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H. P. Blavatsky Die Stimme der Stille

Die Stimme der Stille

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Page 1: Die Stimme der Stille

H. P. Blavatsky

Die Stimme der Stille

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DIE STIMME DER STILLE

Ausgewählte Fragmente aus dem »BUCH DER GOLDENEN VORSCHRIFTEN«

Für den täglichen Gebrauch der Lanus (Schüler)Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von

»H. P. B.«

Amerikanische Ausgabe:© Theosophical University Press

Pasadena, Kalifornien

Alle Rechte an der deutschen Ausgabe:Theosophischer Verlag GmbH, Verlag der Theosophischen

Gesellschaft Pasadena71735 Eberdingen

© 1994

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Eine wortgetreue Übersetzung der 1889 erschienenen Original-ausgabe von Hans Geer und Andreas Zebrowski.

Anmerkungen des Herausgebers:Die Übersetzung von Sanskritwörtern hat sich im Laufe der Zeitverändert. Aus diesem Grunde wurden die von H. P. Blavatskygebrauchten Sanskritwörter in der vorliegenden Übersetzung ineiner heute üblichen Schreibweise wiedergegeben, oder alszusätzliche Anmerkungen in eckige Klammern gesetzt.

ISBN 3-930623-01-3

Alle Rechte der deutschen Ausgabe vorbehalten.Theosophischer Verlag GmbH

Verlag der Theosophischen Gesellschaft Pasadena71735 Eberdingen

Printed in Germany

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Gewidmet den Wenigen

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INHALT

VORWORT 7

I. DIE STIMME DER STILLE 15

II. DIE ZWEI PFADE 39

III. DIE SIEBEN PFORTEN 64

GLOSSAR 97

[Alle mit Indexzahlen versehenen Wortewerden in einem Glossar am Schluß des Buchesausführlich erläutert.]

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VORWORT

Die folgenden Seiten sind aus dem »Buch derGoldenen Vorschriften« übertragen, einemder Werke, die im Osten in die Hände derSchüler der Mystik gelegt werden. Die Kennt-nis dieser Vorschriften ist in jener Schule,deren Lehren von vielen Theosophen ange-nommen werden, bindend. Deshalb, und daich viele dieser Vorschriften auswendig kenne,war ihre Übersetzung für mich eine verhält-nismäßig leichte Aufgabe.

Es ist wohlbekannt, daß in Indien dieMethoden für die psychische Entwicklung jenach den Gurus (Lehrern oder Meistern) ver-schieden sind, nicht nur, weil sie verschiede-nen philosophischen Schulen folgen (es gibtsechs davon), sondern weil jeder Guru seineigenes System hat, das er im allgemeinen sehrgeheim hält. Aber jenseits des Himalaya sind

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die Methoden in den Esoterischen Schulennicht verschieden, es sei denn, der Guru istnur ein Lama und nicht viel gelehrter als jene,die er belehrt.

Das Werk, aus dem ich hier übersetze, bildeteinen Teil der gleichen Reihe von Werken, derdie »Stanzen« des Buch des Dzyan entnom-men wurden. Auf diese gründet sich DieGeheimlehre. Wie das große mystische WerkParam¥rtha, das, wie uns die Legende vonN¥g¥rjuna erzählt, dem großen Arhat von denN¥gas oder »Schlangen« (in Wahrheit einName, mit dem die Initiierten des Altertumsbezeichnet wurden) überliefert wurde,beansprucht das »Buch der Goldenen Vor-schriften« denselben Ursprung. Seine edlenund ursprünglichen Maximen und Ideenkönnen unter verschiedenen Formen des öfte-ren in Sanskritwerken gefunden werden, z. B.im Jñ¥ne‚var}, jener prächtigen mystischenAbhandlung, in der Krishna dem Arjuna inglühenden Farben den Zustand eines völligerleuchteten Jogi beschreibt. Dies gilt auch fürbestimmte Upanishaden. Das ist ganz natür-

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lich, weil die meisten, wenn nicht alle dergrößten Arhats die ersten Nachfolger vonGautama Buddha, Hindus, bzw. Arier, undkeine Mongolen waren, im besonderen jene,die nach Tibet auswanderten. Allein ªrya-sangha hat zahlreiche Werke hinterlassen.

Die ursprünglichen Vorschriften sind aufdünnen, länglichen, rechteckigen Tafeln ein-graviert, Kopien davon sehr oft auf Scheiben.Diese Scheiben oder Platten werden im allge-meinen auf den Altären der Tempel aufbe-wahrt, die zu den Zentren der sogenannten»kontemplativen« oder Mah¥y¥na- (Yog¥-ch¥rya-)Schulen gehören. Sie sind verschiedenbeschriftet, manchmal in Tibetisch, meistensjedoch in Ideographen. Die Priestersprache(Senzar) wird, neben der Verwendung deseigenen Alphabets, in verschiedenen Artenvon Chiffrezeichen, die mehr den Charaktervon Ideographen als den von Silben haben,ausgedrückt. Eine andere Methode (lug, imTibetischen) ist die Verwendung von Zahl-zeichen und Farben, wobei jede einem Buch-staben des tibetischen Alphabets entspricht

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(dreißig einfache und vierundsiebzig zusam-mengesetzte Buchstaben), wodurch ein voll-ständiges Geheimschriftalphabet gebildetwird. Benützt man Ideographen, dann gibt eseine bestimmte Methode der Textlesung. Indiesem Fall stehen die in der Astrologiegebrauchten Symbole und Zeichen, nämlichdie zwölf Tierkreiszeichen und die siebenGrundfarben, jede in dreifacher Tönung, dasheißt hell, normal und dunkel, für die drei-unddreißig Buchstaben des einfachen Alpha-bets, sowie für Worte und Sätze. Bei dieserMethode bilden die zwölf »Tierkreiszeichen«,fünfmal wiederholt und mit den fünf Elemen-ten und den sieben Farben verbunden, einganzes Alphabet, zusammengesetzt aus sech-zig heiligen Buchstaben und zwölf Zeichen.Ein Zeichen, an den Textanfang gestellt,entscheidet, ob der Leser den Text nach derindischen Weise, bei der jedes Wort sich ein-fach dem Sanskrit anpaßt, oder nach dem chi-nesischen Prinzip ideographisch lesen muß.Die leichteste Art jedoch ist die, die dem Lesergestattet, keine besondere, sondern jede

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beliebige Sprache zu gebrauchen, da dieZeichen und Symbole, gleich den arabischenZahlen oder Symbolen, allgemeines und inter-nationales Eigentum der initiierten Mystikerund ihrer Jünger sind. Die gleiche Eigentüm-lichkeit ist für eine der chinesischen Schrift-arten charakteristisch. Sie kann von jedem, dermit den Zeichen vertraut ist, ganz leichtgelesen werden. Ein Japaner kann sie bei-spielsweise ebenso leicht in seiner Sprachelesen wie ein Chinese in der seinigen.

Das »Buch der Goldenen Vorschriften«besteht aus ungefähr neunzig verschiedenenkleinen Abhandlungen – einige davon sindpräbuddhistischen, andere späteren Datums.Von diesen lernte ich vor Jahren neunund-dreißig auswendig. Um die übrigen zuübersetzen, müßte ich auf Übersetzungenzurückgreifen, die unter einer zu großen Zahlvon Papieren und Notizen verstreut sind, diesich in den letzten zwanzig Jahren ansammel-ten und nie geordnet wurden. Das wärekeineswegs eine leichte Aufgabe. Sie könntenauch gar nicht alle übersetzt und einer Welt

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gegeben werden, die zu selbstsüchtig ist undzu sehr in der Welt der Sinne lebt, um vorbe-reitet zu sein, solche erhabenen ethischenLehren im rechten Geist zu empfangen. Dennkein Mensch wird derartigen Ratschlägen jeein Ohr leihen, wenn er nicht ernsthaft undausdauernd um Selbsterkenntnis ringt.

Und doch füllt eine derartige Ethik in deröstlichen Literatur zahlreiche Bände, speziellin den Upanishaden. »Enthalte dich allerLebensbegierde« sagt Krishna zu Arjuna.Diese Begierde weilt nur im Körper, demVehikel des verkörperten Selbst, nicht imSELBST, das »ewig und unzerstörbar ist, dasweder tötet noch getötet wird« (KathaUpanishad). »Enthalte dich sinnlicherEmpfindung« lehrt das Sutta Nip¥ta;»betrachte Vergnügen und Schmerz, Gewinnund Verlust, Sieg und Niederlage als gleich.«Und weiter: »Suche Zuflucht allein imEwigen« (ebenda). »Zerstöre das Gefühl desGetrenntseins«, wiederholt Krishna in jederForm. »Der niedere Gehirnverstand (Manas),der den umherschweifenden Sinnen folgt,

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macht die Seele (Buddhi) so hilflos wie einBoot, das der Wind auf dem Wasser umher-treibt« (Bhagavad-G}t¥ II, 70)*.

Daher wurde es für besser gehalten, einesorgfältige Auswahl nur aus jenen Ab-handlungen zu treffen, die für die wenigenwirklichen Mystiker in der TheosophischenGesellschaft geeignet sind und deren Bedürf-nissen sicher entsprechen. Nur diese werdendie Worte von Krishna-Christos, dem»Höheren Selbst« schätzen.

»Weise grämen sich weder um die Lebendennoch um die Toten. Niemals war ich nicht,noch du, noch diese Beherrscher derMenschen, noch wird einer von uns jemalsin zukünftigen Welten aufhören zu sein«(Bhagavad-G}t¥ II, 27)**.

Ich habe in dieser Übersetzung mein Bestesgetan, um die poetische Schönheit der Spracheund der bilderreichen Ausdrucksweise, die

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* In neueren Ausgaben der Bhagavad-G}t¥ wird dieser Versals Nr. 67 gezählt (Der Herausgeber).

** Jetzt Vers 11 und 12 (Der Herausgeber).

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das Original auszeichnen, beizubehalten.Inwieweit ich dabei Erfolg habe, möge derLeser selbst entscheiden.

»H. P. B.«

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FRAGMENT I.

Diese Unterweisungen sind für jene, dienoch nicht wissen, wie gefährlich die niederenIDDHI1 sind.

Wer die Stimme des N¥da 2, »den tonlosenTon« hören und verstehen will, muß zunächstdie Natur von Dh¥ra®¥ 3 begreifen lernen.

Nachdem der Schüler gegenüber Objektender Wahrnehmung gleichgültig geworden ist,muß er den Raja der Sinne, der die Gedankenschafft und die Illusion hervorbringt, ausfin-dig machen.

Der niedere Gehirnverstand ist der Schläch-ter des Wirklichen.

Der Schüler muß daher den Schlächtererschlagen.

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Denn:Wenn ihm seine eigene Erscheinungsform

so unwirklich vorkommt wie im Wachzustandalle Formen, die er im Traume sieht;

Wenn er aufgehört hat, die vielen (Töne)* zuhören, vermag er den EINEN wahrzunehmen– den inneren Ton, der die äußeren zumSchweigen bringt.

Dann erst, nicht früher, wird er Asat, derfalschen Region entsagen, um in das Reich vonSat, zum Wahren, zu gelangen.

Bevor die Seele sehen kann, muß die innereHarmonie erlangt und müssen die irdischenAugen für jede Illusion blind gemacht wordensein.

Bevor die Seele hören kann, muß das Eben-bild (der Mensch) taub sein gegen Getöse undFlüsterstimmen, gegen das Trompeten wilderElefanten ebenso wie gegen das feine Sirrender goldenen Feuerfliege.

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* Zusatz des Übersetzers

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Bevor die Seele begreifen und sich rückerin-nern kann, muß sie eins sein mit dem stillenSprecher, so wie die Form, nach der der Tonmodelliert wurde, zunächst mit der Vorstel-lung des Töpfers eine Einheit bildete.

Dann wird die Seele hören und sich erin-nern.

Zum inneren Ohr wird dann

DIE STIMME DER STILLE

sprechen und sagen:

Wenn deine Seele lächelt, während sie imSonnenlicht deines Lebens badet; wenn deineSeele inmitten ihrer Puppe aus Fleisch undMaterie singt; wenn deine Seele in ihremSchloß der Illusion weint und wenn deineSeele sich bemüht, den Silberfaden zu zer-reißen, der sie an den MEISTER 4 bindet, dannwisse, o Schüler, daß deine Seele irdisch ist.

Wenn deine knospende Seele 5 ihr Ohr demWeltgetümmel leiht, wenn sie Antwort gibt

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dem Stimmengebraus der großen Illusion 6,wenn sie beim Anblick heißer Schmerzens-tränen zurückschreckt, wenn sie sich, von denVerzweiflungsschreien betäubt, der scheuenSchildkröte gleich, in den Panzer der SELBST-HEIT zurückzieht, dann lerne, Schüler, daßdeine Seele ihrem schweigenden »Gott« keinwürdiger Schrein ist.

Wenn deine Seele mit zunehmender Kraftihrem sicheren Zufluchtsort entschlüpft, sichlosreißt aus dem schützenden Licht, ihrenSilberfaden ausdehnt und vorwärtsstürmt;wenn sie ihr Bild auf den Wogen des Raumswahrnimmt und flüstert: »Dies bin ich«,– dann, Schüler, mache dir klar, daß deineSeele in den Netzen der Täuschung 7 gefangenist.

Diese Erde, Schüler, ist die Halle des Leides.In ihr befinden sich, entlang des Pfades Fallenschrecklicher Prüfungen, um dein EGO durchdie Selbsttäuschung, »die Große Ketzerei« 8

genannt, zu fangen.

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Diese Erde, o unwissender Schüler, ist nurder düstere Eingang, der zum Dämmerlichtführt, das vor dem Tal des wahren Lichtsschimmert – jenem Licht, das kein Wind zulöschen vermag und das ohne Docht undBrennstoff brennt.

Das Große Gesetz besagt: – »Um zumKENNER des ALLSELBST 9 zu werden, mußt duzuerst Kenner des SELBST sein.« Um dieKenntnis jenes SELBST zu erlangen, mußt dudas Selbst dem Nichtselbst, das Sein demNichtsein opfern. Dann kannst du zwischenden Schwingen des GROSSEN VOGELS aus-ruhen. Fürwahr, süß ist die Ruhe zwischenden Schwingen dessen, das weder geborenwurde noch stirbt, sondern das AUM 10 istdurch ewige Zeitalter 11.

Besteige den Vogel des Lebens, wenn duwissen willst 12.

Gib dein Leben auf, wenn du leben möch-test 13.

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Drei Hallen, o müder Pilger, führen zumEnde der Mühen. Drei Hallen, o Besieger vonM¥ra, werden dich durch drei Zustände 14 inden vierten15 und von da in die sieben Welten16,in die Welten ewiger Ruhe bringen.

Wenn du ihre Namen lernen willst, dannhöre zu und merke dir:

Der Name der ersten Halle ist UNWISSEN-HEIT – Avidy¥.

Es ist die Halle, in der du das Licht erblick-test, in der du lebst und sterben wirst 17.

Der Name der zweiten Halle ist Halle desLernens*. In ihr wird deine Seele die Blütendes Lebens finden, unter jeder Blume ringeltsich jedoch eine Schlange 18.

