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Reaktionen der starren Azide 89 Mitteilang aus dem Chemisehen Institut der Universifat Heidelberg 192. Die Reaktionen der starren h i d e [Zusammenfassende Abhandlung ' ) I Von Alfred Bertho (Eingegangen am 28. Juli 1928) Unter den menigen Stickstoffsystemen nimmt die Stick- stoffwasserstoffsaure eine durchaus eigenartige Stellung ein. Durch eine groBe negative Bildungswarme von etwa -62 Cal ausgezeichnet, besitzt sie die fur explosive Korper zwar nicht notwendige, aber giinstige Eigenschaft der endothermen Bil- dung. Damit ergibt sich fur einen glatten Zerfall des Stick- stoffwasserstoffs im Sinne der Gleichung 2N,H = 3N, + H, als Explosionswkme der ansehnliche Betrag von 124 Gal. Explosivitat, die Eigenschaft durch einen geeigneten Initial- impuls infolge von Sensibilitat in exothermer Reaktion spontan zu zerfallen, ist naturgemaB auch allen Abkommlingen des Stickstoffwasserstoffs in mehr oder minder hohem Ma6e eigen, so daB damit f@ alle Azidokorper nach der physikalisch- chemischen Seite hin ein allgemeines Charakteristikum ge- geben ist. Die organischen Azidoverbindungen von der all- gemeinen Formel RN, sind nach ihrem rein chemischen Ver- halten grundsatzlich in zwei groBe Gruppen einzuteilen: I) Es entspricht einem von Th. Curtiusf geauBerten Wunsch, eine zusammenfassende Darstellung der in der Hauptsache wahrend des Krieges und in der Nachkriegszeit im Heidelberger Institut ausgefuhrten Arbeiten iiber ,,starre Azide" zu geben. Der Inhalt des Referats deckt sich mit einem groBen Teil seinee am 6.MBrz 1926 vor der Deutschen Che- mi s c h e n G e s ell s c h aft in Berlin gehaltenen A b s c h i e d avo r t r ag s : ,,Die Reaktionen der starren und halbstarren Stiureazide''. Dieser Vortrag erschien nicht im Druck. Der Verfasser.

Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

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Page 1: Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

Reaktionen der starren Azide 89

Mitteilang aus dem Chemisehen Institut der Universifat Heidelberg

192. Die Reaktionen der starren h i d e [Zusammenfassende Abhandlung ')I

Von

Alfred Bertho (Eingegangen am 28. Juli 1928)

Unter den menigen Stickstoffsystemen nimmt die S t ick- s tof fwassers tof fsaure eine durchaus eigenartige Stellung ein. Durch eine groBe negative Bildungswarme von etwa -62 Cal ausgezeichnet, besitzt sie die fur explosive Korper zwar nicht notwendige, aber giinstige Eigenschaft der endothermen Bil- dung. Damit ergibt sich fur einen glatten Zerfall des Stick- stoffwasserstoffs im Sinne der Gleichung 2N,H = 3N, + H, als Explosionswkme der ansehnliche Betrag von 124 Gal.

Explosivitat, die Eigenschaft durch einen geeigneten Initial- impuls infolge von Sensibilitat in exothermer Reaktion spontan zu zerfallen, ist naturgemaB auch allen Abkommlingen des Stickstoffwasserstoffs in mehr oder minder hohem Ma6e eigen, so daB damit f@ alle Azidokorper nach der physikalisch- chemischen Seite hin ein allgemeines Charakteristikum ge- geben ist.

Die o rgan i schen Azidoverb indungen von der all- gemeinen Formel RN, sind nach ihrem rein chemischen Ver- halten grundsatzlich in zwei groBe Gruppen einzuteilen:

I) Es entspricht einem von Th. C u r t i u s f geauBerten Wunsch, eine zusammenfassende Darstellung der in der Hauptsache wahrend des Krieges und in der Nachkriegszeit im Heidelberger Institut ausgefuhrten Arbeiten iiber ,,starre Azide" zu geben. Der Inhalt des Referats deckt sich mit einem groBen Teil seinee am 6.MBrz 1926 vor der D e u t s c h e n C h e - mi s c h e n G e s e l l s c h af t in Berlin gehaltenen A b s c h i e d avo r t r ag s : , ,Die R e a k t i o n e n d e r s t a r r e n u n d h a l b s t a r r e n St iureazide ' ' . Dieser Vortrag erschien nicht im Druck. Der Verfasser.

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90 A. Bertho:

Die erste weniger differenzierte Gruppe umfaBt nur Saure- azide, und zwar alle Carbonaz ide , RCON,, deren Carbon- azidogruppe, wie es ja in weitaus den meisten Fallen Taksache ist, direkt am Kohlenstoff sitzt. Diese Carbonazide sind, wie all- gemein bekannt, der Cur t iu s 8 chen Umlag e r u n g zugiinglich.

Die zweite Gruppe, im Gegensatz zur ersten, die nicht umlagerungsfahigen sog. s t a r r e n Azide umfassend, weist in ihren einzelnen Vertretern vie1 gr6Bere Mannigfaltigkeit auf.

E i n s t a r r e s Azid, RN,, i s t d a d u r c h gekennze ichnet , daB es u n t e r Abgabe von e inem Molekiil S t icks tof f e inen n i c h t umlagerungsfahigen sog. s t a r r e n , a l l - gemeine Reak t ionen ze igenden , va l enz theore t i s ch un- gesa t t i g t en zweiwert igen R e s t RN< zu b i lden vermag. Zu den starren Aziden im weitesten Sinne des Wortes ge- h8ren alle A lky l - und Arylaz idokorper , die Sul fonaz ide und diejenigen Carbonaz ide , deren CON,-Gruppe nicht mit Kohlenstoff , sondern mit Stickstoff oder Sauerstoff direkt in Verbindung steht und die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, einer Cur t i u s s c h e n U mlag e r u n g ni c h t z u g L n g 1 ic h sind.’)

l) Nur wenige Falle sind bisher bekannt geworden, in denen die Gruppierung >NCON< unter Umlagerung zu einer einfachen Stickstoff- bindung fiihrt. Die Synthese des Hydrazins und von substituierten Hydrazinen von S c h e s t a k o w wendet die Hoffmanneche Reaktion auf Harnstoff und dessen Derivate an. D.R.P. 164755, Z. f. angew. Chem. 1903, 1061; Chem.-Ztg. 1905, I , 1227. Au6erdem konnte D a r a p s k y , dies. Journ. [ Z ] 76, 444 (1907) in analoger Weise zeigen, da6 Azodicarbon- amid, NH,CON==NCONH,, mit Hypochlorit die Umlagerung eingeht und wohl iiber das intermediar entstandene Triazen NH,. GO .N=N. NH, zu Carbaminazid oxydiert wird, das endlieh zu Stickwasserstoff, Kohhn- same und Ammoniak verseift wird. Neuerdings konnte R. Stol lB, Ber. 57, 1063 (1924); dies. Journ. [2] 116, 192 (1927); 117, 185 (1927) zeigen, daB Diaryl- und Alkyl-aryl-carbaminsaureazide , R,&NCON, , sich unter Stickstoffabspaltung zu Indazolkorpern umlagern, wobei also Stickstoff an umgelag&ten kckstoff tritt, nach der Ggichung :

- Ni NC,& (C,H,),NCON, -+ (C,H,),N.N=CO ---t C H ’ ‘NH

“(30’ Phenylcarbaminazid, C,H,HNCON,, und Carbaminazid, H,NCON,, geben nach Th. C u r t i u s und seinen M i t a r b e i t e r n keine iihnliche bmlagerung. Dies. Journ. [ Z ] 62, 454 (1895); 53, 513 (1896); 68, 205 (1898); Th. C u r t i u s u. F. S c h m i d t , dies. Journ. [2] 105, 177, 187 (1923). Auch Carbonylazid, N,CON,, verbglt sich in diesem Sinne; Th . C u r t i u s u. A. B e r t h o , Ber. b9, 565 (1926); ebenso nach R. Stol lB, dies. Journ. [2] 119, 2’15 (1928), das Azid C,H,N(. CON,). N: CHC,H,. S. auch 6.103 Anm. 3 d. Abhdlg.

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Reaktionen der starren Azide 9 1

Es ist naheliegend, da6 innerhalb einer so gro6en Gruppe Unterschiede bestehen miissen, die in der mehr oder weniger gro6en Starrheit des Azidrestes und seiner Neigung zu ganz- lichem Zerfall begriindet liegen.

Das a romat i sche Sul fonaz id stellt den P r o t o t y p des s t a r r e n Azids dar. Von ihm ausgehend haben Th. C u r t i u s und seine Mi ta rbe i t e r die Reaktionen der starren Azide studiert, wobei verschiedentlich die von 0. Uimro th bei Alkyl- und Ary lax id o verb i n dung e n bereits aufgefundenen speziellen Reaktionsweisen von Azidokorpern von einheitlichen Gesichts- punkten ausgehend auf ein systematisch geordnetes Material ubertrsgen wurden. Die Alkylaz idokorper zeigen, sofern sie eine Atomgruppierung =C-C-N< besitzen , wie etwa das

Benzylaz id , C,H,CH,N, (vgl. S . 102), und das Tr ipheny l - methylaz id , (C,H&CN, l), das sich unter Stickstoffabspaltung zu Benzophenonanil umlagern kann, mannigfache ff bergange zum Verhalten der um l a g e r u n g s f a h ig en Car b o naz ide. E e r kann eine der Curtiusschen analoge Umlagerung eintreten. Im allgemeinen ist aber bei Alkylazidoverbindungen und bei Arylaziden naturlich stets eine solche Moglichkeit nicht gegeben. Wie erwahnt existieren auch Falle, wo die a n St ickstoff g e b un d e n e Car b o na z i d ogr u pp e Urn 1 age r un g aufweist (vgl. Anm. S. 90). R. Stol l6 konnte wiederholt feststellen, daB Dia ry l - und A l k y l - a r y l - c a r b a m i n a z i d e unter Stickstoff- abspaltung in Indazolderivate ubergehen, wahrend Phenylcarb- aminazid, Carbaminazid u. a. niemab Umlagerung im Molekiil unter Entstehung einer Stickstoff-Stickstoffbindung zeigten.

