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Die Somatopathologie der Schizophrenie ~. Von K. F. Scheid, M~inchen. Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 19. Juli 1938.) Wenn eine so junge Wissenschaft wie die Somatopathologie der Schizophrenie zum Thema eines Kongresses wird und sich damit der 6ffentlichen Diskussion aussetzt, so kann ihr dies nur f6rderlich sein. Diejenigen, die sie betreiben, werden durch einen solchen Umstand gezwungen, ein H6chstmal3 von Sorgfalt und Kritik an ihre Arbeit und deren Ergebnisse zu legen. Es wird deswegen racine Aufgabe sein, Ihnen nur gesicherte Tatsachen vorzulegen. Mit Deutungen und Hypo- thesen werden wir so sparsam wie mSglich verfahren. Wie jede Wissen- schaft, so beginnt auch die Somatopatho]ogie mit der Sammlung yon Fakten. Die Zusammenordnung der Befunde unter einheitliche Gesichts- punkte kennzeichnet erst ein sp~teres Stadium der wissenschaftlichen Entwicklung. Wenn ich Ihnen also im wesentlichen gesicherte Befunde und mSglichst wenig Deutungen und Hypothesen vortragen will, sq kommt in mein Referat durch die Jugend unseres Fachgebietes not- wendig eine subjektive Note, in dem Sinne, da0 ich besonders solche Tatsachen betonen werde, die mir selbst stichhaltig erscheinen oder die ich nachpriifen konnte. In den Naturwissenschaften ist es im allgemeinen nicht iiblich, mit einer K1/~rung der Voraussetzungen, die gemacht werden, zu beginnen. Bei den Gegenst/s der sinnlichen Erscheinungswelt ist dies auch nicht n6tig und im wesentlichenAufgabe derPhilosophie. Bei psychischen Tatbest/~nden jedoch, mit denen es die klinische Psychiatric der Schizo- phrenie zu tun hat, werden wir uns die Frage vorlegen miissen : in welcher Beziehung die somatische Forschung zur Klinik und deren zur Zeit geltende Anschauungen stehen soll. Die Schizophrenic ist bekanntlich kein scharf umrissenes Krankheitsbild. Es gibt so viele Schizophrenie- begriffe, wie es psychiatrische Schulen gibt. Die Grenzen gegen die Psychopathie und die abnormen Reaktionen werden verschieden gezogen, das gleiche grit fiir den manisch-depressiven Formenkreis und die sym- ptomatischen Psychosen. ~berall ergibt sich eine Buntheit und Gegen- s/~tzlichkeit der Auffassung, und die Somatopathologie wird vor die Frage gestellt, an welche der psychiatrischen Schulen sic sich anlehnen soll. Ich wfirde diese Frage durch die Erkl/~rung beantworten : an keine. 1 Referat, erstattet auf der 63. Wanderversammlung der siidwestdeutschen Neurologen und Psychiater am 12. Juni 1938 in Baden-Baden. Z. f. d. g. Neut. u. Psych. 163. 39

Die Somatopathologie der Schizophrenie

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Die Somatopathologie der Schizophrenie ~. Von

K. F. Scheid, M~inchen.

Mit 9 Textabbildungen. (Eingegangen am 19. Juli 1938.)

Wenn eine so junge Wissenschaft wie die Somatopathologie der Schizophrenie zum Thema eines Kongresses wird und sich dami t der 6ffentlichen Diskussion aussetzt, so kann ihr dies nur f6rderlich sein. Diejenigen, die sie betreiben, werden durch einen solchen Umstand gezwungen, ein H6chstmal3 von Sorgfalt und Kri t ik an ihre Arbeit und deren Ergebnisse zu legen. Es wird deswegen racine Aufgabe sein, Ihnen nur gesicherte Tatsachen vorzulegen. Mit Deutungen und Hypo- thesen werden wir so sparsam wie mSglich verfahren. Wie jede Wissen- schaft, so beginnt auch die Somatopatho]ogie mit der Sammlung yon Fakten. Die Zusammenordnung der Befunde unter einheitliche Gesichts- punkte kennzeichnet erst ein sp~teres Stadium der wissenschaftlichen Entwicklung. Wenn ich Ihnen also im wesentlichen gesicherte Befunde und mSglichst wenig Deutungen und Hypothesen vor t ragen will, sq kommt in mein Refera t durch die Jugend unseres Fachgebietes not- wendig eine subjektive Note, in dem Sinne, da0 ich besonders solche Tatsachen betonen werde, die mir selbst stichhaltig erscheinen oder die ich nachpriifen konnte.

In den Naturwissenschaften ist es im allgemeinen nicht iiblich, mit einer K1/~rung der Voraussetzungen, die gemacht werden, zu beginnen. Bei den Gegenst/s der sinnlichen Erscheinungswelt ist dies auch nicht n6tig und im wesentl ichenAufgabe derPhilosophie. Bei psychischen Tatbest/~nden jedoch, mi t denen es die klinische Psychiatr ic der Schizo- phrenie zu tun hat, werden wir uns die Frage vorlegen miissen : in welcher Beziehung die somatische Forschung zur Klinik und deren zur Zeit geltende Anschauungen stehen soll. Die Schizophrenic ist bekanntlich kein scharf umrissenes Krankheitsbild. Es gibt so viele Schizophrenie- begriffe, wie es psychiatr ische Schulen gibt. Die Grenzen gegen die Psychopathie und die abnormen Reaktionen werden verschieden gezogen, das gleiche grit fiir den manisch-depressiven Formenkreis und die sym- ptomatischen Psychosen. ~bera l l ergibt sich eine Bunthei t und Gegen- s/~tzlichkeit der Auffassung, und die Somatopathologie wird vor die Frage gestellt, an welche der psychiatrischen Schulen sic sich anlehnen soll. Ich wfirde diese Frage durch die Erkl/~rung beantworten : an keine.

1 Refera t , e r s t a t t e t auf der 63. W a n d e r v e r s a m m l u n g der s i idwestdeutschen Neurologen und Psychiater am 12. Juni 1938 in Baden-Baden.

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Die Somatopathologie mull bei der heutigen Lagc der klinischen Psychia- trie autonom bleiben, d. h. sic wird an die heute als Schizophrenic be- zeichneten Psychosen so herangehen, als handle es sich um eine Gruppe v611ig unbekannter, neuer k6rperlicher Erkrankungen. Anderenfalls kommt der Somatopathologie treibende Schiller in die Gefahr, etwa die Anschauungen seines psychopathologisch bzw. klinisch orientierten Lehrers best/~tigen zu mfissen. Wenn wir an die schizophrenen Psychosen ohne Beniltzung eines dcr bisherigcn klinischen Systeme herangehen, so wird uns selbstversti~ndlich das psychopathologische Bild der Erkrankungcn nichi~ gleichgilltig sein. In3 Gegenteil, wir werden es auf das genaueste zu beschreiben versuchen und besonders seine Entwicklung in zeitliche Beziehung zu den kSrperlichen Yer/inderungen setzen. Wir lehnen nicht die Psychopathologie ab, sondern nur die aus psychopathologischen Tatbest/inden a]lein erschlossenen und unserer Meinung nach verfrilhten nosologischen Hypothesen.

