15
Die Roadmap Grossen Jürg Grossen Fassung 2, Frutigen im Februar 2021

Die Roadmap Grossen

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Die Roadmap Grossen

Jürg GrossenFassung 2, Frutigen im Februar 2021

2

Editorial

In dreissig Jahren ist die Schweiz eine andere: Das Landversorgt sich eigenständig mit Energie aus ausschliesslicherneuerbaren Quellen, und zwar das ganze Jahr hindurch.Die Atomkraftwerke sind 2050 heruntergefahren, Solarstrom isteine wichtige Stromquelle als Ergänzung zur Wasserkraft, NettoNull Emissionen bei den Treibhausgasen ist ebenfalls Realität.

Es ist keine Frage, ob dieses Ziel erreicht wird. Das SchweizerStimmvolk hat es mit der Energiestrategie 2050 an der Urnedeutlich vorgegeben und sich und uns damit entsprechendverpflichtet. Zudem hat der Bundesrat das PariserKlimaabkommen unterzeichnet. Die Frage ist also:Wie erreichen wir dieses Ziel?

Dieses «Wie» steht im Zentrum der Roadmap Grossen:Ich möchte anhand von fünf Wegmarken aufzeigen, wie dieEnergiezukunft der Schweiz aussieht. Oder besser: Wie ich alsUnternehmer aus der Energiebranche und als Energiepolitikerdiese Zukunft sehe. Es ist mehr als mein skizzierter Wunsch fürdie Schweiz. Es ist ein Szenario, das auf meinen Erfahrungenund Überzeugungen baut – das vor allem aber auf derRealität fusst.

Meine Roadmap basiert auf dem Ausbau und derWeiterentwicklung bereits heute vorhandener Technologien.Etwa der Photovoltaik, der Elektromobilität oder der smartenStromnetze. Die Energiewende, davon bin ich überzeugt, istkein Abenteuer, sondern eine Beweisführung. DieTechnologien, das Knowhow und die finanziellen Ressourcensind vorhanden, ebenso der Wille. Das hat die Schweiz mit derAnnahme der Energiestrategie 2050 ebenso bewiesen wie esaktuell die Politik tut mit dem CO2-Gesetz. Das sind beidesgrosse und wichtige Schritte auf dem Weg in eine nachhaltigeenergetische Zukunft. Bei der Forschung und Entwicklung imBereich der erneuerbaren Energien gehört die Schweiz zu denaktivsten und fortschrittlichsten Nationen: Entsprechendwerden Innovationen hinzukommen, welche die Energiewendezusätzlich beschleunigen.

Die Roadmap Grossen ist alles andere als der einzige,der wahre Weg. Sie zeigt auf, wie dieser Weg aussehen kann –und sie wird sich im Lauf der Zeit anpassen, überarbeiten,vielleicht auch widersprechen. Die Offenheit gegenüber neuenErkenntnissen und gegenüber Argumenten ist ein Wert, der für

3

die Gestaltung der Zukunft zentral ist. Mit dieser Offenheitmöchte ich über meine Roadmap diskutieren: Ich verstehe sieals Karte, die uns hilft, gemeinsam unseren Weg zu definierenund gemeinsam an unser Ziel zu navigieren.

Wichtig: Ich lege eine Karte der Möglichkeiten vor, die denGestaltungsraum nutzt, über den wir selber bestimmenkönnen. Und das ist die Schweiz. Das heisst aber nicht, dasssich unser Land in meinen Gedanken zur Energiewendeabschottet. Es heisst vielmehr, dass sich in einer offenenSchweiz die Chancen auf eine erfolgreiche Energiezukunftnoch vergrössern.