Der dritten Halle Name ist Weisheit. Hinterihr erstrecken sich die uferlosen Wasser vonAKSHARA, der unzerstörbaren Quelle der All-wissenheit 19.

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* Die Halle des Lernens zur Erprobung.

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Wenn du die erste Halle heil durchquerenwillst, dann lasse dein Bewußtsein die dortbrennenden Feuer der Sinneslust nicht fälsch-lich für das Sonnenlicht des Lebens halten.

Wenn du die zweite Halle sicher durch-schreiten willst, dann bleibe nicht stehen, umden Duft ihrer betäubenden Blüten einzu-atmen. Wenn du von den karmischen Kettenfrei werden willst, dann darfst du in diesenm¥y¥vischen Reichen nicht deinen Gurusuchen.

Die WEISEN halten sich nicht in den Lust-gärten der Sinne auf.

Die Weisen beachten nicht die verlockendenStimmen der Illusion.

Suche den, der dir zur Geburt 20 verhelfenkann, in der Halle der Weisheit, in der Halle,die dahinter liegt, in der man keine Schattenkennt und wo das Licht der Wahrheit mitunvergänglicher Herrlichkeit strahlt.

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Das Unerschaffene wohnt in dir, o Schüler,wie es in jener Halle wohnt. Wenn du zu ihmgelangen und die zwei vereinigen willst, dannmußt du dich deiner dunklen Gewänder derIllusion entledigen. Unterdrücke die Stimmedes Fleisches, erlaube keinem Bild der Sinne,sich zwischen sein und dein Licht zu drängen,damit sich die zwei in eins vermengen können.Nachdem du dein eigenes Ajñ¥na 21 erkannthast, fliehe aus der Halle des Lernens. DieseHalle ist in ihrer trügerischen Schönheit gefähr-lich. Sie ist nur zu deiner Prüfung nötig. Sieh’dich vor, Lanu, daß deine Seele, vom Glanz derIllusion geblendet, nicht aufgehalten und inihrem irreführenden Licht gefangen wird.

Dieses Licht strahlt vom Juwel des GroßenSchlingenlegers (M¥ra) 22 aus. Es bezaubert dieSinne, verblendet den Verstand und läßt denAchtlosen als preisgegebenes Wrack zurück.

Es ist der Motte Schicksal, die von der blen-denden Flamme deines Nachtlichts angezogenwird, im zähen Öl umzukommen. Dieunbedachte Seele, die es versäumt, sich mit

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dem höhnenden Dämon der Illusion ausein-anderzusetzen, wird als der Sklave M¥ras zurErde zurückkehren.

Sieh’ dir die Seelenscharen an. Beobachte,wie sie über dem sturmbewegten Meer desmenschlichen Lebens schweben und wie sieerschöpft, blutend und mit gebrochenenSchwingen, eine nach der anderen, in diewogenden Wellen stürzen. Geschüttelt vongrimmigen Winden, sturmgejagt, treiben sie inden Wirbeln und verschwinden im erstengroßen Strudel.

Wenn du durch die Halle der Weisheit zumTal der Glückseligkeit gelangen willst,Schüler, dann verschließe deine Sinne festgegen die große, schreckliche Ketzerei desSonderseins, die dich von den anderenfernhält.

Lasse nicht dein »Himmelgeborenes«,versunken im Meer von M¥y¥, sich vonseinem universalen Ursprung [der (Welt-)SEELE] trennen, lasse vielmehr die feurige

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Kraft sich in die innerste Kammer, dieHerzenskammer 23 und die Wohnstatt derWelten-Mutter 24 zurückziehen.

Dann wird sich aus dem Herzen jene Kraftin die sechste mittlere Region, die zwischendeinen Augen liegt, erheben; und dann wirdsie zum Atem der EINEN SEELE, zur alleserfüllenden Stimme, zur Stimme deinesMeisters.

Erst dann kannst du ein »Himmels-wanderer« 25 werden, der die Winde über denWogen durchmißt und dessen Tritt die Wellennicht berührt.

Bevor du deinen Fuß auf die oberste Sprosseder Leiter setzen kannst, der Leiter dermystischen Töne, mußt du die Stimme deinesinneren GOTTES* in sieben Arten vernehmen.

Die erste gleicht der süßen Stimme derNachtigall, die für ihre Gefährtin einenAbschiedsgesang anstimmt.

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* Das Höhere Selbst

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Die zweite kommt gleich dem Ton einerSilberzimbel der Dhy¥nis, um die funkelndenSterne wachzurufen.

Die nächste ist wie die melodische Klage desin seiner Muschel eingekerkerten Meergeistes.

Auf diese folgt sodann der Gesang derV}®¥ 26.

Die fünfte schrillt gleich dem Schall derBambusflöte dir ins Ohr.

Dann wandelt sie sich zum schmetterndenTrompetenstoß.

Die folgende dröhnt gleich dem dumpfenRollen der Gewitterwolke.

Der siebente Ton nimmt all die anderen auf.Sie vergehen und werden hinfort nicht mehrgehört.

Wenn die sechs 27 erschlagen und vor desMeisters Füße gelegt sind, ist der Schüler indas EINE 28 eingegangen. Er wird das EINE undlebt in ihm.

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Bevor jener Pfad betreten wird, mußt dudeinen lunaren Körper 29 vernichten, deinenGedankenkörper 30 säubern und dein Herzrein machen.

Des ewigen Lebens reine Wasser, klar unddurchsichtig, können sich nicht mit denschlammigen Strömen der Monsunstürmemischen.

Des Himmels Tautropfen, der im erstenSonnenstrahl des Morgens im Kelch des Lotusglitzert, wird zum Lehmklümpchen, wenn erzur Erde fällt. Sieh’, nur ein Schlammfleck istdie Perle jetzt.

Ringe daher deine unreinen Gedankennieder, bevor sie dich überwältigen. Machemit ihnen, was sie mit dir tun würden, denn,wenn du sie schonst, und sie Wurzel fassenund wachsen läßt, dann wisse, daß dieseGedanken dich überwältigen und tötenwerden. Hüte dich, Schüler, gestatte nichteinmal ihrem Schatten, sich dir zu nähern.Denn er wird wachsen, zunehmen an Größe

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und Macht, und dann wird dieses finstereDing von deinem Wesen Besitz ergreifen, ehedu noch des schwarzen, widerwärtigenScheusals Gegenwart richtig begriffen hast.

Bevor die »mystische Kraft« 31 * aus dir,Lanu, einen Gott machen kann, mußt du erstdie Fähigkeit erworben haben, deine lunareForm nach Belieben zu vernichten.

Das materielle Selbst und das geistige SELBST

können nie zusammenkommen. Eines derbeiden muß verschwinden. Für beide gibt eskeinen Platz.

Ehe deiner Seele Geist verstehen kann, mußdie Knospe der Persönlichkeit ausgerissen undder Wurm der Sinne endgültig zertreten sein.

Du kannst nicht auf dem Pfad vorwärtsschreiten, ehe du nicht selbst dieser Pfad bist 32.

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* Kundalin}, die »Schlangenkraft« oder das mystischeFeuer.

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Lasse deine Seele jedem Schmerzensschreiihr Ohr leihen, so wie der Lotos sein Inneresenthüllt, um die Morgensonne aufzunehmen.

Lasse die sengende Sonne keine einzigeSchmerzensträne trocknen, die du nicht selbstvorher vom Auge des Leidenden weggewischthast.

Lasse vielmehr jede heiße Menschenträneauf dein Herz tropfen und dort verweilen.Wische sie erst weg, wenn der Schmerz, der siegebar, beseitigt ist.

O du, dessen Herz erfüllt von Mitleid ist,diese Tränen sind Ströme, welche die Gefildeder unsterblichen Barmherzigkeit tränken.Auf solchem Boden wächst die mitternächtigeBlüte Buddhas 33, die schwieriger zu findenund seltener zu sehen ist als des Vogay-Bau-mes Blüte. Sie ist der Same zum Befreitseinvon künftiger Wiedergeburt. Sie löst denArhat von Streit und Lust, sie führt ihn durchdie Gefilde des Seins zu einem Frieden und zueiner Glückseligkeit, wie sie nur im Land derStille und des Nichtseins wahrzunehmen sind.

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Page 29: Die Stimme der Stille

Besiege die Begierde, aber wenn du das tust,dann hab’ acht, daß sie nicht wieder neuersteht.

Gib die Liebe zum Leben auf, falls du abertanh¥ 34 niederringst, dann tu’ dies nicht ausDurst nach ewigem Leben, sondern um dasFlüchtige durch das Immerwährende zu er-setzen.

Begehre nichts. Lehne dich weder gegenKarma noch gegen die unabänderlichenGesetze der Natur auf. Kämpfe allein mit demPersönlichen, dem Vorübergehenden, Flüch-tigen und Vergänglichen.

Hilf der Natur und arbeite mit ihr zusam-men. Dann wird die Natur dich als einen ihrerSchöpfer betrachten und dir gehorsam sein.

Sie wird vor dir die Pforten ihrer geheimenGemächer weit öffnen und vor deinem Blickdie Schätze offenbaren, die in den innerstenTiefen ihres reinen, jungfräulichen Herzensverborgen sind. Von materieller Handunberührt, zeigt sie ihre Schätze nur dem

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geistigen Auge – dem Auge, das sich niemalsschließt, dem Auge, dem in allen ihren Rei-chen nichts verschleiert bleibt.

Dann wird sie dir die Mittel und Wegezeigen, das erste, das zweite, das dritte Tor, bishin zum siebenten und schließlich das Ziel,hinter dem, gebadet im Sonnenlicht desGeistes, die unaussprechliche Herrlichkeitliegt, die nur vom Auge der Seele gesehenwerden kann.

Es gibt nur einen Weg zum Pfad. Nur anseinem Ende kann die »Stimme der Stille«vernommen werden. Die Sprossen der Leiter,auf der der Kandidat emporsteigt, bestehenaus Leiden und Schmerzen. Sie können nurdurch die Ausübung von Tugend getilgtwerden. Darum wehe dir, Schüler, wenn auchnur ein Laster verbleibt, das du noch nichtüberwunden hast; dann wird die Leiternachgeben und dich zu Fall bringen. Ihrunteres Ende steckt im tiefen Schmutz deinerSünden und Fehler, und ehe du versuchen

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Page 31: Die Stimme der Stille

kannst, diesen weiten Abgrund der Materie zuüberschreiten, mußt du deine Füße in denWassern der Entsagung waschen. Hüte dichdaher, einen noch beschmutzten Fuß auf dieunterste Sprosse der Leiter zu setzen. Wehedem, der es wagt, auch nur eine Sprosse mitschmutzigen Füßen zu entweihen. Der gar-stige, zähe Schlamm wird trocken und hartwerden und die Füße an ihrem Platz fest-halten. Wie ein Vogel, der vom Leim desschlauen Vogelfängers festgehalten wird, wirder an weiterem Fortschritt gehindert. SeineLaster werden Form annehmen und ihnhinabziehen. Seine Sünden werden ihreStimmen gleich dem Gelächter und Geheuldes Schakals nach Sonnenuntergang erheben,seine Gedanken werden sich zusammenrottenund ihn wie einen gefesselten Sklavenwegschleppen.

Bringe deine Begierden zum Verlöschen,Lanu, entmachte deine Laster, bevor du denersten Schritt zur erhabenen Reise unter-nimmst.

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Page 32: Die Stimme der Stille

Beseitige deine Sünden und mache sie fürimmer stumm, ehe du auch nur einen Fußzum Besteigen der Leiter hebst.

Bringe deine Gedanken zum Schweigen undkonzentriere deine ganze Aufmerksamkeit aufdeinen Meister, den du zwar fühlst, doch nochnicht siehst.

Verschmelze deine Sinne in einen Sinn,wenn du vor dem Feind sicher sein willst.Durch diesen Sinn allein, der in der Höhlungdeines Gehirns verborgen liegt, kann der steilePfad, der dich zu deinem Meister führt, demverschwommenen Blick deiner Seele offenbarwerden.

Lang und beschwerlich, o Jünger, ist derWeg, der vor dir liegt. Ein einziger Gedankean deine zurückliegende Vergangenheit wirddich niederziehen und du mußt den Aufstiegneu beginnen.

Lösche in dir alle Erinnerungen an frühereErfahrungen. Blick’ nicht zurück, es wär’ dein

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Page 33: Die Stimme der Stille

Untergang! Glaube nicht, die Lust könntejemals ausgelöscht werden, wenn siebefriedigt oder gesättigt wird. Dies ist einevon M¥ra inspirierte Abscheulichkeit. Geradewenn dem Laster Nahrung gegeben wird,weitet es sich aus und erstarkt gleich demWurm, der sich im Inneren der Blüte mästet.

Bevor sich der Parasit durch ihr Inneresgefressen und ihren Lebenssaft getrunken hat,muß die aus ihrem elterlichen Stammgeborene Rose wieder zur Knospe werden.

Der goldene Baum treibt seine Juwelen-knospen hervor, ehe sein Stamm vom Sturmgefällt wird.

Der Schüler muß seinen verlorenen Kind-heitszustand wiederfinden, bevor der ersteTon in sein Ohr dringen kann.

Das Licht des EINEN Meisters, das eine,unvergängliche, goldene Licht des Geistesergießt seine schimmernden Strahlen vomersten Beginn an auf den Schüler. Seine

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Page 34: Die Stimme der Stille

Strahlen durchdringen die dichten, dunklenWolken der Stofflichkeit.

Jetzt hier, jetzt da, erhellen diese Strahlensie, wie Sonnenfunken durch das dichte Blät-terwerk des wuchernden Dschungels auf dieErde fallen. Aber erst, wenn das Fleischpassiv, der Kopf kühl und die Seele stark undrein wie ein flammender Diamant gewordensind, o Schüler, werden die Strahlen dieKammer erreichen 23. Sein Sonnenlicht könntesonst das Herz nicht wärmen. Die mystischenTöne aus ªk¥‚as Höhen 35 könnten, wie großder Eifer zunächst auch sein mag, das Ohrnicht erreichen.

Wenn du nicht hörst, kannst du nicht sehen.

Wenn du nicht siehst, kannst du nichthören. Hören und sehen ist die zweite Stufe.

* * *

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Page 35: Die Stimme der Stille

Wenn der Schüler sieht und hört, wenn erriecht und schmeckt mit geschlossenenAugen, versperrten Ohren, ohne Mund undNase zu gebrauchen, wenn sich die vier Sinnemischen und bereit sind, im fünften zuverschmelzen, dem Sinn der innerenWahrnehmung – dann ist er in die vierte Stufeeingetreten.

Und in der fünften, o Vernichter deinerGedanken, sind alle diese erneut so auszu-löschen, daß sie nie wieder aufleben können 36.

Halte dein Denken von allen äußerenObjekten fern, von allen äußeren Ansichten.Enthalte dich innerer Bilder, damit sie keinendunklen Schatten auf dein Seelenlicht fallenlassen.

Du bist nun in DHA- RANA- 37, der sechstenStufe.

