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93 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 80 (2011), Heft 2 Für einen Brückenwettbewerb in Wien wurde ein Konzept einer beweglichen Brücke in Form eines Fischbauchträgers entwickelt, das neben seiner strengen Funktionalität und der materiellen Effi- zienz über einen innovativen Hebemechanismus verfügt. Die Idee des Hebevorgangs basiert auf einer Verkürzung des Trägerunter- gurts durch Seile und zwei zwischengeschalteten hydraulischen Zylindern. Die Anhebung der Brücke zur Freihaltung des gefor- derten Lichtraumprofils erfolgt asymmetrisch, was ein raupen- ähnliches Verkrümmen zur Folge hat. Des Weiteren wurde die Deckplatte dahingehend optimiert, dass unter Verwendung hoch- fester Stähle die große Verformung über das elastische Werk- stoffverhalten aufgenommen und so auf wartungsintensive Gelenke verzichtet werden kann. Durch das gewählte statische System mit dem applizierten Hebemechanismus kann die Ein- leitung großer Horizontalkräfte in den Boden vermieden und da- durch die Kosten deutlich gesenkt werden. Das Konzept wurde für eine Spannweite von ca. 60 m entwickelt, kann jedoch auch für andere Spannweiten adaptiert und so vielerorts eingesetzt werden. “The Caterpillar” – A moving bridge structure. For a design com- petition for a bridge in Vienna, a concept for a moving bridge in the form of a lenticular girder was developed which, in addition to its strict functionality and material efficiency, features an inno- vative lifting mechanism. The lifting principle is based on shorten- ing the lower chord of the girder with the help of cables and two intermediate hydraulic cylinders. In order to create the required clearance profile, the bridge is lifted asymmetrically, which re- sults in a deformation of the shape which is reminiscent of a caterpillar. In addition, the upper deck was designed using high- tensile steel so that the considerable deformation could be ab- sorbed by the elasticity of the material, which means that mainte- nance-intensive hinges could be omitted. This structural system with its lifting mechanism makes it possible to significantly lower costs as there are no large horizontal forces to be transferred to the ground. The concept was developed for a span of approx. 60 m but can also be adapted to spans of different sizes and is therefore suitable for many situations. 1 Einleitung Schon in der Antike traten bewegliche Brücken in Er- scheinung. Im 3. Jahrhundert vor Christi entwickelten die Römer für ihre Kriegsflotte eine bis zu 8 m lange bewegli- che Enterbrücke, die aufgrund des am Ende montierten schnabelförmigen Dornes „corvus“ (Rabe“) genannt wur- de und das Übersetzen der im Nahkampf überlegenen Fußtruppen auf feindliche Schiffe ermöglichte [1]. Bis heute ist die Planung von Fuß- und Radwegbrücken über niveaugleiche Schifffahrtswege eine besondere Herausfor- derung, da zusätzlich zum ebenen, meistens barrierefreien Queren durch Fuß- und Radverkehr ein zeitbegrenztes Freigeben des benötigten Lichtraumes sowohl für Schiffs- durchfahrten als auch bei Hochwasserereignissen berück- sichtigt werden muss. Neben den brückenbautechnischen und architektonischen Ansprüchen müssen die Brücken- konstruktionen auch den kinematischen und maschinen- bautechnischen Rahmenbedingungen genügen und erfor- dern daher ein ingenieurtechnisch interdisziplinäres Ent- werfen. Die Ausführung beweglicher Tragwerke in Form von vorwiegend Dreh-, Klapp- und Hubkonstruktionen ist die Regel. Die Faszination aus der Komplexität der Auf- gabenstellung beflügelt Entwerfer zu immer neueren Ent- wicklungen von Hebemechanismen [2] bis [4], in denen sich das hier vorgestellte Konzept zweifelsohne einreiht. Durch eine Wettbewerbsauslobung im Wiener Raum ergab sich die Gelegenheit, sich mit der Aufgabe von be- weglichen Brückenkonstruktionen intensiver auseinander zu setzen. Ziel war es, eine Rad- und Gehwegbrücke über den Wienfluss zu entwickeln, die städtebaulich verträglich ist und den angeführten Kriterien folgt: – klare Formen – materielle Effizienz – realisierbarer Hebemechanismus – Minimierung der beweglichen Teile – einfaches statisches System – Berücksichtigung von Bestandeinbauten – Wartungsfreundlichkeit – geringe Kosten für die Erstinvestition und den Betrieb 2 Ideenfindung Die 1999 gebaute, bewegliche Hängebrücke im Innen- hafen in Duisburg fasziniert durch den kinematischen Ef- fekt „kleine Verschiebung – großer Hub“ [5]: Eine mini- male Verkürzung der Sehne der leicht gekrümmten Geh- weggradiente bewirkt eine große Hubhöhe. Dies wurde im Fall der Duisburger Katzbuckelbrücke durch eine Verkür- zung der hinteren Abspannseile über das Zugseilsystem er- zielt. Oft ist jedoch im städtischen dicht bebauten Raum weder Platz für eine Rückverankerung, noch lässt die vor- handene Einbautensituation dies zu. Auch aus städtebau- Fachthemen „Die Raupe“ – eine bewegliche Brückenkonstruktion Michael Kleiser Gerald Foller Herbert Pommer DOI: 10.1002/stab.201001397

