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Die Stadt der Verfemten

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Nr. 203Die Stadt der VerfemtenSie begegnen einander auf der Welt der Verfemten - Menschen der Erde und Wesenvon Andromedavon William Voltz

Nach kosmischen Maßstäben sind die Menschen Terras noch Neulinge auf der galaktischen Bühne. Trotzdemhaben es Perry Rhodan und seine Getreuen fertiggebracht, das Solare Imperium der Menschheit bis zum Jahre2400 zum größten politischen, wirtschaftlichen - und militärischen Machtfaktor der Milchstraße zu machen.1112 Planeten in 1017 Sonnensystemen sind von Menschen besiedelt. 1220 Welten sowie viele Monde undRaumstationen in vielen Teilen der Galaxis dienen dem solaren Handel oder der solaren Flotte als Stützpunkte.Durch die Eingliederung des offenen Sternhaufens Praesepe im Sternbild des Krebses und durch dieErschließung der Plejaden im Sternbild des Stiers ist ein abgerundetes Imperium entstanden, das von dermächtigen solaren Flotte leicht beschützt und schnell durchflogen werden kann.Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, wenn Perry Rhodan in der CREST II, dem neuen solarenFlaggschiff, im August des Jahres 2400 einem alten Problem zu Leibe geht: der Suche nach dem PlanetenKahalo, dessen Position in der Zentrumsballung der Milchstraße nie genau hatte bestimmt werden können.Bei dieser Suche trifft die CREST auf das Sonnensechseck, gerät in den Wirkungsbereich eines gigantischenTransmitters - und wird in den Abgrund zwischen den Milchstraßen geschleudert, in ein künstlichesSonnensystem, 900000 Lichtjahre von der Erde entfernt.Nach den bisherigen Erfahrungen scheinen die Welten dieses Systems für die terranischen Besucher tödlicheÜberraschungen bereitzuhalten - doch als Perry Rhodan DIE STADT DER VERFEMTEN betritt, findet erFreunde...Prolog Die Jagd begann bei Sonnenaufgang.Drei-Monde-Jello eröffnete sie damit, daß er das Leuchtfeuer am Rande der Stadt entzündete. Die blauenFlammen bildeten einen gespenstischen Kontrast zum Licht der aufgehenden Doppelsonne. Unzählige Augenblickten von der Stadt aus auf das Feuer, das sich innerhalb von Minuten in eine lodernde Wand verwandelte.Es waren Augen, in denen die Erwartung auf die beginnenden Kämpfe zu erkennen war, in denen sich aberauch Furcht spiegelte und Haß auf die Gegner. Drei-Monde-Jello stand neben dem Leuchtfeuer und fühlte, wiedie Flammen seinen alten Körper wohltuend erwärmten. Das Bild der Stadt verschwamm vor seinen Augen. Ererinnerte sich an die Zeit, da er selbst noch an der Jagd teilgenommen hatte. Er spürte so etwas wie Heiterkeit,die sich jedoch in seinem starren Gesicht nicht ausdrücken konnte. Er war oft gejagt worden, aber stets hatte ersich listiger erwiesen als seine Verfolger. Natürlich war er auch Jäger gewesen, ein unerbittlicher, gefürchteterJäger, der nie ohne ein Opfer zurückkam.Drei-Monde-Jello bewegte seine großen Ohren stadtwärts. Es war vollkommen ruhig, als sei die Stadt gelähmt.Doch das täuschte. In dem Augenblick, da die Doppelsonne am Horizont erschien, hatten überall Kämpfebegonnen.Durch die Flammen des Leuchtfeuers sah Drei-Monde-Jello eine Staubfahne auftauchen, die vom Stadtausgangauf ihn zukroch. Er bewegte sich nicht. Er war zu alt, um noch unter die Auslosung zu fallen. Er war wederJäger noch Gejagter. Als einem der erfolgreichsten Teilnehmer vergangener Jagden gebührte ihm die Ehre,das Leuchtfeuer entzünden zu dürfen.Aus der Staubfahne heraus schälte sich ein flaches Fahrzeug. Die kleinen Räder wirbelten Sand auf, und kurzdarauf konnte Drei-Monde-Jello das Dröhnen des Motors hören.Er starrte in das Feuer, bis sich die Stadt in züngelnden blaßblauen Flammen aufzulösen schien. Seine Augenbrannten. Ruhig löste er eine kleine Schaufel vom Gestell, auf dem das Feuer brannte, und begann ein Loch zugraben.Als er fast damit fertig war, stoppte das Fahrzeug unmittelbar vor dem Leuchtfeuer, und drei große Wesensprangen heraus.Mit einer lässigen Geste warf Drei-Monde-Jello die Schaufel davon und kletterte in das Loch, das er sichgegraben hatte.Die drei Ankömmlinge glichen einander so, daß sie nicht zu unterscheiden waren. Doch das bereitete denBewohnern der Stadt keine Schwierigkeiten, denn die Roten Dreier erschienen immer zusammen. Nie kam einRoter Dreier allein. Sie handelten wie ein Wesen.Drei-Monde-Jello blickte aus dem Loch, abwechselnd sah er zur Stadt, zum Feuer und zu den Roten Dreiern.Die Roten Dreier traten vor die Grube, die Drei-Monde-Jello ausgehoben hatte. Drei-Monde-Jello spürte den

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schwachen hypnotischen Einfluß, der von ihnen ausging und mit dem sie ihm jede Furcht zu nehmenversuchten.Dabei, dachte er, hatte er keine Angst.„Die Jagd hat begonnen“, sagte einer der Roten Dreier.Drei-Monde-Jello bejahte. Und plötzlich war der Drang in ihm, aus dem Loch zu springen, eine Waffe zunehmen und selbst noch einmal auf die Jagd zu gehen. Doch dieses Gefühl ging rasch vorüber, es wich derMüdigkeit, die die wärmende Nähe des Feuers in Drei-Monde-Jello ausgelöst hatte.„Du bist alt!“ stellte der Sprecher der Roten Dreier fest. „Du kannst nicht mehr für dich allein sorgen. Du bisteine Belastung für die Stadt.“„Ja“, sagte Drei-Monde-Jello.„Du bist während den vergangenen Jagden nicht getötet worden“, erklärte der Rote Dreier. „Du weißt, daß esschwer ist, mehr als eine bestimmte Anzahl Stadtbewohner zu ernähren.“„Ich weiß“, erwiderte Drei-Monde-Jello.Er blickte zum Feuer, zu seinem Feuer, und die Flammen schienen zu grotesken Figuren zu werden, die sichvor Drei-Monde-Jello verneigten, um seine Tapferkeit zu würdigen.„Du hast eine große Ehre erfahren“, sagte der Rote Dreier.Die Roten Dreier zogen ihre Waffen.„Gute Jagd!“ sagten sie.„Gute Jagd!“ sagte Drei-Monde-Jello.Drei orangefarbene Blitze rasten auf ihn zu und hüllten ihn ein. Er fiel langsam auf sein Gesicht.Ein Windstoß entfachte das Leuchtfeuer zu neuem Leben, und die Flammen züngelten in den Morgenhimmelhinauf.

Die Hautpersonen des Romans:Clan und Ogil - Dolmetscher der Herren des Strafplaneten.Perry Rhodan und Melbar Kasom - Der Großadministrator und der USO-Spezialist müssen beweisen, ob sie guteDiebe sind.Bronk - Eine lebende Statue.Krash-Ovaron - Ein verzweifelter Jäger.Captain Sven Henderson - Seine Kaulquappe macht eine Bruchlandung.Gucky - Der Mausbiber verliert eine Wette.

1.

Der Anblick der kopfschüttelnden Wissenschaftlergenügte Perry Rhodan, um zu wissen, daß auch dieseUntersuchung wiederum zu keinen Ergebnissengeführt hatte. Die Kraftstation auf dem PlanetenSexta ließ sich ihre Geheimnisse nicht entreißen.

Dr. Spencer Holfing, der Chefphysiker der CRESTII, löste sich von der Gruppe der Wissenschaftler undkam zu Rhodan herüber, der sich mit dem LeitendenIngenieur des Flaggschiffes, Major Bert Hefrich,unterhielt.

Holfing war ein dicker Mann, mit schlohweißemHaar. Er war einer der besten Physiker, die dieMenschheit jemals hervorgebracht hatte.

„Er macht nicht den Eindruck eines Mannes, derErfolg hatte, Sir“, meinte Hefrich sarkastisch.

„Nein“, stimmte Rhodan zu. „Ich habe auch nichterwartet, daß die Wissenschaftler den Stein derWeisen in ein paar Tagen finden würden.“

Major Hefrich glaubte, einen unausgesprochenenVerweis in Rhodans Worten zu erkennen undschwieg.

„Wir haben wieder einige Maschinen von der

Funktion her erfassen können, Sir“, sagte Holfing alsEinleitung, nachdem er die beiden Männer erreichthatte. „Das bedeutet jedoch nicht, daß wir die Anlagevollkommen verstehen - im Gegenteil: mit jederMaschine, die wir erklären können, kompliziert sichdas Gesamtbild,“ Rhodan hatte nie erwartet, daß eineRasse, die solche Transmitterstationen zu schaffenimstande war, unkomplizierte Maschinen bauenwürde. Bisher hatten sie nur herausgefunden, daß alleGeräte auf Sexta jenen glichen, die Rhodan undAtlan bereits auf dem Planeten Kahalo gefundenhatten. Das erklärten die Wissenschaftler damit, daßKahalo nichts anderes war als einePyramiden-Transmitterstation zwischen demgigantischen Sonnensechseck der Galaxis undKahalo. Niemand vermochte zu sagen, ob Kahaloeine bedeutende oder eine untergeordneteRelaistation war.

Eines war Rhodan bereits klargeworden: fürFremde war das Twin Sonnensystem eine gewaltigeFalle, aus der es kaum ein Entkommen geben konnte.

„Wissen Sie, woran ich immer mehr denken muß,meine Herren?“ fragte Rhodan Holfing und Hefrich.Er ließ ihnen keine Zeit zum Nachdenken, sondern

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beantwortete seine eigene Frage. „An das galaktischeRätsel, das wir zu Beginn der Raumfahrt in denJahren 1971 bis 2000 lösen mußten. Es sieht so aus,als sei der Weg nach Andromeda mit unzähligenFallen durchsetzt, die nur von überragenden Wesenbewältigt werden können. Und wir, meine Herren,wären unter Umständen schon auf Power gescheitert,hätte uns nicht durch einen Zufall Icho Tolot zurSeite gestanden.“

„Das ist kein Grund zur Resignation, Sir“, meinteHolfing. „Wir können annehmen, daß dieseTransmitterstation, die ein ganzes Sonnensystemumschließt, für uns die schwierigste Prüfung bleibenwird.“

„Wie kommen Sie auf diese Idee?“ erkundigte sichHefrich.

„Ganz einfach“, erwiderte Holfing. „Jene Rasse,die diese bewundernswerten Anlagen gebaut hat,konnte nicht wissen, welche Wesen sich jemalsanschicken würden, diese Galaxis zu verlassen undnach Andromeda zu fliegen. Sie mußten sich also aufalle Eventualitäten vorbereiten. Die Skala derLebensformen, die uns die moderne Biochemieoffenläßt, reicht vom Humanoiden über denMethanatmer bis zu Geschöpfen, die völligfremdartig sind. Jene, die die Transmitter errichteten,konnten nicht voraussehen, daß es Humanoide seinwürden, die den Sprung nach Andromeda wagten.Sie mußten also Fallen errichten, die Mr jedeLebensform wirksam sind. Der Flüssigkeitsentzug,der uns auf Power traf, ist unter Umständen für eineRasse, die sich auf Hitzeplaneten entwickeln konnte,völlig bedeutungslos.“

„Ich weiß, worauf Sie hinauswollen“, warf Rhodanein. „Sie wollen damit ausdrücken, daß andere Fallendie es zweifellos gibt, für uns vielleicht ungefährlichsind.“

Holfing nickte bestätigend. „Ich will die Gefahrnicht verniedlichen“, sagte er. „Sicher wird uns nochSchlimmeres widerfahren als auf Power, aber wirdürfen damit rechnen, daß verschiedene Stationenungefährlich für uns sind.“

„Wenn wir sie je erreichen... “, unkte MajorHefrich.

„Kehren wir zur CREST zurück“, schlug Rhodanvor. Sie befanden sich im Vorraum der fremdenKraftstation auf Sexta. Die Wissenschaftler hattenseit dem 30. August 2400 versucht, das Rätsel derTransmitterschaltung zu lösen. Heute, am 12.September, war ihnen das noch immer nichtgelungen. Rhodan beabsichtigte nicht, noch weitereZeit auf Sexta zu verschwenden. Offensichtlich gabes hier kein Weiterkommen.

„Vielleicht interessiert Sie meine persönlicheAnsicht, Sir“, bemerkte Holfing, als sie zusammendie Kraftstation verließen. Die CREST II stand mit

aufgebauten Schutzschirmen und feuerklar auf demweiten Gelände außerhalb der ringförmigenEnergiestation.

„Sprechen Sie“, forderte Rhodan den Physiker auf.„Wir wissen alle, daß es schwer ist, das Solare

Imperium zu stärken und zu verteidigen“, begannHolfing. „Nun haben wir eine Spur gefunden, die unsvielleicht nach Andromeda führen kann.“ Holfingstrich verlegen über seine weißen Haare. „Manchmalhabe ich bei dem Gedanken an Andromeda einFurchtgefühl, Sir. Allein die Vorstellung derunermeßlichen Leere, die uns von dieserbenachbarten Galaxis trennt, läßt mich vorschlagen,daß wir es nicht riskieren sollten, dieHerausforderung anzunehmen, die Andromeda fürjeden geistig regen Menschen darstellen muß.“

Rhodan lächelte schwach. „Ich verstehe IhreGefühle, Doc. Seit ihrem Bestehen hat dieMenschheit eine gewisse Furcht vor dem nächstenSchritt in die Zukunft. Trotzdem gegen alleWiderstände - stehen wir heute an dieser Stelle. Esentspricht nicht der menschlichen Mentalität, sich mitdem Erreichten zufriedenzugeben.“

„Sehen Sie einen Sinn in unserem Vorstoß - inunserem Versuch eines Vorstoßes - nachAndromeda?“

„Ich möchte Ihnen eine Gegenfrage stellen: Wennwir nicht nach Andromeda gehen - besteht dann nichtdie Möglichkeit, daß eines Tages jemand von dort zuuns kommt? Und das mit Absichten, die unsereeigenen Pläne durchkreuzen könnten?“

„Die Antwort kann uns wahrscheinlich nur dieGeschichte geben“, sinnierte Holfing.

Sie stiegen in das vor der Station wartendeBeiboot, das sie zur CREST II zurückbrachte. InGedanken versunken, blickte Rhodan über diefremde Landschaft unter ihnen. Welches Volk hattehier einst eine Station errichtet? Hatten schon andereLebensformen versucht, die Kluft zwischen denMilchstraßen zu überbrücken?

Der Pilot steuerte das Beiboot in den Hangar derCREST II. Die Männer waren froh, daß sie endlichwieder unter normalen Schwerkraftbedingungen seinkonnten. Mit fast zwei Gravos machte Sexta denAufenthalt auf seiner Oberfläche ohne technischeHilfsmittel nicht gerade angenehm.

Kaum, daß Rhodan in der Zentrale desFlaggschiffes angekommen war gab das ihn Raumstehende Posbiraumschiff BOX-8323 Alarm. Eshandelte sich nicht um einen Notalarm, aber es mußteirgend etwas Unvorhergesehenes geschehen sein, dasdie Posbis veranlaßte, ihre Verbündeten anzurufen.

Rhodan erfuhr, daß um die fünf Planeten, aufdenen sie bisher noch nicht gelandet waren, diegrünen Schutzschirme nicht mehr bestanden. Siewaren nach Aussage der Posbis plötzlich

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verschwunden.Sofort rief Rhodan alle wichtigen Männer in die

Zentrale. Oberst Cart Rudo erhielt den Befehl, einenStart vorzubereiten.

Rhodan informierte die in der Zentraleauftauchenden Männer über die von den Posbisbeobachteten Geschehnisse.

„Das kann nur bedeuten, daß der Weg jetzt für unsfrei ist“, sagte Atlan. „Wenn die Planeten ihreseparaten Schutzschirme abgelegt haben, können wirmit dem Schiff landen.“

„Verlockend, nicht wahr?“ lächelte Rhodan.„Sie denken an eine Falle, Sir?“ fragte Melbar

Kasom. „Dann so müßte man nach den bisherigenEreignissen annehmen hätte nur ein Planet zumAnflug frei werden dürfen, nämlich jener, auf demman uns zu vernichten trachtet.“

„Vielleicht kann man uns auf allen Weltenvernichten“, meinte Gucky der gerade hereinkam undden Anfang der Unterhaltung auf telepathischemWege mit gehört hatte

„Wahrscheinlich“, nickte Rhodan. „Auf jeden Fallglaube ich nicht, daß die Schutzschirme durch einenZufall oder durch eine Beschädigung irgendeinerAnlage verschwanden. Sie wurden aufgelöst, weilirgend jemand keine Möglichkeit mehr sieht uns aufSexta anzugreifen. Also versucht man, uns auf einenanderen Planeten zu locken.“

„Was also wäre klüger, als sich von diesen fünfWelten fernzuhalten?“ fragte der Arkonide mitleichtem Spott.

„Du vergißt, daß wir hier irgendwieherauskommen wollen“, erinnerte Rhodan. „Dazumüssen wir einfach nach neuen Möglichkeitensuchen.“ Er wandte sich an Oberst Rudo.

„Wir starten, Oberst!“Wenige Augenblicke später hob sich die CREST II

von der Oberfläche des Planeten Sexta ab. PerryRhodan war sich noch nicht darüber im klaren, waser nun unternehmen würde. Sicher war es falsch, aufsGeratewohl auf einer anderen Welt zu landen.Rhodan ließ Oberst Rudo das Flaggschiff auf dieleere Außenseite der ringförmigen Planetenfamiliesteuern. Von dort konnte sich die CREST II unterUmständen schneller in Sicherheit bringen. Es schieneine Ironie des Schicksals zu sein, daß die CREST IIausgerechnet an jenes Doppelsonnensystemgebunden war, von dem aus ihr Gefahr drohte. Zugewaltig waren die Entfernungen, die die CREST IIvon der eigenen Milchstraße oder von Andromedatrennten. So blieb der Besatzung nichts anderesübrig, als sich mit aller Vorsicht um die Bewältigungder Probleme zu bemühen, die sich ergaben.

Als sich die CREST II dem viertgrößten Planetendes Twin-Systems näherte, kam Gucky an RhodansSeite.

„Ich empfange Mentalimpulse“, berichtete derMausbiber. „Sie müssen von jener Welt kommen, derwir uns nähern.“

Rhodan blickte ihn ungläubig an. Er hatte nichterwartet, daß es hier irgendwo organisches Lebengeben könnte. Alles schien darauf hinzudeuten, daßdie Transmitterstation nur von Robotern besetzt war.

„Bist du sicher?“ erkundigte sich Rhodan.Gucky blinzelte beleidigt. „Vielleicht ist es dir

entgangen: meine bisherigen Erfahrungen gestattenmir einen Irrtum auszuschließen“, erklärte erhochtrabend.

„Er hat recht!“ rief Gecko von seinem Sitzherüber. „Auch ich kann die mentalen Strömungenspüren.“

Rhodan gab Rudo einen kurzen Wink. DerEpsalgeborene wußte genau, was dieser zu besagenhatte. Langsam flog das Flaggschiff der Weltentgegen, von der die Mentalströmungenaufgefangen wurden.

Rhodan stellte keine weiteren Fragen an die beidenMausbiber. Er wollte sie in ihrer Konzentration nichtstören. Sobald sich etwas Ungewöhnliches ereignete,würden sie ihn unterrichten.

Während die Zeit verstrich, wuchs die Spannung inder Zentrale. Den Besatzungsmitgliedern waren dieSchrecknisse von Power noch gut in Erinnerung. Sierechneten nicht damit, daß innerhalb dieses Systemsauch erfreuliche Dinge geschehen könnten.

Schließlich sagte Gucky: „Ich kann eine derartverworrene Fülle von Impulsen empfangen, daß esmir unmöglich ist, zu sagen, wer oder was dort untenlebt.“

„Was bedeutet das?“ fragte Icho Tolot.„Es kann bedeuten, daß dort unten Angehörige

mehrerer intelligenter Völker versammelt sind“,erklärte Gucky.

„Quarta scheint der einzige Planet zu sein, derLeben trägt“, sagte Rhodan. „Das macht michzuversichtlich, denn es zeigt uns, daß man auf diesemPlaneten leben kann.“

„Von meinem Standpunkt aus ist das keinbesonderer Vorteil“, dröhnte Tolot. „Im Gegenteil -wir sollten diese Welt meiden.“

Rhodan schüttelte den Kopf. „Nein“, entschied er.„Wenn es hier Intelligenzen gibt, dann müssen dieseüber die Funktion des Transmitters unterrichtet sein.Auf jeden Fall können wir Hinweise erhalten.“

„Sofern man sie uns gibt“, warf Atlan ein.„Gewiß“, murmelte Rhodan. „Wir werden

feststellen, wie man uns empfängt.“Atlans Stimme veränderte sich nicht, aber Rhodan

kannte den Freund lange genug, um die Mißbilligungaus der Frage des Arkoniden zu hören: „Willst du mitder CREST landen?“

„Nein, das würde bedeuten, daß wir uns mit allem,

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was wir haben, in die Hände eines eventuellenGegners begeben. Deshalb wird nur eine Kaulquappeausgeschleust, die als Vorhut auf Quarta landenwird.“

Niemand hatte dagegen etwas einzuwenden. DieCREST als Sicherheit im Raum zurückzulassen,erschien nach den bisher gemachten Erfahrungen alsdurchaus vernünftig.

Messungen von Quartas Atmosphäre wurdenvorgenommen. Die Auswertungen ergaben, daß essich um eine sehr heiße Welt mit starkemErdcharakter handelte. Quarta besaß große Meereund nur drei Kontinente, von denen einer nichtgrößer als Australien war. Die Gravitation lag etwasüber der der Erde, doch die Differenz war so gering,daß sie kaum hinderlich sein würde. Die Atmosphäreschien atembar zu sein.

Obwohl die Mentalimpulse für die Mausbiberimmer deutlicher wurden, vermochten sie nicht,einzelne Strömungen zu lokalisieren. Das mentale„Durcheinander“, wie Gucky es nannte, ließ dieMänner vermuten, daß sich verschiedeneLebensformen auf Quarta aufhielten.

Rhodan machte sich nicht die Mühe, den Grunddafür herauszufinden. Die Möglichkeiten für eineErklärung waren unerschöpflich. Sie konnten dieWahrheit nur erfahren, wenn sie auf Quarta landeten.

Rhodan wählte die Besatzung für die Kaulquappeaus. Neben Atlan und dem Haluter Icho Tolotwürden er selbst, Melbar Kasom, DoppelkopfmutantIwan Goratschin und Gucky sich zusammen mitfünfzig Spezialisten der CREST II an Bord der C-5begeben. Das Kommando über die Kaulquappewürde diesmal Captain Sven Henderson erhalten.

Bewußt ließ Rhodan seine Frau und die MutantenWuriu Sengu, Ralf Marten und Gecko auf derCREST II zurück. Er wollte eine Eingreifreservehaben, wenn die Kaulquappenbesatzung Hilfebenötigte.

Rhodans Abschied von seiner Frau war ebensoknapp wie der von den Männern in der Zentrale, dienicht mit fliegen würden. Mory Rhodan-Abro wußtenur zu gut, daß ihr Mann Dinge tun mußte, die seinLeben bedrohten. Rhodans Stolz hätte nie zugelassen,daß er den Raumfahrern in regelmäßigen Abständenden Anblick eines sentimentalen Abschieds bot.

So vollzog sich das Verlassen des Flaggschiffesvollkommen sachlich.

Die C-5 wurde ausgeschleust, und das Mutterschiffbezog Warteposition im Raum. Außerdem flog dasPosbischiff BOX-8323 eine Kreisbahn um denPlaneten. Die Transformkanonen desFragmentschiffes waren feuerklar. Einen besserenSchutz konnte man dem sechzig Meterdurchmessenden Beiboot nicht geben. Allerdings warinnerhalb des Twin-Systems jeder Schutz eine

zweideutige Angelegenheit. Niemand wußte, wasnun bevorstand und es konnte geschehen, daß dieBOX-8323 ebenso wie die CREST II einfachausgelöscht wurden, bevor von den Männern desSolaren Imperiums auch nur ein einziger Schußabgegeben werden konnte.

Die Kaulquappe tauchte in die heiße AtmosphäreQuartas ein. Es war ein oft geübter Vorgang für dieRaumfahrer, aber irgendwie war diesmal etwasBesonderes dabei. Vielleicht lag das an dem Gefühlnäher Gefahr, das sich in den Männern ausbreitete.

Captain Henderson führte zwei Umkreisungen aus,bevor sie auf dem kleinsten der drei Kontinente dieRiesenstadt entdeckten. Die Stadt bedeckte praktischden gesamten Kontinent, wie ein Zuckerguß ausStahl, Beton, Glas, Plastik, Holz und allen anderenmöglichen Materialien erstreckte sie sich von Ufer zuUfer.

Aber es war nicht die Größe der Stadt, die Rhodanund die anderen Beobachter beeindruckte - es war ihrAussehen.

Schon die ersten Beobachtungen zeigten, daß dieGebäude dort unten ungewöhnlich waren. Tausendoder mehr Architekten verschiedener Völkerschienen dort unten um die ideale Bauformgewetteifert zu haben. Es gab keine klare Linie imBaustil, die Stadt bestand aus unzähligenverschiedenartigen Gebäuden.

Eine Drohung ging von diesem Anblick aus, abernicht allein das, sondern auch die Faszination desUnbegreiflichen. Jedes Bauwerk schien eineHerausforderung zu sein, ein stummes Drängen fürjeden Neuankömmling, sein eigenes Bauwerk indiese skurrile Wirrnis zu bauen Irgendwie war dieStadt geprägt vom Oberlebenswillen fremderIntelligenzen, obwohl niemand wußte, wer sie warenund was sie hier taten.

„Was halten Sie davon, Sir?“ fragte MelbarKasom.

„Was für eine Stadt“, sagte Rhodan. In seinenWorten lag alles, was es zu sagen gab, weniger in derBedeutung als in der Art, wie er sie aussprach.

„Was sollen wir tun?“ erkundigte sich Henderson,als sei er plötzlich ratlos.

Rhodan brauchte nur in die Gesichter der übrigenMänner innerhalb der Zentrale zu sehen, um zuerkennen, daß die meisten von ihnen die Verwirrungdes Captains teilten.

„Gehen Sie etwas tiefer“, ordnete Rhodan an.„Die Gebäude bestätigen meine Mentalortungen“,

warf Gucky ein. „Dort unten muß es Angehörigevieler Völker geben.“

„Wollen wir umkehren?“ erkundigte sich IchoTolot.

Rhodan begriff, daß der Haluter keinen Rückzugantreten wollte. Wahrscheinlich interessierte er sich

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dafür, wie weit die Terraner gehen würden. SeinerMentalität entsprechend wäre der Riese allein gegendie Stadt losgegangen - davon war Rhodanüberzeugt. Doch Tolot war fair genug, die Terranernicht beeinflussen zu wollen. Vielleicht war es auchkeine Fairneß, sondern ein unumstößlicherStandpunkt eines jeden Haluters. Wer weiß, dachteRhodan. Der Haluter sprach viel und wußte fast alles,aber niemand wußte etwas über ihn. Das hieß, manwußte nur das, was das Wesen kundzugeben bereitwar.

Rhodan hoffte, daß es ihm schließlich gelingenwürde, diese Mauer wohlwollender Vorsichtniederzureißen, mit der sich Tolot umgab. ImAugenblick jedoch galt es, sich über die Vorgängeauf Quarta zu unterrichten.

Als die C-5 weiter an Höhe verloren hatte, sahendie Raumfahrer, daß der erste Anblick getäuschthatte. Die Stadt bedeckte nicht überall dieOberfläche, sie war aber so weiträumig angelegt, daßdieser Eindruck aus der großen Höhe entstehenmußte.

„Wir nennen sie Bigtown“, schlug Rhodan vor.„Es ist der einzig zutreffende Name, der mir imAugenblick einfällt.“

„Es ist der beste“, stimmte Iwan Goratschin zu.Immer deutlicher konnte man die zum Teil

phantastischen Konstruktionen erkennen, die dortunten standen. Schließlich entdeckten sie etwas, daswie eine Robotfabrik aussah.

