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EDUARD MÜHLE Die SLAWEN im MITTELALTER ZWISCHEN IDEE und WIRKLICHKEIT

Die Slawen im Mittelalter zwischen Idee und Wirklichkeit

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Page 1: Die Slawen im Mittelalter zwischen Idee und Wirklichkeit

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Die SLAWEN im MITTELALTER

ZWISCHEN IDEE und WIRKLICHKEIT

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Eduard Mühle: Die Slawen im Mittelalter zwischen Idee und Wirklichkeit

© 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, KölnISBN Print: 9783412518981 — ISBN E-Book: 9783412518998

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Page 4: Die Slawen im Mittelalter zwischen Idee und Wirklichkeit

Eduard Mühle

DIE SLAWEN IM MITTELALTER ZWISCHEN IDEE UND WIRKLICHKEIT

Böhlau Verlag Wien Köln Weimar

Eduard Mühle: Die Slawen im Mittelalter zwischen Idee und Wirklichkeit

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek :Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 KölnAlle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung : Die byzantinischen Missionare Kyrill und Method entwerfen die slawische Schrift und übersetzen das Evangelium, Miniatur aus der Radzwiłł-Chronik, 15. Jahrhundert. © Erich Lessing / akg-images

Einbandgestaltung : Guido Klütsch, KölnSatz : Michael Rauscher, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-412-51899-8

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Historischen Instituts Warschau

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Inhalt

1 Prolog: Die Erfindung der Slawen in der Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . 7

2 Fragestellung und Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

3 Die Entdeckung der Slawen im frühen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . 473.1 Slawische Krieger und Siedler in Byzanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493.2 Slawische gentes im Blick des lateinischen Europa . . . . . . . . . . . . 633.3 Slawen in der orientalischen Fernsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

4 Frühslawische Lebenswelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834.1 Archäologie und frühslawische Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 834.2 Offene Siedlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904.3 Wohnbauten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 994.4 Subsistenzwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1024.5 Kult und Glaubensvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1094.6 Lokale Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1154.7 Anführer und Kriegerverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1174.8 Burgen und Handelsplätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

5 Erste slawische Herrschaftsbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355.1 Das protobulgarische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355.2 Westbalkanische Kleinfürstentümer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1465.3 Karantanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1515.4 Das mährische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

6 Die Slawen im Prozess der mittelalterlichen Nationswerdung . . . . . . . 1716.1 Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1736.2 Böhmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1976.3 Kroatien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2226.4 Kiewer Rus’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2396.5 Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2636.6 Serbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

7 Abgebrochene Reichsbildungen und ausgebliebene Nationswerdungen 2977.1 Elb- und Ostseeslawen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2987.2 Pomoranen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3287.3 Balkanslawen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

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6 | Inhalt

8 Die Slawen im nichtslawischen mittelalterlichen Weltbild . . . . . . . . . 3478.1 Byzantinische Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3478.2 Arabisch-islamische Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3548.3 Lateinisch-abendländische Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . 362

9 Ideen von slawischer Gemeinschaft im späten Mittelalter . . . . . . . . . 3819.1 Böhmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3829.2 Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3999.3 Pommern und Mecklenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4119.4 Südosteuropa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4179.5 Kiewer und Moskauer Rus’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434

10 Epilog: Die Erfindung der Slawen im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . 437

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456

Karten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477Geographische Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488Ethnonyme und Personenverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498

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1 Prolog: Die Erfindung der Slawen in der Neuzeit

1525 hielt der Dominikanermönch und Professor der Theologie Vinko Pribojević in der unter venezianischer Herrschaft stehenden Stadtkommune von Hvar eine panegy-rische Rede. Sie war der Verherrlichung seiner Vaterstadt und dalmatinischen Heimat gewidmet. Wie der Redner erklärte, wandte er sich als Dalmatiner (Dalmata), dann als Illyrer (Illyrius) und schließlich als Slawe (ac demum Slauus) an seine Mitbürger. Daher wollte er auch nicht nur von der Vergangenheit der Insel Hvar und Dalmatiens erzäh-len, sondern vor Slawen auch über das Schicksal der Slawen (coram Slauis de Slauorum fortunis) bzw. über die Herkunft und den Ruhm des slawischen Geschlechts (Slauonici generis) sprechen. Die „Nation der Slawen“ (Slauorum natio) fasste er dabei in denkbar breitester Weise. Er rechnete ihr nicht nur fast alle zeitgenössischen slawischsprachi-gen Regionen des nord- und südöstlichen Europa zu, sondern reklamierte auch die Goten, die antiken Makedonier, Griechen, Thraker und Illyrer und damit beispiels-weise Alexander den Großen, Aristoteles, den Hl. Hieronymus und manche römische Kaiser für das Slawentum. Zugleich schrieb er den Slawen eine biblische Abstammung zu und verband ihren Stammbaum mit der Vorstellung, dass die Slawen seit der ba-bylonischen Sprachverwirrung als Nachkommen des Japhet-Sohnes Tiras (Thyre pos-teritas) auf dem Balkan ansässig gewesen seien, der Balkan mithin ihre angestammte Heimat darstelle. Aus dieser Urheimat hätten sie sich im Zuge kriegerischer und ruhm-voller Eroberungszüge in ihre heutigen Wohnsitze ausgebreitet. Dabei hätten sie „dank ihrer Tapferkeit die Arroganz der Perser gedämpft, die Macht der Assyrer und Meder geschwächt, die Überheblichkeit der Ägypter niedergeworfen, die Vorzüglichkeit der Griechen gelähmt, die Grausamkeit der Skythen bezwungen, die große Zahl der Inder überwunden, die Gewandtheit der Spanier besiegt, die Kampflust der Gallier gemäßigt und sich die Erhabenheit der Römer geneigt gestimmt.“ Das „Geschlecht der Slawen“ (Slauonicum genus) präsentiere sich mithin, so rief der Redner seinen Zuhörern zu, in imposanter Macht und Größe.1

Dieses von humanistischer Rhetorik und Gelehrsamkeit getragene Loblied entwarf nicht nur ein „von allslawischem Hochgefühl durchtränktes Bild der Größe und der stolzen Vergangenheit des Slaventums.“2 Es war zugleich der geschichtspolitische

* Alle lediglich einmal begegnenden Quellen und Literaturtitel werden in den Fußnoten vollständig zitiert. Mehrfach begegnende Werke werden mit einem Kurztitel zitiert und im Quellen- und Literaturverzeich-nis vollständig aufgelöst.

1 Oratio fratris Vincentii Priboevii sacrae theologiae professoris Ordinis Praedicatorum de origine succes-sibusque Slavorum, in : Pribojević, O podrijetlu, S. 45–104, die Zitate S. 56, 59, 60, 75 ; der Text ist 1532 in Venedig erstmals im Druck erschienen.

2 Alois Schmaus, Vincentius Priboevius, ein Vorläufer des Panslawismus, in : JfGO 1 (1953), S. 243–254, hier S. 245.

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8 | Prolog

Ver such, bedrohliche Fremdansprüche abzuwehren und das Recht auf politische und kulturelle Eigenständigkeit hochzuhalten – im konkreten Fall : das Bemühen slawisch-sprachiger Dalmatiner, sich der venezianischen und osmanisch-türkischen Über-schichtung zu erwehren und sich dieser in einer slawischen Allianz entgegenzustellen. Dass Pribojević, der sich selbst einige Jahre in Polen aufgehalten hatte, seinen Zuhö-rern den aktuellen polnischen König Sigismund I. (Zygmunt Stary) als Sieger u. a. über die Türken vor Augen stellte, sollte wohl andeuten, dass diese Allianz keine ideelle bleiben musste, sondern zu einem konkreten militärischen Bündnis gegen die Tür-ken ausgestaltet werden könnte. Beides – die Erfindung der Slawen als einer ideellen Gemeinschaft und die politische Instrumentalisierung dieser Gemeinschaft  – haben Vinko Pribojević zum Begründer der modernen Idee von einer durch Herkunft, Spra-che und Kultur begründeten slawischen Gemeinschaft werden lassen.3

Die westliche Entdeckung der Slawen zwischen Barock und Romantik

Während indigene humanistische und frühbarocke Denker wie Pribojević – wenn auch noch ohne größere Wirkung auf ihre Zeitgenossen – erste moderne allslawische Ideen entwarfen4, entwickelte der frühneuzeitliche Westen eine aufmerksamere Außensicht auf die slawischsprachige Welt. Mit dem Beginn der frühen Neuzeit hatten intensivierte dynastisch-politische und ökonomische Beziehungen eine wachsende Zahl von Rei-sebeschreibungen hervorgebracht, die dank des neuen Buchdrucks weite Verbreitung fanden. Sie informierten die Mittel- und Westeuropäer über, wie es 1577 bei Sigismund von Herberstein hieß, der slawischen „Nachbar-Völker Sitten, große Taten – die bisher unbekannt waren – [und] wahrhafte Geschichte.“5 Dabei standen jeweils die einzelnen

3 Vgl. Diels, Die slavischen Völker, S. 83 ; Miroslav Kurelac, Vinko Pribojević i njegovo djelo, in : Pri-bojević, O podrijetlu, S. 9–44 ; Akimova/Mel’nikov, Ideja slavjanskoj obščnosti, S. 13–14 ; Fine, When Ethnicity, S. 223–225.

4 Nachdem 1595 ein slawischsprachiger Seefahrer namens Malaspalli in Venedig eine italienische Überset-zung von Pribojevićs Oratio de origine successibusque Slavorum herausgebracht hatte, publizierte 1601 der ragusanische Benediktinermönch Mavro Orbini (1563–1610) – ebenfalls auf Italienisch – eine Geschichte des slawischen Königreiches : Mauro Orbini, Il regno degli Slavi hoggi corrottamente detti Schia voni, Nachdruck der Ausgabe Pesaro 1601 besorgt von Sima Ćirković/Peter Rehder, München 1985 ; vgl. Giovanna Brogi Bercoff, Królestwo Słowian Maura Orbiniego a europejskie dziejopisarstwo XVI wieku, in : Dies., Królestwo Słowian. Historiografia Renesansu i Baroku w krajach słowiańskich, Izabelin 1998, S. 43–77 ; Domagoj Madunić, Strategies of distinction in the work of Vinko Pribojević, in : Whose love of which country ? Composite states, national histories and patriotic discourses in early modern East Central Europe, hg. v. Balázs Trencsényi/Marton Zászkalicky, Boston 2010, S. 177–202. Später ge-wann insbesondere das Werk des kroatischen Klerikers Juraj Križanić Bedeutung ; zu ihm vgl. die Beiträge in dem Sammelband Juraj Križanić (1618–1683). Russophile and Ecumenic Visionary. A Symposium, hg. v. Thomas Eekman/Ante Kadić, The Hague-Paris 1976 ; Marek Příhoda, Slovanství Juraje Križaniće, in : Slovanství ve středoevropském prostoru, S. 192–202 ; Obšust, Konstrukcija slovenstva, S. 32–37.