“Die Raupe” – eine bewegliche Brückenkonstruktion

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93© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 80 (2011), Heft 2

Für einen Brückenwettbewerb in Wien wurde ein Konzept einerbeweglichen Brücke in Form eines Fischbauchträgers entwickelt,das neben seiner strengen Funktionalität und der materiellen Effi-zienz über einen innovativen Hebemechanismus verfügt. Die Ideedes Hebevorgangs basiert auf einer Verkürzung des Trägerunter-gurts durch Seile und zwei zwischengeschalteten hydraulischenZylindern. Die Anhebung der Brücke zur Freihaltung des gefor-derten Lichtraumprofils erfolgt asymmetrisch, was ein raupen-ähnliches Verkrümmen zur Folge hat. Des Weiteren wurde dieDeckplatte dahingehend optimiert, dass unter Verwendung hoch-fester Stähle die große Verformung über das elastische Werk-stoffverhalten aufgenommen und so auf wartungsintensive Gelenke verzichtet werden kann. Durch das gewählte statischeSystem mit dem applizierten Hebemechanismus kann die Ein-leitung großer Horizontalkräfte in den Boden vermieden und da-durch die Kosten deutlich gesenkt werden. Das Konzept wurdefür eine Spannweite von ca. 60 m entwickelt, kann jedoch auchfür andere Spannweiten adaptiert und so vielerorts eingesetztwerden.

“The Caterpillar” – A moving bridge structure. For a design com-petition for a bridge in Vienna, a concept for a moving bridge inthe form of a lenticular girder was developed which, in additionto its strict functionality and material efficiency, features an inno-vative lifting mechanism. The lifting principle is based on shorten-ing the lower chord of the girder with the help of cables and twointermediate hydraulic cylinders. In order to create the requiredclearance profile, the bridge is lifted asymmetrically, which re-sults in a deformation of the shape which is reminiscent of acaterpillar. In addition, the upper deck was designed using high-tensile steel so that the considerable deformation could be ab-sorbed by the elasticity of the material, which means that mainte-nance-intensive hinges could be omitted. This structural systemwith its lifting mechanism makes it possible to significantly lowercosts as there are no large horizontal forces to be transferred tothe ground. The concept was developed for a span of approx. 60m but can also be adapted to spans of different sizes and istherefore suitable for many situations.