Unter ha lbs t a r r en Aziden versteht man nach dem Ge- sagten sinngemaB diejenigen unter den s t a r r e n Aziden , die bei dieser oder jener Reaktion unter Aufgabe d e r u r - sp rung l i chen Atomanordnung im Azidmolekul oder in- folge volligen oder teilweisen Ze r fa l l s eine von den typisch starren Aziden a b weic h ende R e a k t i ons w e i s e zeigen.

Der gbersicht halber seien die von Th. Cur t iu s und Y i t a r b e i t e r n untersuchten star r en und ha1 b s t a r r e n Az i d e aufgefiihrt .

I I

1) H. Wieland, Ber. E, 3020 (1909) und 46, 2153 (1913).

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92 A. Bertho: 1. Starre und halbstarre SBure-

azide Benzolsulfonazid, C,H580,N, p-Toluolsulfonazid, CH,C,H,S02N, p-Chlorbenzolsulfonazid,

o- Aminobenzolsulfonazid. CLC,H,SO,N,

H,NC,H,SO,N, a-NaDhthalinsulfonazid.

n - & , ~ T ~ ~ z ~ ,

B-C,,H,SO*N,

a, B'-C,rJH,(SOzNJ2

0-Naphthalinsulfonazid,

a , ,5'-Naphthalindisulfonazid,

Benzylsulfonazid, C,H,CH,S( Sulfurylazid, N,SO,N,

Csrbaminaaid, H,NCON, Phenylcarbaminazid, C,H,HNCON, Hydrazodicarbonazid,

N,CONHNHCON, Carbonylaeid, N,C'ON,

Phenylazid, C,H5N, Benzylazid, C,H,CH,N, Stickstoffwasserstoff, HN, Azidoameisens~ureester, N,COOR Azidoessigsaureester, N,CH,COOR

2. Azidoksrper

a-Azidopropions%ureester,

6-Addopropionsjiureest er, CH,CHN&OOR

N,CH,CH,COOB

Die e rwahn ten vier Ca rbonaz ide und ebenso Azido- ame i sensaurees t e r zeigen ke ine Cur t iu s sche Umlage- rung. Die Neigung des Stickstoffs, aus einer Umlagerung heraus sich mit seinesgleichen oder mit Sauerstoff zu verbinden, ist erfahrungsgemaiB eine sehr geringe. Das Azid d e r Ameisen- s a u r e , HCON,, ist unbekannt.

Organische Reak t ionsmed ieu , worin, b e i de ren Be- te i l igung a n d e r Reakt ion , allgemein m i t s t a r r e n Aziden Reaktionen eingeleitet werden konnten, waren einerseits a roma- t i s che Kohlenwassers tof fe , a r o m a t i s c h e Aminbasen und Pyr id ine , andererseits, wie in verschiedener Hinsicht schon seit lingerer Zeit bekannt, a l i pha t i s che KGrper mit doppe l t e r oder d re i f ache r Kohlens tof fb indung und so lche mit seaktionsfahigen Methylen- und Methingruppen, d. h. rnit d e r F a h i g k e i t d e r Enol i s ie rung .

Die Einwirkung der s t a r r e n Azide auf Azoverbin- dungen ergab weiterhin interessante Beitrage zu ihrem all- gemeinen Verhalten.

Die Ze r se t zung verschiedener s t a r r e r Azide bei Gegen- wart von Sauren , A lka l i en und Wasser stellt ein weiteres, von Th. Cur t iu s teilweise nicht erst in letzter Zeit bearbeitetes Teilgebiet der Untersuchungen dar , die aus naheliegenden Griinden nur auf speziell geeignetes Material ausgedehnt wurden. Phrem Wesen nach gehijren die von K. F. S c h m i d t aufgefun- denen R e a k t i o n e n des I m i n r e s t e s hierher, die von hervor- ragender Bedeutung geworden sind. Diese Prozesse stehen in einem gewissen Gegensatz zu den in organischen Medien rein

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Reaktionen der starren Azide 93

thermisch ohne anderweitige Zusatze eingeleiteten Reaktionen. Sie stellen fast durchwegs Spezialfalle dar und sollen daher. sofern es sich als niitzlich erweist, im Rahmen der Schilderuug eben jener verallgemeinerungsfahigen Reaktionen abgehandelt werden.

Zahlreiche andere langst bekannte Beaktionsweisen der Azide mit anderen ungesiittigten Systemen, mit Phosphinen, mit Grig- nardreagens usw. fallen nicht in den Rahmen des Referats.I)

Das Molekiil d e s s t a r r e n Azids zeigt , sofern es echte ,,Starre-Azid-Reaktioneni4 eingeht, e in dopp e l t es Ve r h a1 t e n. Entweder betatigt sich sein unter N,-Entwicklung entstandener s t a r r e r Res t RN<, oder die unve rande r t e Azidogruppe (R).N, auBert gegeniiber kondensationsfahigen Systemen oder reaktionsfahigen Korpern ihre Fahigkeit zu Ringbildungen und anderweitigen Veranderungen.

Im ersteren Falle wird die Bezeichnung ,, Azidres t '' den Erscheinungen und Ergebnissen der Reaktion am ehesten ge- recht. Es ist hierbei praktisch ohne Bedeutung, ob der Rest rnit einwertigem Stickstoff a18 solcher fur kurze Zeit f r e i existiert, was, wie sich zeigen wird, durchaus diskutabel ist, oder, fur welche Annahme ebenfalls berechtigte Griinde vor- liegen, nur i n n e r h a l b des Moleki i lbereiches etwa einer primar entstehenden Anlagerungsverbindung gedacbt werden darf. Der Verfasser ist der Ansicht, daS beide Falle tat- s%chlich vorkommen.

Die fur Azidzersetzungen typischen intensiven Farbungen sind fur das Auftreten von freien Radikalen charakteristisch. Eine zwanglose Erklarung, die die Reaktionen des auf anderen Wegen erzeugten Radikals Pheny l s t i cks to f f , C,H,N< (vgl. S. 104), von anderer Seite gefunden haben, in Fallen, wo eine andere Annahme als diejenige eines f re ien R a d i k a l s naeh Entstehung und Wirkungsweise kompliziert erscheinen muB, nnd die Tatsache, daB der R e s t des Diazobenzol imids ,

l) H. Staudinger, Helv. 5, 87, 103 (1922), hat die Reaktionen der Azene, worunter er die aliphatischen Diazoverbindungen und die Azide versteht, einem kritischen Vergleich rnit den Reaktionen der Ketene unterworfen. Dortaelbst Literatureusammenstellung. S. auch A. B ertho, Uber die Einwirkung von Grignard-Reagens auf Carbonazidokiirper, dies. Journ. [2] 116, 101 (1927).

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94 A. Bertho:

C8H5N3<, der sich durch nichts von anderen starren Azid- resten unterscheidet, sich in seiner Wirkungsweise im Vergleich zum Radikal Phenylstickstoff gleichartig verhalt, fuhren zu dem Schlusse, daB in beiden Fallen pr inz ip ie l l i den t i sche Vor- gange vorliegen. Die restlose Verneinung der Bildung und Existenz von freien Radikalen aus starren Aziden wiirde not- wendigerweise auch die angefiihrte Interpretation beim Phenyl- stickstoff zum Fallen bringen.

Es mu6 betont werden, daB in dieser Hinsicht bei den starren Aziden jede einschlagige Untersuchung fehlt und da6 andererseits eine Reihe von Azidrest-Reaktionen zwangloser uber die Annahme einer Anlagerungsverb indung, die aus dem unversehrten Azidmolekiil und dem Molekiil des Reaktions- teilnehmers entstanden ware, erklart werden kann. Dies gilt insbesondere fir die auf S. 107 u. ff. beschriebene Bildung des Athylenr ings , die zweifellos uber das Tr i azo l in fuhrt.

MGglicherweise bergen diese eben dargelegten Verhaltnisse den Schliissel fiir eine Erklirung, warum der Azidrest in ganz unkontrollierbarer Weise bald eine Anlagerung analog der des Triphenylmethyls an p-Xylol I) zeigt (S. 95 ff.), bald die Bildung des Athyleniminrings bevorzugt (S. 97 ff.). Mijglicherweise handelt es sich in jenem Fall um die Wirkung des freien Radikals, wghrend in diesem Fall eben zunachst die disku- tierte Anlagerungsverbindung entsteht.

A. Verhalten starrer Azide gegen aromatische Kohlenwasser- stoffe, aromatimhe Aminbasen nnd Pyridine

Am besten konnte das Verhalten der Sulfonazide2) in diesen Medien studiert werden, weil diese den reinsten Typ der starren Azide darstellen und weil, wie es bei den halb- stamen Aziden, Carbaminazid, Carbonylaxid, Sulfurylazid, Ben- zylazid u. a. oft uberwiegend, wenn nicht ausschlieBlich der Fall ist, spezielle Zerfallsreaktionen, die das Ergebnis der Reaktion komplizieren, nicht auftreten.

I) H. Wieland u. Carl Muller, Ann. Chem. 401, 233 (1913). $) Th. Curtius u. F. Lorenzen, Hydrazide und Azide aroma-

tjscher Sulfonsguren, dies. Journ. C%] b8, 160 (1898); Ernst Schrader, Uber Hydrazide und Azide von Sulfocarbonsiiuren, dies. Journ. [2] 96, 312, 392 (1917); 96, 180 (1918).

s, Am 11. 5. 1918 hielt Th. Curtius vor der Deutschen Chemischen Gesellschaft in Berlin einen zusammenfassenden Vortrag iiber ,,Starre

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Reaktionen der starren Azide 95

D r e i Vorgange s ind h i e r wesentlich. ,411e drei sind dadurch gekennzeichnet , daB der bei geniigend hoher Tempe- ratur durch Abspaltung eines Molekiils Stickstoff entstandene Rest RN< in Reaktion tritt.

