weiß es, aber ich weiß nicht,ob dieses Gesetz auch für die Raubtiere desRuinenwalds gilt.«

»Es gilt.«Je mehr ich von der Ruinenstadt sah, de-

sto sicherer war ich, daß sie von einer tech-nisch hochstehenden Rasse erbaut wordenwar. Schon allein die Größe deutete daraufhin. Ich war sicher, daß wir hier eine MengeGeheimnisse vorfinden würden.

»Wie wird die Nacht verlaufen?«Darrnogh drehte sich halb herum.»Wir stellen Wachen auf. Zehn Männer.

Der Rest schläft – nach dem Essen werdenwir uns ausruhen.«

»Ich melde mich für die erste Wache.«»Gut. Ich bin auch dabei«, sagte er. »Hast

du weitere Fragen, Atlan?«»Nicht im Augenblick.«Wir nickten uns zu und verließen den

Platz. Auf kaum erkennbaren Pfaden, überMoospolster und auseinanderbrechendePlatten, durch ein Gewirr von Schlingpflan-zen, aufwärts und abwärts, unter einem ge-schwungenen Torbogen hindurch, gingenwir langsam um das Lager herum. Plötzlichblieb ich stehen.

»Halt!« schrie ich und packte Darrnogham Arm. »Was ist das?«

Hinter einigen jungen Stämmen und ei-nem uralten, modernden Baumstamm tauch-te eine leuchtende Fläche auf. Ich blickte ge-nauer hin. Vor uns schob sich aus der Dun-kelheit ein Gewirr von Linien und Punkten.Eine Mauer, auf einer Seite gerade, auf denanderen treppenförmig zerbrochen und zer-bröckelt.

»Das sehen wir oft. Die Fugen zwischenden Steinen leuchten in der Nacht«, erklärteDarrnogh. Ich war wie elektrisiert, denn ichversuchte, hinter den Linien ein System zuentdecken.

»Einen Augenblick!« sagte ich und folgtemit den Augen den verwirrenden Musterndes strahlenden Mörtels. Ich hatte ein sol-ches Material noch niemals gesehen und war

verblüfft.Bisher hatte ich nur mehr oder weniger

regelmäßig große Quadern gesehen. Aberhier erkannte ich, daß Steine verschiedenerGrößen mit dem Mörtel verbunden waren.Außerdem leuchteten nicht sämtliche Fugen.Ich sah Winkel, offensichtlich einfache Fi-guren, Zeichen, die ebenso eine Formel wieeinen versteckten Hinweis bedeuten konn-ten. Losgelöste Kombinationen aus Linien,die ich für Buchstaben oder Zahlen haltenkonnte. Tagsüber waren sie verschwunden,aber in der Dunkelheit waren sie offenkun-dig. Darüber hinaus waren die leuchtendenMörtelschichten nicht bewachsen oder über-wuchert.

»Kennst du das?« fragte ich nach eineWeile. Brummend erwiderte Darrnogh:

»Ja. Überall gibt es solche Stellen. Über-all habe ich die Linien gesehen. Sie sind einZeichen.«

»Wofür? Wovon?«»Hier gibt es unterirdische Gänge und

Hallen, die voller wunderbarer Dinge sind.«»Das werden wir morgen feststellen.«Du kannst sicher sein, daß der Bruzack in

einer solchen oder ähnlichen Kultur entstan-den ist, mutmaßte der Logiksektor.

»Einverstanden!« sagte ich und ging hin-ter ihm her. Die Wachen begannen mit ih-rem Rundgang. Das Essen schien fertig zusein, denn der Geruch nach starkem Gewürzzog über die Lichtung. Die Laute und dasunaufhörliche Knacken und Knistern rund-um waren leiser geworden. Wir sahen voruns eine halb zerstörte Treppe, die auf einenSockel führte, von dem wiederum eineBrücke auf den Platz der Feuer zu erkennenwar. Wir stiegen, noch immer mit denSchwertern in den Händen und voller ge-spannter Aufmerksamkeit, zwischen denBüschen und den Halmen unbekannter Ge-wächse die Treppe hoch. Ich war zweiSchritte hinter und unter dem Anführer.

Gefahr! Rechts! schrie plötzlich der Ex-trasinn.

Ich duckte mich, fuhr halb nach rechtsherum und stieß einen leisen Schrei aus.

Die Piraten der Mikrowelt 29

Darrnogh begriff und sprang auf die nächsthöhere Stufe. Mein Schwert beschrieb einenHalbkreis und zischte durch die Luft. Derlange Dorn, ebenfalls scharf geschliffen,kappte einige Gräser. Dann sah ich dasRaubtier, das auf uns zusprang. Es hatte ir-gendwo zwischen den Pflanzen gelauert,jenseits der Wand mit den leuchtenden Lini-en. Ich sah den aufgerissenen Rachen undweiße Fangzähne. Jetzt spiegelte sich auchdas zuckende Licht unserer Feuer in dengroßen Augen. Augenblicklich stellte sichDarrnogh so auf, daß er das Tier abwehrenund sich gleichzeitig in Sicherheit bringenkonnte. Ich blieb auf meiner Stufe stehen,federte tief in die Knie und machte eine ab-lenkende Bewegung mit dem linken Arm.

»Stehenbleiben!« donnerte Darrnogh vonoben. Ich hatte nichts anderes vor. Die Hin-terläufe des Raubtiers rissen Bündel vonMoos und Pflanzen von den Steinplatten undschleuderten sie schräg nach hinten. Ich hör-te das dumpfe Geräusch der Pranken unddas keuchende Atmen der Bestie. Wir befan-den uns in einem Bereich, der nicht hell ge-nug war. Das Tier schien rasend vor Wutoder Hunger zu sein.

Noch zwei Sprünge, dann war es bei uns.Meine Bewegung hatte es abgelenkt. Es

wußte nicht, wen es angreifen sollte. DieUnsicherheit dauerte nur einen Sekunden-bruchteil, dann entschied sich das Tier mitden dunklen Streifen im hellen Fell. Ichstand tiefer, es warf sich halb herum undsprang auf mich zu.

Ich erwartete das Tier. Als es sich zumletztenmal losschnellte und in einem flachenBogen durch die Luft sprang, hechtete ichnach vorn, dann nach links und eine Stufehöher. Mein Arm hob sich. Das schwereSchwert lenkte sich fast selbst.

Eine Tatze streifte meine Jacke und riß siein breiten Streifen auseinander. Ich roch denheißen, stinkenden Atem der Bestie. Sie ver-fehlte mich nur um einige Handbreiten.Mein Arm mit dem Schwert zuckte herunter,und die Klinge grub sich mit einemknackenden Geräusch in den Nacken.

»Zurück, Atlan!« schrie Darrnogh, dermit gestrecktem Arm, das Schwert wie einenDolch haltend, die Treppe abwärts rannte.Von den Feuern her hörten wir Schreie unddas Näherkommen einiger Männer.

»In Ordnung!« keuchte ich.Das Tier schrie grollend auf. Es kam drei

oder vier Stufen tiefer auf und warf sich inder Luft herum, kaum daß die Vorderpran-ken den Stein berührt hatten. Das Fell warblutüberströmt, als sich das Raubtier tief ge-duckt in kleinen, hastigen Sprüngen wiederdie Stufen aufwärts kämpfte und diesmalDarrnogh als Gegner annahm. Darrnoghschien laut zu lachen oder einen besondersmerkwürdigen Angriffsschrei auszustoßen.Dann prallten er und das Tier zusammen.

Das Raubtier, nicht kleiner als ein Tiger,lief direkt in die Waffe des Anführers hin-ein.

Der Stachel bohrte sich knirschend in denSchädel des Raubtieres. Es schrie laut auf,sprang senkrecht in die Höhe und fiel wiederzu Boden. Die Läufe schlugen rasendschnell aus und fetzten die Gewächse vonden Steinstufen. Ich kam heran und schlugzu. Die geschliffene Schneide spaltete denSchädel des Tieres. Ich sprang mit ausge-breiteten Armen zurück, um nicht von denPranken getroffen zu werden.

»Zurück. Herauf zu mir!« schrie Darrno-gh besorgt. Ich lächelte und bewegte michschnell aus dem Bereich des zuckenden Kör-pers heraus. Breite Blutbahnen liefen überdie Stufen und versickerten im Moos Die er-sten Wachen erreichten uns, aber Darrnoghwinkte sie zurück.

»Wir waren schneller!« sagte er undwandte sich an mich. »Du scheinst ein guterKämpfer zu sein, Atlan?«

»Ich habe es lernen müssen«, gab ich zu.»Außerdem war das Raubtier fast schnellerals ich.«

»Es wird hier liegenbleiben. Die anderenwerden es zerreißen und uns nicht mehr an-greifen!«

Wir schritten zurück zum Feuer.Während die Wachen ihre Runden gin-

30 Hans Kneifel

gen, aßen wir. Schließlich übernahmenDarrnogh und ich, zusammen mit acht ande-ren Männern, die erste Nachtwache. Wirwurden abgelöst, ohne daß der geringsteZwischenfall uns gestört hatte. Aber trotzder Ruhe und der Ereignislosigkeit hatte ich,als ich auf eine der Decken zuging und michhinlegte, kein gutes Gefühl.

Ich glaubte, daß uns Hunderte von Au-genpaaren unausgesetzt beobachteten. Trotz-dem schlief ich übergangslos ein.

*

Wach auf! Du hast Grund zur Unruhe!flüsterte eindringlich das Extrahirn.

Ich taumelte in die Höhe, sah mich umund versuchte, mich schnell zurechtzufin-den. Noch immer war es dunkel. Meine Fin-ger tasteten nach dem Griff des Schwertes.Ich riß die Augen auf.

Noch immer war es Nacht.Im dunkelroten Himmel standen die ste-

chenden Lichtpunkte mit dem helleren Hofdarum. Unweit von mir sah ich die Glutkrei-se der drei Feuer. Aus dem Augenwinkelnahm ich einen Posten wahr, der mit bren-nender Fackel seine Runde ging. Warumwar ich aufgewacht?

Ich kam auf die Beine, ließ aber dasSchwert nach unten hängen. Gjeima lag inmeiner Nähe auf Fellen und Decken undschlief. Sie schnarchte leise vor sich hin. Alsich den Kopf drehte, sah ich, daß Darrnoghebenfalls wach geworden war und in meineRichtung blickte. Ich flüsterte:

»Ich wurde plötzlich wach. Du auch?«»Du hast mich aufgeweckt«, wisperte er

zurück. »Aber ich bin auch unruhig.«Ich setzte mich auf einen Steinblock, den

wir vor dem Essen gesäubert und von Pflan-zen befreit hatten. Langsam ließ ich meinenBlick rundum gehen. Ruinen und Pflanzenhoben sich scharf gegen den Himmel ab,dessen diffuse Lichtquellen einen deutlichenHelligkeitsunterschied schufen. Die Stein-mauern standen bewegungslos, die Wipfelwiegten sich leise hin und her. Es gab fast

keinerlei Geräusche mehr. Nur hin und wie-der ein kollerndes Steinchen oder einknackender Ast. Aber allen Geräuschenfehlte eine alarmierende Regelmäßigkeit.

»Hörst du etwas?« fragte Darrnogh leise.Auch die anderen Wächter waren aufmerk-sam. Ich sah sie im Licht der weiter entfern-ten Feuer und im Schein der Fackeln umher-gehen, stehenbleiben. Ich zählte sie. Es wa-ren zehn.