1 Einleitung

Schon in der Antike traten bewegliche Brücken in Er-scheinung. Im 3. Jahrhundert vor Christi entwickelten dieRömer für ihre Kriegsflotte eine bis zu 8 m lange bewegli-che Enterbrücke, die aufgrund des am Ende montierten

schnabelförmigen Dornes „corvus“ (Rabe“) genannt wur-de und das Übersetzen der im Nahkampf überlegenenFußtruppen auf feindliche Schiffe ermöglichte [1]. Bisheute ist die Planung von Fuß- und Radwegbrücken überniveaugleiche Schifffahrtswege eine besondere Herausfor-derung, da zusätzlich zum ebenen, meistens barrierefreienQueren durch Fuß- und Radverkehr ein zeitbegrenztesFreigeben des benötigten Lichtraumes sowohl für Schiffs-durchfahrten als auch bei Hochwasserereignissen berück-sichtigt werden muss. Neben den brückenbautechnischenund architektonischen Ansprüchen müssen die Brücken-konstruktionen auch den kinematischen und maschinen-bautechnischen Rahmenbedingungen genügen und erfor-dern daher ein ingenieurtechnisch interdisziplinäres Ent-werfen. Die Ausführung beweglicher Tragwerke in Formvon vorwiegend Dreh-, Klapp- und Hubkonstruktionenist die Regel. Die Faszination aus der Komplexität derAuf-gabenstellung beflügelt Entwerfer zu immer neueren Ent-wicklungen von Hebemechanismen [2] bis [4], in denensich das hier vorgestellte Konzept zweifelsohne einreiht.

Durch eine Wettbewerbsauslobung im Wiener Raumergab sich die Gelegenheit, sich mit der Aufgabe von be-weglichen Brückenkonstruktionen intensiver auseinanderzu setzen. Ziel war es, eine Rad- und Gehwegbrücke überden Wienfluss zu entwickeln, die städtebaulich verträglichist und den angeführten Kriterien folgt:– klare Formen – materielle Effizienz – realisierbarer Hebemechanismus– Minimierung der beweglichen Teile– einfaches statisches System– Berücksichtigung von Bestandeinbauten– Wartungsfreundlichkeit– geringe Kosten für die Erstinvestition und den Betrieb

2 Ideenfindung

Die 1999 gebaute, bewegliche Hängebrücke im Innen-hafen in Duisburg fasziniert durch den kinematischen Ef-fekt „kleine Verschiebung – großer Hub“ [5]: Eine mini-male Verkürzung der Sehne der leicht gekrümmten Geh-weggradiente bewirkt eine große Hubhöhe. Dies wurde imFall der Duisburger Katzbuckelbrücke durch eine Verkür-zung der hinteren Abspannseile über das Zugseilsystem er-zielt. Oft ist jedoch im städtischen dicht bebauten Raumweder Platz für eine Rückverankerung, noch lässt die vor-handene Einbautensituation dies zu. Auch aus städtebau-

Fachthemen

„Die Raupe“ – eine beweglicheBrückenkonstruktion

Michael KleiserGerald FollerHerbert Pommer

DOI: 10.1002/stab.201001397

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lichen Gründen ist oft eine Hängekonstruktion nicht dieoptimale Lösung. Aus dem Verzicht des Hängesystemsfolgt das kraftopportune Konzept eines schlanken Bogen-tragwerks, das sich durch horizontale Druckeinwirkungwie eine Blattfeder aufwölbt und sich ebenfalls den obenerwähnten Effekt zu Nutze macht. Nachteil dieses Sys-tems sind die großen Druckkräfte, deren Größe abhängigvon der Bombierung des Brückendecks ist: Je flacher dasBrückendeck ausgebildet ist, desto größer sind die erfor-derlichen Druckkräfte. Diese müssen von außen eingelei-tet werden, was einerseits steife Untergrundsverhältnisseoder kostspielige Gründungen als Abstützung erfordertund andererseits Stabilitätsproblemen im Brückendeckselbst auslöst.

