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Die Russische Bombe Unvollständige Notizen Dr. Sebastian Pflugbeil - Gesellschaft für Strahlenschutz - HNPSC - 2018 1 Hiroshima-Nagasaki Peace Study Course

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Die Russische Bombe

Unvollständige Notizen

Dr. Sebastian Pflugbeil - Gesellschaft für Strahlenschutz - HNPSC - 2018 1

Hiroshima-Nagasaki Peace Study Course

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Motivation und Zielstellung Erinnern an wenig bekannte Opfer bei der Entwicklung der sowjetischen Atombombe und die Rolle der Geheimdienste Skizzieren der besonders schwierigen Ausgangsbedingungen nach Kriegsbeginn in der Sowjetunion (im Unterschied zu den USA) Erinnern an den gefährlichen Einsatz deutscher Spezialisten bei der Entwicklung der sowjetischen Atombombe Erinnern an herausragende russische Wissenschaftler Skizzieren des Netzes kerntechnischer Zentren in der UdSSR Skizzieren des Umfangs „friedlicher“ Kernexplosionen in der UdSSR Erinnern an den fast vergessenen Uranbergbau WISMUT in der DDR

L.D. Ryabev u.a.: Das Atomprojekt der UdSSR, 12 Bände, russisch, Ende der 90er Jahre, kleine Auflage, erstaunliche Dokumentensammlung

Sehr detaillierte Zusammenstellung des Schriftverkehrs in Zusammenhang mit der russischen Bombe. Leider Russisch und nicht leicht zu lesen. Enthält viele Belege, die in der klassischen Atombombengeschichtsliteratur bestritten wurden oder gar nicht

vorkommen.

David Holloway Stalin and the Bomb London, 1994 Ein sehr gutes Buch

Zhores Medwedjew Bericht und Analyse der bisher geheim gehaltenen Atomkatastrophe in der UdSSR Hamburg 1979

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ZM war Biochemiker und hat bemerkt, daß von einem bestimmten Zeitpunkt an überraschend viele Publikationen in russischsprachigen Fachzeitschriften erschienen, die sich mit genetischen Veränderungen bei Tieren und Pflanzen befaßten. Aus den Tier- und Pflanzenarten schloß er richtig, daß etwas an der Ostseite des Ural passiert sein müßte, das zu diesen Veränderungen geführt hat. Später kam heraus, daß sich bei Kyshtym im Süd-Osten des Ural, wo das erste Plutonium für die russischen Atombomben gewonnen wurde, ein schwerer Unfall ereignet hatte. Ein Tank mit hochradioaktivem flüssigen Abfall flog in die Luft und verseuchte ein sehr großes Gebiet. Das war 1957/58. Der Unfall wurde aber geheimgehalten. Der erste Bericht von ZM wurde am 30.6.1976 im New Scientist veröffentlicht, also fast 20 Jahre später. Er wurde deshalb nicht nur von Fachleuten aus der UdSSR sondern auch von Kollegen in England, wohin er geflohen war, kritisiert.

Zhores & Roy Medwedev: The unknown Stalin London, NY 2003 ZM hat gemeinsam mit seinem Bruder Roy (Historiker) dieses Buch verfaßt. Es enthält viele bis dahin wenig oder gar nicht bekannte Details. Das Kapitel 5 heißt „Stalin und die Atombombe“. Kapiel 7 „Stalin und der Atom-GULAG“ enthält Daten über die erste atomare Katastrophe im Januar 1949, die von den Russen erst 1995 eingestanden wurde.

Heinz und Elfi Barwich Das rote Atom München 1967 Barwich folgte seinem Freund Gustav Hertz in die Sowjetunion und beschreibt sehr anschaulich die Arbeits- und Lebenssituation der deutschen Fachleute, die an der russischen Atombombe gearbeitet haben und die Zeit nach der Rückkehr in die DDR, später die Flucht in die BRD.

Andreas Heinemann – Grüder Die sowjetische Atombombe Münster 1992 Leichter lesbare und trotzdem detailreiche gute Geschichte der sowjetischen Atombombe. (s. Kopie anbei)

Rainer Karlsch: Uran für Moskau; 2007 Rainer Karlsch: Hitlers Bombe; 2005 Rainer Karlsch, H. Petermann: Für und Wider „Hitlers Bombe“, 2007 Wladimir Gubarew: Arsamas-16; 1992 IPPNW: Atom ohne Geheimnis, Moskau-Berlin 1992 Nikolaus Riehl: 10 Jahre im Goldenen Käfig, 1988

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Die fettgedruckten Bücher von R. Karlsch sind sehr wichtig. Karlsch weist akribisch nach, daß in Deutschland im Frühjahr 1945 ein oder zwei Tests mit kleinkalibrigen Atombomben/nuklearen Sprengsätzen durchgeführet worden sind. Er hat dazu in russischen Archiven wichtige Bestätigungen gefunden. Dies Detail fehlt in nahezu allen Büchern über die Geschichte der Atombombe. Ich bin davon überzeugt, daß die Befunde von Karlsch handfest sind. Gubarew hatte als Journalist Zugang zu vielen der führenden russischen Wissenschaftler , die die russischen Atombomben entwickelt haben. Sehr lesenswert. Die gemeinschaftliche Studie der deutschen und der sowjetischen Sektion der IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung eines Atomkriegs) enthält zahlreiche Karten, auf denen eine Vielzahl von Standorten eingetragen sind, an denen die Kernenergie miliärisch oder friedlich genutzt wurde.

Henry DeWolf Smyth: Atomic Energy for Military Purposes Princeton 1945 (!) nuclear weapons faq

David Hankin: Die rote Bombe, 3-teilige Serie mit vielen Interviews damals aktiv beteiligter Fachleute. Auf youtube zu finden. Etwas amerikanische Sicht der Dinge.

Sebastian Pflugbeil: - Zwischen Semipalatinsk und Tschernobyl; Strahlentelex 1995 - Die erste Atomkatastrophe; 2007 - 50 Jahre Kyshtym; Strahlentelex 2007 - Zwei Exkursionen nach Semipalatinsk und eine nach Archangelsk

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Photos von den Exkursionen: Semipalatinsk/Archangelsk: Detlev Steinberg WISMUT: Michael Beleites

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Der Bericht von Smyth wurde von den Russen sofort übersetzt und in einer hohen Auflage gedruckt. Die Fachleute haben später gemerkt, daß der Bericht auch einige (beabsichtigte ?) Fehler enthielt. Detaillierte Informationen über Kernwaffen sind gesammelt unter http://nuclearweaponarchive.org/Nwfaq/Nfaq8.html Die Rote Bombe: Mehrere interessante Dokumentationen, zu finden auf youtube.com , die Autorenfrage ist mir nicht ganz transpaarent Zwischen Semipalatinsk und Tschernobyl: Strahlentelex Heft 200-201, 1995, S.4,9-11, leider noch nicht digitalisiert Pflugbeil: Die erste Atomkatastrophe http://strahlentelex.de/Stx_07_490_S06-08.pdf Pflugbeil: 50 Jahre Kyshtym http://strahlentelex.de/Stx_07_498_S06-07.pdf

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1. Handelnde Personen in Stichworten 2. Chronologisches Telegramm 3. Spionage und lebendige und materielle

Reparationsleistungen 4. Exkurs 1: der erste Unfall in einem KKW 5. Exkurs 2: die großen Atomwaffentestgebiete

Nowaja Semlja und Semipalatinsk 6. Exkurs 3: Gesundheitsprobleme im Bereich

Semipalatinsk 7. Friedliche Kernexplosionen 8. Das Uranproblem

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Punkt 8 über den Uranbergbau kommt in der Vorlesung aus Zeitgründen nicht vor, hat aber eine enge Beziehung zur Geschichte der Russischen Atombombe. Er wird am Ende anghängt.