»Nein. Nichts«, gab ich zurück. Aber dasGefühl trog mich nicht! Ich kannte es. Wennmich der Extrasinn mitten aus dem tiefstenSchlaf riß und derart deutlich warnte, gesch-ah dies nicht ohne Grund.

Etwas fesselte mich; eine bestimmte Un-regelmäßigkeit in einem der nächsten Baum-wipfel. Während die linke Seite deutlich dieKonturen dichtbelaubter Äste zeigte, be-merkte ich auf der anderen Seite des ober-sten Stammes einen dunklen Klumpen. Eskonnte ein großes Nest sein, ein Tier oderein paar Vögel, die sich dort zum Schlafenniedergesetzt hatten.

Ich erstarrte und lehnte das Schwert vor-sichtig, ohne ein Geräusch zu verursachen,gegen den Quader. Ich zog einen Pfeil ausdem Köcher und nahm den Bogen in dieHand. Als ich hinter mich blickte, bemerkteich, daß ich für einen Beobachter nur eineundeutliche Gestalt vor dunklen Hintergrundsein konnte. Meine Bewegungen fielen alsonicht auf.

»Ein Barbar?« flüsterte Darrnogh fragend.Bisher war noch niemand außer uns wachge-worden.

»Vielleicht!« murmelte ich und legte denPfeil auf die Sehne. Unausgesetzt starrte ichden dunklen Klumpen an. Fünfzig odermehr Meter entfernt, etwa zwanzig Meterüber dem Niveau des Platzes.

Die Konzentration auf ein und dieselbeStelle spielte meinen Augen einen Streich.Ich sah Umrisse und Formen, wo es keinegab. Aber in einem täuschte ich mich nicht:dort oben war etwas, das jeden Funken Lichtaufzusaugen schien. Die Blätter ringsumzeigten einen fernen, winzigen Abglanz des

Die Piraten der Mikrowelt 31

Lichtes, das von Feuern und Fackeln aus-ging. Wenn sich die Blätter bewegten, spiel-ten auch die Lichtpunkte im roten Himmeldarauf. Aber in der Mitte, jener Klumpen,der immer wieder die Gestalt zu verändernschien … er blieb dunkler als die Umge-bung. Ich hob den Bogen, spannte ihn ausund konzentrierte mich drei Sekunden langauf mein Ziel.

Die Sehne schlug hart gegen meinen lin-ken Unterarm. Der Pfeil flog mit einem fah-len Heulen durch die Dunkelheit. Dann hör-te ich einen schmatzenden Laut, kein kra-chendes Geräusch, das entstanden wäre,wenn die Pfeilspitze sich in Holz gebohrthätte.

Noch während ich den linken Arm be-wegte und die Waffe absetzte, hörte ich einmetallenes Geräusch. Ich starrte abermalsauf das Ziel.

Jetzt bewegt sich der Klumpen!Eben war er nocht dort oben gewesen.

Und jetzt glitt er senkrecht nach unten, wieeine Spinne an ihrem eigenen Faden. DieUmrisse verschmolzen mit der schwarzenMasse des Hintergrundes. Ein paarmalknackte und knisterte es noch, dann herrsch-te wieder Stille. Drei oder vier Posten sahenzu uns herüber und machten Anstalten, ihrePlätze zu verlassen.

»Bleibt dort!« zischte Darrnogh quer überden Platz. Die Männer erstarrten. Ich ging soleise und vorsichtig wie möglich zu demAnführer hinüber und blieb vor ihm stehen.

»Was hast du davon?«Er breitete die Arme aus und machte eine

unschlüssige Geste. Dann versicherte er ver-drossen:

»Ich weiß es nicht. Es könnte ein Wald-bauer gewesen sein. Oder auch ein großesPelztier mit vier Gliedmaßen und einem lan-gen Greifschwanz. Wir werden es morgenerleben.«

»Wie meinst du das, Darrnogh?«Er setzte sich wieder und zog seinen Fell-

mantel glatt.»War es ein Barbar, dann werden sie mor-

gen mit aller Wucht angreifen. Es sind nie-

mals viele. Kleine Stämme, kleine, wandern-de Gruppen. Aber sie kämpfen wie die Teu-fel. Sie wissen nicht, wann sie verloren ha-ben. Ich glaube, sie sind schrecklich primi-tiv.«

Er nickte mir zu. Es war die deutlicheAufforderung, ihn schlafen zu lassen. Ichging zurück, legte meine neuen Waffen zu-recht und streckte mich aus. Gjeima warnicht wach geworden. Auch ich schlief baldwieder ein.

*

Die Jansonther waren sehr vorsichtig.Sie gingen kein Risiko ein. Vierzehn

Männer und Gjeima bildeten einen Kreis.Dieser Kreis befand sich im Zentrum desPlatzes. Innerhalb der Verteidigungslinie an-kerten sieben Ballons. Alle Männer warenschwer bewaffnet und hatten sich hinter Rui-nenstücken verschanzt. Ich ging sicher nichtfehl, wenn ich mir sagte, daß dies die bestenKämpfer waren.

Wir hatten gegessen: Früchte von den na-hen Bäumen, Scheiben von mitgebrachtemBraten, dünne, harte Brotfladen und Stückeeiner scharfgewürzten, langen Wurst. Dazugab es kaltes Wasser aus den Wassersäcken,von denen noch sieben an den Ballonkan-zeln hingen.

Eine zweite Gruppe von Männern hattesich gebildet. Darrnogh, Pverganth undScaltok waren die Anführer, die jetzt geradeFackeln verteilten und ihre Werkzeuge be-reithielten.

»Wir fangen an«, sagte Darrnogh.»Scatltok – du hast gestern noch gesucht.Was hast du gefunden?«

Scaltok, der zwei Fackeln in der Handund mehrere in einer Art Rucksack trug undmit einer riesigen Zange bewaffnet war, sag-te gleichmütig:

»Dort drüben eine breite Treppe. Sie istgut erhalten und führt sehr tief nach unten.Die Zeichen, die wir schon kennen, sind anden Seitenmauern.«

»Vielversprechend?«

32 Hans Kneifel

»Besser als das letztemal«, sagte Scaltok.»Und Atlan wird uns erklären, was wir nichtwissen.«

Er lachte mich gutmütig an.»Wenn ich es selbst erkenne, werde ich

gern erklären, was ich begriffen habe. Ichweiß nur, daß jene Stadterbauer ein großes,mächtiges und kluges Volk gewesen seinmüssen.«

»Auch wir wissen dies«, bekannte Pver-ganth und grinste listig. »Deswegen holenwir, was wir verstehen und brauchen kön-nen. Was sie übriggelassen haben, brauchenwir nicht herzustellen.«

»Es geht los, Freunde. Dieselben Sicher-heitsvorkehrungen wie immer, ja?«

»Verstanden.«Ein langer Zug bewaffneter und ausgerüs-

teter Piraten formierte sich. Wir vier bilde-ten die Spitze. Ich vermied es, mich nach Gjeima umzudrehen, denn ihre Blicke warenbrennend vor Sehnsucht und Leidenschaft.Nach zehn Schritten wurden wir alle abge-lenkt, auch die Posten. Selbst Gjeima zucktezusammen und blickte nach oben.

Ein hämmerndes, ratterndes Geräusch er-tönte.

Die Geräuschquelle war unsichtbar. DasGeräusch näherte sich, denn es wurde lauterund deutlicher. Es ging in ein lautes Dröh-nen über, gleichzeitig ertönte das Pfeifenund Heulen bewegter Luft. Dann sahen wir,hoch über uns in dem freien Ausschnitt zwi-schen den Baumgipfeln und den hochragen-den Mauern, einen seltsamen Apparat.

Er flog so hoch, daß wir nicht genau er-kennen konnten, worum es sich handelte.Die Maschine sah aus wie ein Kreuz und be-stand aus einem Gerüst, zwischen desseneinzelnen Stücken Stoff oder ähnliches Ma-terial straff gespannt war. Verschiedene Flä-chen dienten wohl dem Auftrieb oder be-stimmten Steuermanövern. Ein Flugapparatmit einer geräuschvollen Maschine.

Ich wandte mich an Darrnogh und fragtemehr als entgeistert:

»Ist diese Maschine auch aus euremStamm?«

»Ich sehe sie zum erstenmal in meinemLeben!« sagte Darrnogh. Sein Gesicht warbleich, seine Nase stach noch spitzer alssonst hervor. Er war überrascht wie wir alle.Ein altertümlicher Flugapparat, ebenso alter-tümlich wie diese Ballons. Er flog einmalfast über die gesamte Lichtung, dann kippteer ein wenig über eine Schwinge und flog ei-ne Kurve von hundertachtzig Grad.

Ratternd und dröhnend flog das Gerätwieder in die Richtung, aus der es gekom-men war. Es verschwand hinter den Baum-wipfeln, das Geräusch wurde schwächer undhöher, dann wurde es immer leiser und rißplötzlich ab. Der Spuk war vorbei. Ich wuß-te nicht, ob ich meinen Augen trauen durfte.

Du hast richtig gesehen, warf der Logik-sektor ein.

Fast grimmig wandte sich Scaltok anmich und fragte laut:

»Das ist das erste, was du uns erklärenmußt, Atlan!«

Ich faßte zusammen, was ich von solchenApparaten wußte. Dann erklärte ich ihnen inwenigen Sätzen, wie meiner Meinung nachein Apparat dieser Art funktionierte.

»Vielleicht ist es das, was ich einst hör-te«, murmelte Darrnogh plötzlich. »Es gibtsie also doch!«

»Wen? Was?«Er machte eine Pause, dann erklärte er:»Es gibt Sagen und Märchen. Sie berich-

ten von Dingen aus alter Zeit. Aus einerZeit, in der diese Stadt und andere Städte le-bendig und neu waren. Es gab einen Stamm,der sich die Somoren nannte. Sie waren, wiewir, große Reisende. Und man sagte mir,daß sie in der Lage waren, zu fliegen wie dieVögel.«

Wieder erfuhr ich, daß die Mikroweltebenso ihre Vergangenheit hatte wie meineWelt der normal Großen. Und sie hatte si-cher auch ihre übergeordneten Dimensionen.Was für Bewohner der Mikrowelt ein Tran-sitionssprung war, konnte vielleicht ein Vor-stoß in die Realwelt sein. Und es gab viel-leicht auch Raumfahrt. Aber was war diesfür eine Art Weltraum? Ich verstand diesen

Die Piraten der Mikrowelt 33

Kosmos nicht mehr. Und es gab niemanden,mit dem ich über dies alles sprechen konnte.Ich seufzte auf und hörte dem Ende der Er-zählung zu.

»Aber es gab etwas. Sie nannten es Welt-untergang, die, von denen ich die Sagenkenne. Seit dieser Zeit gibt es auch keineSomoren mehr und keine Dinge, die fliegenkonnten wie große Vögel.

Aber – was sollen die alten Geschichten!Los, brechen wir auf. Seit einer Stunde ist eshell, und wir werden in zwei Tagen startenmüssen. Es hat in der Nacht geblitzt und ge-donnert. Ich bin sicher, wir erwischen einegute, schnelle Luftströmung.«

Wir hatten noch vor dem Essen nachgese-hen; es gab dort am Baum keinerlei sichtba-re Spuren. Wen oder was immer mein Pfeilgetroffen hatte – es war spurlos verschwun-den.