1. Bei normalen Verhdtnissen, d. h. beim Verkochen des Azids im Nedium unter normalem Drucb, tritt meistens, jedoch immer in gr8Berem oder kleinerem MaBe von der nachfolgenden unter 2. beschriebenen Beaktion begleitet, eine Verknupfung des Azidres tes mi t dem Kohlenwassers toff , d e r Amin- base oder d e r Pyr id inbase ein. Von maBgeblichem EinfluB fur den Eintritt der Reaktion ist erfahrungsgemafl GrijBe und Art des Azidrestes. Es entsteht jeweils eine s u b s t i t u i e r t e Aminoverb indung, die durch ihre Bestandigkeit gegen Al- kalien ausgezeichnet ist. So entdeckten Th. Cur t iu s und J. Rissom l) zuerst, daB aus Benzolsulfonazid und Toluol o- und p-Benzolsulfontoluidid entsteht, nach der Gleichung:

C,H,S0,N8 + C,HsCHa = C,H,SO,NHC,H,CH, f N, Benzolsulfazid Toluol Benzolsulfontoluidid

p-Methylbenzolsulfonazid 2, verhalt sich analog, ebenso Benzylsulfonazid s), das zur Einwirkung auf p - Xylol und Naphthalin gebracht wurde. Wie schon Th. Cur t iu s beim Rest des Benzolsulfonazids beobachtet hatte 9, gelingt auch eine Verkniipfung des Benzylsulfonazidrestes mit Dimethylanilin, wobei im wesentlichen ein p - Substitutionsprodukt entsteht, nach der Gleichung:

C,H,CH,SOZN, + CaH,N(CH,)a = C,HbCH,SO,NHC,H,N(CH,), + N, Benzylsulfonazid Dimethylanilin p-Benzylsulfamidodimethylanilin

Saureazide", der nicht im Druck erschien. Auflerdem: Th. C u r t i u s , Uber halbstarre und starre Sgureazide, 2. f. angew. Chem. 27, 111, 23 (1914). Weitere Literaturangaben s. u.

l) Th. C u r t i u s , Uber Sulfonazide, Z. f. angew. Chem. 26, 134 (1913); Chem.-Ztg. 1913, 214.

G. K r a e m e r , ober p-Toluolsulfazid und sein Verhalten gegen Kohlenwasserstoffe nnd Aminbasen. 1naug.-Diss. Heidelberg 1916. Bei Klohe t Silber.

3, F r i e d r i c h Wilh . H a a s , Das Hydrazid und Aeid der Benzyl- sulfonsiiure. hug.-Dies. Heidelberg 1915. Bei Klohe & Silber. Dies. Journ. [2] 102, 85 (1921).

4, Privatmitteilung von Herrn Geh.-Bat Cur t ius .

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96 A. Bertho:

Th. Cur t iu s und G. Kraemer l ) konnten auch, um einen neuen charakteristischen Fall anzufuhren, erstmals zeigen, daB Pyridin in ahnlicher Weise reagiert; so gab p-Toluol- sulfonazid mit Pyridin wahrscheinlich ein Qemisch zweier p-Toluolsulfonamidopyridine nach der Gleichung :

CH,C,H,SO,N, f C,HJ = CI-13C6H4S09NHC5HdN +- N, p-Toluolsulfonazid Pyridin p-Toluolsulfonamidopyridin

/!? -Naphthalinsulfonazid z)), p - Chlorbenzolsulfonazid 9, p - Amino- benzolsulfonazid und dessen Acetylverbindung ".) verhalten sich analog den erwahnten Sulfaziden. Carbaminsaureazid reagiert gegenuber Kohlenwasserstoffen in untergeordnetem MaBe in gleicher Weise und liefert mit Benzol Phenylharnstoff , der sich jedoch unter den angemandten Bedingungen zu symme- trischem Diphenylharnstoff umsetzte und als solcher gefunden wurde.

NH%COX% -i- C,H, = NH,CONHC,H, + N, Carbaminazid Benzol Phenylharnstoff

Buch der durch rein thermischen Zerfall der Stickstoff- wasserstoffsaure bzw. des Stickstoffammoniums erzeugte Imin- rest >NH besitzt, wie der Verfasser eingehend zeigen konnte, die Fahigkeit, den Benzolring anzugreifen. 6, Ebenso verhalt sich der Rest des Carbonylazids >NCON<.') Beide Male, im letzteren Fall mit nachfolgender Hydrolyse, entstehen die ent- sprechenden Aminbasen. DaB auBerdem K. F. S c hmi d t s, den

I) Vgl. Anm. 2 S. 95. ,) H a n s B o t t l e r , Uber a-Naphthalinsulfonhydrazid und iiber das

Verbalten des 6- Naphthalinsulfonazids gegen Kohlenwasserstoffe und Aminbasen. 1naug.-Diss. 1925. Bei Winter, Heidelberg.

3 H a n s Vorbach , t'ber das Hydrazid und b i d der p-Chlor- benzolsulfonsaure. 1naug.-Dim. Heidelberg 1925.

3 Th. C u r t i u s u. W. S t o l l , Uber das Hydrazid und h i d der Acetylsulfanilsaure und der Sulfanilsiiure, dies. Journ. [2] 112, 117 (1926).

5, Th. C u r t i u s u. F. S c h m i d t , dies. Journ. [2] 105, 181 (1926). An dieaer Stelle wird auch uber die speziellen Zerfallsreaktionen dieses Azids eingehend berichtet.

6, A. B e r t h o , Ber. G9, 590 (1926). T, Th. C u r t i u s u. A. B e r t h o , Ber. 59, 565 (1926) und A l f r e d

B e r t h 0 , Der Zerfall des Carbonylazids in aromatischen Kohlenwasser- stoffen. Habilitationsschrift 1925. Bei Homing, Heidelberg.

K. F. S c h m i d t , Ber. 57, 704 (1924). Ausfiirlich: Uber die Bil- dung von Hydrazin, Hydroxylamin und Anilin aus Stickatoffwasserstoff-

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Reaktionen der starren Azide 97

in einer benzolischen Stickwasserstoffsaurelasung jedoch ver- mittelst konzentrierter Schwefelsaure erzeugten Iminrest u. a. zur Einwirkung auf das Solvens bringen konnte, muB der Vollstandigkeit halber als interessante und verwandte Reaktion Erwahnung finden. Er erhielt dadurch Anilin:

C6He f N3H = CJ&NH, + N, Benzol Stickwaaserstoff Anilin

Das wegen seines einfachen chemischen Charakters Zuni Studium der Reaktionen starrer Azide ausgezeichnet geeignete Diazobenzolimid, C,H,N,, gibt diese Reaktion, d. h. Verkniipfung seines Restes C,H,N< mit Kohlenwasserstoffen l), nicht. Es liegt hier ein besonders trager Rest vor (vgl. jedoch S. 104).

Eine Verkniipfung mit dem Kohlenwasserstoff unterbleibt ferner, wenn, wie Th. Cur t iu s und F. E h r h a r t 2 ) beim halb- starren Benzylazid nachweisen konnten , andere MBglichkeiten zum Umsatz gegeben sind.

Besonders interessant sind die anders gearteten eigentum- lichen Veranderungen, die der Benzolring durch die unter Stickstoffverlust entstandenen Reste der symm. halbstarren hochexplosiven D i az id e , Sulfurylazid, N,SO,N,, und Carbonyl- azid, N,CON3, erleidet. Bei der Einwirkung von Sulfurylazid auf p-Xylol im Autoklaven entstehen nach Th. Cur t iu s und F. Schmid t 3, in der Hauptsache zwei S iebenr ingbasen , deren Entstehung nach F. Schmid t in Anlehnung an die Wielandsche Regel folgendermaflen zu deuten ist. Es ent- stehen zunachst iiber ein intermediares Anlagerungsprodukt (I),

sgurc. Avtryk ur acta academiae Aboensiv rnathematica et physica 11, 1983, Nr. 1.

1 ) A l f r e d B e r t h o , Der Zerfall des Phenylazids in Benzol und p-Xylol, Ber. 67, 1138 (1924).

Th. C u r t i n s u. F. E h r h a r t , Der Zerfall des Benzylazide in indifferenten Medien und in Malonester, Ber. 55, 1559 (1922).

3, T h. C u r t i u s, Sulfurylazid und arornatische Kohlenwasserstoffe, Z. f. angew. Chem. 28, 111, 5 (1915); Th. C u r t i u s , f'ber den AufschluS des Benzolkerns durch Diaeoessigester und durch Sulfurylazid; Z. f. angew. Chem. 30, 111, 532 (1917); K. F. S c h m i d t , o b e r stickstoffbaltige Siebenringe. Habilitationsschiift 1921. Bei Helmut, Heidelberg; Th. C u r - t i u s u. F. S c h m i d t , Die Einwirkung von Sulfurylazid , N,SO,N, , auf p-Xylol, Ber. 65, I, 1571 (1922); F. S c h m i d t , Die Einwirkung von Sulfurylazid auf Benzol, ebenda 1581.

Journal f. prakt. Chemie [2] Ed. 120. 7

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98 A. Bertho:

das zur vollkommenen Dissoziation geeignet sein sol1 - hierfiir spricht das Auftreten groBer Mengen SO, -, zwei Reste (11)

die durch Austausch von Wasserstoff im Sinne des Schemas:

zwei Siebenringbasen bilden. Die Konstitution steht nus fur die wasserstoffreichere mit einiger Sicherheit fest. Bei der wasserstoffarmeren in der angeschriebenen Form wiirde es sich um das theoretisch wichtige erste Benzolderivat handeln, das in Orthostellung durch Stickstoff verkniipft is t . Die Verhalt- nisse sicd nicht zuletzt wegen der geringen Ausbeuten nooh nicht genugend geklart.

In ausgezeichneter fjbereinstimmung mit dem AufschluB des Benzolkerns, d. h. Losung einer Doppelbindung dusch Sul- furylazid l) unter Bildung von Siebenringbasen, steht die Bil- dung des NorcaradiencarbonsBureesters2)

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aus Benzol und dem Diazoester, wie denn iiberhaupt die ali- phatischen Diazoverbindungen oft bis in allerletzte Einzelheiten aahlreiche Analogien zu den Azidea zeigen. Hierauf wird noch ofters hingewiesen werden.