Rhodan wandte sich an Gucky„Wie wäre es mit einem kurzen

Erkundungssprung, Kleiner?“Gucky rieb sich die Pfoten. Rhodan mußte grinsen.„Nur die Fabrik“, mahnte er„Natürlich“, sagte Gucky und verschwand.Als wäre sein Teleportersprung ein geheimes

Signal gewesen, begannen die Männer innerhalb derZentrale alle auf einmal zu reden. Jeder entledigtesich seiner aufgestauten Theorien über Bigtown, bisRhodan die Diskussion mit weiteren Befehlenabbrach.

„Behalten Sie unsere jetzige Position bei, bisGucky zurückkehrt, Captain“, sagte er zu Henderson.

Der Kommandant der Kaulquappe nahm dienötigen Manipulationen vor. Ruhig hing die C-5 überder Stadt, ohne daß etwas Beunruhigendes passierte.Bigtown kümmerte sich nicht um die Existenz desfremden Raumschiffes. Das, sagte sich Rhodan imstillen, war alles andere als beruhigend. IrgendwelcheAktionen von seiten der Fremden hätten ihnenHinweise geben können, wie sie sich zu verhaltenhatten. Doch Bigtown lag ruhig im Licht dertiefstehenden Sonne, die erst vor wenigen Stundenaufgegangen war.

Rhodan schaute auf die Uhr. Vier Minuten war

Gucky bereits unterwegs. Rhodan hatte keinenGrund, sich wegen des Mausbibers Gedanken zumachen, aber ab und zu ging der Mutant Risiken ein,die Rhodan nicht guthieß.

Captain Henderson wies auf denPanoramabildschirm.

„Sehen Sie dort unten, Sir!“ rief er aufgeregt.„Dort, in der Nähe der Küste, wo kaum Gebäudestehen.“

Rhodan konzentrierte seine Aufmerksamkeit aufdie angegebene Stelle.

„Ein Feuer“, sagte er, die Augenzusammenkneifend. „Ein blaues Feuer Ich möchtesagen, daß man es unter Kontrolle hat. Es scheintsich nicht auszubreiten.“

Während Rhodan über die Bedeutung der blauenFlammen nachdachte, kam Gucky zurück.

„Nun?“ fragte Rhodan.„Vollautomatische Fabriken“, berichtete der

Mausbiber knapp. „Sie dienen offenbar zurHerstellung chemischer Nahrungsmittel auf der Basisder Photosynthese.“

Drei Männer schrien zu gleicher Zeit auf. Rhodanfuhr herum und blickte auf die Ortungsgeräte. Er sahsofort, was passiert war. Und er erkannte, daß sieeinen Fehler gemacht hatten. Einen Fehler, denjemand vorausberechnet und eingeplant hatte.

Der grüne Schutzschirm hatte sich wieder umQuarta gelegt.

Und die C-5 befand sich innerhalb des Schirmes.Das bedeutete, daß sie nicht in den Raum

zurückfliegen konnten. Aber das war noch nichtalles. Es konnte auch kein anderes Schiff Quartaanfliegen, weder die CREST II noch derFragmentraumer.

Die Falle der Unbekannten hatte sich geschlossen.

2.

Der Augenblick der Panik war kurz und betraf nurdie Hälfte der Besatzung. Die erfahrenen Männerbegannen sofort zu handeln, obwohl sie mitSicherheit wußten, daß sie in letzter Konsequenz nurauf den nächsten Schachzug des unbekanntenGegners warten konnten.

Jetzt erwies es sich, daß Rhodans Entscheidung;die CREST II und das Posbiraumschiff alsEingreifreserve zurückzulassen, vollkommenwirkungslos war. Was nützten beide Schiffe, wennsie nicht zur C-5 vorstoßen konnten? Rhodanverschwendete jedoch keine Zeit mitSelbstvorwürfen. Er wußte, daß man an Bord derbeiden großen Schiffe alles tun würde, um derBesatzung der Kaulquappe zu helfen. Rhodan hattejedoch nicht vor, darauf zu warten, daß sie unterstütztwurden. Noch waren sie voll aktionsfähig und

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konnten sich verteidigen.„Wir verschwinden hier, Captain!“ rief er

Henderson zu. „Wir werden versuchen, auf einem derunbewohnten Kontinente zu landen. Vielleichtkönnen wir von dort aus etwas unternehmen.“

Henderson bestätigte und wollte die Kaulquappebeschleunigen. Gleich darauf verzog sich seinGesicht in sorgenvolle Falten.

„Wir kommen nicht weg, Sir“, knurrte er erbittert.„Es sieht ganz so aus, als würden wir mit Gewaltfestgehalten.“

Rhodan blickte auf die riesige Stadt unter demkleinen Schiff. Mit Hilfe eines Kraftfeldes wurden siefestgehalten. Auf jeden Fall schien der Gegner nichtzu beabsichtigen, sie sofort zu vernichten.

Langsam begann sich die Kaulquappe zu bewegen.Henderson fluchte lautlos. Rhodan erkannte denGrund. Das Beiboot der CREST II wurde allmählichder Oberfläche entgegengezogen, ohne daß sie etwasdagegen unternehmen konnte. Rhodan befahl demCaptain, seine sinnlosen Versuche aufzugeben.

Gucky unternahm einen Versuch denSchutzschirm um Quarta zu durchdringen und anBord der CREST II zu teleportieren. Er scheitertejedoch. Niedergeschlagen kehrte er an Bord der C-5zurück.

Je tiefer das 60-Meter-Schiff sank, desto schnellerwurde es. Den Maschinenanlagen wurden durcheinen Zapfstrahl, der seinen Ursprung in Bigtownhatte, jede Energie entzogen. Besorgt beobachtetendie Männer in der Zentrale, wie die Gebäude immergrößer wurden. Die C-5 flog gezwungenermaßen aufjene Stelle zu, an der das blaue Feuer brannte. Dortgab es keine Gebäude.

Mit ihrer augenblicklichen Beschleunigung mußteeine Zwangslandung zu schweren Schäden führen.Henderson, der das genau erkannte, versuchte alles,um die Kaulquappe unter Kontrolle zu bringen Dochdie Kräfte, die von den Unbekannten eingesetztwurden, erwiesen sich als stärker.

Sie waren bereits so tief, daß sie nur noch eineKüste des Kontinents erkennen konnten.

„Festschnallen!“ befahl Rhodan der Besatzung.Überall im Schiff begannen hektischeVorbereitungen um die Wucht des zu erwartendenAufpralls zu vermindern.

Rhodan fragte sich, warum man sie nicht bereits inder Luft vernichtet hatte, wenn man nun versuchte,sie auf der Oberfläche Quartas zerschellen zu lassen.

Tiefer sank die C-5, bis das blaue Feuer sieeinzuhüllen schien. Rhodan hoffte, daß sie denAufprall überleben, würden. Die Stadt wurde zu einerdunklen Masse, über der die blauen Flammenhinwegzuschlagen schienen.

Der Aufschlag brachte den schimpfendenHenderson zum Schweigen. Die Landestützen der

C-5 knickten ein und warfen das Schiff um. Dasgroße Polgeschütz riß aus der Verankerung undzerstörte das obere Deck. Der größte Teil derBesatzung verlor das Bewußtsein.

Icho Tolot, der sich auf die Bruchlandungvorbereitet hatte, blickte sich in der Zentrale um. Erversuchte, seine tiefe Befriedigung über den Verlaufdes Unternehmens zu unterdrücken, da er sich nichtvorstellen konnte, daß die Terraner seine Freude überungewöhnliche Abenteuer teilten. Er sah, daß sichMelbar Kasom ebenfalls aufrichtete. Alle anderenschienen verletzt, oder ohne Bewußtsein zu sein.

Kasom ging zu Rhodan und schüttelte ihn, bis derhagere Terraner den Kopf hob.

Rhodan machte eine schwache Handbewegung.Sofort verstand Tolot, was der Mann beabsichtigte.Er ging hinüber und hob Rhodan mit Leichtigkeitauf.

„Wir gehen ins Freie. Kommen Sie Kasom.“Der USO-Spezialist warf einen zweifelnden Blick

auf Rhodans verzerrtes Gesicht, doch als dieserentschlossen nickte, zuckte er mit den Schultern undschloß sich Tolot an der Rhodan wie ein Kind durchdie Zentrale trug. Als sie hinausgingen begegneteihnen ein Arzt mit einer klaffenden Kopfwunde. DerMediziner schien das überhaupt nicht zu bemerken.Er hatte zwei Medo-Roboter bei sich, dieVerbandsachen trugen. Er blickte Tolot an, als wollteer ihn aufhalten, doch der Haluter schob ihn mitsanftem Druck zur Seite.

„Kümmern Sie sich um die Männer in derZentrale, Doc“, sagte Rhodan beruhigend.

Der Arzt wischte sich Blut aus dem Gesicht undverschwand durch den Eingang desKommandoraumes. Kasom hustete, als Brandgeruchspürbar wurde. Überall innerhalb der C-5 knistertees. Die Zerstörungen waren schlimmer, als Rhodanangenommen hatte. Zu ihrem Erstaunen funktionierteder Antigravschacht noch. Sie glitten bis zumVerladedeck hinab. Dort ließ sich Rhodan wieder aufden Boden setzen. Tolot betrachtete ihn mißtrauisch,doch der Terraner hatte sich entweder schnell erholt,oder er verbarg seine Schwäche geschickt.

Sie begegneten einer Gruppe von sieben Männern,die versuchten, sich durch die Trümmer desVerladedecks zu wühlen. Zwei von ihnen warenverletzt. Sie begannen zu schreien, als sie Rhodansahen. Offenbar lagen unter den losgerissenen Lastenweitere Verletzte. Rhodan befahl ihnen, sich umdiese Männer zu kümmern. Die Schleuse stand offen.In der ersten Panik mußte sie jemand geöffnet haben.Heiße Luft drang herein. Rhodan sah hellen Sand undden abgebrochenen Unterausleger einer Landestütze,dessen Verstrebungen zum Teil in den Verladeraumragten. Icho Tolot schob die Trümmer, die ihnen imWeg lagen auseinander, als handelte es sich um

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Papier. Alles, was der Haluter liegen lassen mußte,wurde ein Opfer von Kasoms großen Händen. Aufdiese Weise arbeiteten sie sich bis zur Schleuse vor.Ein Blick genügte Rhodan, um festzustellen, daß anein Ausfahren des Landesteges nicht mehr zu denkenwar. Doch das erwies sich nicht als tragisch, da dieC-5 so umgekippt war, daß die Schleusenöffnung nurwenige Meter von der Oberfläche Quartas entferntwar.

Kasom sprang hinaus. Tolot packte Rhodan undfolgte dem Ertruser. Das umgestürzte Schiff boteinen traurigen Anblick. Rhodan ließ seine Blickejedoch nur kurz darauf verweilen. Dann schaute erzwischen den verbogenen Landestützen auf dasfremde Land hinaus. Das große Feuer bildete eineWand zwischen ihnen und Bigtown, so daß sie kaumetwas sehen konnten. Die Luft war heiß unddrückend, und der Geruch des Feuers lag beißend injedem Atemzug, den die Männer taten. Rhodan warüberzeugt, daß das dem Haluter nichts ausmachte,aber er selbst und Kasom litten darunter.

„Wir müssen auf die andere Seite des Feuers“,drängte Rhodan. Wieder ging Tolot voraus, umeventuelle Hindernisse aus dem Weg zu räumen.Gegenüber dem schwarzhäutigen Koloß erschiensogar Kasom schwächlich.

Tolot zerschlug eine Verstrebung und wandte sichzu den beiden Männern um. Er grinste und zeigtedabei eine Reihe von Zähnen, die härter alsTerkonitstahl waren. Ein Wesen, das anstelle einesempfindlichen Magens eine Art organischenKonverter besaß und praktisch alles verdauen konnte,benötigte solche Zähne.

Sie gelangten neben dem Feuer an.Tolot blieb stehen. Im Schein des Feuers ähnelte er

einem angriffslustigen Bären. Mit einem seinerGreifarme zeigte er auf eine Unterbrechung im Sand.

„Ein Loch“, sagte er ruhig. Dann stapfte er daraufzu.

Rhodan und Kasom beeilten sich, mit dem HaluterSchritt zu halten. Fast gleichzeitig erreichten sie denRand der Grube.

Ein etwas über einen Meter großes Wesen lag mitdem Gesicht nach unten darin. Sand undAscheflocken bedeckten seinen bepelzten Körper.Rhodan runzelte die Stirn. Was hatte dieses Feuer zubedeuten? In welchem Zusammenhang stand es mitdiesem Wesen, das in dem Loch lag und offenbar totwar? Wurden sie Zeugen einerBestattungszeremonie?

Tolot schwang sich in die Grube und zerrte denUnbekannten herum.

Sie blickten in ein kindliches Gesicht, das vongraublauen Haaren umrahmt wurde. Dann sahRhodan die Einschußstellen von Energiewaffen. Manmußte aus nächster Nähe auf den Fremden gefeuert

haben. Rhodan fühlte, daß Übelkeit in ihm aufstieg.„Es ist tot“, sagte Tolot dumpf. „Erschossen.“ Man

spürte den Zorn aus seiner Stimme gegen jeneheraus, die das getan hatten. Als Tolot aus der Grubesprang hatte er einen Gegenstand bei sich der wieeine Schaufel aussah.

„Es hat sein eigenes Grab geschaufelt“, stellteKasom fest. „Dann hat man es getötet.“

„Keine vorschnellen Schlüsse“, warnte Rhodan.„Vielleicht handelt es sich um einen Verbrecher, derhier bestraft wurde. Wir können nicht einfachannehmen, daß ein Mord vorliegt.“

Tolot begann das Loch zuzuschaufeln. Erbenötigte dazu nur wenige Minuten. Rhodan hielt ihnnicht davon ab. Er sah nach Bigtown hinüber. Diehelleren Dächer flimmerten unter der Sonne. Aufzwei großen Gebäuden brannten eine Reihe sichlangsam drehender Lichter. Die Gebäude warenstufenförmig gebaut und glichen überdimensionalenGeburtstagstorten mit Kerzen darauf. Ein Ring vonS-förmigen Häusern schloß die Stadt ab. Das tollsteGebilde war eine Art Haube, die auf nur einer Stangeruhte. Wer immer das errichtet hatte, mußte, außergroßem Können, auch über einzigartige Hilfsmittelverfügen.

Tolot und Kasom traten das geschlossene Grabplatt. Dann steckte der Haluter den Spaten in denSand.

„Das tote Wesen gefiel mir“, erklärte er.Für einen Haluter war das eine sehr weitgehende

Sympathieerklärung.„Da kommt jemand“, warf Kasom ein. „Vor der

Stadt - eine Staubfahne!“Die Männer erstarrten in ihren Bewegungen.

Zwischen den S-förmigen Häusern bog ein Fahrzeugins freie Land ein und bewegte sich langsam auf dieAbsturzstelle zu. Es war noch zu weit entfernt, so daßdie Männer nicht feststellen konnten, wer es steuerte.

Rhodan und Kasom überprüften ihre Waffen.Tolot ließ sich auf die Arme nieder. Rhodandurchschaute sofort den Plan des Haluters.

„Warten wir hier auf sie!“ sagte er schnell.Tolot zögerte, doch dann richtete er sich wieder

auf. Rhodan spürte die Ungeduld des Riesen. DerAbsturz der C-5 schien keine große Eskorte auf denPlan zu rufen. Maß man dem Erscheinen einesfremden Schiffes so wenig Bedeutung bei?

Rhodan hoffte, daß Gucky bald auftauchen würde.Mit Hilfe der überragenden telepathischenFähigkeiten des Mausbibers besaßen sie gegenüberintelligenten Lebewesen eineVerständigungsmöglichkeit.

„Drei Burschen sitzen innerhalb des Fahrzeuges“,sagte Tolot, der die besten Augen besaß. „Sie habenes anscheinend nicht sehr eilig.“

Wieso kamen aus einer Stadt, in der

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schätzungsweise fünfzig Millionen Wesen lebenmußten, nur drei Einwohner zu ihnen heraus?

Endlich konnte auch Rhodan die drei Fremdensehen. Sie hockten zusammengekauertnebeneinander, so dicht, daß man glauben konnte, siemüßten sich trotz der Hitze des Tages nochgegenseitig warmhalten. Die Ankömmlinge warengroß, ihre Körper wurden von roten Pelzen bedeckt.Im Aussehen unterschieden sie sich nicht. IhrFahrzeug wurde von kleinen Rädern getragen, diesich auch für Fahrten im Gebirge eignen mußten.Rhodan nahm aufmerksam alle Einzelheiten in sichauf. Gerade die unbedeutend erscheinenden Dingeerwiesen sich später oft als wichtig. Die dreiBewohner von Bigtown schienen so von ihrer Stärkeüberzeugt zu sein, daß sie keinerleiVorsichtsmaßregeln trafen. Erst kurz vor der kleinenGruppe brachten sie das Fahrzeug zum Halten. DasDröhnen des Motors verstummte.

Langsam kletterten die drei Wesen aus demWagen. Sie trugen stangenförmige Waffen, die siemit großer Lässigkeit herumschwingen ließen. Siemachten einen unbekümmerten Eindruck. Sie bliebendicht bei ihrem Wagen stehen und starrten die dreiSchiffbrüchigen an.

Tolot zeigte auf das Loch, das er zugeschaufelthatte.

Die Wesen kümmerten sich nicht um ihn. Fastgleichzeitig mit der zornigen Bewegung des Halutersspürte Rhodan, daß ein schwacher hypnotischerDruck von den drei Einwohnern Bigtowns ausging.Er war an solche paranormalen Angriffe gewöhnt, sodaß sie ihm nichts ausmachten. Tolot war immun.Auch bei Kasom zeigten die Impulse keine Wirkung.Eine Weile versuchten die Fremden die Männer ausder C-5 zu hypnotisieren. Als sie bemerkten, daß siekeinen Erfolg damit hatten, änderten sie ihreVerhaltensweise.

Sie schossen auf Tolot.Daß sie sich ausgerechnet den Haluter ausgesucht

hatten, entsprach wahrscheinlich dem Wunsch, ihreStärke am größten Gegner zu beweisen. Doch damiterlitten sie eine klägliche Schlappe. Tolot knurrteverächtlich, ging auf die drei Fremden zu und hobdrohend die Arme. Schnell erholten sich dieAngreifer von ihrer Überraschung. Sie sprangen inden Wagen, dessen Oberteil herumschwenkte. EineÖffnung wurde sichtbar, die sich auf Tolot richtete.

„Bleiben Sie stehen!“ rief Rhodan. „Was hilft unsIhre Stärke, wenn sie auf uns schießen?“

Der Haluter winkte Rhodan zustimmend zu.Gespannt beobachtete Rhodan jede Bewegung derUnbekannten. Als diese sahen, daß Tolot sich nichtweiter auf sie zubewegte, legte einer von ihnen dieWaffe auf den Boden des Fahrzeuges und klettertemit ausgestreckten Händen heraus. Es war eine

einfache aber eindeutige Geste, mit der die Wesenihre Verhandlungsbereitschaft zeigten. Rhodanatmete erleichtert auf.

Der Parlamentär kratzte sich mit offensichtlicherVerdrossenheit am Hinterkopf. Er schien keineFreude an seiner Aufgabe zu haben. Mit einem seinerkrallenartigen Zehen malte er einen Kreis in denSand.

Dann deutete er zur Stadt hinüber.Rhodan begriff sofort. Der Kreis sollte Bigtown

darstellen.Bevor sie sich auf diesem Wege weiter

verständigen konnten, materialisierte Guckyzwischen Kasom und Rhodan. Unbeeindrucktverfolgten die drei Unbekannten das Erscheinen desMausbibers. Sie schienen weder dem Aussehen desMutanten eine besondere Bedeutung beizumessen,noch der Art, wie er auftauchte.

„Wir haben gerade mit der Unterhaltungangefangen, Kleiner“, sagte Rhodan. „Du kannst unshelfen, bevor es zu Streitigkeiten kommt.“

Gucky watschelte einige Schritte auf das Fahrzeugzu. Er machte eine großartige Geste.

„Das sind die Herren von Bigtown“, erklärte er.„Sie nennen sich die Roten Dreier.“

Der telepathische Kontakt schien ausgezeichnet zufunktionieren.

Rhodan fragte sich jedoch, wie es diese dreiWesen geschafft hatten, eine solch große Stadt mit allihren Bewohnern unter ihre Gewalt zu bringen?

„Finde heraus, was sie von uns wollen“, forderteRhodan von Gucky.

„Sie begrüßen uns“, sagte Gucky. „Sie wollenwissen, welches Verbrechen wir begangen haben,daß man uns hierhergebracht hat?“

Kasom und Rhodan tauschten einenverständnislosen Blick.

„Verbrechen?“ wiederholte Rhodan. „Was meinendie Burschen damit?“

Der Mutant zeigte nach Bigtown hinüber. „Wennich die Roten Dreier richtig verstehe, leben dortdrüben nur Verfemte. Der Planet Quarta ist einegewaltige Sammelstation für Verbrecher aller Völkervon Andromeda. Hier müssen sie den Rest ihresLebens verbringen.“

Rhodan runzelte die Stirn. Eine Stadt von fünfzigMillionen Verbrechern. Nun kam es darauf an, wasjene, die diese Gefangenen hierhergebracht hatten,unter einem Verbrechen verstanden.

„Wenn wir kein Verbrechen nachweisen können,töten sie uns“, sagte Gucky hastig.

„In Ordnung“, murmelte Rhodan. „Sage ihnen, daßwir gestohlen haben.“

„Sie möchten wissen, was wir gestohlen haben?“Rhodan deutete auf das Wrack der C-5.„Das da“, erklärte er.

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Offenbar gaben sich die Roten Dreier mit dieserErklärung zufrieden, denn sie wechselten das Thema.

„Sie erteilen uns die Genehmigung, auf Quarta zubleiben“, sagte Gucky. „Aber nur dann, wenn wirnach ihren Gesetzen leben. Und diese Gesetzescheinen ziemlich willkürlich zu sein. Sie habenZeiten der Jagd, während denen es zwei ausgelosteGruppen gibt: Jäger und Gejagte. Sie bestehendarauf, daß wir uns an diesem System beteiligen.“

„Natürlich“, sagte Tolot erfreut.Gucky verzog das Gesicht.„Bis wir uns eingelebt haben, sind wir Gejagte“,

sagte er. „Sie machen uns darauf aufmerksam, daß absofort jeder Jäger uns erledigen kann, wenn er Lustdazu verspürt.“

Rhodan fühlte Ärger in sich aufsteigen. Er dachtenicht daran, sich an einem solch unmenschlichenSpiel zu beteiligen. Wenn die Einwohner vonBigtown sich gegenseitig umbrachten, dann war dasihre Sache. Die Besatzung der C-5 würde jedochnicht daran teilnehmen. Rhodan ahnte, daß hier dieErklärung für die Macht der Roten Dreier lag.Wahrscheinlich waren alle anderen Wesen so mitKämpfen beschäftigt, daß sie keine Zeit hatten, sichum ihre Anführer zu kümmern.

„Was geschieht, wenn wir uns weigern?“erkundigte sich Rhodan.

„Dann bringen sie uns um“, verkündete Gucky.„Wir sind nicht schwach“, entgegnete Rhodan.

„Sage ihnen, daß wir gefährliche Waffen haben.Tolot ist praktisch unangreifbar.“

„Sie besitzen Möglichkeiten, uns zuüberwältigen“, sagte Gucky. „Es hilft uns wenig,wenn sie den Haluter nicht bezwingen können. Mituns werden sie fertig. Ich schlage vor, daß wir zumSchein auf ihre Forderungen eingehen. Meinetwegensoll man Jagd auf uns machen. Wir werden unswehren und inzwischen nach der Kraftstation Quartassuchen.“

Rhodan dachte nach. Gucky hatte nicht unrecht.Tolot war der einzige, der sich ausreichend schützenkonnte. Die übrigen Besatzungsmitglieder waren denHerren von Bigtown ausgeliefert. Solange der grüneSchutzschirm existierte, gab es keine Möglichkeit,von der CREST II Hilfe herbeizuholen.

Sie waren abgeschnitten.„Du mußt versuchen, eine Frist für uns

herauszuholen“, sagte Rhodan zu dem Mausbiber.„Erkläre ihnen, daß wir mit allem einverstanden sind,daß wir jedoch ein paar Stunden zur Vorbereitungbenötigen.“

Gucky richtete eine telepathische Anfrage an dieRoten Dreier. Die Antwort, die er erhielt, war allesandere als befriedigend.

„Sie geben uns keine Frist, Perry. Zwei von unssollen mit ihnen in die Stadt kommen, auf alle

anderen wird sofort Jagd gemacht.“Rhodan richtete seine Aufmerksamkeit auf die

Roten Dreier. Die Wesen waren groß und schlank.Roter Pelz bedeckte ihre Körper. Arme und Beinewaren kurz und viergliedrig. Die kugelrundenSchädel waren ungewöhnlich klein und wurden vonwachsamen Augen beherrscht.

Rhodan sah, daß er hier keine Gnade zu erwartenhatte. Diese Wesen würden auf ihren Forderungenbestehen. Wahrscheinlich besaßen sie Möglichkeiten,ihre Wünsche mit Gewalt zu erfüllen, wenn esnotwendig war. Rhodan hatte nicht vor, es zu einemAngriff auf die Besatzung der C-5 kommen zulassen.

„Nun gut“, sagte er. „Kasom geht mit mir in dieStadt. Inzwischen muß hier alles in Ordnung gebrachtwerden. Tolot soll Wache halten. Gucky, dukümmerst dich darum, daß die Männer auf allesvorbereitet sind. Atlan soll Waffen ausgeben. Bleibtvorerst hier, wenn nichts geschieht, was euch zwingt,das Wrack zu verlassen.“

„Gut“, nickte Gucky. „Sobald sich hier etwasändert, folge ich Kasom und dir in die Stadt, um euchBescheid zu geben.“

Entschlossen schritt Rhodan auf das Fahrzeug derRoten Dreier zu. Tolot beobachtete schweigend, wieRhodan und Kasom einstiegen. Es war ihm nichtanzusehen, was er von der Entwicklung hielt.

Kasom und Rhodan nahmen auf dem hinteren SitzPlatz. Vorn kauerten sich die Roten Dreierzusammen. Sie schoben ihre Waffen sorglos unterden Sitz. Der Wagen ruckte an. Staub wirbelte auf.Sie glitten an dem großen Feuer vorüber. Rhodanmußte sich festhalten, um während der rasendenFahrt nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Er blickte zurück zur C-5. Gucky war nicht mehrzu sehen, doch Tolot stand noch immer an seinemPlatz. Wahrscheinlich verfolgte er das Fahrzeug mitseinen Blicken und trauerte einem verlorenenAbenteuer nach. In jeder Unebenheit des Bodensmachte der Wagen einen Satz. Der Motor heulte solaut, daß es für Kasom und Rhodan unmöglich war,sich zu unterhalten. Die Körper der Roten Dreierschwankten.

Das Fahrzeug raste auf Bigtown zu, eine Stadt, dievon fünfzig Millionen Verbrechern bewohnt wurde.Rhodan ahnte, daß es ihm schwerfallen würde, sichan den Gedanken zu gewöhnen, daß die Besatzungder C-5 ab sofort zu den Verfemten gehörte.

*

Das Losglück hatte dem Irrsucher geholfen undihn in die Gruppe der Jäger eingereiht. Das bedeutete,daß er praktisch überall hingehen konnte. JedesWesen in Bigtown wußte, daß es die Gejagten

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vorzogen, sich überall in den Schlupfwinkeln derStadt zu verbergen, bis die Jagd vorüber war.Natürlich gab es Ausnahmen, daß die Gejagtenstärker als ihre Jäger waren und ruhig auf dieAnkunft jener warteten, die sie im Kampf tötenwollten.

Der Irrsucher machte sich keine Gedanken überdie Verwerflichkeit solcher Gesetze. Er war hierherverbannt worden, weil er die Brut eines anderenIrrsuchers gefressen hatte. Noch heute überkam ihnein Rauschgefühl wenn er an diese Freßorgie dachte.