5 Sigismund zu Herberstein, Reise zu den Moskowitern 1526, hg. v. Traudel Seifert, München 1966, S. 53.

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9Die Erfindung der Slawen in der Neuzeit |

slawischsprachigen Nationen im Fokus, während das Verbindende – wenn überhaupt – allenfalls in der sprachlichen Verwandtschaft beobachtet und notiert wurde.6

Auch Reformation und Gegenreformation rückten die einzelnen slawischen Volks-sprachen ins Zentrum des Interesses. Nicht gelehrte Spekulationen über eine slawische Urheimat oder eine gemeinsame slawische Identität, sondern die praktische Entde-ckung, Systematisierung und Anwendung der einzelnen slawischen Sprachen musste die Geistlichen beschäftigen, wollten sie die Gläubigen erreichen. So begann man aus verschiedenen Motivationen und Perspektiven mit einer bewussten Erkundung der slawischen Welt, fragte dabei aber insbesondere nach der Entstehung, Entwicklung und Verwandtschaft der slawischen Sprachen. Diese ersten Ansätze einer wissen-schaftlichen Slawenkunde gewannen bald an Intensität. Sie schlugen sich zunächst in kirchengeschichtlich-theologischen Schriften und sprachkundlichen Werken nieder. Neue Gesprächsbücher, Grammatiken und Wörtersammlungen dienten nicht allein dem praktischen Spracherwerb, sondern förderten auch die Konsolidierung und Kodi-fizierung der behandelten Sprache. Sie schufen zugleich die Voraussetzungen für einen systematischen Sprachvergleich, aus dem sich in der Folge die moderne Sprachwissen-schaft entwickeln sollte. Besonders intensiv wurden solche Studien in gemischtspra-chigen bzw. grenznahen Gebieten betrieben. So widmete man sich im Ostseegebiet vor allem dem Polnischen, in Sachsen und der Lausitz dem Sorbischen oder in Nordost-bayern dem Tschechischen. Hier wie dort bildeten jeweils die einzelnen Sprachen und ihre Sprecher, nicht die Slawen als eine imaginierte Großgemeinschaft das Studienob-jekt. Das galt auch für die – noch überschaubare – Zahl von Dissertationen, die nun an verschiedenen Universitäten zur Geschichte, Sprache und Volkskultur einzelner slawischsprachiger Völker verfasst wurden.7

Mit der Aufklärung, die dem vernunftgeleiteten wissenschaftlichen Denken all-gemein zum Durchbruch verhalf, erreichte die Slawenkunde im 18.  Jahrhundert ein neues Niveau. Gefördert durch die wachsende politische und wirtschaftliche Verflech-tung deutscher Territorien mit dem Königreich Polen und dem sich seit Peter dem Gro-ßen dem Westen öffnenden Zarenreich gewann der intellektuelle Austausch an Inten-sität.8 Zahlreiche slawischsprachige Studierende zog es an die aufblühenden deutschen

6 Zur Wahrnehmung des östlichen Europa in der frühen Neuzeit vgl. beispielhaft die Texte in Die ge-lehrte Welt des 17. Jahrhunderts über Polen. Zeitgenössische Texte, hg. v. Elida Maria Szarota, Wien u. a. 1972 ; die Beiträge in dem Sammelband Russen und Rußland sowie Andrej V. Doronin, Das Bild der Russen bzw. Moscoviter auf der historischen und kognitiven Landkarte der deutschen Humanisten 1490–1530, in : Orbis terrarum. Internationale Zeitschrift für historische Geographie der Alten Welt 13 (2015), S. 83–101.

7 Zu den Anfängen einer sprachwissenschaftlichen Slawenkunde in der frühen Neuzeit vgl. Zeil, Slawistik, S. 11–61.

8 Auch in Frankreich, England und Italien wandelte sich im Kontext der Aufklärung das Bild vom östli-chen Europa und der Vergangenheit seiner slawischsprachigen Bewohner ; vgl. dazu Larry Wolff, In-venting Eastern Europe. The Map of Civilization on the Mind of the Enlightenment, Stanford 1994, bes.

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10 | Prolog

Universitäten (nicht zuletzt an die Neugründungen in Halle und Göttingen), während deutsche Intellektuelle in eine rege Kommunikation mit Vertretern der slawischspra-chigen Welt eintraten, die ihrerseits ein neues Interesse an ihrer eigenen Sprache und Kultur entwickelten. Persönliche Kontakte und eine ausgedehnte Korrespondenz wa-ren die Grundlagen, auf der Gottfried Wilhelm Leibniz, einer der herausragendsten Vertreter des neuen Wissenschaftsverständnisses, seine Kenntnisse über slawische Sprachen, Völker und Kulturen bezog. Sein slawistisches Interesse rührte aus dem Wunsch, eine allgemeine Völkergeschichte zu schreiben, für die ihm eine Erforschung der Sprachgeschichte bzw. des Verhältnisses der verschiedenen Sprachen zueinander unerlässlich erschien. Seine zu diesem Zweck vorgenommene Klassifizierung der sla-wischen Sprachen, seine Anregungen zu etymologischen und lexikalischen Studien und seine grundlegenden komparativ-linguistischen Überlegungen brachten erhebli-che Erkenntnisfortschritte. Besondere Aufmerksamkeit widmete Leibniz zeitweise den Dravänopolaben. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wandte er sich – inspiriert von den Reformen Peters des Großen, mit dem er in persönlicher Verbindung stand – vor allem der Geschichte und Gegenwart Russlands zu. Russland und der deutsch-russische wis-senschaftliche Austausch sollten auch ein besonderes Aufgabenfeld der unter Leibniz’ Ägide im Jahr 1700 begründeten Berliner Akademie der Wissenschaften werden.9

Wie sehr „die Slawen“ im allgemeinen Bewusstsein bis zur Mitte des 18.  Jahrhun-derts hinter den immer kenntnisreicheren Bildern von den Russen, Polen, Sorben, den Tschechen, Kroaten oder Serben zurücktraten, zeigt der einschlägige Eintrag in Johann Heinrich Zedler’s „Universal-Lexicon“. Die 1743 im 38. Band dieses wohl ambitionier-testen Unternehmens frühneuzeitlicher Wissensspeicherung publizierten Ausführun-gen definierten und beschrieben die Slawen primär als eine Erscheinung der Vergan-genheit : „Slaven […] war vormahls der Nahme einer mächtigen Nation, die sich durch Ungarn, Pohlen, Ruszien, Preussen, Pommern, Mecklenburg, Böhmen, Schlesien und durch viele andere benachbarte Länder ausgebreitet“ und nur in Teilen Ungarns, „in Dalmatien, Illyrien und den sogenannten Sclavonien […] noch bis jetzo“ erhalten hat.10 Folglich führte der Artikel dem Leser auch nur die frühmittelalterliche slawische Vergangenheit von der Migration bis zur Christianisierung vor Augen und widmete bezeichnenderweise ein Viertel seines Textes einer Schilderung der einstigen gentilre-ligiösen Kultpraktiken. Zu den im Habsburger Reich lebenden zeitgenössischen An-gehörigen der „Slawischen Nation“ wusste der Eintrag nur einige vage Beobachtungen

S. 190, 208–209, 274, 285–320 ; Ders., Venice and the Slavs. The Discovery of Dalmatia in the Age of Enlightenment, Stanford 2001, bes. S. 173–227.

9 Zu Leibniz’ Interesse an den Slawen vgl. Konrad Bittner, Slavica bei G. W. Leibniz, in : Germanoslavica 1 (1931/32), S. 3–32, 161–234, 509–557 ; Eduard Winter/Conrad Grau, Gottfried Wilhelm Leibniz 1646–1716, in : Wegbereiter, S. 25–37 ; Zeil, Slawistik, S. 47–55 ; Malte-Ludolf Babin, Leibniz und das Dravänopolabische, in : Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 72 (2000), S. 191–205.

10 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste, Bd. 38, Leipzig-Halle 1743, Sp. 30–34.

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11Die Erfindung der Slawen in der Neuzeit |

über ihren Fleiß, ihre große Fruchtbarkeit und große Emotionalität mitzuteilen. Damit nahm die Enzyklopädie bereits jene spätaufklärerischen Beschreibungen und romanti-schen Beschwörungen eines „slawischen Volkscharakters“ vorweg, die Historiker und Literaten wie August Ludwig Schlözer und Johann Gottfried Herder bald zu neuzeitli-chen Entdeckern der Slawen werden ließen.