Auf der Karte sind fünf Wegmarken vermerkt, welche dieSchweiz erreichen muss, um bis 2050 CO2-neutral und miterneuerbaren Energien eigenversorgt zu sein:

● Steigerung der Stromeffizienz um 40 Prozent● Elektrifizierung der Sektoren Verkehr und Gebäude● Massiver Zubau von Photovoltaik● Saisonspeicher mittels Power-to-X● Harmonisierung von Stromverbrauch und -produktion

4

Das Energieversorgungs-Dreieck

Die schweizerische Energiezukunft ist grösstenteils elektrischund funktioniert digital. Elektrisch, weil Strom auserneuerbaren Quellen und insbesondere Solarstromwirtschaftlich und effizient ist. Digital, weil die DigitalisierungTreiber für die Energie- und Stromeffizienz ist. DigitaleAnwendungen ermöglichen einen smarten und effizientenEinsatz der Energie und die stetige Optimierung der Systemeund ihrer Komponenten. Innerhalb eines sogenanntenSmart-Grid, eines intelligenten Stromnetzes, sindStromproduktion, -speicherung und -verbrauch jederzeitoptimal aufeinander abgestimmt.

Ob vor allem in den Zubau von Photovoltaik, inSpeichertechnologien oder in Effizienzmassnahmen investiertwird, entscheidet einerseits die Wirtschaftlichkeit der jeweils zurVerfügung stehenden Technologien. Andererseits spielen diegeforderte Unabhängigkeit, die Versorgungssicherheit und dieResilienz der Schweizer Energieversorgung eine zentrale Rolle.

Voraussetzung für die CO2-neutrale Schweiz ist die Abkehrvon fossilen Energien. Das betrifft vor allem den Verkehr undden Gebäudepark. Dort findet eine weitgehende Elektrifizierungstatt (gelbe Fläche).

Abbildung 1: Das Energieversorgungs-Dreieck für die Schweiz; nur wenn alleVariablen im Einklang sind, gelingt die Energiewende.

5

Ob die komplette oder lediglich eine teilweise Unabhängigkeitbei der Stromversorgung sinnvoll ist für die Schweiz, ist inerster Linie eine politische Frage – eine, mit wirtschaftlichenKonsequenzen. Die Politik muss den Unabhängigkeitsgradder Schweizer Energieversorgung festlegen. Dieser bestimmtüber den jeweiligen Anteil der Effizienzmassnahmen, desPV-Zubaus oder der Speicherung. Die Zukunft desStrommarkts und seiner Technologien ist dynamisch,entsprechend dynamisch kann innerhalb desEnergieversorgungs-Dreiecks auf technologische undwirtschaftliche Entwicklungen reagiert werden.

Die Wegmarken der Roadmap Grossen

Steigerung der Stromeffizienz um 40 Prozent

Obwohl Strom die hochwertigste1 Energieform ist, geht inder Schweiz rund die Hälfte des produzierten Stroms verloren:Sie verpufft ohne den gewünschten Nutzen (etwa imStandby-Modus von Geräten) oder sie entfaltet nicht nur diebeabsichtigte Wirkung (etwa bei ineffizienten Geräten, die vielAbwärme produzieren). Jede Kilowattstunde Strom, die nichtverbraucht wird, muss nicht produziert, transportiert oderzwischengespeichert werden – sie ist deshalb diewertvollste. Eine im Vergleich zu heute um mindestens40 Prozent effizientere Stromnutzung ist erwiesenermassenmöglich, insbesondere durch den Einsatz von intelligentenGebäudesteuerungen und effizienten Elektrogeräten.

Elektrifizierung der Sektoren Verkehr und Gebäude

Fossile Brenn- und Treibstoffe werden hauptsächlich inHeizungen und Fahrzeugmotoren verbrannt. Für den Umstiegauf erneuerbare Energien ist Strom meist die beste Lösung, fürHochtemperaturanwendungen werden es biogene odersynthetische Brennstoffe sein. 60 Prozent der Wohngebäudeheizen heute mit Öl oder Gas, in Zukunft wird diesmehrheitlich mit Wärmepumpen geschehen. 70 Prozent derSchweizer Verkehrsleistung wird auf der Strasseabgewickelt. Insbesondere sämtliche Fahrzeuge desindividuellen Personenverkehrs und der lokale Güterverkehr