Doch jetzt war die Zeit gekommen, da er selbstseine Eier ablegen mußte. Als sich vor Wochen dieersten Anzeichen eingestellt hatten, war der Irrsucherbeinahe verzweifelt. Wie sollte er auf dieser heißenWelt Trockeneis finden, um seine Eier darinabzulegen? Er hatte damit begonnen, Trockeneisherzustellen. Doch die Roten Dreier hatten ihreSpione überall und waren gekommen, um seineAnlage wieder zu zerstören. Niemand in Bigtowndurfte seine Nachwuchssorgen mit Hilfe technischerAnlagen lösen. Das hätte früher oder später dazugeführt, daß sich die Mitglieder einzelner Völkergegenüber den anderen einen Vorteil verschaffthätten. Das sorgfältig abgewogene Gefüge der Stadtwäre in Unruhe geraten. Die Jagdzeiten mußtengenügen, um aufgestaute Gefühle abzureagieren. Eswar nicht einfach für Hunderte von verschiedenenLebensformen, auf engstem Raumzusammenzuleben.

Als Jäger konnte der Irrsucher sich seine Opferüberall suchen. Bei der letzten Jagd hatte er ebenfallszu den Jägern gehört und drei Shingels getötet. Siehatten ihm einen Kampf geliefert, wobei ein ganzerGebäudeblock in Brand geraten war, bis er sie ihnAntigravlift gestellt hatte. Er hatte dieHauptsicherung kurzgeschlossen. Der Lift war vomobersten Stockwerk in die Tiefe gerast Die Shingelswaren tot gewesen, als der Irrsucher sich insErdgeschoß abgeseilt hatte.

Diesmal ging er jedoch nicht auf Jagd. Er suchteTrockeneis. Bisher hatte er wenig Hoffnung gehabtwelches zu finden. Doch die Bruchlandung desunbekannten Raumschiffes gab ihm neue HoffnungWenn es ihm gelang, die Besatzung zu töten, konnteer sich an Bord begeben und dort eine neueEismaschine bauen, die von den Roten Dreiern nichtentdeckt werden konnte.

Das Raumschiff mußte unmittelbar neben demLeuchtfeuer aufgeschlagen sein. Der Irrsucherbeglückwünschte sich zu der Tatsache daß sieWohngrube in jenem Stadtteil lag, wo er den Absturzdes Schiffes hatte verfolgen können Auf der anderenSeite des Kontinents hätte er wahrscheinlichüberhaupt nichts davon bemerkt.

Das Leuchtfeuer brannte während der gesamten

Jagddauer. Erst wenn es erlosch, würden sich dieOpfer wieder aus ihren Schlupfwinkeln wagen.

Der Irrsucher spürte, wie Schmerzen durch seinenmächtigen Körper rasten. Die Zeit der Eiablagerückte näher. Er mußte sich beeilen Er fragte sich,wieviel Wesen angstvoll seinen Weg verfolgten,seitdem er seine Wohngrube verlassen hatte. AlsJäger waren die Irrsucher gefürchtet, weil sie ohneRücksicht auf ihr eigenes Leben kämpften Doch derIrrsucher kümmerte sich um niemand.

Am Stadtrand stieß er auf einen der Kontrolleure,die von den Roten Dreiern eingesetzt wurden, umdarauf zu achten, daß niemand gegen die Gesetzeverstieß. Der Kontrolleur war ein Hugna, dessenglühend wirkender Körper den Irrsucher an einFeuerrad erinnerte. Der Hugna trug einendurchsichtigen Atemschutz, denn dieSauerstoffatmosphäre war Gift für ihn. Er richteteseine Translatorlampe auf den Irrsucher.

Verschiedene Leuchtbuchstaben flammten auf.„Wohin gehst du?“ las der Irrsucher.In Bigtown gab es mehr als dreißigtausend

Kontrolleure. Es erschien dem Irrsucherunwahrscheinlich daß der Hugna ihn den RotenDreiern melden würde, nur weil er die Innenstadtverließ. Das war zwar ungewöhnlich, aber es kamimmer wieder vor.

„Ich jage außerhalb der Stadt“, erklärte derIrrsucher mit verhaltener Erregung. Der Hugnakonnte ihn zwar hören, aber er war nicht in der Lage,auch nur den leisesten Ton zu erzeugen.

Die Leuchtbuchstaben purzelten durcheinanderund wurden durch neue ersetzt.

„Name?“Schweigend zeigte der Irrsucher dem Kontrolleur

seine Losmarke. Dort war sein Name, seineVolkszugehörigkeit und seine Bedeutung währendder Jagd eingeprägt. Der Hugna veränderte dieStellung seines stabförmigen Augenbandes. Wiedererschienen neue Buchstaben auf der Lampe.

„Weitergehen!“ las der Irrsucher erleichtert. „GuteJagd!“

„Gute Jagd!“ gab Krash-Ovaron zurück.Er beeilte sich, an den letzten Gebäuden

vorbeizukommen. Vielleicht wäre er über dieGedanken des Hugnas erstaunt gewesen. Derangebliche Kontrolleur war nicht weniger erleichtertals Krash-Ovaron, aber er amüsierte sich gleichzeitigüber das Gelingen seines Planes. Ein als Kontrolleurverkleidetes Opfer besaß eine echte Chance, denJägern zu entkommen. Der Hugna ahnte jedoch, daßer diese Maske nicht während der gesamten Jagdbenutzen konnte, denn die Roten Dreier würden ihntöten lassen, wenn sie je davon erfuhren.

Inzwischen hatte Krash-Ovaron das offene Landerreicht. Er blickte nicht zurück. Das blaue

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Leuchtfeuer war weithin sichtbar. Dicht danebenkonnte er das fremde Raumschiff sehen. Es war nichtsehr groß, aber das konnte ihm nur recht sein. Jeweniger Fremde sich dort aufhielten, desto schnellerwürde der Kampf vorbei sein.

Plötzlich sah Krash-Ovaron eine Staubfahneaufwirbeln. Abrupt blieb er stehen. Zwischen Schiffund Leuchtfeuer bewegte sich etwas. Waren dieNeuankömmlinge bereits auf dem Wege zur Stadt?Krash-Ovaron zischte ärgerlich. Hoffentlich kam ernicht zu spät.

Wenige Augenblicke später erkannte er, daß es dasFahrzeug der Roten Dreier war, das sich von derUnfallstelle aus Bigtown näherte. Krash-Ovaron gingkein Risiko ein. Er kauerte sich flach in eineBodenmulde. Schneller als er erwartet hatte,kümmerten sich die Roten Dreier um die Fremden.Der Irrsucher hatte damit gerechnet, daß die RotenDreier die neuen Gefangenen ohne Warnung in dieStadt kommen lassen würden.

Krash-Ovaron dachte angestrengt darüber nach,wieviel die Fremden bereits über die Verhältnisse aufdem Planeten der Verfemten erfahren habenmochten.

Es gehörte zu den Gepflogenheiten der RotenDreier, daß sie Neuankömmlingen die Gesetze vonBigtown schilderten. Doch dabei waren sie nichtimmer ehrlich. Es kam ganz darauf an, wie wichtigihnen die jeweiligen Wesen erschienen. Der Irrsucherwar entschlossen, seinen Plan auf jeden Falldurchzuführen. Er war der letzte seines Volkes aufQuarta. Nur, wenn es ihm gelang, seine Brutabzulegen, konnte er hoffen, seine Art auf dieserWelt zu erhalten.

Warum mußte der Strafplanet ausgerechnet eineWelt sein, die eine so heiße Atmosphäre besaß, daßes nicht zu Eisbildungen kommen konnte? Dernatürliche Trieb des Irrsuchers war stärker als jedewarnende Vernunft. Krash-Ovaron würde jederzeitsein Leben opfern, um seine Brut zu retten.

Am Boden hingeduckt, wartete er, bis der Wagender Roten Dreier zwischen den ersten Gebäudenverschwunden war. Die Herren von Bigtown hattenzwei Fremde bei sich. Die Neuankömmlinge wirktennicht gefährlich, aber Krash-Ovaron wußte genau,daß er nicht allein vom Aussehen auf die Fähigkeitender Wesen schließen konnte.

Krash-Ovaron kroch aus der Mulde. Seine Augen,die wie hervorquellende Glasmurmeln weitauseinander in der flachen Stirn saßen, glittenunruhig hin und her. Es gab keine Anzeichen fürGefahr. Die faltenartige Haut an Krash-OvaronsSprungbeinen zog sich zusammen. Sozusammengekauert glich der Irrsucher einerüberdimensionalen Kröte.

Mit mächtigen Sprüngen hüpfte der Irrsucher dem

abgestürzten Raumschiff entgegen. Bald erkannte ereine einsame Gestalt zwischen Wrack undLeuchtfeuer. Offenbar hatten die Verfemten einenWächter ausgestellt. Das Wesen war so groß wieKrash-Ovaron, aber nicht so breit gebaut.Krash-Ovaron gab sich nicht der Illusion hin, daß ersich unentdeckt dem Schiff nähern könnte. Er mußtesich mit Hilfe eines Tricks Zugang verschaffen. Aufkeinen Fall durfte der Wächter die anderen Insassenwarnen.

Verbittert dachte der Irrsucher an seine Strafe, dieihn lebenslänglich auf diese Welt verbannte. Hier warder Kampf ums Dasein härter als in seiner Heimat.

Der Fremde vor dem Wrack stand bewegungslos.Er glich einer Statue, deren Körper das Licht desFeuers reflektierte. Krash-Ovarons Sprünge wurdenkürzer, er bremste seine Geschwindigkeit mit denstämmigen Vorderbeinen ab, die er gleichzeitig alsGreifarme benutzen konnte. Sand wirbelte auf. DerIrrsucher tat, als sei er nur am Leuchtfeuerinteressiert. Er achtete darauf, daß er sich so bewegte,daß der Wächter glauben mußte, er sei gekommen,um sich um das Feuer zu kümmern.

Der Wächter sah nicht bedrohlich aus.Krash-Ovarons Selbstbewußtsein stieg. Er gelangteneben dem Feuer an. Der Fremde verhielt sich ruhig.Er schien seine ganze Aufmerksamkeit der Stadt zuwidmen. Der Irrsucher machte sich am Gestell zuschaffen, auf dem Drei-Monde-Jello das Feuerentzündet hatte. Die Hitze rief Übelkeit in ihmhervor, aber er gab nicht auf. So kam er allmählichauf die andere Seite der Flammen. Der Wächter derneuen Gefangenen von Bigtown konnte nicht wissen,welche Sprünge Krash-Ovaron auszuführen imstandewar. Der Irrsucher bemühte sich jede seinerBewegungen schwerfällig aussehen zu lassen. Nocheinmal blickte er zum Schiff hinüber. Dort war allesruhig.

Ich habe nur einen Sprung, dachte Krash-Ovaron.Behutsam, als könnte jedes Zucken einer Sehne

ihre Absichten verraten, kauerte sich die riesigeKröte zusammen. Da Krash-Ovaron direkt vor demFeuer hockte, konnte der Wächter nichts von diesenVorbereitungen erkennen; er mußte von denFlammen geblendet werden, wenn er wirklich zuKrash-Ovaron herüberblickte.

Die Hitze loderte über den Irrsucher hinweg. EinenAugenblick verschwamm das Bild seines Opfers vorseinen Augen.

Jetzt, dachte Krash-Ovaron ruhig.Er stieß sich ab, eine geballte Masse von Muskeln

und Fleisch. Noch im Sprung wunderte er sich überdie Kraft, die er entwickelt hatte.

Der Fremde schien von unten auf ihn zuzufliegen,obwohl es in Wirklichkeit Krash-Ovaron war, derdurch die Luft schoß. Der Aufprall mußte jedes

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Lebewesen von der Größe des Wächterszusammenbrechen lassen.

Noch im Sprung warf sich Krash-Ovaron etwaszur Seite, um den Gegner aus dem Gleichgewicht zubringen. Dann zielte er voll auf den Unbekannten, derkeine Abwehrreaktion gemacht hatte.

Im gleichen Augenblick schrie Krash-Ovaron inmaßloser Wut und Enttäuschung auf. Wo eben nochder Wächter gestanden hatte, zeigte sich nackterBoden. Der Irrsucher bekam keine Zeit, um darübernachzudenken, was er verkehrt gemacht hatte. Miteinem dumpfen Schlag prallte er auf den Boden. Ererhielt einen Hieb der ihn herumriß und einenstechenden Schmerz durch seinen Rücken trieb.Grüne Flüssigkeit schoß aus seinen Erregungsporen.Er sah den Feind hinter sich, ein großer, dunklerSchatten, der schneller als jedes andere Wesen war,das Krash-Ovaron bisher gesehen hatte.

Die Tatsache, daß er einfach am Bodenliegenblieb, rettete dem Irrsucher das Leben. DerWächter verhielt sich abwartend. Während er gegendie Schmerzen ankämpfte, erwartete Krash-Ovaronden Todesstoß. Er hatte Jagd gemacht und verloren.Das konnte nur sein Ende bedeuten. Doch nichtsgeschah.

Krash-Ovaron begann zu hoffen. Bot sich ihm eineMöglichkeit, mit diesen Wesen zu verhandeln?Wußten sie noch nichts von den Gesetzen der Stadt?

Er sah, daß sich mehrere Fremde aus dem Schiffnäherten. Sie waren nicht so groß wie ihr Wächter.Wahrscheinlich war der Bezwinger des Irrsuchers einRoboter.

Blitzschnell überlegte Krash-Ovaron. Solange eram Leben blieb, hatte er eine Chance, das Schiff zuerobern. Der leichte Sieg des Wächters konnte dieNeuankömmlinge dazu verleiten Krash-Ovaron zuunterschätzen.

Besorgt lauschte der Irrsucher in sich hinein. DieBrut mußte gerettet werden. Hoffentlich hatte derkurze Kampf den empfindlichen Eiern nichtgeschadet.

Ganz langsam, so daß man seine Bewegungennicht falsch deuten konnte, richtete sichKrash-Ovaron auf. Er war einer der gefürchtetstenJäger von Bigtown. Sieben Jagdzeiten hatte erabwechselnd als Jäger und Opfer überstanden. Auchdiesmal würde er noch als Sieger in die Stadtzurückkehren. Aber nur dann, wenn er einen Platz fürseinen Nachwachs fand.

Die Fremden unterhielten sich miteinander. Sietrugen Gegenstände aus Metall bei sich, diezweifellos Waffen waren. Der Irrsucher tat, als sei erhalbtot. Die Wesen mußten glauben, daß er nichtsmehr unternehmen konnte.

„Daraus wird nichts, alter Junge“ sagte da eineStimme direkt in seinen Gedanken.

Ein winziges Wesen schob sich zwischen denFremden hindurch. Es trug einen Pelz und starrteKrash-Ovaron aus glänzenden Augen an. EinNagezahn von abgrundtiefer Häßlichkeit rundete dasungewöhnliche Bild ab.

Telepathie, dachte Krash-Ovaron und blockierteseine Gedanken. Wieviel hatte der Kleine schonherausgefunden? Der Irrsucher erkannte, daß er seinePläne ändern mußte. Offenbar waren mit dem SchiffAngehörige verschiedener Völker auf Quartaabgesetzt worden. Zwischen diesen Verbrechernschien eine Art Bündnis zu bestehen. Krash-Ovaronspürte, wie das Pelzwesen in seine Gedankeneinzudringen versuchte.

Im Augenblick war seine Situation hoffnungslos.Aber noch immer hatte er seine fürchterlichste

Waffe nicht eingesetzt.

3.

Mory Rhodan-Abro zeigte keinen Augenblick, wiesehr sie das unverhoffte Auftauchen desEnergieschirmes um Quarta schockiert hatte. DieBesatzung der C-5, unter der sich ihr Mann befand,war auf Quarta abgeschnitten. Weder die CREST IInoch das Posbischiff konnten jetzt helfen.

Mory durchschaute die Falle, in die dieKaulquappe geflogen war.

In der Zentrale des Flaggschiffes kamen sofort alleVerantwortlichen zusammen, die nicht mit aufQuarta gelandet waren.

Wenn einer der führenden Männer innerhalb desSchiffes Mitleid mit der jungen Frau hatte, dannzeigte er es nicht. Rhodans Frau wurde von allen wieein Mann behandelt, und sie stand in ihrer Tapferkeitund Entschlußkraft den Männern in nichts nach.

„Die von Captain Henderson gesteuerteKaulquappe ist in eine Falle geraten“, begann siesachlich. „Wir wissen, daß es kaum möglich ist, denSchutzschirm zu durchdringen. Es wäre zugefährlich, es wieder mit Gravitationsbomben zuversuchen. Außerdem ist Gecko allein zu schwach,um durch die Lücke zu springen.“

Der Mausbiber protestierte, aber ohne innereÜberzeugung.

„Du wirst deine Chance erhalten, Gecko“,versprach Mory. „Wir lassen nichts unversucht, umdie Verbindung mit den Abgeschnittenenaufzunehmen.“

„Darf ich einen Vorschlag machen?“ fragteCaptain Don Redhorse.

„Sie wollen versuchen, mit einer zweitenKaulquappe der C-5 zu folgen“, erriet MoryRhodan-Abro.

Der Cheyenne-Indianer nickte ruhig. Seinblauschwarzes Haar glänzte im Widerschein der

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Kontrollen. Er war einer der letzten reinrassigenIndianer, die es auf Terra noch gab.

„Ich halte das für sinnlos“, sagte Mory.Zustimmendes Gemurmel bewies, daß niemand vonRedhorses Plan begeistert war. Der Indianer zucktemit den Schultern und schwieg.

„Auf jeden Fall sollten wir in der Nähe desPlaneten bleiben“, schlug Oberstleutnant Huise vor.„Vielleicht bricht der Schirm durch irgendwelcheUmstände zusammen so daß wir etwas unternehmenkönnen. “

„Ich bewundere Ihren Optimismus“, sagte OberstRudo, obwohl sein beherrschtes Gesicht nichts vonseiner Bewunderung für den Ersten Offizier derCREST II zeigte. „Ich halte ihn jedoch fürübertrieben. Es besteht für uns kein Grundanzunehmen, daß der Schirm zu existieren aufhörenkönnte. Ebenso könnten wir darauf warten, daß dieDoppelsonne zu strahlen aufhört.“

„Selbstverständlich warten wir“ sagte Mory. „Abernicht tatenlos.“

„Was haben Sie vor?“ fragte Rudo.„Zunächst soll Gecko versuchen, ob er auch ohne

Gucky und die Bomben durch den Schirm kommt.Dann werden wir die Posbis bitten, sich um dieseSache zu kümmern. Vielleicht gelingt es einigen derRoboter, den Schirm zu durchdringen.“

Es wurden weitere Vorschläge gemacht, doch baldwar es allen klar daß die Lage trotz aller tollkühnenPläne verzweifelt war. Es gab keine echte Chance,bis zur C-5 vorzudringen. Es konnte sein, daß dieBesatzung der Kaulquappe bereits nicht mehr amLeben war. Die Diskussion darüber, welcheVerhältnisse Rhodan auf Quarta angetroffen hattewollte nicht verstummen. Über Vermutungen kamman jedoch nicht hinaus.

Schließlich wurde Mory Rhodan-Abros Vorschlagangenommen, Gecko einen Versuch wagen zu lassen,den Schirm mit einem Teleportersprung zudurchdringen.

Der Mausbiber verschwand eine kleine, dicklicheGestalt, die zu schwach schien, irgend etwas zuerreichen.

Niemand wunderte sich, als Gecko kurz daraufwieder auftauchte. Er machte eine knappe Geste.Jeder an Bord hätte sie richtig deuten können.

Nicht zu machen, hieß das.„Vielleicht kann ich jetzt meinen Vorschlag

wiederholen“, sagte Redhorse in die Stille hinein. Inseiner großen, schlanken Gestalt lag eine sprunghafteErwartung, die durch das Glitzern seiner Augen nochverstärkt wurde.

„Lassen Sie die Kriegsbemalung in der Schublade,Captain“ sagte Oberst Rudo mit leichtem Sarkasmus.„Wenn Gecko es nicht schafft, werden Sie auch miteiner Kaulquappe kein Glück haben.“

„Auf jeden Fall halte ich mich bereit, Sir“, sagteRedhorse lakonisch.

„Es sieht tatsächlich so aus, als müßten wir warten,bis der Schutzschirm um Quarta zusammenfällt“,stellte Mory Rhodan-Abro ruhig fest. Im stillenbewunderten die Männer die Gelassenheit, die siezeigte.

Captain Redhorse wandte sich um und verließ mitsteifen Schritten die Zentrale. Vielleicht war erverärgert.

Wer wollte das bei einem Indianer sagen.

4.

Das Motorengeräusch verstummte, als der Wagenauf ein Gleitband fuhr und von diesemdavongetragen wurde. Die Verschiedenartigkeit derGebäude wirkte inmitten der Stadt noch grotesker alsvon außerhalb. Und die Stadt wimmelte vonverschiedenartigem Leben. Überall wurde gekämpft.

Rhodan sah zwei schlangenförmige Wesen, die miteinem stachelbewehrten Körper um den Besitz einesGegenstandes kämpften, der wahrscheinlich eineWaffe war. Die Roten Dreier blieben durch solcheEreignisse völlig unbeeindruckt. Vorn am Wagenbrannte jetzt ein Signallicht, vor dem alle anderen zurSeite wichen. Das Fahrzeug und seine Insassenwurden nicht belästigt. Auch in verschiedenenGebäuden wurde gekämpft. Einmal mußte dasFahrzeug das Gleitband verlassen, weil ein riesigesWesen im Weg war. Das Monstrum war tot, seinerosafarbene, narbenbedeckte Zunge hing heraus. Aufseinem Rücken hockte sein Bezwinger, ein dürrer,knochiger Vogelmann. Als er die Roten Dreier sah,verschwand er hastig.

Rhodan fragte sich, wie der Vogel das Ungeheuerhatte töten können.

Der Wagen schaukelte und quietschte, als er aufden rauhen Boden neben dem Band weiterfuhr. EineHorde verschiedener Lebewesen versperrte ihnengleich darauf die Weiterfahrt. Offensichtlich warenes Zuschauer eines Kampfes, der inmitten deslebendigen Ringes ausgetragen wurde.

Die Roten Dreier bestätigten die Signallampe,ohne die Menge auseinandertreiben zu können.Niemand schien das Fahrzeug zu bemerken. Gelassengriff einer der Herren von Bigtown unter den Sitzund zog seine Waffe hervor. Dann feuerte er einenSchuß über die Köpfe der Zuschauer hinweg ab.

Die Masse teilte sich. Zwischen den Gleitbändernrangen zwei untersetzte Dickhäuter miteinander. DerBoden war von ihren Füßen aufgewühlt. Es war einKampf auf Leben und Tod.

Der Wagen ruckte an. Glühende Augen verfolgtenseine Fahrt.

„Es sieht so aus, als würde hier jeder mit jedem

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kämpfen, Sir“, sagte Melbar Kasom. „Und das mitvoller Billigung der Regierung.“ Er machte einZeichen in Richtung auf die Roten Dreier.

„Es sind Verbrecher, die zudem noch eineMentalität besitzen, die wir nicht verstehen können“,erwiderte Rhodan. „Was wir als grausam empfinden,sehen sie vielleicht als Vergnügen an.“

Kasom schüttelte sich. Es war ein unbegreiflicherGedanke, daß hier die Einwohner einer Stadtgnadenlose Jagd aufeinander machten. Rhodanhoffte, daß es ihnen erspart blieb, sich in diesesChaos stürzen zu müssen.

Hinter ihnen schloß sich die Zuschauermenge. DerKampf ging weiter. Einige Zeit kam das Fahrzeugauf dem Gleitband voran, ohne daß sie aufgehaltenwurden. Sie kamen durch einen ruhigen Stadtteil, mitflachen Bauwerken und ausgedehnten Parkanlagenmit Seen und Brunnen. Doch das friedliche Bildkonnte nicht über die wahren Ereignisse in Bigtownhinwegtäuschen. Die Roten Dreier fuhren mittendurch den Park. Unmittelbar neben einem großenBrunnen sah Rhodan die Leiche eines unbekanntenLebewesens. Er machte Kasom darauf aufmerksam.

„Wir müßten herausfinden, wie lange die Jagddauert“, knurrte der Ertruser. „Sie können doch nichtso weitermachen, bis sie sich alle gegenseitigumgebracht haben.“

Rhodan kämpfte gegen die Abscheu an, die er fürdie Bewohner von Bigtown empfand. Es warwichtiger, diese Wesen zu verstehen, zu erfahren, auswelchem Antrieb heraus sie das taten.

Nach menschlichen Gesetzen waren die Verfemtenvon Quarta zu verurteilen, aber wer wollteentscheiden, ob menschliche Gesetze auf sieanzuwenden waren?

Hinter dem Park mündete das Gleitband in einenbeleuchteten Tunnel. Die Roten Dreier steuerten dorthinein. Andere Fahrzeuge begegneten ihnen.Unterhalb der Tunneldecke flogenfledermausähnliche Wesen einen Angriff auf einenparkenden Wagen, in denen ein breitschultrigerHumanoide mit einer langläufigen Waffe um seinLeben kämpfte. Helle Blitze, schossen aus seinerWaffe und blendeten Rhodan und Kasom. Als dasFahrzeug der Roten Dreier vorbeihuschte, gelang esdem Humanoiden, einen seiner Gegner zu treffen.Die Riesenfledermaus, oder was immer es war, stießeinen schrillen Schrei aus und sank mit verzweifeltenFlügelschlägen tiefer. Sie torkelte so dicht über denWagen hinweg, daß die Insassen die Köpfe einziehenmußten. Die Roten Dreier beschleunigten das Tempo.

Das Krächzen der Fledermäuse verfolgte denWagen, bis der Tunnel eine scharfe Kurve machte.

Nach einigen hundert Metern gabelte sich derTunnel. Eine Strecke war freigegeben, die anderedurch eine Sperre gesichert. Die Roten Dreier hielten

auf die Sperre zu. Kurz davor betätigten sie dreimaldie Signallampe. Die Sperre glitt auf. Zu beidenSeiten sah Rhodan die drohenden Mündungenautomatischer Waffen aus den Wänden ragen. Erfragte sich, was mit ungebetenen Gästen geschah, diesich hier hereinwagten.

Das Gleitband hörte auf. Der Wagen rollte auseigenem Antrieb über glatten Boden weiter, derlangsam aber stetig in die Tiefe führte. DieTemperatur jedoch blieb unangenehm warm. Inregelmäßigen Abständen erhellten Lampen denTunnel. Niemand begegnete den Roten Dreiern undden beiden Schiffbrüchigen. Ab und zu tauchte einSeitengang auf, doch die Herren von Bigtownignorierten diese Möglichkeiten zurRichtungsänderung. Unzählige Nischen, die mitgeheimnisvollen Geräten gefüllt waren, erwecktenRhodans Aufmerksamkeit.

Man brachte sie offenbar tief unter die eigentlicheOberfläche Quartas.

Endlich brach der Tunnel ab und mündete in eineHalle. Die ganze Zeit über hatten die Roten Dreierkein Wort miteinander gewechselt. Sie schienen auchso zu wissen, was zu tun war.

Unwillkürlich hatten sich Rhodan und Kasomdiesem Schweigen angepaßt. Hinzu kam dasniederdrückende Bewußtsein, daß sie sich immerweiter von der C-5 entfernten. Nun, wenn es daraufankam, konnte Gucky sie auch hier unten finden.

Am meisten wunderte sich Rhodan über dieSelbstsicherheit der Roten Dreier. Es war, alsbezögen diese Wesen ihre Ruhe von einerübergeordneten Macht, von der Rhodan nichts wußte.Manchmal hatte Rhodan den Eindruck, daß die RotenDreier von irgend etwas gesteuert wurden, Doch ermußte sich täuschen. Schließlich hatten sich dieRoten Dreier als die Herren von Bigtownausgegeben.

Der Wagen glitt durch die Halle bis er vor einerdreieckigen Einfahrt anhielt.

Die Roten Dreier sprangen aus dem Fahrzeug. Miteiner Handbewegung forderten sie die beidenGefangenen auf, ihnen zu folgen. Es warvollkommen still. Als die drei Herrscher vonBigtown dicht vor das spitzwinklige Tor traten, sankdieses in den Boden.

Eine kuppelförmige Halle wurde sichtbar. Sie warim Gegensatz zur Vorhalle so hell, daß es schien, alsreiche die Doppelsonne bis hierher. Hinter den RotenDreiern traten Rhodan und Kasom ein.