Die Einwirkung von Carbonylazid suf Benzol, Toluol, p-Xylol und p-Cymol, die Ton Th. Cur t iu s und dem Ver- fasser3) studiert wurde, fuhrt bei allen Kohlenwasserstoffen allgemein zu einem andersartigen und durchaus unerwarteten Ergebnis, Es entstehen die entsprechenden P y r i din d e r i v ate. Nach der Interpretation des Verfassers ist der Vorgang folgender-

'1 Vgl. Anm. 3 S. 97. a) Th. Curtius u. E. Ruchner, Ber. 18, 2377 (1885); E. Buchner,

Ber. 29, 106 (1896); 30, 632 (1897); 31, 402, 2241, 2247 (1898); 685, 33, 3454 (1900); 34, 982 (1901); 36, 3502 (1903); 37, 931 (1904).

7 Vgl. Anm. 7 S. 96.

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Reaktionen der stamen h i d e 99

maBen zu deuten. Aus dem zunachst analog wie bei Sulfuryl- azid und p-Xylol entstehenden Anlagerungsprodukt

entstehen allerdings weniger leicht als dort zwei Reste, die den Ergebnissen der Reaktion entsprechend eine intramolekulare Umlagerung zum Pyridinderivat erleiden, wobei die Abspaltung einer Methingruppe zu erwarten ist, im Sinne des Schemas:

Das gebildete Kohlenoxyd wurde nachgewiesen. Diese An- nahme gewinnt an Wahrscheinlichkeit, weil F. S c h m i d t bei oberpriifung seiner Arbeit iiber die Einwirkung von Sulfuryl- azid auf Benzol festgestellt hatte, daB hier nicht wie urspriing- lich vermutet eine Siebenringbase vorlag, sondern daB vielmehr reines Pyridin entstanden war. Uberdies konnte der Verfasser kurzlieh zeigenl), da8 auch Sulfurylazid und p-Cymol in der Hauptsache eine Base liefert, die nur der Pyridinreihe an- gehoren kann. Eine Erkllrung, warum Carbonylazid durch- wegs Pyridine, Sulfurylazid in einem Falle auch Siebenring- basen liefert, ist bis zur endgultigen Klarung der Verhaltnisse nicht zu geben. Bei Carbazid tritt uberdies noch, wie bereits erwahnt, eine normale ,,Starre-AzidreaktionL‘ auf, indem ver- mutlich iiber einen intermediar gebildeten Harnstoff durch Hydrolyse Aminbase entsteht.

Azidoester sind in ihrem Verhalten gegen Kohlenwasser- stoffe nicht untersucht. Ihr leicht zum Zerfall neigendes Gefiige machte eine diesbeziigliche Untersuchung nicht erfolg- versprechend.

Fur den Eintritt des Azidrestes gilt allgemein die Bevor- zugnug der Substitution in Or thos t e l lung des Renzolkerns , ebenso entstehen im wesentlichen a- subs t i t u i e r t e P yri d i n e und a - s u b s t i t u i e r t e Naphthylamine. Die p-Stellung wird meistens nur in untergeordnetem MaBe eingenornmen. Durch Hydrolyse mit Salzsaure zerfallen die hierzu am besten ge-

l) A. Bertho, Th. CUrtiUR u. F. Schmidt , Ber. GO, 1717 (1927). P*

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100 A. Bertho:

eigneten Kdditionsprodukte von Sulfonazidresten an Kohlen- wasserstoffe usw. in die zugehorigen Su l fosau ren und Amino- re rb indungen. Da6 dadurch eine ausgezeichnete Darstellungs- methode von sonst sehr schwer zuganglichen Aminbasen ge- geben ist, leuchtet ein ; ihre praparative Ausniitzung wird nur durch die haufig sehr geringen Ausbeuten beeintrachtigt.

Auf die Verwand t scha f t dieser fiir s ta r re Az ide typ ischen Reaktion mit einer Reak t ion d e r T r ipheny l - me t hy le ist bereits hingewiesen worden (S. 94). Triphenyl- methyl verbindet sich mit p-Xylol zu p-Xylyltriphenylmethan unter gleichzeitiger Bildung von Triphenylmethan nach der GleichunP:

2. Der zweite Reaktionsverlauf fiihrt nicht zu einem sub- stituierten Amid, sondern es erfolgt H y d r i e r u n g d e s Azid- r e s t e s EN< zum re inen Amid RNH,. Er ist gekennzeichnet durch erhohten Druck, d. h. durch eine Temperatur, die uber der normalen Siedetemperatur des Losungsmittels liegt. Auch diese Annahme sol1 nicht in allen Fallen bindend sein, weil ebenso wie bei 1. der Azidrest oder das Lasungsmittel die Reaktion in ausschlaggebender Weise beeinflussen konnen.

Es gelten die Gleichungenl): CHsC6H4S0,N, + 2H = CHsC,H4S0,NH, t N, CaH5CH,SO,Na t- 2H = C,H5CH,SO,NHg f pu',

C,H,NB I- 2H = C,H,NH, f N, HN, f 2H = NH, + N,

c,H,CH,N, f- ZH = C,H,CH,NH2 f N2 Der Azidrest wirkt in diesem Falle dehydrierend auf das

Beaktionsmedium und erzeugt aus ihm durch Wasserstoffentzug charakteristische Produkte [ursprunglich als ,,Antikorper" be- zeichnet 2)], die durch Zusammentritt der entstandenen Molekel- reste gebildet werden. Sie sind haufig nicht zu isolieren oder solch komplizierte Kijrper, daB ihre Bildungsweise nicht durchsichtig ist. So gab Benzylsulfonazid in Anilin und Dimethylanilin

') Vgl. die aufgefuhrten Arbeiten iiber die nachfolgende Azide. 9, Die Bezeichnung ist aufgegeben.

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Reaktionen der starren Azide 101 p, p’- Diamidotriphenylmethan bzw. dessen Tetramethylderivat, die Leukobase des Malachitgriina, Benzol- und Toluolsulfonazid lieferten in den beiden methylierten Anilinen in der Hauptsache Di- und Tetramethyldiamidodiphenylmethan, und endlich konnte bei der Verkochung von Benzolsulfonazid in Anilin einmal eine geringe Menge eines Benzidins isoliert werden. Einen sticks tofffreien ,, Antikorper g, dessen Bildungsweise auBerdem offensichtlich ist, konnte der Verfasser erstmals bei der Zer- setzung von Phenylazid in p-Xylol erhalten. 1) Hierbei bildet sich einerseits Anilin , andererseits symm. p, p’- Ditolylathaa nach der Gleichung:

C,H,N, + 2C,,H,(CH3), = CE,C6H4CH2CH,C,H4CH, + C,H,NH, i- N,

Die erwahnte Reaktion zeigen fast ausnahmslos alle starren Azide, auch die Stickstoffwasserstoffsaure2), sofern sie nicht explosiv zerfallt, nur daB ihr Rest, das Imin >NH, sich die notwendigen H-Atome nicht aus dem Losungsmittel, sondern aus seinesgleichen holt. Es entsteht zunachst Stickstoffammo- nium und Stickstoff (I). Bei weiterem Zerfall von N4H4 wird dann auch das Medium in Anspruch genommen (11). Vgl. S. 96.

I. If.

4N8H = NH3N,,H + 4N, NH,N,H f 2H I 2NH, + N,

Im ubrigen sind derartige Produkte, wie sie bei der Amid- bildung, die doch unter moglichstem AusschluB von Wasser statthat, notgedrungen entstehen miissen, wie schon erwahnt, hiinfig nicht zu isolieren. Sie miissen dann in den bei allen diesen Reaktionen hauptsachlich aus Azidresten und Liisungs- mittelmolekiilen entstehenden Harzen gesucht werden. Wenn sie als definierte Produkte auftreten, entspricht ihre Menge niemals dem gebildeten Amid, weil auch dann stets Harze entstehen und weil Spuren von Wasser, wie oft gezeigt werden konnte, nicht auszuschlieBen sind und sich ebenfalls an der Amidbildung beteiligen.

So gilt z. B. fur die Hydrolyse des Phenylazids3) durch Wasser die Gleichung:

C6H6N8 + H,O = C,H5NH, f N, + 0 I) A. Bertho, Ber. 57, 1138 (1924). *) A. Bertho, Ber. 59, 590 (1926). 9 Vgl. Habilitationsschrift A. Bertho, Anm. 17, S. 21.

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102 A. Bertho:

Der Verbleib des Sauerstoffs ist hier nicht einwandfrei festzustellen, In einigen Fallen, wo es sich urn Azidhydro- lysen mit Sauren handelte, trat er in definierten Oxydations- produkten in Erscheinung.

Bei der Zersetzung von Benzylazid mit Mineralsluren, die in einem Drittel der Reaktion

gehorcht, fanden Th. C u r t i u s und A. Darapsky l ) , daB der zu erwartende Formaldehyd, der sich aus dem zweiten Reak- tionsverlauf nach der Gleichung :

ergeben sollte, in Form seines Oxydationsproduktes Ameisen- saure auftritt. Fu r die Zersetzung von /3'- Azidoiithylamin 2,

wird ein ganz analoger OxydationsprazeS durch folgende Glei- chungen zum Ausdruck gebracht:

I. C,H,CH,N, + H,O = C,€I,CH,NII, f N, + 0 -

f C,H,NH, -f- CH,O + H,O 11. C,,H,CH,N< -f Cp€I,N=CHB ~

I. N,CB,CH,NH, + H,O = H,KCB,CH,NH, + - 0 -+ N, 8- Azidoiithylamin Lthy lendiamim

- h'? IT. N,CH,CH,NB, -* NH=CHCH,NH,

+ H,O + O - NH, f CHOCH2NH, --f NH,CH,COOH

Tmin

Glycinaldehyd Glycin I n diesem Sinne sind auch die teilweise definierten De-

hydrierungsprodukte aufzufassen, die K. B r a s s und Mit- a r b e i t e r 3, bei der sauren Zersetzung der Phenanthrenchinon- azide und Anthrachinonazide aufgefunden haben. Hierbei verlauft die Reaktion nicht nur analog der Bildnng von p-Aminophenol aus Diazobenzolimid 7, sondern es bildet sich oft - manchmal sogar ausschlieBlich - das reine Amin, was nach obigem das gleichzeitige Auftreten von Dehydrierungs- bzw. Oxydationsprodukten zur Folge hat. Aminbildung aus Arylaziden hat in erster Linie auBerdem E. Bamberger5)

*) Th. Curt ius u. A. Darspsky, dies. Journ. [2] 63, 428 (1901); Th. Curt ius , Ber. 46, 1058 (1912).