Der seit 1754 in Göttingen, 1761–1767 auch in St. Petersburg tätige Schlözer nahm gleichfalls in erster Linie die russische Geschichte in den Blick. Dennoch hat er mit grundlegenden Quellenstudien und großangelegten Darstellungen maßgeblich zu einer Verwissenschaftlichung der gesamten Slawenkunde beigetragen.11 In seiner auf-geklärt-rationalen Herangehensweise gelang ihm eine wissenschaftlich fundierte Ge-samtschau, die erstmals die slawischsprachigen Völker systematisch geographisch und nach ihrer inneren Verbindung gliederte und ihre Sprachen zutreffend klassifizierte. „Nächst den Arabern“, so betonte er, gebe es „kein Volk auf dem ganzen Erdboden, das sich, seine Sprache, seine Macht und seine Kolonien so erstaunlich weit ausgebreitet“ habe. Dennoch sei „die Geschichte dieses grossen, und so an merkwürdigen Begeben-heiten als zuverlässigen historischen Denkmählern reichen Volkes noch zur Zeit so unbekannt“, dass manche Zeitgenossen „sie [die Slawen] nicht einmal für eingebohrne Europäer erkennen, sondern sie vom Pontus und Caucasus haben herleiten wollen.“12

Die 1771 gedruckte „Allgemeine Nordische Geschichte“, in der sich diese Einschät-zung fand, diente Johann Gottfried Herder als eine zentrale Quelle, als er um die Mitte der 1780er Jahre seinen (1791 publizierten) „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ ein kurzes Slawenkapitel einfügte. Der Weimarer Generalsuperintendent war alles andere als ein slawistischer Experte.13 Weder beherrschte er eine slawische Sprache noch hatten ihm seine ostpreußische Heimat, seine Königsberger Studienjahre oder seine Hilfslehrertätigkeit in Riga mehr als oberflächliche Einblicke eröffnet. Seine knappen Ausführungen, die sich im Übrigen auf die staatenlose Frühgeschichte der Slawen beschränkten und die politische Gegenwart Polens und Russlands ausblende-ten, waren eher ein philosophisch-politisches Statement als eine slawenkundliche Ab-handlung. Dessen Anliegen war es, am Beispiel der Slawen das aufgeklärt-romantische Ideal eines allgemeinen menschlichen Fortschritts zu propagieren. Dieses Ideal impli-zierte die Anerkennung einer besonderen Individualität eines jeden Volkes, das Herder

11 Günter Mühlpfordt, August Ludwig Schlözer 1735–1809, in : Wegbereiter, S.  133–156 ; Reinhard Lauer, Schlözer und die Slawen, in : August Ludwig (von) Schlözer in Europa, hg. v. Heinz Duchhardt/Martin Espenhorst, Göttingen 2012, S. 23–40.

12 August Ludwig Schlözer, Allgemeine Nordische Geschichte, Halle 1771, bes. S. 222–241, das Zitat S. 221–222.

13 Zu Herder allgemein zuletzt Yann Philipp Leiner, Schöpferische Geschichte. Geschichtsphilosophie, Ästhetik und Kultur bei Johann Gottfried Herder, Würzburg 2012 ; Michael Maurer, Johann Gottfried Herder. Leben und Werk, Köln u. a. 2014 ; Kristina Kuhn, Subtexte der Menschheitsgeschichte. Zur Literarisierung von Geschichtsphilosophie bei Immanuel Kant, Johann Gottfried Herder und Christoph Martin Wieland, Bielefeld 2018, S. 299–552.

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als eine organische, wie das menschliche Individuum einem Werden und Vergehen unterworfene Einheit dachte. Dabei sah er die Individualität eines Volkes in seiner ei-genen Sprache und in der in dieser Sprache verfassten Dichtung manifestiert. Deren Sammlung schenkte Herder daher besondere Aufmerksamkeit, hoffte er doch, sein Humanitätsideal auch durch die Verbreitung alter Volkslieder befördern zu können. Früher oder später musste die fortschreitende Humanität, so Herders Vision, dazu füh-ren, „dass in Europa die Gesetzgebung und Politik statt des kriegerischen Geistes im-mer mehr den stillen Fleiß und das ruhige Verkehr der Völker untereinander befördern müssen und befördern werden.“14 Für diese Vision idealisierte er die „slawischen Völ-ker“ als eine überaus fleißige, vollkommen friedfertige „Nation“, als eine Gemeinschaft, die „nach ihrer Art ein fröhliches, musikalische Leben“ geführt [habe], mildtätig, bis zur Verschwendung gastfrei, [ein] Liebhaber der ländlichen Freiheit“ gewesen sei, die aber aufgrund ihres „weiche[n] Charakter[s]“, infolge ihrer „Liebe zur Ruhe und zum häuslichen Fleiß“ von den Nachbarn, vor allem den Deutschen unterdrückt und ihrer Freiheit beraubt worden sei. Das war eine Charakterisierung, deren Topoi sich bereits in frühmittelalterlichen byzantinischen Quellen fanden und in ähnlicher Form auch in anderen zeitgenössischen Werken begegneten. Herder leitete aus ihr aber eine wirk-mächtige Prophezeiung ab, wenn er am Ende seines Slawenkapitels (16. Buch, IV.) den Slawen emphatisch entgegenrief, „so werdet auch ihr so tief versunkene, einst fleißige und glückliche Völker endlich einmal von eurem langen, trägen Schlaf ermuntert, von euren Sklavenketten befreiet, eure schönen Gegenden vom Adriatischen Meer bis zum karpatischen Gebürge, vom Don bis zur Moldau als Eigentum nutzen und eure alten Feste des ruhigen Fleißes und Handels auf ihnen feiern dörfen.“

Ideen von slawischer Gemeinschaft und moderne Nationswerdung

Herders Weckruf an die slawischen Völker wurde von slawischsprachigen Intellektuel-len begeistert aufgegriffen.15 Auch wenn ihre nationale Selbstbewusstwerdung keines-

14 Dies und die nachfolgenden Zitate nach Johann Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, in : Herders Werke in fünf Bänden. Band 4, hg. v. Regine Otto, Berlin-Weimar 1982, S.  393–395 ; zum Slawenkapitel vgl. auch Peter Drews, Herder und die Slaven. Materialien zur Wir-kungsgeschichte bis zur Mitte des 19.  Jahrhunderts, München 1990, bes. S.  43–54, 195–197 ; Ulrich Püschel, „Die Slawischen Völker nehmen auf der Erde einen größeren Raum ein, als in der Geschichte“ – zu Herders „Slawen-Kapitel“, in : Germanoslavica. Zeitschrift für germano-slawische Studien 3 (8) (1996), S. 95–105.

15 Zur Rezeption Herders bei den slawischsprachigen Völkern vgl. Holm Sundhaussen, Der Einfluss der Herderschen Ideen auf die Nationsbildung bei den Völkern der Habsburger Monarchie, München 1973 ; Maria Wawrykowa, Johann Gottfried Herder und die polnische Geschichtsphilosophie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in : ZfS 23 (1978), S. 835–843 ; Karol Rosenbaum, Osudy Herderovej kapi-toly o Slovanoch v českom a slovenskom národnom obrození, in : Slavia. Časopis pro slovanskou filologii 49 (1980), S. 48–56 ; H. Barry Nisbet, Herder’s Conception of Nationhood and its Influence in Eastern Europe, in : The German Lands and Eastern Europe. Essays on the History of their Social, Cultural and

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wegs erst des äußeren Anstoßes bedurfte, haben sie den Gedanken der Gleichberech-tigung aller Völker, das Ideal einer slawisch geprägten Humanität und die Vision einer nationalen Emanzipation gern als autoritative Bestätigung ihres Selbstgefühls aufge-nommen und ihren nationalpolitischen Aspirationen zugrunde gelegt. Ihre Ansprü-che regten sich gegen ein durch die Französische Revolution und die napoleonischen Kriege zwar erschüttertes, aber keineswegs überwundenes Ancien Régime, in dem die slawischsprachigen Völker weiterhin einer unterschiedlich intensiven Fremdherrschaft unterworfen blieben. Allein die ostslawischen Russen besaßen im Zarenreich eine staatliche Eigenständigkeit. Die monarchisch-autokratische Form dieses Reiches hatte die restaurative Unterdrückung – nach innen und außen – allerdings eher verstärkt als slawische Emanzipationshoffnungen befördert. Alle anderen slawischsprachigen Völ-ker blickten entweder wehmutsvoll – wie die Polen, Tschechen, Kroaten, Serben und Bulgaren – auf eine historische, vor längerer oder kürzerer Zeit verloren gegangene Ei-genstaatlichkeit zurück, die es wiederzuerlangen galt, oder begannen, wie Sorben, Slo-wenen, Slowaken und Ukrainer, überhaupt erstmals ein eigenes nationales Bewusst-sein auszubilden.16 Während die auf Preußen, Russland und Österreich aufgeteilten Polen und die zum Habsburgerreich gehörenden Böhmen und Kroaten als ständisch verfasste Adelsnationen immerhin über gewisse Autonomierechte verfügten und die in der Batschka und im Banat unter den Ungarn, d. h. im Habsburgerreich lebenden or-thodoxen Serben begrenzte konfessionelle Privilegien genossen, waren die ins König-reich Ungarn integrierten, also habsburgischen Slowaken, die ebenfalls zu Österreich, genauer zu den Kronländern Steiermark, Kärnten und Krain gehörenden Slowenen, die auf Preußen und Sachsen aufgeteilten Sorben, die im Zaren- und Habsburger-reich, vornehmlich unter einer polnischen Oberschicht lebenden Ukrainer sowie die osmanischer Herrschaft unterworfenen Serben, Bosniaken und Bulgaren als nationale Gruppen politisch gänzlich rechtlos. Sie besaßen zumeist auch keine eigene adlige oder städtische Elite, da sich ihre Oberschichten durchweg an die jeweils tonangebenden, fremdnationalen (deutschen, polnischen, ungarischen, italienischen, griechischen) Eliten assimiliert hatten und sich erst im Ergebnis der so genannten nationalen Wie-dergeburt überhaupt auf ihre jeweilige slawisch-nationale Identität besannen.

Political Relations, hg. v. Roger P. Bartlett/Karen Schönwälder, Basingstoke 1999, S.  115–135 ; Anna Rothkoegel, Johann Gottfried Herder und die panslavistischen Ideen bei den Westslaven, in : Europavisionen im 19. Jahrhundert. Vorstellungen von Europa in Literatur und Kunst, Geschichte und Philosophie, hg. v. Wulf Segebrecht, Würzburg 1999, S.  101–111 ; Lilla Moroz-Grzelak, Herde-rowska filozofia dziejów w „przebudzeniu“ narodów słowiańskich, in : Sophia 6 (2006), S. 15–25 ; Obšust, Konstrukcija slovenstva, S. 65–69.

16 Grundlegend zu den modernen Nationswerdungen im östlichen Europa Miroslav Hroch, Die Vor-kämpfer der nationalen Bewegungen bei den kleinen Völkern Europas. Eine vergleichende Analyse zur gesellschaftlichen Schichtung der patriotischen Gruppen, Prag 1968 ; Ders., Das Europa der Nationen. Die moderne Nationsbildung im europäischen Vergleich, Göttingen 2005 ; Ders., Národy nejsou dílem náhody. Příčiny a předpoklady utváření moderních evropských národů, Praha 2009.