Den ersten Eindruck, den Rhodan hatte, war dasGefühl, von mehreren hundert Augen beobachtet zuwerden. Doch es waren keine Augen. Es warenBildschirme, die sich glitzernd und oval geformt inzwei Metern Höhe fast rund um die Kuppelhallezogen. Auf allen Geräten sah Rhodan Bildausschnitte

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von Bigtown. Von hier aus konnten die Roten Dreieralles beobachten, was sie zu beobachten wünschten -und das war sicher nicht wenig.

Die Halle selbst war mit Maschinen und Gerätenausgefüllt. Eine Statue, die einen Roten Dreier zeigtenahm sich beinahe unwirklich inmitten diesestechnisierten Raumes aus.

An einem länglichen Tisch blieben die RotenDreier stehen. Einer ergriff ein eiförmiges Gebilde,das, als er es hochzog, durch ein Spiralkabel mit demTisch verbunden blieb.

Ein Mikrophon, dachte Rhodan.Der Rote Dreier sprach einige unverständliche

Worte in das Mikrophon.Gleich darauf kam aus dem Hintergrund ein

zartgliedriges Wesen mit großen, feuchten Augen. Eswar so groß wie ein Mensch, aber spindeldürr Trotzder innerhalb der Halle herrschenden Hitze schiendas Wesen zu frieren. Seine feinen Hände tastetensich über den Tisch, als sei es blind.

„Ich bin der Dolmetscher“, sagte das Wesen. SeineStimme klang brüchig. Jedes Wort schien ihm Mühezu bereiten. Rhodan war einen Augenblick soverblüfft, daß er sich nicht auf eine Antwortkonzentrieren konnte. Die Roten Dreier standenabwartend dabei.

„Wie funktioniert es?“ brachte Rhodan schließlichhervor. „Telepathie?“

„Nein“, sagte das Wesen. „Jedes Gehirn sendetWellen aus. Ich nehme sie als Symbole wahr. Aberich kann alles verstehen.“

„Um Himmels willen“, dröhnte Kasom. „Einlebender Symboltransformer. Das sollten die Posbiseinmal sehen.“

Die Roten Dreier waren mit dem Fortgang derUnterhaltung offenbar nicht einverstanden. Sieredeten heftig auf den Dolmetscher ein. Das Wesenschien unter ihren Stimmen einzuschrumpfen. Kasomwollte eingreifen, doch Rhodan hielt ihn zurück.

„Ich bin Blan“, sagte der Dolmetscher schließlich.„Ich soll euch sagen, daß die Roten Dreier nichtglauben, daß ihr Verbrecher seid. Für euer Hierseinmuß es andere Gründe geben.“

Und ob, dachte Rhodan. Sofort unterdrückte erdiesen Gedanken. Laut sagte er: „Wir wollen eineErklärung haben, warum man uns hierhergebrachthat!“

Blan lächelte traurig. Rhodan sah sich und Kasomin den Augen des Dolmetschers wie in einem Spiegelso groß waren sie und so glänzend. Was immer sieschon gesehen hatten, es konnte nichts Angenehmesgewesen sein.

„Sie können erfahren, warum Sie hier sind“, sagteBlan. Mitleid schwang in seiner Stimme mit. Erschien bereits zu wissen, was den beiden Männernbevorstand. Wahrscheinlich hatte er solche Dinge

schon oft genug erlebt.„Sie müssen beweisen, daß Sie tatsächlich

ausgesetzte Verbrecher sind“, fuhr Blan fort. „Da Siebehaupten, Diebe zu sein, werden Sie einen Diebstahlbegehen müssen.“

Rhodan und Kasom wechselten einen schnellenBlick. In Rhodan stieg Widerwillen gegen dieMethoden der Roten Dreier auf, die selbstherrlichentschieden, wer auf Quarta aufgenommen wurde.

Die Roten Dreier sprachen auf Blan ein.„Was wollen wir tun, Sir?“ erkundigte sich

Kasom.„Abwarten“ erwiderte Rhodan. „Noch wissen wir

nicht genau, was man von uns verlangt. Sobald esschwierig wird, können wir uns immer noch etwasausdenken.“

Blan nahm von den Roten Dreiern eine Zeichnungin Empfang. Er übergab sie Rhodan. Rhodan nahmdas Blatt entgegen. Mit feinen Linien war einGebäude darauf gezeichnet. Als Rhodan seine Fingerbewegte, veränderte sich das Bild, das offenbar ausvielen hauchdünnen Schichten bestand. Jetzt sah ereinen Raum, in dessen Mitte sich ein Sockel befand.Auf dem Sockel lag ein dreieckiger Stein- oderMetallbrocken.

„Dieses Haus müssen Sie finden“, erklärte Blan.„Aber das genügt nicht. Sie müssen diesen Steinstehlen und ihn hierherbringen, um zu beweisen, daßSie fähige Diebe sind.“

Rhodan verzog das Gesicht.„Wie können wir dieses Haus in einer solchen

Riesenstadt finden?“ erkundigte er sich. „Wir sindfremd, aber selbst für einen Einheimischen wärediese Aufgabe unlösbar.“

„Sie haben recht“, sagte Blan.„Aber ich habe keinen Einfluß auf die Pläne der

Roten Dreier.“„Was geschieht, wenn wir keinen Erfolg haben?“

knurrte Kasom.Blan senkte den Kopf - und das sagte mehr als

Worte.„Wie lange haben wir Zeit?“ erkundigte sich

Rhodan.„Solange das blaue Leuchtfeuer brennt, solange

dauert die Jagd“, gab Blan zurück. „Wenn es amErlöschen ist, müssen Sie wieder hier sein.“

„Wie viele Tage wird es brennen?“ wollte Kasomwissen.

„Drei“, sagte Blan. „Ein Tag ist bereits zur Hälfteverstrichen.“

Rhodan blickte auf die Zeichnung. Durch eineReibbewegung ließ er das Bild des Gebäudeszurückkehren. Es handelte sich um ein auffälligesBauwerk. Es glich einer Pyramide ohne Spitze. Anjeder der vier Seitenflächen gab es halbrundeAuswüchse.

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„Der Stein wird bewacht“, sagte Blan in diesemAugenblick.

„Bewacht?“ echote Rhodan. „Wer bewacht ihn?“Der Dolmetscher trat zurück und schwieg. Kasom

wollte ihn verfolgen, doch die Waffen der RotenDreier hielten ihn davor zurück. Rhodan schob dieZeichnung in die Tasche, die sie zu der Pyramidebringen sollte. Er bezweifelte jedoch, daß sie dasGebäude je erreichen würden. Was mochteinzwischen an Bord der C-5 geschehen?

Machte man bereits Jagd auf die Besatzung?Rhodan war überzeugt daß die Kaulquappe noch einsicherer Aufenthaltsort war.

Bevor er weiter darüber nachdenken konnte,erhielt er einen Stoß versetzt. Wütend fuhr er herum,doch er blickte genau in die Mündung einer Waffe.Die Roten Dreier zeigten zum Ausgang, der nochimmer offenstand.

„Wir müssen gehen“, sagte Rhodan.„Aber wir haben keine Chance, Sir“, stieß Kasom

erbittert hervor. „Wie können sie von uns etwasUnmögliches verlangen?“

„Versuchen Sie nicht, etwas zu verstehen, was aufdieser Welt geschieht“, empfahl Rhodan demUSO-Spezialisten. „Verbrecher besitzen ihre eigenenGesetze.“

Kasoms große Hände glitten an den Hüftenabwärts.

„Wir haben noch nicht einmal Waffen“, sagte er,als sie sich in Bewegung setzten.

„Sicher erwarten die Roten Dreier daß wir unsdiese ebenfalls stehlen“ meinte Rhodan ironisch.

Er warf einen Blick zurück, als sie aus derKuppelhalle traten Auf einem der Bildschirmeglaubte er das pyramidenförmige Bauwerk zu sehen,das sie suchen mußten.

Rhodan konzentrierte seine Gedanken auf dieAbsturzstelle. Er mußte telepathischen Kontakt mitGucky herstellen. Der Mausbiber war ihre einzigeChance, die Pyramide zu finden und den Stein zubeschaffen. Doch die Anstrengungen bliebenerfolglos.

Gucky meldete sich nicht.Rhodan unterrichtete den Ertruser über diese

Entwicklung. Der Spezialist strich nervös über seineSichellocke.

„Es muß etwas passiert sein“, vermutete er.„Vielleicht wurde die C-5 angegriffen.“

Rhodan biß sich auf die Lippen. Was sollten sietun, wenn ihre einzige Verbindung zu Kaulquappe,Gucky ausgefallen war? Niemand sonst war in derLage, sich mit ihnen zu verständigen.

„Ich glaube, wir werden nicht sofort mit der Suchenach der Pyramide beginnen“, gab Rhodan bekannt.

„Was haben Sie vor, Sir?“„Wir müssen herausfinden, was geschehen ist.“

Kasom ballte die Fäuste. „Dadurch verlieren wirviel Zeit, Sir. Sicher wird sich der Mausbiber baldmelden.“

Sie hatten den Tunnel erreicht. Rhodan bliebstehen. „Sie haben recht, Kasom“, sagte ernachdenklich. „Wenn es irgend jemand gelungen ist,Gucky außer Gefecht zu setzen, können wir auchnicht viel tun. Also werden wir uns mit unsererAufgabe befassen. Hoffen wir, daß Gucky sich baldmeldet.“

Mit weitausholenden Schritten gingen sie denTunnel hinauf, bis sie zur Sperre an der Gabelungkamen. Das Hindernis glitt zur Seite, als die beidenMänner auftauchten. Rhodan deutete auf dasstrahlende Gitter, das langsam in der Wandverschwand.

„Sie beobachten uns“, stellte er fest.„Wahrscheinlich können sie jeden unserer Schritteverfolgen. Auf die Dauer wird ihnen das jedoch zulangweilig werden. Ich kann mir schlecht vorstellen,daß sie nichts anderes zu tun haben, als unsnachzuspionieren.“

Kaum hatten sie die Sperre hinter sich gelassen, alsdas Gitter den Weg in die Tiefe wieder versperrte.Ohne zu zögern, sprangen die beiden Raumfahrer aufdas Gleitband, das nach oben führte. Im Tunnel wares still. Nach einigen hundert Metern begegneteihnen ein Wagen, der in die entgegengesetzteRichtung fuhr. Er war jedoch vollkommen leer.

Plötzlich packte Kasom Rhodan am Arm. „HörenSie, Sir!“ zischte er.

Rhodan wußte, daß der USO-Mann ein scharfesGehör besaß. Er konzentrierte sich auf die vor ihnenliegende Tunnelstrecke. Dann hörte er es auch.

Das krächzende Geschrei der Fledermäuse!„Ob sie noch kämpfen?“ fragte Kasom.Sie verließen das Band und blieben zwischen den

beiden Gleitbahnen stehen. Der einzige Weg nachoben führte an den fliegenden Riesen vorbei.

„Wenn sie noch beschäftigt sind, werden sie sichnicht um uns kümmern“, meinte Rhodan.

Kasom breitete die Hände aus, wie ein Spieler, dersein schlechtes Blatt demonstrieren will.

„Ohne Waffen kommen wir nicht durch“, meinteer.

Rhodan starrte in den hell erleuchteten Tunnelhinein. Er erwartete, jeden Augenblick den Schatteneines Vogelwesens an der Decke zu sehen. Doch nurdas Gekrächze deutete auf die Anwesenheit derUngeheuer hin.

„Kommen Sie, Kasom“, forderte Rhodan. „Hierkönnen wir auf keinen Fall bleiben.“

Sie gingen zum Band zurück und ließen sichweiter nach oben tragen. Dann kam die Kurve, hinterder sie die Fledermäuse sehen mußten. KasomsKörper versteifte sich. Das Band wurde unruhig, als

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es in die Kurve hineinglitt.Das erste, was Rhodan sah, war der Wagen des

fremden Humanoiden, der während ihrer Ankunftgegen die fliegenden Monstren gekämpft hatte. DasFahrzeug lag jetzt zwischen den Gleitbändern, dieRäder zeigten nach oben. Der Humanoide hing überden herausgefallenen Sitzen. Seine Händeumklammerten die Waffe, und eine breite, dunkleSpur zeugte davon, daß er bis zum bitteren Endegekämpft hatte.

Zwei Fledermäuse hockten auf den Achsen desWagens: düstere Silhouetten gegen die Helligkeit desTunnelhintergrundes. Sie gaben krächzende Lautevon sich und falteten ihre Flügel übereinander, alswollten sie deren Flugfähigkeit prüfen. Drei weitereschwebten über dem Kampfort. Die Sitze desFahrzeuges waren von Krallen- und Schnabelhiebenaufgefetzt worden, und die Füllung quoll überallhervor. An einer Stelle berührte das Band den Wagenund erzeugte einen Schleifton, als zerre jemand einenschweren Körper über Geröllboden.

Kasom stieß einen ertrusischen Fluch aus undsprang vom Band herunter. Rhodan folgte ihm sofort.Hier wurden sie Zeuge eines Schauspiels, das nurhatte stattfinden können, weil es auf Quartaunmenschliche und brutale Gesetze gab. Rhodanhatte Mühe, seinen aufsteigenden Zorn unterKontrolle zu halten. Er mußte sich zwingen, dieseSzene mit der Objektivität eines Bewohners derMilchstraße zu betrachten, der auf eine Zivilisationgestoßen ist, die er nicht verstehen kann.

Träge strichen die drei Fledermäuse über denWagen hinweg.

Von welchem Planeten mochte man diese Wesenhierhergebracht haben?

„Was nun?“ flüsterte Kasom.„Vielleicht ist die Jagdlust der Bestien im

Augenblick befriedigt“, sagte Rhodan. „Wirversuchen, möglichst dicht an den Wagenheranzukommen. Vielleicht gelingt es uns, die Waffein die Hände zu bekommen.“

Kasom nickte grimmig. Rhodan wünschte, siehätten Tolot bei sich gehabt oder wenigstens Gucky.

„Jetzt!“ knurrte Rhodan, und sie begannen zurennen.

Die beiden Fledermäuse auf den Achsen stießenschrille Laute aus und hoben sich ab. Nochunentschlossen kreisten sie jetzt zusammen mit denanderen unter der Tunneldecke. Offenbar wußten sienicht, wie sie sich gegenüber den neuaufgetauchtenMännern verhalten sollten.

Kasom und Rhodan erleichterten ihnen dieEntscheidung. Mit gewaltigen Sprüngen kam derErtruser zuerst neben dem Fahrzeug an. Er riß demToten die Waffe aus der Hand und warf sie Rhodanzu, der sie geschickt auffing. Sofort begann er den

Mechanismus zu untersuchen. Es gab keinenAbzugshebel, aber als Rhodan einen Knopf unterhalbdes Schaftes berührte, verließ ein flammender Strahlden Lauf.

Die Fledermäuse schrien und senkten sich langsamtiefer.

Rhodan sah den Fremden jetzt zum erstenmal ausder Nähe. Seine Hand war silbrig, und er warvollkommen haarlos. Selbst im Tod strahlte er eineruhige Würde aus.

Vor ihm schnellte sich Kasom mit einemmächtigen Satz auf das Gleitband hinauf. EineFledermaus stieß mit ausgestreckten Krallen auf ihnherab. Der Kopf glich fast dem eines Wolfes, nurwenn sich der kurze, ungemein starke Schnabelöffnete, milderte sich dieser Eindruck. Rhodan wagtenicht, einen Schuß abzugeben, denn er konnte mit derfremden Waffe leicht den Ertruser treffen. Kasomduckte sich, der Vogel krächzte zornig, als er überden Ertruser hinwegflog und fast gegen dieTunnelwand geprallt wäre. Da warf sich Kasom nachvorn, so schnell, daß Rhodans Augen kaum derBewegung folgen konnten. Mit beiden Händenpackte Kasom den Angreifer von hinten. Das Wesenschrie. Federn stoben.

Da erhielt Rhodan einen Stoß in den Rücken undtaumelte gegen den Wagen. Instinktiv ließ er sichfallen. Das rettete ihn vor dem zustoßenden Schnabeleines Angreifers. Er kroch unter den Wagen undbrachte die Waffe in Anschlag. Die Anwesenheit destoten Fremden mit der Silberhaut machte ihn unruhig.Auf dem gegenüberliegenden Gleitband tauchte einerder Gegner auf. Rhodan zielte und schoß. Die Bestiekippte vom Band und stürzte auf den Boden hinab.Zorniges Krächzen kam von der Tunneldecke herab.

Wie eine Schlange kroch Rhodan auf die andereSeite des Wagens. Er sah Kasom flach auf dem nachoben führenden Band liegen. Die Luft war mitAasgeruch erfüllt. Das Krächzen dröhnte in RhodansOhren.

„Schnell, Sir!“ schrie Kasom, die Hände vor demMund zu einem Trichter formend.

Mit einem Satz kam Rhodan auf die Beine. Er warfsich herum und feuerte auf zwei Schatten, die imSturzflug auf ihn herabkamen. In der flammendenHelligkeit der ausströmenden Energie sah er dieFeinde fast wie auf einer Röntgenaufnahme. Kasomwar schon fünfzig Meter weiter davongeglitten.Wieder schoß Rhodan, doch die Angreifer kamennäher. Dann gab es nur noch krächzende Ungeheuerum ihn herum. Er fühlte, wie das Blut in seinenAdern pochte. Immer wieder drückte er auf denFeuerknopf, ohne noch richtig zu zielen. Dann packteer den heißen Lauf der Waffe und schwang denSchaft über dem Kopf. Er traf, und er traf wieder.Sein eigener Schwung riß ihn mit und schleuderte ihn

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für Sekunden aus dem Kreis der Fledermäuse heraus.Er atmete mit geöffnetem Mund. Nur unbewußtverfolgte er, wie Kasom mit einem zornigenAufschrei vom Band hüpfte und zur Unterstützungherbeieilte.

Ein Schnabelhieb traf Rhodan an den Oberarm.Krallen zerfetzten seine Jacke. Doch die ganze Zeitüber wurde er von einer wilden Entschlossenheitdurchdrungen, lebend an die Oberfläche dieser Weltzu kommen. Die Gedanken an den Toten mit derSilberhaut gaben ihm Kraft. Kasom erreichte denKampfplatz. Mit bloßen Händen ging er gegen dieVögel vor.

Dann war mit einem Schlag alles vorbei. Irgendwoaus dem Tunnel drang enttäuschtes Krächzen. Kasomstand mit hängenden Schultern neben dem Wagen.Vier tote Fledermäuse lagen zwischen den Bändern.

„Sie sind weg“, sagte Kasom ruhig.Rhodan fuhr sich mit der Hand über den

brennenden Nacken. Die Wunden, die ihm dieGegner geschlagen hatten, schmerzten. Er ging zumMann mit der Silberhaut und beugte sich zu ihmhinab. Welches Schicksal mochte dieses Wesen nachQuarta verschlagen haben? Jede Lebensform aufdieser Welt hätte wahrscheinlich eine Geschichteerzählen können - und es wären viele unglücklicheGeschichten gewesen, schätzte Rhodan.

Er hörte, daß Kasom neben ihn trat.Einige Sekunden betrachteten sie schweigend den

Toten. Schmerzhaft empfand Rhodan die Kluft, diezwischen ihm und diesem Wesen lag. Was mochteder Silberhäutige vor seinem Tode empfundenhaben?

Rhodan erhob sich.„In jedem intelligenten Wesen lebt die Sehnsucht

nach Freiheit“, sagte er. „Es ist gleichgültig, vonwelcher Galaxis es kommt.“

„Freiheit“, wiederholte Kasom traurig. „DiesesWort scheint auf dieser Welt nicht zu existieren.“

Gemeinsam kehrten sie zum Gleitband zurück, dassie schnell der Oberfläche entgegentrug. Balderreichten sie den ausgedehnten Park. Die Luft warfast unerträglich heiß. Drückende Stille breitete sichüberall aus.

Rhodan bemühte sich, im Schatten der Bäume zubleiben. Jeden Augenblick rechnete er mit einemAngriff. Das Plätschern der Brunnen klang wie dasMurmeln ferner Stimmen. Am Himmel brannte dieDoppelsonne. Es war jetzt Mittag auf Quarta.

Die Suche nach der Pyramide hatte begonnen.

5.

Captain Hendersons Finger glitten über dieTastatur des Beobachtungsbildschirmes, alsberührten sie die Saiten eines Musikinstrumentes.

Atlan sah die Entschlossenheit des Offiziers, auf dasfremde Wesen draußen vor der Kaulquappe feuern zulassen, und er sah gleichzeitig HendersonsVerwirrung, die das eigenartige Gebaren derRiesenkröte in dem Captain hervorrief.

„Eines wissen wir mit Sicherheit“, sagte Atlanruhig, so daß Henderson sich zu ihm umwandte. „DerFremde will ins Schiff. Er hat sich von diesem Planauch nicht durch Tolots Attacke abbringen lassen.“

„Nachdem er den Parablock aufgebaut hat, kannich nicht mehr zu ihm durchdringen“, bemerkteGucky verärgert. „Dieser Block ist so stark, daß ersogar verhindert, daß ich mit Perry Kontaktaufnehmen kann.“

Henderson befeuchtete nervös mit der Zunge diespröden Lippen. Er wünschte, man hätte ihn nichtdaran gehindert, auf den Unbekannten dort draußendas Feuer eröffnen zu lassen.

Gucky hatte nur noch herausfinden können, daßder Bewohner von Bigtown den sehnlichen Wunschhatte, in das Schiff zu gelangen. Warum, das wußteder Mausbiber nicht: Und der starke Parablockverhinderte jede weitere Entfaltung des Mutanten aufparanormaler Basis.

Icho Tolot hielt sich noch im Freien auf, obwohldie Schleuse jetzt notdürftig geschlossen worden war.Der Haluter hatte sich freiwillig bereiterklärt, dieKröte zu bewachen.

„Wir müssen herausfinden, was das Weseninnerhalb der Kaulquappe vorhat“, sagte Atlan. „Wirdürfen den Angriff auf Tolot nicht unbedingt alsBeweis betrachten, daß es nur hier ist, um uns alle zutöten. Es muß eine Möglichkeit geben, sich mitdiesem Burschen zu verständigen.“

Gucky watschelte ungeduldig durch die Zentrale.Er drängte darauf, daß sie irgend etwas unternahmen.Im Augenblick war er unfähig, seine Psi-Kräfteeinzusetzen. Der Parablock des Unbekannten warstärker als der mehrerer Antis.

„Mit Tolot wird er nicht fertig“, stellte Hendersonbefriedigt fest. „Solange unser halutischer Freunddort draußen ist, kann nichts passieren.“

Atlan spürte wie das alte Mißtrauen wieder in ihmhochstieg. Hatten die Haluter während des großenMethankrieges nicht auf Seiten der Gegner desarkonidischen Imperiums gekämpft? Atlan konnteTolot nicht trauen. Was, wenn der Riese sich mit demFremden verbündete?

„Unsinn“, meldete sich sein Logiksektor. „Tolot istin der gleichen Zwangslage wie wir. Wenn er jemalswieder hier herauskommen will, muß er unsunterstützten.“

Atlan gab sich einen Ruck.„Wir müssen handeln“, entschied er.Er hörte Henderson aufatmen. Ein leichtes Lächeln

glitt über sein Gesicht. Wahrscheinlich würde der

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Captain enttäuscht sein, wenn er erfuhr, daß nicht erhinausgehen durfte. Atlan war entschlossen, es selbstzu versuchen. Er mußte mit der Riesenkröte Kontaktaufnehmen.

Captain Henderson schob seine Waffenachdrücklich in den Gürtel.

„Immer mit der Ruhe, Captain“ empfahl Atlan.„Sie sind ein verwegener junger Mann, aber ichglaube, diesmal bin ich an der Reihe.“

Henderson hatte Mühe, seine Enttäuschung zuverbergen.

„Ich gehe hinaus“, kündigte der Arkonide an.„Ohne Waffen.“

Er wartete, bis der Proteststurm verklungen war.„Vernünftige Verhandlungen wurden noch nie mitWaffen geführt“, setzte er dann hinzu. „Außerdem istTolot an meiner Seite.“

Er wartete nicht darauf, daß weitereEinwendungen erhoben wurden, sondern verließ dieZentrale. Im stillen gestand er sich ein daß seinHauptziel die Durchbrechung des Parablocks war. Esmußte ihnen gelingen, durch Gucky Verbindung mitRhodan aufzunehmen. Vielleicht schwebten Kasomund der Terraner bereits in Gefahr, ohne daß sieihnen helfen konnten.

Als Atlan sich durch die mühsam reparierteSchleuse schob, sah er, daß Icho Tolot verschwundenwar. Auch der Irrsucher war nicht zu sehen. Überdem Sand jedoch, direkt bei dem Leuchtfeuer,schwebten zwei leuchtende Kugeln von über zweiMetern Durchmesser.

Im gleichen Augenblick hörte der Arkonide dieStimme von Captain Henderson in allenLautsprechern des Interkoms aufklingen.

„Kehren Sie um, Sir!“ rief Hendersonbeschwörend. „Kehren Sie um, bevor es zu spät ist.“

Atlan starrte ungläubig auf die Leuchtkugeln. Erversuchte, zu verstehen, was geschehen war. Er hattedie Panik aus Hendersons Stimme herausgehört.

Er beobachtete, wie die größere der beiden Kugelnauf die Kaulquappe zuschwebte. Die andere bliebzurück. Sie tanzte unruhig neben dem Feuer auf undnieder. Plötzlich bekam sie Beine. Sie begann zuerlöschen und wurde zu Icho Tolots Gestalt, dielangsam dem Boden zufiel.

Atlan stieß einen Warnschrei aus und rannte insInnere des Schiffes zurück. Die große Kugel wardicht hinter ihm und machte erst vor der gesperrtenSchleuse hat.

*

Der Brunnen unterschied sich nicht von unzähligenanderen, die es im Park gab, und doch blieb Rhodanstehen, als er zufällig einen Blick auf die Statue warf.Das Standbild störte den Gesamteindruck des

Brunnens.„Was ist los, Sir?“ erkundigte sich Kasom und

hielt neben Rhodan an.„Der Brunnen“, murmelte Rhodan und zeigte

unauffällig in die Richtung der Statue. „Etwas stimmtdaran nicht.“

Der obere Teil des Brunnens bestand aus einemovalen Becken und einem Sockel. Auf dem Sockelstand die Figur einer Echse. Von den Innenseiten desBeckens strahlten Düsen Wasser auf die Statue, vonderen bronzefarbener Außenfläche es in glitzerndenBächen herunterlief.

„Bei allen anderen Brunnen dieses Modells trafensich die Wasserstrahlen in der Mitte und bildeten eineFontäne“, erinnerte sich Rhodan. „Der Bursche dortpaßt nicht auf den Sockel.“

„Das mag schon sein“, nickte Kasom mißtrauisch.„Aber warum sollen wir uns darum kümmern? DieEinwohner von Bigtown können ihre Brunnen nichtnach unseren Vorschlägen bauen.“

Rhodan schüttelte den Kopf. Er blickte krampfhaftauf den Boden. Sie befanden sich noch dreißig Metervom Brunnen entfernt.

„Die Figur, Kasom, ist überhaupt keine Figur“,sagte er.

„Sie glauben, daß das Ding lebt?“„Ja“, Rhodan machte unauffällig die erbeutete

Waffe schußfertig. „Es sieht nach einer Falle aus.“Der mysteriöse Brunnen stand inmitten einer

Wiese. Auf der gegenüberliegenden Seite schloß sichein mit Blumen übersäter Hang an. Die Wiese wurdevon mittelgroßen Bäumen umgeben. Es gab keinenWeg, aber stellenweise zeigte das Gras Spurenanderer Wesen.

„Kehren wir um“, schlug der Ertruser vor.„Das bedeutet Verfolgung“, sagte Rhodan

sachlich. „Nein. Wir behalten unsere bisherigeRichtung bei.“

„Es scheint eine Panzerechse zu sein“, sagteKasom nervös. „Wenn sie lebt, versteht sie esvollkommen, sich totzustellen. Spüren Sie keineImpulse, Sir?“

„Nein“, entgegnete Rhodan. „Aber das besagtüberhaupt nichts.“

Sie gingen weiter. Der Boden war weich undverschluckte jedes Geräusch. Als sie sich demBrunnen bis auf fünfzehn Meter genähert hatten,sprang die falsche Statue vom Sockel ins Becken undschoß aus einer kleinen, breitläufigen Waffe. Wasserschwappte über den Beckenrand und die Energie desSchusses ließ die feinen Tropfen rund um die Düsenverdampfen. Weißliche Wolken bildeten sich.