I)azu kommt noch eine zweite klinische Grundvoraussetzung, mit der die Somatopathologie ihre Arbeit beginnen sollte. Die Schizophrenic ist bekanntlich eine Krankheit, die die verschiedenartigsten Verl/~ufe nimmt, die durch die verschiedensten Stadien hindurch geht und zu verschiedenen Zeiten ganz verschiedene klinische Bilder erzeugt. Es ist bisher sehr wenig dabei herausgekommen, wenn man einen k6rperlichen Befund einfach statistiseh-diagnostisch auswertet, etwa die Frage stellt, wie ist die BlutkSrperchensenkungsgeschwindigkeit bei der Schizophrenic besehaffen. Man hat sich durch grobe Einteilung der schizophrenen YeI- 1/~ufe geholfen, etwa in akute und chronische, in aktive und inaktive Pha- sen, in beginnende und alte Psychosen. l)iese Einteilung ist rein eindrueks- miillig und subjektiv, sic kann meines Erachtens deswegen keine rechte Grundlage filr die somatopathologische Arbeit bilden. Es schien vielmehr gerechtfertigt, die schizophrenen Verl/iufe nach einem einfach feststell- baren k6rperlichen Kriterium selbst einzuteilen. Bei meinen zahlreichen Temperaturmessungen fiel mir immer wieder auf, dab bestimmte akute Bilder regelm/illig mit Temperaturerh6hung einhergehen, und ich habe deswegen vorgeschlagen, diese Stadien vorl/~ufig unter dem Namen der ,,/ebrilen Episoden" zusammenzufassen. I)er Begriff ist natiirlich rein deskriptiv und keineswegs nosologisch gemeint, er erleichtert aber die klinische Verst/~ndigung. Wenn ich z. B. yon ,,febrilen stupor6sen Epi- soden" spreche, so meine ich damit nicht jene jahrelangen mutazistischen Anstaltskatatonien, die normale Temperaturen aufweisen, sondern akute, organisch wirkende psychische Bilder. Wenn man yore katatonen Stupor schlechthin spricht, so besteht die grolle Gefahr aneinander vorbeizu- reden. Unbekiimmert um alle bisherigen hypothetischen nosologischen Abgrenzungsversuche innerhalb und an den Grenzen der Schizophrenie- gruppen mull naeh meiner Ansicht die Somatopathologie erst einmal die k6rperlichen St6rungen bei diesen febrilen Episoden kl/iren, weil hier

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naturgem~l~ die meisten Aussichten vorhanden sind, etwas zu finden. Eine einzige Differentialdiagnose kann die Somatopathologie allerdings heute schon yon sich aus wenigstens grunds~tzlich stellen: n~mlich die gegen die symptomatischen Psychosen. I m Gegensatz zu diesen sind die Temperaturerh6hungen der febrilen Episoden nicht durch eine in der inneren Medizin bekannte Erkrankung hervorgerufen, sondern mfissen als der Ausdruck eines neuen bisher nicht rubrizierbaren Leidens der speziellen Pathologie aufgefaBt werden. Diese Tatsache verlangt eine genaue internistische Untersuchung der Kranken. Hierin ist uns Crjessing, wie iibrigens in vielem, als erster vorangegangen.

]Die Methode der Wahl bei der Durchuntersuchung febriler schizo- phrener Episoden auf eine Stoffwechselst6rung irgendwelcher Art ist die Reihenuntersuchung. Es ist v611ig .sinnlos, irgendeinen Stoff im Blur allein zu best immen, etwa die Gallens~uren, womSglieh in den ver- schiedensten Stadien eines sehizophrenen Verlaufs, dann statistisehe Be- ziehungen zur Diagnose zu suehen und auf diesem schwankenden Fun- dament eine unhal tbare These zu bauen. Es ergibt sieh bei dieser Arbeits- methode jenes trfibe und abschreckende Bild, das aus den so gewissen- haften Referaten des , ,Handbuchs der Geisteskrankheiten" zu entnehmen ist: n/~mIich v61tig sich widersprechende Ansichten.

Die auf Grund der eben entwickelten methodischen Voraussetzungen bisher erhobenen Befunde lassen sich in 3 Gruppen einteilen.

1. ]Die Allgemeinreaktionen yon seiten des Organismus. Hierher geh6rt das Fieber, die Blutk6rperehensenkungsgesehwindigkeit, das Ver- halten der Eiweil~k6rper des Blutplasmas, der Puls, das wefl]e Blutbild.

2. ]Der H/~moglobin-Stoffwechsel, fiber den wir dureh die Unter- suchungen yon Jahn, Greying und mir heute schon einiges wissen.

3. ])er gesamte Stoffwechsel und der Stiekstoffhaushalt, Ergebnisse des Gasstoffwechsels, Versuche der Stickstoff-, Schwefel- und Phos- phorbilanz, ein Gebiet, das vor allem Gjessing bearbeitet hat.

Wir beginnen mi t der Sehilderung der Allgemeinreaktionen von seiten des Organismus, und ich bitte, zuni~chst die projizierte Tempera turkurve (Abb. 1) zu betr~ehten. Es handelt sich um einen 19 Jahre alten jungen Mann, der in regelm/~Bigen Abst/~nden yon etwa 3- 4 Wochen an kurzen schizophrenen Schfiben erkrankte und w~hrend dieser Zeit ein paranoid- haUuzinatorisches Bild bot, w~hrend er in der freien Zeit den Eindruck eines blanden Hebephrenen ohne greifbare psyehotische Inhal te machte. In der Abb. 1 sind die aku t psyehotisehen Zeiten grau get6nt, und wir sehen mit Leichtigkeit , da~ die Tempera turkurve diese Zeiten mit fast mathemat ischer Genauigkeit widerspiegelt. Sie erhebt sieh zu Werten bis zu 40 ~ w~hrend in der interepisods Zeit der Normalwert yon 37,5 0 - - auf dieser und auch auf den folgenden Kurven dureh einen Quer- strich gekennzeichnet - - niemals fiberschritten wird. Zugleich mit der Tempera tur erhebt sich der Puls zu pathologischen Werten. Endlich

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sehen wir auf der Abb. 1 noch die serienm/~13ige Untersuchung der Blut- k6rperchensenkungsgeschwindigkeit. Besonders deutlich sind die Ver- h/~ltnisse der beiden letzten Episoden: Verktirzung zu Beginn des Schubes, erhebliche Beschleunigung w/ihrend des Schubes, die verh/iltnism/iBig sehr rasch zuriickgeht. In der interepisod/~ren Zeit sind die Werte leicht erhSht. Wir finden hier also ein verh/~ltnism/~Big charakteristisches BlutkSrperchensenkungsbild, das allerdings zahlreiche andere Krank- heiten der speziellen Pathologie auch zeigen. Zugleich wird an diesem

Abb. 1.

