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1 Im Jahre 833 verlieh König Ludwig der Fromme (814–840) der Abtei Corvey an der Weser als erster geistlicher Institution des Karolingerreiches das Münzrecht, und zwar »quia locum mercationis ipsa regio indigebat« (»weil dieser Ort eines Marktplatzes entbehrte«). Dennoch sollte es noch bis ins 11. Jahrhundert dauern, bevor erste Äbte selbstbewusst ihren Namen und ihr Bild auf die Prägungen setzten (Abb. 1, Kat-Nr. 337). Zugleich steht dieser Prozess symptomatisch für die umwälzenden monetären Entwicklungen, die sich vom 9. bis zum 12. Jahrhundert auf dem Gebiet des ostfränkisch-deutschen Reiches vollzogen: Hatte es zu Beginn der Herrschaft des ersten Nicht- Karolingers Heinrich I. (919–936) (Abb. 2, Kat-Nr.103) östlich des Rheins und nördlich der Donau mit Würzburg nur eine Münzstätte gegeben, weiteten die ottonisch-salischen Herrscher dieses dürftige Prägestättennetzwerk schließlich auf über 150 Orte aus. Zumeist war es die Geistlichkeit – Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen – die vielerorts neben dem König zuerst als Träger der Münzprägung fungierte, bevor auch weltliche Herrschaftsträger – Herzöge und Grafen – diese für sich in Anspruch nahmen. Kein Wunder – war der Klerus doch gleichzeitig Träger der Schriftlichkeit und Zentrum der Verwaltung dieses Reiches, das noch keine Hauptstadt kannte und dessen Infrastruktur (Straßen und Brücken) nur mäßig ausgebaut war. Letzteres war wie die fehlende Münzprägung ein Resultat des Umstandes, dass die Gebiete östlich des Rheins nicht in das antik-römische Reich eingegliedert worden waren. Zu den interessantesten Erscheinungen auf dem Gebiet der weltlich-herzoglichen Münzprägung gehören hierbei die Andernacher Münzen von Dietrich I. (984–1027), die einen äußerst detaillierten Stempelschnitt aufweisen und für diese frühe Zeit sehr Abb. 1: Corvey. Abt Rudhard, 1046–1050 mit Namen Heinrichs III. als König, 1039–1046. Denar. 1,67 g; Ein lateinisches Kreuz, in den Winkeln je ein Punkt. H … ICREX. Rv.: Schriftkreuz mit dem Namen ROTHA / RD – VS, in den Winkeln A - B - A – S. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 337. Die Sammlung Klaus Giesen – Münzprägungen aus der Zeit der Ottonen und Salier (919-1125) Abb. 2: Verdun. Heinrich I. (919–923). Denar. 1,42 g; Im Felde der Titel REX, Umschrift beginnt unten. + HEIN … VD (D seitenverkehrt). Rv.: Kreuz mit jeweils spitz auslaufenden Enden der Kreuzarme; im vierten Winkel ein Punkt. +VIRD … Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 103.

Die Sammlung Klaus Giesen – Münzprägungen aus der Zeit der … · 2021. 1. 22. · Erscheinungen auf dem Gebiet der weltlich-herzoglichen Münzprägung gehören hierbei die Andernacher

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    Im Jahre 833 verlieh König Ludwig der Fromme (814–840) der Abtei Corvey an der Weser als erster geistlicher

    Institution des Karolingerreiches das Münzrecht, und zwar »quia locum mercationis ipsa regio indigebat« (»weil

    dieser Ort eines Marktplatzes entbehrte«). Dennoch sollte es noch bis ins 11. Jahrhundert dauern, bevor erste Äbte

    selbstbewusst ihren Namen und ihr Bild auf die Prägungen setzten (Abb. 1, Kat-Nr. 337). Zugleich steht dieser

    Prozess symptomatisch für die umwälzenden monetären Entwicklungen, die sich vom 9. bis zum 12. Jahrhundert

    auf dem Gebiet des ostfränkisch-deutschen Reiches vollzogen: Hatte es zu Beginn der Herrschaft des ersten Nicht-

    Karolingers Heinrich I. (919–936) (Abb. 2, Kat-Nr.103) östlich des Rheins und nördlich der Donau mit Würzburg

    nur eine Münzstätte gegeben, weiteten die ottonisch-salischen Herrscher dieses dürftige Prägestättennetzwerk

    schließlich auf über 150 Orte aus.