Bei der ersten Bewegung der Echse hatten Rhodanund Kasom sich bereits auf den Boden geworfen. DerSchuß strich über die Männer hinweg. Rhodanfeuerte seinerseits. Er sah, wie der Angreifer langsam

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in das Becken zurückfiel. Ein platschendes Geräuschertönte. Kasom sprang auf und raste auf den Brunnenzu. Rhodan blieb mit schußbereiter Waffe liegen. Alsder Ertruser das Becken erreicht hatte, erschien derKopf der Echse abermals. Zugleich wurde derhäßlich aussehende Lauf der Energiewaffe sichtbar.

Kasom handelte sofort. Mit beiden Handflächenhieb er in das Wasser. Ein Wasserschwall ergoß sichüber den Feind. Die Echse riß ihre Waffe herum, umauf Kasom zu schießen. Rhodan sah sie deutlichzwischen zwei Wasserstrahlen auftauchen. Er zieltesorgfältig und schoß. Auch die Echse gab noch einenSchuß ab, doch dieser traf nur den Sockel, der miteinem Knacken zersprang und in das Becken fiel.Kasom schwang sich auf den Brunnen und watete mitwenigen Schritten auf die bewegungslose Gestalt zu.Erst als er winkte, stand Rhodan ebenfalls auf undkam zum Brunnen.

Kasom war völlig durchnäßt. Er winkte Rhodanmit der Waffe des Gegners.

„Der Bursche ist nur bewußtlos“ sagte er. „Er wirdjedoch ertrinken wenn wir ihn hier im Wasser liegenlassen.“

Ohne zu überlegen, sagte Rhodan: „Schaffen Sieihn heraus, Kasom.“

Der Ertruser zögerte. Zu lebhaft war noch dieErinnerung an die Absichten dieses Wesens.

„Wir sind keine Einwohner Bigtowns“, sagteRhodan ruhig.

„Natürlich, Sir“, murmelte Kasom aber in seinerStimme klang Mißbilligung mit. Er zerrte denBewußtlosen an den Beckenrand. Es war ein aufrechtgehendes Reptil, mit dicken Rückenplatten unddunklen Augen, die hoch in der Stirn saßen. Über derBrust und an den Gelenken der Echse war der Panzerweniger stark entwickelt. Arme und Beine schienenaus einzelnen Spiralen zu bestehen, doch das wareine Täuschung, die durch die eigenartige Musterungdes Panzers entstand.

Kasom sprang auf den Boden herab. Dann hob erden Unbekannten aus dem Becken. Das Wesen kamzu sich und hustete einen Liter stinkenden Wassersauf Kasom. Dann schien es sich der Anwesenheitseiner Gegner bewußt zu werden. Sein erster Griffgalt dem Köcher, worin er seine Waffe aufbewahrthatte.

Kasom grinste und hielt sein Beutestück in dieHöhe, so daß der Fremde es sehen konnte.

„Quextrel“, sagte die Echse, spuckte aus undverbeugte sich.

Dann rammte sie dem erstaunten Kasom ihrenKopf in den Magen. Kasom brüllte wie ein wilderStier und schwankte. Rhodan nahm die Waffe desSilberhäutigen am Lauf und holte aus. Bevor diefalsche Brunnenfigur wieder angreifen konnte, trafsie der Schaft in den Nacken. Das Wesen brach

zusammen.Kasom holte ächzend Luft. Er warf Rhodan einen

vorwurfsvollen Blick zu und zielte mit der erbeutetenWaffe auf den Feind, der sich langsam aufzurichtenbegann.

„Nein“, sagte Rhodan.Das Wesen schüttelte sich. Es blickte von Kasom

zu Rhodan. Dann faltete es die klauenartigen,viergliedrigen Hände. Es war eine so menschlicheGeste, daß Rhodan unwillkürlich erwartete, er würdenun menschliche Worte hören. Doch die Echseschwieg. Sie unternahm auch keinen Angriff mehr.

Rhodan deutete auf die andere Seite der Wiese undversetzte der Echse einen schwachen Stoß, um siezum Weitergehen zu ermuntern.

„Bronk!“ zischte der Fremde.Kasom rieb seinen Magen und beobachtete den

Bewohner Bigtowns argwöhnisch.Schließlich deutete das Wesen abwechselnd auf

Rhodan und Kasom.„Grenzter Barget“, sagte es mit Nachdruck.„Was?“ fragte Kasom verständnislos.„Er meint offenbar, daß wir hier verschwinden

sollen - wenn es ein Er ist. Offenbar möchte er in denBrunnen.“

„Der Sockel ist zerstört“, erinnerte Kasom. „Erwill etwas anderes von uns. Er ist derheimtückischste, bösartigste...“

„Ja, ja“, unterbrach ihn Rhodan hastig. Er packteden Ertruser an der Schulter. „Kommen Sie, Kasom.Wir gehen.“

Sie ließen den Brunnen hinter sich, wobei Kasomständig zurückblickte. Schließlich sagte der Ertruser:„Es folgt uns, Sir.“

Sie hielten an, bis die Echse wieder neben ihnenstand. Das Wesen rieb sich über das Gesicht, sagte:„Bronk!“ und zeigte eine Reihe gelber Zähne.

„Ich glaube, ich weiß jetzt, was er will“, sagteRhodan.

„Uns“, erklärte Kasom säuerlich. „Und zwar tot.“Rhodan zeigte zunächst auf sich, dann auf Kasom.

Dann deutete er auf die Echse.„Bronk“, nickte der Fremde zufrieden. „Bronk!

Bronk!“„Bronk, bronk!“ knurrte Kasom. „Ist das alles, was

er sagen kann?“„Er wird uns begleiten“, sagte Rhodan. „Sein

Ehrenkodex scheint ihm vorzuschreiben, daß erjedem dient, der ihn bezwungen hat, ohne ihn zutöten.“

Kasom schnitt eine Grimasse. „Er will unsumbringen, das ist alles“, prophezeite er. „Wirschicken ihn fort.“

„Nein“, lehnte Rhodan ab. Er zog die Zeichnungder Pyramide aus seiner Jacke. Er rieb daran, bis dasrichtige Bild auftauchte, dann zeigte er der Echse das

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gezeichnete Gebäude. Die dunklen Augen desUnbekannten hefteten sich darauf. Er schien zuüberlegen. Endlich nickte er. Sein Arm zeigte inRichtung auf die bereits tiefer stehende Sonne.

„Er weiß, wo es ist“ stellte Rhodan zufrieden fest.„Er wird uns führen.“ Er schlug ihrem ehemaligenGegner auf die Schulter. „Also los, Bronk. Gehvoraus!“

Die Echse spuckte gezielt auf KasomsStiefelspitze, grunzte verächtlich und trottete über dieWiese davon.

„Ein Bandit!“ schrie Kasom. „Wir haben uns miteinem Verbrecher zusammengeschlossen.“

„Er bringt uns zur Pyramide“, sagte Rhodan. „Dasist wichtig.“

Kasom schüttelte skeptisch den Kopf. Mit beidenHänden drückte er seine durchnäßte Jacke aus. Fürihn war es unbegreiflich, daß Rhodan der Echsevertrauen konnte. Vergaß der Terraner, daß Bronk sieangegriffen hatte?

Sie folgten dem Bürger von Bigtown quer über dieWiese. Bronk schien sich gut auszukennen, denn erbewegte sich zielstrebig auf die Bäume zu, die denPark umschlossen.

„Er hat keine Waffe“, sagte Rhodan bedauernd.„Wenn wir in einen Hinterhalt geraten, ist erverloren.“

„Soll ich ihm vielleicht diese hier zurückgeben?“erkundigte sich Kasom voller Empörung.

Rhodan mußte lachen. „Keineswegs, aber wirmüssen unserem Freund etwas beschaffen, womit ersich helfen kann.“

Kasom murmelte etwas von übertriebenerHumanität. Am Rande der Wiese blieb Bronk stehenund wartete, bis die beiden Männer neben ihmangekommen waren. Seine Klaue zeigte in dieWipfel der Bäume hinauf. Rhodan sah, daß dortBaumhütten verankert waren. Bronk versetzte einemder Bäume einen Tritt. Ein faltiges Gesicht erschienin der Hüttenöffnung. Gleich darauf hagelte einBombardement runder Gegenstände auf die Echseherunter: Kasom hob die Waffe, doch Bronk schrie,und Rhodan drückte den Arm des Ertrusers herunter.Hastig sammelte die Echse die Kugeln ein. Rhodanerkannte, daß es Nüsse waren. Bronk grunztetriumphierend und zerbiß eine Nuß zwischen denZähnen. Er überreichte eine Hälfte Rhodan, dieandere Kasom.

„Abgesehen davon, daß ein vernünftiger Menschdavon nicht satt werden kann, vermute ich, daß dieDinger vergiftet sind“, sagte der Ertruser.

Eine zweite Nuß zerbarst zwischen den ZähnenBronks. Schmatzend schob der Verbrecher dieeinzelnen Stücke in den Rachen. Widerwillig begannauch Kasom zu essen.

„Eine seltsame Art der Nahrungsbeschaffung“,

sagte er.Bronk zerbiß noch vier Nüsse und verteilte sie.„Appetithäppchen“, knurrte Kasom.Sie gingen weiter. Hinter dem Park gelangten sie

auf eine breite Straße, durch die mindestens siebenGleitbänder führten. Zu beiden Seiten standen ovaleBauwerke mit flachen Dächern. Riesige Gerüste ausMetall ragten weit über die Dächer hinaus. Rhodannahm an, daß es sich um Antennen handelte, obwohler nicht glaubte, daß man auf Bigtown noch solchemonströsen Ausführungen benötigte. Bronk wählteein in der Straßenmitte liegendes Band, das in dieStadt hineinführte. Auf der Außenfläche der Häusersah Rhodan seltsame Symbole, die inLeuchtbuchstaben aufgetragen waren. Es gab auchFenster, die jedoch mehr Bullaugen ähnelten undungewöhnlich dick zu sein schienen. Die Bänderwaren sämtlich unbelebt, die Straße lag wieausgestorben vor ihnen.

„Mir gefällt das nicht“, verkündete Kasom, als erhinter Bronk und Rhodan auf das Band hinaufsprang.„Es ist mir zu ruhig.“

Als sie vier Häuserreihen hinter sich hatten, hieltdas Band an. Bronk begann aufgeregt zu schimpfen,aber seinen Handzeichen war nicht zu entnehmen,was passiert war. Dann sah Rhodan aus einem Hausschräg vor ihnen einen Tank rollen. Es war einwuchtiges Fahrzeug, mit einer winzigen Kuppeldirekt im Mittelpunkt. Es schien mehrere,unabhängig voneinander angetriebene Räder zubesitzen, denn es glitt unaufhaltsam über die Lückenzwischen den Bändern hindurch. Dabei bewegte essich vollkommen lautlos. Rhodans scharfe Augenerkannten sofort, daß die Häuser und der Tankdenselben Wesen gehören mußten. Farbe undBauweise waren gleich. Die Kuppel glich denBullaugen in den Häuserwänden.

Bronk deutete auf den Tank. Dann verließ er dasBand und hastete auf ein anderes hinüber, das noch inFunktion war. Er schrie zu den beiden Männernherüber. Er wollte sie offenbar veranlassen, daß sieihm folgten.

Der Tank hatte das mittlere Band erreicht undänderte jetzt die Fahrtrichtung. In seinem lautlosenVorwärtsrollen lag eine spürbare Drohung. Unter derKuppel glaubte Rhodan eine Bewegung zu erkennenaber das konnte auch ein durch die Sonnehervorgerufener Reflex sein. Rhodan fragte sich, ober ein robotgesteuertes Fahrzeug vor sich hatte, oderob es eine Besatzung gab. Er hielt das letztere fürwahrscheinlicher. Jemand hatte sein Haus mit derRiesenantenne verlassen und ging auf Raub aus.Rhodan verspürte wenig Neigung, das Opfer zu sein.Ohne zu zögern, folgte er Bronk auf das andereGleitband.

Der Tank schoß plötzlich vorwärts. Aus zwei

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Einbuchtungen an seiner Vorderseite schraubten sichzwei Stangen hervor, die mit dreigliedrigenMetallklauen ausgerüstet waren. Die Stangenbesaßen verschiedene Gelenke, so daß sie praktischjeden Punkt innerhalb eines gewissen Radius um denTank erreichen konnten.

Kasom vergaß sein Mißtrauen gegenüber derEchse. Im Augenblick gab es einen gefährlicherenFeind. Der USO-Spezialist warf einen letzten Blickauf das heranschießende Ungetüm, dann rettete ersich ebenfalls auf das andere Band hinüber. Mitunglaublicher Beweglichkeit wendete das Fahrzeug.Sekunden später blieben alle Gleitbänder stehen. EinBlick zurück überzeugte Rhodan, daß der Tank siefrüher oder später einholen mußte, wenn sie auf derStraße blieben. Bronk schien die gleiche Meinung zuhaben. Er hüpfte vom Band und strebte zwischendem Geländer, das die Straße abschloß, und denHäusern entlang. Vor jedem Haus war das Geländerunterbrochen. Sie legten etwa fünfzig Meter zurück,während der Verfolger stetig aufholte. Schweratmendblieb Bronk stehen. Er streckte die Hand aus undzeigte auf Rhodans Waffe. Rhodan wußte, daß er ihrLeben in die Hand eines Unbekannten gab, aber erüberreichte Bronk den fremdartigen Blaster. Bronkverlor keine weitere Zeit, als er die Waffe in denKlauen hielt. Er fuhr herum und legte auf eines derBullaugen des nächsten Hauses an. Er gab einenSchuß ab, der unmittelbar über dem Fenster dieAußenfläche anschmorte.

Sofort blieb der Tank stehen. Bronk winktedrohend mit der Waffe. Er bedeutete Rhodan undKasom einen Blick durch das Fenster zu werfen. Mitunsicheren Schritten kam Rhodan der Aufforderungnach. Die Hauswand war noch warm von BronksSchuß. Als er sein Gesicht dicht an das Bullaugeheranbrachte, sah er einen Lichtschimmer. Er hatteden Eindruck, in eine milchfarbene Flüssigkeit zuschauen, die durchsichtig wirkte. Dann fuhr erzurück.

Es war eine Flüssigkeit.Er sah es an dem Wesen, das im Innern schwamm.Das Wesen glich einer Kaulquappe. Da das Fenster

offenbar den Blickwinkel verzerrte, konnte Rhodannicht feststellen, ob das breite schlaffe Maul nur eineTäuschung war. Träge glitt das Wesen durch seinElement. Es kam bis dicht zum Fenster. Rhodan sahstarre, kalte Augen, die ihn zu durchbohren schienen.Die Schuppenhaut des Fremden hatte die Farbe altenElfenbeins. Er besaß flossenähnliche Glieder, vier ander Zahl, die an ihren Enden gespalteneVerdickungen aufwiesen. Rhodan wandte sich ab.Bronk deutete vom Tank zum Haus. Er wollte damitausdrücken, daß sich innerhalb des Fahrzeugesebenfalls eines dieser Wesen aufhielt. Erst dieBedrohung seines Artgenossen hatte es veranlaßt die

Jagd abzubrechen.„Dagegen ist unser Freund Bronk eine Schönheit“,

ließ sich Kasom vernehmen, nachdem er ebenfallseinen Blick ins Innere des Hauses geworfen hatte.

Nachdem die Echse festgestellt hatte, daß ihreMethode Erfolg zeigte, wollte sie sich ihrer einzweitesmal bedienen. Wieder zielte Bronk auf dasFenster. Doch er mußte nicht mehr abdrücken. DerTank drehte sich und rollte zurück. Gleichzeitigbegannen die Bänder wieder zu funktionieren.

„Trexnat“, erklärte Bronk befriedigt. Er gab dieWaffe an Rhodan zurück und schüttelte sich.

„Der Bursche ist mit allen Wassern gewaschen“,sagte Rhodan. „Ohne ihn wären wir hier niedurchgekommen.“

Kasom brummte widerwillig. Er schien seineAbneigung gegen Bronk nicht aufgeben zu können.Das Gleitband beförderte sie jetzt ohne Zwischenfalldurch die Straße. Sie kamen an mehrerenKreuzungen vorüber. Dort liefen mehrereGleitbänder übereinander, so daß es keineVerkehrsprobleme gab. Immer häufiger begegnetenihnen jetzt fremde Wesen. Doch ein weiterer Angrifferfolgte nicht.

Zu beiden Seiten der Straße hatte man Hochhäusererrichtet, die nur aus Glas zu bestehen schienen.Doch das Material war ebenso wenig durchsichtigwie Stein oder Stahl. Auf den Dächern standenschlanke Luftgleiter, die viel zu zerbrechlichaussahen, als daß Rhodan sie zum Fliegen zubenutzen gewagt hätte. Die Straße lag jetzt imSchatten der großen Häuser. Von irgendwoher kamgedämpfte Musik, in langanhaltenden, traurigenMelodien. Jedes Hochhaus schien mehrereLautsprecher zu besitzen. Rhodan fragte sich wersolche Musik komponierte oder spielte. Sie war vonEinsamkeit durchdrungen. Vielleicht bedeutete siefür ein anderes Lebewesen Fröhlichkeit undLebenslust.

Sie kamen an eine Stelle, an der alle Gleitbänderbeschädigt waren. Die Straße ächzte und stöhnte. Sieholperte über ausgeschlagene Halterungen, wand sichin verbogenen Geländern vorüber und zwängte sichüber ausgeglühte Gleitrollen. Inmitten der Straße gabes einen Krater, den die Bänder nur mühsamüberbrückten. Hier mußte einst ein erbarmungsloserKampf stattgefunden haben.

Kasom machte Rhodan auf ein dunkles Flugzeugaufmerksam, das auf einem Dach auf der rechtenSeite landete. Zwei Wesen, von denen man nur dieKonturen sehen konnte, sprangen heraus. WenigeAugenblicke später hatte sich hoch über den Köpfender Männer eine Schlacht entwickelt.

Bald darauf kamen die Bänder wieder ineinwandfreies Gelände. Die Straße glitt ruhig dahin,wie eine Woge, die durch nichts auf dem Weg zum

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Ufer aufgehalten werden kann.Doch die Ruhe trog.Der nächste Angriff kam so unerwartet, daß nicht

einmal der schlaue Bronk Zeit zum reagieren hatte.Unmittelbar hinter Rhodan machte etwas Plopp!Er fuhr herum - und diese instinktive Bewegung

rettete ihn vor der zweiten Glashülle, die auf dasBand herunterfiel. Er hörte Bronk aufschreien undsah ihn unter das Band tauchen. Er hatte keine Zeit,sich zu fragen, wohin die Echse verschwunden war,denn Kasom hockte unter der ersten Glashülle undhämmerte verzweifelt mit den Fäusten dagegen. DieHülle war etwas über drei Meter hoch und maßzweieinhalb Meter im Durchmesser. Von ihrer Spitzeaus führte eine Schlinge zu einem merkwürdigenFlugzeug. Die Maschine bestand praktisch nur auszwei Stangen mit einem Brett darüber, auf dem einMotorblock befestigt war.

„Antigravantrieb“, murmelte Rhodan.Kasom hörte auf, mit den Fäusten gegen die

Innenwand zu schlagen. Er verdrehte die Augen undsackte zusammen. Er schien jedoch nur betäubt zusein.

Ein weiteres Flugzeug erschien. Rhodan preßtesich eng gegen die Hülle, die Kasom gefangenhielt.Er Wünschte, Bronk wäre noch hier gewesen DieEchse war irgendwo unter das Band geflüchtet.

Rhodan schaute zögernd zum Himmel hinauf. DreiFlugapparate schwebten über ihm. Drei Schweberdas bedeutete noch drei Glashüllen.

Rhodan versuchte, seine durcheinanderwirbelndenGedanken zu ordnen.

Jeder Angreifer mußte zu besiegen sein. Wäre dasnicht der Fall gewesen, hätte es um dasGleichgewicht der Kräfte innerhalb Bigtownsschlecht ausgesehen.

Einer der Antigravschweber erschien unmittelbarneben der Maschine, die Kasom gefangen hatte.Langsam senkte sich die andere Glocke auf das Bandherab. Sie berührte die Außenwand der bereitserfolgreichen Glocke. Auf diese Weise kam sieimmer tiefer. Rhodan spürte, wie ihm der Schweißaus allen Poren brach.

„Bronk!“ schrie er verzweifelt. Er wagte nicht,seinen Platz zu verlassen und einen Schußabzugeben. Die Glocke wäre sofort auf ihnherabgestürzt. Und innerhalb der Falle hätte esSelbstmord bedeutet, einen Schuß abzufeuern.

In höchster Not versuchte Rhodan telepathischenKontakt mit Gucky herzustellen. Doch er konnte denMausbiber nicht erreichen. Die Glocke war jetzt sonahe, daß er sie berühren konnte, wenn er die Handnach oben ausgestreckt hätte.

Im gleichen Augenblick packte ihn jemand amFuß, zerrte heftig und warf ihn um.

*

Das Bewußtsein, daß er seine Chance nicht genutzthatte, raubte Krash-Ovaron fast den Verstand. Erfühlte, daß der Wächter der Fremden aus dem Caresrematerialisierte. Gleichzeitig begann auch dasEinsetzen der Stoffwerdung bei ihm. Es gelang ihmnoch bis an die Schleuse des Schiffes zu gelangen,dann wurde das Zerren so stark, daß er ihm nichtwiderstehen konnte. Er spürte, wie er langsam ausdem Cares glitt und wieder zu dem wurde, was er inWirklichkeit war: zu einem Irrsucher.

Er hatte sich durch das Auftauchen des zweitenFremden ablenken lassen; und der Wächter war derKontrolle des Cares entglitten Von da an hatte er nurnoch Fehler begangen.

Krash-Ovaron landete unsanft auf dem Boden.Lange Zeit würde vergehen, bis er genügend Kraftbesaß, einen neuen Cares, eine n-dimensionaleZustandsebene, zu errichten. Seine stärkste Waffewar zu einer Waffe gegen ihn selbst geworden, denndie Fremden würden von nun an noch vorsichtigersein, ja, ihn vielleicht sogar töten. Sein eigenes Endekümmerte ihn wenig, aber es war gleichbedeutendmit dem Ende für die Brut - und dieser Gedanke warso unerträglich, daß er sich wie unter Schmerzenwand.

Er bemerkte, daß der Wächter herangekommenwar. Der starke Fremde beobachtete ihn ruhig, alskönnte er sich nicht schlüssig werden, was nun zu tunsei.

Plötzlich überkam Krash-Ovaron einübermächtiges Heimweh nach den weiten Eisfeldernseiner Heimatwelt. Das Urteil, sein Leben auf Quartazu beschließen, erschien ihm schlimmer als der Tod.Warum hatte er für den Rausch eines Augenblicksseine Zukunft zerstören müssen?

In wilder Verzweiflung sprang der Irrsucher aufund warf sich gegen die verschlossene Schleuse desSchiffes. Er prallte zurück und war ernüchtert. Nochimmer beobachtete ihn der Wächter der Fremden.Krash-Ovaron starrte ihn an. Was für ein Wesen!Wahrscheinlich hätte es einen Kampf mit den bestenJägern der Stadt wagen können.

Der Fremde machte eine Bewegung. Er zeigte inRichtung auf die Stadt. Die Geste war ultimativ. Sieforderte Krash-Ovaron dazu auf sich zurückzuziehen.

„Ich brauche das Schiff“, sagte Krash-Ovaroneindringlich, aber im gleichen Moment wußte er, daßseine Worte für den Wächter nur unbedeutende Lautedarstellten.

Unerbittlich wies der Arm des Wächters auf dieStadt. Krash-Ovaron spürte die Schmerzen durchseinen Körper wallen. Die Zeit der Eiablage kamnäher. Noch bevor die Jagd vorüber war, mußte er

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einen Platz gefunden haben, oder er würdezusammen mit seiner Brut sterben.

Langsam kam der Fremde auf ihn zu. Er sahentschlossen aus.

Krash-Ovaron erkannte, daß es nur noch eineMöglichkeit für ihn gab, die Situation zu seinenGunsten zu verändern: er mußte den Parablockabbauen und die Fremden um Hilfe bitten.

Krash-Ovaron erschauerte.Er schwor, daß sie alle sterben würden, weil sie

ihn zwangen, seine Würde aufzugeben.

*

Rhodan sah Bronks Gesicht am Rand desGleitbandes auftauchen. Mit beiden Händen stütztesich die Echse ab. Rhodan lag flach auf dem Band.Die durchsichtige Glocke senkte sich rasch auf ihnherab. Doch jetzt erwies es sich als Vorteil, daß sie sodicht an der ersten herunterkam Da die Fallen rundwaren, berührten sie sich nur an einer Stelle. Werimmer das eigenartige Flugzeug steuerte, er hattekeine Möglichkeit zu verhindern, daß dieherabsinkende Glocke auf die andere Seite pendelte.

Der Antigravschweber zog die Falle wieder hoch.Sofort glitt Rhodan Meter um Meter davon. Bronkschwang sich auf das Band. Ein anderes Flugzeugnäherte sich, doch die Echse handelte unglaublichschnell. Bronk zog ein stilettähnliches Ding ausseinem Waffenköcher und hieb auf die Glocke ein,unter der Kasom gefangen war. Zu RhodansErstaunen entstanden in der durchsichtigen FlächeÖffnungen. Bronks Stilett glühte, als bezüge es vonirgendwoher Energie.

Kasom begann sich zu bewegen.Da war der nächste Gleiter heran. Bronk machte

einen Satz und verschwand abermals unter demBand. Rhodan sprang hinter dem Wesen her. Erlandete jedoch zwischen den Bändern und mußtehilflos zusehen, wie Bronk und die Glocke mitKasom davongetragen wurden. Zu seinerErleichterung folgte das Flugzeug der ersten Falle, sodaß er sich wieder auf das Band ziehen konnte.Lauernd verhielt der Schweber über der erstenGlocke. Offenbar wollte der Pilot verhindern, daßBronk abermals gegen die Falle vorging. Keuchendkam Rhodan auf die Beine. Er sah, daß Kasom sichaufrichtete. Wahrscheinlich bekam er durch die vonBronk geschlagenen Löcher frischen Sauerstoff.Rhodan hob die Waffe des Silberhäutigen und zieltesorgfältig auf die Schnur, die die Glocke mit demSchweber verband. Dann drückte er ab. Der Gleitertorkelte davon. Um die Glocke herum begann es zudampfen. Rhodan befürchtete schon, Kasom inBedrängnis gebracht zu haben, als der Ertruser ausden aufsteigenden Dämpfen hervorkam und einen

Gleiter aus Bronks Waffe unter Beschuß nahm.Die Echse hüpfte wieder auf das Band und führte

eine Art Kriegstanz auf, als sie Kasom erblickte.Rhodan beeilte sich, seine Verbündeten zu erreichen.Die Antigravgleiter zogen sich zurück. Sie schienenkeinen weiteren Versuch unternehmen zu wollen.

„Nachdem die Verbindung zwischen Glocke undGleiter gerissen war, löste sich das Ding einfach auf“,berichtete Kasom. „Dabei war es härter als Stahl.“

Rhodan mußte an Bronks seltsame Waffe denken.Woraus mochte diese bestehen, wenn die Echsedamit Löcher in die Fallen der Unbekannten stechenkonnte?

Das Band trug die drei so gegensätzlichen Wesenweiter davon. Rhodan bedauerte, daß sie sich mitBronk nicht verständigen konnten. Durch Auskünftedes Wesens hätten sie viel erfahren können.

Wenige Minuten später gelangten sie an einerausgedehnten Kreuzung an. Bronk sprang vom Bandherunter. Er zeigte auf einen Tunnel, der unter derStraße hindurch in die Stadt führte.

„Kommen Sie, Kasom“, sagte Rhodan.Der Ertruser schien sein Mißtrauen gegenüber dem

fremden Wesen aufgegeben zu haben, denn erprotestierte nicht. Innerhalb des Tunnels begegnetensie mehreren Bürgern Bigtowns, wurden aber nichtangegriffen. Als sie aus dem Tunnel kamen, blickteRhodan in eine schmale Straße. Hier gab es keineGleitbänder. Er sah einige Fahrzeuge in denEinfahrten der. Häuser stehen. Hier herrschtenKuppelbauten vor. Bronk blickte sich unsicher um.Er knurrte leise vor sich hin und trieb die beidenMänner zu größerer Eile an. Rhodan nahm an, daßdie Echse einen Angriff befürchtete. Doch nichtsgeschah. Schließlich führte sie Bronk in eineSeitenstraße.