Schließt man nun die Druckkräfte im Tragwerk kurz,folgt ein statisch geschlossenes System, bei dem aus-schließlich Vertikalkräfte in den Untergrund abgetragenund somit vereinfachte Gründungen realisiert werdenkönnen. Das Kurzschließen der Druckkräfte erfolgt überZugseile in einem Fachwerksuntergurt. Das verformbareDeckblech wird über Fachwerkstreben ausgesteift und sta-bilisiert. Das Ergebnis ist ein Fachwerkträger, dessen Un-terseite soweit durch Zugseile zusammengezogen wird,dass sich infolge der Krümmung des Trägers der geforder-te Lichtraum ausbilden kann.

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3 Arbeitsmodell

Um die Kinematik des Hebevorgangs zu testen, wurde eineinfaches Arbeitsmodell aus quaderförmigen Holzklötzenangefertigt, die unten durch ein Zugband und oben durchScharniere gelenkig verbunden sind (Bild 1). Schnürewurden als Zugseile seitlich befestigt und mit Nägeln soumgelenkt, sodass die Seile während der Hebebewegungnicht in das Lichtraumprofil ragen. Bei asymmetrischerAnordnung der Zugseilenden konnte ein raupenähnli-ches, einseitiges Aufrollen beobachtet werden, wobei derTräger stets stabil blieb. Die anfänglich aufgetretene Fragevon möglichen instabilen Zwischenzuständen wurde da-durch hinreichend beantwortet.

4 Tragwerksentwurf

Für die Umsetzung der Idee in einen realisierfähigen Ent-wurf werden nun die im Wettbewerb angegebenen Rand-bedingungen herangezogen. Die Brücke mit einer Längevon ca. 60 m spannt über eine sich aufweitende Flussmün-dung und soll innerhalb kürzester Zeit eine lichte Durch-fahrtshöhe von 8 m bei einer Breite von 30 m für Schiffs-durchfahrten ermöglichen. Die Brücke soll barrierefreiausgebildet sein, d. h. dass die Brückengradiente im ge-senkten Zustand ein Gefälle von 4 % nicht übersteigendarf. Es wird angemerkt, dass das Brückenkonzept auchauf andere Verhältnisse adaptiert werden kann.

4.1 Konstruktion und statisches System

Für den Entwurf wird ein Raumfachwerk in Form einesFischbauchträgers gewählt, was dem im Arbeitsmodell ab-gebildeten System entspricht. Das Tragwerk mit einemStich von 2,40 m (L/25) fügt sich als unaufdringlicheLeichtkonstruktion und effizientes High-Tech-Element indie unterschiedlichsten Stadt- bzw. Industrieräume ein.Die Brückenbreite beträgt 4,50 m. Die geneigte Anord-nung der Füllstäbe aus Stahlrohren in Quer- und Längs-richtung in Verbindung mit der Deckplatte und demUntergurt sorgt für eine steife räumliche Konstruktion(Bilder 2 und 3).

Der Untergurt der Brücke besteht aus 2 × 4 Flachstä-ben, die jeweils mit Augenstäben an Knotenblechen ver-bunden sind. Einseitig wird an jedem Knotenblech einLangloch vorgesehen. Da einige Untergurtstäbe währenddes Hebevorganges auch Druck übernehmen müssen,werden abschnittsweise Bindebleche zwischen denFlachstäben eingeschweißt.

Vom statischen System herwirkt die Brücke sowohl imgesenkten als auch im gehobenen Zustand als Balken aufzwei Stützen mit einem Druck- und Zuggurt. Im gesenktenZustand übernimmt der Untergurt aus Zugstäben als Teileines stabilen Fachwerkes die kontinuierliche Zugkraft ausdem Eigengewicht und den auftretenden Verkehrslasten(Bild 4 links). Es wurden dabei gleichmäßige veränderlicheLasten von 3,5 kN/m2 und ein Wartungsfahrzeug von 12 Tonnen entsprechend ÖNORM EN 1991-2 angesetzt.Beim Anheben fallen die Untergurt-Zugstäbe aus und dieHubseile übernehmen die Zugkraft, wobei in dieser Situati-on nur das Eigengewicht und Windkräfte abgetragen wer-den müssen (Bild 4 rechts).