Wenn du, o Glücklicher, in die siebente ein-getreten bist, wirst du die heilige Drei 38 nichtmehr wahrnehmen, denn du wirst jene Drei

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Page 36: Die Stimme der Stille

selbst geworden sein. Du selbst und deinDenken wie Zwillinge auf einer Linie, undoben flammt der Stern, dein Ziel 39. Die drei, inHerrlichkeit und unaussprechlicher Erhaben-heit verweilend, haben jetzt in M¥y¥s Weltihren Namen verloren. Zum einen Stern sindsie geworden, zum Feuer, das zwar brennt,aber nicht versengt, zu jenem Feuer, das dasUp¥dhi 40 der Flamme ist.

Dies, o erfolgreicher Yogi, nennen die Men-schen Dhy¥na 41, den unmittelbaren Vorbotenvon Sam¥dhi 42.

Jetzt ist dein Selbst im SELBST aufgegangen,du in DIR, verschmolzen mit JENEM SELBST, vondem du als Strahl einst deinen Anfang nahmst.

Wo, Lanu, ist nun deine Individualität, woder sogenannte Lanu? Sie ist ein im Feuer auf-gegangener Funke, der Tropfen im Meer, derimmergegenwärtige Strahl, der zum Ganzenwurde, verschmolzen mit dem ewigen Glanz.

Und nun, Lanu, bist du der Handelnde undauch der Zeuge, der Strahlen Aussendende

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Page 37: Die Stimme der Stille

und auch der Strahl, das Licht im Ton undauch der Ton im Licht.

Du kennst die fünf Hindernisse, Gesegneter.Du bist ihr Überwinder, der sechsten StufeMeister, der Verkünder der vier Wahrheiten 43.Das Licht, das auf sie fällt, geht von dir selberaus. Der du einst Schüler warst, bist nun zumLehrer geworden.

Und was diese Wahrheiten betrifft: –

Hast du nicht Kenntnis allen Leids erfahren– die erste Wahrheit?

Hast du nicht die zweite Wahrheit 44 begrif-fen, den König der M¥ras bei Tsi, der Pfortedes Zusammenbringens, besiegt?

Hast du nicht am dritten Tor zu sündigenaufgehört und die dritte Wahrheit verstanden?

Hast du nicht Tau, »den Pfad«, betreten, derzum Wissen führt – dir die vierte Wahrheit 45

zu eigen gemacht?

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Page 38: Die Stimme der Stille

So raste nun unter dem Bodhi-Baum, der dieVollendung allen Wissens bedeutet, dennwisse, du hast Meisterschaft im SAMªDHI

erlangt, in fehlerloser Vision.

Sieh’! Du bist das Licht geworden, du bistder Ton, dein Meister und dein Gott. Du bistDU SELBST, deiner Suche Ziel: die ununter-brochene STIMME, die widerhallt durch alleEwigkeiten, von Wechsel frei, frei auch vonSünde, die sieben Töne in dem einen, die

DIE STIMME DER STILLE

Om Tat Sat

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Page 39: Die Stimme der Stille

FRAGMENT II

DIE ZWEI PFADE

Und nun, Lehrer des Mitleids, zeige anderenMenschen den Weg. Sieh’, alle, die um Einlaßanklopfen, warten in Unwissenheit und Dun-kelheit darauf, daß sich das Tor des GütigenGesetzes weit öffnet!

Die Stimme der Kandidaten:

Wirst du, Meister eigener Barmherzigkeit,uns die Herzenslehre 1 enthüllen? Wirst du esablehnen, deine Diener auf den Pfad derBefreiung zu führen?

Der Lehrer:

Es gibt zwei Pfade und drei große Vollkom-menheiten, sowie sechs Tugenden, die denKörper in den Baum der Erkenntnis 2 verwan-deln.

Wer wird sich ihnen nähern?

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Page 40: Die Stimme der Stille

Wer wird sie als erster praktizieren?

Wer wird zuerst die Lehre von den zweiPfaden, die eigentlich nur einen erlaubt,vernehmen, die unverschleierte Wahrheit überdas Geheime Herz 3? Das Gesetz, das Schul-gelehrsamkeit scheut, lehrt Weisheit undoffenbart eine Geschichte des Leides.

O, wenn doch alle Menschen von AlayaBesitz ergreifen würden und mit der großenSeele eins wären. Wie schade, daß sie sichAlaya so wenig zu Nutze machen!

Sieh’, genau wie der Mond von den ruhigenWellen widerspiegelt, so wird Alaya vomKleinen wie vom Großen reflektiert, erspiegelt sich im winzigsten Atom unddennoch gelingt es ihm nicht, das Herz vonallem zu erreichen. Schade, daß so wenigMenschen aus der Gabe Nutzen ziehen unddie unschätzbare Wohltat, die Wahrheit, dierichtige Wahrnehmung der existierendenDinge und die Erkenntnis dessen, was hinterihnen liegt, erlangen können!

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Page 41: Die Stimme der Stille

Der Schüler fragt:

Was, o Lehrer, soll ich tun, um Weisheit zuerlangen?

Was, o Weiser, um vollkommen zu werden?

Such’ nach den Pfaden. Aber, o Lanu, seireinen Herzens, ehe du deine Reise beginnst.Lerne noch vor deinem ersten Schritt, dasWirkliche vom Falschen, das immer Flüchtigevom ewig Dauernden zu unterscheiden. Lernevor allem, Kopfwissen von der Seelenweisheit,die »Augen-« von der »Herzenslehre« zutrennen.

Ja, Unwissenheit ist wie ein verschlossenes,luftleeres Gefäß und die Seele wie ein in ihmeingeschlossener Vogel. Er zwitschert nichtund ist unfähig, eine Feder zu rühren. Stummund betäubt sitzt der Sänger und stirbtschließlich vor Erschöpfung.

Unwissenheit ist immer noch besser als einvon keiner Seelenweisheit erleuchtetes,gelenktes Kopfwissen.

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Die Samen der Weisheit können im luftlee-ren Raum nicht sprießen und wachsen. Um zuleben und Erfahrung zu sammeln, benötigtder Verstand Weite, Tiefe und Anhaltspunkte,die ihn zur Diamant-Seele 4 führen. Suchediese Anhaltspunkte nicht in M¥y¥s Reich,erhebe Dich vielmehr über die Illusionen,suche das ewige und wechsellose SAT 5 undmißtraue den falschen Vorspiegelungen derEinbildungskraft.

Der Verstand gleicht einem Spiegel.Während er reflektiert, sammelt er Staub 6. Erbenötigt die sanften Brisen der Seelenweisheit,um den Staub der Illusionen wegzuwischen.Suche, Anfänger, deinen Verstand und deineSeele harmonisch zu verbinden.

Vermeide Unwissenheit und halte dich vonIllusion fern. Wende dein Gesicht ab von denTäuschungen der Welt. Mißtraue deinenSinnen, denn sie sind fehlerhaft. Suche jedochim Inneren deines Körpers – im Schrein deinerEmpfindungen – im Unpersönlichen nach dem»ewigen Menschen« 7, und wenn du ihn

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Page 43: Die Stimme der Stille

gefunden hast, dann schaue nach innen: Dubist Buddha 8.

Scheu’ Lob, Ergebener. Lob führt zurSelbsttäuschung. Der Körper ist nicht dasSelbst, dein wahres SELBST ist körperlos, unbe-rührbar von Lob und Tadel.

Selbstgefälligkeit, o Schüler, gleicht einemhochragenden Turm, den ein anmaßender Torerstiegen hat. Dort sitzt er in stolzer Einsam-keit. Keiner nimmt ihn wahr, nur er sichselbst.

Falsche Gelehrsamkeit wird von den Weisenabgelehnt und vom guten Gesetz in alle Windezerstreut. Sein Rad dreht sich für alle, fürBescheidene und Stolze. Die »Augenlehre« 9

ist für die Vielen, die »Herzenslehre« für dieAuserwählten. Erstere brüsten sich voll Stolz:»Sieh’ her, ich weiß«; letztere, die ihrenWissensschatz in Demut sammelten, beken-nen leise: »So habe ich gehört« 10.

Die »Herzenslehre«, Schüler, wird »GroßesSieb« genannt.

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Das Rad des guten Gesetzes bewegt sichrasch weiter. Es mahlt bei Nacht und Tag.Wertlose Spreu fegt es weg vom goldenenKorn, vom Mehl den Abfall. Die HandKarmas lenkt das Rad, seine Umdrehungenmarkieren die karmischen Herzschläge.

Wahres Wissen ist das Mehl, falsche Gelehr-samkeit die Spreu. Wenn du das Brot derWeisheit kosten möchtest, mußt du dein Mehlmit Amritas* klaren Wassern durchkneten.Falls du jedoch die Spreu mit M¥y¥s Taudurchknetest, kannst du nur Nahrung für dieschwarzen Tauben des Todes bereiten, für dieVögel, die Geburt, Verfall und Leid verheißen.

Wenn man dir sagt, um ein Arhan zuwerden, müßtest du aufhören, alle Wesen zulieben – sage ihnen, sie lügen.

Wenn man dir sagt, um Befreiung zuerlangen, müßtest du deine Mutter hassen unddeinen Sohn vernachlässigen, müßtest dudeinen Vater verleugnen, ihn »Haushalter« 11

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* Unsterblichkeit

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nennen und dürftest gegen Mensch und Tierkeinerlei Mitleid zeigen – sage ihnen, ihreZunge spricht die Unwahrheit.

Solches lehren die T}rthikas, die Ungläubi-gen*.

Wenn man dich lehrt, aus Tätigkeit ent-stünde Sünde und aus absoluter UntätigkeitSeligkeit, dann sage ihnen, sie irrten sich. DieNichtausführung menschlicher Handlung, dieBefreiung des Verstandes aus der Knecht-schaft durch Einstellung von Sünden undFehlern ist nichts für »Deva Egos«**. So sagtdie »Herzenslehre«.

Der Dharma des »Auges« verkörpert dasÄußerliche und das Nichtewige.

Der Dharma des »Herzens« verkörpertBodhi***, das Beständige und Ewige.

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* Brahmanische Asketen.** Das reinkarnierende Ego.

*** Wahre, göttliche Weisheit.

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Die Lampe brennt hell, wenn der Docht unddas Öl rein sind. Um sie aber rein zu machen,ist ein Reiniger vonnöten. Die Flamme fühltden Prozeß der Reinigung nicht. »Die Zweigeeines Baumes werden vom Wind geschüttelt,doch der Stamm bleibt unbewegt.«

Tätigkeit und Untätigkeit können in dirRaum finden. Während dein Körper tätig ist,kann dein Geist ruhig, deine Seele klar wie einBergsee sein.

Willst du ein Yogi der »Zeitperiode« wer-den? Dann, o Lanu: –

Glaube nicht, du müßtest dich in stolzerAbgeschlossenheit und fern von Menschen indunklen Wäldern aufhalten. Glaube nicht, essei nötig, von Wurzeln und Pflanzen zu lebenund du müßtest deinen Durst mit Schnee desgroßen Gebirges stillen – glaube nicht, Erge-bener, ein solches Verhalten würde dich zumZiel der endgültigen Befreiung führen.

Denke nicht, du müßtest deine Knochenzerbrechen, dein Fleisch und deine Muskeln

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zerreißen, um dich mit deinem »Stillen Selbst«12

zu vereinigen. Denke nicht, wenn die Sündendeiner groben Form besiegt sind, o Opferdeiner Schatten13, deine Pflicht gegenüber derNatur und dem Menschen wäre erfüllt.

Die Erhabenen haben solche Handlungs-weisen verschmäht. Der Löwe des Gesetzes,der Herr des Erbarmens *, entsagte der süßen,aber selbstsüchtigen Ruhe in stiller Wildnis,sobald er die wahre Ursache des menschlichenLeides erkannt hatte. Aus einem ªranyaka 14

wurde Er der Menschheit Lehrer. NachdemJulai 15 in Nirv¥na eingegangen war, predigteEr auf den Bergen und in den Tälern und hieltZwiesprache in den Städten mit Devas,Menschen und Göttern 16.

Säe liebevolle Taten und du wirst ihreFrüchte ernten. Wenn Barmherzigkeit not tut,wird Untätigkeit zu einer Tat der Todsünde.

So sagt der Weise.

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* Buddha.

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Sollst du dich der Tätigkeit enthalten? Aufdiese Weise wird deine Seele keine Freiheitgewinnen. Um Nirv¥na zu erreichen, mußman erst Selbsterkenntnis erlangen, undSelbsterkenntnis ist das Kind liebevollerTaten.

Habe Geduld, Kandidat, gleiche jenem, derkeinen Fehlschlag fürchtet und keinen Erfolgerstrebt. Richte den Blick deiner Seele fest aufden Stern, dessen Strahl du bist 17, auf denflammenden Stern, der in den dunklen Tiefendes Immerseienden, den grenzenlosen Ge-filden des Unerkennbaren leuchtet.

Habe Ausdauer wie einer, der für immerausharrt. Deine Schatten leben und verge-hen 18. Das, was in dir für immer leben wird,das, was in dir weiß, weil es Wissen 19 ist, istnicht von flüchtigem Leben: es ist der Mensch,der war, der ist und sein wird, für den dieStunde niemals schlägt.

Wenn du süßen Frieden und Ruhe erntenwillst, Schüler, säe verdienstvolle Samen auf

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die Felder zukünftiger Ernten. Nimm dieLeiden der Geburt auf dich.

Tritt aus dem Sonnenlicht in den Schatten,um mehr Platz für andere zu schaffen. Tränen,die den ausgetrockneten Boden des Leids undder Sorge bewässern, bringen die Blüten undFrüchte karmischer Wiedervergeltung hervor.Aus dem Schmelzofen des menschlichenLebens und seinem schwarzen Rauch erhebensich beschwingte, gereinigte Flammen, dieunter dem Auge Karmas emporzüngeln undschließlich den herrlichen Stoff der dreiGewänder des Pfades 20 weben.

Diese Gewänder sind: Nirm¥nak¥ya, Sam-bhogak¥ya und Dharmak¥ya, das erhabensteGewand 21.

Wahr ist’s das Shangna-Gewand 22 kannewiges Licht verleihen. Nur das Shangna-Gewand bewirkt das Nirv¥na des Verlöschens.Es verhindert das Wiedergeborenwerden, aberes tötet auch, Lanu – das Mitleid. Dievollkommenen Buddhas, die sich mit der

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Herrlichkeit des Dharmak¥ya bekleiden,können nicht länger an der Erlösung derMenschheit mitwirken. Wehe! Sollen dieSELBSTE dem Selbst geopfert werden, dieMenschheit dem Wohle einzelner?

Wisse, Anfänger, dies ist der Offene PFAD,der Weg zu selbstsüchtiger Glückseligkeit,gemieden von den Bodhisattvas des»Geheimen Herzens«, den Buddhas desMitleids.

Für das Wohl der Menschheit zu leben istder erste Schritt. Die sechs glorreichen Tugen-den 23 auszuüben ist der zweite.

Das bescheidene Kleid des Nirm¥nak¥yaanzuziehen bedeutet, ewige Glückseligkeitdem Selbst zu opfern und bei der Erlösung derMenschen mitzuhelfen. Nirv¥nas Glückselig-keit zu erreichen aber auf sie zu verzichten, istder beste, letzte Schritt – der höchste auf demPfad der Entsagung.