Igor W. Kurtschatow 1903 - 1960 17

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(Zu den genannten Namen: Wikipedia ist für wissenschaftliche Fragen ungenügend , das gilt insbesondere für politische Fragen und solche, die irgendwie den mainstream infrage stellen. Die biographischen Eckdaten der genannten Personen sind aber korrekt angegeben. Besser sind aber die angegebenen Bücher.) I.W. Kurchatov wurde 1903 im Gebiet Chelyabinsk geboren und hat an der Staatlichen Universität auf der Krim Physik studiert und dort auch bei seinem Lehrer Abram Joffe seine Physik-Doktorarbeit geschrieben. Am Polytechnischen Institut in Petrograd machte er seinen Abschluß als Schiffbauer. Dann war er Forschungsassistent an der Physikalischen Fakultät des Physikalisch-technischen Instituts in Baku. Dort hat er sich auch unter Joffe mit Radioaktivität befaßt. Dann ging er kurze Zeit an das Azerbaijanische Politechnische Institut in Baku und 1925 an das Leningrader Institut für Physik und Technik. Dort betrieb er erfolgreich Kristallphysik (Doktor für Physik und Mathematik ohne eine Doktorarbeit geschrieben zu haben). 1932 konnte er ein eigenes Team für Kernforschung aufbauen, Arbeiten am berühmten Leningrader Radiuminstitut unter V G Chlopin. Bau des ersten Zyklotrons in Europa. Nach der Entdeckung der Kernspaltung in Deutschland konnte er die Obrigkeit nicht davon überzeugen, richtig in die Kernenergie einzusteigen. Frustriert befaßte er sich mit der Entmagnetisierung von Schiffen zum Schutz vor deutschen Minen.. 1943 begannen in Moskau seine ernsthaften Arbeiten in Richtung Atombombe.. Er wurde Mitglie des Urankomittes der Akademie der Wissenschaften usw. Zahlreiche hochdotierte Preise, erster Atombombentest 1949 in Semipalatinsk,

Reaktor F1 auf dem Gelände des heutigen Kurtschatow-Instituts in Moskau, läuft seit Dezember 1946

Foto: S. Schlindwein

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Der erste Kernreaktor in Europa – „F1“ im Kurtschatov-Institut in Moskau Angefahren Weihnachten 1946 mit 110 t Uran, läuft heute noch

Lavrenty P. Berija 1899 – 1953 (erschossen) 21

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L. P. Berija 1919-1938 Geheimdienstmitarbeiter in Aserbaidschan u. Georgien Ab 1938 Chef des NKWD Verantworlich für einen großen Teil der Stalinschen Säuberungen, für Terror und Angst in gigantischem Ausmaß 1940 Verantwortlich für das Massaker in Katyn, Ermordung von etwa 26500 polnischen Soldaten, Offizieren und Intelligenzlern, die man den Deutschen in die Schuhe schieben wollte 1941 als die Eroberung Moskaus drohte, ließ er tausende Häftlinge in Moskauer Gefängnissen umbringen Deportation von 1,5 Mio Menschen verschiedener Voksgruppen, davon starben etwa 500.000 Persönlich durchgeführte Folterungen und Ermordungen 1945 Organisatorischer Chef des Atombombenprojekts Nach Stalins Tod am 23.12.1953 zum Tode verurteilt und erschossen 2002 Rehabilitierungsantrag abgelehnt

Georgi N. Fljorow (Флёров) 1913 - 1990 23

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Fljorow war ein bemerkenswerter Mann. Er bemerkte, daß ab 1940 die internationale Fachdebatte um die Entdeckung der Kernspaltung abbrach und schloß daraus richtig, daß an der militärischen Nutzung in mehreren Ländern nun offensiv gearbeitet würde. Er wagte es als junger Laborant, Briefe an führende Politiker bis hinauf an Stalin zu schicken mit der Aufforderung, zügig mit der Entwicklung einer Atombombe zu beginnen. Er hat später eng mit Kurtschatow zusammengearbeitet und in Anerkennung seiner hervorragenden Leisungen den Dr.-Titel bekommen, ohne eine entsprechende Doktorarbeit verfaßt zu haben. Höchste staatliche Auszeichnungen

25 Brief von Fljorow an Kurtschatow vom 29.5.1945

R. Karlsch, 2007

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Die Briefe von Fljorow wurden nicht beantwortet, Stalin war sehr erregt, als er von den nichtbeachteten Briefen erfuhr und hat seine zögerliche Haltung zur Atombombenentwicklung korrigiert.

Juli B. Chariton 1904 - 1996

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Chariton 1920 Studium in St. Petersburg Schon 1921 Arbeiten am Physikalisch-Technischen Institut 1926-1928 Arbeiten in Cambridge bei Rutherford und Chadwick 30er Jahre Joffe-Institut für Kernphysik Ende der 30er Jahre Berechnung der Bedingungen für eine Kettenreaktion im Uran (die waren ziemlich richtig). 40er Jahre: Chefkonstrukteur im Atombombenprojekt unter Kurtschatow Direktor von Arsamas-16 (Sarow) 1945 als NKWD-Oberst in Deutschland erfolgreich auf der Suche nach deutschen Fachleuten, Unterlagen, Geräten und Material Ständige Begleitung von einem Geheimdienstmann/Leibwächter/ Leibdiener, lebenslang keine Auslandsreisen erlaubt, Aber bis zum Lebensende Verfügung über einen persönlichen Eisenbahnzug mit Salonwagen. Zahlreiche höchste staatliche Auszeichnungen

Andrej D. Sacharow 1921 - 1989 29

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Sacharow 1938 Lomonossow-Uni Moskau Physikstudium 1939 freiwillig zur Roten Armee 1941 Beendigung des Studiums in Turkmenistan 1942-1945 Ingenieur einer Munitionsfabrik in Uljanowsk (Wolga) 1947 Promotion zu Kernphysik am Lebedewinstitut der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften 1948-1968 Arbeit am Kernwaffenprogramm unter Kurtschatow, später unter Chariton, „Soldat des naturwissenschaftlich-technischen Krieges“ 1950 wesentliche Beteilgung an der Entwicklung einer kontrollierten Kernfusion (Tokamak-Anordnung) Wesentliche Arbeiten an der Entwicklung der sowj. Wasserstoffbombe, erste Explosion 12.8.1953, 1953 Dr.(habil.)-Titel, jüngstes Vollmitglied der Sowj. Akademie der Wissenschaften 1961 Bau und Test der bis heute weltweit größten Wasserstoffbombe „Zar“ mit 50-60 Mt Sprengkraft Widerstand gegen den Pseudowissenschaftler Lyssenko, Öffentliche Hinweise auf Gesundheitsschäden schon durch Atomwaffentests. 1966 Warnung vor Rehabilitierung Stalins 1968 Verurteilung der Zerschlagung des Prager Frühlings Memorandunm für Abrüstung und Kernwaffenkontrolle mit der Folge seiner Entlassung aus dem Kernwaffenprogramm 1970 Menschenrechtskomitee 1971 Protest gegen Einweisung von Regimegegnern in Psychiatrische Kliniken 1975 Friedensnobelprs, 1980 Verhaftung und Verbannung bis 1984 1986 Rehabilitierung durch Gorbatschow, 1988 Leitung der Sowj AdW 1989 Gründungsmitglied von Memorial Höchste Staatspreise

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1961 Bau und Test der bis heute weltweit größten Wasserstoffbombe „Zar“ mit 50-60 Mt Sprengkraft Widerstand gegen den Pseudowissenschaftler Lyssenko, Öffentliche Hinweise auf Gesundheitsschäden schon durch Atomwaffentests. 1966 Warnung vor Rehabilitierung Stalins 1968 Verurteilung der Zerschlagung des Prager Frühlings Memorandunm für Abrüstung und Kernwaffenkontrolle mit der Folge seiner Entlassung aus dem Kernwaffenprogramm 1970 Menschenrechtskomitee 1971 Protest gegen Einweisung von Regimegegnern in Psychiatrische Kliniken 1975 Friedensnobelprs, 1980 Verhaftung und Verbannung bis 1984 1986 Rehabilitierung durch Gorbatschow, 1988 Leitung der Sowj AdW 1989 Gründungsmitglied von Memorial Höchste Staatspreise

AN602, „Ваня“(Wanja) „Цар Бомба“(Zar) 30.10.1961, 57 Mt, 27 t, 8mx2m

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Das ist die „Zar“-Wasserstoffbombe, sie war nicht nur die bis heute größte Wasserstoffbombe, sie war auch transportabel, d.h. im Prinzip militärisch nutzbar. Sacharow hat sie auf Wunsch von Chruschtschow innerhalb weniger Wochen gebaut. Unmittelbar vor dem Test bekam er Bedenken und hat die ursprünglich gewünschte Explosionsstärke von 100 Mt auf etwa die Hälfte gedrosselt. Die Wirkung diese Wasserstoffbombe war so gewaltig, daß es wahrscheinlich niemals ein zweites Exemplar gegeben hat. Für die USA war der Test ein Schock.