    Zumeist war es die Geistlichkeit – Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen – die vielerorts neben dem König

    zuerst als Träger der Münzprägung fungierte, bevor auch weltliche Herrschaftsträger – Herzöge und Grafen – diese

    für sich in Anspruch nahmen. Kein Wunder – war der Klerus doch gleichzeitig Träger der Schriftlichkeit und Zentrum

    der Verwaltung dieses Reiches, das noch keine Hauptstadt kannte und dessen Infrastruktur (Straßen und Brücken)

    nur mäßig ausgebaut war. Letzteres war wie die fehlende Münzprägung ein Resultat des Umstandes, dass die

    Gebiete östlich des Rheins nicht in das antik-römische Reich eingegliedert worden waren. Zu den interessantesten

    Erscheinungen auf dem Gebiet der weltlich-herzoglichen Münzprägung gehören hierbei die Andernacher Münzen

    von Dietrich I. (984–1027), die einen äußerst detaillierten Stempelschnitt aufweisen und für diese frühe Zeit sehr

    Abb. 1: Corvey. Abt Rudhard, 1046–1050 mit Namen Heinrichs III. als König, 1039–1046. Denar. 1,67 g; Ein lateinisches Kreuz, in den Winkeln je ein Punkt. H … ICREX. Rv.: Schriftkreuz mit dem Namen ROTHA / RD – VS, in den Winkeln A - B - A – S. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 337.

    Die Sammlung Klaus Giesen – Münzprägungen aus der Zeit der Ottonen und Salier (919-1125)

    Abb. 2: Verdun. Heinrich I. (919–923). Denar. 1,42 g; Im Felde der Titel REX, Umschrift beginnt unten.

    + HEIN … VD (D seitenverkehrt). Rv.: Kreuz mit jeweils spitz auslaufenden Enden der Kreuzarme; im vierten Winkel ein

    Punkt. +VIRD … Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 103.

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    ungewöhnliche zweifigurige Darstellungen zeigen (Abb. 3, Kat-Nr. 146). Möglicherweise lieferten hierbei antike oder

    byzantinische Münzen die Vorlage.

    Die umfangreiche Prägung von Klöstern wie Corvey oder der dem Heiligen Remaclus geweihten Abtei Stablo (Abb.

    4, Kat-Nr. 170) ist dabei im europäischen Kontext ein besonderes Phänomen des Reiches geblieben, an der sogar

    Äbtissinnen, wie diejenigen von Quedlinburg, Gandersheim oder Herford, partizipierten. Zumeist handelte es sich bei

    ihnen um Mitglieder der regierenden Herrscherfamilien, die damit Spitzenpositionen in der Hierarchie bekleideten

    und dies auch selbstbewusst in Bild und Schrift der Münzen zur Schau stellten. Zumeist waren es die Darstellungen

    der Schutzheiligen, von denen die klösterlichen Münzbilder dominiert wurden, aber auch einflussreiche Äbte wie

    Saracho von Corvey (1056–1071) ließen ihr Porträt in Metall verewigen.

    Ansonsten waren es vor allem die mächtigen Erzbischöfe wie diejenigen von Trier (Abb. 5, Kat-Nr. 140) und

    Bischöfe wie diejenigen von Metz (Abb. 6, Kat-Nr. 121), die nach und nach das ursprünglich königliche Recht

    der Münzprägung verliehen bekamen oder in Zeiten unsicherer Herrschaft wie dem Investiturstreit (1076–1122)

    zwischen Kaiser und Papst einfach okkupierten. Die Prägungen dieser geistlichen Werkstätten wurden häufig zu

    Leitmünzen für benachbarte kleinere Münzstätten, in denen sie getreulich kopiert oder zumindest leidlich imitiert

    wurden. In einer Zeit, in der nur die wenigsten Menschen lesen und schreiben konnten, waren etablierte Münzbilder

    wichtig für die Akzeptanz der Gepräge im Zahlungsverkehr.

    Abb. 3: Andernach. Herzog Dietrich I. (984-1027). Denar. 1,1 g; Zwei zueinander gekehrte bärtige Brustbilder, dazwischen ein Stab mit einer Blütenspitze … EODERIC – Rv.: Der Name der Münzstätte in ein Kreuz gestellt … NDER / NA - K … in den Winkeln des Kreuzes Dreispitz - Zweig - Dreispitz - Zweig. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 146.