Bild 1. Der Hebemechanismus, verdeutlicht durch einArbeitsmodellFig. 1. The lifting mechanism displayed by a working model

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Bild 2. Ansicht und GrundrissFig. 2. Side and plan view

Bild 3. Detailansicht und QuerschnittFig. 3. Detailed side view and cross section

Bild 4. Statisches System im Ausgangszustand (links) und im gehobenen Zustand (rechts)Fig. 4. Statical model at start (left) and lifted position (right)

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4.2 Hebemechanismus

Die Brücke liegt einseitig auf Panzerrollen mit aufgesetz-ten Lagerbolzen, die sich entlang einer Verschubbahn be-wegen. Auf der Gegenseite ist die Brücke unverschieblichund ebenfalls drehbar gelagert. Mit offenen Spiralseilenund hydraulischen Zugzylinder, die unterhalb des Trag-werkes positioniert sind, wird das bewegliche Ende derBrücke um ca. 6,50 m verschoben und somit der Unter-gurt entsprechend verkürzt.

Das Ausfallen der Untergurt-Zugstäbe erfolgt grund-sätzlich über Schließen von Langlöchern in Augenblech-konstruktionen. Die Länge der Langlöcher eLoch ermitteltsich näherungsweise geometrisch aus der Beziehung

wobei H die jeweilige Höhe des Fischbauchträgers, R denKrümmungsradius der gehobenen Deckplatte und L denAbstand der Querträger beschreibt (Bild 3).

Die Zwischenzustände des Hebevorganges ergebensich durch eine Schließ-Reihenfolge der Langlöcher, dieeinseitig beginnt und sich dominoartig zur anderen Seitefortsetzt. Das einseitige, raupenartige Einkrümmen derKonstruktion ergibt sich durch eine bewusst asymmetri-sche Anordnung der Seilanbindungen. Die Seile sind zu-erst gerade gespannt und legen sich mit dem Hebevorgangauf PTFE-beschichtete Umlenkrollen, die einen reibungs-armen Rollvorgang der Zugseile gewährleisten (Bild 5).Durch diese Verschiebung hebt sich die Brückenmitte umca. 10 m und gewährleistet bei Auftreten des höchsten

e HR

LLoch = ,

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schiffbaren Wasserstandes das geforderte Schifffahrts-profil.

Der gesamte Hebevorgang wurde mit Hilfe des FE-Programmes SOFISTIK geometrisch nichtlinear be-rechnet. Dabei wurde das Anlegen der Seile an den Unter-gurt durch Kontaktfedern modelliert. Es wurden 12 Zwi-schenzustände untersucht, die jeweils ein stabiles Gleich-gewicht aufwiesen. Die Berechnung ergab eine maximaleZuggesamtkraft der hydraulischen Zylinder von ca.3000 kN, die sich abhängig von der Hubhöhe verringert.Der maximale Weg der Zylinder beträgt ca. 2,50 m (Bild 6).

4.3 Elastische Deckplatte

Die großen Verformungen in der Deckplatte könnenzwängungsfrei über eine Gelenkskette bewerkstelligt wer-den, was jedoch wartungstechnisch aufwendig ist. Um ho-he Erhaltungskosten zu vermeiden, wird die Deckplatteentsprechend dünn ausgeführt, sodass sich diese über daslinear-elastische Materialverhalten eines vergüteten Fein-kornbaustahls mit Zuhilfenahme einer hohen Streck-grenze von 690 N/mm2 entsprechend einer Blattfeder ver-formt. Die Mehrkosten für die Verwendung von hoch-festen Stahlsorten sind im Vergleich zu den sonst anfal-

Bild 5. Raupenähnlicher Hebevorgang auf Basis einerFE-BerechnungFig. 5. Caterpillar-like lifting mechanism based on FE-analysis

Bild 6. Kraft-Weg-Diagramm der hydraulischen ZylinderFig. 6. Force-displacement diagram of the hydraulic cylinders

Bild 7. Näherungsweiser Dehnungszustand in der Deck-platteFig. 7. Approximate strain condition in the deck