Wir überquerten in langer Reihe den halb-en Platz, kamen in der Nähe des bis zur Un-kenntlichkeit zerfetzten Kadavers vorbei, er-reichten die oberste Stufe einer halbkreisför-mig geschwungenen Treppe, die amphithea-tralisch wie ein halbierter Trichter nach un-ten führte und sich dabei stark verengte. Siemündete in einer hohen, rechteckigen Öff-nung, mindestens fünfzehn Meter tiefer alsdas Gelände des Lagerplatzes.

»Hinter mir her! Zündet einige Fackelnan!« rief Darrnogh nach hinten. Seine Män-ner gehorchten und reichten die brennendenLichtquellen weiter. Der Himmel war wie-der strahlend hell, und Schwärme winzigerInsekten umkreisten uns und bildeten lästigeWolken um unsere Köpfe.

Licht fiel auch einige Meter weit in denEingang hinein und zeigte uns wucherndePflanzen. Ich war aufgeregt und bereitetemich vor, auch hier Dinge zu sehen, diemich erschreckten und erstaunten.

Bleibe ruhig. Es wird auch hier keineWunder geben, sagte der Logiksektor.

Einer der Männer blieb am Eingang ste-hen. Er trug keine Fackel, aber er war be-waffnet und bereitete sich vor, uns zu war-nen, wenn es notwendig wurde. Wir gingen

weiter. Das Licht ließ nach, als ich hinterScaltok und Darrnogh in einen großen Raumkam, den das Licht unserer vier Fackeln we-niger als notdürftig erhellte. Wir wurden lei-se, sprachen kaum, blickten nur nach allenSeiten. Eine eigentümliche Stimmung hatteuns alle erfaßt.

Über unseren Köpfen wurden von denFlammen und von den Bewegungen, demzitternden Licht und dem stinkenden Rußfa-den der Fackeln Vögel aufgeschreckt. Sieflatterten ratlos umher, stießen gegen Vor-sprünge und gegeneinander und stoben dannin die Richtung der Öffnung, die immer klei-ner wurde.

»Geht an die Wände!« sagte Darrnogh.Seine Stimme war dumpf und hohl. Sie

klang als Echo wider. Drei der Ballonpiratengingen nach rechts, drei oder vier nach links.Jetzt sprangen die Mauern aus der Finsternishervor, und die Reliefs begannen scheinbarzu leben. Ich blieb stehen und blickte nachbeiden Seiten.

»Nein!« stieß ich hervor.»Was siehst du?« murmelte Scaltok halb

beunruhigt, halb belustigt hinter mir undhielt mich am Arm fest.

»Ich sehe Sterne«, sagte ich verwundert.Sterne! Bisher hatte ich alle nur denkbarenArten von Firmament gesehen, aber keinenklaren Nachthimmel mit den vertrautenLichtpunkten. Aber hier gab es ein breitesBand von Halbreliefs. Je mehr die Piratenauseinandergingen und die Wände beleuch-teten, desto deutlicher sah ich die Bilder. Sieschienen auf einfache Weise eine Geschich-te zu erzählen.

»Ich sehe einen Platz, auf dem Schiffestehen. Schiffe, die zwischen den Sternendahinfahren wie Schiffe auf dem Meer. Ichsehe Menschen, die diese Schiffe bauen unddie Mannschaften stellen. Ich sehe Linienund Zeichnungen und die Träume von demZiel der Schiffe.«

Der Boden der Halle war mit Unrat, zu-sammengewehtem Laub und dem Kot derVögel bedeckt. Knochen, Eierschalen undtrockene Äste krachten bei jedem Schritt.

34 Hans Kneifel

Ich nahm einem der folgenden Männer diebrennende Fackel aus der Hand und ging biszu einer Stelle, an der ich den »Anfang« desReliefs vermutete. Ich wurde nicht ent-täuscht, aber von Schritt zu Schritt wurdemein Verdacht zur unumstößlichen Gewiß-heit.

Die Erbauer der Stadt in der Mikroweltkannten alle Bezüge der »normalen« Raum-fahrt.

Dieses Rätsel wird dich noch lange be-schäftigen, bemerkte der Extrasinn prophe-tisch. Ich ging weiter.

Verschiedene Formen primitiver und wei-ter entwickelter Raumschiffe. Menschen da-zu im Größenvergleich, der nicht immer ex-akt eingehalten wurde. Es gab eine Art Be-deutungsperspektive, in der Fürsten oderRaumkommandanten größer als die anderenMenschen gezeichnet waren. Sterne und un-bekannte Sternkonstellationen. Starts undFlüge der Schiffe. Fremde Sonnen und frem-de Monde, kraterübersät und öde. Und dieLandungen auf den Zielplaneten oder aufWelten entlang der Flugroute. Fremde undphantastische Wesen, von denen die Raum-schiffe und die Raumfahrer umringt wurden.Kämpfe mit diesen Wesen und gegen techni-sche Zwischenfälle. Das alles sah ich mitständig wachsender Begeisterung und Span-nung, während ich langsam entlang der vier– häufig durch Öffnungen unterbrochenen –Wände ging und die Fackel hochhielt.

»Atlan!«Der Ruf hallte als mehrfaches Echo durch

die Halle.»Hier!«»Was siehst du? Eile dich, denn wir su-

chen nicht nach Sternen!«»Ich komme!« sagte ich und rannte auf

die vorderste Gruppe der Piraten zu, dieeinen Hauptkorridor gefunden hatten, derschräg nach unten führte, in eine tiefer lie-gende Ebene hinein. Unter unseren Sohlenknirschte jetzt nicht mehr so viel Schmutz.Ein Mann mit einer brennenden Fackel bliebam Ausgang der Halle stehen. Wir konntenihn noch nach dreihundert Schritten sehen.

»Ich habe gesehen, daß die Erbauer dieserStadt die Sterne kannten und zu den Sternenreisten!« sagte ich.

»Sterne sind uns kein Begriff. Und wirsind froh, wenn unsere Reisen gut enden!«sagte Pverganth. »Und wenn wir keine Bal-lons verlieren, mit denen wir kostbare Beutehätten transportieren können.«

»Was ein treffliches Beispiel dafür ist,daß zuviel Angriffslust schädlich seinkann!« murmelte ich.

Reize ihn nicht, warnte der Logiksektor.Der Korridor endete. Wir befanden uns in

einem kleinen Saal. Er war erstaunlich guterhalten. Es schien eine Art Magazin gewe-sen zu sein, denn nachdem jemand mit einpaar Hammerschlägen eine rostende Türniedergelegt hatte, sahen wir uns langen Re-galen aus Stein gegenüber, in denen Gegen-stände lagen und standen. Gegenstände allerGrößen und Formen, zum Teil mit einemhalbdurchsichtigen Gespinst versehen, zumTeil ohne oder in Kisten, die vermodert wa-ren. Die Männer schwärmten aus. Ich inter-essierte mich nicht so sehr für die Beute,denn sie würde mir nichts nützen.

Ich suchte nach Hinweisen oder Anlagen,die vielleicht die Erfüllung meiner Wünschebedeuteten.

Ich stolperte, fing mich wieder und verlorbeinahe die Fackel. In einem Funkenregenfiel ich gegen die Wand und rammte mit derSchulter eine Platte, die knackend nachgab.

Sekunden später erhellte strahlendes Lichtden gesamten Saal. Und als ich mich um-drehte und die Piraten schreien und lachenhörte, sah ich, daß auch in den naheliegen-den Korridoren das Licht aufgeflammt war.

Vertraue nicht darauf, daß die uraltenAnlagen lange leistungsfähig bleiben,dämpfte der Extrasinn meinen neu erwa-chenden Optimismus.

»Darrnogh! Jetzt könnt ihr ohne Fackel-licht suchen!« rief ich begeistert.

»Das ist noch niemals geschehen, seit wirdie Stadt besuchten!« schrie er zwischen denRegalen hervor. Er trug über der Schulter ei-ne Maschine, die so aussah, als könnte es ei-

Die Piraten der Mikrowelt 35

ne automatische Säge sein. Interessiert kamich näher.

Wie sollte sie ohne Energieaggregat funk-tionieren?

Suche es! sagte der Extrasinn.Aber meine Einsicht war tiefer und we-

sentlicher. Wenn hier das Licht noch funk-tionierte, wenn Maschinen wie der Bruzackselbständig Großtiere jagten, dann gab eshier noch andere Überrraschungen.

Ich verließ den Raum. Ich wanderte durchleere Korridore, öffnete Tore und Portale,schaltete unbekannte Maschinen an und fandein Lager voller manuell zu handhabenderWerkzeuge. Dies war vorläufig der wichtig-ste Fund für die Piraten. Die Männer würdenjubeln, wenn ich sie hierher brachte.

5.

Schließlich, nachdem der kleine Raumvon den Ballonfahrern bis auf den letztenMetallnagel geplündert, nachdem sämtlicheGegenstände bis hinauf ans Ende der erstenTreppe geschleppt worden waren, stand icham unteren Ende einer steinernen Wendel-treppe, die in einem zylindrischen Raum inunbekannte Höhen führte. Ich zog dasSchwert und watete durch den knöcheltiefenStaub die Treppe aufwärts.

Etwa hundertfünfzig Stufen.Die letzten Stufen schwangen weit aus

und brachten mich in eine Halle, deren Be-leuchtung sich eingeschaltet hatte, als ich ei-ne der Stufen niedergedrückt hatte. Welcheine Beleuchtung! Sterne! Sonnen!

Ich blieb stehen und drehte mich langsam.Der Raum schien ein Planetarium zu sein.

Wir besaßen eine solche Fiktivprojektion inder Kruste des Planeten Kraumon. Ich sahden halbkugeligen Raum, dessen Materialglasartig war. Winzige Löcher oder nochkleinere Lampen simulierten einen Kosmos,der sich nicht im mindesten von einer arko-nidischen Sternkarte unterschied.

Tausende von Sternen in allen Farben.Sternhaufen und Galaxien, Nebel und

Milchstraßensysteme. Ich lehnte mich an das

letzte Stück des steinernen Geländers undbetrachtete mit mühsam erzwungener Ruhedie Konstellationen, die Farben und die La-ge der Sternarchipele. Ich erkannte nichteinen Stern.

»Es sind Galaxien des Mikrokosmos«,murmelte ich verzweifelt. »Und ich binnicht in der Lage, diesen Umstand zu begrei-fen.«

Warte! Früher oder später … meldetesich erneut der Extrasinn.

Weit unter mir schleppten die Piraten inihren Säcken und Tornistern all die Sägenund Hämmer, die funkelnden technischenInstrumente, die Nägel und Schrauben desMagazins hinaus, sie prüften die Kunst-stofftaue, die Folien und die Metallplatten,die in diesem Magazin gestapelt waren undfreuten sich wie die Kinder über meinenFund. Nach intensiver Suche hätten sie denRaum wohl selbst gefunden. Ich starrte dieSterne an und versuchte herauszufinden,welchen Sinn dies alles ergab.

Alles lief auf eine einzige Frage hinaus:Wohin flogen die Raumfahrer der Mikro-

welt?Ich wartete.Die Sterne des Planetariums bewegten

sich ziemlich schnell. Ein weiteres Rätsel.Die Mikrowelt war also gleichzusetzen miteinem Planeten, der sich um seine Achseund um eine Sonne drehte. Die Nacht hierverging ziemlich schnell, die Sternbilderwanderten. Ich erkannte auch die einzelnenPlaneten, die sich anders zu bewegen schei-nen als die Sterne.