K. Brass u. Mitarbeiter, Ber. 67, 121 u. 128 (1924); 58, 204 u. 755 (1925); Ann. Chem. 441, 217 (1925); Ber. 61, 983 (1928).

*) P. G r i e s s , Ber. 19, 314 (1886); P. Friedlander u. M.Zeit l in, Ber. 27, 195 (1894).

7 E. Bamherger, Ann. Chem. 424, 233 (1924). Zusammenfassen- der Bericht.

Ebenda.

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Reaktionen der starren Azide 103

gelegentlich seiner umfangreichen Arbeiten uber deren saure Zersetzung haufig beobachtet.

3. Die dritte Moglichkeit eines Reaktionsverlaufs ist durch den Z u s a m m e n t r i t t zweier Azidres te zu e inem Azo- korpe r gegeben, ein Vorgang, der bisher eindeutig bei zwei Aziden beobachtet wurde und der ubrigens ohne die Gegenwart eines Liisungsmittels ebenfalls in geringerem &Be statthat. So ergibt Carbaminazid in Benzol und p-Xyloll) und auch bei seiner Zersetzung ohne Lbsungsmittel Hydrazodicarbonamid, das nach J. Thie l e 2, aus primar gebildetem Azodicarbonamid unter den EinfluB der gleichzeitig entstehenden Cyanurslure entstanden gedacht werden darf, nach der Gleichung:

Carbaminazid Azodicarbonamid 2 NHzCOX3 = NH,CON=NCONH, I- 2N, ')

2SH,CON=XCONH, = RHzCONH--NHCOKH~ + Nc,, + 2HNCO Azodicarbonamid Hydrazodicarbonamid IsocyansLure Diazobenzolimid liefert bei seiner Zersetzung in Benzol,

in p-Xylol, in Wasser oder ohne Solvens u. a. das besfandige Azobenzol. 4,

2C,H5N< = C,II,N=NC,H, Diesen Reaktionen verwandt ist zweifellos die von K. F.

S c h m i d t aufgefundene Bildung von Hydrazin bei der Zer- setzung von Azoimid in benzolischer Losung durch konzen- trierte Schwefelsaure. Nach S c h m i d t 5, diirften sich die kurz- lebigen Iminreste voriibergehend zum Diimin zusammenlagern, das in einer Weise, wie sie fur Kiirper von radikalartigem Charakter typisch ist , augenblicklich zu Hydrazin und Stick- stoff disproportioniert wird:

4 N E -+ 2HN-NH --t H,NWH,+Ns Eine intermediar erfolgende Anlagerung der Elementc des

Wassers an die Azidreste 6, und darauffolgende Abspaltung I) Th. Curtius u. F. Schmidt , dies. Journ. [2] 10.5, 177 (1923). 2, J. T h i e l e , Ann. Chem. 270, 9 (1592). 7 H. Lindemann u. W. Schulthe is , Ann. Chem. 4G4, 237 (1928),

glauben eine Dimerisation von Azidresten ila obigen Fall in Zweifel ziehen zu mussen. Wir verweisen demgegeuuber auf die Reaktionen des Cwb- aminazids auf S. 96, 107, 109 und auf Aum. 1 S. 90 ds. Abhdlg.

*) VgI. Anm. 1 S. 97 und Anm. 3 S. 101. 5 ) Vgl. Anm. 8 S. 96. Vgl. auch F. Raschig , Stickstoffstudien. 6, Vgl. hierzu die Bildung von Azobenzol &us Nitrosobenzol und

Anilin, bzw. durch Oxydation von Anilin.

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104 A. Bertho:

unter gleichzeitiger Bildung des Azokorpers anzunehmen, ist nicht einzusehen, da verschiedene Reaktionen bekannt geworden sind, in denen das freie Radikal Phenylstickstoff C,H,N< mit einwertigem Stickstoff den Reaktionsverlauf swanglos erklart und weil zwischen diesem Radikal und Azidresten kein prin- zipieller Unterschied besteht (vgl. S. 93).

So gibt Triphenylhydrazin l) bei der Spaltung im wesent- lichen Diphenylamin und Phenylstickstoff, der sich zu Azo- benzol polymerisiert, wahrend das als Nebenprodukt auftretende Chinonanil - diphenylhydrazon als aus der Leukoverbindung hervorgegangen, einmal die Existenz des Phenylstickstoffs als freies Radikal wahrscheinlich macht und auBerdem eine Ver- knupfung des Restes C,H,N<, die im Falle Kohlenwasserstoff plus Diazobenzolimid nicht realisierbar war, darstellt, gemaB dem Schema-: /7)N< f /-\--NH--N(C,H,), \ \J

Azidrest Triphenylhydrazin

Leukoverbindung __

--f / - \ -N=~\-N--N(C611,)~ 2- \-/

C hinon&d-diphenylhydrazon

St. Goldschmidt nimmt ebenso beim Chlorentzug von Phenyl- dichloramin mit Kupferpulver a) und bei der Dehydrierung von homologen Anilinbasen mit Bleisuperoxyd 3, als intermediar auftretendes Radikal Phenylstickstoff an, der sich zu Azo- benzol und hoheren Polymeren polymerisiert und in beiden Fiillen auflerdem in einem zweiten Reaktionsprodukt, Phenyl- chinondiimin, in Erscheinung tritt :

2C6H,N< = C6E6N< +- =C6H4=NH = C6H&=C,H,NH Phenylstickstoff Phenylchinondiimin

I) H. WieIand u. A. Beverdy, Ber. 48, 1112 (1915). 8, St. Goldachmidt, Ber. 46, 2734 (1913); 66, 2450 (1922). 3, St. Goldechmidt, Ber. 63, 28 (1920).

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Reaktionen der starren Azide 105

Allgemein kann beziiglich des Zusammentritts von h i d - resten zu Azoverbindungen gesagt werden, daB ein solcher nur dann zu einem bestandigen Szokijrper fkhren kann, wenn die Starrheit der Azidreste und die Stabilitat ihrer Gruppen ge- niigend grog ist. I n ausgesprochenem MaBe zeigen dies die Reste des Phenylazids, die sich zum bestandigen Azobenzol zusammenIagern, wahrend die Reste des Carbaminsaureazids und auch das aus ihnen gebildete Azodicarbonamid vie1 leichter zum Zerfall neigen. Die erorterte Reaktion ist aus den er- wahnten Griinden von den iibrigen starren Aziden, soweit sie nicht Homologe bzw. Substitutionsprodukte der besprochenen Azide sind, nicht zu erwarten.

DaS aliphatische Diazokarper zahlreiche Analogien zu den Aziden zeigen, ist schon erwlhnt worden. Zahlreiche Beispiele hierfiir werden im Verlauf der Abhandlung aufgefuhrt werden. Die Bildung von Fumarester aus Diazoessigester:

ist ein Analogon zu beiden obigen Fallen. 2N,CHCOOR --f (CH)&OORL + 2N,

B. Verhalten etarrer Azide gegen alipbatische Korper mit Doppel- und Dreifaahkohlenstoff bindungen sowie mit

reaktionefiahigen Methylen- und Hethingrnppen Zwei H a u p t r e a k t i o n e n l a s s e n s ich bei allen Unter-

suchungen, bei denen starre Azide auf Kiirper obiger Art zur Einwirkung gebracht wurden, a l lgem e i n un t e r s c h e id en.

I m e r s t en und weniger hauf igen Fall t r i t t der unter Stickstoffabspaltung entstandene s t a r r e R e s t u n t e r Verkni ipfung gegebenenfalls unter Lijsung einer ungesattigten Bindung i n Reakt ion . Neben diesem Vorgang kann gelegent- lich die im vorigen Kapitel besprochene Hydrierung des Azid- restes eintreten.

I m zwei ten F a l l e r e a g i e r t d ie z u r Aufro l lung ge- b r a c h t e u n v e r s e h r t e Azidogruppe , die sich ohne jede Stickstoffabspaltung mit Verbindungen, welche doppelte oder dreifache Kohlenstoff bindungen oder reaktionsf ahige Hethylen- oder Methingruppen enthalten , unter Bildung bestandiger

l) Vgl. hiereu Th. Curtius n. R. Jay, dies. Journ. [2] 39, 55 (1869); Loose, dies. Journ. [2] 79, 507 (1909).

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106 A. Bertho:

F u n f r i n g e - I-substituierte 1,2,3-Triazole und deren Oxy- und Hydroderivate - kondeosiert. Dies stellt eine Reaktion dar, die, sofern es sich um Korper mit Doppel- oder Dreifach- kohlenstoff bindungen bandelt, vollkommen mit der von Th. Cur- t i u s und E. Buchner I) aufgefundenen Synthese von Pyrazolen und Pyrazolinen aus aliphatiachen Diazoverbindungen und eben diesen Korpern in Parallele zu setzen ist. Sie fiihrt zu Tri- azolen und Triazolinen. Sofern jedoch Korper mit reaktions- fahigen Methylen- und Methingruppen in Betracht kommen, besteht ein Analogon zur Triazolbildung in der Bildung von Pyrazolderivaten aus Diazoessigester und 1,3-Diketonen z, sowie Malonester und substituierten Malonestern. 3, Vgl. S. 113 und 114.