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lenden, maschinellen Teilen durchaus vertretbar. DieWahl des Querschnittes wurde dahin gehen optimiert,dass bei möglichst kleiner Biegesteifigkeit weder einlokales Stabilitätsproblem aus der Druckkraft noch einBiegeproblem infolge einer lokalen Achslast von 80 kNauftritt. Dies führt zu einem 10 mm dicken, liegendenStahlblech, das mit entsprechend niedrigen Längsrippenversteift ist. Die Anschlüsse der Füllstäbe an die Quer-träger werden durch eingeschlitzte Flachbleche ebenfallsweich ausgebildet, um die Rotationen elastisch aufneh-men zu können.

Eine erste Biegespannungsabschätzung der elasti-schen Verformungsfähigkeit im gehobenen Zustand kannaus dem Dehnungszustand in der Deckplatte auf Basisvon einfachen geometrischen Überlegungen durchgeführtwerden (Bild 7). Es ist anzumerken, dass der Krümmungs-radius R während der Einrollbewegung infolge des Ein-spanneffektes lokal kleiner ausfällt als im angehobenenZustand, und somit für die Dehnungen bzw. die Spannungmaßgebend ist. Die Druckspannungen an der Deckplat-ten-Unterseite aus der FE-Berechnung sind in Bild 8 ge-zeigt.

4.4 Geländer und Entwässerung

Auch das Geländer und die seitliche Entwässerung müs-sen entsprechend den zu erwartenden großen Verformun-gen zwängungsfrei ausgebildet werden. Die 2-teiligen Ge-länderstäbe werden auf den Querträgern über aufge-schweißte Vertikalbleche angeschraubt. Das Prinzip derAusnützung der elastischen Verformungsfähigkeit des Ma-terials wird bei den Geländerstäben ebenfalls angewandt.Die aus optischen Gründen geknickten Saumbleche wer-den vom Deckblech getrennt und beidseitig an jedenQuerträgern auskragend angeschweißt, um die Steifigkeitder Deckplatte nicht unnötig zu erhöhen. Diese Trennungdes Saumblechs zum Deckblech wird gleichzeitig genutzt,

um seitlich über die dachprofilierte Ausbildung des Deck-bleches das Wasser in Form einer versenkten Rinne zusammeln und in Brückenlängsrichtung zu den Ufern zuführen. Die Rinnen sind hinter dem Saumblech verstecktangeordnet und übergreifen sich elementartig, sodass dieHebebewegung der Brücke nicht beeinträchtigt wird.

4.5 Mechanische Ausrüstung

Die Mechanik und der Antrieb sind für eine durchschnitt-liche Frequenz von bis zu 15 Hubvorgängen pro Tag aus-gelegt. Saisonale oder wetterbedingte Betriebsspitzen kön-nen die Frequenzen erhöhen. Das Heben und Absenkender Brücke ist jeweils in ca. drei Minuten möglich.

Es werden drei Hydraulikzylinder mit einer maxima-len Zugleistung von je 1800 kN unterhalb des Deckble-ches angeordnet, wobei ein Zylinder redundant für denNotfall zur Verfügung steht (Bild 9). Im Falle des Versa-gens eines Zylinders kann entweder die Last über die zweiäußeren oder nur über den mittleren Zylinder mit erhöh-tem Druck unter Berücksichtigung eines außergewöhn-lichen Lastfalles gezogen werden. Bei Versagen einerHydraulikpumpe ist eine zweite Pumpe vorgesehen, dieden vollen Druck aufbauen kann.