Ich faßte einen roten Stern, der ziemlichnahe stand, ins Auge. Irgend etwas faszinier-te mich daran. Kurze Zeit später erkannteich den Grund. Der Stern flackerte, seinLeuchten nahm zu. Verwirrt hob ich denKopf. Nein! Das Leuchten aller Sterne nahman Intensität zu.

Sie strahlten auf. Vieltausendmal schiensich dort eine Nova aufzubauen. Der Raumwurde heller. Die Schwärze des glasähnli-chen Materials, die Beschichtung des Plane-tariums, wurde stumpf und grau. Die Galaxi-

36 Hans Kneifel

en wurden zu Feuerrädern, die roten Sterneflammten auf, und plötzlich durchzog einstechender Geruch nach schmorender Isolie-rung die muffige Luft des uralten Raumes.

Ein Blitz zuckte auf und schlug in denBoden ein. Ich fühlte elektrische Kriechströ-me durch meine Stiefelsohlen. Ein zweiterBlitz folgte mit hellem, gefährlichem Knat-tern. Eine Galaxis flammte auf und vergingin einem Regen von stinkenden Tropfen undknatternden Blitzen. Ich ging rückwärts undschirmte meine Augen ab.

»Das Ende!« murmelte ich. Vor meinenAugen löste sich die gesamte Anlage in ei-nem energetischen Gewirr aus Blitzen,Lichtbögen und Entladungen auf. GlühendeTeile der Decke fielen krachend herunter.Ich sprang rückwärts mehrere Stufen nachunten, rutschte im Staub aus und fing mei-nen Sturz mit den Händen ab. Vor meinenFingern fiel ein halber Quadratmeter ko-chende Deckensubstanz in den Staub undelektrisierte ihn. Stinkender Rauch qualmteauf, als ich die Treppe hinunterstolperte undflüchtete.

Das Schauspiel hatte nicht einmal zwan-zig Minuten lang gedauert. Ich hatte nur so-viel Zeit gehabt, bis die Anlage, nach Jahr-hunderten oder Jahrtausenden wieder akti-viert und für kurze Zeit zum Leben erwacht,sich endgültig zerstörte. Ich war noch mitdem Leben davongekommen, aber an ande-ren Anlagen würde sich die tote Stadt aufgefährlichere Art lebendig zeigen. Ich stol-perte, sprang und rutschte durch eine dickeStaubwolke die Wendeltreppe nach untenund rannte geradeaus, nachdem mich die un-tersten Stufen in den leeren Raum hineinge-schleudert hatten. Im Durchgang zu einemkleinen Raum stand breitbeinig Darrnogh,das Schwert an Griff und Spitze in beidenHänden, quer vor den Schenkeln.

Als er mich sah, senkte er die Waffe.»Du wirst verfolgt?« fragte er.»Nein. Ich war in einem sehr interessan-

ten Raum«, erläuterte ich atemlos und hu-stend. Ich wirbelte den Staub aus meinemHaar. »Interessant für mich. Der Raum stirbt

soeben dort oben. Die Energie schlägt durch.Wir müssen vorsichtig sein.«

»Komm!« sagte er, und seine großen Au-gen schienen zu leuchten. »Wir haben etwasgefunden.«

Überall gab es Zeichen an den Wändenoder im Staub des Bodens. Niemand würdesich verirren – sie waren erfahren und listig,diese Plünderer.

»Was ist es?«»Dinge, die man zum Leben braucht.«»Ich verstehe nicht«, sagte ich verwirrt

und folgte ihm. Zwei Piraten kamen uns ent-gegen. Sie schleppten lachend eine Anlage,die wie ein stumpfläufiges Geschütz aussah.Ein dritter zog eine Kiste hinter sich her.

»Gleich wirst du es sehen. Du wirst er-kennen, wie die Sternenfahrer gelebt ha-ben.«

Vermutlich gab es hier unten Anlagen fürjeden Zweck, für ein Leben unter der Erde.Vom Eingang jedenfalls hatten wir unsziemlich weit unterirdisch entfernt. Aber eswar sicherer, den bereits bekannten Weg zubenutzen und sich nicht zusätzlich in Gefahrzu bringen. Überall sah ich überdimensio-nierte Kontaktschalter. Die Piraten hattenbegriffen, wie man das Licht einschaltete.Aber in einigen Räumen funktionierte dieAnlage nicht mehr. Wir wanderten eineWeile durch helle und dunkle Räume, folg-ten immer den verschiedenen Spuren undkamen schließlich in einen sehr merkwürdi-gen Raum.

Er war viereckig und sehr hoch. In seinerMitte verlief vom Boden – wir befanden unsetwa in der Mitte der Anlage – bis zurDecke eine mattgläserne Röhre mit etwazwei Metern Durchmesser.

Wir traten an die Öffnung eines Geländersheran. Hinter der Öffnung begann ein Steg,der bis zu einem senkrechten Eingang führ-te, der sich in diesem Rohr befand. Ich dach-te sofort an einen Antigravschacht oder aneinen halbmechanischen Lift.

»Was ist das?« fragte Darrnogh.»Ein Gerät, mit dem man von dort unten

nach dort oben«, ich zeigte dorthin, »fahren

Die Piraten der Mikrowelt 37

kann. Oder konnte. Ich glaube es wenig-stens. Aber ich würde es nicht benutzen. Eskann versagen, und wir sind eingeschlossen.Aber was ist dahinter?«

Ich zeigte auf eines der vielen Fenster, diein diesen »Innenhof« gingen. Der Licht-schacht war von einem Rundgang abge-grenzt. Dieser von der Decke her erleuchteteGang ließ eine Unzahl runder Fenster erken-nen, die so schmutzig und staubig waren,daß es von hier aus unmöglich war, dahinteretwas zu erkennen. Darrnogh grinste undpackte mich am Arm.

»Es sind Räume. Wohnungen. Gut erhal-ten.«

Waren wir in einem unterirdischen Mili-tärlager gelandet? Vielleicht fand ich einegute Waffe, die ebenso konserviert war wiedie Werkzeuge. Ich folgte dem Piraten ummehrere Ecken und durch Räume, deren Be-leuchtung bereits zu flackern begann.Schließlich sprengte er mit einem Fußtritt ei-ne Tür auf.

»Hier!«Ich tastete nach einem Schalter. Tatsäch-

lich flammte an verschiedenen Punkten Be-leuchtung auf. Es hätte eine Kabine eineskleinen Raumschiffs sein können. Die weni-gen Möbel waren eingebaut, zweckmäßigund schmucklos. Die Größenverhältnissezeigten mir, daß die Bewohner dieser Stadtetwa ebenso groß gewesen waren wie Darr-noghs Leute aus Jansonthen.

»Was erwartest du?« erkundigte ich mich,während ich einen Schrank öffnete und au-ßer verrosteten Fragmenten nichts als bis zurUnkenntlichkeit verrottete Textilien fand.Ich schlug die Tür verärgert wieder zu.

»Nichts. Ich dachte, es hilft dir weiter.Hier haben viele Menschen gewohnt.«

»Über der Erde noch mehr.«Ich suchte in einigen Räumen, aber sie

waren leer. Leer deshalb, weil alles, dasnicht aus Glas, Stein, Kunststoff oder Metallwar, sich während der langen Zeit aufgelösthatte und zu Staub geworden war.

Nach etwa zwanzig Räumen, die sich gli-chen wie ein Blatt dem anderen, blieb ich

vor Darrnogh stehen und schüttelte denKopf.

»Ich bin nicht mehr interessiert. Wenig-stens nicht daran. Was nun?«

Er griff an sein Schwert.»Ich werde nach meinen Leuten sehen.

Viel können wir nicht mehr herausholen,denn die Ballons tragen nicht solch schwereLasten. Außerdem traue ich den Barbarennicht.«

»Einverstanden. Wir machen ja morgeneinen neuen Vorstoß. Vielleicht finden wirin einem anderen Bezirk interessantere Din-ge.«

Wieder spürte ich starke Unruhe. Ich ver-suchte, den Grund festzustellen. Irritiertfragte ich:

»Wieviel Stunden haben wir hier unterden Ruinen verbracht, Darrnogh?«

Er schien mehr als zufrieden zu sein, undwenn ich daran dachte, was derartig hoch-entwickelte Werkzeuge für eine relativ nied-rige Zivilisation bedeuteten, konnte ichDarrnoghs gute Laune verstehen.

»Es wird dunkel sein«, gab er grinsendzurück.

Ich hatte das Zeitgefühl verloren. Warenwir tatsächlich schon solange hier umherge-wandert? Wir folgten den Spuren. Hin undwieder brannte ein Beleuchtungskörper miteinem peitschenden Knall durch. Wir hattendie Grabesruhe gestört, und diese falscheWiedererweckung würde nur ganz kurzeZeit dauern.

»Deine Leute?« fragte ich beunruhigt.»Sie sind alle auf dem Platz. Sie laden die

Beute ein.«Wir sahen weit vor uns, unter dem näch-

sten Eingang, einen Ballonfahrer mit zweibrennenden Fackeln in den Händen. Erwinkte. Meine Unruhe wurde stärker, als wirschneller auf ihn zugingen. Auch Darrnoghwirkte plötzlich aufgeregt und begann zulaufen. Wir schlitterten durch Staub undSchmutz auf den Posten zu.

»Was ist los?«»Die Ballons! Der Sturm kommt, Darrno-

gh!« sagte der Posten und schloß sich uns

38 Hans Kneifel

an, als wir durch die dunkle Halle rannten.Als wir uns in der Mitte befanden, hörtenwir das hämmernde Krachen eines Donner-schlags. Das Licht eines Blitzes riß einenlangen Keil Helligkeit aus der Halle.

»Verdammt!« sagte Darrnogh. Jetzt schi-en er mehr Angst zu haben als ich. »Die Bal-lons! Wenn sie sich losreißen, sind wir ver-loren.«

»Richtig.«Wir rannten weiter. Wieder krachte der

Donner. Als der Ballonfahrer, der zwischenTreppe und Halleneingang stand, uns kom-men sah, warf er die Fackeln in die Hallehinein und schrie aufgeregt:

»Die Ballons! Der Sturm ist da! Du mußtuns helfen, Darrnogh!«

Unsere hastigen Schritte klangen hohl undbildeten Echos. Keuchend rannten wir zumAusgang und schlossen geblendet die Au-gen, als der nächste Blitz aufzuckte und denHimmel mit strahlender Helligkeit aufriß.Augenblicklich krachte ein ohrenbetäuben-der Donnerschlag. Wir sprangen die erstenStufen hoch. Regentropfen schlugen uns insGesicht.

»Zu den Ballons!« schrie Darrnogh, solaut er konnte. »Schnell! Haltet sie.«

Wir rannten in großen Sprüngen dieschlüpfrig gewordenen Stufen auf den Platzhoch. Überall sah ich Gruppen von Män-nern, die mit den Ballons kämpften. Das Ge-witter war direkt über uns. Die riesigeschwarze Wolke war in den vergangenenTagen gewandert und hatte jetzt die Wald-landschaft im Bereich der Ruinenstadt er-reicht. Ununterbrochen schlugen Blitze inden Erdboden und in einzeln stehende Bäu-me und Mauerreste. Ich sah, wie jenseits desletzten Ballons ein Blitz eine hochragendeMauer von oben bis tief in die Fundamentehinein spaltete. Die beiden Hälften fielenlangsam auseinander, Fontänen aus brennen-dem Mörtel und aufplatzenden Gewächsenschossen nach allen Seiten. Entlang des Ein-schlagskanals begann der Stein zu brennen,ehe sich die Mauern in einzelne Quadernauflösten und zu Boden krachten.