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Zar 30.10.1961 50 Mt Mitjuschtschika- Bucht auf Novaja Semlja Beobachtungsposten auf Kola-Halbinsel etwa 1000 km westlich Und 250 km südlich auf Novaja Semlja Explosion in 4000 m Höhe Lichtblitz in 1000 km Entfernung zu sehen Alle Häuser völlig zerstört 55 km Hitzewelle bis 270 km, Verbrennungen 3. Grades bis 100 km Druckwelle zerstörerisch bis 700 km, Glasscheiben kaputt bis 900 km, Druckwelle ging 3x um die Erde Pilzwolke etwa 64 km hoch Tu-95 umgebaut konnte die Bombe transportieren Vom Beschluß (Chruschtschow) bis zum Abwurf nur 4 Monate

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Die Bomben der Sowjetunion

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Klaus Fuchs 1911 - 1988

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Fuchs Als Schüler SPD-Mitgl., 1930-33 Mathematik- und Physikstudium in Leipzig, Kiel und Berlin; Nach der Machtergreifung 1933 SPD Parteiausschluß, Mitglied der KPD; Nach Reichstagsbrand steckbrieflich gesucht, August 33 Flucht nach Paris, dann Beendigung seines Studiums in Edinburgh und Bristol; 1937-41 Stipendium bei Max Born in Edinburgh, 1938 Dr.-Arbeit, 1940 interniert als „feindlicher Ausländer“; Mai 1941-43 milit.-britisches Atomprogramm Uni Birmingham; 1942 Kontakt zu Ruth Werner, Spionage für die SU bis 1950; 1942 brit. Staatsbürger; 1943 New York Isotopentrennung, Implosionstechnik, Los Alamos, maßgeblich an Pu-Bombe Fat Man beteiligt; 1946 Leitung des Theoriebereichs im KfZ Harwell, Leistungsreaktoren, Schnelle Brüter; 1950 enttarnt, 14 Jahre, Verlust der brit. Staatsangehörigkeit, Sah durch seine Spionage den Atomwaffeneinsatz im kalten Krieg verhindert; 1959 begnadigt, Ausreise in die DDR, bis 1974 stellv. Dir. des ZfK Rossendorf und 1963 Berufung an die TU Dresden; 1967Mitgl. des ZK der SED; 1972 Mitgl. D. Präsidiums der AdW der DDR div. Hohe Orden; hardliner pro Kernenergienutzung in der DDR

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Ursula Maria Kuczynski 1907 – 2000 „Sonja“, Oberst der GRU Als Schriftstellerin „Ruth Werner“

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Ursula Maria Kuczynski Aufgewachsen in Berlin., seit 1926 KPD, mit M. Hamburger nach Shanghai, Kontakt zu Richard Sorge – Anwerbung zum sowj. Militärgheimdienst GRU, Einsatz in China, 1933 Moskau Agentenschule, 1934 Mandschurei, 1937 Rotbannerorden in Moskau,zu Beginn des Krieges Geheimsender in der Schweiz, Funker für „Rote Kapelle“, 1939 Aufbau von Widerstand in Danzig, 1940 bis 49 Großbritannien, ab 1943 Kurier für K. Fuchs u.a., 1949 wegen Enttarnung von K.F. Flucht in die DDR; In der Öffentlichkeit bekannt als die Schriftstellerin Ruth Werner. Lesenswerte Biographie: Eberhard Panitz, Geheimtreffen Banbury, Wie die Atombombe zu den Russen kam, 2.erweiterte Auflage 2009 (2003) Berlin, Verlag: Das Neue Berlin.

Stellungnahme I.V. Kurtschatows zu Unterlagen „Über eine deutsche Atombombe“ 30. März 1945 Streng geheim Seite 1 (dokumentiert von R. Karlsch in „Hitlers Bombe“ S. 338ff) Reaktion auf einen Bericht der GRU (HVA des Generalstabs der Roten Armee) vom 23.3.1945 Zit. In Auszügen in R. Karlsch und H. Petermann (ed.) „Für und wieder „Hitlers Bombe““ S.25f.)

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Die offizielle Geschichtsschreibung zur Entwicklung der deutschen Atombombe ist unvollständig und tendenziös. Der Wirtschaftshistoriker Rainer Karlsch konnte nachweisen, daß es bei Ohrdruf unter Führung der SS zu mindestens einem Test einer kleinkalibrigen Atombombe wenige Wochen vor Kriegsende kam. Der milit. Geheimdienst der Sowjetunion berichtete unmittelbar danach, Kurtschatow wurde dazu um seine Einschätzung gebeten. Karlsch fand seinen handschriftlichen Bericht im Präsidialarchiv in Moskau. Der hat 1945 sicher dazu beigetragen, daß die Russen fortan energischer auf die eigene Atombombe hingearbeitet haben.

Nikolaus Riehl 1901 - 1990 42

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Riehl wuchs in St. Petersburg bis 1918 auf. 1920-27 Physik- und Kernchemiestudium in St. Petersburg und Berlin. Begegnung mit Lise Meitner, 1927 Dr.-Arbeit über Betasprektroskopie. Anstellung in der Auergesellschaft in Oranienburg: Glühlampen, radoaktive Stoffe, Gasmasken; Forschungen zu Strahlengenetik, Leuchtstofflampe; 1939 Leiter der Uranproduktion, Speziell Herstellung von metallischem Reinsturan. Schwere Bombardierung Oranienburgs Anfang 1945 durch die Amerikaner sehr wahrscheinlich deshalb. Fljorow und Chariton fanden unmittelbar nach Kriegsende Riehl und viele Unterlagen, Geräte und Material und nahmen alles mit in die Sowjetunion. 1945-1950 Riehls Hauptaufgabe war die Herstellung von metallischem Reinsturan in Elektrostahl; Er wurde von den Russen hochgeachtet, erhielt etliche hohe Auszeichnungen; er war für die Russen wohl der wichtigste der deutschen Fachleute. Nach Beendigung seiner Arbeiten in der UdSSR mußte er noch drei Jahre nahe Suchumi verbringen, um „auszulüften“, 1955 konnte er über die DDR in die BRD ausreisen. Er ging dann an die TU München und war am Aufbau des Forschungsreaktors in Garching beteiligt

Gustav Hertz 1887 - 1975 44

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Hertz Physikstudium mit besonderem Interesse an Quantenmechanik in Göttingen, München und Berlin. 1911 Promotion, dann Assistent am Physikalischen Institut Uni Berlin. 1912-13 Elektronenstoßversuche gemeinsam mit Franck – dafür 1925 Nobelpreis. Ab 1914 Offizier, 1915 Spezialtruppe für Gaskampf (wie Otto Hahn). 1917 Habilitation, dann bis 1920 Privatdozent für Physik an der Uni Berlin 1920 Gasentladungsphysik bei Philips Glühlampenfabrik in Eindhoven. 1927 Ruf an die TH Charlottenburg, Ordinarius für Physik; Mitglied der Akademie der Naturforscher Leopoldina 1931 korrespondierendes Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften 1935 wegen jüdischer Vorfahren Entzug der Prüfungsberechtigung, deshalb Wechsel als Direktor an das Siemens-Halske-Forschungslabor II in Berlin, Diffusionstrennanlagen für leichte Isotope, was später wichtig wurde bei der Entwicklung der Atombombe 1945 April von NKWD-Offizieren aufgespürt und nach Suchumi verbracht, dort Leiter eines Forschungslabors für deutsche Spezialisten: Trennkaskaden zur Uran-235- Anreicherung; mehrere hohe Staatspreise 1954 Rückkehr in die DDR, Wiedereinstieg auch der DDR in die Kerntechnik Direktor des Physikalischen Institutes der Karl-Marx-Uni Leipzig 1955 Leitung des Wissenschaftlichen Rates für die friedliche Anwendung der Atomenergie beim Ministerat der DDR 1958 Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR Mehrere hohe Auszeichnungen in der UdSSR und der DDR