Beispiel auch deutlich, wie wenig Sinn es hat, bei einer grol~en Zahl yon Schizophrenen nur ein einziges Mal diese Reaktion ~uszufiihren und Beziehungen zur Diagnose zu suchen; es bleibt dann n/imlich vSllig dem Zufall iiberlassen, in welchen Teil des Blutk6rperchensenkungsbildes man hineinkommt, da sich die Plasmastabilit/it schon in wenigen Tagen ganz erheblich /s kann. Auf diese Weise erkl/iren sich zwanglos die widersprechenden Angaben der Literatur.

Man wird sich natiirlich fragen miissen, ob die yon uns registrierten Temperaturen durch irgendwelche sekunddren Ums~nde bedingt sind. Es ist lange Zeit immer wieder darauf hingewiesen worden, dab kSrper- liche Befunde bei Schizophrenen durch die ,,Erregung" bedingt seien. Fiir die TemperaturerhShung im vorliegenden Fall kann eine solche Deutung mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Psychisch bedingtes

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Fieber von derart igen AusmaBen gibt es nicht. Die iVfuskelbewegung, die solehe Kranken ausfiihren, ist nieht, wie dies bisher teilweise ange- nommen wurde, mi t der yon Sportlern geleisteten Arbeit zu vergleichen. Man fibersehatzt im aUgemeinen die Ton derartigen Kranken wirklich ge- leistete Muske]arbeit, die natfirlich nicht an dem St immaufwand gemessen werden darf. Weiterhin ist es eine Grundtatsache der Physiologie, dab durch Muskelbewegung keine TemperaturerhShung bedingt wird. Die Ursachen des Fiebers liegen ja gerade nicht in einer Steigerung der Oxydationprozesse, sondern in einer veranderten Einstellung des Re- gulationszentrums, l~icht zu verwechseln mit dem bei unseren Fallen zweifellos echten Fieber sind die durch WarmeabgabestSrungen bedingten Hyper thermien , etwa bei Gepackmarschen. Die W/s unserer immer sehr leicht gekleideten Kranken ist abet in keiner Weise im Gegen- satz zu der des in gesehlossener Kolonne marschierenden Soldaten be- hindert. StuporSse Kranke, etwa solche die lediglieh ablehnend und mutazistisch im Bet t liegen, zeigen fibrigens genau die gleichen Verhalt- nisse, wovon wir uns in ]~bereinstimmung mit G]essing durch sorgfaltige Untersuchungen fiberzeugen konnten. Es kann also keine Rede davon sein, dab die Tempera tu r des vorliegenden Falles durch die ,,sinnlose Erregung" bedingt ist. Man wird fibrigens das vielleicht praktiseh brauchbare, aber durchaus verschwommene und unklare Wor t , ,E r regung" am besten aus dem Sprachschatz der klinischen Terminologie streichen.

Es ist weiterhin der Einwand gemacht worden, es kSnne die Tempe- ra tur durch Begleitkrankheiten, insbesondere dureh unerkannte /okale In/ekte bedingt sein. Der Einwand wiegt sehwerer als der vorige. Ganz zweifellos kSnnen dentale oder tonsillare Herde aueh beim Normalen subfebrile Tempera turen erzeugen. ])erartigen hochfebrilen Zustanden wie bei diesem Fall liegen aber in der inneren Medizin regelm/iBig massive Veranderungen zugrunde, die sich diagnostisch erfassen lassen. I m vorliegenden Falle fiel aber die Untersuchung auf eine Begleitkrankheit vSllig negat iv aus. Zudem maehte es schon der Verlauf der Tempera tur unwahrscheinlich, dab ein bekanntes internes Leiden vorliegt. Ein fokaler In fek t ist schon deswegen unwahrscheinlieh, weil es nieht verstand- lich ware, warum es in ganz regelmaBigen Abstanden zu einer Exa- cerbation kommen sollte. Eine psychogene , ,Hochschwemmung" uner- kannter fokaler Xnfekte seheint mir hSehst unwahrseheinlich zu sein. Man wird also nieht umhin kSnnen, das im vorliegenden Falle auftretende Fieber als Ausdruck eines bisher nicht rubrizierbaren Leidens der spe- ziellen Pathologie aufzufassen. Das gleiche gilt auch fiir die BlutkSrper- ehensenkungsgesehwindigkeit, die bei Infektionen iibrigens meist viel langsamer zurfickgeht als bei febrilen schizophrenen Schiiben.

Ich habe die hier nur sehr kurz und summarisch vorgetragene Ansicht fiber die Bedeutung des Fiebers in meiner Monographie ausffihrlieh behandelt. Es sei hinzugefiigt, dab es mir viel zu einfach und kurzschlfissig

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erseheint, die Temperaturen als , ,zentral" zu bezeichnen. Ein solches Sehlagwort wird der verwickelten Pathologie des Fiebers nicht gereeht. Ich mSehte nun noch eine zweite ghnliche Tempera tu rkurve zeigen, die nicht yon mir, sondern von Gjessing s t a m m t und die deswegen yon besonderer Wichtigkeit ist, weft Gjessing mit einer fast unglaublichen Miihe vor der Beobachtung alle als fokale Herde in Betracht kommenden Organe entfernt hat. Wir sehen bei der 2. Kurve (Abb. 2) grundsgtzlich die gleichen Verhgltnisse wie bei der ersten. Auch hier erhebt sich die Tempera tur zu subfebrilen oder febrilen Werten. Der Puls steigt eben- falls w/~hrend der Episoden an, denen psychopathologisch ein akutes

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A b b . 2.

klinisches Bild entspricht. Auch hier ist eine, wenn auch etwas unregel- mgl~igere Periodizitgt deutlich; wghrend in den interepisodgren Zeiten die Tempera tur den Normalwert yon 37,50 nicht iiberschreitet und nach Abheilen der Psychose (unterster Teil der Kurve) ebenfalls niemals fiber den Normalwer t ansteigt. Wie ich schon erwghnte, sind die Fglle yon G]essing wegen der vorangegangenen sehr sorgfgltigen Defokalisation yon besonderer Bedeutung.

Endlich habe ich noch die Tempera turbewegung yon Gesunden fiber Wochen hindurch verfolgt (Abb. 3). Wir sehen, dab auch hier die Ziffern niemals fiber den •ormalwert von 37,5 ~ steigen, auch nicht bei einer schweren abnormen Reaktion, die wghrend der grau getSnten Zeit heulend und jammernd auf der unruhigen Abtei lung gehalten werden muBte und die im AnschluB an eine Brandst i f tung aufgetreten war. Wir sehen an dieser Abb. 3 zugleich noch die normale Schwankungsbreite der serienmgBig ausgefiihrten BlutkSrperchensenkung, die wiederum im psychogenen Ausnahmezustand durchaus innerhalb der Norm liegt.

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Wir kSnnen also zusammenfassend sagen, dal3 bei der Schizophrenie zu bestimmten Zeiten Temperaturen und Veriinderungen der Plasma- stabiIit~t auftreten, die ein erhebliches Ausmal3 annehmen kSnnen, und zwar ein Ausmafl, wie man es sonst nur bei schweren inneren Erkran- kungen findet. Die kSrperlichen Ver~nderungen sind als Ausdruck der der Schizophrenie zugrunde liegenden Krankheit des ,,morbus dementiae praecocis" aufzufassen.