»Atlan! Zu dem Ballon dort! Wenn ersich losreißt, schießt Löcher in die Hülleoder zieht die Reißleine!«

»Ich habe verstanden«, sagte ich und warfden Bogen zurück auf den Rücken. Dannrannte ich los und spurtete im Zickzack aufden nächsten Ballon zu. Sämtliche Taue al-ler Ballons waren zum Zerreißen gespannt.Die riesigen, eiförmigen Körper zerrten undrissen an den Ankern und an den Seilen, diein den Ballastnetzen endeten.

Ich erreichte den Ballon. Nur Gjeima undzwei Männer hingen in den Seilen und ver-suchten, den Ballon tiefer herunterzuziehen.Er würde sicherer sein, wenn er unterhalbdem Baumwipfelgrenze schwebte. Aber im-mer wieder packte ein Windstoß die Hülleund riß sie schräg nach oben.

Der Himmel war tief schwarz.Die leuchtenden Flecken waren ver-

schwunden, aber hinter der Gewitterwolkesahen wir die harten Linien. Lichtstrahlenbrachen dort hervor und wirkten wie mächti-ge Scheinwerfer, die sich nach unten richte-ten. Immer wieder krachte der Donner. DieBlitze zuckten senkrecht und quer über dendunklen Hintergrund, ihre Verästelungenbildeten wirre Muster.

Heulend fuhr der Sturm zwischen denBäumen hindurch und tobte um die Ruinen.Gräser, abgefallene Blätter, Moosfetzen unddie Reste unserer Feuer flogen durch dieLuft. Auch unsere Decken und Mäntel se-gelten über den Platz.

Die Wipfel der Bäume und die Büscheschüttelten sich und wurden schwer zur Sei-te gedrückt. Vogelnester wirbelten durch dieLuft und lösten sich in einen Hagel von Hal-men und Klumpen auf. Vögel kämpften mitwahnsinnigen Flügelschlägen gegen denDruck des Sturms an. Krachend brach einBaum, die Krone raste schräg davon undverschwand im Wald.

Der Ballon, unter dem ich stand, riß anseiner Verankerung. Knirschend dehntensich die Seile. Das Netz mit dem Ballast undder Korb, durch eingelagertes Werkzeug undBeutegut schwerer geworden, hoben sich in

Die Piraten der Mikrowelt 39

Rucken und krachten wieder herunter.»Festhalten!« schrie der Pirat neben mir.

»Die Reißleine ziehen!«Ich legte den Kopf in den Nacken und

spähte nach oben, während ich zurückbrüll-te:

»Wo ist die Leine? Oben im Korb?«»Ja!«Das Gewitter war offensichtlich genau

über der Lichtung. Von Zeit zu Zeit rauschteein dichter Regenschauer herunter. Der Re-gen war so dicht, daß er uns blendete. DasWasser sammelte sich auf der Ballonhülle,rann daran herunter und bildete entlang desFüllschlauches einen Sturzbach. Aus demBoden des Korbes schossen breie Strömenach unten und trafen unsere Köpfe. Plötz-lich, in einer der winzigen Pausen zwischenDonnerschlägen, knisternden Blitzen,Sturmstößen und dem Brechen der Baum-stämme, hörten wir den Hornstoß.

Wir fuhren herum.Es ist Darrnogh! sagte der Extrasinn alar-

miert. Es muß etwas geschehen sein!Darrnogh stieß mit aller Kraft in das Horn

und deutete in meine Richtung. Mein Kopfwirbelte herum, und dann sah ich, was derAnführer der Piraten meinte. Die Barbarengriffen an!

Ein Stoßkeil nasser, triefender Männerkam zwischen den Stämmen hervor. Die er-sten befanden sich an der Stelle, wo der Ka-daver des Raubtiers verweste. Durch dieSchleier des peitschenden Regens sahen wirdie Gestalten. Sie waren klein, und der insAuge springende Eindruck war der absoluterSchwärze. Ich erkannte schwarze Helme,schwere Panzer, über die das Wasser ebensorann wie über unsere Körper. Die Schilde,die dicken, schweren Speere und die Arm-brüste waren stumpfschwarz. Die Waffenund Schilde schienen ebenso wie die Panzerdas letzte Licht auf der Plattform aufzusau-gen. Die Barbaren kamen schnell näher, undin der dritten Reihe des Stoßkeils sah ich,wie die Speere geschleudert und die Arm-brustbolzen abgefeuert wurden.

»Rettet euch! In die Ballons!« schrie

Darrnogh durch das hohle Sausen des Stur-mes. Ein Donnerschlag schluckte das Endedes Satzes. Ein Blitz zuckte quer über denPlatz, und wieder sah ich, wie das Licht vonden stumpfschwarzen Rüstungen und Schil-den geschluckt wurde. Einen Augenblicklang drang das infernalische Geschrei deranrückenden Barbaren in unsere Ohren. EinArmbrustbolzen schlug in die Brust desMannes neben mir und warf ihn vier Schritterückwärts in die nassen Büsche. Gjeimaschrie gellend auf.

Dann platzte der erste Ballon.Es gab einen ohrenbetäubenden Knall.

Die schlaffe Hülle und der schwere Korb be-gruben zwei Piraten und die ersten Barbarenauf dem linken Flügel unter sich. Ich hielteine Sprosse der Strickleiter fest, die waag-recht durch die Luft geschleudert wurde undGjeima traf.

Rette dich! Hinauf in die Kanzel. DerKampf ist aussichtslos! tobte der Logiksek-tor.

Wurfspeere flogen durch die Luft. Einigewurden durch den Sturm abgelenkt. Anderetrafen ihre Ziele. Es waren die Ballons unddie Piraten. Ich riß an der Leiter und holtemit einem Schwert aus.

»Gjeima! Hierher!« schrie ich und hieltihr die Leiter entgegen. Sie griff danach,verfehlte das Holz aber.

Ein weiterer Ballon zerriß, als ihn Bolzenund Speere trafen. Die Piraten ließen ihreBallons los und griffen zu den Waffen. EinInferno brach aus, und über allem tobte derGewittersturm mit unerhörter Kraft und oh-ne Unterbrechungen.

Der Stoßkeil der Waldbarbaren kämpftesich schnell gegen den geringen Widerstandder Piraten bis in die Mitte des Platzes vor.Ich erschlug einen Mann, der seitlich aus-scherte und auf den Ballon schoß, unter demich mich mit Gjeima befand. Dann enterteich mit der linken Hand die Strickleiter undschob das Schwert in den Gürtel.

»Komm her! Halte dich an meinem Gurtfest!« schrie ich und wartete. Die Strickleiterschwankte und schleifte über den Boden.

40 Hans Kneifel

Gjeima sprang ein zweitesmal auf mich zuund packte jetzt eine Strebe.

Ich kletterte höher und hoffte, daß nie-mand mich bemerkte.

Im Zentrum des Platzes kämpften die Pi-raten gegen zwei Drittel der Waldbarbaren.Ein weiterer Ballon platzte und stürzte her-unter. Ein Drittel der Angreifer kappte dieSeile der Ballons und schoß in die prallen,nassen Hüllen. Und der Regen strömte infurchtbaren Bächen herunter.

Fliehe mit dem Ballon! Sie werden dichsonst töten! befahl der Logiksektor.

Ich kletterte, den schweren Körper Gjei-mas hinter mir, fünf Sprossen höher. Im Au-genblick schien ich vergessen zu sein. Aller-dings rollte jetzt wieder ein besonders star-ker Sturmstoß über uns hinweg. Der Regenbildete mit Myriaden Tropfen einen dichtenVorhang zwischen der Hauptmasse der Bar-baren und mir. Nichts war zu hören außerdem Donner und dem Rauschen des Was-sers. Wir schienen uns in einer anderen Weltzu befinden.

Ich sah mich um, konnte aber nichts er-kennen. Das nasse Haar lag wie ein Tuchum meinen Kopf. Halbblind tastete ich michhöher, noch immer klammerte sich Gjeimamit einer Hand an mir fest. Dicht vor mei-nem Gesicht führte das straffe Seil des Bal-lastnetzes nach unten. Der Ballon sprang aufund nieder wie ein störrisches Reittier.

»Schneller, Atlan! Sie kommen!« hörteich Gjeima schreien.

Ich verdoppelte meine Anstrengungenund kämpfte mich gegen Regen, Sturm unddie wilden Bewegungen des Ballons höher.Endlich erreichte ich den Rand des Korbesund klammerte mich dort fest. Ich faßte nachhinten und packte Gjeimas Hand.

Dann schwang ich mich ins Innere desKorbes und trat in einen Haufen Werkzeugeund Ballaststeine.

»Hilf mir!« kreischte sie. Ihr Gesicht warganz nahe. Es war vom Ausdruck der hilflo-sen Panik gekennzeichnet. Ich packte festerzu und sah schräg an der Schulter des Mäd-chens vorbei, daß sich einige Barbaren nä-

herten, deren Armbrüste nach oben gerichtetwaren. Ich zog mit aller Kraft, aber Gjeimaklammerte sich angsterfüllt an die Stricklei-ter.

Es geht um dein Leben! schrie der Extra-sinn.

Ich zog das Schwert, beugte mich tief ausdem Korb und schwang die Waffe. DieSchneide prallte hart gegen das gestraffteSeil des Netzes.

Wieder rollte der Donner über den Ruinenhin und her, und die Blitze beleuchteten dieBarbaren, die zehn Meter tiefer auf uns undden Ballon zielten. Mit einer langgezogenenBewegung schrammte die geschliffeneSchneide das Seil entlang, und dann riß dieSchnittstelle auf.

Ich warf das Schwert nach einem der Bar-baren und griff nach rechts, um Gjeima her-aufzuziehen. Sie schrie auf und streckte dieHand aus. Ich blickte direkt in ihre großenAugen. Ihr Mund öffnete sich zu einemzweiten Schrei, aber ich hörte nur ein rö-chelndes Gurgeln.

Dann drang ein Schwall blasiges Blut ausihrem Mund und wurde von herunterpras-selnden Wasser weggespült. Ich beugte michweiter vor, und der Satz, den der Ballon auf-wärts machte, preßte mich schwer gegen denKorbrand. Ich sah den Armbrustbolzen ausdem Hals des Mädchens herausragen.

Die Finger Gjeimas lösten sich langsamund zitternd vom Rand der Gondel und vonder obersten Sprosse der Strickleiter.

Dann fiel das Mädchen nach unten undschlug neben einem der Barbaren in die Bü-sche. Ein Blitz schlug keine zehn Meter ne-ben der Gruppe in den Platz und sprengte sieauseinander.

Der Luftstoß, der den Ballon erfaßte,drehte ihn wie ein Kreisel und riß ihn schrägnach oben, auf die Wipfel der hin und herschwankenden Baumriesen zu. Ich klam-merte mich fest und sagte leise:

»Arme Gjeima. Irgendwie werde ich dichvermissen – du warst ein Mensch, und zumSchluß habe ich dich gemocht.«

Das Bild verfolgte mich:

Die Piraten der Mikrowelt 41

Der armlange Bolzen, das Blut, das Ge-sicht, eine Maske des Schreckens. Der Fallund der harte Aufschlag des Körpers. Bin-nen weniger Sekunden war ich aus dem Be-reich der Waffen verschwunden, und derRegenschauer, der sich zwischen die Gondelund den Erdboden legte, war wie ein Vor-hang, der nach einem dramatischen Schau-spiel heruntergelassen wurde.