Manfred von Ardenne 1907 - 1997 46

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v. Ardenne Von den studierten Physikern nicht sehr geschätzt, (kein Schulabschluß, kein Studienabschluß, kein akademischer Grad), aber geschickter Experimentator, etwa 600 Erfindungen und Patente, Funk-u. Fernsehn, Elektronenmikroskopie, Kerntechnik, Plasmatechnik, Medizintechnik 1928 Gründung eines Forschungslaboratoriums für Elektronenphysik in Berlin-Lichterfelde: Rasterelektronenmikroskop (Patent 1937), weltweit erste Fernsehübertragung am 14.12.1930, großer Erfolg auf der Funkausstellung 1931 Nach Entdeckung der Kernspaltung experimentelle Kernphysik beim Reichspostministerium, Teilchenbeschleuniger, Isotopentrennung, 1945 Versuche zur Trennung von leichten Isotopen (z.B. Li). Lithium 6 wäre für den Bau einer Wasserstoffbombe interessant, wieweit daran noch gearbeitet wurde, ist nicht klar. Houtermann berechnete im Institut von Ardenne eine Ultrazentrifuge. Nicht ganz sicher, wieweit v. Ardenne aktiv an der Atombombe arbeitete. Sein Mitarbeiter Houtermann hat sich (wie C.F. v. Weizsäcker) mit der Plutoniumbombe befaßt. V. Ardenne hatte auch keine Probleme, seine Arbeiten bei den Russen fortzusetzen. Es besteht der Eindruck, daß seine Motive eher opportunistischer Art waren. Mai 1945-1954 arbeitete er in seinem nach Suchumi transportierten Forschungsinstitut für die sowjetische Atombombe. Sein Anreicherungsverfahren für Uran-235 wurde nicht genutzt, wohl aber die Trennung der Lithiumisotope in Zusammenhang mit der Entwicklung der Wasserstoffbombe. Er bekam den Stalinpreis – aber nur 2. Klasse, für die Russen waren andere deutsche Fachleute wichtiger. Mit dem in der UdSSR gesammelten Vermögen baute er nach seiner Rückkehr in die DDR ein privates Forschungsinstitut in Dresden auf dem Weißen Hirsch auf, zahlreiche Ehrungen in der Zeit der DDR.

Nikolai W. Timofejev-Ressowski 1900 - 1981 48

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Timofejev studierte Zoologie, Naturwisseenschaften und Kunstgeschichte in Moskau. Er gehörte zu den Pionieren der Genetik. Nach dem I. Weltkrieg und dem Bürgerkrieg hat er sich mit dem Erbgang von Genen bei der berühmten Taufliege Drosophila befaßt. 1925 wurde er mit seiner Frau Elena Alexandrowna als Gastwissenschaftler an das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin eingeladen, wo er eine genetische Abteilung aufbauen konnte. Die Arbeit in Deutschland gefiel den beiden, zumal sie verfolgten, wie gefährlich das Leben für Genetiker in der Sowjetunion geworden war. (Bekannt unter Lysenkoismus, der führende russische Genetiker Wawilow wurde zum Tode, dann zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt und ist 1943 in einem Gefängnis in Saratow wahrscheinlich verhungert.) Zwei Brüder von T.-R. und auch Familienmitglieder seiner Frau wurden verhaftet, ein Bruder von T.-R. wurde sogar hingerichtet. T.-R. folgte 1937 der Aufforderung, in die UdSSR zurückzukehren, nicht. Er wurde 1940 Mitglied der Akademie der Naturforscher Leopoldina. T.R. half etlichen verfolgten jüdischen und anderen ausländischen Wissenschaftlern. Sein ältester Sohn wurde als Mitglied einer Widerstandsgruppe 1943 von der Gestapo verhaftet, er starb unmittelbar vor Kriegsende noch am 1. Mai 1945 im KZ Ebensee.

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T.-R wurde direkt nach Kriegsende kurze Zeit Institutsdirektor und Bürgermeister von Berlin-Buch. Aber schon im September haben die Russen ihn verhaftet, weil er 1937 nicht nach Russland zurückkam und in die berüchtigte Moskauer Lubjanka gebracht, wo er zu 10 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Seine Spur verlor sich im GULAG in Kasachstan. Dann suchten und fanden ihn die NKWD-Leute, weil sie sein Wissen über Strahlenschäden für das sowjetische Atombombenprogramm brauchen konnten. In dem geschlossenen Forschungsprojekt 0211 in Sungul (Ural) konnten er und seine Frau zwar wissenschaftlich arbeiten, durften darüber bis 1955 aber nichts veröffentlichen. 1955 wurde T.-R. in Swerdlowsk Leiter des Biophysikalischen Laboratoriums der Sibirischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, 1964 ging er für Genetik und Radiobiologie nach Obninsk, 1970 wurde er emeritiert. Seine formelle Rehabilitierung erfolgte erst 1992, 11 Jahre nach seinem Tod. T.-R. genoß höchstes Ansehen unter seinen Schülern und Kollegen. Sie treffen sich heute noch zu seinem Angedenken zu wissenschaftlichen Tagungen. Wieweit er auf dem Gebiet der Erforschung von Strahlenschäden in des deutsche Atombombenprojekt eingebunden war, ist schwer einzuschätzen.

Max Volmer 1885 - 1965 51

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Max Volmer hat Chemie in Marburg, München und Leipzig studiert. In seiner Doktorarbeit (1910) ging es um photochemische Reaktionen im Hochvakuum. 1913 Habilitation. 1912-1914 Assistent und Privatdozent an der Leipziger Uni. Während des Wehrdienstes im I. Weltkrieg befaßte er sich auch mit chemischen Kampfstoffen. 1916 Friedrich-Wilhelm-Uni in Berlin – militärische Forschungen. 1918-1920 Auergesellschaft in Oranienburg, 1919 Erfindung der Quecksilber-Dampfstrahlpumpe. Professor in Hamburg und ab 1922 ordentlicher Professor am Physikalisch-Chemischen Institut der TH Berlin. 1936 wurde auch er Mitglied der Akademie der Naturforscher Leopoldina. 1943 zum ordentl. Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften gewählt – das wurde von den Nazis verhindert, weil er einem jüdischen Mitarbeiter geholfen hatte, sich der Verhaftung zu entziehen. Volmers Gehalt wurde gekürzt – aber er wurde im militärischen Forschungsbereich gebraucht. Im August 1945 wurde Volmer in die SU verpflichtet. Er kam in die Forschergruppe um G. Hertz nach Agudzera bei Suchumi. Sein Thema war die Herstellung von schwerem Wasser, das man brauchte, um aus nicht angereichertem Uran Plutonium herstellen zu können. 1955 Rückkehr nach Ost-Berlin, Professur an der Humboldt-Uni für physikalische Chemie und Elektrochemie, ab 1955 Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die friedliche Anwendung der Atomenergie beim Ministerrat der DDR. Von 1955-1958 Präsident bzw. Vizepräsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften. 1958 emeritiert und gleichzeitig aufnahme als ausländisches Mitglied in die Akademie der Wissenschaften der UdSSR

Heinz Barwich 1911 - 1966

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Als junger Mann links-plitische Sichtweise. 1929 Studium der Elektrotechnik an der TH Berlin-Charlottenburg, er hat aber auch Vorlesungen bei Max Planck, Albert Einstein und Werner Heisenberg besucht, 1930 wechslte er zu Mathematik und Naturwissenschaften. Diplomarbeit bei Gustav Hertz (Messung des Planckschen Wirkungsquantums über den Fotoeffekt), 1936 Doktorarbeit bei Hertz zu Isotopentrennung nach Disffusionsmethode. Als Hertz wegen seiner jüdischen Abstammung in die Forschung bei Siemens ging, folgte Barwich. 1934-1945 Torpedozünder. 1945 beschloß er, freiwillig G. Hertz in die SU zu folgen, obwohl er jung verheiratet war, 3 kleine Kinder hatte und das vierte unterwegs war. 1945 bis 1955 hat er im Bereich der Isotopentrennung für die UdSSR gearbeitet. 1950 Stalinpreis 2. Grades nach erfolgreichem Atombombentest. Nach Rückkehr in die DDR 19955-1964 Direktor des Zentralinstituts für Kernforschung in Rossendorf (bei Dresden), gleichzeitig Professor für Kerntechnik an der TU Dresden. 1961-1964 Vizedirektor des Vereinigten Instituts für Kernforschung in Dubna. Er war in keiner Partei, aber Mitglied des Nationalrates der Nationalen Front, Vizepräsident des Deutschen Friedensrates, Mitbegründer des Forschungsrates und Mitglied des Rates für die friedliche Nutzung der Atomenergie bei der Regierung der DDR. 1964 Flucht in den Westen mit Hilfe der CIA, Sohn und Tochter wurden aber von den DDR-Grenzern erwischt – später freigekauft. Barwich beantragte von der BRD aus politisches Asyl in den USA(1964-1965). Im März 1965 Rückkeher in die BRD. Seine Autobiographie ist lesenswert.