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Page 51: Die Stimme der Stille

Wisse, Schüler, dies ist der Geheime PFAD,erwählt von den Buddhas der Vollkommen-heit, die Das SELBST opferten, um schwächererSelbste willen.

Falls jedoch die »Herzenslehre« für dich zuhochfliegend ist, wenn du selbst noch derHilfe bedarfst und dich fürchtest, anderenHilfe anzubieten – dann, du furchtsamesHerz, sei beizeiten gewarnt: Begnüge dich mitder »Augenlehre« des Gesetzes. Hoffe den-noch! Selbst wenn der »Geheime Pfad« andiesem »Tag« für dich noch unerreichbar ist,so ist er doch »morgen« 24 in deiner Reichwei-te. Lerne, daß keine einzige Anstrengung, undwäre sie noch so klein, ob in der richtigen oderfalschen Richtung, aus der Welt der Ursachenverschwinden kann. Nicht einmal unnützerRauch verschwindet spurlos. »Ein hartesWort, in früheren Leben einst geäußert, wirdnie zunichte. Immer wieder kehrt’s zurück.«*

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* Vorschriften der Prasanga-Schule

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Nie wird die Pfefferstaude Rosen tragen,niemals des süßen Jasmins Silberstern inDornen oder Disteln sich verwandeln.

Du kannst »heute« bereits deine Chancenfür dein »morgen« schaffen. Die Ursachen, diedu in jeder Stunde säst, bringen auf der»Großen Reise« 25 ihre entsprechende Erntevon Wirkungen, denn strenge Gerechtigkeitregiert die Welt. Mit mächtigem Schwung undniemals irrender Wirkung bringt sie denSterblichen ein Leben zum Wohl oder Wehe,die karmischen Früchte all unserer früherenGedanken oder Taten.

So heimse denn ein, du mit geduld’gemHerz, was an Verdienst für dich bereitliegt. Seiguter Dinge und zufrieden mit dem Schicksal.Es ist dein Karma, das Karma aus dem Zyklusdeiner Geburten, das Schicksal jener, die mitdir zusammen geboren wurden, in ihremSchmerz und Leid, die Leben um Lebenlachen und weinen, gekettet an deine früherenTaten.

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Handle darum »heute« für sie und siewerden »morgen« für dich handeln.

Es ist die Knospe der Selbstverleugnung, ausder die süße Frucht der endgültigen Befreiungentspringt.

Verdammt zum Untergang ist der, der ausFurcht vor M¥ra seinen Mitmenschen nichthilft, aus Angst, er könnte für das Ich handeln.Der Pilger, der seine müden Glieder im dahin-fließenden Wasser kühlen möchte, jedoch ausAngst vor dem Strom nicht hineintaucht,riskiert, der Hitze zu erliegen. Untätigkeit, aufselbstsüchtige Furcht begründet, kann nurüble Frucht hervorbringen.

Der selbstsüchtige Frömmler verbringt seinLeben ohne Zweck. Der Mensch, der seinfestgelegtes Lebenswerk nicht ausführt, hatvergebens gelebt.

Folge dem Rad des Lebens, folge dem Radder Pflicht gegenüber der Rasse, der Ver-wandtschaft, dem Freund und Feind und

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verschließe dein Gemüt gegen Freude undSchmerz. Erschöpfe das Gesetz karmischerVergeltung. Verdiene Siddhis für deinezukünftige Geburt.

Kannst du nicht Sonne sein, sei ein bescheide-ner Planet. Ja, falls es dir versagt ist, gleich derMittagssonne auf die schneebedeckten Berg-gipfel ewiger Reinheit herabzubrennen, dannwähle, o Neophyt, eine bescheidenere Bahn.

Weise den »Weg« – so undeutlich und ver-loren er der großen Menge auch erscheinenmag – gleichwie der Abendstern jenen leuch-tet, die ihren Pfad im Dunkeln gehen.

Betrachte Migmar*, wie in seinen karmesin-roten Schleiern sein »Auge« über die schlum-mernde Erde schweift. Betrachte die feurigeAura von Lhagpas** »Hand«, ausgestreckt inschützender Liebe über den Häuptern seinerAsketen. Beide sind sie nun Nyimas 26***

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* Mars.** Merkur.

*** Sonne.

Page 55: Die Stimme der Stille

Diener, während ihrer Abwesenheit zurück-gelassen als stille Wächter in der Nacht. Unddoch waren beide in vergangenen Kalpasselber glänzende Nyimas und mögen wohl inkünftigen »Tagen« zwei Sonnen wiederumsein. So ist das Ab und Auf des karmischenGesetzes in der Natur.

Sei ihnen gleich, o Lanu. Gib Licht undTrost dem schwer sich mühenden Pilger undsuche den, der noch weniger weiß als du, derin seiner unglücklichen Einsamkeit sitzt,hungernd nach dem Brot der Weisheit unddem Brot, das den Schatten nährt, ohneLehrer, Trost und Hoffnung – ihn lasse dasGesetz hören.

Sage ihm, o Kandidat, wer Stolz und Eigen-nutz zu Sklaven der Hingabe macht, wer,obwohl noch an der Existenz klebend, seineGeduld und sich selbst vor dem Gesetzniederlegt, wie eine süße Blume zu Füßen vonShakya-Thub-pa*, wird noch in dieser Geburtein Srot¥patti 27. Die Siddhis der Vollkommen-

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* Buddha.

Page 56: Die Stimme der Stille

heit mögen in weiter, weiter Ferne liegen,doch der erste Schritt ist getan, der Strombetreten. Er kann des Bergadlers Augenschärfeund das feine Ohr des scheuen Rehs erwerben.

Sage ihm, Aspirant, daß wahre Ergebenheitihm das Wissen zurückbringen kann, jenesWissen, das er bereits in früheren Geburtenbesaß. Freilich, das Deva-Auge und das Deva-Ohr können nicht in einer kurzen Lebenszeiterlangt werden.

Sei bescheiden, wenn du Weisheit erlangenwillst.

Sei noch bescheidener, wenn du Weisheitgewonnen hast.

Sei wie der Ozean, der alle Ströme und Flüs-se in sich aufnimmt. Des Ozeans gewaltigeRuhe bleibt unbewegt, er fühlt sie nicht.

Dein niederes Selbst beherrsche durch deingöttliches Selbst.

Das Göttliche zügle durch das Ewige.

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Ja, der ist groß, der die Begierde besiegt.

Noch größer ist der, in dem das GöttlicheSelbst auch noch das Wissen um die Begierdeverloren hat.

Bewache das Niedere, damit es das Höherenicht befleckt.

Der Weg zur endgültigen Befreiung liegtallein in deinem SELBST.

Jener Weg beginnt und endet außerhalb desSelbst 28.

Von den Menschen ungepriesen und geringist die Mutter aller Flüsse in den stolzenAugen eines T}rthikas, leer die menschlicheErscheinungsform in der Narren Auge,obwohl sie angefüllt ist mit den süßenWassern Amritas. Dabei liegt der Geburtsortder heiligen Flüsse im heiligen Land 29, undder, der Weisheit hat, ist von allen Menschenhoch geehrt.

Arhans und Weise mit unbegrenzter Vision30

sind so selten wie die Blüten des Udumbara-

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Baumes. Zur mitternächtlichen Stunde sinddie Arhans geboren, zusammen mit der heili-gen Pflanze mit neun und sieben Stengeln 31,der heiligen Blume, die sich im Dunkeln öff-net und blüht, dem reinen Tau entsprossenund dem eisigen Bett der schneebedecktenHöhen, die noch kein sündiger Fuß betretenhat.

Man wird in der Geburt kein Arhan, Lanu,in der die Seele zum erstenmal beginnt, nachendgültiger Befreiung zu verlangen. Jedoch, oStrebender, keinem Krieger, der freiwillig imheftigen Kampf zwischen dem Lebenden unddem Toten 32 kämpft, selbst dem Rekrutennicht, kann das Recht verweigert werden, denPfad zu betreten, der ihn zum Schlachtfeldführt.

Er muß gewinnen oder fallen.

Wahrlich, wenn er siegt, gehört Nirv¥naihm. Ehe er noch den Schatten seiner sterb-lichen Hüllen abgelegt hat, die schrecklicheUrsache von Qual und unermeßlichem Leid

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– werden die Menschen in ihm einen großen,heiligen Buddha ehren.

Selbst wenn er fällt, fällt er nicht vergebens.Die Feinde, die er in der letzten Schlachterschlug, werden in seiner nächsten Geburtnicht zu neuem Leben erwachen.

Aber ob du nun Nirv¥na erreichst oder denPreis ausschlägst 33, lasse die Frucht deinesHandelns oder Nichthandelns nicht deinMotiv sein, du unerschrockenes Herz.

Wisse, daß man den Bodhisattva, der Befrei-ung mit Entsagung tauscht, um die Leiden des»Geheimen Lebens« 34 auf sich zu nehmen, den»dreimal Gepriesenen« nennt, o Kandidat desWehs, dem ein Leidensweg für viele Zyklenbevorsteht.

Es gibt nur einen PFAD, Schüler, doch ergabelt sich am Ende. Seine Teilstrecken sinddurch vier und sieben Tore gekennzeichnet.Am einen Ende steht unmittelbare Seligkeit,am anderen ist sie noch hinausgeschoben.

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Beide sind des Lohnes wert. Die Wahl jedochmußt du selbst treffen.

Der eine wird zu zweien, zum Offenen undzum Geheimen Pfad 35. Der erste führt zumZiel, der zweite zur Selbstaufopferung.

Wenn das Unbeständige dem Ewigengeopfert wird, ist der Preis dein. Der Tropfenkehrt dahin zurück, woher er kam. DerOffene PFAD führt hin zur unveränderlichenWandlung – zum Nirv¥na, dem glorreichenStadium der Absolutheit, zur Wonne jenseitsaller menschlichen Begriffe.

Daher bedeutet der erste Pfad: BEFREIUNG.

Der zweite Pfad jedoch bedeutet:ENTSAGUNG. Man nennt ihn darum auch den»Leidenspfad«.

Dieser Geheime Pfad führt den Arhan zuunaussprechlichem Seelenleid, zu Schmerz umdie lebendig Toten 36 und zu hilflosem Mitleidfür die karmisch leidenden Menschen, denndie Wirkung Karmas dürfen die Weisen nichtaufhalten.

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Page 61: Die Stimme der Stille

Denn es steht geschrieben: »Lehre, alleUrsachen zu vermeiden. Den Wirkungen derkleinen Welle wie auch der großen Gezeiten-woge jedoch mußt du ihren Lauf nehmenlassen.«

Der »Offene Weg« wird dich, erst wenn dusein Ziel erreicht hast, dazu verleiten, denBodhisattva-Körper zu verschmähen und inden dreifach glorreichen Dharmak¥ya-Zustand 37 einzutreten. In ihm geraten Weltund Menschen für immer in Vergessenheit.

Der »Geheime Weg« führt auch zu para-nirv¥nischer Wonne – aber erst am Endezahlloser Kalpas, Nirv¥nas, verdient unddahingegeben aus grenzenlosem Mitleid undErbarmen mit der Welt irrender Sterblicher.

Aber wie es heißt: »Der Letzte wird derGrößte sein«. Samyak Sambuddha, derLehrer der Vollkommenheit, gab sein SELBST

für die Erlösung der Welt hin, indem er an derSchwelle Nirv¥nas, des reinen Zustands,stehen blieb.

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Du weißt nun Bescheid über die zwei Wege.Dein Zeitpunkt der Entscheidung, du streb-same Seele wird kommen, wenn du das Zielerreicht und die sieben Pforten durchschrittenhast. Dein Denken ist klar. Du bist nicht intrügerischen Gedanken befangen, denn duhast alles gelernt. Die vor dir entschleierteWahrheit blickt dir unverwandt ins Antlitzund sagt:

»Süß sind die Früchte der Ruhe undBefreiung zum Wohle des Selbst. Noch süßeraber sind die Früchte langer und bittererPflichterfüllung, die Entsagung zum Wohleanderer, leidender Mitmenschen«.

Wer ein Pratyeka-Buddha 38 wird, huldigtnur seinem Selbst. Der Bodhisattva aber, derdie Schlacht gewann, der den Preis bereits inHänden hält, sagt in seinem göttlichen Mit-leid:

»Um anderer willen gebe ich den großenLohn dahin« – und vollendet so die größereEntsagung.

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Er ist ein ERLÖSER DER WELT.

* * *

Bedenke! Das Ziel der Wonne sowie derlange Pfad des Leides sind am fernsten Ende.Einen von beiden, o Aspirant des Leides,kannst du in den zukünftigen Zyklen in jedemAugenblick wählen! …

OM VAJRAPªNI HUM.

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Page 64: Die Stimme der Stille

FRAGMENT III

DIE SIEBEN PFORTEN

»UPªDYA 1, die Wahl ist getroffen, ich dürstenach Weisheit. Du hast nun den GeheimenPfad entschleiert und das größere Y¥na 2

dargelegt. Dein Diener ist bereit, deinerFührung zu folgen.«

Gut, denn ºr¥vaka 3. Bereite dich vor, denndu mußt allein weitergehen. Der Lehrer kannnur den Weg weisen. Für alle gibt es nur deneinen Pfad. Die Mittel, das Ziel zu erreichen,sind für jeden Pilger verschieden.

Was wirst du wählen, du furchtloses Herz?Den Samtan 4 der »Augenlehre«, den vier-fachen Dhy¥na, oder windet sich dein Wegdurch die P¥ramit¥s,5 sechs an der Zahl, dieerhabenen Tore der Tugend, die zu Bodhi undPrajñ¥ führen, der siebenten Weisheitsstufe?

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Page 65: Die Stimme der Stille

Der rauhe Pfad des vierfachen Dhy¥nawindet sich aufwärts. Dreimal groß ist, werdie hohe Spitze erklimmt.

Die Höhen der P¥ramit¥s müssen auf einemnoch steileren Pfad bewältigt werden. Durchsieben Pforten mußt du deinen Weg er-kämpfen, durch sieben Festungen, verteidigtvon grausamen, listigen Mächten – deninkarnierten Leidenschaften.

Sei guten Mutes, Schüler. Halte die goldeneRegel im Bewußtsein. Sobald du das TorSrot¥patti 6, »einer der in den Strom eingetre-ten ist«, hinter dir gelassen hast, sobald deinFuß das Bett des nirv¥nischen Stroms in diesemoder einem künftigen Leben betreten hat, dann,o du mit diamanthartem Willen, liegen nurnoch sieben weitere Geburten vor dir.

Blicke auf! Was siehst du vor deinem Auge,o Anwärter auf gottgleiche Weisheit?

»Der Mantel der Finsternis liegt über demAbgrund der Materie. In seinen Falten kämpfeich. Unter meinem angespannten Blick, Herr,

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Page 66: Die Stimme der Stille

wird sie dichter, doch unter dem Wink deinerHand verschwindet sie. Ein Schatten bewegtsich, kriecht heran, dehnt und ringelt sichgleich einer Schlange… Er wächst, schwillt anund verschwindet in der Finsternis.«

Es ist dein eigener Schatten außerhalb desPfades, der auf die Dunkelheit deiner Sündenfällt.