Abb. 3.

Die Zeit verbietet es mir, auf die fibrigen Allgemeinreaktionen yon seiten des Organismus einzugehen. Es sei nur noch kurz das wei[3e Blut- bild erw~hnt. In ~bereinstimmung mit G]essing fand ich wghrend der febrilen Episoden eine ms Leukoeytose (10000--12000) mit rela- tiefer Vermehrung der segmentkernigen Leukocyten, wi~hrend eine Links- verschiebung im Gegensatz zu den eitrigen Infekten kaum zu beobachten ist. In der interepisod~ren Zeit besteht eine Leukopenie, d .h . eine

Abnahme der weiBen BlutkSrperchen mit relativer Lymphocytose. Wir sehen also aueh hier wieder, wie die Herausarbeitung der febrilen Episoden einen sicheren Bezugspunkt ffir die Zuordnung kSrperlicher Befunde abgibt und wie sinnlos es ist, nach dem Blutbild bei der Schizophrenie sehlechthin zu fragen.

Nach der Beschreibung der Allgemeinreaktionen yon seiten des Or- ganismus kommen wir nun zur Darstellung des Hgmoglobinsto//wechsels, den Jahn, Grevin 9 und wir selbst eingehend untersucht haben und fiber

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den wir uns schon heutc ein recht gutes Bild machen kSnnen. Wir bc- ginnen mit den Vcr/~ndcrungcn, die am r o a n Blutbild zu beobachtcn sind. Ich zcige in der n~chstcn Abbildung (Abb. 4) die Tempera turkurve eincs

30j~hrigcn schizophrcnen Man- ncs, tmi dem sich die febril~-~n Schiibc in schr viel kflirzeren Zwi- schenr~umen aneinandcr reihen. W/~hrcnd der grau gct6ntvn Ab- schnitte bcstand ein aku t hallu- zinatorischcs, kata tones Bild, in der intcrepisod/~ren Zeit (weft] ge- tSnt) war der Kranke hcbephren zcrfahren, lmeinsichtig, aber frci von akut psychotischen Erlebnis- sen. Wir sehen auch Flier wittier cinc deutlicho Pcriodiziti~t, dic im Verlauf dcr sp/~tcren Erkran- kung noch deutlicher hcraus ge- kommen ist. Die Temperatur- und Pulskurve 1/iBt wiederum die Episoden gut erkcnncn. Auch das Blutk6rperchensenkungsbild ist w/~hrcnd (ter 3 lctztcn Episodcn schr charakt<~ristisch, w~thrcnd am Anfang einige Unrcgehn~i]igkciten auftreten.

])ic n/ichs~ Abbihtung (Abb. 5) zcigt die Vcrh/~ltnisse am r o a n Blutbild. Wir sehcn zun/~chst an dcr obersten Kurve, (tab (tie Zahl (ter rotcn Blutk6rpcrchcn im Vcr- lauf dcr Erkrankung deutlich ab- nimmt, wcnn wir zun/~chst t in- real yon den Schwankungcn ab- schcn. Dic 2. und 3. Kurve s~l lcn den F/~rbeindex und die Gr6Bc, das Volumcn des cinzelnen rote Blutk6rperchen(tar. Wir bemerken einen parallelcn Anstieg dieser bci- den Kurvcn, d .h . die roten Blut- kSrperchen werden im Vcrlauf dcr

Erkrankung gr6Ber und h/i~moglobinrcichcr. Wcnn wir nun die ein- zelnen Schwankungen dcr Kurvcn genauer betrachten, so wird dcutlich. dab zu Beginn der E p i s t l e ~ | e r schon in dcr interepisod~iren Zeit die

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Zahl der roten BlutkSrperchen im Kubikmill imeter ve rmehr t ist. Die Ziffern liegen bei den ersten beiden Episoden fiber 6 Mill., w/~brend sie am Ende des febrilen Schubs auf die Zahl yon 4 Mill. heruntergehen. Wir linden also vor oder zum Beginn der Episo- deneine ausgesprochene Erythrocytose, auf die Jahn schon vor uns auf- merksam gemacht hat, am Ende eine leichte aber deutliche An~mie. Aueh die Kurven des F~rbeindex und des Erythrocytenvolu mens weisen Schwankungen auf, die in eindeutiger Beziehung zu den Epi- soden stehen : zu Beginn der Einlage liegen die Werte niedrig, w/~hrend und oft nach der Epi- sode hoch. Mit anderen Worten: am Anfang sind die roten Blutk6r- percben kleiner und h/~- moglobin/~rmer, sp/~ter gr6Ber und h/tmoglobin- reicher. Es k o m m t am Anfang des Sehubes zu einem Absinken des F/~rbeindex, eine Tat- sache, die wir als Fdirbe- indexsturz bezeichnet haben. DiesesVerhalten legt den SehluB nahe, dab es am Anfang der Episode zueiner raschen und fiberstiirzten Neu- bildung yon roten Blut- zellen kommt , die ge- rade wegen ihrer fiber- stiirzten Bildung klein und h/~moglobinarm sind. Junge Blutk6rper- chert haben noch andere tells morphologische, teils physikaliseh-ehemi- sehe Eigensehaften. 1. Sie enthal ten Reste yon Kernsubstanz, die sieh