    Abb. 5: Trier. Erzbischof Eberhard (1047–1066). Denar. 1,19 g; Brustbild des Erzbischofs nach rechts, vor ihm der Krummstab. EBERHART … STRE. Rv.: Die rechte Hand Gottes hält zwei Schlüssel, deren Bärte die Buchstaben E und R der Legende … PETRVS bilden. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 140.

    Abb. 4: Stablo. Denar. 1,03 g; Brustbild des Heiligen Remaclus mit geschultertem Krummstab nach

    rechts. … VCE … Rv.: Dreigeschossige Kirchenfront hinter Arkaden. … LAVS. Auktion 154, Frankfurter

    Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 170.

  • 3

    Da diese Nachahmungen ebenfalls aus zumeist guthaltigem Silber geprägt wurden, handelt es sich auch nicht um

    Münzfälschungen im eigentlichen Sinne. Vielmehr waren es Maßnahmen zur Steigerung der Vertrauenswürdigkeit

    in die eigene Münzprägung, wenngleich diese von den größeren Münzstätten argwöhnisch beobachtet wurden.

    Von Otto III. (983–1002) dagegen ist sogar eine Urkunde vom 2. Juli 993 überliefert, in der er dem Kloster Selz

    anordnete, die Münzen der benachbarten Prägestätten von Straßburg und Speyer nachzuahmen, um die eigenen

    Gepräge leichter in Umlauf bringen zu können. Selbst königliche Münzstätten wie Dortmund scheuten vor der

    Nachahmung gängiger Münzbilder von beispielsweise Köln nicht zurück (Abb. 7, Kat-Nr. 307). Durch die Imitation

    gängiger Münzbilder und die Anlehnung der eigenen Gepräge in Gewicht und Feingehalt an größere Münzstätten

    bildeten sich allmählich verschiedene Währungsregionen heraus, die letztlich zur Regionalisierung der Münzprägung

    und des Geldwesens im Reich während der Stauferzeit führten.

    Diese und andere interessante Münzgeschichten aus der Zeit der Herrscherdynastien der Ottonen und Salier

    erzählen die Objekte der Sammlung Klaus Giesen, die nun in zwei Teilen bei der Frankfurter Münzhandlung unter

    den Hammer kommt. Nach der Spezialsammlung von Dr. Bernhard Schulte (Auktion Münzen und Medaillen

    GmbH 28, 30./31. Oktober 2008) handelt es sich um eine der umfangreichsten Zusammenstellungen dieser Art

    in den letzten Jahrzehnten. Damit stellt der Katalog nicht nur die immense Vielfalt der Münzbilder des 10./11.

    Jahrhunderts in großformatigen Farbbildern jedermann vor Augen, sondern bildet zugleich eine wertvolle Ergänzung

    zu numismatischen Einführungswerken zu dieser Epoche.

    Über die Sammlerpersönlichkeit Klaus Giesen

    Klaus Giesen (geb. 1934) ist dabei ein »spätberufener Münzsammler«: Den systematischen Aufbau seiner Sammlung

    begann er erst nach seinem Ruhestand im Jahre 1999. Den Großteil seines Berufslebens verbrachte er in der

    chemischen Industrie bei einem Unternehmen im Kreis Diepholz. Dort entstand aus regionalem Geschichtsinteresse

    zunächst eine Vorliebe für die spätmittelalterlichen Münzen von Diepholz, zu denen er umfangreiches Material und

    Abb. 7: Dortmund. Otto III., 983-1002, als König bis 996. Denar. – Nachahmung des Kölner Münzbildes mit zweizeiligem Stadtnamen. 1.27 g; Kreuz, in jedem Winkel ein Punkt. + ODDO + REX. Rv.: In drei Zeilen. THERT / + / MANNI. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 307.

    Abb. 6: Metz. Bischof Adalbero II. (984-1005). Denar. 0,99 g; Kopf des Bischofs nach links.

    ADAL … RO EPS. Rv.: Kirchenfront, im Portal ein Kreuz. + M … T E S. Auktion 154, Frankfurter Münzhandlung, 6. November 2020, Nr. 121.