»Gewiß, o Herr, ich sehe den PFAD. SeinAnfang beginnt im Schlamm, sein Ende ver-liert sich im glorreichen Licht Nirv¥nas. Undjetzt sehe ich auch die immer enger werdendenPforten auf dem schweren und dornigen Wegzu Jñ¥na*.«

Du siehst ganz richtig, Lanu. Diese Pfortenführen den Anwärter über die Gewässerhinweg »zur anderen Küste« 7. Jede Pforte hateinen goldenen Schlüssel, der ihre Torflügelöffnet. Diese Schlüssel sind:

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* Erkenntnis, Weisheit.

Page 67: Die Stimme der Stille

1. DªNA, der Schlüssel der Barmherzigkeitund unsterblichen Liebe.

2. º¬LA, der Schlüssel der Harmonie inWort und Tat, der Schlüssel, der die Ursachesowie die Wirkung auszugleichen vermag undfür karmische Aktion keinen Spielraum mehrläßt.

3. KSHªNTI, die süße, durch nichts zuerschütternde Geduld.

4. VIRªGA, Gleichgültigkeit gegenüberFreude und Schmerz, überwundene Illusionund alleinige Wahrnehmung der Wahrheit.

5. V¬RYA, die unerschrockene Energie, diesich ihren Weg aus dem Schlamm derirdischen Lügen zur überirdischen WAHRHEIT

erkämpft.

6. DHYªNA, dessen goldenes Tor, sobald esgeöffnet ist, den Naljor* zum Reich des ewigenSat und dessen unaufhörlicher Betrachtungführt.

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* Heiliger, Adept.

Page 68: Die Stimme der Stille

7. PRAJѪ, der Schlüssel, der aus einemMenschen einen Gott macht, ihn in einenBodhisattva, einen Sohn der Dhy¥nis verwan-delt.

Das sind die goldenen Schlüssel zu denPforten.

Ehe du dich der letzten nähern kannst, du,der du an deiner Befreiung webst, mußt dudiese P¥ramit¥s der Vervollkommnung – diesechs oder zehn transzendenten Tugenden –auf dem mühevollen Pfad meistern.

Denn, Schüler, ehe du fähig bist, deinemLehrer von Angesicht zu Angesicht gegen-überzutreten, deinem MEISTER, Licht demLicht, was wurde dir da gesagt?

Bevor du dich dem ersten Tor nähernkannst, mußt du lernen, deinen Körper vondeinem Geist zu trennen, den Schatten auf-zulösen und im Ewigen zu leben. Zu diesemZweck mußt du in allem leben und atmen, wieall das, was du wahrnimmst, in dir atmet. Dumußt dich selbst beständig in allen Dingenvorhanden fühlen und alle Dinge im SELBST.

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Page 69: Die Stimme der Stille

Laß dein Gemüt nicht zum Spielplatz deinerSinne werden!

Du solltest dein Sein nicht vom SEIN undvon dem Rest getrennt sehen, sondern denOzean im Tropfen aufgehen lassen und denTropfen im Ozean.

So wirst du in vollem Einklang sein mitallem Leben. Gib den Menschen Liebe, alswären sie deine Brüderschüler, Schüler einesLehrers, Söhne einer einzigen, gütigen Mutter.

Der Lehrer gibt es viele, aber nur eineMEISTERSEELE 8, Alaya, die Universalseele.Lebe in diesem MEISTER wie SEIN Strahl in dir.Lebe in deinen Mitmenschen wie sie in IHM

leben.

Bevor du an des Pfades Schwelle stehst,bevor du das allererste Tor durchschrittenhast, mußt du die beiden in das Eineverschmelzen und das Persönliche dem un-persönlichen SELBST geopfert haben und soden »Pfad« zwischen den zweien – das Antas-karana 9 zerstören.

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Page 70: Die Stimme der Stille

Sei vorbereitet, Dharma, dem strengenGesetz, Rechenschaft abzulegen. DessenStimme wird dich bei deinem ersten, deinemAnfangsschritt fragen:

»Hast Du, der du von hoher Hoffnungerfüllt bist, alle Regeln befolgt?«

»Hast du dein Herz und Gemüt mit demgroßen Gemüt und Herzen der ganzenMenschheit in Harmonie gebracht? Denn wiein der tosenden Stimme des heiligen Stromessich alle Töne der Natur widerhallend fin-den 10, so muß das Herz dessen, »der in denStrom eintreten will«, auf jeden Seufzer undGedanken von allem, was da lebt und atmet,mitfühlend reagieren.«

Schüler können mit den Saiten der V}n¥verglichen werden, die den Klang der Seelewiderspiegelt. Ihr Resonanzboden gleicht derMenschheit, die Hand, die sie spielt, dem har-monischen Atem der GROSSEN WELTSEELE.Die Saite, die unter des Meisters Hand nicht insüßer Harmonie mit all den andern tönt, reißt

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Page 71: Die Stimme der Stille

– und wird weggeworfen. So ist es mit denvereinten Herzen der Lanu-ºr¥vakas. Siemüssen mit dem Gemüt des Up¥dya inEinklang sein – eins sein mit der Überseele –oder abreißen.

Dies ist bei den »Brüdern des Schattens« derFall, den Mördern ihrer Seelen, dem schreck-lichen Dag-Dugpa-Bund 11.

Hast du, zum Licht Berufener, dein Lebender großen Not der Menschheit angepaßt?

Hast du’s getan?… Dann magst du ein-treten. Ehe du jedoch deinen Fuß auf denmühevollen Leidenspfad setzt, ist es gut fürdich, zunächst die Fallen auf dem Wegkennenzulernen.

* * *

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Page 72: Die Stimme der Stille

Bewaffnet mit dem Schlüssel der Barmher-zigkeit, der Liebe und des zärtlichen Mitleids,stehst du sicher vor dem Tor von D¥na, demTor, das am Beginn des PFADES liegt.

Sieh’, glücklicher Pilger, die Pforte, die vordeinem Blick liegt, ist hoch und weit undscheint den Eintritt leicht zu gewähren. DerWeg, der hindurchführt, ist eben, glatt undgrün. Er gleicht einer sonnigen Lichtung indes dunklen Waldes Tiefen, einem Erdenfleck,gespiegelt aus Amit¥bhas Paradies. Nachtigal-len der Hoffnung und Vögel mit strahlendemGefieder singen dort hoch in grünen Laubenund verheißen furchtlosen Pilgern Erfolg. Siesingen von den fünf Tugenden des Bodhisattva,von der fünffachen Quelle der Bodhi-Kraftund von den sieben Stufen der Erkenntnis.

Schreite weiter! Da du den Schlüssel mit-gebracht hast, bist du sicher.

Auch zum zweiten Tor ist der Weg vollGrün. Aber er ist steil und windet sich zurHöhe empor zu seinem felsigen Gipfel. GraueNebel werden um seine rauhe und felsige

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Page 73: Die Stimme der Stille

Höhe hängen und darüber wird alles imDunkel liegen. Je weiter er geht, um soschwächer wird der Sang der Hoffnung in desPilgers Herz klingen. Der Schauer desZweifels erfaßt ihn jetzt. Sein Schritt wirdungewisser.

Nimm dich davor in acht, o Kandidat! Hütedich vor der Furcht, die sich gleich denschwarzen und lautlosen Flügeln dermitternächtlichen Fledermaus zwischen demMondlicht deiner Seele und deinem großenZiel ausbreitet, das in weiter Ferne ver-schwommen auftaucht.

Furcht, o Schüler, tötet den Willen undlähmt jede Tätigkeit. Sobald der Pilger in derº}la-Tugend nachläßt, strauchelt er und kar-misches Geröll verletzt seine Füße entlangdem felsigen Pfad.

Sei sicheren Schrittes, Kandidat! InKsh¥ntis* Essenz bade deine Seele, denn jetzt

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* Ksh¥nti bedeutet »Geduld«, siehe unter der Aufzählungder goldenen Schlüssel.

Page 74: Die Stimme der Stille

näherst du dich der Pforte gleichen Namens,dem Tor der Standhaftigkeit und Geduld.

Verschließe deine Augen nicht, verliereDorje 12 nicht aus dem Blick! M¥ras Pfeiletreffen stets den Mann, der Vir¥ga* 13 nichtausübt.

Zittere nicht! Unter dem Atem der Furchtrostet der Schlüssel Ksh¥ntis: Ein rostigerSchlüssel schließt nicht auf.

Je weiter du fortschreitest, desto mehr Fallenerwarten deine Füße. Der weiterführende Pfadwird durch ein einziges Feuer erhellt – dasFeuer des Wagemuts, das im Herzen brennt. Jemehr einer wagt, desto mehr wird er erreichen.Je mehr er fürchtet, um so fahler wird jenesLicht, das allein leiten kann. Denn wie demscheidenden Sonnenstrahl, noch flimmerndauf eines hohen Berges Gipfel, die schwarzeNacht folgt, wenn er verlöscht, so ist es mit desHerzens Licht. Wenn es verlöscht, wird ein

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* Siehe ebenda.

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dunkler und drohender Schatten aus deinemeigenen Herzen auf den Pfad fallen und deineFüße werden schreckgelähmt auf der Stelleverweilen.

Hüte dich, Schüler, vor diesem tödlichenSchatten! Kein Licht, das vom Geist kommt,kann die Finsternis der niederen Seele zer-streuen, bevor nicht jeder selbstsüchtigeGedanke aus ihr entflohen ist und der Pilgersagt: »Dieser vergänglichen Form habe ichentsagt. Ich habe die Ursache zum Verlöschengebracht und der Schattenwurf kann, als Wir-kung nicht länger existieren.« Jetzt hat derletzte, große Kampf, der Endkampf zwischendem Höheren und dem Niederen Selbstbegonnen. Siehe, selbst das Schlachtfeld istnun in den großen Kampf einbezogen und löstsich im Nichts auf.

Doch wenn du das Tor von Ksh¥nti durch-schritten hast, ist der dritte Schritt getan. Jetztist dein Körper dein Sklave. Bereite dich nunauf die vierte, die Pforte der den innerenMenschen verführenden Versuchungen vor.

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Ehe du dich diesem Ziel nähern kannst,bevor deine Hand sich hebt, um den Riegeldes vierten Tores zurückzuschieben, mußt dualle mentalen Veränderungen in deinem Selbstbemeistert und das Heer der Gedanken-eindrücke besiegt haben, das sich, heimlichund hinterlistig, ungefragt in den glanzerfüll-ten Schrein der Seele einschleicht.

Wenn du von ihnen nicht getötet werdenwillst, dann mußt du deine eigenen Ge-schöpfe, die unsichtbaren, unfaßbaren Kinderdeiner Gedanken, welche die Menschheitumschwärmen, die Nachkommen und Erbendes Menschen, und ihre irdischen Errungen-schaften unschädlich machen. Du mußt dieLeerheit des anscheinend Vollen, die Fülle desanscheinend Leeren studieren. FurchtloserKandidat, blicke tief in den Brunnen deineseigenen Herzens und gib dir Rechenschaft.Kennst du die Kräfte des Selbst, du Wahrneh-mer der äußeren Schatten?

Wenn du sie nicht kennst, bist du verloren.

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Auf dem vierten Pfad wird schon die leich-teste Brise einer Leidenschaft oder einesBegehrens das stete Licht auf den reinen,weißen Wänden der Seele zum Flackernbringen. Die kleinste Welle des Verlangensoder des Bedauerns in Hinblick auf dietäuschenden Gaben M¥y¥s, entlang demAntaskarana – dem Pfad, der zwischendeinem Geist und dir selbst liegt, der Haupt-straße der Eindrücke, den ungestümenErregern des Ahank¥ra 14 – ein einzigerGedanke, flüchtig wie der Blitz, wird dich umdeine drei Preise bringen – Preise, die duschon gewonnen hattest.

Wisse vor allem, das EWIGE kennt keinenWechsel.

»Gib die acht schrecklichen Trübsale fürimmer auf, sonst kannst du mit Sicherheitweder Weisheit noch Befreiung erlangen«,sagt der große Herr, der Tath¥gata derVollkommenheit, »der den Fußspuren seinerVorgänger folgte« 15.

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Die Vir¥ga-Tugend verlangt Festigkeit undist mühevoll. Wenn du ihren Pfad meisternwillst, mußt du dein Denken und deineEmpfindungen in weit größerem Maße alsvorher davor bewahren, in einen falschenZustand zu geraten.

Du mußt dich selbst mit reinem Alaya sätti-gen, eins werden mit dem Seelen-Gedankender Natur. Wenn du damit eins bist, bist duunbesiegbar. Bleibst du davon getrennt, wirstdu zum Spielplatz von Samvriti 16, demUrsprung aller weltlichen Täuschungen.

Mit Ausnahme der reinen, leuchtendenEssenz Alayas ist im Menschen alles un-beständig. Der Mensch ist sein (d. h. Alayas)*kristallener Strahl, im Innern ein Strahlunbefleckten Lichts und auf seiner niederenAußenseite eine materielle Form aus Staub.Dieser Lichtstrahl ist dein Lebensführer unddein wahres Selbst, der Wächter und der stilleDenker, das Opfer deines niederen Selbst.

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* Anmerkung der Übersetzer.

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Deine Seele kann keinen Schaden nehmen, essei denn durch deinen irrenden Körper. Kon-trolliere und beherrsche beide, dann bist dusicher, wenn du dich dem »Tor des Gleich-gewichts« näherst.

Sei guten Mutes, wagemutiger Pilger »zumanderen Ufer«! Beachte nicht die Einflüste-rungen von M¥ras Scharen. Weise dieVersucher ab, jene bösartigen Geister, dieeifersüchtigen Lhamayin 17 im grenzenlosenRaum.

Sei standhaft! Du näherst dich jetzt dermittleren Pforte, dem Tor des Schmerzes mitseinen zehntausend Fallstricken.

Sei Herrscher über deine Gedanken, dunach Vollkommenheit Strebender, wenn duseine Schwelle überschreiten willst.

Sei Meister über deine Seele, du nach ewigenWahrheiten Suchender, wenn du das Zielerreichen willst.

Richte den Blick deiner Seele fest auf dasEine, Reine Licht, das Licht, das frei ist von

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Affektion und benütze deinen goldenenSchlüssel. ...

* * *

Das einsame Werk ist getan, deine Arbeitfast erfüllt. Der weite Abgrund, der sich auf-tat, dich zu verschlingen, ist fast überbrückt. …

* * *

Jetzt hast du den Wallgraben überschritten,der das Tor der menschlichen Leidenschaftenumgibt. Jetzt hast du M¥ra und seine wildeSchar besiegt.

Du hast die Unreinheit aus deinem Herzengetilgt und es von unreinem Verlangen ent-leert. Deine Aufgabe, glorreicher Kämpfer, istjedoch noch nicht erfüllt. Baue den Wall hoch,Lanu, der die Heilige Insel* umgeben soll, denDamm, der deinen Geist beim Nachdenken

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* Das Höhere Ego oder das denkende Selbst.

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über das vollbrachte große Werk vor Stolzund Befriedigung beschützen soll.