1. Als Vorgang, bei dem ein Az id res t in Reak t ion tritt und der allgemein durch eine Verkochung des Azids unter gewiihnlichen Verhaltnissen veranlallt wird, ist insbesondere die von Th. Cur t iu s und G.Ehrhart4) aufgefundene Bildung von Benzylaminomalonester aus Benzylazid und Malonester und von Benzylaminomethylmalonester aus Benzylazid und Methyl- malonester anzufuhren. Es gelten die Gleichungen:

C,H5CH,N, f CH,(COOR), = C,H,CH,NHCH(COOR), + N,

Damit waren zum erstenmal, ahnlich a ie es mit aroma- tischen Kohlenwasserstoffen, Aminbasen und Pyridinbasen be- reits bekannt war (vgl. vor. Kap.), auch a l ipha t i s che Ver- b indungen m i t dem Az id res t verkni ipf t worden. Im Verlauf weiterer ahnlicher Untersuchungen wurde u. a. fest- gestellt, daB auch Benzolsulfonazid sich mit Malonester unter Bildung von Benzolsulfonamidomalonester vereinigt 5), allerdings

*) E. Buchner, Ber. 21, 2638 (1888); 22, 842 (1889); 25, 701 (1890); 35, 35, 784, 789 (1902); Ann. Chem. 273, 122 (1892). E. Buchner , Syn- thesen von Pyrazol-, Pyrazolin- und Trimethylenderivaten mittels Diazo- essigather. Ein Beitrag zur Kenntnis der ringformigen Atomverbindung. Habilitationsschrift Miinchen. Druck von F. Straub 1891.

2) A. K l a g e s , dies. Journ. [2] Gii, 387 (1902); Ber. 36, 1128 (1903). 8) Alfred Bertho u. Haus N d s s e l , Ann. Chem. 467, 278 (1927). 4, Vgl. Anm. 2 S. 97. 5, Henry Meier, Uber Zwischenprodukte bei der Synthese von

n-Aminosjiuren aus Malonester und einige Reaktionen mit starren Saure- aziden. 1naug.-Diss. Heidelberg 1922.

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Resktionen der starren Azide 107

mit so geringer Ausbeute, daB die rnit dieser Reaktion be- absichtigte Aminosauresynthese, die sich im Gegensatz zu Benzylazid bei Verwendung von Sulfonazid durch nachfolgende Verseifung ergeben hatte , illusorisch wurde. W e s en t l i c h ist in diesen Fallen, daB e ine d u r c h Na t r ium a k t i v i e r b a r e G r u p p e vorliegt, wirkt doch, wie Th. Cur t iu s und K. Raschigl) zeigen konnten, Benzylazid nicht auf den dieser Forderung nicht geniigenden Bernsteinsaureester. Daher gelingt es auch, wie Th. Cur t iu s und (3. E h r h a r t 2 ) nachwiesen, Carbaminazid rnit Malonester und auch mit Barbitursaure in Reaktion zu bringen. Aus Malonester bildet sich hierbei Ureido- bzw. Di- ureidomalonester, wahrend mit Barbitursaure in sehr ver- wickelter Reaktion eine Reihe von KiSrpern entstanden, die noch nicht alle aufgeklirt sind, doch sicher nicht durch nor- malen Eintritt des Carbaminsaureazidrestes gebildet wurden. Benzylazid 3, hingegen reagiert mit Barbitursiiure wie erwartet nnter Bildung von Benzyluramil.

C,H,CH,N, + ~ H ~ C O N H C O N H ~ O

!---- 1 = C,H,CH,NHCHCONHCONHCO + N, ')

I n &linlicher Weise konneii Azidres te rnit a l i p h a t i - schen Verbindungen, die Doppel - oder Dre i fachkohlen- s tof fb indungen enthalten, verkni ipf t werden. Der Rest des Carbaminazids 6, lost die im Fumarsaureester vorhandene Doppelbindung wahrscheinlich unter Bildung eines Xthylenrings, eine Reaktion, die der besprochenen Entstehung von Sieben-

') K u r t Raschig , Uber die Einwirkung von Benzylazid auf Bern- steinsaureester, Fumarshreester und Acetylendicarbonsaureester. 1naug.- Diss. Beidelberg 1924. Bei Klohe & Silber.

a ) Th. Cur t iu s , Einwirkung von Carbaminazid auf Malonester und auf Barbitursaure, Ber. 66, 11, 1577 (1923).

3, Privatmitteilung von Herrn Geh.-Rat Th. Curtius. 4, Die Bildung von BarbiturylessigsKure aus Diazoessigester und

Barbitursiiure wiire als typischer Analogiefall aus der Diazoreihe an- zufuhren.

5, MT. Dorr, Ober die Einwirkung von Carbaminazid auf Fumar- aaureester. 1naug.-Diss., maschinensehriftlich hinterlegt bei der Uni- versitatsbibliothek in Heidelberg 1923.

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108 A. Bertho:

ringbasen bei der Einwirkung von Sulfurylazid auf p-Xylol l) an die Seite zu setzen ist.

CH-COOR NH,CON, + C,H,(COOR), = NH,CON/ I + N2

\CH-COOR Carbnminazid Fumarester hhyleniminderivat

Der Bildung des Athyleniminrings geht jedoch zweifellos die Triazolinbildung voraus, denn man hat es haufig in der Hand, durch Anwendung geeigneter Bedingungen die Reaktion in diesem oder jenem Sinne zu leiten und das Stadium der Triazolinbildung festzuhalten. Ausschlaggebend ist also das Verhalten von Aziden, die Triazolinbildung zeigen bzw. das- jenige der aus ihnen gewonnenen Triazoline.

Nach L. Wolff2), der erstmals Phenylazid mit hhylen- kijrpern in Reaktion brachte und dabei definierte Produkte fassen konnte - die Anlagerung von Phenylazid an Acetylen- k6rper war durch die schijnen Arbeiten von 0. Dimroths) schon bekannt geworden -, spaltet das aus Diazobenzolimid und Styrol gewonnene Triazolin leicht Stickstoff ab und geht dabei in ein Derivat des Iminoathylens,

I C*H,

uber. Th. Cur t iu s und K, Raschig") konnten bei dem aus Benzylazid und Fumarester gewonnenen Triazolin ahiiliches wahrscheinlich machen.

Auf die Analogieverhiiltnisse bei Diazoessigester 5, sei auch hier hingewiesen. So spaltet der aus ihm und Fumarester gewonnene Pyrazolintricarbonsaureester bei hiiheren Tempe- raturen leicht Sticketoff ab unter Bildung eines Trimethylen- tricarbonsaureestera (vgl. Triazolin-Athyleniminring).

I) Vgl. Anm. 3 S. 97. z, L. Wolff, Ann. Chem. 394, 68 (1912). 3, 0. Dimrotb, Ber. 43, 2219 (1910). 4, Vgl. Anm. 1 S. 107. :) Vgl. Anm. 1 S. 106.

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Reaktionen der starren Azide 109

Beobachtungen von Th. C u r t i u s und W. Klavehn, bei denen eine Anlagerung von Azidresten an Korper mit drei- facher Bindung erfolgt war, sind unveroffentlicht. Aus Acetylen- dicarbonester und Carbaminazid bildet sich z. B. Diureido- acetylendicarbonsaureester (NH,CONH),C,(COOR&. l)

2. Weit mehr und umfassenderes Beobachtungsmaterial liegt uber die B i ldung von 1-substituierten 1,2,3-Triazolen aus s t a r r e n Aziden und kondensa t ionsfahigen Korpe rn der aliphatischen Kohlenstoffreihe vor.

Um einen Reaktionsverlauf in diesen zweiten Sinne zu reranlassen, sind gelinde Bedingungen, vor allem niedrige Tern- peratur und verminderter Druck, anzustreben.

Wenn es sich darum handelt, die Azidogruppe gegenuber Korpern in Reaktion zu bringen, die, wie Malonester oder Acetessigester, deren monosubstituierte Derivate, Essigsaure- ester, Propionsaureester usw., als Enole reagieren, ist ein Xon- densationsmittel in erster Linie Natriumathylat, manchmal aucli verdiinnte Natronlauge, unbedingt erforderlich. Gleiches gilt fur die in der tautomeren Form reagierenden Cyanverbindungen, Benzylcyanid, Cyanessigester. Bei der Bildung des Triazol- rings werden storende Gruppen notigenfalls abgespalten. Der Zusammentritt der beiden Komponenten zum Triazol erfolgt allgemein so, da6 die Gruppierungen

-C(OH)=CR- und C(: NH)=CH- 5 4 5 4

entsprechend der Zahlenbezeichnung im Ring auftreten. Bei der Bildung von 1,2,3-Triazolen aus starren Aziden

und Verbindungen mit doppelt oder dreifach gebundenem Kohlenstoff, die oft spontan unter betrachtlicher Warmeent- wicklung erfolgt, ist ein Kondensationsmittel nicht notig.

Schon vor einer Reihe von Jahren hat 0. Dimroth3) mit dem stabilsten aller starren Azide, dem Phenylazid, die Konden- sationen mit Enolen, Cyanverbindungen und Acetylenderivaten durchgefiihrt. Er zeigte auch, daB sich Stickwasserstoff unc!

I) Privatmitteilung von Herrn Geh.-Rat Curtius. *) 0. D i m r o t h , Ber. 35, 1029, 4041 (1902).

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I10 A. Bertho:

Phenylazid l) leicht mit Acetylen zu Triazol bzw. Phenyltriazol kondensieren lassen. Kurze Zeit danach erbrachte L. Wolff ’) in seinen schonen Untersuchungen den Nachweis, da6 auch xthylenderivate, wenn auch schwerer wie Acetylenderivate, rnit Phenylazid ohne jede Stickstoffentwicklung in Reaktion treten. Er verwandte Styrol, Trimethylathylen und Fumarsaure- ester und gelangte so zu Derivaten des Dihydrotriazols.