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Zu Beginn des 19.  Jahrhunderts hatten die Versprechungen Napoléons die aufkei-menden nationalpolitischen Hoffnungen weiter genährt, diese am Ende aber überall tief enttäuscht. Nach dem Wiener Kongress wurde die Fremdherrschaft umso drücken-der empfunden. Dessen ungeachtet ist die Vorstellung von einer durch gemeinsame Sprache, Frühgeschichte und Kultur konstituierten slawischen Gemeinschaft, die Idee von der einen slawischen Nation, wie sie seit den 1780er Jahren der böhmische Aufklä-rer und Begründer der Slawischen Altertumskunde Josef Dobrovský vertrat, zunächst nicht primär politisch gedacht und instrumentalisiert worden.17 Den frühen (west-)slawischen Vertretern dieser Idee ging es in erster Linie um die Profilierung und För-derung einer sprachlichen und kulturellen Gemeinsamkeit. Nur in diesem Sinn rief der Slowake Ján Kollár, der 1817–1819 in Jena studiert, tief beeindruckt am Wartburgfest teilgenommen hatte, anschließend als Pfarrer der lutherisch-slowakischen Kirchenge-meinde in Budapest und seit 1849 als Professor für Slawische Altertümer in Wien tätig war, 1824 die „verstreute[n] Slawen“ dazu auf, sich „zu einem Ganzen zusammen[zu]schließen und nicht länger bloß Fragmente [zu] sein.“18 In seinem 1836/1837 entwi-ckelten Konzept einer „slawischen Wechselseitigkeit“ charakterisierte er die Slawen als eine in vier Stämme mit vier Mundarten (Russisch, Polnisch, Tschechisch und Illyrisch, d. h. Serbokroatisch) gegliederte „Nation“, relativierte die politische Dimension der gedachten Einheit aber erheblich. Nicht durch irgendeinen politischen Zusammen-schluss sollte sie realisiert werden, sondern lediglich durch die Förderung von Schulen, Lehrstühlen für slawische Sprachen, Buchhandlungen, Zeitschriften, Kongressen, Rei-sen sowie die Pflege einschlägiger Briefwechsel unter den Intellektuellen.19

17 Josef Dobrovský, Institutiones linguae slavicae dialecti veteris, Wien 1822 ; Ders., Slavín. Botschaft aus Böhmen an alle slawischen Völker oder Beiträge zur Kenntnis der slavischen Literatur nach allen Mundarten, Prag 1806 ; vgl. Eduard Winter, Josef Dobrovský, in : Wegbereiter, S. 175–184 ; Markus Wirtz, Josef Dobrovský und die Literatur. Frühe bohemistische Forschung zwischen Wissenschaft und nationalem Auftrag, Dresden-München 1999 ; zu den Anfängen der Slawischen Altertumskunde bzw. Slawischen Archäologie vgl. Sebastian Brather, Slawenbilder, ‚Slawische Altertumskunde‘ im 19. und 20. Jahrhundert, in : AR 53 (2001), S. 717–751, bes. S. 720–723.

18 Jan Kollár, Slávy dcera we třech zpěwych, Buda 1824 ; zitiert nach Slávy dcera. Lyricko-epická báseň v pětí zpěvích. Z přídavkem básní drobnějších, Praha 1868, S. 183 : Slávové, vy národ zlomkovitý ! / Sily sjednocené dělaji.

19 Ján Kollár, Rozpravy o Slovanské vzájemnosti, hg. v. Miloš Weingart, Praha 1929, S. 39 ; zuerst erschie-nen unter dem Titel O literárnej vzájemnosti mezy kmeny a nářečími slavskými, in : Hronka 1 (1836), S. 39–53 ; erweiterte deutsche Ausgabe : Über die literarische Wechselseitigkeit zwischen den verschie-denen Stämmen und Mundarten der slawischen Nation, Pest 1837 ; eine englische Übersetzung bietet Ján Kollár, Reciprocity Between the Various Tribes and Dialects of the Slavic Nation, hg. v. Alexan-der Maxwell, Bloomington 2008 ; zu Kollár und dem Konzept der slawischen Wechselseitigkeit vgl. auch Ders., Ján Kollár’s Literary Nationalism, ebd., S. 1–67 ; Vladimír Matula, Kollárovská a štúrovská koncepcia Slovanstva a slovanskej vzájomnosti, in : Štúdie z dejín svetovej slavistiky, S. 259–288 ; Elena Várossová, Herders Einfluß in der Slowakei. Kollars Idee der slawischen Wechselseitigkeit als Beförde-rung der Humanität zwischen den Nationen, in : Verdrängter Humanismus – verzögerte Aufklärung, Bd. 3 : Bildung und Einbildung. Vom verfehlten Bürgerlichen zum Liberalismus. Philosophie in Österreich

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Zu letzteren gehörte Kollárs slowakischer Landsmann, Pavel Jozef Šafárik, der 1815–1817 ebenfalls Student in Jena, 1818–1833 Lehrer am serbisch-orthodoxen Gymnasium im südungarischen Novi Sad und seit 1833 in Prag tätig war. Er fundierte das Konzept der slawischen Wechselseitigkeit wissenschaftlich, was ihn (neben Josef Dobrovský und dem an der Wiener Hofbibliothek tätigen Slowenen Jernej Kopitar) zu einem der Gründungsväter der Slawistik werden ließ.20 Seine 1826 auf Deutsch publizierte Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten führte die slawische Einheit als Summe der sprachlich-literarischen Individualitäten aller slawischsprachigen Völker vor Augen. In seinen archäologisch-historisch-ethno-graphischen Studien, vor allem in seinen 1837 zunächst auf Tschechisch publizierten Werk „Slawische Alterthümer“, suchte er das gemeinsame Slawentum dann vor allem in einer quellenkundlich akribisch aufgearbeiteten slawischen Frühgeschichte.21

Anders als Kollár und Šafárik erhofften, beförderte die von ihnen propagierte sla-wische Idee keineswegs den kulturell-mentalen Zusammenschluss aller Slawischspre-chenden. Mochte die Mehrzahl der slawischsprachigen Intellektuellen auch an der Vorstellung festhalten, dass die Slawen im Grunde ein in Stämme aufgeteiltes Volk darstellten, so inspirierten die Beschreibungen slawischer Geschichte, Literatur und Sprache, die ja stets auch die individuellen Charakteristika der einzelnen „slawischen Stämme“ betonten, im Gegenteil doch eher das individuelle nationale Erwachen der einzelnen Völker. Nicht nur die jüngere, um den Preßburger Dozenten für Slawische Sprachen L’udovít Štúr gescharte slowakische Generation deutete die slawische Idee in den 1830–40er Jahren in ein Kampfmittel um, mit dessen Hilfe es in erster Linie die sprachlichen, kulturellen und letztlich auch politischen Interessen der eigenen Nation zu vertreten galt – und dies im Zweifelsfall auch gegenüber anderen slawischsprachi-gen Nationen.22 So wehrten sich die Slowaken mit ihrem von Štúr zur slowakischen Schriftsprache erhobenen Dialekt nicht nur gegen ungarische Magyarisierungsdekrete, sondern grenzten sich auch bewusst von den Tschechen ab. Bei diesen wiederum lehn-ten Denker wie Karel Havlíček einen allslawischen Patriotismus ab, obwohl sie in ih-rer Jugend noch seine begeisterten Anhänger gewesen waren. Den Journalisten Karel

(1820–1880), hg. v. Michael Benedikt u. a., Klausen-Leopoldsdorf 1995, S. 329–341 ; Ján Kollár a slo-vanská vzájomnosť. Genéza nacionalizmu v strednej Európe, hg. v. Tatiana Ivantyšynová, Bratislava 2006.

20 Jozef Hrozienčik, Výzam Šafárikovho diela pre národnú a politickú emancipáciu slovanských národov, in : Štúdie z dejín svetovej slavistiky, S. 237–258 ; Jerzy Strzelczyk, Paweł Józef Szafarzyk (1795–1861) a kwestia jedności słowiańskiej, in : Idee wspólnotowe, S. 71–90 und die Beiträge in Pavol Jozef Šafárik a slavistika. Zborník príspevkov z vedeckej konferencie a dokumentov z osláv 200. výročia narodenia P. J. Šafarika, hg. v. Pavol Petrus, Prešov 1996.

21 Pavol Jozef Šafárik, Slovanské starožitnosti, Praha 1837 ; Paul Joseph Schafariks Slawische Alterthü-mer. Deutsch von Mosig von Aehrendfeld, hg. v. Heinrich Wuttke, Leipzig 1843–1844.

22 Tatiana Ivantyšynová, Idea slovanskej jednoty v diele L’. Štúra, in : L’idea dell’unità, S. 37–51 ; Tibor Žilka, Štúrova predstava slovanskej vzájomnosti, in : Idee wspólnotowe, S. 283–292.