1 Die elektrische Energie ist von allen Energien die hochwertigste. Als Massfür die Qualität eines Energieträgers wird der Anteil der Energie, der maximalzur Verrichtung einer Arbeit genutzt werden kann, herangezogen. Strom kannzu 100 Prozent zur Verrichtung von Arbeit genutzt werden. Quelle: Wikipedia

6

fahren zukünftig mit Strom – unbestritten dieumweltschonendste Form des Strassenverkehrs. SchwereFahrzeuge fahren CO2-neutral mit Wasserstoff, synthetischenoder biogenen Treibstoffen. Die Elektrofahrzeuge werden vorallem Zuhause und am Arbeitsplatz geladen. Die Elektrifizierungführt zu einem höheren Stromverbrauch an und in Gebäuden.Während bis heute rund 20 Prozent des SchweizerEnergieverbrauches in Form von Strom in Gebäudenverbraucht wird2, werden es bis 2050 rund 60 Prozent sein.Entsprechend lohnt sich die Stromproduktion vor Ort und dieoptimierte Steuerung über das Smart-Grid in mehrfacher

Hinsicht.

Starker Zubau von Photovoltaik

Spätestens bis 2050 werden mit Photovoltaik-Anlagenmindestens 40 Terawattstunden (TWh) Strom produziert. Dasentspricht knapp der doppelten Menge Strom, die heute dievier noch in Betrieb stehenden Atomkraftwerke erzeugen.Mindestens zwei Drittel der geeigneten Dächer undFassaden sind bis dahin mit Photovoltaik-Modulen belegt.Senkrechte PV-Anlagen an Fassaden oder Infrastrukturbautensowie Anlagen in den Bergregionen produzieren wichtigen«Winterstrom».

Neben der Wasserkraft wird Solarstrom zum zweiten tragendenPfeiler unserer Energieversorgung. Um den Zubau anPhotovoltaik-Anlagen zu beschleunigen und zu vereinfachen,

sind politische Schritte notwendig.

Hierzu

● wird das Fördersystem Photovoltaik mitEinmalvergütungen und Ausschreibungenweiterentwickelt;

● wird die PV-Stromproduktion verstärkt auf dieWinterstrom-Produktion ausgerichtet;

● wird die Einführung von virtuellen Zusammenschlüssenzum Eigenverbrauch (ZEV) ermöglicht (inklusiveentsprechender Anpassungen desNetzgebührensystems);

● werden administrative und regulatorische Hürden zurErrichtung von Photovoltaik-Anlagen abgebaut.

2 Quelle: Elektrizitätsstatistik BFE 2019

7

Saisonspeicher mittels Power-to-X

Heute wie auch in Zukunft hat die Schweiz im Winter einenhöheren Stromverbrauch als sie Strom produziert, also eineWinterstrom-Lücke. Heute wird diese mit Stromimportenkompensiert, bis 2050 soll die Versorgung im Wintereigenständig möglich sein. Der Strombedarf wird durchdie stetige Elektrifizierung steigen, die Produktion auserneuerbaren Quellen ist unstet. Kurz- und langfristigeStromengpässe können wie folgt überwunden werden: DieTages- und Wochenspeicherung wird mit Batterien3,Pumpspeicherung und Wasserstoff sichergestellt. DieSaisonspeicherung erfolgt nebst Pumpspeicherung mittelsPower-to-X-Technologie4. Überschüsse aus dem Sommerwerden rückverstromt und damit für den Winter nutzbargemacht. So produzieren wir im Jahr 2050 in jedem Monatgenug einheimische Energie, um den gesamten Bedarfabzudecken. Um Umwandlungsverluste zu reduzieren, könnensynthetische Treib- und Brennstoffe (z.B. Methanol) sowieWasserstoff auch direkt genutzt werden. Anwendungen dazusind zum Beispiel Hochtemperaturprozesse in der Industrie,Lastwagen im Güterfernverkehr, schwere Bau- undLandwirtschaftsmaschinen oder der Flugverkehr.