Um mich waren Wasser, das Heulen desSturmes, der Donner und die blendendenBlitze. Der Ballon stieß schräg in die Höhe,wurde rasend schnell herumgewirbelt undschaukelte hin und her. Der Korb vollführtenoch heftigere Bewegungen. Ich packteeinen Seilrest und versuchte, ihn mit derrechten Hand unter dem Gürtelschloß hin-durchzuschieben und zu verknoten.

Hilflos wurde ich im Korb von einer Eckezur anderen geschleudert. Der Korb bewegtesich aufwärts und abwärts wie eine Schau-kel. Die Rucke machten mich halb besin-nungslos, denn gleichzeitig drehte sich derBallon. Es waren wilde, systemlose Bewe-gungen in drei Ebenen. Immer höher ging eshinauf. Es wurde dunkler, dann lösten Ne-belschwaden den Regen ab. Aber noch im-mer kreischte der Wind, krachte unaufhör-lich der Donner.

Endlich gelang es mir, den Knoten festzu-ziehen.

Du wirst in eine unbekannte Gegend fort-getrieben! Denke an die Reißleine! warf derLogiksektor ein.

Mühsam klammerte ich mich fest. DasWasser, das aus meinem Haar lief, schmeck-te auf den Lippen salzig und mineralisch.Ich konnte nicht mehr unterscheiden, ob ichmich drehte, oder ob sich die Bilder vormeinen Augen drehten. Mein Magen begannzu revoltieren. Noch immer drehte sich derBallon, raste schräg aufwärts und fiel umfünfzig Meter oder mehr abwärts, wurdeherumgerissen, und manchmal flog die Hül-le mit einer solchen Geschwindigkeit, daßder Korb waagrecht hinterher geschlepptwurde.

»Wahnsinn!« schrie ich, aber ich hörte in

dem Lärmen nicht einmal mehr meine eige-ne Stimme.

Wieder schoß der Ballon in eine Nebel-wand hinein. Plötzlich wurde es eisig kalt.Die rasenden Bewegungen nach allen Seitenberuhigten sich etwas. Donnerschläge warennur noch gedämpft zu hören, aber der Nebelglühte bei jedem Blitz auf wie das Gas in ei-ner Leuchtröhre.

Dem Pfeilhagel der Schwarzgepanzertenwar ich entkommen.

Vielleicht hatten sich auch einige der Bal-lonfahrer gerettet. Wenn sie nicht mit denBallons geflüchtet waren, dann konnte sienur die Flucht in die Tiefe der Ruinen retten.Die Waldbarbaren waren in der Überzahlgewesen, und jetzt war ich überzeugt, daßmein Pfeil nachts doch einen Späher getrof-fen hatte. Es gab keine Möglichkeit mehr,den Gedanken zu Ende zu führen, denn dieGondel wurde aus dem Nebel herausgeris-sen und mitten in die schwarze Wolke geso-gen. Ich spürte, daß sich der Ballon jetzt imTrichter einer Windhose befand, denn dieGeschwindigkeit, mit der er herumgewirbeltwurde, stieg schnell an. Ich kauerte mich inden Winkel zwischen Boden und Wand.

Um mich war pechschwarze Nacht. DerBrodem der schwarzen Wolke nahm mir denAtem. Nur noch undeutlich sah ich den ge-genüberliegenden Rand des Korbes. DieWolke bewegte sich, der Strudel riß mich ineiner weiten Spirale höher und höher.

»Die Luft … wird sie dünner?«Mein Schädel dröhnte. Jedes Wort, das

ich aussprach, um meine Stimme zu hören,stach wie eine Nadel und erzeugte ein brül-lendes Echo. Abgesehen davon, daß ich rei-nen Wasserdampf atmete und deswegenwürgend zu keuchen begann, schien ichnoch nicht so hoch zu sein, daß ich Angst zuhaben brauchte, der Ballon würde durch denÜberdruck zerreißen.

Noch nicht. Der Sturm reicht nicht sohoch! sagte der Extrasinn. Ich wußte nicht,woher dieses Extrahirn sein Wissen nahm,wie es dazu kam, solche Schlüsse zu ziehen.Wieder warf mich ein Stoß nach vorn und in

42 Hans Kneifel

den Haufen der Werkzeuge hinein.Gjeima war tot.Der Angriff und der Sturm hatte meine

neuen Freunde buchstäblich in alle Windezerstreut. Ich raste mit einer Windhose da-hin.

Wo befand ich mich? Über welche Land-schaft raste dieser wahnsinnige Sturm da-hin?

Ich weiß es nicht.Wie lange würde der Tornado noch wü-

ten? Wie lange drehte ich mich noch in demMahlstrom aus Nebel, Regen und Wolken?

Und wo würde mich der Sturm absetzen?In einem Land, das du nicht kennst.Ich befand mich in einer werkzeugbelade-

nen Gondel und besaß als Waffe nur nocheinen Dolch. Nicht einmal Essen gab es hier,der Wassersack war weggerissen worden.Die Zeit verging, ohne daß ich es abschätzenkonnte. Ununterbrochen strömte Regenwas-ser in mein Genick. Einmal war es eiskalt,dann wieder wärmer. Und es stank nachAsche und Chemikalien. Und plötzlich pras-selte ein Schauer von großen Hagelschloßenin den Korb hinein. Die Eiskugeln trafenmeine Haut mit der Wucht von Geschossen.Ich hob meine Unterarme und schützte denKopf, aber der Hagel schlug ununterbrochenzu. Wieder donnerte es, wieder packte einSturmstoß die Gondel und trieb sie nachrechts.

Der Irrflug ging weiter.Selbst die Elemente des Mikrokosmos

schienen es auf mich abgesehen zu haben.

6.

Es mochte eine halbe Stunde später sein.Vor mir rissen die Wolken auf. Der Nebelverschwand, und ein letztes Hagelkorn hüpf-te von der Ballonhülle in den Korb undschmolz langsam auf dem Griff eines Ham-mers. Das Licht des Tages schlug mir in dieAugen und blendete mich. Ich schob dastriefende Haar aus der Stirn und blinzelte,bis ich mich an die Helligkeit gewöhnt hatte.

Der Ballon bewegte sich noch immer in

einem weiten Kreis. Aber die Stöße vergin-gen innerhalb von ganz kurzer Zeit. Ichstemmte mich zitternd vor Kälte und Er-schöpfung in die Höhe und schob den Kopfüber den Rand der Gondel. Ich spähte ineinen gewaltigen runden Schacht hinein.

Er öffnete sich einen Kilometer über mirzu einem riesigen Trichter. Dorther kam dasLicht. Es mußte genau die Zeit zwischenDämmerung und Nacht sein. Ein neuerSchrecken durchzuckte mich: oder war esschon die Morgendämmerung?

Ich blickte nach unten.Der nächste Schock. Der Schacht war das

Auge des Hurrikans. Er war nicht ganz gera-de, sondern bildete eine korkenzieherartigeSpirale. Aber ich erkannte unglaublich tiefunten den Boden dieser mörderischen Welt.Mir gegenüber flog eben aus der Innenwandder Windhose ein riesiger Vogel heraus, kei-ne fünfhundert Meter entfernt. Er machte einpaar hastige Flügelschläge. Bei jeder der Be-wegungen lösten sich ganze Büschel nasserFedern aus dem Gefieder und schwebten da-von.

Zehn Schwingenschläge später riß dasTier den Kopf in die Höhe, streckte die Fän-ge aus und versank wie ein Stein trudelnd inder Tiefe. Ich wandte mich schaudernd ab.

»Die Schrecken hören nicht auf!« mur-melte ich. Als ich die Hände vom Gesichtnahm, erkannte ich die Blutspuren in denHandflächen. Hagelkörner hatten die Hautmeines Gesichts aufgerissen, das Wasser be-gann in den Wunden zu schmerzen. Wiederblickte ich nach unten, von dem schreckli-chen Ausblick gebannt und fasziniert.

»Eine neue Teufelei!«Warte es ab. Die Wucht des schlimmsten

Sturmes hört früher oder später auf.Ich lachte bitter. Früher oder später würde

ich auch sterben müssen. Ich gab mir nichtmehr viele Chancen. Der Boden dort unten,ziemlich deutlich sichtbar, bewegte sich ra-send schnell. Dies bedeutete, daß die Wind-hose in rasender Geschwindigkeit über dieLandschaft zog und dort eine Bahn der Ver-nichtung hinterließ.

Die Piraten der Mikrowelt 43

Undeutlich erkannte ich die Verwüstun-gen, die von dem Sturm angerichtet wurden.Pflanzen und Erdreich wurden gelockert,umgeworfen und in den Strudel hochgeris-sen. Ich sah ganze Bäume, die dort unten er-schienen und mit den weißen Wurzeln, vondenen sich das Erdreich löste, in den Strudelhineingesogen wurden. Sie traten wie meinBallon in die tödliche Spirale ein.

Auch ich befand mich noch in dieser Spi-rale. Der Ballon war jetzt, seit ich wiederLicht gesehen hatte, wesentlicher höher. Sei-ne Geschwindigkeit war vermutlich gleichgeblieben, aber der Kreis, den er flog, hatteeinen größeren Durchmesser.

Irgendwann würde ich den oberen Randdes trichterförmigen Wirbels erreichen, undwas geschah dann?

Ich klammerte mich fest und wartete. Et-was anderes konnte ich nicht tun. Abgese-hen davon, daß ich erbärmlich zu frieren be-gann und mein keuchender Atem zu einerweißen Dampfwolke kondensierte. Dreitau-send Meter oder mehr – das war die Höhe,in der ich mich schätzungsweise befand.

Es ging weiter.Der Ballon raste entlang der unsichtbaren

Kurve, immer in der Nähe der schwarzenWolke, deren Innenrand wie eine massiveMauer wirkte, sobald ich den gegenüberlie-genden Bezirk anblickte. An den Haltetauen,von denen einige gerissen und andere ange-rissen waren, bildeten sich Kristalle. Eis! Ichhatte Fartuloon berichten hören, daß der Toddes Erfrierens leicht war, denn man schliefund dämmerte dem Ende entgegen; ein-schlägige Erfahrungen im Grenzbereich hat-te ich sogar selbst. Ich begann mich zu be-wegen und klemmte die Finger unter dieAchseln ein. Mehr und mehr Eis bildetesich. Dann gab es einen Ruck, die Bewe-gungsrichtung änderte sich. Ich zuckte zu-sammen und schaute mich um.

Ich hatte den höchsten Punkt erreicht!Der Ballon raste auf dem höchsten Punkt

des Trichters dahin. Ich sah den Boden nichtmehr, sondern nur noch ein Stück in den ra-senden Schlauch hinein. Jetzt packte eine

besondere Art von Zentrifugalkraft den Bal-lon und schleuderte ihn über den oberenGrat der Wolke dahin. Nach außen, durchdie Wolke hindurch, denn sofort tauchte dieKanzel wieder in die Schwärze der Wolkeein. Inzwischen sah ich, daß diese Helligkeitnicht der letzte Rest Tageslicht war, sonderndie Morgendämmerung. Stundenlang warich also nicht nur durch den Sturm, sondernauch durch die Nacht getrieben.

Wieder schlug die Dunkelheit um michzusammen.

Es wurde wärmer. Das Eis begann zuschmelzen. Wieder begann das Wasser zutropfen. Ich hörte keinen Donner und sahkeine Blitze mehr. Die Schwärze wurde in-tensiver, der Dampf legte sich erstickend aufmeine Schleimhäute und reizte die Lungen.Ich begann wahnsinnigen Hunger zu spüren.Meine Finger zitterten.