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Havlíček Borovský hatte 1842–1844 eine Reise durch Polen und Russland so gründlich desillusioniert, dass in ihm, wie er 1846 schrieb, der „letzte Funke panslawischer Liebe“ erlosch und er „nach Prag als reiner unnachgiebiger Tscheche zurück[kehrte], mit ei-nem insgeheimen Mißfallen an dem Begriff Slawe.“23

Auch bei den Südslawen drängten nationale Einzelegoismen zu Beginn der 1840er Jahre die slawische Idee deutlich zurück. Diese hatte bei Slowenen und Kroaten, an-satzweise auch bei den Serben im „Illyrismus“ eine besondere Gestalt angenommen.24 Der Begriff ging auf eine Identifizierung der Balkanslawen mit den antiken Illyrern zurück und besaß in den Napoléonischen Provinces Illyriennes, die Slowenen und Kro-aten kurzzeitig in einer französischen Verwaltungseinheit zusammengefasst hatten, einen gewissen aktuellen Realitätsbezug. Der Illyrismus strebte, maßgeblich inspiriert durch die Kroaten Ljudevit Gaj und Janko Drašković, wenigstens eine teilregionale, südslawische Verwirklichung der slawischen Einheitsidee an. Dabei stießen allerdings von Anfang an die Dominanzansprüche der Kroaten und Serben aufeinander. Letztere hatten den Osmanen bereits 1830 einen begrenzten Autonomiestatus abringen können und reklamierten, wie die Kroaten, die slawischsprachige Bevölkerung Bosniens und der Herzegowina für sich. Die aus ihrer mittelalterlichen Reichsgeschichte abgeleitete Konzeption eines Großserbien prallte auf die ähnlich begründete kroatische Vorstel-lung von einem Großkroatien.25 Auch wenn das serbisch-kroatische Verhältnis über die Jahrzehnte nicht ausschließlich konfrontativ gewesen ist, vertrug sich beides wenig mit slawischer Einheit und Wechselseitigkeit. Die Slowenen, in denen der slowenische Dichter Valentin Vodnik die wahren Illyrer sah, widersetzten sich den kroatischen Vor-machtansprüchen ebenso wie die Bulgaren jenen der Serben, mit denen sie im Übrigen nicht nur über die slawischsprachige Bevölkerung Mazedoniens in offenem, zeitweise auch militärisch ausgetragenem Streit lagen. Sowohl bei den Slowenen wie bei den Ser-ben bestanden die Vorkämpfer der nationalen Emanzipation (der slowenische Dich-ter France Prešeren und der serbische Philologe Vuk Karadžić) auf der Profilierung eigener Schriftsprachen, so dass die von Ljudevit Gaj verfolgte, in gewissem Rahmen

23 Zitiert nach Andreas Moritsch, Der Austroslawismus – ein verfrühtes Konzept zur politischen Neu-gestaltung Mitteleuropas, in : Der Austroslawismus, S. 11–23, hier S. 15. Zur Entwicklung der slawischen Idee bei den Tschechen vgl. auch Radomír Vlček, Slovanství, panslavismus a rusofilství při formování moderního českého národa, in : Slovanské historické studie 30 (2005), S. 59–109.

24 Jerzy Pogonowski, Iliryzm i Słowiańszczyzna (Studja nad odrodzeniem chorwackiem), Lwów 1924 ; Illirizm, hg. v. Anna  I. Leščilovskaja/Vladimir  I. Frejdzon, Moskva 1968 ; Arnold Suppan, Der Illyrismus zwischen Wien und Ofen-Pest. Die illyrischen Zeitungen im Spannungsfeld der Zensurpolitik (1835–1843), in : Der Austroslawismus, S.  102–124 ; Anna Pia Maissen, Wie ein Blitz schlägt es aus meinem Mund. Der Illyrismus : Die Hauptschriften der kroatischen Nationalbewegung 1830–1844, Bern 1998 ; Kristian Novak, Višejezičnost i kolektivni identiteti iliraca. Jezične biografije Dragojle Jarnević, Ljudevita Gaja i Ivana Kukuljevića Sakscinskoga, Zagreb 2012 ; Davor Dukić, Illyrozentrismus. Ein ver-borgenes Konzept, in : Konzepte, S. 251–264.

25 Wolf Dietrich Behschnitt, Nationalismus bei Serben und Kroaten 1830–1914. Analyse und Typolo-gie der nationalen Ideologie, München 1980, bes. S. 49–51 ; Obšust, Konstrukcija slovenstva, S. 114–117.

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17Die Erfindung der Slawen in der Neuzeit |

durchaus erfolgreich realisierte Idee einer illyrischen Sprach- und Schriftnormierung die Gegensätze nicht wirklich zu überwinden half.26

Eine ganz eigene Interpretation der slawischen Idee vertraten die Polen, die das allslawische Konzept in erster Linie als Hebel zur Wiedererlangung ihrer eigenen Staatlichkeit begriffen.27 Dabei setzten sie anfänglich auf Russland, unter dessen Ober-herrschaft 1815 große Teile ihres Territoriums in einem „Königreich Polen“ zusam-mengeführt worden waren. Die von adligen Aufklärern wie Stanisław Staszic gehegte Hoffnung, Polen und Russen könnten als die beiden bedeutendsten slawischen Völker gemeinsam eine neue, weil slawisch geprägte Menschheitsepoche herbeiführen, ging unter dem Joch zarischer Unterdrückung freilich rasch verloren.28 An ihre Stelle trat spätestens seit der gescheiterten Erhebung gegen die russische Fremdherrschaft von 1830/31 ein polnischer Messianismus, der den katholischen Polen als der vermeintlich vornehmsten slawischsprachigen und zugleich christlichsten Nation eine besondere Mission zuschrieb. Polnische Romantiker wie der zu Beginn der 1840er Jahre in Paris lehrende Adam Mickiewicz verklärten ihre Nation zum leidenden Messias der Völker, dessen Opfer die Slawen und Europa von dem (als nicht-slawisch, weil als asiatisch-despotisch charakterisierten) Antichrist Russland erlösen würde.29 Gleichzeitig träum-ten polnische Demokraten wie der Historiker Joachim Lelewel von einer slawischen

26 Elena V. Stepanova, France Prešern. Žizn i tvorčestvo, Sankt Peterbrug 2017 ; Duncan Wilson, The Life and Times of Vuk Stefanović Karadzić. Literarcy, Literature, and National Independence in Serbia, Oxford 1970 ; Jovan Kašić, Vuk Karadžić i stvaranje književnog jezika kod Srba, in : Štúdie z dejín sve-tovej slavistiky, S. 415–428 ; Elinor Murray Despalatović, Ljudevit Gaj and the Illyrian Movement, Boulder 1975 ; Heike Fofić, Die Genese der kroatischen Standardsprache im 19. Jahrhundert – Ljudevit Gaj und die Illyrer, Hagen 1990 ; Ludwig Steindorff, Kroatien, Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Regensburg² 2007, S. 101–105.

27 Vgl. Zofia Klarnerówna, Słowianofilstwo w literaturze polskiej lat 1800 do 1848, Warszawa 1926 ; Alicja Kulecka, Między słowianofilstwem a słowianoznawstwem. Idee słowiańskie w życiu intelektual-nym Warszawy lat 1832–1856, Warszawa 1997 ; Justyna Kurczak, Historiozofia nadziei. Romantyczne słowianofilstwo polskie, Łódź 2000 ; Andrzej Wierzbicki, Mit czy rzeczywistość ? „Słowiańszczyzna“ w myśli historycznej polskiego romantyzmu, in : Słowianie, słowiańszczyzna, S.  59–76 ; Lilia Moroz- Grzelak, Bracia Słowianie. Wizje wspólnoty a rzeczywistość, Warszawa 2011, S.  25–85 ; Maciej Mi-chalski, Dawni Słowianie w tradycji polskiej pierwszej połowy XIX wieku. W poszukiwaniu tożsamości współnotowej, Poznań 2013 ; Marta Ruszczyńska, Słowianie i słowianofile. O słowiańskich dyskursach w literaturze polskiego romantyzmu, Kraków 2015.

28 Tomasz Matęglewicz, Stanisława Staszica myśl słowianofilska w latach 1814–1815, in : Slavia Occiden-talis 64 (2007), S. 213–225.

29 Zofia Stefanowska, Legenda słowiańska w prelekcjach paryskich Mickiewicza, in : Pamiętnik Litera-cki 59 (1968), 2, S. 41–55 ; Leszek Kuk, Orientacja słowiańska w myśli politycznej Wielkiej Emigracji (do wybuchu wojny krymskiej). Geneza, uwarunkowania, podstawowe koncepcje, Toruń 1996 ; Andrzej Walicki, Mesjanizm Adama Mickiewicza w perspektywie porównawczej, Warszawa 2006 ; Zbigniew Kaźmierczyk, Słowiańska psychomachia Mickiewicza, Gdańsk 2012.

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Föderation unter polnischer Führung, mit der sie im Grunde aber nichts anderes als eine wiederhergestellte polnische Adelsrepublik anstrebten.30

Die unterschiedlichen sozio-kulturellen Hintergründe und divergierenden poli-tischen Interessen der einzelnen slawischsprachigen Völker standen sich weiterhin einigermaßen im Wege, als die Revolutionsereignisse des Frühjahrs 1848 Europa er-schütterten. Die durch den bürgerlich-nationalen Aufruhr beschleunigten deutschen und italienischen Einigungsbewegungen, die mit ihnen verbundenen Aussichten der Ungarn auf einen magyarischen Nationalstaat und die Hoffnungen der Polen, mit der Revolution eine neue Chance zur Wiedererrichtung ihres Staates ergreifen zu können, versetzten die Vertreter der kleineren slawischsprachigen Völker in erhebliche Sorge. Die Tschechen und Slowenen mussten fürchten, von einem deutschen Nationalstaat absorbiert zu werden, die Slowaken, Kroaten, Karpatho-Ukrainer und die in Ungarn lebenden Serben der Möglichkeit ins Auge sehen, in einem verselbstständigten Ungarn aufzugehen und dabei einer einheitlichen ungarischen Staatssprache unterworfen zu werden. Mit der Vereinigung Italiens und der Wiederherstellung Polens wären zudem nicht nur weitere slawischsprachige Bevölkerungsteile einem fremden Nationalstaat einverleibt worden, sondern auch das Habsburgerreich von der politischen Landkarte verschwunden.

Erst angesichts dieser Aussichten, ja Bedrohungen drängte es die Führer der habs-burgischen slawischsprachigen Nationalbewegungen zu einer gemeinsamen Erörte-rung ihrer Zukunftsperspektiven.31 Bereits Ende März 1848 begaben sich verschie-dene Abordnungen nach Wien, um dem Kaiser ihre politischen Erwartungen und Forderungen vorzutragen. Bei dieser Gelegenheit trafen die in die Reichshauptstadt gekommenen Slawen-Vertreter nicht nur untereinander, sondern auch mit der bun-ten, regen und großen slawischsprachigen Kolonie Wiens zusammen. Als eine dieser Zusammenkünfte Anfang April zu einer von fast 3.000 Personen besuchten nationalen Feier geriet, hielt der mährische Journalist Ludmil Stájský fest : „Die slawische Ein-tracht und Wechselseitigkeit […] beginnt jetzt Wirklichkeit zu werden […]. Die von allen Seiten her drohende Gefahr zwingt uns, dass wir veraltete Eifersucht beiseitelas-sen und uns gegenseitig die Hände reichen, denn nur so werden wir einen Standpunkt einnehmen können, der uns Achtung bei fremden Völkern und Angst bei unseren Feinden hervorruft.“32

30 Henryk Słoczyński, Joachima Lelewela wizija dziejowej roli Słowian, in : Panslawizm wczoraj, S. 55–66 ; Mühle, Inventing Slavic Unity, S. 98–105.