Harmonisierung von Stromverbrauch und -produktion

Über ein Smart-Grid funktioniert das Zusammenspiel dererneuerbaren Stromproduktion mit sämtlichen Verbrauchernund unter diesen Verbrauchern intelligent und effizient. Die Zahldieser intelligenten Verbraucher steigt stetig an: In die smartenNetze werden alle Verbraucher der Gebäudetechnik wieLadestationen, Wärmepumpen oder Kühlanlagen integriert.Sie tragen dazu bei, dass Produktion und Verbrauch jederzeitsowohl zeitlich als auch örtlich optimal aufeinander abgestimmtsind. Es wird in Intelligenz und dezentrale Speicherunginvestiert statt in Kupferleitungen und den zusätzlichenNetzausbau. Mit SmartGridready5 etabliert sich in der Schweizein Standard, der bei dieser Umsetzung eine wichtigeRolle spielt.

5 www.smartgridready.ch

4 Überschüsse von erneuerbarem Strom werden mittels chemischem Prozessin Gas oder Flüssigbrenn- / -treibstoff umgewandelt. Damit wird Energielagerbar. Bei Strombedarf werden Verbrennungsmotoren oder Gasturbinenangetrieben, die mittels Generator Strom produzieren. Quelle: eco2friendly

3 Prioritär sind Second Life Batterien zu verwenden, 10 Jahre im E-Auto unddanach min. 10 Jahre im Gebäude https://www.secondlife-evbatteries.com/

8

Stromproduktion und -verbrauch im Jahr 2050

Abbildung 2: Stromproduktion und -verbrauch der Schweiz im Jahr 2050.

Die Elektrifizierung des Verkehrs und des Gebäudeparks führtbis im Jahr 2050 zu einem deutlich erhöhten Strombedarf(rote Linie in obenstehender Grafik) im Vergleich zur heutigenSituation (violette Linie). Bei dieser Berechnung sind sowohldie Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung der Schweiz6 alsauch die Verkehrsperspektiven7 berücksichtigt.

Stromverbrauch Jahr 2019 62 TWh (inkl. Speicherpumpen)

Stromverbrauch Jahr 2050 72 TWhStromlücke Winter 2050 6 TWhStromüberschuss Sommer 2050 17 TWh

Annahmen:● Bevölkerungswachstum bis 2050 + 20 Prozent● Zunahme Güterverkehr bis 2050 + 30 Prozent● Zunahme Personenverkehr bis 2050 + 13 Prozent

Nicht berücksichtigt:● Flugtreibstoffe (im Pariser Klimaabkommen

ebenfalls ausgeklammert)● Ausbau andere erneuerbare Energien (stellen ein

zusätzliches Potential dar)

7 Quelle: Bundesamt für Raumentwicklung ARE

6 Quelle: Bundesamt für Statistik BFS

9

Für die Deckung des zusätzlichen Bedarfs an elektrischerEnergie ist ein deutlicher Photovoltaik-Zubau von 40 TWhnotwendig (gelbe und dunkelgelbe Säulen). Gemäss einerStudie des Bundesamts für Energie (BFE) beträgt das Potentialauf Schweizer Hausdächern und -fassaden jährlich 67 TWh8.Die Photovoltaik ersetzt die Atomkraft und hat den grossenVorteil, dass sie den Strom dort produziert, wo er auchverbraucht wird: am Gebäude.

Die obenstehende Grafik macht deutlich, dass zusätzlicherhebliche Effizienzmassnahmen sowie Speichertechnologienund Intelligenz nötig sind, damit Produktion und Verbrauchüber das ganze Jahr in Übereinstimmung gebracht werdenkönnen. Die grüne Linie zeigt den Strombedarf im Jahr 2050mit einer Steigerung der Stromeffizienz um 40 Prozent. Mitintelligenten Gebäudesteuerungen, verbrauchsarmen Gerätenund insbesondere durch die Vermeidung von Betrieb ohneNutzen kann dieses Effizienzpotential ausgeschöpft werden.