Einen kurzen Augenblick hatte Rhodan dasGefühl, in einen Lichtkanal zu blicken, doch dieserEindruck wich schnell der Gewißheit, daß leuchtendeBogen über der Straße diesen Effekt hervorriefen.Die Straße stieg leicht an. An ihrem Ende, auf einemHügel, stand die Pyramide.

Die Gebäude zu beiden Seiten der Straße warenkleinere Ausführungen dieses gewaltigenKomplexes.

„Ternt“, sagte Bronk gelassen und spie aus. „TerntDavor.“

Er griff in seinen Waffenköcher und zog einenStift heraus. Damit zeichnete er einen Strich vor sichauf den Boden. Er deutete auf die Pyramide, dann aufsich. Er schüttelte heftig den Kopf.

Rhodan verstand.„Er folgt uns nicht zur Pyramide“, sagte er zu

Kasom.Kasom starrte die Straße der Pyramiden hinauf, in

der es kein lebendes Wesen zu sehen gab.

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„Fürchtet er sich?“ fragte der Ertruser.Rhodan hob ratlos die Schultern. Wie sollten sie

etwas über Bronks Gefühle erfahren? Er legte derEchse sanft eine Hand auf den Rücken und nickte zurPyramide hinauf.

„Bronk“, sagte er ruhig.Die dunklen Augen des Wesens schienen ihn

durchbohren zu wollen. Rhodan hielt dem Blickstand. Zum erstenmal nahm er bewußt die unzähligenfeinen Linien in Bronks Gesicht wahr. So fremdartigdas Gesicht auch war, es zeigte Intelligenz und -Gutmütigkeit. Damit hätte Rhodan nicht gerechnet.Bisher hatte er die Echse für kaltblütig undberechnend gehalten, doch nun mußte er seineMeinung revidieren. Er hielt es beinahe fürunmöglich, daß dieses Wesen im Brunnen gestandenund ihnen aufgelauert hatte, um sie zu töten. Bronkwar ein Verbrecher, und er unterstand denbarbarischen Gesetzen Bigtowns. War er deshalb zuverurteilen?

Rhodan erwachte aus seinen Gedanken, als Bronkleicht den Kopf schüttelte.

„Ternt Davor Growat“, erklärte er traurig.„Geben Sie ihm seine Waffe zurück“, befahl

Rhodan dem Ertruser. „Er hat es nicht verdient, ohneBewaffnung hier zurückzubleiben.“

Kasom streckte der Echse die Waffe entgegen.Unschlüssig starrte Bronk sie an. Dann nahm er siemit einem schnellen Griff an sich. Er schob sie in denKöcher zurück. Rhodan beobachtete erstaunt, daßsich Bronk vor dem Strich, den er in den Bodengeritzt hatte, niederließ.

„Ob er auf uns warten will?“ wollte Kasomwissen.

„Es sieht ganz so aus“, gab Rhodan zurück. „DieGegend hier sieht unbelebt aus, aber das hat nichts zubedeuten. Wahrscheinlich ist man über unsereAnkunft bereits informiert. Wir müssen ohne BronksUnterstützung versuchen, in die große Pyramide zugelangen.“

Das Licht der Bogenlampen war so stark, daß esdie beiden Männer blendete, als sie in die Straßeeindrangen. Bewegungslos hockte Bronk am Bodenund blickte ihnen nach. Die kleineren Gebäude zubeiden Seiten der Straße schienen keine Fenster zubesitzen. Sie bestanden aus unbekanntem Material,das so glatt poliert war, daß es im Licht wiegeschliffenes Metall funkelte. Auf jeder Pyramidegab es unerklärliche Wülste und Erhöhungen. DieGebäude besaßen keine Spitze, sondern warenabgeplattet.

„Warum vergeuden die Burschen in denPyramiden am hellen Tage ihre Energie?“ fragteKasom, um die Stille zu durchbrechen.

Rhodan, der unentwegt die große Pyramidebeobachtete, zuckte mit den Achseln. Vielleicht

waren die Bewohner dieses Stadtviertels besondersanspruchsvoll.

„Es gefällt mir nicht“, eröffnete Kasom. „Es ist zuruhig hier.“

Rhodan konnte dem Ertruser nicht widersprechen.Er hatte das Gefühl, daß sie von unzähligen Augenverfolgt wurden. Irgendwer schien jeden Schritt, densie taten, zu beobachten. Die Bogenlampen standenso dicht hintereinander, daß sie wie eine Deckewirkten - eine Decke aus Licht. Der Himmel bliebunsichtbar. Am Anfang der Straße schimmerte einkleiner, dunkler Punkt inmitten der Helligkeit: Bronk,die Echse.

Das rief Rhodan ins Bewußtsein zurück, wie tiefsie bereits in diese Straße eingedrungen waren. Undes schien, als seien sie der großen Pyramide nochnicht näher gekommen. Kaum spürbar stieg dieStraße an. War das Bauwerk Monument einerunbekannten Religion, das sich über alle anderenGebäude erhob, oder lebten dort die Herrscher derunbekannten Baumeister? Rhodan zwang sich, solcheGedanken zu unterdrücken. Die vielen möglichenAntworten auf alle Fragen machten es zu einemProblem, eine Theorie zu finden. Sie konnten nurweitergehen und darauf warten, daß etwas geschehenwürde.

Ihre Schritte erzeugten keinen Lärm. Auch wennsie sprachen, schien sich die Kraft ihrer Stimmenirgendwo zu verlieren, die Laute klangen, als seiensie nur geflüstert.

„Sollen wir wirklich noch weitergehen, Sir?“erkundigte sich Kasom. „Ich werde das Gefühl nichtlos, daß wir geradewegs in eine teuflische Fallemarschieren.“

„Schon möglich“, gab Rhodan zu.Der USO-Spezialist seufzte und folgte dem

Terraner. Rhodan unternahm einen neuen Versuch,Verbindung mit dem Mausbiber herzustellen. Dochauch diesmal hatte er keinen Erfolg. Entweder hieltsich Gucky nicht mehr in der Nähe Bigtowns auf,oder er wurde durch unbekannte Umstände darangehindert, telepathischen Kontakt mit Rhodanherzustellen. Beide Möglichkeiten trugen nicht dazubei, die Situation der Männer zu verbessern.

Rhodan blickte zu den Bogenlampen hinauf.„Jetzt können wir nicht feststellen, wann die Nacht

beginnt“, sagte er. „Die Sonne muß inzwischenuntergegangen sein.“

Obwohl sie die letzten hundert Meter schnellerzurückgelegt hatten, schien die Pyramide auf demHügel sich nicht vergrößert zu haben. Kasom kniffdie Augen zusammen.

„Was halten Sie davon, Sir?“ fragte er.Auch ohne Erklärung verstand Rhodan, was der

Ertruser meinte. Der Straßenanfang war kaum nochzu erkennen, aber das große Bauwerk schien immer

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noch in weiter Ferne zu stehen.„Vielleicht handelt es sich um eine optische

Täuschung. Das Licht der Lampen und dieKrümmung der Straße können unter Umständeneinen trügerischen Effekt hervorrufen. “Rhodan bißsich auf die Unterlippe. „Bald werden wir wissen, obwir uns der Pyramide genähert haben.“

„Eine Fata Morgana“, knurrte Kasom gereizt. „Wirsind wie Verdurstende, die kurz vor dem Ende eineOase inmitten der Wüste zu sehen glauben.“

„Unsinn“, widersprach Rhodan. „Die Pyramideexistiert. Bronk hat uns direkt zu dieser Straßegebracht. Wir dürfen uns nicht irreführen lassen.“

Schweigend gingen sie weiter. Die Stille auf derStraße wirkte niederdrückend.

„Warum untersuchen wir nicht eine der kleinerenPyramiden?“ erkundigte sich Kasom ungeduldig, alssie längere Zeit dahingegangen waren, ohne daß sichdas Bild geändert hatte.

„Der Gegenstand, den wir den Roten Dreiernbringen müssen liegt dort oben“, erwiderte Rhodan.„Warum sollen wir uns mit einer Untersuchunganderer Bauten aufhalten?“

Wieder gingen sie weiter. Als Rhodan schon aufKasoms Vorschlag eingehen wollte, hatte er plötzlichdas Gefühl, durch eine flimmernde Wand zu treten.Im gleichen Augenblick machte die große Pyramideeinen scheinbaren Ruck nach vorn und stand nurnoch wenige hundert Meter von den Männernentfernt. Rhodan hörte sich aufatmen. SeineVermutung, daß sie einem technisch raffiniertenTrick zum Opfer gefallen waren, hatte sichbewahrheitet. Er gestand sich ein, daß das Bauwerkauf diese Weise gut gegen Eindringlinge abgesichertwurde. Nicht jeder würde soviel Energie aufbringenund unentwegt auf etwas losmarschieren, das immerdie gleiche Entfernung zu behalten schien.

„Bei allen Planeten“, brachte Kasom hervor. Errieb sich den Magen.

„Jetzt könnte ich ein Ochsenviertel verdrücken“,erklärte er. „Solche Dinge machen mich immerhungrig.“

Höflicherweise verzichtete Rhodan auf denHinweis, daß Kasom praktisch durch alles hungrigwurde. Er machte den Ertruser nur daraufaufmerksam, wie schwierig es unter dengegenwärtigen Umständen sein konnte, einen Ochsenzu beschaffen.

„Natürlich, Sir“, seufzte Kasom ergeben. „Ich habemich allmählich an diese Hungerkuren gewöhnt.“

Sie benötigten nur wenige Minuten, um den Restdes Weges zurückzulegen. Aus der Nähe wirkte diePyramide weniger imposant, doch der Eindruck ihrerFremdartigkeit verstärkte sich.

Das gesamte Gebäude schien fugenlos aus einemStück gearbeitet zu sein. Selbst die halbrunden

Auswüchse schienen ohne Übergang mit denSeitenflächen ineinanderzufließen. Das Bauwerkschimmerte blau, aber an verschiedenen Stellen gabes rote Kreise, die wie Lachen von Blut aussahen.

Die Pyramide stand genau im Zentrum des Hügels.Gewaltige Bogenlampen überspannten das Geländewie eine alles umfassende Kuppel. Die Bestrahlungwar so geschickt angelegt, daß es nirgends Schattengab. Außer dieser Straße schien es keinen anderenZugang zu geben.

Der Hügel war von kleineren Pyramiden undBogenlampen umsäumt, so daß man nicht aufBigtown blicken konnte. Der Boden um dasMonumentalbauwerk war von einer dunklen Masseüberzogen. Alles wirkte peinlich sauber. Die Stilleließ Rhodan an ein gewaltiges Grabmal denken.

„Was nun, Sir?“ Kasoms Stimme klang dumpf.Gewaltsam löste Rhodan seinen Blick von der

Pyramide. Er überlegte. Bisher hatte sie niemandangegriffen oder den Versuch gemacht sie amWeiterkommen zu hindern. Es bestand kein Grundanzunehmen daß sich das ändern würde.

„Wir müssen einen Weg finden, um ins Innere zugelangen“, sagte Rhodan entschlossen. Sein hagererKörper straffte sich.

„Es sieht nicht so aus, als gäbe es irgendwo einenEingang“, murmelte Kasom. „Vielleicht finden wiretwas, wenn wir das Gebäude einmal umrunden!“

Doch bald wußten sie, daß sie sich getäuschthatten. Alle vier Seitenflächen der Pyramide sahengleich aus. Es gab keine Unterschiede

„Ob der Eingang dort oben auf der abgeplattetenSpitze angebracht wurde?“ Kasom sah seinenBegleiter fragend an.

„Haben Sie eine Idee, wie wir dort hinaufgelangenkönnten?“

„Nein“, mußte Kasom zugeben. „Ich könnte einenKletterversuch riskieren, wenn ich überhaupt einenHalt auf der glatten Oberfläche finde.“

Rhodan zeigte auf die halbrunden Erhöhungen.„Ich glaube, daß wir dort finden, was wir suchen.“

Nebeneinander gingen sie dichter an die Pyramideheran.

Da erlosch das Licht.Mit einem Schlag war es vollkommen dunkel.„Sir“, sagte Kasom mit verzerrter Stimme.„Alles in Ordnung“, beruhigte ihn Rhodan. „Nicht

die Nerven verlieren. Jemand will uns Angst machen.“

Rhodan bewegte sich weiter auf die Pyramide zuund zog den Ertruser mit sich. Dann spürte er, wie ermit den Füßen die Außenfläche des Bauwerksberührte.

„Wir müssen ungefähr an jener stelle sein, wo sichoberhalb eine Erhöhung befindet“, erinnerte sichRhodan. „Kasom, Sie müssen versuchen, mit einem

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kurzen Anlauf dort hinaufzukommen. Halten Sie sichfest, sobald Sie Ihr Ziel erreicht haben. Ich hoffe, daßich Ihnen folgen kann.“

„Glauben Sie, daß es gut ist, wenn wir unstrennen?“ fragte Kasoms Stimme aus der Finsternis.

„Wollen Sie warten, bis es hell wird?“ erkundigtesich Rhodan spöttisch.

Er trat zur Seite, um dem Ertruser Platz zumachen. Gleich darauf raste Kasom an ihm vorüber.

Rhodan hörte einen Fluch, dann rutschte jemandschimpfend auf ihn zu.

„Es ist glatt“, knurrte Kasom grimmig. „Ich kannmich nicht festhalten.“

„Wiederholen Sie den Versuch“, befahl Rhodan.Schimpfend kehrte Kasom zur Ausgangsposition

zurück. Wieder lief er an. Diesmal kam er nichtzurückgerutscht. Rhodan hörte ihn befriedigtschnauben.

„Geschafft!“ rief Kasom. „Nun sind Sie an derReihe, Chef.“

Was für ein Gefühl, dachte Rhodan. Er mußtegeradewegs in die Dunkelheit springen, ohne seinZiel vor den Augen zu haben. Er ging einige Meterzurück und rannte los. An der Pyramidenwand wurdeer langsamer und wäre fast nach hinten gekippt.Dann griff Kasoms Hand zu und erwischte ihn an derSeite. Rhodan spürte, wie er allmählich hochgezogenwurde. Der Ertruser brummte wie ein Bär. Er zerrteRhodan neben sich auf die Erhöhung.

Bevor Rhodan Atem schöpfen konnte, bewegtesich der Boden unter ihren Füßen. Rhodan hatte dasGefühl, daß die Erhöhung in der Pyramide versank.Es wurde kühler. Rhodan streckte beide Hände ausaber er tastete nur ins Leere.

„Das Ding bewegt sich“, stellte Kasom fest.„Wollen wir abspringen?“

„Nein“, lehnte Rhodan ab. „Warten wir ab, wasweiter geschieht.“

Die Erschütterungen wurden stärker. Rhodan hieltsich an Kasom fest, der seinerseits versuchte, denHalt auf dem halbrunden Höcker zu bewahren.

„Es gleitet abwärts“, erkannte Kasom. „Wohinbringt es uns?“

Rhodan lächelte schwach. „Wo immer man unshintransportiert - gebratene Ochsenviertel gibt es dortbestimmt nicht für Sie.“

6.

Captain Noro Kagato betrat die Kabine und schloßleise die für hinter sich. Redhorse hockte am Tischund hatte mehrere Flaschen und Becher vor sich.

„Nun, machen Sie große Medizin?“ erkundigtesich Kagato freundlich.

„Nein, ich betrinke mich“, erwiderte Redhorseohne aufzublicken.

„Alkohol?“ Kagato verzog angewidert das Gesicht.„Wie kommen Sie zu diesem Zeug?“

Redhorse deutete auf das Flaschensortiment. „Miteinigen chemischen Kenntnissen können Sie aus denBeständen unseres Labors die besten Cocktailsmixen.“

Der kleine Japaner, Chef des Robotkommandos,blickte unentschlossen auf den Freund. Er kannteRedhorse genau und bezweifelte, daß sich dieserwirklich betrinken würde. Wahrscheinlich ging er nurdieser Beschäftigung nach, um seine Gedankenabzulenken.

Redhorse hielt Kagato einen Becher entgegen.„Kosten Sie“, forderte er den Japaner auf.Kagato ergriff den Becher und roch daran.

„Explosiv“, sagte er. „Wollen Sie jemand in die Luftsprengen?“

Er leerte einen Becher und verfärbte sich.„Anscheinend sind Sie doch nicht so ein großer

Chemiker, wie Sie geglaubt haben“, stellte Kagatosachlich fest.

Unerwartet hieb Captain Redhorse mit einer Handauf dem Tisch. „Da sitzen wir herum, während dieC-5 samt Besatzung vielleicht schon zum Teufelgeht“, stieß er hervor. Sofort hatte er sich wieder inder Gewalt. „Entschuldigen Sie“, fügte er hinzu.„Sicher verstehen Sie, was ich meine.“

„Niemand bleibt in einer solchen Situation gernuntätig“, bestätigte Kagato.

Bevor Redhorse etwas darauf erwidern konnte,sprachen die Lautsprecher des Interkoms an.

„Alle Offiziere sofort in die Zentrale!“ erklangRudos dröhnende Stimme. „Der Schutzschirm umQuarta scheint zusammenzubrechen.“

Redhorse schwang seine langen Beine unter demTisch hervor und sprang auf. Er stürmte zur Tür.

„Kommen Sie, Kagato!“ rief er dem Japaner zu.Der Robotkommandant lächelte sein stilles

Lächeln. Er hob einen der Becher vom Tisch undprostete dem Freund zu.

„Manchmal wird man einem Standpunkt untreu“,erklärte er.

Wenige Augenblicke später folgte er mitschwankenden Schritten und tränenden AugenRedhorse, der bereits den Gang zum Antigravschachthinaufeilte.

7.

„... und er möchte die C-5 in ein Eisstadionverwandeln“, schloß Gucky seinen Bericht, nachdemdie Riesenkröte ihren Parablock aufgegeben hatte.

„Nachwuchssorgen also“, sagte Atlannachdenklich. „Nun, wir können dem Wesen nichthelfen. Das mußt du ihm klarmachen.“

„Es wird glauben, daß ich es belüge“, sagte Gucky.

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„Es ist auch im Augenblick nicht wichtig. Jetzt, dader Parablock des Fremden nicht mehr besteht, mußich mich um Perry kümmern.“

Atlan zögerte. „Bisher hat Perry nicht um Hilfegerufen.“

„Wer kann das wissen“, wandte Gucky ein.„Solange die Kröte verhinderte, daß ich paranormaleKräfte entwickeln konnte, kann der Chef bereits oftversucht haben, mit uns in Verbindung zu treten.“

„Das ist richtig“, gab Atlan zu. „Es wird bessersein, wenn du nach Bigtown teleportierst, um zusehen, was dort inzwischen geschehen ist. Sei jedochvorsichtig.“

Gucky nickte und entmaterialisierte. Zusammenmit dem Mutanten Iwan Goratschin verließ Atlan dieC-5. Das fremde Wesen hockte erwartungsvoll vorder Schleuse.

„Der Mausbiber hat ihm erklärt, daß wir ihm nichthelfen können“, begrüßte Tolot die beidenAnkömmlinge. „Trotzdem scheint er nicht gewillt zusein, hier zu verschwinden.“

Atlan starrte in die untergehende Sonne. Erempfand Bedauern mit der Kröte, die auf einersolchen Welt nach Trockeneis suchen mußte.

„In der Stadt muß es doch eine Möglichkeit geben,Eis künstlich herzustellen“, überlegte er laut.„Warum also taucht dieser Bursche hier auf?“

„Die Möglichkeiten der Stadt müssen noch langenicht allen Bürgern zur Verfügung stehen“, sagteTolot. „Schließlich kann auch nicht jeder Terranermit einem Raumschiff fliegen, wann er gerade dieNeigung dazu verspürt.“

Atlan lachte. „Woher wollen Sie das wissen,Tolot? Doch Ihr Einwand ist berechtigt. Ich würdediesem Wesen jedoch gern helfen. Schade daß wirkeine Möglichkeit haben ihn hier wegzubringen.“

Nicht ohne Schärfe erwiderte Tolot: „Für einenArkoniden pflegen Sie unerwartet humanesGedankengut.“

Wieder stieg die Vergangenheit zwischen ihnenauf. Atlans Gesicht verhärtete sich. Er wandte sichab. Innerlich gab er Tolot recht. Er hatte solangeunter den Terranern gelebt daß er ihre Moralbegriffeanwandte. Ein Arkonide war er eigentlich nur nochseiner Herkunft nach.

Iwan Goratschin, der Doppelkopfmutant, fragte:„Soll ich das Wesen verjagen, Sir?“

Atlan verneinte. „Wir warten, bis Guckyzurückkommt.“

Icho Tolot trat neben ihn. Seine Stimme klangversöhnlich. „Ich nehme an, daß Sie jetzt allein mitder Kröte fertigwerden. Ich gehe jetzt in die Stadtund schaue mich dort ein wenig um.“

„Allein?“„Ja“, nickte der Haluter.„Ich begleite Sie“, entschied Atlan. „Ich werde

Captain Henderson von unserem Vorhabenunterrichten und mit Ihnen gehen.“

„Wie Sie wollen“, sagte Tolot höflich.Atlan gab dem Kommandanten der abgestürzten

Kaulquappe seine Pläne bekannt. Henderson erhobkeine Einwände, aber es war ihm anzumerken, daß ergern ebenfalls nach Bigtown gegangen wäre.

„Ich werde Sie tragen“, erbot sich Tolot, als Atlanzu ihm zurückkam „Auf diese Weise kommen wirschneller voran“ Er ließ sich auf seine kurzen Armenieder. Atlan befahl dem Doppelkopfmutanten, denFremden aus Bigtown weiterhin zu beobachten. Dannsetzte sich Tolot in Bewegung. Innerhalb kurzer Zeitwurde er so schnell, daß der heiße Wind ins Gesichtschnitt.

Bald hatten sie die ersten Gebäude der Stadterreicht.

*

Mit einem Ruck kam das eigenartigeTransportmittel zum Stehen. Rhodan lauschte in dieDunkelheit hinein.

„Ich frage mich, wohin man uns gebracht hat“,sagte Kasom. Seine Stimme klang hohl, als befändensie sich innerhalb eines Gewölbes Vorsichtig tastetesich Rhodan von dem halbrunden Sockel herunter.Seine Füße berührten jetzt ebenen Boden. Das konntenur bedeuten daß sie sich nicht länger auf derAußenfläche der Pyramide befanden Irgendwiewaren sie ins Innere gelangt.

„Kommen Sie herunter, Kasom“, forderte Rhodanseinen Begleiter auf.

„Wollen wir aufs Gerätewohl in die Dunkelheitmarschieren?“ verlangte der USO-Spezialist zuwissen.

„Wir müssen uns orientieren. Vor allem müssenwir herausfinden, ob es aus diesem Raum - oder wasimmer es ist - einen Ausgang gibt.“

„Also los, Sir“, sagte Kasom mit wenigEnthusiasmus. „Es ist schließlich gleichgültig, wowir angegriffen werden.“

Meter um Meter drangen sie in die Finsternis vor.Überall konnte ein Abgrund lauern. Kein Luftzugregte sich. Mehr und mehr wurde Rhodan an einGrabmal erinnert. Er erschauerte. Was für einGedanke, mit vielleicht unzähligen unbekanntenToten in einem Gewölbe zu sein. Aber das war nureine Theorie, die rasch von der Wirklichkeitwiderlegt werden konnte.

Schließlich fand Kasom eine Wand. Seinüberraschter Ausruf brachte Rhodan an seine Seite.Behutsam ließ der Terraner seine Hände über dieWand gleiten. Das Material fühlte sich kühl an. Esschien ebenso glatt zu sein wie die Außenflächen derPyramide.

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„Wir gehen nun an der Wand entlang“, sagteRhodan. „Auf diese Weise müssen wir feststellenkönnen wie groß dieser Raum ist.“

Sie tappten hintereinander her. Rhodan wußtenicht, wieviel Zeit verstrichen war, als sie eine Eckeerreichten. Sie bogen ab und gingen weiter. Rhodanbegann seine Schritte zu zählen. Als sie ungefährweitere zweihundert Meter zurückgelegt hatten,griffen Rhodans Hände ins Leere.

In der Wand war eine Öffnung!Mit ausgestreckten Händen glitt Rhodan hinein. Es

schien eine Nische zu sein, denn bald stießenRhodans Fingerspitzen wieder auf festen Stoff.Rhodan suchte mit ausgebreiteten Händen diegesamte Wand ab um irgendeine Unebenheit zuentdecken.

Da berührte jemand von hinten seine SchulterKasom stand links neben ihm, der Ertruser konnte esnicht gewesen sein.

Rhodans Magen schnürte sich zusammen. SeineHände sanken langsam herunter. Kasom schien seinZögern zu spuren.

„Haben Sie etwas gefunden, Chef?“Die Stimme des Ertrusers gab Rhodan die alte

Sicherheit zurück.„Da ist jemand mit uns in der Nische“, berichtete

Rhodan, darauf vertrauend, daß ein fremdes Wesendiese Worte nicht verstehen konnte. „Ich wurdesoeben angefaßt.“

Kasom schob sich an Rhodan vorüber.„Wenn etwas hier ist, werde ich es finden“, sagte

er entschlossen.Rhodan schluckte trocken. Er hatte sich noch nie

in völliger Dunkelheit gefürchtet, aber dasBewußtsein, daß irgendein Unbekannter in ihrerNähe weilte, der sich offenbar gut in dieserUmgebung auskannte, beunruhigte ihn.

Er hörte Kasom in der Finsternis herumschleichen.Da wurde er mit unwiderstehlicher Gewalt gepackt

und auf den Boden gezogen. Er wollte sich wehren,aber die Umklammerung erwies sich als stärker.Kasom begann zu schimpfen. Es gab einendröhnenden Laut, als der schwere Körper desUSO-Spezialisten ebenfalls auf den Boden fiel.

Glühende Drähte schienen Rhodan zu umfassen.Sie schnitten in sein Fleisch und umgarnten ihn wieeinen Kokon. Er hörte Kasom ächzen und stöhnen,im verzweifelten Bemühen, sich zu befreien.

Rhodan lag ganz still. Er hatte gleichherausgefunden, daß der Druck sich sofort verstärkte,wenn er sich wehrte. Nach einer Weile wurde auchder Ertruser ruhig. Ein Geräusch wurde hörbar, alsrieben zwei gewaltige Steine gegeneinander. Dannbegann Rhodan vorwärtszurollen. Er hätte nicht zusagen vermocht, wie diese Bewegung entstand, erspürte nur das Gleiten seines Körpers auf dem glatten

Boden. Wenn sein Orientierungssinn nicht trog,wurde er durch die Nische transportiert. Dasbedeutete, daß die Wand, die sie aufgehalten hatte,jetzt verschwunden war. Er fühlte keine Angst, denner sagte sich, daß jene, die ihn gefesselt hatten, ihnebenso leicht hätten töten können. Aber das waroffenbar nicht die Absicht der Unsichtbaren.

Eine endlose Zeit des Vorwärtsgleitens verstrich,dann kam Rhodans Körper zur Ruhe. Er lag da undversuchte, irgend etwas aus der Umgebungwahrzunehmen. Aber er hörte nichts außer Kasomsund seinem eigenen Atem.

„Wir sitzen ziemlich tief in Schwierigkeiten“, ließsich Kasom schließlich vernehmen. „Ja, Sir, da sindwir in eine Falle geraten.“

Bevor er den Satz beendet hatte, war es hellgeworden. Rhodan schloß geblendet die Augen. Alser sie wieder öffnete, fand er sich auf einer goldenenFläche, die scheinbar in die Unendlichkeit reichte. Erkonnte den Kopf nicht heben, was ihm zeigte, daß dieEbene vor ihm anstieg. Als er mühsam nach rechtsblickte, sah er Kasom. Der Ertruser lag auf einerdünnen Platte, aus der sich unzählige Spiralarme umseinen Körper geschlungen hatten. Rhodan ahnte, daßer sich in derselben Lage befand. Kasom grinsteschwach, als er zu Rhodan herüberblickte.

Rhodan schaute nach oben, doch das gleißendeLicht zwang ihn sofort zum Wegsehen. Unendlichlangsam drehte er den Kopf auf die andere Seite.Wenige Meter von ihm entfernt stand der Sockel mitdem dreieckigen Metallbrocken, den sie den RotenDreiern bringen sollten. Obwohl der Gegenstand ingreifbarer Nähe lag, fühlte Rhodan, daß er weiterdavon entfernt war als je zuvor.

Die goldene Fläche kräuselte sich an einer Stelledirekt neben dem Sockel, und ein junger Mannerschien. Er hatte Rhodans Figur und RhodansGesicht.