31 Zum Folgenden vgl. die Beiträge in den Sammelbänden Die slavische Idee, hg. v. Andreas Moritsch, Bratislava 1992 ; L’idea dell’unità ; Hans Henning Hahn, Der Austroslawismus : Vom kulturellen Identi-tätsdiskurs zum politischen Konzept, in : Habsburg und die Slavia, hg. v. Gun-Brit Kohler, Frankfurt/M. 2008, S. 49–75.

32 Ludmil Stájský, Z Vidně, in : Týdenník vom 13. April 1848, S. 116–117, zitiert aus : Slovanský sjezd v Praze roku 1848. Sbírka dokumentů, hg. v. Václav Žáček/Zdeněk Tobolka, Praha 1958, S. 16–17, das Zitat S. 16 : „Svornost a vzájemnost slovanská […] počíná již býti skutečností […]. Ze všech stran nám

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19Die Erfindung der Slawen in der Neuzeit |

Der Kroate Ivan Kukuljević-Sakcinski, der Slowake L’udovit Štúr und der Pole Jędrzej Moraczewski griffen im April diese Stimmung unabhängig voneinander in Zagreb, Prag und Posen auf und regten nach dem Vorbild der Frankfurter Paulskirchen-Versamm-lung ein ähnliches gesamtslawisches Treffen an. Tatsächlich versammelten sich Anfang Juni 1848 dann über 350 Vertreter der slawischsprachigen Völker des Habsburgerrei-ches auf der Prager Sophieninsel zu einem ersten „Slawenkongress“.33 Die Versamm-lung, an der als „Gäste“ auch einige nicht-österreichische Vertreter der slawischspra-chigen Welt (wie der polnische, in Posen wirkende Publizist Karol Libelt, der sorbische, zunächst an der Universität Leipzig, dann in Prag arbeitende Slavist Jan Pětr Jordan oder der im Genfer Exil lebende russische Anarchist Michail Bakunin) teilnahmen34, nahm sich drei Aufgaben vor : Sie wollte ein Manifest an die Völker Europas erlassen, in einer Petition an den Kaiser die bestehenden nationalen Forderungen der einzelnen Nationalitäten fixieren und Möglichkeiten einer engeren Kooperation unter den habs-burgischen Slawen erörtern. Die Debatten, in denen immer wieder auch die zahlreichen innerslawischen Streitpunkte zum Vorschein kamen, waren geprägt von der Angst vor der Übermacht eines deutschen Nationalstaates und der Vorherrschaft der „russischen Universalmonarchie“. Auch der polnische Messianismus verschreckte die Kongressteil-nehmer und ließ sie von einer, von Libelt vertretenen umfassenden panslawischen Stra-tegie rasch Abstand nehmen. Stattdessen verständigte man sich unter der Leitung des tschechischen Historikers František Palacký auf eine abgeschwächte, föderal-österrei-chische Variante der slawischen Idee (die erst später als „Austroslawismus“ bezeichnet wurde). Die Grundidee dieser Variante hatte Palacký zuvor bereits in seinem berühm-ten Absagebrief an die Frankfurter Nationalversammlung formuliert. In ihm wies er als „Böhme slawischen Stammes“ das deutsche „Verlangen, Österreich (und mit ihm

hrozící nebezpečí nutká nás, bychom nechavše zastaralých žehravostí vzájemně si ruce podali, nebot’ jenom tak zaujmeme stanovisko, kteréž nám vážnost u cizích národů a strach u nepřátelů našich vynutitit může.“

33 Vgl. Josef Kolejka, Der Slawenkongreß in Prag im Juni 1848. Die slawische Variante einer österreichi-schen Föderation, in : 1848/49. Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. v. Rudolf Jaworski, München 1996, S. 129–147 ; Christian Hannick, Zum Prager Slavenkongress von 1848, in : Habsburg und die Slavia, hg. v. Gun-Brit Kohler, Frankfurt/M. 2008, S. 31–48 sowie die Beiträge in den Sammelbänden The Prague Slav Congress 1848. Slavic Identities, hg. v. Horst Haselsteiner, New York 2000 ; Der Pra-ger Slavenkongress 1848, hg. v. Andreas Moritsch, Wien u. a. 2000.

34 Bernard Piotrowski, Delegacja wielkopolska na zjeździe słowiańskim w Pradze (1848 rok), in : Zes-zyty Naukowe Uniwersytetu im. Adama Mickiewicza. Historia 6 (1964), S.  103–123 ; Vladimir A. D’jakov, Poljaki na Slavjanskom s’ezde 1848 g., in : Slavjanskoe dviženie, S. 49–57 ; Krzysztof Makow-ski/Lech Trzeciakowski, Two Polish Voices on Pan-Slavism in the mid-19th Century : Karol Libelt and Jan Koź mian, in : Approaches to Slavic Unity, S. 47–58 ; Wilhelm Zeil, Jan Pětr Jordan 1818–1891, in : Wegbereiter, S. 273–281 ; Ludger Udolph, Jan Pětr Jordans Panslavismus-Konzeption. Ein Beitrag zum ‚slavischen Diskurs‘ im Vormärz, in : Prozesse kultureller Integration und Desintegration. Deut-sche, Tschechen, Böhmen im 19. Jahrhundert, hg. v. Steffen Höhne/Andreas Ohme, München 2005, S. 231–247 ; Detlef Jena, Michail Bakunin und der Slawenkongreß 1848 in Prag, in : The Prague Slav Congress 1848. Slavic Identities, hg. v. Horst Haselsteiner, New York 2000, S. 81–100.

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Böhmen) […] volkstümlich an Deutschland an[zu]schließen“, als „eine Zumuthung des Selbstmords“ zurück. Zugleich erklärte er die „Erhaltung, Integrität und Kräftigung“ des österreichischen Kaiserstaates für unverzichtbar, denn existierte er „nicht schon längst, man müßte im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst sich beei-len, ihn zu schaffen.“ Freilich müsse dieser Staat, der im übrigen „von der Natur und Geschichte berufen“ sei, „Europa’s Schild und Hort gegen asiatische Elemente aller Art zu bilden“, auch ernsthaft dem „Grundsatz der vollständigen Gleichberechtigung und Gleichbeachtung aller unter seinem Scepter vereinigten Nationalitäten und Confessio-nen“ zur Geltung verhelfen.35 Ganz in diesem Sinn sprach sich der Kongress am Ende für den Fortbestand des Habsburgerreiches aus, verlangte aber dessen Umwandlung in einen trialistischen „Föderativstaat“, der es nicht nur den Deutschen und Ungarn, son-dern auch den Slawen ermöglichen würde, „das teuerste Gut der Menschheit, die freie, selbständige Entwicklung der Nationalität […] in Anspruch [zu] nehmen.“36

Das von Palacký endredigierte, von der Versammlung zwar beschlossene, aber nicht endgültig verabschiedete Manifest forderte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht nur für jedes einzelne Individuum, sondern vor allem für jedes einzelne Volk.37 Der „Bildung eines Slawenstaates“ erteilte der Kongress dagegen im Entwurf seiner Petition an den Kaiser eine deutliche Absage. Manifest und Petition konnten wie auch ein drittes vorbereitetes Kongressdokument, ein „Bundestraktat der österreichischen Slawen“, nicht mehr offiziell verabschiedet werden, da die Versammlung von den kai-serlichen Truppen nach Ausbruch des Prager Pfingstaufstandes am 12. Juni noch am gleichen Tag aufgelöst wurde. So blieb der Kongress formal ohne Ergebnis, wie sich auch die Pläne in Luft auflösten, ihn in jährlichen Treffen zu institutionalisieren. Den-noch sind seine Debatten nicht ohne Wirkung geblieben. Mit der Idee einer Föderali-sierung Österreichs, die der Reichstag von Kremsier 1849 tatsächlich in seinen Verfas-sungsentwurf aufnahm, war – auch wenn sie zusammen mit der Verfassung sogleich wieder kassiert wurde und spätestens im österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 endgültig scheiterte – ein Politikkonzept formuliert worden, das den österreichi-schen Slawen bis zum Ersten Weltkrieg als maßgebliche Richtschnur diente und ihrem Identitätsdiskurs wichtige Impulse verlieh.

Unterdessen führte der kleine Kreis der russischen intellektuellen Elite unter dem Schlagwort „Slawophilentum“ einen eigenen Identitätsdiskurs. Anders als der Begriff

35 Franz Palacký, Eine Stimme über Österreichs Anschluß an Deutschland. An den Fünfziger-Ausschuß zu Händen des Herren Präsidenten Soiron in Frankfurt a.M., in : Ders., Österreichs Staatsidee, Wien 1866, S.  79–86 ; zu Palackýs Konzeption vgl. auch Rudolf F. Wierer, Palackýs staatspolitisches Pro-gramm, in : ZfO 6 (1957), S.  246–258 ; Jiří Kořalka, Palacký und Österreich als Vielvölkerstaat, in : Österreichische Osthefte 28 (1986), S. 22–37.

36 Adresse oder Petition des Slawencongresses in Prag an Seine k. k. Majestät, in : Selbstbild und Fremdbil-der, S. 319–324, die Zitate S. 320, 324.

37 Proclamation der ersten Slavenversammlung in Prag an die Völker Europas, in : Selbstbild und Fremdbil-der, S. 318–319.