Die zukünftige Stromproduktion setzt sich zusammen aus derim Minimum gleichbleibenden Produktion aus Wasserkraft(blaue Säulen), den weiteren erneuerbaren Energien (grüneSäulen) sowie dem starken Zubau von Photovoltaik-Anlagen(gelbe Säulen). Vereinfachend nicht berücksichtigt wurden derAusbau weiterer erneuerbaren Energien wie Wind, Holz,Geothermie, Fernwärme, Biogas, etc. - obwohl dafür ebenfallsein grosses Potential besteht. Diese könnten insbesondere fürdie Energieversorgung im Winter und für nicht elektrifizierbareProzesse effizient eingesetzt werden.

Der Stromverbrauch muss laufend an die Wetter- undJahreszeit-bedingten Schwankungen bei der Stromproduktionangeglichen werden. Wie bei der Atomkraft (Bandenergie) fälltdie Produktion von PV-Strom nicht bedarfsgerecht an,weshalb die bestehenden Rundsteuerungen für Boiler undWärmepumpen sukzessive durch smarte Steuerungen ersetztwerden müssen. Strom aus Pumpspeicherkraftwerken behältwegen seiner Steuerbarkeit eine wichtige Rolle. Auf dieseWeise können die meisten Stromlücken gedeckt werden.Trotzdem wird es weiterhin eine Winterlücke geben, die es mitanderen Technologien wie Power-to-X zu überbrücken gilt.

8 Quelle: Medienmitteilung BFE, 15.04.2019

10

Abbildung 3: Stromproduktion und -verbrauch der Schweiz im Jahr 2050,harmonisiert.

In den Sommermonaten produziert die Schweiz einenÜberschuss an Solarstrom von rund 17 TWh. Dieser kann dankPower-to-X-Technologien bedarfsgerecht umgewandelt undgespeichert werden. Um die Winterlücke (orange Säulen) zudecken, wird der synthetisch hergestellte Brennstoffrückverstromt. Trotz Umwandlungsverlusten reicht derÜberschuss im Sommer aus, um die Stromlücke von rund6 TWh im Winter zu decken. Damit ergibt sich eineJahresproduktion und ein Jahresverbrauch, die optimalaufeinander abgestimmt sind, eben harmonisiert. Forschungund Entwicklung an Saisonspeichern müssen entsprechendforciert werden. Daneben bleiben die Speicherkraftwerke auchfür die Saisonspeicherung sehr wichtig.

Die Elektrifizierung führt zu einer deutlichen Reduktion desgesamten Endenergie-Verbrauches der Schweiz, wie dieuntenstehende Grafik zeigt. Dies, weil Strom die hochwertigsteund effizienteste Energieform ist. Sie lässt sich sehr leichtmithilfe elektrischer Bauteile in andere Energieformenumwandeln, wobei nur wenig Energie verloren geht. Stromkann zu 100 Prozent zur Verrichtung einer Arbeit genutztwerden. Die parallel umgesetzten Effizienzmassnahmen beiStrom und Wärme senken den Gesamtenergieverbrauch

zudem markant.

11

Abbildung 4: Aktueller und zukünftiger Energiemix der Schweiz (ohneFlugverkehr).

Heute ist die Schweiz in der Energieversorgung zu rund75 Prozent vom Ausland abhängig, wie der Energiemixeindrücklich aufzeigt.9 Weder fossile Brenn- und Treibstoffenoch die notwendigen Ressourcen für Atomstrom (etwa Uran)existieren in der Schweiz. Diese Abhängigkeit wird mit derRoadmap Grossen stark reduziert oder gar eliminiert,gleichzeitig wird die Versorgungssicherheit und die Resilienzverbessert.

Wirtschaftlichkeit

Ein Weiter-wie-bisher ist in der Schweizer Energieversorgungnicht möglich und kann deshalb nicht als brauchbaresVergleichsszenario herangezogen werden. Der Atomausstiegist beschlossen, das Klimaabkommen von Paris wurdeunterzeichnet und der Bundesrat hat sich zu Netto NullCO2-Emissionen bis 2050 bekannt.

Vor diesem Hintergrund stellen sich aus wirtschaftlicher Sichtfolgende Fragen:

● Wie viel würde eine versorgungssichere, aufdem Import von erneuerbaren Energien basierteEnergieversorgung kosten?