Ein Gefühl von Stolz würde das Werk ver-nichten. Ja, baue ihn stark, damit der heftigeAnsturm der stürmischen Wogen, die sich ausdem großen Ozean der Welt M¥y¥s auftür-men und an seine Ufer schlagen, den Pilgerund die Insel nicht gänzlich verschlingen– selbst wenn der Sieg bereits errungen ist.

Deine »Insel« ist das Reh, deine Gedankensind die Hunde, die es erschöpfen und es aufseinem Weiterlauf zum Strom des Lebensverfolgen. Wehe dem Reh, das von denkläffenden Feinden eingeholt wird, ehe es dasTal der Zuflucht – Dhy¥na-M¥rga, den »Pfadder reichen Erkenntnis«, erreicht hat.

Ehe du dich im Dhy¥na-M¥rga18 niedergelas-sen und ihn dein eigen nennen kannst, mußdeine Seele gleich der reifen Mango-Fruchtwerden: so weich und süß wie ihr helles,goldenes Fleisch für anderer Weh; so hart wieihr Kern, was deine eigenen Schmerzen und

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Sorgen betrifft, Überwinder von Wohl undWeh.

Mache deine Seele stark gegen die Fallstrickedes Selbst. Verdiene ihr den Namen »DiamantSeele« 19.

Denn wie der Diamant, tief im pochendenHerzen der Erde vergraben, niemals die irdi-schen Lichter widerspiegeln kann, so sind deinGeist und deine Seele; versunken in Dhy¥na-M¥rga, dürfen sie nichts vom illusionärenReich M¥y¥s widerspiegeln.

Wenn du diesen Zustand erreicht hast,werden sich die Pforten, die du auf dem Pfadnoch überwinden mußt, weit vor dir auftunund dich hindurchlassen. Selbst die stärkstenKräfte der Natur besitzen keine Macht, deinenLauf aufzuhalten. Du wirst der Meister dessiebenfachen Pfades sein: jedoch erst dann, oKandidat unsäglicher Prüfungen.

Bis dahin aber erwartet dich noch eine weitschwerere Aufgabe: Du mußt dich selbst alsALL-GEDANKE fühlen und doch alle Gedankenaus deiner Seele verbannen.

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Du mußt die Festigkeit des Geistes errei-chen, in die keine Brise, wie stark sie auchimmer sein mag, einen irdischen Gedankennach Innen wehen kann. So gereinigt, muß derSchrein von aller Tätigkeit, von jeglichemLaut oder von irdischem Licht entleert sein.Wie der Schmetterling, vom Frost übermannt,leblos auf die Schwelle fällt – so müssen alleirdischen Gedanken vor dem Tempel tot zurErde sinken.

Sieh’, so steht geschrieben:

»Ehe die goldene Flamme mit stetem Lichtbrennen kann, muß die Lampe gut behütet aneinem windgeschützten Ort stehen«*. Denwechselnden Winden ausgesetzt, wird derLichtstrahl flackern und die zuckende Flam-me wird dunkle und ständig wechselndeSchatten auf den weißen Schrein der Seelewerfen.

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* Bhagavad-G}t¥.

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Und dann, der du der Wahrheit folgst, wirdsich deine niedere Vernunft-Seele* wie eintobsüchtiger, im Dschungel wütender Elefantgebärden. Die Waldbäume für lebende Feindehaltend, richtet er sich bei seinen Versuchen,die wechselvollen, an den sonnenbeschienenenFelswänden tanzenden Schatten zu töten,selbst zugrunde.

Sei auf der Hut, damit deine Seele in derSorge um das SELBST nicht ihren Halt auf demBoden des Deva-Wissens verliert.

Hüte dich, damit deine Seele, das SELBST

vergessend, nicht die Kontrolle über denschwankenden Gehirnverstand** verliert undsich so um die gebührende Frucht ihrer Siegebringt.

Hüte dich vor dem Wechsel! Denn derWechsel ist dein großer Feind. Dieser Wechsel

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* In der englischen Originalausgabe steht mind-soul(Anmerkung der Übersetzer).

** In der englischen Originalausgabe steht mind (Anmer-kung der Übersetzer).

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wird dich bekämpfen, dich vom Pfad hinweg-führen, den du beschritten hast und dich tief indie zähen Sümpfe des Zweifels zurückwerfen.

Bereite dich vor und sei beizeiten gewarnt.Wenn du es versucht und dabei versagt hast, ofurchtloser Kämpfer, verliere nicht den Mut:Kämpfe aufs neue und greife wieder undwieder an.

Ein furchtloser Kämpfer, dessen kostbaresLebensblut bereits aus den offenen, klaffendenWunden schießt, wird, selbst wenn es den Todbedeutet, trotzdem noch versuchen, den Feindaus den Schanzen zu treiben und zu siegen.Tut desgleichen, alle, die ihr versagt undleidet, handelt wie er! Treibt alle eure Feindeaus dem Bollwerk eurer Seele – den Ehrgeiz,den Zorn, den Haß und selbst den Schatteneines Wunsches – auch wenn es euch bis jetztnoch nicht gelang. …

Erinnere dich, du Kämpfer für die Befrei-ung 20 des Menschen, jeder Fehlschlag ist einErfolg und jeder aufrichtige Versuch bringt

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mit der Zeit seinen Lohn. Die heiligenSamenkörner, die ungesehen in des SchülersSeele sprießen und wachsen, treiben nachjeder neuen Prüfung stärkere Triebe. Siebiegen sich wie Schilfrohr, aber sie brechennie. Sie können niemals vernichtet werden.Doch wenn die Stunde kommt, erblühensie.21…

* * *

Wenn du vorbereitet kamst, dann habekeine Furcht.

* * *

Ab jetzt liegt dein Weg klar vor dir. Er führtdich durch das V}rya-Tor, die fünfte dersieben Pforten. Du bist nun auf dem Weg, derzum Zufluchtsort Dhy¥nas führt, zursechsten, der Bodhi Pforte.

Weiß und durchscheinend wie ein Alaba-stergefäß ist das Dhy¥na-Tor. Im Innerenbrennt dort ein stetes, gold´nes Feuer, dieFlamme Prajñ¥s, die aus ªtman strahlt.

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Du selbst bist dieses Gefäß.

Du hast dich von den Sinnesgegenständenabgewandt, hast den »Pfad des Sehens«, den»Pfad des Hörens« durchmessen und stehstim Licht der Erkenntnis. Jetzt hast du denTitiksh¥ Zustand 22 erreicht.

Naljor, du bist gerettet.

* * *

Wisse, o Besieger der Sünden, sobald einSowani 23 den siebenten Pfad vollendet hat,erbebt die ganze Natur in freudiger Ehrfurchtund fühlt sich überwunden. Der Silbersternfunkelt die Kunde gleich den nächtigen Blütenzu, das Bächlein murmelt´s zu den Kieseln;des Ozeans dunkle Wogen tragen sie brausendzu den wellenumbrandeten Klippen; duftbela-dene Brisen singen es zu Tal und majestätischeTannen flüstern das Geheimnis leis: »Ein Mei-ster ist entstanden, ein MEISTER DES TAGES« 24.

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Er steht nun gleich einer weißen Säule nachWesten gewandt. Auf sein Antlitz ergießt dieaufgehende Sonne unsterblicher Ideen ihreersten, herrlichsten Strahlen. Sein Geist, demstillen und grenzenlosen Ozean gleich, weitetsich im uferlosen Raum. Leben und Tod hälter in seiner starken Hand.

Ja, Er ist mächtig. Die in ihm befreite, leben-dige Kraft, die Macht, die ER SELBST ist, kanndas Tabernakel der Illusion hoch über dieGötter erheben, hoch über den großenBrahm¥ und Indra. Nun ist sein großer Lohnihm sicher!

Soll er die Gaben, die daraus hervorgehen,nicht zur eigenen Ruhe und Wonne verwen-den, zu seinem wohlverdienten Wohl undRuhm – er, der die große Täuschung über-wand?

Nein, o Anwärter auf das verborgene Wissender Natur! Wenn einer den Fußstapfen desheiligen Tath¥gata folgen will, dann gehörendiese Gaben und Kräfte nicht dem Selbst.

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Willst du die dem Sumeru 25 entsprungenenWasser aufstauen? Willst du den Strom zudeinem eigenen Vorteil ablenken oder ihn aufden Wellenkämmen der Zyklen zu seinerUrsprungsquelle zurückschicken?

Wenn du willst, daß dieser Strom aus schwererrungener Erkenntnis, aus himmelsgeborenerWeisheit, frisch fließendes Wasser bleibt, dannlasse es nicht zu einem stehenden Teichwerden.

Wisse, wenn du ein Mitarbeiter vonAmit¥bha, der »Grenzenlosen Zeit« werdenwillst, dann mußt du das erlangte Licht, gleichden zwei Bodhisattvas 26, auf den Bereich allerdrei Welten 27 ergießen.

Wisse, der Strom übermenschlicher Erkennt-nis und die von dir erworbene Deva-Weisheitmüssen von dir, dem Kanal Alayas, in einanderes Bett geleitet werden.

Wisse, o Naljor, du vom Geheimen Pfad,seine reinen, frischen Wasser müssen dazubenutzt werden, die salzigen Wogen des

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Ozeans süßer zu machen – jenes mächtigeMeer der Trübsal, gebildet aus der MenschenTränen.

Ach! Wenn du erst einmal wie ein Fixsternin des Himmels höchster Höhe geworden bist,muß jener prächtige, himmlische Stern aus denTiefen des Raumes für alle strahlen – nicht fürsich selbst. Gib allen Licht, von keinem abernimm es!

Ach! Wenn du erst einmal wie der reineSchnee der Bergtäler geworden bist, kalt undgefühllos gegen Berührung, warm und schüt-zend für die Saat, die tief unter seinem Busenschlummert – dann muß dieser Schnee jetztden beißenden Frost, die Stürme aus demNorden aushalten und die Erde, dieverheißungsvoll die Ernte in sich birgt, die denHungrigen ernähren soll, vor deren scharfem,eisigen Zahn beschützen.

Aus eigener Entscheidung verurteilt,während weiterer Kalpas* zu leben, ohne

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* Zyklen von Zeitaltern.

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Dank, von Menschen unbemerkt, als Steineingekeilt mit zahllosen anderen Steinen, dieden »Schutzwall« 28 bilden – das ist deineZukunft, wenn du das siebente Tor durch-schreitest. Erbaut von den Händen vielerMeister des Mitleids, aus ihren Qualen auf-gerichtet, mit ihrem Blut zementiert, schützter die Menschheit, seit der Mensch zumMenschen geworden, bewahrt sie vor zukünf-tigem, weit größerem Elend und Leid.

Dennoch sieht ihn der Mensch nicht, nimmtihn nicht wahr. Niemand wird auf das Wortder Weisheit achten – denn niemand kennt es.

Du aber hast es vernommen, du weißt alles,du, dessen strebende Seele ohne Arg ist. … Dumußt wählen. So höre denn weiter.

Auf Sowans Pfad, o Srot¥patti* bist du inSicherheit. Ja, hinter jenem M¥rga** auf demdem müden Pilger nur Finsternis begegnet,auf dem, von Dornen aufgerissen, Blut von

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* Sowan und Srot¥patti sind gleichbedeutende Ausdrücke.** M¥rga-»Pfad«.

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den Händen tropft, die Füße wund von schar-fen, unnachgiebigen Steinen sind und M¥raseine stärksten Waffen schwingt – liegt eingroßer, unmittelbarer Lohn.

Ruhig und unbewegt gleitet der Pilger aufdem Strom dahin, der zum Nirv¥na führt. Erweiß, je mehr seine Füße bluten, desto weißerwäscht er sich selbst. Er weiß nach siebenkurzen und flüchtigen Geburten ist Nirv¥nasein. ...

So beschaffen ist der Dhy¥na-Pfad, derschützende Hafen des Yogi, das erhabene Ziel,das die Srot¥pattis erflehen.

Anders aber ist es, wenn er sich für denªryahata-Pfad* entschieden und ihn betretenhat.

Auf ihm wird Kle‚a 29 für immer zerstört,werden Tanh¥s 30 Wurzeln ausgerissen. Doch,Schüler, warte… noch ein Wort! Könntest dugöttliches MITLEID austilgen? Mitleid ist kein

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* Abgeleitet vom Sanskritwort Arhat oder Arhan.

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Attribut. Es ist das GESETZ der Gesetze –ewige Harmonie, Alayas SELBST; eine uferlose,universale Essenz, das Licht immerwährendenRechts, die Folgerichtigkeit aller Dinge, dasGesetz ewiger Liebe.

Je mehr du eins mit ihm wirst, je mehr du inseinem SEIN aufgehst, je mehr sich deine Seelemit dem was IST vereinigt, desto mehr wirst duselber ABSOLUTES MITLEID 31 verkörpern.

Solcher Art ist der ªrya-Pfad, der Pfad derBuddhas der Vollkommenheit.

Was meinen wohl die heiligen Rollen, wennsie dir sagen lassen:

»OM! Ich glaube, daß nicht alle Arhats nachder süßen Frucht verlangen, die auf dem PfadNirv¥nas wächst.«

»OM! Ich glaube, daß nicht alle Buddhas inden Nirv¥na-Dharma eintreten«.* 32

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* Thegpa Chenpoido, »Mah¥y¥na S¡tra«, Invocations to theBuddhas of Confession, Part I., IV.

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»Gewiß, auf dem ªrya-Pfad bist du keinSrot¥patti mehr, du bist ein Bodhisattva 33. DerStrom ist überschritten.Wahr ist’s, du hast einRecht auf das Dharmak¥ya-Gewand. Aberder Sambogak¥ya ist größer als ein Nirv¥niund noch größer ist ein Nirm¥nak¥ya – derBuddha des Mitleids 34.

Nun neige dein Haupt und höre wohl, oBodhisattva – das Mitleid spricht und sagt:»Kann Seligkeit bestehen, wenn alles leidenmuß, was lebt? Willst du, den Schmerzens-schrei der ganzen Welt vernehmend, gerettetsein?«

Du hast gehört, was gesagt wurde.

Du mußt die siebente Stufe erreichen unddas Tor der letztgültigen Erkenntnis durch-schreiten, aber nur, um dich mit dem Leid zuverbinden. Wenn du ein Tath¥gata werdenmöchtest, folge den Schritten deiner Vorgän-ger und bleibe selbstlos bis zum endlosenEnde.

Du bist erleuchtet – wähle deinen Weg.94

Page 95: Die Stimme der Stille

* * *

Sieh’ auf das milde Licht, das den östlichenHimmel überflutet! In Zeichen des Lob-preisens vereinigen sich Himmel und Erde.Und von den vierfach manifestierten Mächtenerhebt sich ein Gesang der Liebe, sowohl ausdem flammenden Feuer als auch vom fließen-den Wasser, von der süß duftenden Erde undvom rauschenden Wind.

Horch!... Aus dem tiefen, unergründbarenWirbel des goldenen Lichts, in dem der Siegerbadet, erhebt sich in tausend Tönen der ALL-

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NATUR wortlose Stimme und verkündet:FREUDE SEI MIT EUCH, O MENSCHEN VON

MYALBA 35.