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suggeriert, hatte dieser wenig mit den west- und südslawischen Ideen von slawischer Einheit und Wechselseitigkeit zu tun. Diese waren im Zarenreich auch deshalb fast ohne Resonanz geblieben, weil sie der Autokratie ganz unerwünscht erschienen. Einen Zerfall des Habsburgerreiches und einen Anschluss seiner slawischsprachigen Völker an Russland, wie ihn 1848 der eine oder andere russische Slawophile vielleicht erwog, hielt der streng legitimistisch denkende Zar, wie seine militärische Intervention zur Niederschlagung der ungarischen Revolution zeigte, für ganz ausgeschlossen. Slawo-phile wie Aleksej S. Chomjakov, Ivan V. Kireevskij oder Konstantin S. Aksakov hatten im Übrigen kaum Interesse an der Geschichte und Kultur anderer slawischsprachiger Völker. Ihnen ging es in ihrer geschichts- und religionsphilosophischen Auseinander-setzung mit den so genannten russischen „Westlern“ allein um die Frage nach dem Ver-hältnis Russlands zu Westeuropa bzw. um eine Bestimmung des Weges, den Russland mit Blick auf seine historische Mission in Zukunft zu gehen habe. Ihre rigorose Ab-lehnung der aufgeklärt-rationalen Lebensweise des Westens und ihre Verherrlichung der altrussisch-orthodoxen Kultur machten ihre Slawophilie tatsächlich zu einer Rus-sophilie.38

Aber nicht nur bei den Slawophilen rückten andere slawischsprachige Völker allen -falls dann ins russische Blickfeld, wenn sie wie die orthodoxen Südslawen als Ins-tru mente russischer Außenpolitik von Interesse waren. So war auch der nach der russischen Niederlage im Krimkrieg (1856) hervortretende explizite russische Pansla-wismus letztlich nichts anderes als ein Panrussismus, ein die slawischsprachige Welt vereinnahmender großrussischer Nationalismus.39 Diese Variante der slawischen Idee wurde insbesondere von dem Historiker Michail Pogodin und dem Naturwissenschaft-ler Nikolaj Ja. Danilevskij propagiert, aber auch von Literaten wie Fedor Tjutčev und Fedor Dostojevskij vertreten.40 In einem 1857/58 gegründeten Slawischen Wohltätig-keitskomitee fand sie eine institutionelle Basis, die im Mai 1867 in Moskau auch die

38 Vgl. Andrzej Walicki, The Slavophile Controversy. History of a Conservative Utopia in Nineteenth Cen-tury Russian Thought, Oxford 1975 ; Nikolaj I. Cimbaev, Slavjanofil’stvo. Iz istorii russkoj obščestvenno-političeskoj mysli XIX veka, Moskva 1986 ; Slavjanofil’stvo i sovremennost’. Sbornik statej, hg. v. Boris F. Egorov u. a., Moskva 1994 ; Vladimir N. Grekov, ‚Slavjanskaja samobytnost‘‚ i ‚vybor sud’by’ v teorii rannich slavjanofilov (k voprosu o vyjavlenii archetipov), in : Slavjanskaja ideja. Istorija i sovremennost’, hg. v. Vladimir A. D’jakov, Moskva 1998, S. 78–94 ; Adam F. Kola, Słowianofilstwo czeskie i rosyjskie w ujęciu porównawczym, Łódź 2004 ; Laura Engelstein, Slavophile Empire. Imperial Russia’s Illiberal Path, Ithaca-London 2009 ; Sergey Horujy, Slavophiles, Westernizers, and the Birth of Russian Philosophical Humanism, in : A History of Russian Philosophy 1830–1930. Faith, Reason, and the Defense of Human Dignity, hg. v. Gary M. Hamburg/Randall A. Poole, Cambridge 2010, S. 27–52.

39 Michael B. Petrovich, The Emergence of Russian Pan-Slavism 1856–1870, New York 1956 ; Hans Kohn, Die Slawen und der Westen. Die Geschichte des Panslawismus, Wien-München 1956 ; Jelena Milojković-Djurić, Panslavism and National Identity in Russia and in the Balkans 1830–1880. Images of the Self and Others, Boulder-New York 1996, S. 54–95 ; Obšust, Konstrukcija slovenstva, S. 88–97 ; vgl. auch die Beiträge in dem Sammelband Panslawizm wczoraj.

40 Ulrich Picht, M. P. Pogodin und die slavische Frage ein Beitrag zur Geschichte des Panslavismus, Stutt-

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Durchführung eines zweiten „Slawenkongresses“ ermöglichte.41 An ihm nahmen zahlreiche Tschechen, Slowaken, galizische Ukrainer und Südslawen – nicht aber die 1863 in einem erneuten Aufstand den Russen unterlegenen Polen – teil. Nicht wenige Teilnehmer, so der Slowake L’udovit Štúr oder der slowenische Pfarrer und Sprachfor-scher Matija Majar-Ziljski, erhofften sich von einem Zusammengehen mit Russland angesichts des gerade vereinbarten österreichisch-ungarischen Ausgleichs, der die habsburgischen Slawen erneut zurücksetzte, neuen Auftrieb für ihre nationale Sache.42 Allerdings strebten die russischen Panslawen ihrerseits einen slawisch-orthodoxen Großstaat unter Führung Russlands an, der wenig Raum für west- und südslawische Eigenständigkeiten gelassen hätte. Darüber wurden die Teilnehmer des Kongresses auch keineswegs im Unklaren gelassen, erklärten ihre russischen Gastgeber doch die Annahme der Orthodoxie und der russischen Sprache durch alle Slawen zur unver-zichtbaren Voraussetzung für die angestrebte slawische Einheit. Dass der Kongress un-ter diesen Umständen gänzlich erfolglos blieb, konnte nicht überraschen.

Die zarische Regierung versagte sich zunächst eine allzu offene Unterstützung der panslawischen Bestrebungen, erkannte aber durchaus deren legitimationsstiftendes Potential. Im Kontext ihrer Balkanpolitik hat sie in den 1870er Jahren auch Gebrauch von ihnen gemacht, verriet die panslawische Idee in den Augen ihrer Anhänger aber sogleich wieder, als sie 1878 die Hälfte des im Russisch-Türkischen Krieg eroberten bulgarischen Gebietes an die Osmanen zurückgab. Die auf dem Berliner Kongress her-beigeführte Revision des russischen Sieges über die Türken hat dem Panslawismus, der auch innerhalb der russischen Gesellschaft kaum spürbare Wirkung entfaltete, als machtpolitisch-ideologisches Instrument dann vorläufig den Wind aus den Segeln ge-nommen.

Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert unternahmen slawischsprachige Jour-nalisten und Abgeordnete in den Wiener und St. Petersburger Parlamenten einen er-neuten Versuch, die föderal-habsburgische und die imperial-russische Variante der slawischen Idee zu einem Ausgleich zu bringen. Ihr „Neoslawismus“ war einerseits ein

gart 1969 ; Mühle, Inventing Slavic Unity, S. 105–117 ; Tomasz Stefaniuk, Danilewski. Panslawizm i wielość cywilizacji, Lublin 2006.

41 Sergej A. Nikitin, Slavjanskie komitety v Rossii v 1858–1876 godach, Moskva 1960 ; Mieczysław Tanty, Panslawizm, carat, Polacy. Zjazd Słowiański w Moskwie 1867 roku, Warszawa 1970 ; Zofia S. Nenaševa, Slavjanskie obščestva v Rossi v poslednej četverti XIX v., in : Rossijskoe obščestvo i zarubežnye slavjane XVIII – načalo XX veka, hg. v. Ljudmila P. Lapteva, Moskva 1992, S. 33–44 ; Zdenko Zlatar, ‚For the Sake of Slavdom‘ II. M. P. Pogodin and the Moscow Slavic Benevolent Committee : A Collective Portrait of 1870, in : EEQ 40 (2006), S. 255–291.

42 Miloslav Szabó, Der Mythos von Orient und Okzident. Zur „Depotenzierung“ der geschichtlichen Vernunft in L’udovít Štúrs „Das Slawenthum und die Welt der Zukunft“, in : Politische Mythen im 19. und 20. Jahrhundert in Mittel- und Osteuropa, hg. v. Heidi Hein-Kircher, Marburg 2006, S. 243–254 ; Peter Wiesflecker, Die ungewöhnliche Reise des Landpfarrers Matthias/Matija Majar-Ziljski. Die Russlandreise des Slawisten und Geistlichen im Spiegel der Korrespondenz mit seinen Vorgesetzten, in : Carinthia I 196 (2006), S. 453–462.

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Abwehrkonzept gegen den immer offensiveren Wilhelminischen Imperialismus, ande-rerseits eine Reaktion auf die russische Niederlage im Russisch-Japanischen Krieg und die erste Russische Revolution (1905).43 Die veränderte Weltlage legte eine Neubestim-mung der innerslawischen Beziehungen nahe und belebte die bereits im ausgehenden 19.  Jahrhundert insbesondere bei den Tschechen erneut aufgeflammten austro- bzw. allslawischen Diskussionen. Die vorsichtige Liberalisierung und Teilparlamentarisie-rung der russischen Gesellschaft nahm dem Panslawismus zugleich etwas von seiner imperialen, großrussischen Schärfe.44 So sprach sich der russische Journalist Vsevo-lod P. Svatkovskij zu Beginn des Jahres 1906 für eine neue „Slawische Union“ aus, die von russischer Dominanz ausdrücklich Abstand nehmen sollte. Statt großrussischer Vorherrschaft, Orthodoxie und russischer Sprache sollten politische Gleichberechti-gung, religiöse Toleranz und nationale Autonomie für alle Nationen die neue slawi-sche Einheit bestimmen. Mit Blick auf dieses Ziel warb Svatkovskij für wechselseitige Besuchs- und Austauschprogramme, Kongresse, Wirtschaftskontakte, ja sogar für eine Zollunion zwischen Russland und Österreich.45

Dieses russische Entgegenkommen wurde von habsburgischen Slawen wie dem Slo-wenen Ivan Hribar, dem galizischen Ukrainer Mykola Hlibovyc’kyj und dem Tsche-chen Karel Kramář gern aufgegriffen. Vor allem Kramář begrüßte die Aussicht, dass sich Russland und Österreich als die, wie er betonte, beiden größten slawischen Staa-ten gegen den gemeinsamen Feind Deutschland zusammenschließen könnten.46 Auf einem Treffen der slawischen Abgeordneten im Wiener Reichsrat schlug der Textilun-ternehmer und Führer der Jungtschechischen Partei im November 1907 seinen Mit-parlamentariern daher vor, auf die neue slawische Idee zu setzen, die sich das demo-kratische Prinzip Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auf die Fahnen schreibe. Als das

43 Wilhelm Zeil, Der Neoslawismus, in : Jahrbuch für Geschichte der sozialistischen Länder Europas 19 (1975), 2, S. 29–56 ; Caspar Ferenczi, Nationalismus und Neoslawismus in Russland vor dem Ersten Weltkrieg, Wiesbaden 1984 ; Antoni Giza, Neoslawizm a Polacy 1906–1910, Szczecin 1984 ; Irena Gan-tar Godina, Neoslavizem in Slovenci, Ljubljana 1994 ; Rudolf Jaworski, Die polnische und die tsche-chische Variante des Neoslawismus, in : Polen und die böhmischen Länder, hg. v. Peter Heumos, Mün-chen 1997, S. 43–56 ; Andrzej Borkowski, Neoslawizm. Próba realizacji koncepcji polskiej ‚rozumnej ugody‘ i czeskiej ‚polityki pozytywnej‘ w latach 1908–1910, in : Między irredentą a kolaboracją. Polacy w czasach zaborów wobec obcych władz i systemów politycznych, hg. v. Sławomir Kalembka, Olsztyn 2001, S. 165–175 ; Obšust, Konstrukcija slovenstva, S. 216–231.