Vor einiger Zeit konnte Q. E h r h a r t 3 ) feststellen, da6 auch Benzolsulfonazid und Malonester bei vermindertem Druck - irn Gegensatz zur geringen Rildung von Benzolsulfamino- malonester bei normalen Verhaltnissen - ohne Stickstoffent- wicklung Triazolbildung zeigen. Diese Untersuchungen wurden von Th. Cur t iu s und Mi ta rbe i t e rn auf Toluol~ulfouazid~), Benzylsulfonazid 5), Benzylazid ,), u-Naphthalinsulfonazid ”), Ace- tylsulfanilsaureazid und Sulfanilsaureazid*) ausgedehnt , wobei gezeigt wurde, daB eben diese Kondensationen dem von Dim- r o t h bei Phenylazid festgelegten Reaktionsmechanismus folgen, und da6 ohne jedes Kondensationsmittel wie Natriumathylat oder verdiinnte Natronlauge iiberhaupt keine Reaktion eintritt. Eine Kondensation zwischen Toluolsulfonazid und monoalky- liertem Malonester erfolgt uberhaupt nicht.

Die Reaktion zwischen Malonester bzw. Natriummalon- ester und starren Aziden wird durch folgendes Formelschema zum Ausdruck gebracht, wobei R das Radikal C,H,SO,-,

BrC,H4-, C,H5-, CH3C,H4- und C,H,CH,- darstellt: CH,C6H4S0,-, C,,H,SO,-, H,NC,H,SO,-, C,H,CR,SO,-,

1) 0. D i m r o t h , Ber. 43, 2219 (1910). x, L. Wolff , Ann. Chem. 391, 68 (1912); 399, 274, 287 (1913). 3) Th. C u r t i u s u. G. E h r h a r t , uber die Einwirkung von Benzol-

sulfonazid auf Malonester, dies. Journ. [2] 106, 66 (1923). ’) Th. C u r t i u s u. W. K i a v e h n , Uber die Einwirkungvon p-T’oluol-

sulfonazid aof Malonester und alkylierte Malonester, dies. Journ. [‘A] 112, 65 (1926).

s, Th. C u r t i u s u. B. J e r e m i a s , nber die Einwirkung vonBenzy1- sulfonazid auf Malonester, dies. Journ. [2] 112, 88 (1926).

*) Privatmitteilung von Herrn Geh.-Rat T h. C u r t i u s. i, G. H a s s e , Uber die Einwirkung von a-Naphthalinsulfonazid auf

Malonester. 1naug.-Diss. Heidelberg 1926. Bei Klohe & Silber. a) Th. C u r t i n s II. W. Sto l l , nber das Hpdrazid und Azid der

Acetylsulfanilsitnre und der Sulfanilsacre, dies. Journ. [‘A] 112, 117 (1925).

Page 23: Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

Reaktionen der starreu h i d e 111 L

R----N--X R-N--N R-X--N R-NH

$lkohol I / Lo

c CH ?<A I

.~ 9 C 5 'b,, N3:- + HOC K 72 O l N 72

\/ I N \/ H O/ >>,%,,/

COOAlk I COOAlk COOAlk

CIS: Enolform

4C?OOAlk Ketoform Diazoform Azid + Malonester

Was eine Erorterung der im speziellen Fall der Konden- sation mit Malonester zutage tretenden D esmo t r o p i e e r s c h e i - nungen , d. h. des Ubergangs der urspriinglich entstehenden Eno l fo rm in die Ke to fo rm bzw. den Diazoes t e r anbelangt, so sei ebenso wie in bezug auf Einzelheiten auf die Original- literatur, insbesondere auf die klassischen Ausfiihrungen 0. Dim - ro ths l ) verwiesen.

Die Kondensation von Phenylazid mit Acetessigester, Propionsaureester usw. verlauft analog. Cyanessigester und Benzylcyanid liefern naturgemal3 5-,4mine.

Fur die Kondensation von Diazoessigester mit Malonester und substituierten Malonestern gelten, wie Al f r ed B e r t h o und H a n s Niisse12) zeigten, ahnliche Verhaltnisse. Die entstehen- den Pyrazole treten jeweils in zwei desmotropen Formen auf. Cyanessigester liefert mit Diazoessigester entsprechend 4-Amino- 3,5-pyrazoldicarbonsaureester.

Bei dieser Gelegenheit sei auch die vom Verfasser auf- gefundene Tr i azo l syn these angefiihrt3), die den gleichen Chemismua aufweist und zu l-Aryl-l,2,3-triazolen und 4-Alkyl- 1-aryl-l,2,3-triazolen fuhrt. Danach reagiereii Arylazide beim Verkochen in den Alkoholaten aller primaren aliphatischen Alko- hole in doppelter Hinsicht, und zwar die eine Halfte als Azid- rest, die andere unter Aufrollung der Azidogruppe. Das Er- gebnis der Reaktion beweist, dai3 der Azidrest, indem er sich

0. Dimroth , Ann. Chem. 326, 1 (1902); 336, 1 (1904): 558, 143

A l f r e d Ber tho u. H a n s N u s s e l , Ann. Chem. 457, 278 (1927). 3, A. Ber tho , Uber eine ailgemeine Bildungsweise von 4.Alky.l-

l-pbenyl-1~2,3-triazolen, Ber. 68, 859 (1925); A l f r e d B e r t h o u. Fri tz Holder , Uber das Verhalten von Arylaziden in AlkoholatlGsungen pri- iniirer Alkohole, dies. Jouru. [ Z ] 119, 173 (1928).

(1905); 364, 183 (1909); 373, 352; 377, 127 (1910); 399, 91 (1913).

Page 24: Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

1 1 2 A. Bertho:

zu Anilin hydriert zunachst ein Alkoholatmolekul dehydriert. Es gilt:

C,H,N, + RCH,CH,ONa = C,H,NH, Phenylazid Alkoholat Auilin

+ RCH,CONa baw. RCH=CHONa

Dehydrierungaprodukt bzw. Enol /\

Weiterhin reagiert die zweite Halfte des Azids mit dem De- hydrierungsprodukt unter Bildung des Triazols:

C,H,N --N

Phenylasid -t- Enol

Auch die Untersuchungen uber die Anlagerung der Azido- gruppe an Doppel- und Dreifachkohlenstoff bindungen haben durch zahlreiche Arbeiten im Heidelberger Institut eine wesent- liche Bereicherung erfahren. So wurde Benzylazid l) rnit Fumar- saureester, Acetylendicarbonsaureester und Acetylen konden- siert. Th. Cur t ius , insbesondere mit W. Klavehn , sowie W. Raudenbusch zeigten in umfangreichen Untersuchungen aderdem, da8 auch Carbaminazid, Azidoameisensaureester, Azidoessigsaureester 2, a- und f5-Azidopropionsaureester 3, mit Acetylendicarbonsiiureester zur Reaktion im Sinne der Triazol- bildung gebracht werden konnen. Jedoch konnte eine Reaktion mit Verbindungen, welche Athylenbindung enthalten - Triazolin- bildung -, abgesehen von den oben erwahnten Fallen mit Phenyl- und Benzylazid, nur noch mit Azidoessigester urld Furnarester verwirklicht werden.

Es ist selbstverstandlich, daB fur das Zustandekommen cles Triazolrings neben d e r N a t u r des a n d e r Az idgruppe befes t ig ten R e s t e s der chemische Charakter des zur Ein- wirkung gebrachten Mediums von Bedeu tung ist, abgesehen davon, daB ein leicht zum Zer fa l l ne igendes Azid, wie es irn wesentlichen von den halbstarren Aziden dargestellt w i d ,

I) Vgl. Anm. 1 S. 107. 9, Unveriiffentlicht. 3, W. Raudenbusch, 1naug.-Dim. Heidelberg 1925.

Page 25: Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

Reaktionen der starren Azide 113

eine K ond e n s a t i o n d u r c h s e in en Z e r f a l l be ein t r Bc h t ig t , wenn nicht uberhaupt verhindert. Reagieren doch alkylierte Malonester und Athylenderivate , z. B. Fuinarester, wenn sie uberhaupt reagieren, vie1 schwerer als gewohnlicher Malonester und Acetylenderivate, die doch fast immer in Reaktion ge- bracht werden konnten. Mit der Abnahme des ,,elektronega- tivenL' Charakters der Gruppen C,H5S0,-, CH,C,H,SO,-, C, H, SO,-,- C,H6 CH,SO,-, C, H6-, CI!H6 CH,- n i m m t anderer- seits die Neigung z u r Kondensa t ion m i t Ma lones t e r ab , wahrend letzten Endes Azide, die die Gruppen -CO-, NH,CO- enthalten, nur bei solch energischen Bedingungen zur Einwirkung auf Malonester gebracht werden konnen, daB neben teilweisem Zerfall nur die Wirkungsweise als starrer Rest auftritt. Fur eine Ko n d ens at i on mi t Ace t y 1 en d i c a r b on s a u r e e s t e r er- gibt sich genau die umgekehr t e Reihenfolge. Sulfonazide reagieren in diesem Falle iiberhaupt nicht.

Auf die Analogieverhaltnisse bezuglich der Bildung von Pyrazolen und Pyrazolinen l) aus aliphatischen Diazoverbin- dungen und der hier behandelten Bildungsweise von Triazolen und Triazolinen aus Aziden ist schon verschiedentlich hin- gewiesen worden. 0. Dimro th hat schon vor geraumer Zeit diese Parallele gezogen. Einige Schemata sollen dies fur die Bildung von Fiinfringen erlautern.