5 Unterhaltung und Betrieb

Bei beweglichen Konstruktionen sind die Kosten für denUnterhalt und den Betrieb durch die vielen Verschleißtei-le unverhältnismäßig höher als bei starren Tragwerken.Bei üblichen Konstruktionen bewegen sich diese um 5 bis6 % der Erstinvestitionen im Jahr. Aus diesem Grund ist esschon in der Planungsphase wichtig die beweglichen Teilemöglichst zu minimieren oder so zu platzieren, dass diesenicht direkt der Witterung ausgesetzt werden. Das vorlie-gende Brückenkonzept kann infolge der Reduktion vonbeweglichen Teilen nicht zuletzt durch Nutzung der elas-

Bild 8. Spannungen an der Unterseite der Deckplatte im Vorgang des Anhebens (unten) und im angehobenen Zustand (oben)Fig. 8. Stresses at the bottom of the deck during the state of lifting (bottom) and the uplifted position

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tischen Materialfähigkeiten im Vergleich zu ähnlichenKonstruktionen wartungsarm ausgebildet werden. DieLanglochkonstruktionen in den Zugstäben sind nicht un-mittelbar der Witterung ausgesetzt und können noch zu-sätzlich mit einer speziell aufgebrachten Beschichtung vorKorrosion und Abrieb geschützt werden. Falls einzelneZugstäbe nicht mehr den Ansprüchen an die Tragfähigkeitoder der Gebrauchstauglichkeit genügen, können dieseüber ein Boot und einer temporären Montage von z. B.zwei GEWI-Stäben zur Aufrechterhaltung der Zugkrafteinfach ausgetauscht werden. Die empfindlichen mecha-nischen Teile wie Hubzylinder, Panzerrollen und Lager-bolzen sind bei ständigem Brückenbetrieb in abgesenkterStellung in einer geschützten und jederzeit einsichtbarenKammer angeordnet. Alle statisch konstruktiv wichtigen

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Teile sind über Kammern und von einem Wartungsbootzugänglich.

6 Zusammenfassung

Die Raupe, eine bewegliche Brückenkonstruktion für denFuß- und Radverkehr, besticht durch das schlichte Auftre-ten in Form eines materialminimierten Fischbauchträgers,der statisch bestimmt gelagert ist. Lebendig wird die Kon-struktion in ihrer Einrollbewegung, die wie eine Raupeasymmetrisch erfolgt, und so den erforderlichen Licht-raum für Schiffsdurchfahrten ermöglicht (Bild 10). DieVerformung der Konstruktion erfolgt vor allem durch dieAusnützung der linear-elastischen Werkstoffeigenschaftenvon hochfesten Stahlsorten, sodass wartungsintensive Ge-

Bild 9. Längs- (oben) und Querschnitt (unten) der WartungskammerFig. 9. Longitudinal (top) and cross section (bottom) of the maintenance room

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lenke eingespart werden können. Vor allem im städtischenBereich kann die Brücke durch die äußere statische Be-stimmtheit kostengünstig eingesetzt werden, da meist vor-handene Bestandseinbauten oder die in Küsten- und See-gebieten oft vorhandenen weichen Bodenverhältnisse nurdie Einleitung von Vertikalkräften zulassen oder aber im-mense Gründungskörper nach sich ziehen.

Literatur

[1] Connolly, P.: Die Römische Armee. Hamburg: Neuer Tess-loff Verlag 1976.

[2] Baus, U., Schlaich, M.: Fußgängerbrücken. Basel, Boston,Berlin: Birkhäuser Verlag 2008.

[3] Conzett, J.: Coupurebrücke in Brügge. db Deutsche Bauzei-tung 5/03.

[4] Saul, R., Humpf, K.: Doppelwaagebalkenbrücke – Vor-schlag für einen innovativen Klappbrückentyp. Stahlbau 76(2007), H. 8, S. 559–564.

[5] Schlaich, J., Bergermann, R.: Leichtweit – Light Structures.München, Berlin, London, New York: Prestel 2003.

Autoren dieses Beitrages:Dipl.-Ing. Michael Kleiser, [email protected]. Gerald Foller, beide PCD ZT-GmbH, Münichreiterstraße 31, A-1130 Wien,www.pcd-zt.at

Dipl.-Ing. Herbert Pommer, Steel and Bridge Construction GmbH, Handelskai 132, A-1020 Wien,www.s-bc.at

Bild 10. VisualisierungFig. 10. Visualisation