● Wie entwickeln sich die Preise für fossileEnergieträger und der CO2-Abgaben in der Schweizund international?

9 Quelle: Gesamtenergiestatistik BFE 2019

12

Es gibt bis heute keine wissenschaftlichen Studien, die dieseFragen beantworten. Man darf jedoch davon ausgehen, dassdie Kosten für den Import erneuerbarer Energien nicht sinkenwerden, da ganz Europa im gleichen Zeitraum dieEnergieversorgung ebenfalls auf erneuerbar umstellt undzumindest zeitweise eine Energieknappheit die Preise nachoben drücken dürfte. Bei den Kosten für fossile Energie ist dieSachlage klarer: Alle heute bekannten Entwicklungen deutendarauf hin, dass CO2-Abgaben international und in der Schweizdeutlich steigen und damit das Verbrennen fossiler Energienteurer wird.

Der Trend zur CO2-freien Schweiz hat eingesetzt und machtin den Sektoren Verkehr und Gebäude aktuell grössere undschnellere Schritte.

Die Autoindustrie investiert weltweit gigantische Summen inden Aufbau von Elektrofahrzeug-Flotten, neue Fahrzeuge mitVerbrennungsmotoren werden in wenigen Jahrzehnten nichtoder kaum mehr in Verkehr gesetzt.

In der Schweiz sind aktuell rund 4,7 Millionen Personenwagenimmatrikuliert. Hier stellt sich die Frage, wie hoch die Kosten fürdie Energieversorgung sämtlicher elektrischer Fahrzeuge seinwürden, wenn der Strom importiert oder zentral erzeugt würde.

Sicher ist, dass eine Elektrifizierung des Strassenverkehrs ohnedezentrale Energieerzeugung und intelligente Steuerung(Smart-Grid) zu enormen Ausbaukosten in Milliardenhöhe fürdas Stromnetz führen würde.

Die Preise für Photovoltaik und Elektromobilität sind heutewettbewerbsfähig und sie werden weiter sinken. DieSaisonspeicherung mittels Power-to-X-Technologien ist heutenoch sehr teuer. Diese Technologie muss sich etablieren unddie Preise werden sinken, für den breiten Einsatz bleiben rund10 bis 15 Jahre Zeit.

Bei Berechnungen für die Wirtschaftlichkeit der Energie-und Klimastrategie ist zu berücksichtigen, dass dieKonsumentinnen und Konsumenten sowie die Wirtschaft heutejährlich über 20 Milliarden Franken Betriebskosten für Öl, Gasund Atomstrom ausgeben.10 Davon fliesst ein grosser Teil ohneReturn on Investment ins Ausland ab, der Rest sind Abgaben,Steuern und Gewinne. Die Investitionskosten sind weitgehend

10 Quelle: Gesamtenergiestatistik BFE 2019

13

getätigt, bei Ersatzinvestitionen in Öl- und Gasheizungen sowiebei Atomkraftwerken teilt sich die Wertschöpfung im In- undAusland auf. Bei den Investitionen in Photovoltaik-Anlagenund ins Smart-Grid steigt die Wertschöpfung in der Schweizmassiv. Es werden tausende von Arbeitsplätzen für Fachkräftegeschaffen. Das Knowhow und die entwickelten undangewendeten Technologien bieten ein enormesExportpotenzial, das unserer Volkswirtschaft währendJahrzehnten zugutekommen wird. Mit der Roadmap Grossenbleibt zudem die Wertschöpfung für den Betrieb der Anlagen inder Schweiz.

Aus all diesen Gründen ist es naheliegend, dass die SchweizerEnergieversorgung mit der Roadmap Grossen nicht teurer wirdals eine auf Import oder Zentralproduktion basierte.