EIN PILGER IST ZURÜCKGEKEHRT »VOM

ANDEREN UFER«.

EIN NEUER ARHAN 36 IST GEBOREN...

Friede allen Wesen 37.

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GLOSSAR ZU TEIL I

Die Stimme der Stille

1) Das Paliwort Iddhi ist mit dem Sans-kritwort Siddhi sinnverwandt. Es bezeichnetpsychische Fähigkeiten, abnormale Kräfte imMenschen. Es gibt zwei Arten von Siddhis.Eine Gruppe umfaßt die niederen, einfachenpsychischen und mentalen Energien, die ande-re erfordert die höchste Schulung spirituellerKräfte. Krishna sagt im Shrimad Bhagavat:

»Wer Yoga ausübt, wer seine Sinne unter-worfen und sein Gemüt auf mich (Krishna)konzentriert hat, einem solchen Yogi stehenalle Siddhis zur Verfügung.«

2) Die »Tonlose Stimme« oder die »Stim-me der Stille«. Wörtlich übersetzt müßte manvielleicht »Stimme im spirituellen Ton« lesen,da N¥da im Sanskrit das entsprechende Wortfür die Bezeichnung im Senzar ist.

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3) Dh¥ran¥ ist die intensive und voll-kommene Konzentration des Geistes auf eininneres Objekt, begleitet von völliger Außer-achtlassung von allem, was dem äußerenUniversum oder der Welt der Sinne angehört.

4) Der »große Meister« ist eine von denLanus oder Chelas gebrauchte Bezeichnungfür das »Höhere Selbst«. Sie ist gleichbedeu-tend mit Avalokite‚vara und dasselbe wie ªdi-Buddha bei den buddhistischen Okkultisten,wie ªTMAN, das »Selbst« (das Höhere Selbst)bei den Brahmanen und CHRISTOS bei denalten Gnostikern.

5) Seele steht hier für das menschliche Egooder Manas, das, worauf in unserer okkultensiebenfachen Einteilung als auf die »mensch-liche Seele« (Siehe Die Geheimlehre) imGegensatz zur spirituellen oder tierischenSeele hingewiesen wird.

6) Mah¥ M¥y¥ ist die große »Illusion«,das objektive Universum.

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7) Sakk¥yaditthi ist die »Selbsttäu-schung« der Persönlichkeit.

8) Attav¥da, die Ketzerei des Glaubens andie Seele oder vielmehr an die Getrenntheitder Seele oder des Selbst von dem Einen,Universalen, Unendlichen SELBST.

9) Tattva-jñ¥nin ist der »Kenner oder derUnterscheider der Prinzipien in der Naturund im Menschen. Ein ªtma-jñ¥nin ist einer,der ªTMAN oder das Universale, EINE SELBST

kennt.10) Kala Hamsa, der »Vogel« oder Schwan

(siehe Nr. 12). Wie die N¥da-Bindu Upani-shad (Rig Veda), übersetzt von der Theoso-phischen Gesellschaft in Kumbakonam, sagt:»Die Silbe A wird als sein (des Vogels Hamsa)rechter, U als sein linker Flügel, M als seinSchwanz erachtet und der Ardham¥tr¥ (Halb-messer) soll sein Kopf sein.«

11) Ewigkeit hat für die Menschen desOrients eine ganz andere Bedeutung als beiuns. Dieses Wort steht gewöhnlich für die 100Jahre oder das »Lebensalter« Brahm¥s, die

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Dauer eines Kalpa oder eine Periode von 4320000000 Jahren.

12) Die schon erwähnte N¥da-Bindu sagt:»Ein Yogi, der den Hamsa besteigt (somitüber Aum nachsinnt), ist von karmischen Ein-flüssen oder ungezählten Sünden unberührt.«

13) Gib das Leben der physischen Persön-lichkeit auf, wenn du im Geistigen leben willst.

14) Die drei Zustände des Bewußtseins,nämlich J¥grat, der Wachzustand, Svapna, derTraumzustand und Sushupti, der Tiefschlaf-zustand. Diese drei Yogi-Zustände führenzum vierten oder –

15) dem Tur}ya, dem Zustand jenseits derTraumlosigkeit, dem über allen anderen stehen-den höchstspirituellen Bewußtseinszustand.

16) Einige Sanskrit-Mystiker lokalisierendie sieben Daseinsebenen, die sieben spirituel-len Lokas oder Welten in den Körper vonKala Hamsa, den Schwan außerhalb von Zeitund Raum, der, wenn er anstelle Brahma (neu-

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trum) zu Brahm¥ wird, sich in den Schwaninnerhalb der Zeit verwandelt.

17) Nur die phänomenale Welt der Sinnes-erscheinungen und des irdischen Bewußtseins.

18) Die Astralregion, die psychische Weltder übersinnlichen Wahrnehmungen und dertrügerischen Gesichte – die Welt der Medien.Sie ist bei Éliphas Lévi die große »AstraleSchlange«. Keine in jenen Regionen gepflückteBlüte wurde je zur Erde herabgebracht, ohnedaß sich deren Schlange um den Stengelringelte. Es ist die Welt der Großen Illusion.

19) Die Region des unbeschränkt spirituel-len Bewußtseins, ab der es keine Gefahr mehrfür den gibt, der sie erreicht hat.

20) Der Initiierte, der den Schüler auf-grund des Wissens, das er ihm gibt, zu seinerspirituellen oder zweiten Geburt führt, wirdVater guru oder Meister genannt.

21) Ajñ¥na ist Unwissenheit oder Nicht-Weisheit, das Gegenteil von Jñ¥na, »Wissen«.

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22) M¥ra ist in exoterischen Religionen einDämon, ein Asura. In der esoterischen Philo-sophie stellt er die personifizierte Versuchungdurch die menschlichen Laster dar. Wörtlichübersetzt bedeutet M¥ra »das, was die Seeletötet«. Er wird als König (der M¥ras) mit einerKrone dargestellt, in der ein Juwel mit sol-chem Glanz strahlt, daß er jene blendet, dieihn ansehen. Natürlich bezieht sich dieserGlanz auf die Faszination, die das Laster aufgewisse Naturen ausübt.

23) Die innere Kammer des Herzens, imSanskrit Brahmapura genannt. Die »feurigeKraft« ist Kundalin}.

24) Die »Kraft« und die »Weltmutter« sindAusdrücke für Kundalin}, eine der mystischen»Yogi Kräfte«. Sie ist Buddhi als ein aktives,nicht als passives Prinzip betrachtet. (Als pas-sives Prinzip gilt es gemeinhin, wenn es als dasVehikel oder der Behälter des Höchsten Gei-stes, ªTMA angesehen wird). Kundalin} ist eineelektro-spirituelle Kraft, eine schöpferischeKraft, die ebenso leicht töten wie auch erschaf-fen kann, wenn sie zur Tätigkeit erweckt wird.

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25) Khe-Chara – »Himmelswanderer«oder »Himmelsreisender«. Wie in dem6. Adhy¥ya des Jñ¥ne‚var} beschrieben, diesembedeutsamsten der mystischen Werke, wirdder Körper des Yogi wie vom Wind geformt,wie »eine Wolke, aus der Glieder herauswach-sen«, wonach »er (der Yogi) die Dinge jenseitsder Meere und Sterne sieht. Er hört die Spracheder Devas und begreift sie. Er erfaßt selbst, wasim Gemüt der Ameise vorgeht.«

26) V}n¥ ist ein der Laute ähnliches indi-sches Saiteninstrument.

27) Die sechs Prinzipien. Damit ist gemeint,wenn die niedere Persönlichkeit vernichtetund die innere Individualität in das siebentePrinzip, den Geist, eingetaucht ist und sich inihm verloren hat.

28) Der Schüler ist eins mit Brahm¥ oderªTMAN.

29) Die Astralform, erzeugt vom k¥mischenPrinzip, der K¥ma r¡pa oder der Begierden-körper.

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30) M¥nasa r¡pa. Während sich die erstereForm auf das astrale oder persönliche Egobezog, ist jetzt die Individualität oder dasreinkarnierende Ego gemeint. Sein Bewußtseinauf unserer Ebene, im niederen Manas, mußman unwirksam machen.

31) Kundalin} wird die »schlangenartige«oder ringförmige Kraft genannt, weil sie sichim Körper des Asketen, der diese Kraft in sichentwickelt, spiralartig äußert oder wirkt. Sieist eine elektrisch-feurige, okkulte oder foha-tische Kraft, die große, ursprüngliche Energie,die aller organischen und anorganischenMaterie zugrunde liegt.

32) Dieser »Pfad« ist in allen mystischenWerken erwähnt. Wie Krishna im Jñ¥ne‚var}sagt: »Wenn dieser Pfad erblickt wird… obman zur Schönheit des Ostens oder zu denGemächern des Westens auszieht, wandeltman bereits auf ihm, Bogenhalter, ohne derBewegung zu bedürfen. Dieser Pfad liegt, woimmer man sich befindet, stets im eigenenSelbst.« »Du bist der Pfad«, wird zum Adept-

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Guru gesagt und letzterer sagt nach der Initia-tion zum Schüler dasselbe. »Ich bin der Wegund der Pfad«, sagt ein anderer MEISTER.

33) Adeptschaft – die »Bodhisattva-Blüte«.

34) Tanh¥ – »der Lebenswille«, die Todes-furcht und die Liebe zum Leben, die Kraft oderEnergie, die die Wiedergeburten verursacht.

35) Diese mystischen Töne oder Melodien,die vom Asketen am Beginn seines Meditati-onszyklusses gehört werden, werden von denYogis An¥hata-‚abda genannt.

36) Dies heißt, daß auf der sechsten Ent-wicklungsstufe, im okkulten System Dh¥ran¥genannt, jeder Sinn als individuelle Fähigkeitauf dieser Ebene »unwirksam gemacht« (oderausgelöscht werden ) und in den SiebentenSinn, den spirituellsten aller Sinne, eingehenund in ihm aufgehen muß.

37) Siehe Anmerkung 3.

38) Jede Entwicklungsstufe im R¥ja Yogawird durch eine geometrische Figur symboli-

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siert. Die hier erwähnte ist das heilige Dreieckund geht Dh¥ran¥ voraus. Das ist dasZeichen der hohen Chelas; eine andere Drei-ecksart symbolisiert hohe Initiierte. Es ist dasSymbol »I«, von dem Buddha sprach und dasvon ihm als ein Symbol der verwirklichtenForm des Tath¥gata verwendet wurde, nach-dem dieser von den drei Methoden der Prajñ¥befreit worden war. Wenn der Schüler dieallerersten und niederen Stufen überschrittenhat, sieht er das nicht mehr, sondern –, dieAbkürzung von –, die ganze Siebenheit. Diewahre Form des Symbols wird hier nicht gege-ben, da es sonst sicherlich von einigen Scharla-tanen aufgegriffen und – für betrügerischeZwecke benützt – entheiligt werden würde.

39) Der Stern, der über dem Haupt flammt,ist »der Stern der Initiation«. Das Kastenzei-chen der ºaivas oder der Sektenanhängerºivas, des großen Schutzherrn aller Yogis, istein schwarzer, runder Fleck, heutzutage viel-leicht das Symbol der Sonne, in alten Zeitenbedeutete es jedoch im Okkultismus den Sternder Initiation.

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40) Die Grundlage (up¥dhi) der immerunerreichbaren »FLAMME«, solange der Asketnoch in diesem Leben weilt.

41) Dhy¥na ist die vorletzte Stufe auf dieserErde, vorausgesetzt, man wird ein vollkom-mener MAHªTMA. Wie bereits gesagt, ist sichder R¥ja-Yogi auf dieser Stufe spirituell nochdes Selbst und der Tätigkeit seiner höherenPrinzipien bewußt. Einen Schritt weiter under wird auf der Ebene jenseits der siebenten(oder der vierten, wie einige Schulen sagen)sein. Diese Schulen geben nach der Ausübungvon Praty¥h¥ra, einer vorbereitenden Übungzur Gefühls- und Gedankenkontrolle, folgen-de Aufzählung: Dh¥ran¥, Dhy¥na undSam¥dhi, wobei sie diese drei unter demSammelbegriff SANNYªSA zusammenfassen.

42) Sam¥dhi ist der Zustand, in dem derAsket das Bewußtsein jeder Individualität,einschließlich seiner eigenen, verliert. Er wird– das ALL.

43) Die »vier Wahrheiten« sind im nörd-lichen Buddhismus: Ku, »Leiden oder Elend«,

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Tu, »die Ansammlung der Versuchungen«,Mu, »ihre Vernichtung« und Tau, »der Pfad«.Die »fünf Hindernisse« sind: Die Erkenntnisdes Leidens, die Wahrheit über die mensch-liche Gebrechlichkeit, die bedrückendenHemmnisse und die absolute Notwendigkeitder Trennung von allen Banden der Leiden-schaft, selbst der Wünsche. Der »Pfad derErlösung« ist das letzte Hindernis.

44) Am Tor der »Versammlung« steht derKönig der M¥ras, der Mah¥ M¥ra und suchtden Kandidaten durch den Glanz seines»Juwels« zu blenden.

45) Dies ist der vierte »Pfad« von den fünfPfaden der Wiedergeburt, die alle Menschenbeständig in Zustände der Sorge und Freudeführen, bzw. stürzen. Diese »Pfade« sind nurUnterteilungen des einen Pfades, dem Karmafolgt.

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GLOSSAR ZU TEIL II

Die zwei Pfade1) Die zwei Schulen der Lehre Buddhas,

die esoterische und die exoterische, vertretendementsprechend die »Herzenslehre« und die»Augenlehre«. In China – von dort erreichtendie Bezeichnungen Tibet – bezeichnete Bodhi-dharma ihre Anhänger als Tsung-Menschen(die Esoterische Schule) und die Kiau-Men-schen (die Exoterische Schule). Die erstere ist sobenannt, weil sie die Lehre ist, die aus GautamaBuddhas Herz hervorging, während die»Augenlehre« das Werk seines Kopfes oderVerstandes war. Die »Herzenslehre« wird auch»das Siegel der Wahrheit« oder das »wahreSiegel« genannt, ein Symbol, das am Anfangfast aller esoterischen Werke zu finden ist.

2) »Baum der Erkenntnis« ist ein Titel,der von den Anhängern des Bodhidharma(der Weisheitsreligion) jenen gegeben wird,die den Gipfel mystischer Erkenntnis erlangthaben – den Adepten. N¥g¥rjuna, der

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Gründer der M¥dhyamika Schule, wurde der»Drachenbaum genannt, weil der Drache alsSymbol der Weisheit und Erkenntnis gilt. DerBaum wird verehrt, weil Buddha unter demBodhibaum (Weisheitsbaum) seine Geburtund Erleuchtung empfing, seine erste Predigthielt und starb.

3) Das »Geheime Herz« ist die esoteri-sche Lehre.

4) »Diamant-Seele« – »Vajrasattva« ist einTitel des höchsten Buddha, des »Herrn allerMysterien«, auch Vajradhara oder ªdi-Buddha genannt.

5) SAT, die eine, ewige und absoluteWirklichkeit und Wahrheit; alles übrige istTäuschung.