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durch Vitalf~rbung darstellen lassen. Man nennt diese kernsubstanz- haltigen roten BlutkSrperchen die sog. Retikulocyten. Betrachten wir die Kurve (4. Kurve der Abb. 5) der I~etikulocyten, so sehen wir, wenigstens w~hrend der ersten beiden Episoden eine deutliche Zunahme. (Der Nor- malwert ist dutch einen Querstrich gekennzeichnet.) In anderen Fi~llen ist die Bewegung der Ret ikulocyten noch ausgepr~gter. Insbesondere land Jahn bei den t6dlichen schizophrenen Episoden, die wit febril- cyanotische heiBen, eine erhebliche Retikulocytose. 2. Junge BlutkSrper- chen sind weiterhin gegen die Einwirkung yon hypotonischen Kochsalz- 15sungen wesentlich resistenter als ~tltere Zellen. In der unters ten Kurve tier Abbi]dung sehen wir die Resistenzkurve dargestellt, und wir bemerken, dab diese im Verlauf der Erkrankung immer mehr zunimmt. SchlieBlich t r i t t bei einer Kochsalzkonzentrat ion von 0,42 % noch keine AuflSsung der Erythrocyten ein, ws normale BlutkSrperchen schon in einer Kochsa]zlSsung yon 0,48% hs werden. 3. Endlich a tmen junge rote Blutk6rperchen wegen der in ihnen vorhandenen Kernbr6ckel s tarker als normal ausgereifte Zellen. Wir haben derartige Versuche an einigen anderen F~llen ausgefiihrt und gefunden, dab zur Zeit des Fs also ganz zu Beginn der Episode die Sauerstoffzehrung der Erythroeytenerhebl ich erhSht ist, um dann schon nach wenigenTagen wieder zu verschwinden. Zusammenfassend kSnnenwir also sagen, dal] die Reihenuntersuchungen am roten Blutbild ganz eindeutig ergeben haben, dab es zu Beginn akut einsetzender febriler Schtibe zu einer fiberstiirzten Ausschiittung kleiner, h~moglobinarmer roter Blutk6rperchen kommt . Noch viel deutlicher scheinen die Verh~ltnisse zu sein, wenn man Gesamt- Blutmengenbest immungen ausfiihrt. Zu Beginn febriler Schiibe ist die Gesamt-Blutmenge manchmal erheblich vermehrt , w~hrend des Ab- klingens des Schubes ausgesprochen vermindert . Wir kommen auf diese Yerh~ltnisse noeh zuriick. I m vorliegenden Falle ergab eine Best immung am 22.11. eine zirkulierende Hb-Menge yon e twa 1400 g, w~hrend sich 12 Tage sp~ter nur noch rund 400 g H b in der Blutbahn befanden, d . h . wi~hrend dos Schubes ist rund 1 kg Hb, beziehungsweise die diesem Weft entsprechende Zahl yon roten BlutkSrperchen aus der Blutbahn verschwunden. Diese Verh~iltnisse legen den Geclanken nahe, daft es wdhrend der /ebrilen Schiibe zu einem erh6hten Zer/all von roten Blut]c6rperchen und zu einem vermehrten Abbau yon Hdmoglobin Icommt. Ist dieser Schlufl riehtig, so mi~ssen im Serum, im Stuhl und im Urin die Abbauprodukte des Hdmoglobins /a[3bar sein. Die ni~chste Abbildung (Abb. 6) zeigt zun~chst das Verhalten des Serumbilirubinspiegels. Be- kanntl ich stellt das Bilirubin ein Abbauprodukt des Hiimoglobins dar, und wir sehen auf der Kurve eine deutliche, wenn auch nicht hoch- gradige Vermehrung dieses KSrpers w~hrend der febrilen Episoden. Man kann auf diesen Befund allerdings nicht allzuviel geben, da die Menge des in] Serum vorhandenen Bilirubins yon zahlreichen anderen

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Faktoren, z . B . v o n d e r Leberfunktion, der Nahrungsaufnahme usw. abh/~ngt.

Weiterhin ist im H a m bei einem vermehrten Blu tabbau eine Ver- mehrung der Harnfarbs toffe zu erwarten, da wenigstens ein Tell dieser

KSrper zweifellos vom H~mog]obin abs tammt . Es ha t sich nun die iiber- raschende Tatsache ergeben, dab in vielen Fi~llen der Urin solcher Schizo- phrener dnnl~elbraun gef~rbt ist, auch wenn man seine Konzentra t ion

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beriicksichtigt. Bei exakter Messung der Harnfa rbe (F X M u. F0) liegen im vorliegenden Falle die Wcrte weir auBerhalb der Norm, viel h6hcr als bei den meisten Erkrankungen der inneren Medizin, die mit einem Blutzerfall einhergehen. Man konnte z. B. bei einfacher Be- t rachtung des Urins im vorliegenden Falle ohne weiteres angeben, ob der Kranke sich in der Episode oder in der in terepisodiren Zeit befand. Ich habe seinerzeit diesen sehr eigenartigen Befund ohne weiteres auf den erh6hten Blutzerfall bezogen, bin aber in dieser Meinung etwas er- schfittert worden, seit ich gemeinsam mit Libowitzky den braunen Farb- stoff n/iher studieren konnte. Es handelt sich in der Hauptsache um einen

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Abb. 7.

/itherl6slichen Farbstoff, der mit den normalerweise vorhandenen Pig- menten nicht identisch ist, dessen chemische Charakterisierung aber auf uniiberwindliche Schwierigkeiten st6Bt. Wiirde eine solehe chcmische Charakterisierung gelingcn, so h/itte sie naturgem/s eine grol~e dia- gnostische Bedeutung.

Endlieh haben wir bei unseren Kranken noch die Porphyrinaussehei- dung im Harn studiert, da auch dieses P roduk t zum Himoglobinstoff- wechsel Beziehungen hat. Bei febrilen Schiiben k o m m t es zu einer deut- lichen, mitunter sogar erheb]ichen Vcrmehrung des Harnporphyrins . Auf die Einzelheiten kann ich an dicser Stelle nicht eingehen. Ich will nur darauf hinweisen, dal3 dieser Befund auf eine erh6hte T&tigkeit des Knochenmarks deutet.

Ich komme noch einmal auf die Ver/inderungen am roten Blutbild arrhand der Kurvc eines jungen schizophrenen M/s (Abb. 7) zu- dick. Es handelt sich um ein schweres ka ta tones Bild, das mit hoeh- febrilen Tempera turen einherging und mi t abklingenden Fieber in

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ein mehr verschroben-zerfahren-hebephrenes Syndrom iiberging. Der Krankheitsverlauf war in diesem Fall also nieht periodiseh, aber auch hier findet sich w/~hrend der hoehfebrilen Temperaturen eine deutliche Yermehrung der roten BlutkSrperchen bis auf 6 Mill., eine Erscheinung, die mit absinkender Tempera tur versehwindet. Wie wir sehen, ver/~ndert sich die Menge des Blutplasmas nieht sehr, dagegen sinkt die zirku- lierende Blutmenge und die Menge des im Blur vorhandenen H/~mo- globins parallel zum Abklingen des akuten psychopathologischen Syn- droms und parallel zur Entfieberung ab. Aueh hier sind also zu Beginn der febrilen Einlage viel mehr rote Blutk6rperehen im Blut vorhanden, um dann ganz erheblich ab- zunehmen. Man wird sieh also auch hier wiederum fragen miissen, wo diese roten Zellen geblieben sind und wird in erster Linie daran denken mils- sen, dal] sie im Verlauf der Er- krankung zerst6rt wurden.

Ich dar] kurz den Gang des Blutabbaus ins GedAichtnis zu- riAckru/en. Die roten Blutk6r- perchen verlieren ihr H/~mo- globin in der Milz, im retikulo- endothelialen System und in der Leber. Das H~moglobin wird dann in der Leber zu Gallen- farbstoffen, zum Bilirubin urn-

G I BilirubinL, ebe r

6'a lIe

Dar'm I (BaMer'ien~ [ _ _

Urobilino~)en ]

Stuhlurobilinogen (- Urobilin)

[ Krw/~lauf

1 Harnurobilinogen

(-U~obi~in)

Harnurobilinogen. = I Sfuhlurobiffnogen 100

Abb. 8.