Politische Forderungen

Zur Realisierung der Roadmap Grossen sind folgendepolitischen Rahmenbedingungen umzusetzen oderanzupassen:

● Annahme CO2-Gesetz● deutliche Erhöhung der Ausbauziele für Photovoltaik● Offensive für den raschen und starken Zubau

von Photovoltaik-Anlagen: Weiterentwicklung desFördersystems mit Einmalvergütungen und Auktionen,verstärkte Ausrichtung auf Winterstrom-Produktion,Einführung virtuelle Zusammenschlüsse zumEigenverbrauch (ZEV) mit Anpassung der Gebühren fürNetzkosten und Lastspitzen (Basis für Smart-Grid)sowie Reduktion der administrativen, regulatorischenHürden zur Errichtung von Photovoltaik-Anlagen

● Unabhängigkeitsgrad und Resilienz festlegen● Stromabkommen mit der EU● Vollständige Strommarktliberalisierung● Förderung der Power-to-X-Technologie von

der Forschung bis zur Realisierung als Ergänzungzur Speicherwasserkraft

● weitere Senkung der Flottenziele für Fahrzeuge● weitere Erhöhung der CO2-Abgaben auf Brennstoffen● Umsetzung der Energiestrategie 2050

in den Kantonen (MuKen)● Senkung der administrativen und regulatorischen

Hürden für Gebäudesanierungen

14

Résumé

Mit meiner Roadmap Grossen zeige ich auf, dass eineCO2-neutrale und eigenversorgte Schweiz möglich ist.Ich verstehe die Roadmap als Grundlagenpapier – eines dasMut für die Zukunft macht. Denn sie fokussiert darauf, wasmöglich ist.

Die Roadmap Grossen beschränkt sich auf die Schweiz,sie ist jedoch keinesfalls ein Plädoyer für eine abgeschotteteSchweiz. Im Gegenteil: Eine vernetzte Energiepolitik istzwingende Voraussetzung für das Erreichen der vorgegebenenEnergie- und Klimaziele bis 2050. Und diese Vernetzung sollselbstverständlich nicht an der Landesgrenze enden.

Aber: Die Schweiz soll dabei ihre Verantwortung tragen unddie Rolle der europäischen Strom-Drehscheibe, der Batterieund des Stromnetz-Stabilisators selbstbewusst spielen.

Dank

Ich bedanke mich herzlich bei meinen Co-AutorenSelina Davatz und Mario Rubin, beide Energieberater beiElektroplan Buchs & Grossen AG.

Mein Dank geht an Nationalrat Roger Nordmann sowieUrs Elber, Christian Bach und Peter Richner von der EMPA fürden Austausch zu den Berechnungen meiner Roadmap.

Ich danke allen engagierten Energie-Fachspezialisten inUnternehmen, Verbänden, Organisationen, Verwaltung undPolitik für ihren täglichen Einsatz zugunsten der Energiewende.

15

Jürg Grossen

Berufliche TätigkeitenMitinhaber, Co-Geschäftsführer und Verwaltungsrat der Firmen

● elektroplan Buchs & Grossen AG in Frutigen (seit 1994)● ElektroLink AG in Frutigen (seit 2009).● Smart Energy Link AG in Frutigen/Bern (seit 2017)

Persönliche Themen-Schwerpunkte: Solarenergie, Photovoltaikinkl. Optimierung Eigenverbrauch, Energie- und Stromeffizienz,Elektromobilität

Politische Tätigkeiten● Nationalrat (seit 2011)● Präsident der Grünliberalen Partei Schweiz (seit 2017)● Mitglied der nationalrätlichen

Wirtschaftskommission WAK 

Tätigkeiten in Verbänden und Vereinen● Elektromobilitäts-Dachverband Swiss eMobility

(Präsident)● Konferenz der Gebäudetechnikverbände KGTV

(Präsident)● Verein SmartGridready (Präsident)● Volkswirtschaft Berner Oberland (Präsident)● Swisscleantech (Vorstandsmitglied)● Bauen digital Schweiz (Vorstandsmitglied)● LITRA (Vorstandsmitglied)

ImpressumAutor: Jürg Grossen, FrutigenCo-Autoren: Selina Davatz, Jegenstorf,und Mario Rubin, FrutigenMitarbeit: Nicola Brusa, LausanneBerechnungen und Grafiken: Mario Rubin, FrutigenEnergiedreieck: Selina Davatz, JegenstorfFotos: Simon Zangger, Zürich