Aber er bewegte sich wie ein Fremder.Kasom stieß einen krächzenden Laut aus, als er

das Wesen ebenfalls erblickte. Auf der goldenenEbene warf Rhodans Ebenbild einen langen,verzerrten Schatten, jede Bewegung schien denGoldboden erzittern zu lassen.

Als der Mann näherkam, stellte Rhodan fest, daßdas Duplikat nicht völlig gelungen war. Es gabgenügend Unterschiede, die ein aufmerksamerBeobachter festgestellt hätte. Vor allem war derFremde jünger.

Wieder kräuselte sich der Boden, und ein zweitesWesen erschien.

„Blan!“ stieß Rhodan überrascht hervor, als er denDolmetscher der Roten Dreier erkannte.

Die großen Augen starrten ihn traurig an. GoldeneFunken schienen in ihnen zu tanzen.

„Ich bin nicht Blan“, sagte das Wesen. „Sie

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können mich Ogil nennen.“Es schien, als besäßen nicht nur die Roten Dreier

einen Dolmetscher. Die Anwesenheit Ogils deutetejedoch darauf hin, daß man mit ihnen verhandelnwollte.

Der junge Fremde, der Rhodan so stark ähnelte,wandte sich an Ogil und sagte etwas in einer völligfremdartigen Sprache.

Ogils magere Ärmchen zeigten auf RhodansDoppelgänger.

„Er benutzt diesen einfachen Trick um Sie durchsein wahres Aussehen nicht zu erschrecken.“ SeinGesichtsausdruck veränderte sich. „Da er annimmt,daß Sie erfahren möchten wie es funktioniert,erinnert er sie an die Spiegelung der Pyramide. Siekönnen auf diesem Gebiet praktisch alles machen.Nichts was Sie hier sehen, muß der Realitätentsprechen. Nur Dinge, die Sie fühlen, sind echt.Aber es ist für einen Uneingeweihten unmöglich, sichdurch ein optisches Labyrinth zu bewegen.“

Rhodan fühlte schwache Heiterkeit in sichaufsteigen.

„Kommen Sie her, Ogil. Ich möchte Sie fühlen“Der Dolmetscher blieb ernst. „Ich bin echt“,versicherte er. „Ich kann Ihnen jedoch nicht sagen, obes der Boden ist, auf dem ich stehe. Vielleicht ist esin Wirklichkeit schwarzer Fels.“

„Ich verstehe“, sagte Rhodan. „Aber es gefällt mirnicht. Eine Ras se, die solche Dinge baut, muß einRasse von Feiglingen sein. Sie versteckt sich hinterLuftspiegelungen und Lichteffekten.“ Er hoffte, daßer mit diesen Worten den Fremden genügendprovozieren konnte, um etwas von ihm zu erfahren.

„Feigheit ist ein relativer Begriff“ sagte Ogil. „Wirkönnten lange Zeit darüber diskutieren, ohneherauszufinden, in welcher Beziehung dieses Wortauf verschiedene Lebensformen angewandt werdenkann. Jedes Wesen ist auf eine besondere Art mutig.“

„Nun gut. Vielleicht besitzt unser Freundgenügend Mut, um uns zu erklären, was er mit unsvorhat. Fragen Sie ihn, ob er darüber unterrichtet ist,daß wir hier sind, um diesen Stein dort zu holen.“

Ogil unterhielt sich längere Zeit mit RhodansDoppelgänger. Dann wandte er sich wieder an diebeiden Gefangenen.

„Die Situation ist sehr kompliziert. DerGegenstand, den Sie als Stein bezeichnen, ist allesandere als ein gewöhnliches Ausstellungsstück.Betrachten Sie ihn als den Schlüssel mit dessen Hilfeman die Energiestation dieses Planeten erreichenkann.“

Rhodans Gedanken wirbelten durcheinander.Deshalb also wollten sich die Roten Dreier in denBesitz des dreieckigen Körpers bringen. War esmöglich, daß die Herren von Bigtown Gewalt überdie Bewohner der Pyramide besaßen?

„Natürlich werden Sie diesen Stein nicht erhalten“,fuhr Ogil fort. „Man ist jedoch bereit, Sie mit einemähnlichen Gegenstand freizulassen, der jenem aufdem Sockel vollkommen gleicht. Damit können Siedie Roten Dreier eine gewisse Zeit irreführen, bis Siesich in Sicherheit gebracht haben.“

„Sinnlos“, entfuhr es Rhodan. „Solange derSchutzschirm über Quarta existiert, gibt es für unskeine Sicherheit. Fragen Sie unseren Freund ob erden Schutzschirm für kurze Zeit ausschalten kann.“

„Nein“, sagte Ogil sofort. „Er kann nichtsinnerhalb der Station vor Obergriffen schützen. Eskäme für ihn einer Blasphemie gleich, wollte er denautomatischen Ablauf abstoppen oder verändern.“

„Also eine Art Religion?“„Wenn Sie es so bezeichnen wollen. Diese Wesen

dienen der Station seit Generationen. Ich glaube nochnicht einmal, daß sie die Funktion der einzelnenGeräte begreifen.“

Rhodan blickte sein freundlich lächelndesEbenbild starr an. Er begriff, daß er nur unterGewaltanwendung in die Station vordringen konnte.Ein solches Vorgehen widerstrebte ihm unter dengegenwärtigen Umständen, aber er sah keine andereMöglichkeit, um ihr Entkommen von Quarta zugewährleisten.

„Was geschieht, wenn wir versuchen, die Stationso zu beschädigen, daß der Schutzschirm sichauflöst?“ fragte er Ogil.

„Ohne den Schlüssel könntet ihr die Station nieerreichen“, erklärte der Dolmetscher lakonisch.

„Wir müssen also für alle Zeiten auf Quartaleben?“

„Ja“, bestätigte Ogil. „Bis Sie während einer Jagdgetötet werden.“

„Geben Sie uns den Ersatzstein und lassen Sie unsfrei“, forderte Rhodan.

Ogils magerer Körper krümmte sich als empfändeer Schmerzen.

„Nein, nein“, stammelte er. „Sie sprechen nicht dieWahrheit. Sie sind eines dieser wilden,unnachgiebigen Wesen, wie es sie auch in Bigtowngibt. Sie werden nie aufhören, um den Schlüssel zukämpfen - jetzt, da Sie wissen, daß es die einzigeMöglichkeit ist, um in die Station zu gelangen.“

„Ja!“ dröhnte Kasom dazwischen. „Wir werdenkämpfen. Und wir werden einen Weg finden, diesenfaulen Zauber hier zu entlarven.“

Ogil hatte sich wieder gefaßt. Das Lächeln imGesicht des Unbekannten war verschwunden.

„Sie verkennen Ihre Situation“, sagte derDolmetscher. „Sie sind völlig in der Gewalt derStationswächter.“ Die goldene Ebene, auf der erstand, schien einen Augenblick zu flackern. „Wirmüssen Sie töten.“

Kasom schrie auf und stemmte sich gegen die

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stählernen Fesseln. Er gab es jedoch auf, als erfeststellen mußte, daß er nichts ausrichten würde.

Der Boden um Ogil kräuselte sich. Gleich daraufwar der Dolmetscher verschwunden. RhodansDoppelgänger schüttelte nachdenklich den Kopf.

Rhodan spürte plötzlich, wie es um ihn herum heißwurde.

Sie bringen die Platten zum Glühen, auf denen wirliegen, dachte er entsetzt.

Die Hitze nahm schnell zu.„Aufhören!“ brüllte Kasom. „Chef, wir müssen

ihnen sagen, daß wir mit allem einverstanden sind.“„Das hätte wenig Sinn“, erwiderte Rhodan ruhig.

Die Unterseite von Kasoms Platte begann bereitsdunkelrot zu glühen. Der Wächter tauchte ebenfallsin der goldenen Ebene unter.

Da sah Rhodan einen dunklen Punkt ganz oben aufder schimmernden Fläche. Der Punkt kam raschnäher. Rhodans Augen weiteren sich, als der gesamteBoden nach unten kippte. Übelkeit stieg in ihm hoch.Die goldene Farbe verschwand und machte einemfahlen Gelb Platz. Doch der Punkt blieb und wurdeimmer größer. Die Hitze stieg an.

Die gesamte Umgebung veränderte sich.Nur Dinge, die Sie fühlen, sind echt!Was konnte ein Mann fühlen, der an eine Platte

gefesselt war, die sich allmählich erhitzte?Ein Regen leuchtender Kugeln ergoß sich von

oben auf die beiden Männer herab. Als siezerplatzten, wurden sie zu Säulen, die irgendwo indie Unendlichkeit ragten.

Doch der Punkt blieb. Er bewegte sich scheinbardurch das Nichts durch gelbes Nichts. Er wurde zueiner Gestalt. Zu einer aufrecht gehenden Gestalt, mitdicken Schutzplatten auf dem Rücken. Die Gestaltzitterte vor Furcht.

„Bronk!“ schrie Rhodan. „Hierher!“Die Echse schien ihn nicht zu hören. Sie tappte

durch den unwirklichen Raum, der ständig seinAussehen veränderte. Da begriff Rhodan. Bronkhockte noch immer am Eingang zur Pyramidenstraße.Durch irgendwelche Effekte erzeugten die Wächterder Station das Bild der Echse innerhalb diesesRaumes. Rhodan schloß die Augen.

Da berührte ihn etwas.Er blickte auf und sah Bronks Gesicht über sich. In

den dunklen Augen des Jägers stand der Wahnsinn.Bronk hatte sein eigenartiges Stilett in den Klauenund machte sich damit an Rhodans Fesseln zuschaffen.

Rhodan konnte es spüren.Inmitten dieser Spiegelwelt gab es eine Realität.Bronk.Atlan sprang vom breiten Rücken des Haluters

herunter. Die Sonne war hinter der Stadtuntergegangen. Die Dämmerung würde einsetzen.

„Von hier aus wirkt die Sache noch komplizierter“,murmelte der Arkonide vor sich hin

„Komplizierter?“ verlangte Tolot zu wissen. „IhrGesicht drückt nicht gerade Begeisterung aus, meinmißtrauischer Begleiter.“

Atlan hörte den schwachen Spott aus der Stimmedes anderen heraus, ging aber nicht darauf ein.

„Es gibt in Bigtown schätzungsweise sieben bisacht Millionen Gebäude. Darin wohnen ungefährfünfzig Millionen verschiedenartige Wesen. Wirbefinden uns an irgendeinem Punkt dieserRiesenstadt. Wie wollen wir herausfinden, wo sichRhodan und Kasom aufhalten?“

„Ich besitze eine angeborene Abneigung gegengroße Ansiedlungen“, erklärte Tolot. „Trotzdem kannich Ihren Pessimismus nicht teilen. Wir wissenimmerhin, an welcher Stelle Rhodan in der Stadtverschwunden ist. Was wir tun müssen, ist, seineSpur zu entdecken. Das hört sich ziemlich schwierigan, aber ich traue mir in dieser Hinsicht manches zu.“

Atlan grinste. „Also, vorwärts, Detektiv!“„Was ist das: Detektiv?“„Ein Mann, dessen Beruf es ist, unlösbaren

Problemen nachzujagen Diebstähle aufzuklären undMörder zu entlarven.“

„Wie schön“, meinte Tolot. „Es muß einabenteuerlicher Beruf sein.“

„Er ist manchmal gefährlich“, sagte Atlan. Erkonnte den Ärger nicht unterdrücken, den er Tolotgegenüber empfand. Wie konnte man den Haluterveranlassen, sich nicht wie ein Junge auf jedesAbenteuer zu freuen, bei dem es um Menschenlebenging?

„Gefahr ist die Essenz wirklichen Lebens“, sagteTolot ernsthaft. „Wie arm ist ein Wesen, das seineTage eintönig in völliger Sicherheit verbringt.“

„Diese Anschauung vertreten Sie nur, weil Siepraktisch unbesiegbar sind“, warf ihm Atlan vor.„Ein verletzbares Wesen geht allen Gefahren ausdem Weg. Für einen Terraner zum Beispiel, gibt esnichts Erstrebenswerteres als ein Leben inSicherheit.“

„Da täuschen Sie sich“, widersprach Tolot.„Entspräche eine solche Haltung der terranischenMentalität wären diese Wesen nicht hier. IhreVerhaltensweise ist vielschichtig und schwer zudurchschauen. Körperlich gehören sie zu denschwächsten Lebensformen der Galaxis. Es ist ihrGeist, der sie antreibt. Ihr Geist paßt nicht zu ihremKörper, Stellen Sie sich vor, ein Terraner - Rhodanvielleicht - besäße meinen Körper.“

Atlan gab sich dieser Vorstellung hin, und siedrangen gemeinsam in die Stadt ein.

*

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Rhodan taumelte von der glühenden Platteherunter, und vor ihm tat sich ein Abgrund vollbodenloser Schwärze auf. Bronk fiel in einewahnsinnige Perspektive zurück aber als Rhodanzugriff, fühlte er den harten Panzer der Echse, fühltedie hastigen Bewegungen, mit denen das Wesen sichauf Kasoms Lager zuarbeitete. Rhodan zwang sichdazu, den Abgrund, der mit seiner Körperdrehungvor ihm herumschwang, einfach zu ignorieren, aberes war ein schreckliches Gefühl, stets das Nichts vorsich zu haben. Einen kurzen Augenblick sah erBronks schwarze Augen aufleuchten, in natürlicherGröße und voller Furcht. Kasom war ein winzigesEtwas zwischen tanzenden Feuerbällen. Wändestürzten über ihm zusammen, aber er durchschnitt siewie ein heißes Messer Fett durchschneiden würde.Die Wände wurden breitflächig, verschoben sich undrasten in einen unfaßlichen Trichter hinein der alleszu verschlingen drohte.

Allein die Berührung von Bronks Körper retteteRhodan vor dem Irrsinn.

Das Zucken der Arme und das Zittern des Körpershielten Rhodan aufrecht, und der Echse ging eswahrscheinlich ebenso. Wie aus dem Nichts tauchteeine Glutwand vor Kasoms Platte auf, die Flammenwaren wie Pfeile aus Licht, und zwischen ihnen sahRhodan die aufgerissenen Rachen gewaltigerUngeheuer Bronk schien zu zögern, aber Rhodantrieb ihn vorwärts. Sie schoben sich durch dieFeuerwand, ohne etwas zu spüren. Die Täuschungsank zurück, aber Kasom blieb. Rhodan erreichte ihnschließlich. Er beugte sich zu ihm hinab und... griffins Leere.

Er schrie vor Schmerz und Enttäuschung auf. Manhatte Bronk und ihn ins Irre geführt. Sie waren aufKasoms Spiegelbild zugegangen.

„Melbar!“ schrie Rhodan. „Melden Sie sich!“„Hier, Chef!“Rhodan fuhr herum. Die Stimme kam von links. Er

hörte Bronk husten, die Töne klangen wie dasGerassel einer alten Maschine. Rhodan strebte zurEchse zurück. Sie klammerten sich wiederaneinander fest.

„Rufen Sie, Kasom“, stieß Rhodan hervor. „Wirmüssen Sie finden.“

Kasom begann die dritte Strophe desSternenfahrers zu singen, eines alten Liedes. Bronkkonnte den Ertruser nicht verstehen, abermerkwürdigerweise hörte sein Zittern auf.

Der Trichter, der die herabstürzenden Wändeverschlungen hatte, spie plötzlich eine Massewirbelnder Räder hervor, die sich wie einKonfettiregen über den Boden ergossen, aufpralltenund auf Rhodan zugerollt kamen. Ein Abhang bildetesich, und die Räder rasten herab. Rhodans Füßespürten, daß es keinen Abhang gab, aber seine Augen

sahen die Anhöhe und unwillkürlich hob er seineBeine. Die Räder wurden schneller. Alles in Rhodandrängte zur wilden Flucht, doch er bewegte sichweiter in jene Richtung, aus der Kasoms Gesangkam.

Die Räder lösten sich kurz vor Rhodan auf, sieglitten hinweg, als seien sie nie dagewesen.

„... und hinauf in das Nichts führt unser Suchen...“sang Kasom.

Bronk strauchelte, als der Boden zu einem Geröllblutroter Höcker wurde. Rhodan biß auf die Zähneund schob seine Beine durch die Auswüchse amBoden. Dann bildete sich ein reißender Flußunmittelbar vor ihnen, das Wasser schäumte an ihrenFüßen vorüber, ohne daß sie etwas hörten. Rhodanzog Bronk mit sich in die Fluten hinein, und vorihren Füßen verschwanden die Wellen.

Mit einem Schlag kam die goldene Ebene zurückund mit ihr der Sockel, auf dem der dreieckigeBrocken lag, Kasom lag nur zehn Meter von Rhodanentfernt auf der Platte und sang, während er vorSchmerzen das Gesicht verzog. Bronk stürzte auf denErtruser zu und benutzte sein seltsames Messer.Gleich darauf war der USO-Spezialist frei. Mühsamrichtete er sich auf. Er rieb die Beine, um dieBlutzirkulation wieder in Gang zu bringen.

Seine Kleider waren auf dem Rücken versengt.Bronk schob das Messer in seinen Köcher zurück.

Er spuckte herzhaft auf die glühende Platte, von derKasom entkommen war. Es zischte.

„Quextrel“, erklärte Bronk voller Inbrunst.Kasom hob den Kopf und sog die Luft ein.„Sir“, sagte er und blickte Rhodan an. „Es riecht

nach gebratenem Ochsen.“Vor ihnen kräuselte sich der Boden und Ogil

erschien. Er beachtete Bronk nicht, sondern wandtesich an Rhodan.

„Haben Sie Ihre Pläne aufgegeben?“Rhodan schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn,

das Wesen belügen zu wollen.„Die Wächter der Station könnten Sie sofort

töten“, sagte Ogil. „Doch sie verzichten darauf, wennSie freiwillig in die Stadt zurückkehren.“

Rhodan legte eine Hand auf Bronks harte Schulter.„Was geschieht mit ihm?“„Er hat ein Tabu gebrochen“, erklärte Ogil

teilnahmslos. „Er muß hierbleiben. Er weiß Dingeüber die Pyramide, die in der Stadt nicht bekanntwerden dürfen.“

„Wir gehen zusammen - oder überhaupt nicht“,sagte Rhodan fest.

„Sie sind sehr starrsinnig“, sagte Ogil bedauernd.Er sagte etwas in einer unbekannten Sprache. Imgleichen Augenblick kräuselte sich der Boden an achtverschiedenen Steilen. Acht Roboter, massivaussehende, kleine Gestalten erschienen. Ihre Waffen

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waren auf Rhodan, Kasom und Bronk gerichtet.„Talirksa“, knirschte Bronk.Ogils Blicke wanderten von den Robotern zu

Rhodan zurück.„Nun?“ klang seine Stimme auf.„Wir sind keine ausgesetzten Verbrecher“, sagte

Rhodan schnell. „Interessiert es die Wächter derStation nicht, woher wir kommen?“

„Sie wissen es“, erwiderte der Dolmetscher. „Ihrkommt von der anderen Seite der großen Leere.“

„Wir können euch helfen“, sagte Rhodan. Wennihm nur etwas einfiel, um diese Maschinen zustoppen. „Wir können euch Raumschiffe zurVerfügung stellen, damit ihr den Strafplanetenverlassen könnt.“

Ogil lachte lautlos. Verächtlich deutete Rhodan aufdie Roboter.

„Wahrscheinlich sind es wieder nur Spiegelungen,die uns Furcht einjagen sollen“, meinte er.

„Sie werden noch lange genug leben, um sich vomGegenteil zu überzeugen“, antwortete Ogilleidenschaftslos. „Ich gebe Ihnen zum letztenmalGelegenheit, sich zu entscheiden. Sie können zurStadt zurück, aber ohne Ihren Freund.“ Er wechseltedie Sprache und redete auf die Echse ein.

Geduldig hörte Bronk zu, dann verneigte er sichvor Rhodan und Kasom.

„Derrat Gonger“, sagte er feierlich.Dann rannte er auf seinen krummen Beinen auf die

Roboter zu. Sie zerstrahlten ihn, bevor er nur dieHälfte des Weges zurückgelegt hatte. Er wurde zueiner Wolke feinen Staubes, der langsam zurleuchtenden Decke emporstieg. Rhodan stand wiegelähmt.

„Er hat Ihnen die Entscheidung abgenommen“,sagte Ogil gelassen.

Rhodan starrte auf die Stelle, an der Bronk vorwenigen Sekunden noch gestanden hatte. Er fühltesich vollkommen ausgehöhlt. Ogils Worte nahm erwie etwas wahr, das völlig bedeutungslos war. Erstjetzt spürte er, wie fest das Band war, das zwischenihm und der Echse innerhalb kurzer Zeit entstandenwar.

„Mord“, hörte er Kasom sagen. „Dafür gibt esauch auf Quarta keine andere Bezeichnung“

„Ihr Denken verläuft zu sehr in emotionellenBahnen“, warf ihnen Ogil vor. „Sie sollten vernünftigsein und sich nach den Begebenheiten richten.Verlassen Sie die Pyramide und versuchen Sie, in derStadt Unterschlupf zu finden. Wenn Sie Glück haben,erwischen die Roten Dreier Sie nicht.“

„Perry!“ rief eine Stimme in Rhodans Gedanken.„Wo steckst du jetzt?“

Rhodan fand seine Fassung wieder. Er betrachteteOgil aus verkniffenen Augen. Unwillkürlich wich derDolmetscher vor diesem Blick einige Schritte zurück.

„Die Pyramide, Kleiner“, dachte Rhodan intensiv.„Es wird Zeit, daß du hier auftauchst.“

Die Roboter hoben die Waffen und richteten siegegen Rhodan und Kasom.

„Nun?“ drängte Ogil.„Wir bleiben“, sagte Rhodan.Ogil hob den Arm. Seine Augen glänzten im Licht,

das von der Decke herabfiel. Die Roboter standenbewegungslos. Der Dolmetscher schwankte leicht.Seine dürre Gestalt wirkte wie eine Karikatur.

Gucky materialisierte unmittelbar hinter ihm.Danach geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.

Ogil senkte den Arm ohne den Mausbiber zu sehen.Rhodan und Kasom warfen sich zu Boden DieRoboter feuerten, doch die Energiestrahlen ihrerWaffen fluteten über die beiden Gefangenen hinweg.

Rhodan wälzte sich herum. Er sah, wie die Robotersich unter dem telekinetischen Einfluß des Mutantenvom Boden abhoben und hilflos durch die Luftschwebten. Ogil wandte sich langsam um, in seinenAugen lag ein verwunderter Ausdruck, als könnte ernicht begreifen was um ihn herum geschah.

Kasom brüllte triumphierend. Die Roboterbegannen damit, sich gegenseitig abzuschießen.Schwer krachten ihre Körper auf die goldene Ebene.

Ogil verschwand in einer kräuselnden Schicht desBodens. Rhodan sprang auf und rannte auf denSockel zu. Er packte den dreieckigen Metallbrockenund wollte ihn hochheben. Doch das Symbol derPyramide war fest verankert.

Rhodan drehte versuchsweise. Das Dreieck gabnach. Je weiter es Rhodan herumschraubte, destogrößer wurde eine Öffnung im goldenen Boden desRaumes.

Mit aufgerissenen Augen schraubte Rhodan weiter.Er hatte den Schlüssel zur Station Quartas in derHand. Eine quadratische Öffnung entstand, diemindestens fünfzig Meter durchmaß. Rhodan blicktein strahlende Helligkeit. Der Boden verschwand bisdicht vor seine Füße.

Rhodan starrte hinab in die Tiefe.Ein heller Schacht tat sich vor ihnen auf. Rhodan

nahm die Bewegungen gewaltiger Maschinen wahr.Der Schacht führte an verschiedenen Ebenen vorbei,von denen Rhodan nur den Rand sehen konnte.

Kasom entwaffnete drei der zerstörten Roboter undbrachte die Waffen zu Rhodan.

„Die dritte Ebene scheint die wichtigste zu sein“,piepste Gucky aufgeregt, als er neben Rhodanerschien.

„Bleiben Sie hier oben, Kasom“, befahl Rhodandem Ertruser. „Ich werde mich zusammen mit Guckyum die Station kümmern.“

Er hielt sich an Gucky fest, und der Mausbibersetzte zu einem neuen Teleportersprung an. Siematerialisierten unmittelbar zwischen zwei

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gewaltigen Maschinen. Ein Geruch wie nachverbranntem Öl lag in der Luft Kein lebendes Wesenwar zu sehen.

Rhodan trat zwischen den Maschinen hervor. Erblickte in eine riesige unterirdische Halle. Soforterkannte er, daß die Bauweise der Maschinen jenerauf Sexta glich. Etwa fünfzig Meter von ihnenentfernt stand eine Leuchtsäule mitten im Raum: derSchacht, der an den verschiedenen Ebenen vorüber indie Höhe führte.

Rhodan wich zurück, als eine Gruppe von fünfStationswächtern hinter einer Maschine auftauchte.Zum erstenmal sah Rhodan die Wesen in ihrerwirklichen Gestalt. Sie waren entfernt humanoid. Aufihren kahlen Köpfen gab es zwei Auswüchse, die rotleuchteten. Ihre Gestalten waren verzerrt, so daß siehäßlichen Zwergen ähnelten.

Rhodan drängte Gucky zurück, der sich an ihmvorbeischieben wollte. „Sie haben uns noch nichtgesehen“, flüsterte er. „Offenbar wollen sie denSchacht absichern. Sie nehmen an, daß wir dortauftauchen.“

„Soll ich sie ein bißchen durch die Luft wirbelnlassen?“ fragte Gucky eifrig.

Rhodan lehnte entschieden ab. „Wir wollen sienicht auf uns aufmerksam machen. Sicher wimmeltes hier unten von diesen Burschen. Wir können nichtmit allen fertig werden.“ Er packte die von Kasomerbeutete Waffe fester. „Wir müssen denHauptenergieleiter finden, damit wir denSchutzschirm um den Planeten zumZusammenbrechen bringen können.“

Geduckt schlichen sie weiter. Sie gelangten ineinen Zwischengang, der an einer Reihe vonMaschinen vorbeiführte. Oberall warenKontrollanlagen installiert. Das Flimmern derLampen glich dem Blinzeln unzähliger Augen. Hierunten war nichts von der Stille zu spüren, die in deroberen Pyramide herrschte. Das Summen derverschiedenen Apparate erfüllte die Halle.

Stimmen klangen auf. Blitzschnell zogen sichGucky und Rhodan hinter ein Podest zurück. WenigeAugenblicke später rannten zwei Wächter vorbei. Sietrugen blaue Umhänge, die schlaff an ihrenverunstalteten Körpern hingen. Rhodan bezweifelte,daß er die Wächter in ihrer ursprünglichen Form vorsich sah.

Wahrscheinlich waren sie nach mehrerenGenerationen durch Strahleneinwirkung mutiert.

Die Wächter verschwanden. Vorsichtig drangenRhodan und Gucky tiefer in die Halle ein. Schließlichstießen sie auf ein halbrundes Monstrum ausglitzerndem Metall. Es erinnerte Rhodan an denRücken eines Ungeheuers. Die einzelnenAbdeckplatten glichen organischen Öffnungen. Rundum das Gebilde zog sich eine Art Geländer aus

durchsichtigen Dreiecken, die an Drähten aufgehängtwaren. Unzählige Kabelstränge führten von derMaschine in allen Richtungen davon. Überallflackerten Kontrollampen. In regelmäßigenAbständen standen Anzeigetafeln hinter demGeländer, die mit Hebeln übersät waren.

„Das Herz der Station“, flüsterte Rhodan grimmig.Sie standen neben einem Träger der bis zur Decke

hinaufführte. Ohne Mühe konnten sie sich im Profilder Stütze verstecken. Vor der Riesenmaschinepatrouillierten mindestens dreißig Stationswächter.Alle trugen Waffen. Man spürte die gespannteAufmerksamkeit der Wesen.

„Ich könnte mich auf die Maschine teleportierenund von dort aus versuchen, sie zu zerstören“, schlugGucky vor.