gewandelt und dieses dann in den Darm entleert. Im Darm kommt es unter der Einwirkung von Darmbakterien zu einer chemischen Um- setzung und zu einer Verwandlung des Gallenpigments in Urobilinogen. Dieses Urobilinogen wird zum Teil durch den Stuhl entleert, zum Teil wird es v o n d e r ] )armwand wieder aufgenommen und gelangt auf diese Weise in die Leber zurilck. Der gr6Bte Prozentsatz dieses riickresorbierten Urobilinogens wird in der Leber festgehalten und wahrscheinlich wieder in H/~moglobin verwandelt . Ein kleiner Bruchteil passiert jedoch die Lebersperre, gelangt in den groBen Kreislauf und wird von den Nieren ausgesehieden, so dab auch der H a m Urobilinogen enth/~lt. Es ist ohne weiteres einleuchtend-, dab eine Yermehrung des im Stuhl enthaltenen Urobflinogens eine vermehr te Bildung von GaUenfarbstoffen und in- folgedessen eine vermehrte Zerst6rung von H/~moglobin zur Voraussetzung hat. ])agegen kann eine Yermehrung des Harnurobilinogens auf sehr verschiedene Weise zustande kommen. 1. Durch die einfache Tatsache, dab im Darm mehr Urobilinogen resorbiert wird. ])iese Bedingung ist bei der Verstopfung erftillt. Bei vSllig normal groBer Galleproduktion

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verwei l t d a n n das Urobi l inogen 1/~nger im D a r m u n d ha t gr6Bere Aus- s ich ten resorbiert zu werden. 2. E ine Y e r m e h r u n g des U. im H a r n k o m m t d a n n zustande, wenn das Leberf i l ter u n d i c h t geworden ist, d . h . wenn auf diesem Weg mehr U. in den Kre is lauf gelangt . Das t r i t t bei einer Lebersch/~digung ein. 3. Endl ich t r i t t eine erh6hte Aussche idung yon U. im U r i n bei erh6hter P r o d u k t i o n y o n Galle, d . h . bei e rh6h tem Blut- zerfall, auf. Die drei geschilderten M6gl ichkei ten lassen sich ]eicht ana- lysieren. Die Stuhlt/~tigkeit ist regul ierbar . Liegt e in Leberschaden vor, so wird im Verh/~ltnis zum Stuhl m e h r Urob i l inogen im Ur in erscheinen als gew6hnlich. Normalerweise ist n/~mlich das Verh~Itnis Harnurob i l inogen : S tuh lurobi l inogen ~--1:100. I s t das Leberf i l te r undich t , so muB dieser Quo t i en t gr6Ber werden. Liegt dagegen einer v e r m e h r t e n Urobi l inogen- aussche idung im Ur in tatsi~chlich eine erh6hte Ga l l enproduk t ion bzw.

Ta-

Nr. Diagnose KSrper- Blutmenge Erythro- gewicht cyten

kg 1 Mill.

l-l." 14 Normale yon Heilmeyer. 56 bis 80

23 Schwachsinn 57,5 24 Schwachsinn 52,7 25 Schwachsinn 63

H. Eitrige Bronchitis, InfektanAmie H. Polyarthritis rheum., Infektan~mie . . . I-I. Puerperale Sepsis H. Cholangitis I-L Sepsis post abort., Infektani~mie I-I. CroupSse Pneumonie

1 Woche nach Entfieberung Naeh Gesundung (3 Wochen)

H. KavernSse, eirrh, prolif. Tbc. (Temp. bis 38,~; Senkung 70 mm)

H. Impfmalaria, Inkubation . . . . . . . , - - 1.--3. Zacke 4.--7. Zacke

Postencephalitis, subakuter Infekt . . . 62,2 27

12

17

19

20 21 I 28

Abklingender hochfebriler Schub 42,0

Durchschnitt Kurzperiodische febrile Schiibe 67

Durchschnitt Subfebriler Schub in langerem schizo-

phrenem Verlauf 41,5 Subfebriler Schub. 71,5 ~ebriler Schub 58

Abgeklungener Schub . . . . . . . . .

4,8 bis 6,8

4,28 5,3 3,26 5,5 4,65 5,4

4,3 3,4 4,3 4,0 5,1 2,5 4,7 3,4 - - 1,5

4,7 4,8 4,7 4,8 4,7 4,9

- - 4,1

- - 4,9

2,1 4,0 bis 6,2 bis 5,9

3,7 4,9 3,4 3,2

bis 7,1 bis 6,6 5,25 4,67

2,7 4,6 3,8 5,2 3,4 4,5

Aus K. F. Scheid: Der Hgmoglobinstoffweehsel bei febrilen Episoden schizo- entstammen den Ver6ffentlichungen Heilmeyers. Lediglich die Bestimmungen des

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ein ve rmehr t e r H/~moglobinzerfall zugrunde, ohne dal~ eine Lebers tSrung besteht , so wird zwar ve rmehr t Urobi l inogen im H a m u n d S tuh l aus- geschieden, es k o m m t aber zu keiner Xnde rung des Quot ienten . Ich bin au[ diese Verhdltnisse deswegen so aus/iihrlich eingegangen, well wi t daraus ersehen, wie wenig S inn es hat, irgendwelche Schli~sse aus einer er- h6hten Urobilinogenurie au/ die Ursache dieses Vorgangs zu ziehen, w e n n m a n n ich t zugleich den S tuh l m i t un te rsucht . Es ist i m m e r wieder in der L i t e r a tu r die Ans i ch t ve r t r e t en worden, dab die bei Schizophrenen n ich t selten ve rmehr t e Ausscheidung des Urobi l inogens im U r i n durch eine Leber s tS rung zus t ande komme. Ana lysen des Stuhles s ind meines Wissens noch nie gemach t worden, obgleich diese viel wichtiger sind. U m unsere Ergebnisse vorweg zu nehmen. Wir f anden zwar eine betri~cht- lich ve rmehr t e Urobi ] inogenaussche idung durch den Stuhl , aber keine

bel le 11 .

Ges. Retieulo. Harn- H~mo- lC[~mo, eyten Bilirubin farbstoff globin globin

g-% g ~ mg-% F • 1VI

Urobili~

Ham I Stuhl mg tgl. I mgtgl.

~VIause- Urobilin. r ~ g s - index quotient

1 4 , 3 6 8 6 6 bis 18,5 bis l l9~ bis 19

16,2 678 16,2 600 16,9 804

5,7 242 48 9,6 408 16 8,9 453 11

11,1 520 35 5,5

17,1 795 15 17,1 795 15 17,2 800

12,5 3

15,7 11

12,94 330 6

0,8I 6,25 0,9 70,5 10,3 0,7 bis 1,3 bis14,75 bis 3,7 bis 254 bis22,8 bis 1,77

0,4 12,4 0,7 13,9 0,9 3,9 54,0 0,9 9,4 0,7 23 0,7 18

- - 12,2

10,8

15,4

0,5

1,49 117 3,32 123 2,58 121

0,7 221 2,3 77 4,8 193 4,3 285 0,4 103

11 6 5 2 1,6 379 1,1 144

0,9 i 5 9 1 5 0 358 577

3,3 ~ 173

4,05 bis 18,6 bis 1163 bis 16 bis 14,0

15,45 615 12 10,4 1,45 291 12,94 445 5 0,63 14,1

bis 21,88 bis 1400 bis 10 bis 40,5 17,32 975 7 25,75 2,98 342

15,8 456 5 0,45 17,4 0,91 i 132 16,6 656 12 23,0 4,85 319 !4,3 496 10 --- 42,9 2,56 262

I

19,1 1,35 20,7 2,75 15,1 2,13

91,5 0,32 I9,4 3,0 44 2,5 63 1,51

0,39 80,5 1,68 48,5 0,42 18,2 0,76

- - 1,52

- - 1,91

88,1 bis 25,0

48,5 0,50 76,7

his 22,7 35,0 0,87

28,95 0,70 49,1 ],52 51,8 0,98

1,98 phrener Psychosen. Klin. Wschr. 1938 [, 911--914, 2 Die mit H. bezeichneten F~lle Serumbilirubins sind nicht mit der Methodik dieses Autors ausgefiihrt worden.