  • 4

    Literatur sammelte. Die Ergebnisse seiner Recherchen flossen in die Publikation »Die Münzen von Diepholz« (2001)

    ein, der nur kurze Zeit später »Die Münzen von Hoya« (2004) folgte. Bis heute sind beides Standardzitierwerke für

    Münzsammler dieser Gebiete, für die Klaus Giesen 2013 auch den Eligius-Preis erhielt.

    Das Interesse für die ottonisch-salischen Münzen wurde allerdings schon weitaus früher geweckt. 1978 kaufte er die

    erste Münze dieses Zeitraums bei einem Osnabrücker Münzhändler. Zunächst blieb jedoch aus beruflichen Gründen

    lange keine Zeit, sich intensiver damit zu beschäftigen. Erst rund 20 Jahre später konnte er das in dem Gespräch

    mit dem Münzhändler geweckte Interesse für ottonisch-salische Münzen vertiefen und zielstrebig bis zur heutigen

    Sammlung ausbauen. Dabei beließ er es nicht ausschließlich beim Erwerb der Stücke, sondern nutzte diese als

    Anknüpfungspunkte für weitreichende historisch-numismatische Untersuchungen: Zwischen 2012 und 2019 hat

    er zahlreiche Aufsätze verfasst, von denen insbesondere die Untersuchungen zu den Hälblingen (Obolen) der Otto-

    Adelheid-Pfennige, den EILHARD-Denaren und der Münzstätte Remagen im 11. Jahrhundert auch in Fachkreisen

    große Beachtung gefunden haben. Fragt man ihn nach seiner »Lieblingsmünze«, so verweist Klaus Giesen allgemein

    auf die Produkte der Münzstätte seines Geburtsortes Duisburg, die ihn wegen ihrer besonders qualitätsvollen

    Prägung faszinieren.

    Stets lag ihm aber auch die Förderung des numismatischen Nachwuchses sehr am Herzen. Im Dezember 2019

    schenkte er eine Sammlung von knapp 800 Münzen aus aller Welt zu Unterrichtszwecken an das Gymnasium in

    Damme. Die Stücke hatte er von vielen beruflichen und privaten Reisen mitgebracht und durch etwa 130 deutsche

    Münzen ergänzt, anhand derer sich der Flickenteppich der Münzprägung vor der Gründung des Kaiserreiches 1871

    besonders anschaulich den Schüler*innen näherbringen lässt.

    Klaus Giesen ist auch ein gefragter Gesprächspartner (nicht nur) in Fragen zur mittelalterlichen oder westfälischen

    Münzprägung. Zu den Münzfreunden für Westfalen und Nachbargebiete kam er über die Bekanntschaft mit Peter

    Ilisch, den er wegen der Bibliothek in Münster Ende der 1990er Jahre erstmals anschrieb und um eine Aufsatzkopie

    bat. Bis heute ist er festes Mitglied der sich regelmäßig treffenden Münzbolde und schätzt nicht nur den fachlichen

    Austausch, sondern vor allem den persönlichen Kontakt zu seinen Münzfreunden. Vielleicht beschäftigen ihn auch

    deshalb in den letzten Jahren immer wieder die Biographien bekannter Sammlerpersönlichkeiten. Augenblicklich liegt

    auf seinem Schreibtisch der »Leitfaden für die Sammlung der Münzen des Mittelalters und der neueren Zeit« (Berlin

    1850) … vielleicht der Ausgangspunkt einer neuen Publikation über die Entwicklung des privaten Münzensammelns

    und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Münzen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts?

    Aber auch in so manchen Lehrveranstaltungen an den Universitäten von Münster und Osnabrück war er ein gern

    gesehener Gast, der den Studierenden mit Literaturhinweisen oder Aufsatzkopien hilfreich zur Seite stand und sogar

    Stücke aus seiner Sammlung als Anschauungsmaterial mitbrachte. Denn für Klaus Giesen steht fest: Münzen erzählen

    oftmals mehr als die spärlichen Schriftquellen des frühen und hohen Mittelalters und das Originalobjekt übt immer

    noch die größte Faszination aus. Der Beweis dafür liegt nun in Gestalt des Auktionskatalogs der Sammlung Giesen

    vor, deren Stücke hoffentlich viele neu am Mittelalter interessierte Besitzer finden werden.

    © Frankfurter Münzhandlung Nachf. GmbH, 2021