„Schlecht“, erwiderte Rhodan knapp. „Sie würdendich sofort entdecken und auf dich schießen. Sie sindjetzt gewarnt. Wahrscheinlich wissen sie sogar, daßwir uns hier unten befinden. Es gibt nur eineMöglichkeit, an die Maschine heranzukommen: wirmüssen sie weglocken.“

Gucky entblößte seinen Nagezahn.„Was hast du vor?“ erkundigte er sich.„Du mußt sie ablenken. Teleportiere dich zu den

Maschinen zurück, wo wir angekommen sind. Sorgedort für Durcheinander. Sie werden annehmen, daßwir uns in der Bedeutung der Anlagen getäuschthaben und sich weglocken lassen. Dann habe ichkurze Zeit die Gelegenheit, die Hauptzufuhren derMaschine, die nach oben führen, zu vernichten.“

Gucky kratzte sich skeptisch hinter den Ohren.„Sie werden bald merken, was in Wirklichkeit

geschieht“, sagte er. „Was willst du tun, wenn siezurückkommen?“

„Du mußt vor ihnen hier sein“, sagte Rhodaneinfach.

„Ich wette um zehn Karotten, daß es schiefgeht“,meinte Gucky.

„Die Wette gilt“, sagte Rhodan.

*

Tolot und Atlan verzichteten darauf, das Gleitbandzu benutzen, das mitten durch die Straße in die Stadthineinführte. Sie gingen auf dem schmalen Stegneben dem Band. Sie kamen an Gebäuden vorüber,die wie umgestülpte Schüsseln aussahen. DieAusgänge lagen offenbar auf dem Dach, denn dortkonnten die beiden Schiffbrüchigenschwergepanzerte Luken sehen.

Auf dem Band kam ein bewaffnetes Wesen vorbei,ohne sich um Tolot und den Arkoniden zu kümmern.Der Unbekannte schien auf der Flucht zu sein. Tolotblieb stehen und blickte zurück. Atlan befürchtetebereits, der Haluter würde sich in diese

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Angelegenheit einmischen, doch als sie kein anderesWesen sehen konnten, ging Tolot weiter.

„Die Sache mit der Jagd ist nicht die schlechtesteMethode, um die Ordnung innerhalb der Stadtaufrecht zu erhalten“, sagte Tolot. „Hier leben dieAngehörigen vieler Völker auf dichtem Raumzusammen. Es würde ständig zu fürchterlichenMachtkämpfen kommen, wenn es diese Jagd nichtgäbe.“

„Anarchist“, knurrte der Arkonide.Tolot lachte dröhnend. „Die Natur kennt nur die

Anarchie“, sagte er. „Der Stärkere überlebt.“„Ich kenne genügend Lebensformen, bei denen

auch der Schwächere eine Chance hat. Ein Volk, dasdas Recht beansprucht, sich zivilisiert zu nennen,muß auch einen Platz für die Schwächeren haben.“

„Ja, natürlich“, sagte Tolot. „Sie denken an dieTerraner, die in dieser Beziehung offenbar eingroßartiges Beispiel darstellen. Doch dieRücksichtnahme der Terraner gilt nur gegenüber denSchwächlingen in den eigenen Reihen.Sternenvölker, die sich kräftemäßig nicht mit denMenschen messen können, werden zerschlagen undunterdrückt.“

„Nicht unterdrückt. Wir“, Atlan mußte lächeln, alser merkte, daß er sich unbewußt zur menschlichenRasse rechnete, „versuchen immer einen friedlichenWeg zu finden.“

„Was ist die Galaxis?“ fragte Tolot. „Ist sie nichtein riesiges Bigtown?“

Atlan schüttelte den Kopf. „Sie ist...“ Der Pfeil trafihn in den rechten Oberarm und warf ihn rücklingsvom Band. Der zweite Pfeil prallte an Tolot ab, alssei er auf Metall getroffen. Der Haluter fuhr herum,doch der Schütze war nicht zu erkennen. Atlan krochunter das Gleitband und winkte Tolot mit demunverletzten Arm zu.

Wieder zischte ein Pfeil heran. Tolot wurde gegendie Brust getroffen, doch der Schaft zerbrach.

„Dort oben!“ rief Atlan von seinem Versteck aus.In der gepanzerten Luke auf dem Dach des

nächsten Hauses hockte ein abenteuerlichaussehendes Wesen. Sein Körper war von langenHaaren bedeckt, die an mehreren Stellen zu Zöpfengeflochten waren. Das Wesen hatte vor der Luke eineArt Armbrust aufgebaut, aus der es die Pfeileabschoß. Auf diese Weise konnte es seine Gegnerlautlos töten.

Tolot ging gelassen auf das Haus zu.Der Armbrustschütze stieß einen Pfiff aus und

legte einen neuen Pfeil auf. Diesmal traf er genaugegen Tolots Kopf.

Tolot packte den Pfeil, bevor dieser zu Bodenfallen konnte und brach ihn in drei Stücke. DasWesen auf dem Dach schrie ungläubig auf, zog sichins Innere des Hauses zurück und schlug donnernd

die Panzerplatte über der Luke zu.„Ich glaube, Sie können wieder heraufkommen“,

sagte Tolot.Atlan ließ sich von dem Haluter auf den Steg

ziehen. Der Pfeil stak noch in der Wunde. Tolotuntersuchte Atlans Arm.

„Sieht nicht gefährlich aus“, meinte er.„Hoffentlich war der Pfeil nicht vergiftet.“

Atlan klopfte gegen seine Brust. „Ich hoffe, daßder Zellaktivator auch Gifte dieses Planetenneutralisieren kann.“

Tolot packte den Pfeilschaft und bewegte ihn sanft.Auf Atlans Stirn erschienen Schweißtropfen.

„Ziehen Sie ihn heraus“, forderte er.Tolot schien die ganze Sache großen Spaß zu

machen. Sein Verlangen nach Abenteuern schien aufQuarta gestillt zu werden. Er hielt Atlan mit einerHand fest, mit einer anderen holte er den Pfeilheraus. Atlan ging etwas in die Knie. Tolotbetrachtete die zehn Zentimeter lange Spitze ausMetall.

„Hätte Sie das Ding in der Brust getroffen, könnteIhnen auch der Aktivator nicht mehr helfen“, erklärteer.

„Sie haben eine wunderbare Art, einemVerwundeten Mut zuzusprechen“, brachte Atlansarkastisch hervor.

Tolot blickte sich um, ohne auf die Bemerkung desArkoniden einzugehen.

„Es wird bald dunkel sein“, stellte er sachlich fest.„Es ist besser, wenn ich Sie zur Kaulquappezurückbringe. Allein komme ich unter diesenUmständen besser weiter.“

Mit der gesunden Hand umklammerte Atlan dieWunde. Er wollte protestieren, doch dann sagte ersich daß man ihm auf der C-5 innerhalb kurzer Zeithelfen konnte. Nach wenigen Stunden würde er vonder Verletzung nichts mehr spüren. Außerdem sah erein, daß er für Tolot nur eine Belastung darstellte.Ohne ihn würde der Haluter schneller eine Spur vonRhodan und Kasom finden.

„Also gut“, stimmte er zu. „Kehren wir um.“Als sie am Stadtrand ankamen, war es dunkel

geworden. Doch das von Drei-Monde-Jelloentzündete Leuchtfeuer wies ihnen den Weg.

*

Rhodan spürte die Kälte des Metalls durch seinezerrissene und halb verbrannte Jacke. Angespanntpreßte er sich gegen den Pfeiler. Gucky warverschwunden, um die Wächter abzulenken.

Rhodan war kein Freund von willkürlichenZerstörungen, doch in diesem Fall blieb ihm keineandere Wahl, wenn er eine Möglichkeit schaffenwollte, diese Welt zu verlassen. Der Schutzschirm

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um Quarta mußte fallen. Schließlich wollten sie nichtden Rest ihres Lebens auf einem Strafplaneten derHerren von Andromeda beschließen.

Eine Detonation riß ihn aus seinen Gedanken.Gucky leistete ganze Arbeit. SeinAblenkungsmanöver bestand in einem Feuerwerk aufder anderen Seite der Halle. Die Wächter wurdenunruhig, riefen sich gegenseitig zu und stürmtenschließlich davon.

Rhodan huschte aus seinem Versteck hervor. Dichtvor der Maschine hob er die fremde Waffe. Er hattegenügend Zeit gehabt, ihren Mechanismus verstehenzu lernen.

Ruhig zielte er auf einen Kabelstrang, der direktvom höchsten Punkt der Anlage zu denhöherliegenden Ebenen hinaufführte. Er war sichdarüber ihn klaren, daß er bereits nach dem erstenSchuß mit der Rückkehr der Wächter rechnen mußte.Er suchte sich drei weitere Ziele aus, bevor erfeuerte. Nach den Geräuschen zu schließen, die zuRhodan herüberdrangen, tobte sich Gucky amanderen Ende der Halle gewaltig aus.

Rhodan drückte ab. Das Kabel zerschmolz inreiner Energie. Eine Qualmwolke stieg unter dieDecke. Rhodans Arm schwang herum. Er visierte dasnächste Ziel an und schoß erneut. Innerhalb wenigerSekunden zerstörte er sieben Kabelstränge. DieMaschine begann zu brodeln. Unwirkliche Geräuschekamen aus ihrem Innern. Ein Knattern wurde hörbar.Das Trampeln von Schritten kam schnell näher.Rhodan fuhr herum und sah sieben Wächter mit vorEntsetzen aufgerissenen Augen um eine Maschinestürmen. Mit einem Satz übersprang der Terraner dasGeländer um die Anlage und raste in Deckung. Zweiungezielte Schüsse strichen über ihn hinweg undtrafen einen der Stützpfeiler. Glühendes Metalltropfte auf den Boden. Schweratmend blickte Rhodansich um. Im Augenblick verbarg ihn die Maschinevor den Blicken der Verfolger.

„Gucky!“ rief er.Der Mausbiber erschien wenige Schritte vor ihm.Da bogen die Wächter um das Geländer. Sie

schrien und schwangen die Waffen. Rhodan fielvornüber und packte den Mutanten am Bein. Guckyverschwendete keine weitere Sekunde. Erteleportierte sich mit Rhodan direkt auf das Dach derPyramide hinauf.

Hinter ihnen zerbarst die Maschine in einereinzigen Explosion und brachte die gesamte Ebenezum Einsturz Die Pyramide wurde erschüttert.

Rhodan starrte auf die Stadt, die sich im Dunkelder Nacht vor ihm ausbreitete. Leichter Wind strichüber ihn hinweg. Gucky war bereits wiederverschwunden, tauchte aber sofort wieder mit Kasomauf. Der Ertruser war bewußtlos.

Rhodan wußte, daß der Mausbiber jetzt an der

Grenze seiner paranormalen Fähigkeit angelangt war.Er konnte sie nicht alle zur C-5 bringen, bevor er sichnicht erholt hatte.

Rhodan beugte sich zu Kasom hinab, um ihn zuuntersuchen. Der Ertruser atmete in kurzen Zügen.Rhodan tastete über seinen Kopf und entdeckte eineblutende Schwellung. Er rüttelte denUSO-Spezialisten sanft. Nachdem er sich einige Zeitvergeblich bemüht hatte, gab Kasom ein dumpfesKrächzen von sich. Schließlich hob er den Kopf.Sofort preßte er beide Hände gegen die Schläfen.

„Wenn dies das Paradies ist“, brachte er mühsamhervor, „verlange ich sofort woanders hingebracht zuwerden. Hier rieche ich keinen Bratenduft.“

„Können Sie einen Augenblick einmal an etwasanderes denken als immerzu an Essen?“ wollteRhodan wissen.

„Nein, Sir“, sagte Kasom und stand auf.Rhodan mußte ihn festhalten, als er sich einen

Augenblick vergeblich um das Gleichgewichtbemühte. Dann war der Ertruser wieder fest auf denBeinen.

„Was ist geschehen?“ erkundigte er sich.In knappen Worten berichtete ihm Rhodan von der

Zerstörung der Energieanlage.„Bei der Explosion muß mir etwas auf den Kopf

gefallen sein“, berichtete Kasom. „Glauben Sie, daßder Schutzschirm nicht mehr existiert, Sir?“

„Ich hoffe es“, sagte Rhodan. „Wäre es Tag,könnten wir es auch ohne Hilfsmittel feststellen.“

Obwohl es dunkel war, konnte Rhodan sehen, daßKasom den Mausbiber beobachtete.

„Wir sitzen fest?“ mutmaßte Kasom.„Vorläufig ja“, sagte Rhodan.„Gucky hat sich überanstrengt, aber er wird Sie

bald zur C-5 bringen können. Unterrichten Sie dieBesatzung, was geschehen ist. Ich nehme an, daß dieCREST bereits auf dem Anflug ist, wenn derSchutzschirm nicht mehr besteht.“

„Ich kann Sie hier nicht alleinlassen, Chef“,protestierte Kasom.

„Sicher wird man nicht hier oben nach unssuchen“, meinte Rhodan. „Sie sind verletzt. Guckywird bald kräftig genug sein, um auch mich zuholen.“ Er deutete in die Nacht hinein.„Wahrscheinlich wird die CREST bald landen. Dannsteht uns auch Gecko zur Verfügung“

„Alle Lichter über der Pyramide sind erloschen“,registrierte Kasom. „Anscheinend haben Sie diegesamte Anlage außer Betrieb gesetzt, Sir.“ SeineStimme wurde drohend. „Doch sie haben Bronkermordet.“

„Sie haben ihn getötet, gewiß“, sagte Rhodan. „Ichhabe inzwischen festgestellt, daß wir unsereAnsichten über Recht und Unrecht auf Quarta nichtanwenden können. Die Einwohner Bigtowns halten

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ihre Gesetze für ebenso richtig wie wir die unseren.“„Ich glaube, daß ich Melbar jetzt schaffen kann“,

mischte sich Gucky ein. „Halte dich fest, Kasom. Esgeht los.“

Unwillkürlich zog sich Kasom etwas zurück.Rhodan spürte, wie der ertrusische Riese ihnzweifelnd anblickte. Doch Gucky watschelte auf ihnzu, klammerte sich an ihm fest und entmaterialisierteRhodan war allein. Er blickte auf die riesige Stadthinaus. Vereinzelt sah er Lichter brennen. Ab und zublitzte es an verschiedenen Stellen auf.Wahrscheinlich wurde dort gekämpft. Rhodanglaubte die Gedanken von fünfzig Millionen Wesenzu spuren, und er fühlte, wie sich ein dumpfer Druckauf seine Brust legte. Irgendwie gab es eineVerantwortung, die er für diese Stadt hatte Doch wiesollte er den Verfemten von Quarta helfen?Unbekannte Richter hatten sie verurteilt Die Gesetze,die sie gebrochen hatten, würde ein Terranerwahrscheinlich nicht verstehen können Hinter ihmentstand eine Bewegung. Er fuhr herum, die Waffedes Roboters im Anschlag. Es war nicht vollkommendunkel, so daß er eine dürre Gestalt ausmachenkonnte.

„Ogil!“ stieß er überrascht hervor.Der Dolmetscher der Stationswächter hob einen

seiner mageren Arme.„Ich bin unbewaffnet. Schießen Sie nicht.“Rhodan ließ die Waffe sinken. Er wußte nicht

warum, aber er glaubte den Worten des Bürgers vonBigtown.

„Wie kommen Sie hier herauf?“ wollte er wissen.Ogil kicherte wie ein Greis, doch es lag keine

Zuversicht in diesem Kichern, eher grenzenloseMüdigkeit.

„De Station existiert nicht mehr“, sagte er. „DieExplosion hat alles zerstört. Ich habe von Anfang angewußt, daß Sie eines jener starrsinnigen Wesen sind,die ihren Willen um jeden Preis durchsetzen.“ Erschwieg einen Moment, um dann fortzufahren: „Ichbin über die Außenfläche der Pyramide auf das Dachgelangt. Ich hatte nicht erwartet, Sie hier zu finden.“

„Was wollen Sie hier?“ erkundigte sich Rhodanmißtrauisch

„Nachts ist die Stadt schön“, sagte Ogil. „Manmerkt nichts von ihrer Wildheit und von ihrerBösartigkeit. Der Wind ist ihr Atem, und er trägt dieGeschichten zu mir heran, die sich am Tage ereignethaben.“

„Was sind Sie für ein Wesen?“ fragte Rhodanleise.

Ogil bewegte sich leicht in der Dunkelheit. „Ist dasso wichtig? Sie glauben, daß Sie einen Sieg errungenhaben. Sie werden diese Welt verlassen und IhreNiederlage mit sich nehmen.“

Rhodan wurde sofort hellwach „Wie soll ich das

verstehen?“„Sie werden es bald merken“ antwortete Ogil

rätselhaft. „Ich könnte Se warnen, aber ich weiß, daßnichts Sie aufhalten kann.“

„Wollen Sie mit uns kommen?“„Die Stadt verlassen?“ Ogil ließ sich auf dem

kalten Boden nieder und legte den Kopf auf dieverschränkten Arme. Selbst in der Finsternis meinteRhodan das Funkeln der großen Augen sehen zukönnen.

„Nein, ich verlasse die Stadt nicht.“„Was sind Sie für ein Wesen?“ fragte Rhodan

wieder. „Gehören Sie zu den Herren vonAndromeda?“

„Ich bin nichts“, sagte Ogil ruhig. „Ich könntedavongehen, ohne etwas zu hinterlassen - noch nichteinmal eine Erinnerung.“

„Ich werde mich an Sie erinnern“, versprachRhodan.

„Es bedeutet mir nichts“, sagte Ogil. „Was ist einGedanke in dieser großen Leere zwischen denMilchstraßen?“

8.

Die CREST II stieß auf das Leuchtfeuer hinab undblieb dann bewegungslos über der dunklen Stadthängen. Die Hangarschleuse öffnete sich. Eine vonCaptain Redhorse kommandierte Kaulquappe,startete in die Dunkelheit hinein und näherte sichlangsam der Absturzstelle der C-5. MoryRhodan-Abro hielt sich ebenfalls an Bord auf.

Captain Henderson hatte sich bereits über Funkgemeldet. Er hatte von den Vorfällen berichtet.

„Tolot hat Atlan verletzt zur C-5 zurückgebracht“,teilte Henderson mit. „Es handelt sich jedoch nur umeine harmlose Fleischwunde. Der Haluter wolltenoch einmal in die Stadt zurückkehren, doch dannkam Gucky mit Kasom. Mit dem Chef ist alles inOrdnung. Er befindet sich irgendwo auf einerPyramide inmitten der Stadt und wartet, daß er vonGucky abgeholt wird.“

Mory atmete erleichtert auf.„Wir landen und nehmen Sie alle an Bord“, gab

Redhorse an die Besatzung der C-5 durch. „HaltenSie sich bereit.“

„In Ordnung“, bestätigte Henderson. „Passen Siewährend der Landung jedoch auf. Hier lungert einWesen aus der Stadt herum, das die C-5 gern alsBrutstätte benutzen würde.“

Redhorse grinste. „Soll ich Geckovorausschicken?“ erkundigte er sich.

„Gucky will Rhodan persönlich abholen“,erwiderte Henderson. „Sie brauchen also denMausbiber nicht aus seiner Ruhe zu schrecken.“

Sicher brachte Captain Redhorse die C-3 auf der

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anderen Seite des Leuchtfeuers auf den Boden.„Hoffentlich werden wir nicht angegriffen“, sagte

er zu Mory. „Wenn man in der Stadt feststellt, daßnoch ein Schiff gelandet ist, wird man vielleicht aneine Invasion glauben.“

„Wir verlassen jetzt die C-5“, gab Hendersondurch.

„Wir erwarten Sie“, nickte Redhorse.Icho Tolot übernahm die Bewachung des

Irrsuchers, während die Männer von der C-5 in dieC-3 umstiegen. Das große Wesen rührte sich nicht.Wie leblos lag es im Sand und beobachtete dieVorgänge. Die Stadt blieb ruhig. Niemand schiensich um das zweite Schiff zu kümmern.

Dann jedoch hörte Redhorse, der in der offenenSchleuse stand und die Schiffbrüchigen empfing,Motorengeräusch, der sich von der Stadt aus näherte.

„Die Roten Dreier“, vermutete Atlan, der nebenRedhorse stand. „Das sind die Herrscher dieser Welt.Wahrscheinlich wollen sie die Neuankömmlingebegrüßen und über die Gesetze Bigtowns aufklären.“

„Sie sollen nur kommen“, sagte Redhorsegrimmig. „Wir werden ihnen eine Kostprobe unsererGesetze geben.“

„Nein“, lehnte Atlan ab. „Bis sie uns erreichthaben, sind alle Männer, bis auf Rhodan, bereits imSchiff. Wir werden starten und über die Stadt fliegen,bis Gucky den Chef geholt hat.“

Die letzten Männer kamen durch die Schleuse. DerMotorenlärm wurde stärker. Atlan warf einen letztenBlick in die Umgebung, dann zog er Redhorse mit insInnere. Widerwillig folgte ihm der Captain.

„Geben Sie den Startbefehl“, ordnete Atlan an.Wenige Augenblicke später hob sich die C-3 vom

Boden ab. Unter ihr zurück blieb das Wrack der C-5,das Leuchtfeuer, der Irrsucher und ein ruckartigbremsender Wagen, mit drei rotbepelzten, vorEnttäuschung heulenden Wesen.

*

„Ich bedaure, daß es zur Zerstörung der Stationgekommen ist“, sagte Rhodan, zu dem bewegungsloshingekauerten Ogil. „Ich weiß nicht ob Sie unsereBeweggründe verstehen können.“

„Natürlich“, erwiderte der Dolmetscher. „Siekämpfen um Ihr Leben. Und das, obwohl es sinnlosist“

„Wollen Sie mir nicht erklären, was Sie damitausdrücken wollen?“

„Wenn ich es wollte - ich könnte es nicht“, gabOgil zurück. Seine Stimme klang jetzt leiser. Rhodanbeugte sich zu dem Wesen hinab. Ein eigenartigerGeruch strömte von Ogil aus. Rhodan berührte ihnsanft. Seine Finger wurden feucht

„Sie sind verletzt“, sagte Rhodan bestürzt.

Warum haben Sie mir es nicht gesagt. Man kannIhnen an Bord unseres Schiffes helfen.“

Schweigend stand Ogil auf. Rhodan versuchteangestrengt, die Dunkelheit zu durchdringen, um siehvom Ausmaß der Verletzung zu überzeugen.

„Ich werde nirgends hingehen“ murmelte Ogil.Gucky materialisierte unmittelbar neben ihnen.

Rhodan spürte die warme Pfote des Mausbibers inseine Hand.

„Die CREST ist in die Atmosphäre Quartaseingedrungen. Redhorse ist mit der C-3 gelandet undhat die Besatzung der C-5 übernommen. Danach ließAtlan ihn wieder starten denn die Roten Dreier warenim Anmarsch. Die Kaulquappe kreist über der Stadt.Wir können uns an Bord teleportieren.“

„Warte noch“, sagte Rhodan hastig.Er wandte sich an Ogil. „Ich könnte Sie zum

Mitgehen zwingen“, sagte er zu dem Dolmetscher.„Aber ich will es noch einmal so versuchen“

„Sie sind sehr starrsinnig“, klagte Ogil. Es schienein abschließendes Urteil zu sein. Bevor Rhodan esverhindern konnte, machte er zwei Schritte auf denRand des Daches zu und stürzte in die Tiefe. Rhodanzuckte zusammen, als er den Aufprall des Körpershörte.

„Das hat er nicht freiwillig getan“ sagte Gucky.„Etwas hat ihn gezwungen.“

„Wie meinst du das?“„Mehr als dieses Gefühl konnte ich nicht

wahrnehmen“, sagte der Mausbiber. Er packteRhodans Hand fester. „Wie lange wollen wir nochhier stehen und reden?“

„Du hast recht“, sagte Rhodan. „Man wird bereitsauf uns warten.“

Gucky brachte sie mit einem Teleportersprung zurC-3. Rhodan gab einen kurzen Bericht über dieGeschehnisse innerhalb der Pyramide Ogils Endeerwähnte er nicht.

Die C-3 beschleunigte und raste zum Mutterschiffzurück.

„Ich muß sofort mit Major Barnard sprechen, wennwir an Bord der CREST zurück sind“, sagte Rhodanzu dem immer noch etwas erschöpften Gucky.

Gucky blinzelte gegen das helle Deckenlicht.„Warum?“ erkundigte er sich mißtrauisch.Rhodan hob beide Hände und spreizte die Finger.„Du schuldest mir zehn Karotten“, erinnerte er den

Mausbiber. „Ich werde mit Major Barnard sprechen,daß er sie deinen Rationen entnimmt.“

Gucky richtete sich empört auf.„Du bist ja noch freßsüchtiger als Kasom“, schrie

er zornig.Epilog Der Irrsucher wartete geduldig, bis die

Roten Dreier wieder in ihr Fahrzeug gestiegen waren.Er hörte sie schimpfen, aber den größten Teil ihrerWorte konnte er nicht verstehen. Ihr Zorn war

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Page 41: Die Stadt der Verfemten

verständlich, denn das fremde Schiff hatte alleNeuankömmlinge an Bord genommen und warverschwunden. Krash-Ovaron machte sich keineGedanken über die Herkunft dieser Fremden. Ererwartete nicht, daß sie noch einmal in Bigtownauftauchen würden. Wahrscheinlich würde es für alleZeiten ein Rätsel bleiben, wer diese Fremden waren.Sollten sich die Roten Dreier mit diesem Problemauseinandersetzen.Er, Krash-Ovaron, hatte eigene Sorgen.Der Wagen der Roten Dreier beschleunigte und rastezur Stadt zurück. Krash-Ovaron lag still neben demWrack, bis das Motorengeräusch verklang. Dannkroch er auf das Schiff zu. Kein Fremder hielt sichnoch innerhalb des Schiffes auf. Alles war still.Krash-Ovaron stellte fest, daß die Schleuseoffenstand. Hatten die Unbekannten eine Falle für ihnzurückgelassen? Er mußte das Risiko eingehen. Ohnedas Schiff war er dem Tod geweiht.Er schlich durch die Schleusenkammer. DasLeuchtfeuer gab nur wenig Licht, aber Krash-Ovaronsah, daß in verschiedenen Gängen Helligkeitherrschte. Das konnte nur bedeuten, daß ein Teil derEnergieerzeugungsanlagen noch in Ordnung waren.Krash-Ovaron atmete heftig. Das Glück war aufseiner Seite. Er konnte die Fremden nicht für dieDemütigungen töten, die sie ihm zugefügt hatten,aber er besaß ihr Schiff. Die Maschinen mußten ihmermöglichen, die nötige Menge Trockeneisherzustellen. Er war sich darüber im klaren, daß ersie nur nach großen Schwierigkeiten bedienen lernenkonnte.Doch er war entschlossen, alle Probleme zu meistern.Er bewegte sich durch einen erleuchteten Gang, biser den Eingang der Hauptzentrale erreichte. Der

Irrsucher war klug genug, um sofort zu erkennen, daßhier das Zentrum des kleinen Raumschiffes lag.Er drückte den Eingang auf und blickte ins Innere deserleuchteten Was er sah, ließ ihn geblendet dieAugen schließen und zurücktaumeln.Der Boden des Kommandoraumes war mit Eisbedeckt.Ungläubig kroch Krash-Ovaron näher. Es gab keinenZweifel, die Fremden hatten ihm geholfen, bevor sieverschwunden waren. Was mochte sie dazu bewogenhaben?Krash-Ovaron glitt auf das Eis. Er spürte dieangenehme Kälte, ein Gefühl, das er seit langer Zeitvermißt hatte. Nun hatte er einen sicheren Platz fürseine Brut gefunden.Krash-Ovaron richtete seinen massigen Kopf nachoben.Wo immer die Unbekannten jetzt waren er fühlteDankbarkeit ihnen gegenüber. Sie hatten ihmgeholfen, obwohl er beabsichtigt hatte, sie zu töten.Er kauerte sich auf das Eis nieder und gab derMüdigkeit nach, die jetzt von ihm Besitz ergriff. Erfühlte die Schmerzen durch seinen Körper ziehen,doch er empfand sie nicht länger als Belastung.Es gab nur eine symbolische Möglichkeit für ihn,seinen Dank zu zeigen. Und er hoffte, daß seinWunsch sich für die Fremden erfüllen würde Siekonnten jetzt viel Glück brauchen, wußten sie dochnicht, welche Gefahr sie begleitete.„Gute Jagd!“ knurrte Krash-Ovaron.

E N D E

Menschen der Erde und Wesen von Andromeda sind erstmals einander begegnet - in der Stadt der Verfemten.Die Menschen können Bigtown, deren Bewohner unter grausamen Gesetzen zu leben gezwungen sind, wiederverlassen und den freien Raum erreichen.Sie kommen jedoch nicht ungeschoren davon, denn DAS DRUNG hat sich ihrer längst bemächtigt!

DAS DRUNG

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