»Wann hört das endlich auf?« murmelteich, als der Ballon und der Korb wieder wiewild zu schlingern und zu schaukeln began-nen. Der zweite Teil der Höllenfahrt begannoffensichtlich. Diesmal gab es nur das Röh-ren und Brausen des Sturmes, der Donnerfehlte. Aber er würde sich bald wieder ein-stellen, fürchtete ich.

Plötzlich spaltete sich vor mir die Wolke.Ich sah nur noch das grelle Leuchten, das

hoch über mir begann, gleichzeitig einenlangen Kanal nach unten bildete und dannaufflammte. Die Elektrizität ließ mein Haarknistern, die Werkzeuge klirrten, und als derBlitz aufflammte, sackte ich zusammen undschlug schwer in die Werkzeuge.

Ich wurde mit einer Plötzlichkeit bewußt-los, als habe man eine Schockwaffe gegenmeinen Hinterkopf abgefeuert.

Die Welt existierte für mich nicht mehr…

*

Irgendwann kam ich wieder zu mir.Ich lag zusammengekrümmt auf dem Bo-

den des Korbes. Stechende Schmerzen fol-terten mich. Sie gingen vom Kopf aus und

44 Hans Kneifel

strahlten über die Schultern bis in die Hüftenhinunter. Ich öffnete den Mund und atmetetief ein und aus. Dann riß ich die Augen aufund tastete um mich.

Steh auf! Du bist noch immer im Korb desBallons! rief der Extrasinn. Mit zitterndenKnien versuchte ich mich zu erheben. Ichkrallte mich an der verbogenen Sitzstangefest und richtete mich langsam auf. Der Bal-lon trieb noch immer dahin. Es war tiefeNacht. Ich sah nichts, nur über mir spürteich die Masse des eiförmigen Flugkörpers.Er hatte den Sturm überstanden. Ringsherumwar es ruhig, oder hatten meine Ohren gelit-ten?

Nein.Ich hörte tatsächlich etwas. Verschiedene

Geräusche waren in der Dunkelheit. Untermir ein helles, durchdringendes Rauschen,schon fast ein Zischen. Ich fror nicht mehr,aber die Vorstellung, den größten Teil desTages bewußtlos in der dahinrasenden Gon-del verbracht zu haben, ängstigte mich. Je-denfalls war der geringe Versuch der Orien-tierung in diesem merkwürdigen Mikrolandrestlos dahin.

Meine Lippen waren rissig und trocken.Ich hatte wahnsinnigen Durst, und wenn ichmeine Gesichtsmuskulatur bewegte, rissendie Wunden auf und begannen zu schmer-zen.

Mein Magen knurrte hörbar. Er übertöntesogar das Geräusch der Luft, durch die derBallon geschoben wurde. Ich hatte keineAhnung, wie schnell und wie hoch ich flog.

Meine Augen versuchten die Dunkelheitzu durchdringen.

Ich erkannte undeutlich über mir denHimmel. Er war schwarz, ohne Farben, undich sah auch wieder jene leuchtenden Punk-te. Meine Augen begannen sich langsam andie schlechten Lichtverhältnisse zu gewöh-nen. Wolken befanden sich am Himmel, daswrar sicher. Ich erkannte über mir und linksund rechts der Gondel langgezogene Wol-kenformationen, hell und ein wenig leuch-tend und voller Turbulenzen. Der Sturm hat-te sich entweder aufgelöst oder mich ausge-

worfen. Jetzt trieb ich mit großer Geschwin-digkeit in einem schräg abfallenden Luft-strom dahin, auch das konnte ich merken.

Ich beugte mich über die Kante und blick-te nach unten. Ich sah helle Nebelfetzen, dierasend schnell dahintrieben. Also war auchdie Geschwindigkeit des Ballons noch hochund gefährlich. Welches Schicksal erwartetmich?

Mache dich darauf gefaßt, bald zu lan-den] sagte der Extrasinn warnend.

Es war ziemlich kalt, aber ich fror nichtmehr. Hin und wieder klatschte von schrägoben ein Regenguß durch die Nacht und trafBallon und Korb. Meine Muskeln schmerz-ten; wieder war ich völlig hilflos, abgesehendavon, daß ich die Reißleine ziehen oder dieHaltetaue durchschneiden konnte. Mehrnicht. Weit vor mir sah ich eine dunkle Mas-se, unter den Nebelschwaden tauchte hinund wieder das hellere Band eines Flussesauf oder eines langgezogenen Sees. Diesedunkle Barriere – war es wieder eine Wolke,oder handelte es sich um ein Gebirge? Ichkonnte es nicht erkennen. Mit einem plötzli-chen Ruck sackte der Ballon nach untendurch und fing sich wieder. Krachend schlu-gen meine Zähne aufeinander.

»Verdammt! Was kommt jetzt auf michzu?« knurrte ich mit ausgedörrter Kehle. Ichmachte einige Kniebeugen, straffte meineSchultermuskeln und atmete tief durch;langsam belebte sich mein Kreislauf wieder,und ich vergaß für kurze Zeit zwar Hungerund Durst, aber nicht völlig meine mißlicheLage.

Du bist immerhin lebend dem Hurrikanentkommen! tröstete mich der Logiksektorlakonisch.

Die Wolkenschichten bewegten sich. Icherhaschte immer wieder einen längerenBlick auf das Gelände unter mir und vormir. Der Ballon raste in halsbrecherischerGeschwindigkeit auf den Mittelpunkt derbreiten, schwarzen Bank zu, die sich vor mirausdehnte. Wieder wehte ein Nebelschleierzur Seite. Ich sah einen scharfen Berggipfel,der keine zwanzig Meter unter dem Gondel-

Die Piraten der Mikrowelt 45

boden auftauchte, schnell nach hinten weg-zog und wieder verschwand.

Ein Gebirge!Offensichtlich eine Ansammlung sehr ho-

her und unbewachsener Berge. Der Gipfelwar scharfkantig gewesen, und ich glaubteSchnee- und Eisreste in einer Spalte bemerktzu haben. Wenn der Ballon hier strandete,war ich verloren. Eine öde Landschaft, ver-bunden mit halsbrecherischen Klettereien,wenn ich nicht beim Aufprall zerschmettertwurde. Ich fluchte unterdrückt, aber das halfmir keineswegs zu einer optimistischerenBetrachtung der Umstände.

Denke an die Reißleine! sagte der Logik-sektor.

Ich tastete nach oben, aber als ich die Lei-ne zwischen den Fingern spürte, dachte ichdaran, daß sie mich auch nicht retten konnte.Es gab keine Möglichkeit, ein besseres oderschlechteres Ziel anzusteuern, indem ich dasGas aus dem Ballon ließ. Ich kannte dieLandschaft nicht, die unter mir lag. Auchgab es keinerlei Gewähr dafür, daß ich in ei-nem Tal landete, von dem aus ich michdurchschlagen konnte.

»Verfluchte Mikrowelt!« schrie ich wü-tend auf. Mein Schrei verhallte ohne Echoim Brausen des Sturmes, das jetzt in relati-ver Nähe des Bodens wieder lauter gewor-den war. Ein zweiter Berggipfel tauchte auf,raste rechts der Gondel vorbei und ver-schwand wieder. Ein zweiter Ruck des Bal-lons ließ das Fahrzeug abermals tief absin-ken. Eine Sekunde lang schrammte der Bo-den des Korbes irgendwo auf. Ich hörtedurch den Nebel das Klappern und Rollenkleiner und großer Steine, und etwas späterging dort, wo der Korb aufgesetzt hatte, eineSteinlawine herunter. Das Echo schallte zwi-schen den Bergen hin und her. Jetzt konnteich mir wenigstens akustisch ein etwas deut-licheres Bild machen. Der Ballon trieb durchein langgezogenes Tal, in dessen Grund einFluß zu sehen war.

War es das Rauschen von Wasser, oderhandelte es sich um das Rauschen des Win-des, das immer lauter und heller wurde?

Ich zuckte zusammen, als der Korb zuschwanken begann. Vor mir tauchte wie einGespenst eine kahle Felsplatte auf, die sichin Flugrichtung erstreckte. Gleichzeitig setz-te ein wütender Regen ein, der den Ballonvon hinten packte und nach unten drückte.

Der Boden des Korbes setzte auf, kippteund schleuderte mich in einen Winkel zu-rück. Ich packte die Sitzstange und klam-merte mich daran fest. Dann zog der Ballondie Gondel auf einer Kante über die Fels-platte. Das knarrende, reißende Geräuschwar furchtbar. Ich erwartete jeden Augen-blick, daß der Boden aufreißen und michhinausschleudern würde. Aber nach einemWeg von schätzungsweise fünfzig Meterndurch die regengepeitschte Dunkelheitschwang die Gondel wieder frei hinaus überden Abgrund.

Einige Sekunden vergingen. Der Ballonstabilisierte sich wieder und schwebte ruhi-ger dahin.

Sollte ich die Reißleine ziehen?Ich war unentschlossen und stand wieder

auf. Mein Körper mußte von Prellungen undblauen Flecken übersät sein.

Ich dachte zu lange nach.Plötzlich schmetterte mich ein furchtbarer

Schlag gegen den Korb. Die Gondel war ge-gen eine Felswand geprallt. Der Ballon übermir riß mit einem langen, knirschenden Ton.Ich roch einen Augenblick lang das entwei-chende Gas. Dann duckte ich mich, rolltemich im Korb zusammen und klammertemich fest. Der Ballon fiel auf mich herunter,die Gondel begann zu fallen, und als erstesumgab mich das Werkzeug aus der Ruinen-stadt, das haltlos herumfiel und klapperndaus dem Korb polterte, der sich überschlugund zu rollen begann. Bei diesem Rollenwickelte der Korb die Haltetaue und dieschlaffe Hülle des Ballons um sich, so daßeine Art Walze entstand.

Festhalten! Es geht um dein Leben! be-fahl der Logiksektor.

Ich klammerte mich an allem fest, wasmeine Finger erreichten. Die Werkzeuge tra-fen meinen Körper und wurden durch aufge-

46 Hans Kneifel

rissene Löcher des Korbes geschleudert. Ichhörte das Klirren und Prasseln auf demnackten Stein. Der Abhang war nicht regel-mäßig.

Einmal fiel ich um eine unbekannte An-zahl von Metern, dann wieder rollte dieWalze mit mir in eine schräge Fläche hinun-ter. Überall war Wasser; ich geriet in eineZone, in der es wütend regnete. Klatschendund schleifend rollte der Korb weiter. Wie-der wurde ein Hagel kleiner Werkzeuge undTeile über den nackten Felsen verstreut. Einharter Teil traf meinen Kopf, Kanten bohr-ten sich in meinen Rücken. Mein Körperschlug hart gegen die Wand.

Der Umstand, daß sich die Ballonhülleum den Korb gewickelt hatte, rettete mich.

Aber ein langer schräger Hang, den dieseKombination jetzt, immer schneller werdendund sich drehend, hinunterrollte, schleudertemich wie eine Gliederpuppe von einer Eckezur anderen, übersäte meinen Körper mitPrellungen. Wieder verlor ich das Bewußt-sein …

… aber nur für wenige Augenblicke.Ein erneuter, harter Stoß. Die Walze kam

zu einem plötzlichen Halt. Dann kam von al-len Seiten gleichzeitig Wasser in das Ge-fängnis mit den durchlässigen Wänden, de-ren Geflecht sich aufzulösen begann. Ichrang nach Luft, schluckte Wasser undkeuchte. Ich suchte in einem Reflex nachdem Dolch, um mir einen Weg ins Freie zuschneiden, denn in wenigen Sekunden wür-de ich erstickt sein.