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600 K.F. Scheid:

Ver~nderung des Quotienten (Harnurobilinogen zu Stuhlurobilinogen), was zwar fiir einen erhShten Blutzerfall, nicht aber ftir eine Lebersch~di- gung spricht. Es sei fibrigens vermerkt , dab andere Part ialfunktionen dieses Organs, das ja eine zentrale Stellung im KSrperhaushal t einnimmt, durchaus gestSrt sein kSnnen. Ich zeige zun~chst eine ~bers icht fiber unsere Urobilinogenbilanzen im Vergleich zu Normalen und zu Er- krankungen der inneren Medizin (Tab. 1). Dabei sind die Befunde yon Heilmeyer verwertet . Wie sie aus der Tabelle ersehen, liegen die Ziffern bei Schizophrenen zum grSBten Teil weir auBerhalb der Norm. Diese betragt gemeinhin 100--200 mg% titglich. Werte von 300 mg tag- lich sind bei unseren febrilen Episoden nichts Ungew5hnliches. Wir sehen, dab diese Zahlen nur von schweren Erkrankungen der inneren Medizin fibertroffen werden, und zwar von solchen, bei denen ein spc- zifischer EinfluB der Noxe auf die roten BlutkSrperchen vorliegt, z .B . bei der Malaria, die in ihrem Beginn, w~hrend der ersten Zacken eine Urobilinogenausscheidung in einer HShe zeigt, wie wit sie auch bei febrilen Schilben zu sehen gewohnt sind. Ers t im sp~teren Verlauf werden die Ziffern hSher. Bei der kruppSsen Pneumonie liegen die Werte hSher als bei den Episoden. Wie Sie wissen, k o m m t es hier zu einer mas- siven Ausschwitzung roter BlutkSrperchen in die Lungenbl~schen, dann zu einer LSsung dieser Infi l t rat ion mi t Abbau des in BlutkSrperchen enthaltenen H~moglobins. Dagegen zeigen Infekt ionskrankhei ten mi t erheblichen Infektan~mien Werte, die nicht hSher, zum Tell sogar nied- riger liegen als bei den febrilen Schfiben. Wir sehen auch aus der Tabelle, dab man die hohe Urobilinogenausseheidung und damit den Zell- bzw. den Blutzerfall nicht einfach als Fieberwirkung auffassen kann, da z .B . eine fieberhafte Tuberkulose keine vermehr ten Werte zeigt.

Noch deutlicher ]commen diese VerMiltnisse heraus, wenn man die Uro- bilinogenausscheidung mit der zirk~ulierenden Blutmenge in Beziehung setzt (Abb. 9). In den vorliegenden Diagrammen ist auf der Abszisse die t~gliche Urobilinogenausseheidung in Mill igramm aufgetragen, in der Ordinate die Menge des im Blut kreisenden Hs in Gramm. Bei Normalen land Heilmeyer eine deutliche Abh~ngigkeit zwisehen beiden GrSl]en, in dem Sinn, dab bei vermehr te r zirkulierender t Ib - Menge ein vermehrter Blutumsatz und mithin eine vermehr te Urobilinogen- ausscheidung zu beobachten ist. Die normalen Werte streuen in dem grau getSnten Bereich, der durch zahlreiche Yergleichsf~lle gesichert ist und yon uns durchaus bests werden konnte. Wie wir sehen, liegen die febrilen Schfibe s~mtlich auBerhalb der Norm, teilweise sogar sehr erheblich.

Es kann also nach den Ergebnissen unserer Urobilinogenbilanz nicht der mindeste Zwei/el dariiber herrschen, daft die Urobilinogenausscheidung bei ]ebrilen Schiiben vermehrt ist. Und hieraus l~Bt sich mit voller Sicher- heit der SehluB ziehen, dab es w~hrend der Episode zu einem erhShten Zerfall yon roten BlutkSrperchen kommt . Wie Sie sehen, s t immen die

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am roten Blutbild gcfundenen Ver~nderungen mit den Ergebnissen der Urobilinogenbilanz vSUig iibercin.

Ich daf t noch einmal kurz die StSrungen des H~moglobinstoffwechsels zusammenfas~n : u und w~,hrend dcr Episode k o m m t es zu einer plStz- lichen Neubildung von jungcn h/imoglobinarmen roten BlutkSrperchen, die in s tark vermehr te r Zahl im Blur kreisen, mit der NeubiJdung setzt zuglcich ein vermehr te r Zerfall der BlutkSrperchcn ein, es k o m m t zu einer erhShten Gallenproduktion und infolgedessen zu einer vermehr ten

1r

~ I000 z.o

0 50 100 150 200 250 300 ,?50 qO0~ fS'g/iche Urobl~'noussc~e/dung

Abb. 9. Titgllche Urobi l inogenausscholOung lm Verh~dtnis zur g o s a m t e n z l rku l le renden l l a m o g l o b i n m e n g e . Die W e r t e fiir febri le Ep lsoden (Fall 12, 17, ]9, 20 u n d 21, m i t en t - sp rechendcr Zlffer a n den P u n k t c n lm D l a g r a m m ) l iegen auf lerhalb des Normalbc re lches .

Ausscheidung yon Urobilinogcn. Ncubildung von roten Blutk6rpcrchen und Abbau hal tcn sich dann im Verlauf des Schubes die Waage, so dab zwar die Lebensdauer der einzelncn roten Zellen verk/irzt ist, abcr das Gleichgewicht wicder hergcstellt zu scin scheint. :Derm die Absolutzahlen tier E ry th rocy tcn und des H~moglobins sind dann wieder e twa normal. Verl~uft dagegen die H~molyse schr stftrmisch, so t r i t t eine niemals sehr schwcrc, aber oft sehr deutliche Aniimie auf. Mit einem Satz l~.I~t sich der Befund zusammenfassen: Neubildung und Untergang yon roten Blutk6rperchen sind crh6ht, wobei es often bleiben mu~, welcher Vorgang der prim~re und welcher der sekund~re ist.

Wir sehen, wie man durch systematische Durcharbei tung eincs Stoffwechselsystems zu verbindlichen Schliissen k o m m e n kann. Vor allem dann, wenn man die erhobenen Befunde nicht einfach nach ihrem diagnostischen Wef t einsch~tzt. Wir sahen, wie ich hoffe iiberzeugend,

Z. f. d. g. N eu t . u. P s y c h . 163. 4 0

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602 K . F . Scheid:

dab das Ausmal~ der Ver/inderungen, sowohl bei den allgemeinen Reak- t ionen yon seiten des Organismus als auch im Hb-Stoffwechsel dem einer schweren internen. Krankheit entspricht. In einer Hinsicht miissen wir unsere Entt/iuschung zugeben: es fand sieh bisher nichts ffir die Schizophrenie allein Charakteristisches, das sich etwa diagnostisch aus- werten lieBe. Alle bisher gefundenen Ver/inderungen t re ten in einer/ ihn- lichen Weise auch bei anderen Krankhei ten der inneren Medizin auf, mit anderen Worten: es fehlt uns das Achsensymptom der den febrilen Episoden zugrunde liegendenschweren kSrperlichen St6rung. ]:)as, was wir in der Hand haben, sind lediglich die unspezifischen Randsymptome.