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Insgesamt wurden etwa 300 (?) deutsche Fachleute – teilweise mit ihren Familien – zur Arbeit an der Atombombe in die Sowjetunion „eingeladen“. Etliche wurden hoch dekoriert. Ihr Anteil am Bau der „roten Bombe“ war unterschiedlich, in einigen Fällen deutlich.

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Von sowjetischer Seite wurde der Beitrag der deutschen Fachleute eher geringer eingeschätzt, von den deutschen Fachleuten eher etwas höher. Es spricht Einiges dafür, daß die Erfahrungen von Riehl und die in Deutschland gefundenen verschiedenen Uranmaterialien, insbesondere das metallische Uran in sehr reiner Form bei der Entwicklung der russischen Bombe einen Zeitgewinn von etwa einem Jahr erbrachte. Es scheint, daß sich die deutschen Fachleute nicht sehr gegen ihren Export in die UdSSR gewehrt haben. Einige hatten deutliche Sympathien für die Russen, andere sahen dort lediglich eine gute Möglichkeit, an ihren Themen weiterarbeiten zu können, was in Deutschland nicht der Fall gewesen wäre. Alle wurden sehr gut versorgt, auch ihre Familien. Bei der Bewertung der sowjetischen Bombenentwicklung sollte nicht vergessen werden, daß sie in einem schwer vom Krieg getroffenen Land erfolgte (anders als die Entwicklung der Bombe in den USA). Trotz der schweren politischen Bedingungen wurden in einigen Fällen durchaus bessere Lösungen gefunden als in den USA. Zur allgemeinen Überraschung waren die Russen bei der Entwicklung der Wasserstoffbombe den Amerikanern deutlich überlegen. Die leitende Rolle von Berija und die Verwendung von GULAG-Häflingen für besonders schwere und gefährliche Arbeiten in großem Stil haben sicher dazu beigetragen, daß eine vergleichsweise große Zahl von Menschenopfern beim Bau der russischen Bombe zu beklagen ist.

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Angst – der ständige Begleiter In den 30er Jahren gab es lebensgefährliche Kampagnen gegen ganze Gruppen von Wissenschaftler und Ingenieuren, die oft im GULAG, in einem Schauprozeß oder mit dem Tod endeten, z.B. * „kosmopolitische“ Physiker, die sich mit Quantenphysik und Relativitätstheorie befaßten, leicht antisemitischer Tenor, (im Deutschen Reich gab es interessanterweise ähnliche Ablehnung dieser Themen, dafür die „Deutsche Physik“.) * Die faktische Vernichtung der Genetik durch den Scharlatan Trofim Lysenko * Die Ärzteprozesse Unter der Leitung von Berija hatten alle Angst, willkürlich festgesetzte Termine nicht halten zu können oder einfach eine Lösung nicht zu finden. Kurtschatow und Chariton haben sich erfolgreich mehrfach schützend vor ihre Kollegen gestellt. Es ist heute noch nicht einfach, die Namen der beseitigten Physiker, Genetiker oder Ärzte zusammenzustellen.

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Exkurs 1: Der erste große Atomunfall Bitte den Artikel von mir lesen!

59

Die Ziffern auf dieser Karte stehen für die Betriebe der Atomenergiewirtschaft, des atomaren militärisch-industriellen Komplexes und diejenigen Objekte, die kerntechnisch und durch ihre Strahlungswerte eine potentielle Gefahr darstellen. Die Kommentare sind vollständig der anhängenden Publikation „Atom ohne Geheimnis“ von 1992 zu entnehmen. Diese Publikation bietet einen brauchbaren Überblick. Die Beschreibung der gesundheitlichen Probleme könnte man heute schärfer formulieren.

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Kernkraftwerke (16): stillgelegt läuft

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Kernforschungseinrichtungen:

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Städte des nuklearen Rüstungskomplexes mit besonderem Regime

Arsamas-16 Slatoust-36 Krasnojarsk-26 Krasnojarsk-45 Swerdlowsk-44 Swerdlowsk-45 Semipalatinsk-21 Tomsk-7 Tscheljabinsk-65 Tscheljabinsk 70

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„Mit besonderem Regime“ hieß, daß geheimgehalten wurde, wo genau diese Städte lagen, daß sie eingezäunt und bewacht wurden, daß man ohne besondere Erlaubnis weder raus noch rein durfte. Mir ist nicht bekannt, wie weit heute die Öffnung dieser Atomstädte realisiert ist.

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Exkurs 2: Die Atomwaffentestgebiete in Kasachstan und auf Nowaja Semlja

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Atomwaffentestgebiete: Semipalatinsk (1949 – 1991) Nowaja Semlja (1954 - 1990)

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Atomwaffentestgebiet bei Semipalatinsk (Polygon)

1949 – 1989 mindestens 583 Atomwaffentests Gebietshauptstadt Semipalatinsk etwa 150 km enfernt Betroffen: 395.000 Menschen im Gebiet Semipalatinsk 210.000 Menschen im Gebiet Pavlodar 260.000 Menschen im Gebiet Karaganda 100.000 Menschen in der Altai-Region

Die zu Semipalatinsk gemachten Angaben beruhen auf Recherchen, die ich Anfang der 90er Jahre in Semipalatinsk anstellen konnte.

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Spezieller Grenzwert für die Bevölkerung: 500 Millisievert pro Jahr (mSv/a) Strahlenmessungen erst 1-2 Wochen nach den Tests Empfehlungen, beim Donnern der Explosion ins Freie zu gehen, damit einem keine Ballken auf den Kopf fallen. Totale Geheimhaltung / Unwissenheit über die Art der Gefahr Einsatz vieler junger Soldaten unmittelbar nach den Explosionen im Testgebiet. Dann Entlassung nach Hause ohne jeden Nachweis über die spezielle Belastung. Die zu Semipalatinsk gemachten Angaben beruhen auf Recherchen, die ich Anfang der 90er Jahre in Semipalatinsk anstellen konnte. Das Testgebiet bei Semipalatinsk wurde von Berija und Kurtschatow von vornherein mit der Absicht ausgesucht , an den dort lebenden Menschen die Auswirkungen der Bombentests zu untersuchen. Der spezielle Grenzwert war damals 500 mS pro Jahr. Heute ist bei uns für die Bevölkerung ein Grenzwert von 1 mSv pro Jahr gültig.

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Gesundheitsschäden Steiler Anstieg verschiedener Infektionskrankheiten Lungenentzündung, akute Atemwegsinfekte, schwere Angina, chronische Mandelentzündung mehrfach über den Werten in Kontrollregionen In den Regionen Shanasemeisk und Beskaragai innerhalb von 30 Jahren Anstieg von Virusinfektionen der oberen Atemwege um das 14- bzw. 19-fache. Sterblichkeit an Grippe, Angina, Lungenentzündung, Blutvergiftungen deutlich erhöht Immunologie: T-Lymphozyten, T-Helferzellen, T-Suppressoren erreichen nur etwa 60% der Normwerte

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Blutveränderungen Bei Kindern strahlenbelasteter Eltern ist Leukämie doppelt so häufig wie bei den Kontrollen Anämie stieg an Herz-Kreislauf-Erkrankungen Erhöhte Sterblichkeit bei Herzinfarkt und Hypertonie In den ersten 27 Jahren nach Beginn der Tests starben 76% mehr an Herzinfarkt und 35% mehr an Hypertonie (als in den Kontrollregionen)

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Balmuchanov-Report 1958 (Streng geheim) Expertengruppe unter Leitung von Balmuchanov erstellt eine Sammlung von Berichten über die Gesundheitsschäden seit Beginn der Tests. - Funktionelle Störungen des Nervensystems Vegetative Labilität, Asthenie, ständige Müdigkeit, Kopfschmerzen - Hals-Nasen-Ohrenerkrankungen, schweres und häufiges

Nasenbluten, schwere Angina (Krankenhaus!) Erstaunlich ähnliche Berichte gab es nach Tschernobyl und gibt es heute nach Fukushima Dieser Bericht wurde nie veröffentlicht. Er enthält viele Details, die uns später auch in der Umgebung von Tschernobyl berichtet wurden. Viele dieser Gesundheitsprobleme werden bis heute in den offiziellen Berichten der IAEA, der WHO oder der UNO (UNSCEAR) ignoriert.