Ein zweiter Stoß!Wieder gerieten die Reste ins Rollen.

Aber jetzt rollten sie nicht mehr über nack-ten Fels, sondern durch Wasser. Vermutlichwar ich in ein Bachbett geraten, in dem dieWassermassen des gewaltigen Regens nachunten strömten und alles mit sich rissen, wassich hier befand.

Der Ballon löste sich auf, die Fetzen derHülle blieben an Felsen oder Gewächsenhängen. Jeder dieser unzähligen kleinenRucke verlangsamte die rasende Abwärtsbe-wegung ein bißchen. Steine schoben sich in

den Korb, der jetzt begann, kleine Sprüngezu machen. Das Wasser floß ab, ich konntewieder atmen, aber sofort kam eine neueWelle und packte mich.

Wieder rissen einige Taue. Die Dunkel-heit um mich herum schwand langsam.Mehr und mehr Stoff der Ballonhülle ver-schwand und blieb irgendwo hängen. DerStrom des Wassers schwoll an. Ich rollte,wurde herumgewirbelt, schwamm einigeMeter, schlug gegen einen Felsen, taumelteim Zickzack von einer Seite der Geröllrinnezur anderen.

Knirschend rissen weitere Seile.Der Ballon war jetzt verschwunden. Die

Öffnung des Korbes richtete sich für einigeSekunden nach oben, und ich holte schnellLuft. Sie war warm und feucht. Es regnetenoch immer, aber ich erkannte schemenhaftabgestorbene Gewächse, weiße Baumstäm-me, denen die Wucht des Gerölls die Rindeabgerissen hatte, Felsen und riesige Kiesel-steine. Eine breite Wasserrinne verlief hierdurch den Berghang. Ich befand mich in ei-nem Strom, der rasend schnell abwärtsstürzte und dem Zickzack des Wildbachbet-tes folgte.

Es gab Pflanzen.Also gab es auch Früchte und Tiere. Hier

konnte ich vielleicht überleben. Ich packteden Rand des Korbes und zog mich hoch.Ich wollte mein Gefängnis verlassen, dasjetzt für eine gewisse Zeit schräg mit demWasser abwärts raste, ohne sich zu über-schlagen.

Gerade, als ich mich seitlich aus demKorb schnellen wollte – ich handelte nichtmehr bewußt, sondern in blinder Lebenser-haltung –, traf abermals ein schwerer Stoßdie Konstruktion. Meine Finger wurden ge-fühllos, als ich mich anklammerte, dann öff-nete sich der Griff. Ich prallte wieder mitdem Rücken gegen den Korb, der herumge-wirbelt und gekantet wurde.

Und ganz plötzlich – NICHTS.Stille. Nur ein fernes Rauschen. Ich wurde

für einen Moment schwerelos. Dann reali-sierte ich, was geschehen war. Das stürzende

Die Piraten der Mikrowelt 47

Wasser hatte mich über einen Felsen hinaus-katapultiert, und ich flog durch die Luft.

»Nein!« schrie ich in den peitschendenRegen hinein.

Niemand hörte mich.Der Flug dauerte höchstens drei Sekun-

den, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen.Dann schlug der traurige Rest der Gondelins Wasser ein und tauchte tief hinunter. DasWasser schlug über mir zusammen. Willen-los klammerte ich mich fest, anstatt mich ab-zustoßen. Ich konnte nicht mehr klar den-ken. Ich spürte nicht einmal mehr dieSchmerzen.

Auch unter Wasser herrschte ein starkerSog.

In kleinen Blasen entwich die Luft ausmeinen Lungen. Das Wasser war eiskalt, derSchock brachte mich wieder zu Bewußtsein.Der Sog riß mich mitsamt dem Korb nachvorn, drehte mich und wirbelte mich dannaus dem Bereich des Tiefwassers hinaus.Der Korb tauchte auf, ich rang nach Luft,und als ich die Augen öffnete, sah ich, daßich mich wieder in einem breiten Rinnsalbefand. Der Korb war halb eingetaucht undlag schief im Wasser. Das Material selbstschwamm auf.

Ich gurgelte, spuckte Wasser und holtekeuchend Luft. Trotz des wilden, unkontrol-lierten Schaukelns und Drehens dieses hin-fälligen Bootes erhaschte ich eine Reihe lan-ger Ausblicke auf die Ufer.

Keine zwanzig Meter hinter mir sah ichdie langgezogene Fontäne eines Wasserfalls.Das Wasser schoß in einem engen Bogenmehrere Meter über die Kante, bildete einenSchleier und fiel in ein kleines Becken vol-ler Schaum und Blasen. Dort schien dasWasser zu kochen. Kleine Tiere und Baum-stämme trieben darin, Pflanzen und irgend-welche Blätter. Das WTasser floß schnellab, raste durch eine schräge Rinne und bil-dete jetzt bereits einen breiten Bach. Ich warin meinem Korb gefangen, denn die Ge-schwindigkeit war selbstmörderisch.

Was sollte ich tun?Warte auf eine günstige Gelegenheit in

ruhigerem Wasser! sagte das Extrahirn mitNachdruck.

Das war wohl das beste. Ich hielt michfest und blieb passiv. Felsen und Bäume vol-ler Schwemmgut in den hochliegenden Wur-zelgeflechten rasten an mir vorbei. Der Bachmachte eine Schwenkung, ergoß sich wiederüber Geröll und dann über eine lange Reihevon Felsabstürzen und Unterbrechungen ter-rassenförmig nach unten in einen breiterenFlußlauf.

Auch dort trieben Pflanzen und Teile vomBäumen. Ich sah ein Tier, das sich verzwei-felt gegen die Strömung und den Sog wehr-te. Es kämpfte, bis es außer Sicht geriet.

Das Tier würde nicht lange überlebenkönnen. Die Stämme, die gegeneinanderstießen und aneinander mahlten, würden estöten. Ebenso konnte es mir ergehen, wennich nicht aufpaßte.

Der Korb wurde nach links und rechts ge-rissen, schwang sich durch die langen,schäumenden Wellen und landete in einemrasenden Wirbel mitten im Fluß. Die Strö-mungsgeschwindigkeit des Flusses war nochgrößer als die des Baches. Mein Gefährtwurde mitgerissen und jagte kreiselnd, im-mer wieder untertauchend und hochkom-mend, flußabwärts.

Ich hielt mich fest, stieß mit der anderenHand die Baumstämme in eine andere Rich-tung, schob starke Äste zur Seite, die sichvor den Korb geschoben hatten. Ständig ver-änderte die Landschaft am Ufer, die ich un-deutlich im licht der kleinen Leuchtpunktedes roten Himmels erkennen konnte, ihrAussehen, Karge Wiesen, halb verkrüppelteBäume, fast nur Felsen und weiß gewasche-ne und abgerundete Steine, dahinter Geröllin allen Größen und Felsen. Es gab nur Hän-ge von verschiedenen Neigungswinkeln. Ichsah weder Lichter noch andere Zeichen vonmenschlichen Behausungen. Auch keineTiere konnte ich erkennen. Nur Wasserflu-ten, die von allen Seiten herunterstürztenund binnen einer kurzen Strecke den kleinenFluß in einen reißenden Strom verwandel-ten. Ich war ein zweitesmal in eine Katastro-

48 Hans Kneifel

phe hineingeraten; diesmal in einen unge-heuren Regenfall, der von den Resten desTornados oder Hurrikans ausgelöst wordenwar.

Ich wurde müder und schläfriger, je län-ger die rasende Fahrt durch das schwarzeWasser dauerte.

Das andauernde Drehen und Herumwir-beln, die pausenlosen Stöße, das Untertau-chen und der Umstand, daß mein Körper im-mer mehr auskühlte, schläferten mich ein.Ich handelte nur noch automatisch, ohne zudenken. Eine lange Serie von Reaktionenließ mich überleben. Ich agierte wie imTraum.

Eine Art Dämmerzustand erfaßte mich.

*

Meine Odyssee ging weiter, ohne daß iches merkte.

Wach auf! Du kommst um!Gjeima war tot. Der Ballon war zerfetzt,

und ich trieb waffenlos, durstig und hungrigüber das schwarze Wasser eines Flusses,dessen Strömung mehr und mehr wuchs.Schneller und schneller ging es in leichtenWindungen aus dem Gebirge hinaus, aberich merkte auch das nicht mehr.

Aufwachen, Arkonide!Meine letzten Freunde, die Ballonfahrer,

waren entweder tot, gefangen oder mit demSturm weggerissen worden. Die Ruinenstadtgehörte der Vergangenheit an. Alles warvorbei. Ich merkte immer weniger von mei-ner Umgebung. Es war tiefste Nacht, gleich-mäßig stark rauschte der Regen herunter.Auch das merkte ich kaum.

Öffne die Augen! Du stirbst!Ich konnte nichts mehr erkennen, wenn es

mir hin und wieder gelang, die Augen zuschmalen Schlitzen zu öffnen. Beide Uferwaren so weit entfernt, daß ich hinter denRegenschleiern nichts erkennen konnte.

Zwischen zerfetzten Baumstämmen, totenTieren und allen nur denkbaren Abfällentrieb der Korb, mehr als halb voll Wasser, ir-gendwohin. Ich hatte keine Chance mehr.

Ich war hierher gekommen, um die schö-

ne Arkonidin und den Maahks zu finden. Ichhatte nicht einmal eine Spur von beiden ge-funden. Die Müdigkeit lastete auf mir wieschwere Gewichte. Ich hatte immer mehrMühe, hin und wieder die Augen aufzurei-ßen, um festzustellen, wo ich war.

Ich ignorierte sogar die eindringlicheStimme meines Extrahirns.

Aufwachen! Versuche, das Ufer zu errei-chen, Atlan! schrie der Logiksektor immerlauter und deutlicher.

Gjeima, Crysalgira, Grek-3! Nichts hatteich geschafft! Ich war nur auf einem langen,abenteuerlichen Weg durch diese Mikroweltgestolpert, von einem Ereignis zum anderen.Mein Wissen und meine Kenntnisse warengewachsen, aber ich sah nicht die geringsteMöglichkeit, etwas Konstruktives zu tun.Würde ich es jemals verstehen, mich in die-ser verrückten Welt zu bewegen?

Die Höllenfahrt auf dem strudelndenWasser ging weiter, unbeeinflußbar durchmeine Überlegungen. Ich konnte den Stru-deln nicht entkommen. Mir blieben nur dieschwachen Versuche, mein Leben zu erhal-ten – und meine Gedanken.

Nicht einschlafen, Atlan! Der Schlaf istdein Tod! Denke an deine Aufgaben, an deinZiel!

Ich hielt mich mit einem letzten Rest vonLebensenergie wach. Gedanken stürmtenauf mich ein, aber, wie merkwürdig, selbstsie schienen langsamer abzulaufen. Ich triebeinem ungewissen Schicksal entgegen, undwenn mich nicht alles täuschte, dann war esder Tod.

Du stirbst, wenn du dich selbst aufgibst!schrie wütend der Extrasinn.

Auch das war mir gleichgültig. Ich wolltenichts anderes als Schlaf, Ruhe, Entspan-nung, Erholung …

Rings um mich gurgelte das schwarzeWasser.

ENDE

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