Ich hat te die Absicht, noch einiges fiber den Stickstoff- und Eiweil~- haushalt des KSrpers bei febrilen Episoden zu berichten. In Anbetracht der Kfirze der Zeit muB ich mir dies versagen, zumal G]essing in seinem Vortrag auf die I)inge eingegangen ist. Es sei nur darauf hingewiesen, dal~ die Untersuchungen yon G]essing auf dem Gebiet des Stickstoff- wechsels ebenfalls schwere St6rungen aufgedeckt haben. W/ihrend der Episode kommt es zu einer erhShten Stickstoffausscheidung, in der inter- episod/iren Zeit zu einer Retention N-haltiger Anteile der •ahrung. Die unendlich mfihevollen und unangreifbaren Arbeiten Gjessings haben die Grundlage der Somatopathologie der Schizophrenie in ihrer heutigen Form gelegt.

Ich bin an das Ende meiner Ausffihrungen gelangt, und ich m6chte die wesentlichsten Ergebnisse noch einmal wiederholen: zu bestimmten Zeiten, die wir als febrile Episoden bezeichnen, macht die den schizo- phrenen Psychosen zugrunde liegende Krankhei t unbestreitbare kSrper- liche StSrungen, deren Ausmal3 sich ohne weiteres mit vielen ernsten internen Krankheiten messen kann. Spezifische, fiir die Schizophrenie allein charakteristische Befunde haben wir jedoch bisher noch nicht er- heben k6nnen, so dab zwar eine Abgrenzung gegen die symptomatischen Psychosen wenigstens ,,negativ" durch das Fehlen eines der speziellen Pathologie bekannten Leidens m6glich ist. Von einer ,,Aufl6sung" der Schizophreniegruppe muter somatologischen Gesichtspunkten sind wir jedoch noch welt entfernt. Aus diesem Grund miissen alle nosologisehen Fragen, die in der klinisehen Psychiatrie so brennend sind, zuriickge- steUt werden. Ieh wage aus meinen Befunden keine Schlfisse auf die Ein- heitlichkeit oder Versehiedenartigkeit der schizophrenen Erkrankungen zu ziehen. Ja, ich bin nicht einmal sicher, ob es sich um eine prim/ire Gehirnkrankheit oder um ein prim/ir somatogenes Leiden handelt, wenn ich auch das letztere ffir wahrscheinlicher halte.

Gerade dieses Problem ist ja yon besonderer Bedeutung. Peters hat hierzu vom anatomischen Standpunkt aus Stellung genommen. Wie bekannt ist, wurde die Frage: prim/ire Gehirnkrankheit oder prim/ir somatogenes Leiden mit sekund/irer Beteiligung des Cerebrums in letzter Zeit auch noch yon anderer Seite aus angegangen. Einmal hat sich die sichere Tatsache ergeben, dab bei Sehizophrenen etwa in der H/ilfte der

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F~lle erhebliche, allerdings ganz unspezifische Liquorbefunde vorkommen, eine Erkenntnfis, die wir vor allem Riebelinq und dann auch Kopp ver- danken. Den Klinikern und Theoretikern der Schizophrenic fist dieser wichtige Befund viel zu wenig bekannt. Es fist meines Erachtens aber nieht mSglieh, aus ihm eine sichere Entscheidung fiber die aufgeworfene Frage. zu treffen, da ja an der Mitbetefligung des Zentralnervensystems niemand zweifelt. Auch bei pr imer somatogenen Leiden, z .B . bei der Ur/~mie, beim diabetfischen Korea kommen unspezifische Liquorbefunde vor, ganz abgesehen davon, dab wit tiber Ver~nderungen der Cerebro- spinalfliissigkeit bei inneren Erkrankungen ohne psychisehe oder neuro- logische StSrungen nicht allzuviel wisscn.

Zweitens hat Lehmann-Facius in den letzten Jahren versucht, einen Hirnabbau bei Kranken, welche die Schule yon Kleist als Schizophrene bezeichnet, auf serologischem Wege nachzuweisen. Aber ein solcher Nachweis allein kann unser Problem immer noch nicht 15sen, denn auch bei prim/~r somatogenen Leiden kSnnte cs zu Abbauvorg/~ngen im Zentral- nervensystem kommen. Unseres Erachtens ncigt Lehraann-Facius dazu, aus seiner Hirnabbaureaktion, zu der ich vom serologischen Standpunkt mangels eigener Erfahrung iibrigens keine Stcllung aehmen kann, allzu weittragende nosologische Schliisse zu ziehen. Es ist meines Erachtens nicht mSglich, mit einer einzigen serologisehen Reaktion allein eine be- st immte klinische Schule yore KSrperlichen her zu stfitzen. Eine ~rologi- sche Reaktion hat erst darm ihren vollen Wert, wenn man sie anhand somatoloyische~r Daten priifen ](ann. Die unsicheren Ergebnisse der bfis- herigen klinfischen Forschung sind hierzu nicht gecignet.

Die Frage nach der Einheitlichkeit oder Verschiedenartigkeit der schizophrenen Erkrankungen, die Frage der Randpsychosen muff also heute noch often bleiben. Ich betone dies deswegen, weil Kurzschltisse in klinischer Hinsieht der Somatopathologie durchaus den Weg verbauen. Wir befinden uns mit unserer Wissenschaft in einem Stadium, das die spezielle Pathologie und die innere Medizin vor etwa 50--100 Jahren dmchliefen, d . h . die Herausarbeitung der Krankheitsbilder der sog. endogenen Psyehosen fist nach somatologischen Ge~chtspunkten bisher noch ~ieht gegliickt. Und wenn wir bc~lenken, wie lange es gedauert hat, bfis ein Krankheitsbild wie die pernizi6se An/~mie in der heutigen Klar- heir vor uns stand, so wird meine Ansicht und meine Warnung vor tiber- eilten nosologischen Schliissen verstanden werden. Nicht Hypothesen sind es, so gefistreich und , ,fruehtbar" sie auch seheinen, die den Fort- schritt der Naturwissensehaft bedingen, sondem einzig und allein Be- funde und Tatsachen, gegebenenfalls noch vorsiehtige :Deutungen. Ich bin der ~berzeugung, daft die Somatopathologie der Schizophrenie vor ihren Schwesterwfissensehaften nur darm wird bestx~.hen k6nnen, wenn sic yon dem Geist getragen wird, der, an Namen wie Virchow und Koch gekntipft, den Siegeszug der deutschen Heilkunde heraufgeftihrt hat.

40*