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In der Umgebung des Testgebietes bei Semipalatinsk wurde festgestellt, daß Sterblichkeit an Krebs infolge der Strahlenexposition der Atomwaffentests etwa 4fach höher ist, als man nach den Daten von Hiroshima und Nagasaki erwarten würde. (Bauer u.a.: Rad.Res. 164, 409-419 (2005)

Daraus sollten die Strahlenschutzbehörden den Schluß ziehen, daß man die festgesetzten Grenzwerte auf ¼ reduzieren sollte. Diese Schlußfolgerung hat aber bisher niemand gezogen.

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Dies war ein deutsches Forschungsprojekt. Es wurden die Aufzeichnungen des Dispensariums Nr. 4 in Semipalatinsk ausgewertet, wo über Jahrzehnte die Bevölkerung aus der Umgebung untersucht (nicht behandelt) wurde. Aus der Verknüpfung der Daten zur Erkrankung mit den Daten zur Strahlenbelastung ergab sich, daß die Gefährlichkeit der Strahlenbelastung etwa viermal höher anzusetzen wäre, als man bisher aus den Untersuchungen in Hiroshima und Nagasaki abgeleitet hatte. Das hätte sehr wichtig für den internationalen Strahlenschutz und auch für die Frage der Anerkennung von strahlenbedingten Berufskrankheiten sein können – es wurde jedoch die auf der Hand liegende Konsequenz nicht gezogen

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Boris I. Gussew, Leiter des Dispensariums Nr. 4 in Semipalatinsk

Dr. B.I. Gussew hat über Jahrzehnte die Anwohner des Testgeländes untersucht. Er hatte genau verstanden, welch Unheil die ahnungslose Bevölkerung getroffen hat.

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B.I. Gussew und S. Pflugbeil über der Landkarte mit den

Falloutfahnen um Semipalatinsk

Gussew hat in eine große Karte die Falloutgebiete der verschiedenen Explosionen eingezeichnet. Diese Karte war damals noch so geheim, daß ich sie nicht photographieren durfte.

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B.I. Gussev und S. Pflugbeil am Rand des Testgebietes (in Dolon)

Dolon war eines der besonder stark getroffenen Dörfer.

Mit meinem einfachen Geigerzähler waren die Falloutspuren aber nicht mehr festzustellen

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Dieser Mann hat den Test der ersten Wasserstoffbombe miterlebt.

77 Seitdem leidet er unter ständigen Kopfschmerzen.

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Eingefettetes Pergamentpapier auf dem Kopf hilft manchmal. Medikamente sind unerreichbar, Ärzte

können sowieso nicht helfen.

Zur Überraschung galoppierte er am Ende unseres Besuchs auf einem kleinen langhaarigen Pferd an uns

vorbei.

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Behinderungen in der Umgebung

von Semipalatinsk

Wir haben in mehreren Orten Familien mit behinderten Kindern besucht. Eine belastbare Statstik konnten wir nicht finden. Später habe ich viele solcher Familien in der Umgebung von Tschernobyl kennengelernt. Später zeigte sich, daß es sogar in Bayern nach Tschernobyl vermehrt angeborene Fehlbildungen gab. Das hatten wir nicht erwartet.

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Zu Gast in einem Gottesdienst einer deutschen Gemeinde am Rande des

Testgebietes Semipalatinsk

In Kasachstan gab es mehrere Dörfer mit deutscher Bevölkerung, die von Stalin/Berija nach Kasachstan deportiert worden waren. Man sah sofort an den gepflegten Häusern und Gärten, daß hier irgendetwas anders war.

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Sie wurden von Stalin nach Kasachstan verbannt und begannen, über ihre Ausreise nach Deutschland nachzudenken; am Testgebiet Semipalatinsk (1992?)

Viele dieser altertümlich deutsch sprechenden Menschen begannen damals ihre Ausreise nach Deutschland zu planen. Sie hatten schreckliche Familiengeschichten.

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Kurtschatow – Kernforschungsstädtchen innerhalb des Testgebietes Semipalatinsk

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Wachposten im unterirdischen Zugang zum Forschungsreaktor in Kurtschatow (auf dem Testgelände

Semipalatinsk)

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Im Kontrollraum des unterirdischen Forschungsreaktors in Kurtschatow (1992)

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Auf einem Friedhof am Rande des Testgebietes auffallend viele Kinder

Uns wurde immer wieder berichtet, daß so viele Kinder gestorben wären. Wir haben dann Friedhöfe besucht und tatsächlich viele Kindergräber gesehen. Eine statistische Aussage ist so natürlich nicht zu gewinnen.

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Lebensgrundlage und Lebensende am Rande des Testgebietes dicht beieinander (1992)

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Anatomische Sammlung in Semipalatinsk

Solche Sammlung gibt es z.B. auch in der Charité in Berlin. Ob diese schrecklichen Präparate auf die Strahlenbelastung zurückgehen, hätte untersucht werden müssen. Studien dazu konnten wir aber nicht finden.

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Exkursion mitten in das Testgebiet Semipalatinsk

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Hier fand der letzte unterirdische Atomwaffentest im Testgebiet Semipalatinsk statt.

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Mit einer (friedlichen) Kernexplosion an der

Erdoberfläche erzeugter See auf dem Testgelände

Semipalatinsk

Die Dosisleistung auf der Uferböschung war sehr deutlich erhöht. Ein Offizier zog sich aber aus und sprang in den See, um zu demonstrieren, daß nun alles völlig harmlos wäre. Am Ufer standen Angler. Jahre später habe ich auf einer Konferenz in St. Petersburg Arbeiten gesehen, die sich mit der Strahlenbelastung um diesen See befaßt – sie ist immer noch vorhanden

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Hirten tief im Testgebiet Semipalatinsk (1992)

Wir haben auch verlegene Hirten mittenm Testgebiet angetroffen. Später habe ich einen verlegenen Hirten mit einer größeren Kuhherde in der Sperrzone von Tschernobyl getroffen, das Gras war dort besonders saftig. Er wollte aber nicht mit mir reden – er wußte genau, was er tat.

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Olzhas Suleimenov, „Nevada – Semipalatinsk“

Olaz Suleimanov, ein kasachischer Schriftsteller, wurde Anführer der Bürgerbewegung „Nevada-Semipalatinsk“, die die Schließung der Atomwaffentestgebiete in den USA und und der UdSSR zum Ziel hatte.

93 Kinderkrankenhaus in Semipalatinsk

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Besuch bei Anna – Symbolfigur des Protestes gegen die Deportation der Nenzen von ihrer Insel Novaja Semlja

Das zweite große Atomwaffentestgebiet der Russen lag auf der riesigen Insel Nowaja Semlja. Ursprünglich lebte dort der Volksstamm der Nenzen, der eine eigene Kultur und Sprache hatte. Alle wurden aufs Festland deportiert. Anna war die Anführerin des Protests gegen diese Zwangsdeportation.

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Verklappung gigantischer Mengen flüssiger radioaktiver Abfälle und havarierter Reaktoren

Am linken Bildrand ist der Schwanz des skandinawischen Bären zu sehen, die langgestreckte Insel ist Nowaja Semlja.

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Kernexplosionen wurden in der UdSSR auch für eine Vielzahl von „friedlichen“

Zwecken eingesetzt

Über die Auswirkungen liegen keine Informationen vor

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Unterirdische Kernexplosionen zu friedlichen Zwecken

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* Explosionen zur Zerkleinerung von Felsgestein und zur Erzförderung * Seismische Erkundung der Erdkruste und des Erdmantels * Löschung von brennenden Gasfontänen * Bodenaushub * Intensivierung des Zustroms von Erdöl und Erdgas * Erkundung zur industriellen Nutzung von Rohstofflagerstätten * Schaffung unterirdischen Hohlräumen * Explosionen zur Endlagerung * Entgasung von Kohleflözen * Einsturztrichter Übersicht und Landkarten: Atom ohne Geheimnis, Moskau-Berlin 1992, IPPNW

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Kernexplosion zur Entgasung von Kohleflözen

Einmal dachte man, die explosiven Grubengase in einem Steinkohlebergwerk dadurch loszuwerden, daß man unter der Erde eine kleine Atombombe zündet. Die sollte das Bergwerg durchschütteln und die Gase zum Abziehen bringen. Die Gase zogen nicht ab, aber die Gebäude des Bergwerks wurden zerstört.