I. x--N ---f

I / ROOCCH

i Z I O O R Diazoessigester +

Acetylendicar boneilureeeter N-N

R O O L 4 --f

C= C I I

COOR COOR AzidoameisensLureester -f-

Acetylendicarbonsaureester

N----NH

ROOCC

LOOR JCOR Pyrazoltricarbonsaureester

N==N

ROOCN C- ' I I I

bOOR COOR Triazoltricarbonsiiureester 4

I) Vgl. Anm. 1 S. 106. 3 Unveroffentlichte Beobachtung von Th. Curtius, W. Klavehn

und K. Raschig. Journal f , prakt. Chemie [a] Ed. 120. 8

Page 26: Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

114 A. Bertho:

I/ 11. N=N N---NH

--f ROOCC l I ROOCCH

HC==CH CH-CH I I

COOR COOR I

COOR 6 0 0 R Diazoessigester -k Pyrazolintricarboneiiureester Fumarsiiureester

N-N N= N I /

--f C&,CH,N CH I I I, C,H, CH,N

HC=

COOR I LOOR E 2 0 0 , Benzylazid f Benzyltriazolin-

Fumarsiiureester dicarbonsiiureester

111. N-==N &.-- NH ll I

I I I i I

HOC=CH A-C

--t ROOCC I/

ROOCCH

OH COOR OR COOR Diazoessigester i- 4-Oxy-pyrazol-3, B-dicarbon-

Malonester saureester

N-N N==N I /

I l -+ c6H6Y C,H,N HOC==CH c-=c

b R bOOR AH kOOR Phenylazid f Malonester 1-Phen 1 5 OXJ triazol-

4-carginsiiureester

Die neuere Forschung hat manches in der Chemie der Azide und aliphatischen Diazoverbindungen geklgrt oder wenigstens zu deuten versucht. In einwandfreier Weise haben H. L i n d e m a n n und H. T h i e 1 e l) kurzlich nachgewiesen, da8 die Sugden schen Parachorwerte bei einer Reihe unter- suchter Azidoverbindungen nur mit der Cur t i u s schen Ring-

formel R-N /N 1 1 aufs beste in Einklang stehen, die, in letzter ‘N

*) H. Lindemann u. H. T h i e l e , Ber. 61, 1529 (1928).

Page 27: Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

Reaktionen der stamen Azide 115

Zeit groStenteils aufgegeben, damit endgiiltig sichergestellt ist. Uberdies steht die lange bevorzugte Angeli-Thielesche For- mulierung der Azidogruppe und ebenso der Diazogruppe in ihrer klassischen Form R-N=N=N bzw. R-CH=NrN nicht im Einklang mit der bewahrten Oktetttheorie von Lewis und Langmui r , die allerdings unter Modifizierung der Angel i - Thieleschen Auffassung zwei weitere offene Formeln

R-N-N-N (I) und R--N=N-N (11) - + + - bzw. R,R,C-N-N (111) und R,RBC5N=N (IV) - + f -

zuliiBt, fiir die die Parachorwerte im Falle der nntersuchten Azide aber durchwegs hoher als die gefundenen sind. Hijchst- wahrscheinlich wird eine analoge Untersuchung auch in der Reihe der aliphatischen Diazoverbindungen mijglicherweise mit gewissen Einschrankungen die Ringformel sicherstellen. I) Die weitgehende Ubereinstimmung beider Kijrperklassen laBt das erwarten. Die elektronentheoretische Formulierung der Di- azoverbindungen in der Ringformel schlieBt aber ohne weiteres optische Aktivitat bei aliphatischen Diazokorpern a) aus. Eine solche ware nur bei einer der beiden erwiihnten offenen For- mulierungen (111) moglich. Es wiirde sich um dieselbe Elek- tronenisomerie handeln, wie sie von Ph i l ipps und Yit- a r b e i t e r n bei den Toluolsulfinsaureestern und den Sulfoxyden aufgefunden wurde.s) Die Unstimmigkeit, die sich, falls die Parachorwerte der Ringformel entsprechen, durch den aller- dings nnter den schwierigsten Verhaltnissen gefiihrten Nachweis der optischen Aktivitat der aliphatischen Diazokijrper ergibt, w k e noch zu beseitigen.

Andererseits bestehen bekanntlich berechtigte Briinde, den Azido- und Diazoverbindungen be i i h r e n Reak t ionen eine

l) Wir haben uns erst kiirzlieh und zwar vor dem Bekrnntwerden der Arbeit von Lindemann und T h i e l e auf Grund unserer Erfahrung zur Ringformel bekannt. Dies. Journ. “4 119, 174, Anm. 4 (1928).

P.A. L e v e n e u. L.A. Mikesku, Journ. Biol. Chem. 46, 593 (1920/21); 62, 489 (1922; 64, 101 (1922); 66, 800 (1923); C . S. Marvel u. W. A N o y e s , Am. Soe. 4.2, 2239 (1920); H.M. Chiles u. W.A. Noyes , Am. Soe. 44, 1798 (1922); F. E. Kendal l u. W. A. N o y e s , Am. Soe. 48, 2404 (1926).

*) Journ. Chem. SOC. London 127, 2553 (1925); 1927, 1798. 8*

Page 28: Die Reaktionen der starren Azide. [Zusammenfassende Abhandlung]

116 A. Bertho:

offene Formel zuzugestehen. Die Verbindungen b es i t z e n , wie es im Falle der Azide mit Sicherheit gezeigt wurde, wohl beide Male die Ringformel, r e a g i e r e n nber zweifellos in ihren tautomeren Formen. Sprechen die Parachorwerte der alipha- tischen Diazoverbindungen zugunsten eines Gleichgewichts von Desmotropen im Sinne von Ring- und Kettenformel, dann ware auch die erwahnte Unstimmigkeit beseitigt.

Brad ley und Robinson l) diskutieren neuerdings die Reaktionen der aliphatischen Diazoverbindungen unter Zu- grundelegung einer der beiden offenen elektronentheoretischen Formulierungen (IV). Sie benutzen dabei u. a. oflenbar die Auf- fassung von H. S tnud inge r , nach dem die Reaktionen der Azene (vgl. Anm. 1 S. 93) grundsatzlich von zweierlei Art waren, entweder Reaktionen am endstandigen N-Atom (Grignardreagens, Phosphine) oder Reaktionen, in denen sich das erste und dritte Glied der Kette betatigt (Anlagerung an ungesattigte Verbin- dungen, Reaktion mit KBrpern vom Typus HR, mit Halo- genen usw.). Es ist ein Vorzug ihrer Auffassung, da6 sie schlieB- lich auch Reaktionsweisen zu erklaren imstande ist, die nicht in die beiden S taudingerschen Reaktionsschemata eingereiht werden konnen. Die von H. S t a u d i n g e r betonte Tatsache, daB nur im zweiten Falle die Natur des Substituenten der Diazo- gruppe bzw. der Szidogruppe einen ausschlaggebenden EinfluB hat, erhklt durch die Ausfiihrungen Brad leys und Rob insons einen tieferen Sinn. Da ihre Annahmen auch auf die reagierende Azidogruppe in einfacher Weise zu ubertragen sind, gilt das- selbe fur unsere auf S. 11 3 gepflogenen Ausfiihrungen, die bei der Fiille des untersuchten Materials Regeln bereits erkennen lassen. Es wird notwendig sein, noch zahlreiche Lucken zu fullen, um eindeutige Beziehungen aufzudecken, bevor in die Diskussion des Gegenstandes eingetreten werden kann.

C. Starre Azide nnd Azokorper Th. Cur t iu s und M i t a r b e i t e r haben wiederholt versucht,

eine An lage rung von Aziden bzw. Az id res t en a n d i e Azo- g ruppe zu erzielen. Th. C u r t i u s und W. S i e b e r 3 lieBen

l) W. B r a d 1 e y u. R. R o b i n a o n , Journ. Chem. SOL London

3 Unvertiffentlicht. 1928, 1310.

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Reaktionen der starreti Azide 117

Carbaminazid auf Azodicarbonester einwirken, und R. S t o l l 6 mit (3. Adam]) und gleichzeitig W. Klavehn brachten Stick- stoffwasserstoff mit jenem Ester in Reaktion. In diesen beiden Fiillen reagiert jedoch die angewandte Azoverbindung in Form von Bruchstucken. Carbaminazid ergab neben eigenen Zer- setzungsprodukten u. a. AllophansBureester, KH,CONHCOOR. Stickstoffwasserstoff lieferte in komplizierter Reaktion Methoxy- 5-tetrazol N==COCH,

I I "/

N NH

und Iminodicarbonsaureester, NH(COOR),. In keinem Falle traten neugebildete Stickstoff-Stickstoff bindungen zutage. Eine theoretisch erwagbare Bildung von Triimin- (I) bzw. Pentazol- derivaten (11) la6t sich somit nicht verwirklichen.

/N-COOR f - N-COOR

N-COOR R N < + It RN4i-C*OR I.

(R = H, H,NCO)

RN- N RN- N

11. ROOCN N ROOCN N

COOR

I ' 1 \N/

I I1 --t

\N/

k 0 O R

Im Gegensatz hierzu fuhrte die Einwirkung von a l i p h a - ti s c h e n Diazoverbindungon auf Azokiirper ,), wie Azodicarbon- ester, Azodibenzoyl und Tetrazin, wofur bei der Analogie aliphatischer Diazoverbindungen mit Aziden (vgl. 0.) die Glei- chungpn (I) und (11) in entsprechend abgeanderter Form (RCH< und RCHN, an Stelle von RN< und RN,) zu gelten hatten, nach (I) zu Derivaten des hypothetischen Hydrazimethylens, wahrend andererseits die zunachst zweifelIos gebildeten Funf- ringe, Tetrazolkorper (11), nicht isoliert werden konnten.

Aussichtsreicher war dem Verfasser der Versuch erschienen, Azidmolekule gegenseitig vermittelst ihrer Azidogruppen alka-

l) R. Stollh u. G. A d a m , Ber. 57, 1656 (1924). *) E. hfiiller, Ber. 47, 3001-3023 (1914); H. Staudinger und

Al i ce Gauie , Ber. 49, 1901 (1916).

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118 A. Bertho: Reaktionen der stamen Azide lisch zu kondensieren und so eventuell ein Analogon zur be- kannten Kondensation von Diazoessigester l) durch Alkalien zu dessen dimolekularen Derivaten, Abkommlingen des Tetrazins, zu schaffen. Eine Kondensation gelang tatsachlich, wenn auch nur in untergeordnetem MaBe, mit dem nur schwer verseif- baren Phenylazid. 2) Die eingehende Untersuchung des ent- standenen Eondensationsprodukts zeigte jedoch, daB eine Re- aktion im beabsichtigten Sinne nicht eingetreten war.

*) Th. Curtiue, A. Daraptrky u. E. bfiiller, Zueammenfassender Bericht, Ber. 41, 3161 (1908).

Vgl. Anm. 3 S. 111.