44 Uwe Liszkowski, Zur Aktualisierung der Stereotype ‚Die deutsche Gefahr‘ im russischen Neoslavismus, in : Rußland und Deutschland. Festschrift für Georg von Rauch, Stuttgart 1974, S.  278–294 ; Zdenko Zlatar, ‚For the Sake of Slavdom‘ : St. Petersburg Slavic Benevolent Society. A Collective Portrait of 1913, in : EEQ 38 (2004), 3, S. 261–298 ; Ders., The Structure and Extent of the Pan-Slav Network in Imperial Russia 1910–1915 : A Preliminary Survey, in : Approaches to Slavic Unity, S. 91–116.

45 V. Svatkosky-Nestor [Vsevolod P. Svatkovskij], L’Union Slave, in : La Revue Slave 1 (1906), S. 4–10.46 Martina Lustigová, Karel Kramář a jeho slovanská politika in : Slovanství ve středoevropském pros-

toru, S. 145–155 ; vgl. auch Martina Winkler, Karel Kramář (1860–1937). Selbstbild, Fremdwahrneh-mung und Modernisierungsverständnis eines tschechischen Politikers, München 2002.

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größte Hindernis zu ihrer Realisierung bezeichnete er den tiefen polnisch-russischen Konflikt, um dessen Überwindung sich (aus jeweils nationalpolitisch-taktischen Mo-tiven) zur gleichen Zeit auch der russische konstitutionell-demokratische Politiker Petr B. Struve und der polnische nationaldemokratische Duma-Abgeordnete Roman Dmowski bemühten.47

So vorbereitet erlebte die neoslawische Idee im Juli 1908 ihren Höhepunkt, als sich 83 Delegierte aller slawischen Nationen (mit Ausnahme der Slowaken, Sorben, der Po-len aus dem deutschen Teilungsgebiet und der Ukrainer aus Galizien) zu einem sehr kurzfristig vorbereiteten zweiten Prager „Slawenkongress“ trafen.48 Die Brünner Ta-geszeitung Lidové Noviny erkannte das Anliegen der Versammlung darin, „aus der slawischen Wechselseitigkeit, welche bisher eine Sache des Gefühls war und ist, einen Hebel zur wirtschaftlichen und kulturellen und dadurch auch des politischen Fort-schritts der slawischen Völker zu machen.“49 In diesem Sinn erörterte man Möglich-keiten einer wirtschaftlichen Kooperation (u. a. das Projekt einer Slawischen Bank und einer Slawischen Industrieausstellung), den Bau von Eisenbahnverbindungen zwischen den „slawischen Hauptstädten“, Perspektiven eines kulturellen und wissen-schaftlichen Austausches, die Gründung gemeinsamer Institutionen und erwog die Organisation eines auf die slawischsprachigen Länder orientierten Tourismus.50 Eine gemeinsame Deklaration beteuerte zum Abschluss der Beratungen „die Lebensfähig-keit und Fruchtbarkeit der Idee einer allgemeinen slavischen Vereinigung“ und hielt es für „unumgänglich notwendig, daß Unstimmigkeiten und Mißverständnisse unter den slavischen Völkern beseitigt werden, was einzig und allein erreicht werden kann durch allgemeine Anerkennung und Anwendung der Grundsätze der Gleichberechti-

47 Irina Macevko, Pol’ski nacional’ni demokrati i neoslavizm (1907–1910), in : Visnyk L’vivs’koho Univer-sytetu. Serija istoryčna 35/36 (2000), S. 221–237.

48 Svetlana M. Falkovič, Sotrudničestvo russkich i pol’skich neoslavistov v slavjanskie s’ezdy načala XX v., in : Slavjanskie s’ezdy, S. 113–127 ; Zofia S. Nenaševa, Slavijanskie s’ezd 1908 g. v Prage i ego mesto v formirovanii ideologii i programmy neoslavisma, ebd., S. 99–112 ; Dies., S’ezd neoslavistov 1908 g. v Prage, in : Slavjanskoe dviženie, S. 171–200 ; Frank Hadler, „… nevertheless, a great theatrical exhi-bition of Slav solidarity.“ Der Prager Slawen-Kongress von 1908 als Hauptaktion des Neoslawismus, in : Approaches to Slavic Unity, S. 131–152 ; Ders., Vernetzungsimpulse aus Fernost – oder wie der 1908 in Prag zelebrierte Neoslawismus mit Rußlands verlorenem Krieg gegen Japan zusammenhing, in : Verges-sene Vielfalt. Territorialisierung und Internationalisierung in Ostmitteleuropa seit der Mitte des 19. Jahr-hunderts, hg. v. Steffi Marung, Göttingen 2014, S. 87–107 ; Elena G. Kostrikova, Geopolitičeskie interesy Rossii i slavjanskij vopros. Idejnaja bor’ba v rossijskom obščestve v načale XX veka, Moskva 2017, S. 41–50, 71–123.

49 Zitiert nach Fischel, Der Panslawismus, S. 524.50 Zofia S. Nenaševa, Vopros o slavjanskom banke i chudožestvenno-promyšlennoj vystavke na Pražskom

s-ezde 1908 g., in : Obščestvenno-političeskie dviženija v Central’noj Evrope v XIX-načale XX v., Moskva 1974, S. 354–363 ; Eduard Kubů/Jiří Novotný/Jiří Šouša, Slavism in National Czech Enterprises in the First Half of the Twentieth Century, in : History and Culture of Economic Nationalism in East Central Europe, hg. v. Helga Schultz/Eduard Kubů, Berlin 2006, S. 185–206.

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gung und der freien Entwicklung jedes Volkes, durch Anerkennung seiner kulturellen und nationalen Besonderheit.“51

Die frommen Wünsche und hehren Hoffnungen lösten sich ebenso rasch in Luft auf wie die ausgetauschten Ideen und geschmiedeten Pläne. Schon drei Monate nach Kongressende holte die (von einer Mehrheit der slawischsprachigen Abgeordneten im Wiener Reichsrat begrüßte) Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Öster-reich-Ungarn die Neoslawen auf den Boden der Realität zurück. Auch die fortgesetz-ten serbisch-bulgarischen und polnisch-russischen Spannungen gaben letztlich dem britischen diplomatischen Vertreter in Wien Recht, der im Juli 1908 nach London be-richtete, dass der Kongress „sehr wenig“ erreicht habe und allenfalls „a great theatrical exhibition of Slav solidarity“ gewesen sei.52 Der Erste Weltkrieg, in dem in den deut-schen, österreichischen und russischen Armeen Hunderttausende slawischsprachige Soldaten gegeneinander kämpften, die Pariser Friedensverhandlungen, auf denen die Wortführer der slawischen Nationen jeweils nur ihr partikulares Nationalstaatspro-jekt im Auge hatten und die im nationalstaatlich neu geordneten östlichen Europa besonders konfliktreiche Zwischenkriegszeit haben einer neoslawischen Solidarität keine Chance gelassen. Mochte der Neoslawismus in der 1918 erfolgten Gründung eines südslawischen Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen (seit 1929 Jugo-slawien) und dessen Zusammenarbeit mit der ersten Tschechoslowakischen Republik (Kleine Entente) auch eine gewisse, partielle Nachwirkung entfaltet haben53, so blieb er letztlich ein nicht realisiertes Projekt.

Slawische Gemeinschaft und deutscher Antislawismus

Eine konkretere Wirkung zeitigten Neoslawismus, Panslawismus und Austroslawis-mus dagegen bei den nichtslawischsprachigen Völkern Europas. In ihren Slawen-Diskursen wurde „Panslawismus“ zu einer Chiffre für alle erdenklichen vom „Sla-wentum“ ausgehenden vermeintlichen Gefahren. Vor allem die Deutschen leiteten

51 Zitiert nach Wilhelm Feldmann, Geschichte der politischen Ideen in Polen seit dessen Teilungen (1795–1914), München-Berlin 1917, S. 383.

52 Public Record Office London, Foreign Office 371/399, zitiert nach Paul Vyšný, Neo-Slavism and the Czechs 1898–1914, Cambridge 1977, S. 120 ; dennoch gab es zwei Jahre später in Sofia noch eine Fort-setzung, vgl. dazu Zofia S. Nenaševa, Sofijskij slavjanskij s’ezd v 1910 g., in : Slavjanskoe dviženie, S. 200–226 ; zum Scheitern des Neoslawismus vgl. auch Claire E. Nolte, All For One ! One For All ! The Federation of Slavic Sokols and the Failure of Neoslavism, in : Constructing Nationalities in East Central Europe, hg. v. Pieter Judson, New York u. a. 2005, S. 126–140.

53 Connie Robinson, Yugoslavism in the Early Twentieth Century : The Politics of the Yugoslav Committee, in : New Perspectives on Yugoslavia. Key Issues and Controversies, hg. v. Dejan Djokić/James Ker-Lindsay, London-New York 2011, S. 10–26 ; John Paul Newman, Forging a United Kingdom of Serbs, Croats, and Slovenes : The Legacy of the First World War and the ‚Invalid Question‘, ebd., S. 46–61 ; Dejan Djokić, (Dis-)Integrating Yugoslavia : King Alexander and Interwar Yugoslavism, in : Yugoslavism. His-tories of a Failed Idea 1918–1992, hg. v. Ders., London 2003, S. 136–156.

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