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Explosionen zur Intensivierung des Zustroms von Erdöl und Gas

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Friedliche Explosionen zur Zerkleinerung von Felsgestein, zur Erzförderung und zur seismischen Erkundung

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Kernexplosionen zum Stoppen von Gasfontänen

Brennende Gasbohrtürme sind sehr schwer zu löschen. Die Russen bohrten von der Seite ein schräges Loch bis an die brennende Bohrung, steckten eine kleine Atombombe hinein – die hat tasächlich die brennende Gasquelle ausgepustet.

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Kernexplosionen zum Bodenaushub

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Vorläufiges Resume: Stalin hat die eigene Bombe zunächst zögerlich angepackt. Ausgezeichnete Spionagehinweise und Wohlwollen hochrangiger westlicher Kollegen haben die Entwicklung der Bombe beschleunigt. Die wissenschaftlich/technisch/logistische Leistung der Russen unter Kriegsbedingungen (im Unterschied zu den USA) ist jedoch beeindruckend und hat in einigen Fällen zu Lösungen geführt, die besser waren als die amerikanischen. Das System Stalin hat dazu geführt, daß eine unübersehbare Schar von Häftlingen in die Arbeiten eingebunden werden konnten. Eine unbekannte – aber sicher sehr hohe Zahl der Häftlinge hat das nicht überlebt. Es sieht so aus, als ob in der Sowjetunion mehr Menschen an der Bombe gearbeitet haben und mehr daran zerbrochen sind als in den USA. Erst die Detonation der bis heute größten Wasserstoffbombe scheint einige der Spitzenphysiker nachdenklich gemacht zu haben. Der Friedensnobelpreis für Andre Sacharov, den Vater der sowjetischen Wasserstoffbombe, scheint diskussionswürdig. Wahrscheinlich war die Geheimhaltung sehr viel strenger geregelt als in den USA. Bis heute sind weite Teile der Geschichte der Bombe in den USA wie in der UdSSR vernebelt.

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Gesellschaft für Dr. Sebastian Pflugbeil Gormannstr. 17 10119 Berlin Tel. 030-4493736 [email protected]

Strahlenschutz

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Das Uranproblem Beispiel: WISMUT

Es folgen einige Informationen über den Uranbergbau in der DDR, der den Tarnnamen „Wismut“ bekam. Das war ein russisches-ostdeutsches Unternehmen, aus dem das Uran für die ersten russischen Bomben stammte. In den ersten Jahren ein paramilitärisches Unternehmen mit russischen Bewachern, Kalaschnikows und viel Stacheldraht. Zwangsverpflichtete Kriegsgefangene, Prostituierte oder einfache Leute von der Straße weg. Später eine Art Goldgräberstimmung, versüßt mit etlichen Privilegien. Gesundheitsschädlich und gefährlich bis zum Ende im Jahre 1990. Bis heute erkranken frühere Kumpel an den Strahlenfolgen.

WISMUT 1946 – 1990 1.200 million tons extracted mineral mass 200 million tons processed 1.000 million tons tailings about 500.000 miners occupied about 15.000 accepted cases of silicosis about 5.600 accepted cases of lung cancer

GSS Pflugbeil 107

Working conditions in the „wild years“ of the „WISMUT“ (Uranium mining)

Statistics of the WISMUT in the second half year 1949

1.281 deadly accidents 3.467 amputations 16.560 severe health damages 11.376 miners were fleeing 543 miners sentenced to long imprisonments from Russian courts 938 female miners dismissed pregnant 8.465 miners with veneral diseases 234 self-mutilations J. Breuer, Die BG, Januar 1993, 13-29 GSS Pflugbeil

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Michael Beleites Pechblende Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen

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Die Pechblende ist die meines Erachtens wichtigste Samisdat-Publikation aus der DDR-Zeit. Samisdat ist russisch und bedeutet soviel wie „selbstherausgegeben“, das sagte man dann auch in der DDR zu Schriften aus dem Untergrund oder Widerstand. Die Herstellung solcher Schriften war sehr schwierig. Es gab damals noch keine Kopierer, keinen Copyshop, eigentlich hätte man eine Druckerlaubnis und ein Papierkontingent beantragen müssen. Lediglich in einigen Kirchgemeinden gab es Wachsmatrizen-Druckmaschinen. Die Wachsmatrizen und die Druckerschwärze mußte man irgendwie aus dem Westen heranschmuggeln. Die Wachsmatrizen mußten fehlerfrei auf der Schreibmaschine geschrieben werden. Dann wurde Seite auf Seite mit der Handkurbel durch die Maschine gezogen – eine Schweinearbeit, bei der man sich auch nicht erwischen lassen sollte. Die Pechblende wurde bei uns im Wohnzimmer auf einem großen Tisch sortiert und geklammert. Dabei halfen 5 Freunde. Die Stasi hatte die Studie am nächsten Morgen in der Hand, ich weiß bis heute nicht, wie und es wurde etwas heikel. Hier wurde erstmals zusammengetragen, was man in der DDR über den Umfang und die Probleme des Uranbergbaus in der DDR wußte. Das Thema war streng tabuisiert. Die Arbeit an der Studie war wirklich gefährlich.

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OV „Reaktor“

Observationsphoto der Stasi am

8.11.1988 in Gera

Ich habe den Autor Michael Beleites dabei unterstützt, die Studie zu erstellen. Bei der Arbeit wurden wir beide von der Stasi minutiös überwacht. An diesem Tag hatten wir eine Verabredung mit der Bergwerksverwaltung in Gera. Ich wurde nicht hineingelassen. An diesem Tag wurde dafür gesorgt, daß meine Frau nicht früher als sonst nach Hause kam, auch die Kinder wurden in der Schule gehalten. In der Zeit ging die Stasi in unsere Wohnung und hat Wanzen installiert, die wahrscheinlich heute noch installiert sind. Die Stasi hat jeden meiner Schritte an diesem Tag beobachtet und protokolliert um sicherzustellen, daß auch ich nicht vielleicht früher als geplant wieder zu Hause ankomme. OV bedeutete „Operativer Vorgang“, dazu hat die Stasi bei mir den Spitznahmen „Reaktor“ gesetzt. Die OV wurden von der Stasi „zersetzt“, man hat Gerüchte über die OV verbreitet, berufliche Schwierigkeiten initiiert, Freundschaften und Familien zu zerstören gesucht und viele nette Ding mehr.

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Das ist eine Fortführung der Pechblende von Michael Beleites, in der er auch darauf eingeht, was aus den damals Verantwortlichen nach der Vereinigung wurde.

113 Die Wismut-Photos stammen von Michael Beleites

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„Kumpeltod“

Viele Bergleute wurden durch den praktisch gratis verteilten Fusel (im Volksmund „Kumpeltod“) zu Alkoholikern

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In der WISMUT zu photographieren erforderte gute Nerven. Oft sah man in einiger Entfernung die dunklen Autos der WISMUT/Stasi-Leute, die genau beobachteten, wer da was ansah und dokumentierte.

117 Arbeiterzug in den frühen Jahren der WISMUT

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Dicht an der Stadt Ronneburg die beiden berühmten Abraumhalden – im Volksmund die „Ronneburger Titten“. Heute abgetragen in ein riesiges Tagebauloch bei Lichtenberg.

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Die strahlenden Halden reichten oft bis an den Gartenzaun

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Absetzbecken, endlose Seen voller hochgiftiger strahlender Pampe. An den Ufern trocknete der Schlamm, der enstehende feine Staub voller strahlender Partkel wurde vom Wind durch die benachbarten Orte geweht.

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In riesigen Schlammteichen (Absetzbecken) wurde der Abfallschlamm aus der chemischen Uranbereitung gesammelt. Heute sind sie oben abgedeckt, aber nach unten nicht dicht. Die Pampe enthält eine Vielzahl hoch strahlengiftige Stoffe.

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Ständige Verunreinigungen der Straßen mit strahlenden Substanzen

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Die Gessenhalde: aufgetürmtes Uranerz wird von oben mit schwefliger Säure beregnet, die das Uran aus dem Erz lösen soll, unten wird versucht, die Uranbrühe auf Kunststoffbahnen zu sammeln und abzupumpen. Dabei ging viel daneben. Als wir aus vielleicht huntert Meter entfernung die Halde ansahen, standen wir auf einem Feld, auf dem die ersten Halme vielleicht 10 cm hoch gewachsen waren und dazwischen gab es kleine Fontänen einer gelben Flüssigkeit, die aus dem Boden herausspritzen. Wir haben besser unsere Schuhe in Sicherheit gebracht.

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An vielen Stellen strömten kleine verstrahlte Bäche oder Kanäle in die nächstgrößeren Gewässer. Dort gab es keinen einzigen Fisch.

128 Nutztiere an hochbelasteten Gewässern

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Nutztiere weiden direkt an hochbelasteten Gewässern

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Landwirtschaftliche Nutzflächen in unmittelbarer Nachbarschaft der Halden

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Von den LKW fiel öfter mal was Strahlendes herunter und blieb am Straßenrand liegen

133 Aufräumen der Abraumhalden nach dem Ende der DDR

134 Ein tiefes Tagebauloch wurde mit Abraum aufgefüllt

135 Oft war dürftig verscharrter Müll zu sehen

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Exposure pathways for miners in Uranium mining, milling and processing: External Gamma radiation Inhalation of Radon Inhalation and ingestion of radioactive dust (U, Ra, Po, Pb)

GSS Pflugbeil 137

Exposure pathways for population living near Uranium mines: Inhalation of Radon Inhalation and Ingestion of radioactive dust Radioctivity in drinking water Radioactivity in agricultural products, milk and meat

GSS Pflugbeil 138

Announcements of extrapulmonal diseases 1991 - 1998 after closing down of the mine, data of one distric t, only (Gera)

carcinom group announcements carcinom group announcements

stomach-intestine 358 testicle 37 lymph nodules 181 brain 27 leukaemia 144 glands 17 larynx 114 tonsilles 13 prostate 107 bone 8 bladder 107 no classif. 7 kidney 103 intestine 4 skin 99 urine ways 2 other 94 blood 1 mouth 87 tooth 1 liver 41 all 1.600

Pappai 1999

GSS Pflugbeil 139

Other non-cancer diseases to be expected after experience of the Chernobyl accident

after chronical low dose exposure: Cataracts Fertility distortions Endocrinal system Neural system Circulatory system Digestive system Skin & subcutaneous tissue Muscular-skeletal system

GSS Pflugbeil 140

Diseases except of the lungs and the other parts of the respiratory tract in consequence

of an exposure by radon, uranium, and radioactive daughters of uranium

Diseases

Exposed collective

References

Solid tumors Workers in uranium industry Ritz 1999

Benign & unspecified

tumors

Uranium miners Roscoe 1997

Blood diseases Uranium miners Roscoe 1997

Leukaemia Uranium miners

Miners, underground

Radon in houses

Populations in uranium

regions

Möhner et al. 2006; Rericha et al. 2006*

Darby et al. 1995

Evrard et al. 2006

Hoffmann 1993; Hoffmann et al. 1993

Lymphomas Workers in uranium industry McGeoghegan et al. 2000

Multiple Myelomas Uranium miners Tomásek et al. 1993

Stomach cancer Miners, underground

Populations in uranium

regions

Darby et al. 1995; BEIR IV 1988

Wilkinson 1985

Liver cancer Uranium miners Tomásek et al. 1993

Cancer of the intestine Miners, underground Darby et al. 1995

Cancer of the gallbladder

& extrahepatic bile ducts

Uranium miners Tomásek et al. 1993

Kidney cancer Radon in the environment

Workers in uranium industry

Forastiere et al. 1992

Dupree-Ellis et al. 2000

Skin cancer Uranium miners Sevc et al. 1988

Mental diseases Uranium miners Tomásek et al. 1994

Birth defects Uranium miners

Populations in uranium

regions

Müller et al. 1962, 1967

Shields et al. 1992

GSS Pflugbeil 141

Secret Services and Uranium mining WISMUT (1) Soviet Union Secret Services (several) and MfS – the east German Secret Service (with separate structure for the WISMUT, only)

GSS Pflugbeil 142

Secret Services and Uranium mining WISMUT (2) Which secrets was to protect: 1. The Uranium content of the ore (to protect the Russian

progress to build Nuclear weapon) 2. The radiation dose in the mine – to protect the

information about the Uranium content, too 3. The radiation dose – to hold the miners uninformed and

willing to do the dangerous job 4. The emissions into the air and into water – to avoid critics

from the sourrounding villages and towns 5. Informations about all kinds of occupational diseases 6. Each kind of statistics and data

GSS Pflugbeil 143

Secret Services and Uranium mining WISMUT (2) technique and objective: to hold a net of informers, to get very personal informations about the miners, to hold a second report level about technical questions and the leader qualification to hold a second report level about environmental and and industrial safety to stop nearly each kind of information for the publik and for the miners

GSS Pflugbeil 144

„The emission of that air is a grave violation of the radiation protection regulations … factor 2.500 exceeded“

Paper of the Secret Service (STASI) department WISMUT about lost Yellowcake with air and water Karl-Marx-Stadt, 6.1.1974

GSS Pflugbeil 145

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Die Stasi hat nicht nur abgehört und geschnüffelt und Leute eingesperrt. Es gab unter den Stasimitarbeitern auch etliche Leute, die eine zweite Ebene der Kontrolle der Vorgänge in den größeren Betrieben der DDR aufrechterhielten. So gab es auch bei der Wismut eine eigene Stasi-Hauptverwaltung, in der sich Stasileute mit den Umweltproblemen des Uranbergbaus befaßt haben. Die Berichte waren natürlich streng geheim, wurden nie veröffentlicht und eine Aufgabe der Stasi war, darauf zu achten, daß nichts davon an die Öffentlichkeit geriet. Auch die normalen Wismut-Bergleute bekamen diese alarmierenden Berichte nicht zur Kenntnis. Erst nach dem Ende der DDR konnten wir einiges davon in den Stasiakten finden. In der WISMUT wurden die in der DDR geltenden Umwelt- und Arbeitsschutzregeln dramatisch verletzt.

The Secret Service (STASI) department WISMUT has written several environmental reports.

They was top secret for the public and for the miner, too. In the production of Yellowcake we have found in the reports emissions of Uranium dust in the region of 30 to 50 tonns per year The consequence: the Uranium-limit for air for the population was up to 2500times exceeded! In the same amount we additionally have found emissions with the water – more as 30 tonns Uran per year We have found the reports after our revolution 1989, after the breackdown of the old system and the Security service (STASI). Today the archives of the east German Secret Service are open for such investigations. The archives of the present Secret Service in Germany are not open. The data of the nuclear industry in Germany are not open up today. The archives of the WISMUT are partially open for some scientists, only. For the ill miners and the lawyer the WISMUT archives are not available up to now.

GSS Pflugbeil 147

The secret services of Soviet Union was responsible for the execution of more than 70 young Uranium miners of the WISMUT in Moskow (accusation espionage was very fast to get)

GSS Pflugbeil 148

Overview about the acknowledgement of occupational diseases

for miners of the former WISMUT up to 1990

About 30.000 acknowledgements of occupational diseases of them 15.000 x silicose 5.400 x bronchial (lung) cancer

5.000 x difficulty in hearing 5.000 x damages in bones and joints

GSS Pflugbeil 149

Overview about the acknowledgement of occupational diseases

for miners of the former WISMUT (after close down)

1991 – 2008

Acknowledged 3.500 x lung cancer 4.000 x other (not radiation induced) occupational diseases Rejected 12.000 applications of them 1.200 were going to the court of them 60 with success, only

Miner have to show data they normaly cannot have (secrecy!) The procedure was developed - easy to reject the applications

GSS Pflugbeil 150

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WISMUT – Standort Königstein

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Im Bergwerk der Wismut – Standort Königstein – hatte man ein grandiose Idee: man hat das Uranerz unten in der Erde nur durch Sprengungen zerkleinert und nicht an die Oberfläche transportiert. Dann hat man unter der Erde über die zersprengten Zonen Schläuche verlegt, die das zerkleinerte Erz mit Chemie berieselt haben, um das Uran aus dem Erz zu lösen. Unterhalb der zersprengten Gebiete hat man versucht, diese Giftbrühe aufzufangen und nach oben zu pumpen. Bei der Stillegung befanden sich etwa 1.800.000 m3 Schwefelsäurelösung und die gelösten hochgiftigen Stoffe noch in den zersprengten Bereichen unter der Erde. Man stellte die Wasserpumpen ab, das Bergwerk soff langsam ab. Problematisch nur, daß oberhalb der Bergbauzonen ein für die Region Dresden sehr wichtiger Wasserhorizont verläuft. Bis heute besteht die Gefahr, daß die Giftbrühe irgendwie mit diesem Wasserhorizont Kontakt bekommt.