6) Aus der Lehre von Shen-hsiu, die dasmenschliche Denken mit einem Spiegel ver-gleicht, da dieser jedes Atomstäubchenanzieht und widerspiegelt. Es muß daher, wieein Spiegel, täglich überwacht und entstaubtwerden. Shen-hsiu war der sechste Patriarch

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Nordchinas. Er lehrte die esoterische Lehredes Bodhidharma.

7) Das reinkarnierende Ego wird von dennördlichen Buddhisten der »wahre Mensch«genannt. Durch die Vereinigung mit seinemHöheren Selbst wird dieser – ein Buddha.

8) »Buddha« bedeutet »der Erleuchtete«.

9) Siehe Anmerkung 1. Der exoterischeBuddhismus der Massen.

10) Die gebräuchliche Formel, die denbuddhistischen Schriften vorangestellt wird.Sie bedeutet, das das Folgende durch direktemündliche Überlieferung von Buddha undden Arhats überliefert wurde.

11) Rathap¥la, der große Arhat, spricht inder Legende Rathap¥la S¡trasanne so seinenVater an. Aber alle derartigen Legenden sindallegorisch aufzufassen (so hat z. B. Rathap¥lasVater ein Haus mit sieben Türen), daher dieWarnung an jene, die sie wortwörtlich lesen.

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12) Das »Höhere Selbst«, das »siebentePrinzip«.

13) Unsere physischen Körper werden inden mystischen Schulen »Schatten« genannt.

14) Ein Einsiedler, der sich in die Dschun-gel zurückzieht und im Wald lebt, um einYogi zu werden.

15) Julaï ist der chinesische Name fürTath¥gata, ein Titel der auf jeden Buddhaangewandt wird.

16) Alle nördlichen und südlichen Über-lieferungen berichten übereinstimmend, daßBuddha seine Einsamkeit aufgab, als er dasProblem des Lebens gelöst hatte – d. h. dieinnere Erleuchtung erlangte – und fortan dieMenschheit öffentlich belehrte.

17) Jedes spirituelle EGO ist nach derEsoterischen Lehre ein Strahl eines »Planeten-geistes«.

18) »Persönlichkeiten« oder physischeKörper, »Schatten« genannt, sind vergänglich.

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19) Der Intellekt (Manas), das Denk-prinzip oder das EGO im Menschen wirdzum »Wissen« selbst in Beziehung gebracht,weil die menschlichen Egos M¥nasa-putras,Söhne des (universalen) Intellekts genanntwerden.

20) Siehe Teil III, Anmerkung 34 usw.

21) Ebenda.

22) Das Shangna-Gewand hat seinenNamen von Shangnavesu aus Rajagriha, demdritten, großen Arhat oder »Patriarchen«, wiedie Orientalisten die Hierarchieglieder derdreiunddreißig Arhats nennen, die denBuddhismus verbreiten, »Shangna Gewand«bedeutet, bildlich gesprochen, die Erlangungvon Weisheit, mit der das Nirv¥na der Auslö-schung (der Persönlichkeit) erlangt wird. Esbedeutet buchstäblich das »Initiationsge-wand« der Neophyten. Edkins erklärt, daßdieses »Grasgewand« während der Tong-Dynastie von Tibet nach China gebrachtwurde. »Wenn ein Arhan geboren wird, findet

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man diese Pflanze an einem reinen Ortwachsen« sagt die chinesische wie auch dietibetische Legende.

23) Den »P¥ramit¥-Pfad ausüben« bedeu-tet, zunächst ein Yogi und später ein Asket zuwerden.

24) »Morgen« bedeutet die folgendeWiedergeburt oder Reinkarnation.

25) »Große Reise« oder der ganze, vollstän-dige Zyklus der Existenzen in einer »Runde«.

26) Nyima bedeutet in der tibetischenAstrologie die Sonne. Migmar oder Mars wirddurch ein »Auge« und Lhagpa oder Merkurdurch eine »Hand« symbolisch dargestellt.

27) Ein Srot¥patti oder »einer, der in denStrom Nirv¥nas eintritt«, kann Nirv¥na seltenin einer einzigen Geburt erlangen, es sei denn,er erreicht das Ziel auf Grund außergewöhn-licher Umstände. Man sagt, daß ein Chela, derin einem Leben beginnt, sich Anstrengungenzu widmen, die ihn nach oben führen, diese

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erst in der siebenten darauffolgenden Geburterfolgreich abgeschlossen, bzw. bewältigt hat.

28) Bedeutet das persönliche, niedere»Selbst«.

29) T}rthikas sind Angehörige brahmani-scher Sekten »jenseits« des Himalaya; von denBuddhisten im heiligen Land, Tibet, werdensie »Ungläubige« genannt und ebenso um-gekehrt.

30) Unbegrenzte Vision oder psychisches,übermenschliches Sehen. Einem Arhan wirddie Fähigkeit zugeschrieben, alles aus der Ent-fernung ebensogut wie aus der Nähe »sehen«und erkennen zu können.

31) Siehe unter Anmerkung 22: Shangna-Pflanze.

32) Das »Lebende« ist das unsterbliche,höhere Ego und das »Tote« das niederepersönliche Ego.

33) Siehe unter Teil III, Anmerkung 34.

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34) Das »Geheime Leben« führen bedeu-tet, als ein Nirm¥nak¥ya zu leben.

35) Der »Offene«- und der »GeheimePfad« – der erstere ist der den Laien gelehrte,der exoterische und allgemein übliche. DieNatur des anderen, des Geheimen Pfades,wird bei der Initiation erklärt.

36) Menschen, die von den esoterischenWahrheiten und der esoterischen Weisheitnichts wissen, werden die »lebendig Toten«genannt.

37) Siehe Teil III, Anmerkung 34.

38) Pratyeka Buddhas sind jene Bodhisatt-vas, die nach dem Dharmak¥ya-Gewand stre-ben und es nach einer Reihe von Leben auch ofterreichen. Da sie sich um das Leid der Mensch-heit und seine Linderung nicht kümmern, viel-mehr nur um ihre eigene Seligkeit, gehen sie inNirv¥na ein und – verschwinden aus den Augenund Herzen der Menschen. Im nördlichenBuddhismus ist ein »Pratyeka-Buddha« gleich-bedeutend mit spiritueller Selbstsucht.

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GLOSSAR ZU TEIL III

Die sieben Pforten1) Ein Up¥dhy¥ya ist ein spiritueller

Unterweiser, ein Guru. Die nördlichen Bud-dhisten wählen dieselben gewöhnlich unterden Naljor, heiligen Männern, Lehrern derGeheimen Weisheit, die in gotrabh¡jñ¥na undJñ¥na-dar‚ana-‚uddhi bewandert sind.

2) Y¥na bedeutet Fahrzeug. Mah¥y¥na istdaher das »Große Fahrzeug« und Hin¥y¥nadas »Kleine Fahrzeug«. Dies sind im nörd-lichen Buddhismus die Namen für die beidenSchulen religiöser und philosophischerGelehrsamkeit.

3) ºr¥vaka ist ein Hörer oder ein Studie-render, der an den religiösen Unterweisungenteilnimmt. Das Wort ist von der Wurzel »Sru«abgeleitet. Wenn diese Studierenden von derTheorie zur Praxis oder zur Ausübung derAskese übergehen, werden sie Sramanas,»Ausübende«, abgeleitet vom Wort Srama,

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was soviel wie Handlung bedeutet. WieHardy zeigt, entsprechen die zwei Benennun-gen den Griechischen Worten ακουστικοι ’und ασκηται’ .

4) Samtan (tibetisch) ist das gleiche wie dieSanskritbezeichnung Dhy¥na oder der Zustandder Meditation. Davon gibt es vier Stufen.

5) P¥ramit¥s, die sechs transzendentalenTugenden. Für die Priester gibt es zehn.

6) Srot¥patti – »derjenige, der in denStrom eingetreten ist, der zum nirv¥nischenMeer führt«. Dieser Name bezeichnet denersten Pfad. Der Name des zweiten Pfades istSakrid¥g¥min-Pfad, ihn geht »derjenige, der(nur) noch einmal geboren wird«. Der drittewird An¥g¥min genannt. Ihn geht »derjenige,der nicht mehr wiederverkörpert wird«, es seidenn, er wünscht dies, um der Menschheit zuhelfen. Der vierte Pfad ist der, den ein Rahatoder Arhat beschreitet. Dies ist der höchstePfad. Ein Arhat erlangt Nirv¥na noch währendseines Lebens. Für ihn ist es kein Bewußtseins-zustand, den er erst nach dem Tode erfährt,

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sondern ein Zustand von Sam¥dhi, in dem eralle nirv¥nische Seligkeit erfährt.*

7) Die »Ankunft am Ufer« ist bei dennördlichen Buddhisten gleichbedeutend mitdem Erreichen Nirv¥nas, durch die Ausübungder sechs oder zehn P¥ramit¥s (Tugenden).

8) Die »MEISTER-SEELE« ist Alaya, dieUniversal-Seele oder ªtman. Jeder Menschträgt einen Strahl davon in sich. Es wirdangenommen, daß er fähig ist, sich mit ihr zuidentifizieren und zu verschmelzen.

9) Antaskarana ist das niedere Manas, derPfad der Kommunikation oder der engenGemeinschaft zwischen der Persönlichkeit

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* Wie wenig man sich hinsichtlich der richtigen Worte undBedeutung auf die Orientalisten verlassen kann, kann amBeispiel dreier »sogenannter« Autoritäten gezeigt werden.So werden die gerade erklärten vier Namen von R. SpenceHardy wie folgt gegeben: 1. Sow¥n; 2. Sakrad¥g¥mi;3. An¥g¥mi und 4. Arya. Bei Rev. J. Edkins heißen sie:1. Sro-t¥panna; 2. Sagardagam; 3. An¥g¥min und 4. Arhan.Schlagintweit schreibt sie wiederum anders, wobei nochbemerkt werden muß, daß jeder den Ausdrücken eineandere, neue Bedeutungsvariante beilegt.

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und dem höheren Manas, d. h. der mensch-lichen Seele. Beim Tode wird es als Kommuni-kationspfad oder -mittel zerstört. SeineÜberreste überleben in einer Form als dasK¥ma-R¡pa – die »Hülse«.

10) Die nördlichen Buddhisten und in derTat alle Chinesen finden in dem tiefenRauschen einiger der großen und heiligenStröme den Grundton der Natur. Daher derVergleich. In der Physik wie auch im Okkul-tismus gilt es als wohlbekannte Tatsache, daßdas Gesamtgeräusch der Natur – vernommenim Tosen großer Flüsse, im Geräusch derwogenden Baumwipfel großer Wälder oderim Lärm einer entfernt liegenden Großstadt –ein bestimmter Einzelton von ganz genaufeststellbarer Höhe ist. Dies ist Physikern undMusikern gut bekannt. So zeigt Prof. Rice(Chinese Music), daß die Chinesen diese Tat-sache schon vor Jahrtausenden kannten. Siesagten, daß »die vorüberrauschenden Wasserdes Hoangho den kung ertönen lassen wür-den«, der in der chinesischen Musik »der

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große Ton« genannt wird. Er zeigt weiter, daßdieser Ton dem F entspricht, das »von moder-nen Physikern als der tatsächliche Grundtonder Natur betrachtet wird.« Dies wird auchvon Prof. B. Silliman in seinen Principles ofPhysics erwähnt. Er sagt, daß »dieser Ton fürdas mittlere F des Klaviers gehalten werdenmuß; es muß daher als der Grundton in derNatur gelten.«

11) Die Bhöns oder Dugpas, die Sekte der»Rotkappen« werden als die erfahrenstenZauberer betrachtet. Sie leben in West- undKleintibet, sowie in Bhutan. Sie sind alleTantriker. Es ist geradezu grotesk, wie Orien-talisten, die die Grenzländer Tibets besuchthaben, wie z. B. Schlagintweit und andere, dieRiten und abstoßenden Gebräuche der Rot-kappen mit den religiösen Überzeugungen deröstlichen Lamas, der »Gelbkappen« und ihrerNaljors oder heiligen Männer verwechseln.Die nächste Anmerkung gibt ein Beispiel.

12) Dorje entspricht dem SanskritwortVajra. Es ist eine Waffe oder ein Instrument in

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der Hand einiger Götter (der tibetischenDragshed, der Devas, die die Menschenbeschützen). Man schreibt ihr dieselbenokkulten Kräfte der Luftreinigung durch Ver-treibung übler Einflüsse zu, wie dem in derChemie bekannten Ozon. Es bezeichnet auchein Mudr¥, eine Hand– und Sitzstellung, diebei der Meditation eingenommen wird. Es istkurz gesagt, ein Symbol der Macht überunsichtbare, üble Einflüsse, ob nun als Kör-perhaltung oder als Talisman. Die Bhöns oderDugpas, die sich das Symbol aneigneten,mißbrauchen es jedoch für Zwecke derschwarzen Magie. Bei den »Gelbkappen« oderGelugpas ist es, wie das Kreuz bei denChristen, ein Machtsymbol. Dies ist keines-falls »abergläubisch«. Bei den Dugpas ist es,wie das umgekehrte doppelte Dreieck, dasZeichen der Zauberei.

13) Vir¥ga ist das Gefühl absoluten Gleich-muts gegenüber dem objektiven Universum,gegenüber Lust und Schmerz, »Abneigung«drückt seine Bedeutung nicht aus, ist begriff-lich jedoch damit verwandt.

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14) Ahank¥ra – das »Ich« oder unserPersönlichkeitsgefühl, das »Ichbewußtsein«.

15) Die genaue Bedeutung des NamensTath¥gata ist: »Einer, der in den Fußstapfenseiner Vorgänger wandelt oder jener, die vorihm kamen«.

16) Samvriti ist die eine der zwei Wahrhei-ten, die den illusionären Charakter oder dieLeerheit aller Dinge darlegt. In diesem Falle istes relative Wahrheit. Die Mah¥y¥na-Schulelehrt den Unterschied zwischen diesen beidenWahrheiten – Param¥rtha-satya und Samvriti-satya (Satya bedeutet »Wahrheit«). Dies ist derZankapfel zwischen den M¥dhyamikas undden Yog¥ch¥ryas, wobei die ersteren verneinenund die letzteren behaupten, daß jedes Dingauf Grund einer vorhergegangenen Ursacheoder durch eine Verkettung von Ursache undWirkung besteht. Die M¥dhyamikas sind diegroßen Nihilisten und Verneiner. Für sie istjedes Ding parikalpita, eine Täuschung und einIrrtum in der Welt der Gedanken, im subjekti-ven wie auch im objektiven Universum. Die

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Yog¥ch¥ryas sind die großen Spiritualisten.Deshalb ist Samvriti, als lediglich relativeWahrheit, der Ursprung aller Illusion.

17) Lhamayin sind Elementale und böseGeister, den Menschen entgegenstehend undfeindlich.

18) Dhy¥na-M¥rga heißt wörtlich Dhy¥na-Pfad, d. h. der Pfad reiner Erkenntnis, der zuParam¥rtha oder Sva-samvedana führt, der»unmittelbar selbsterkennenden oder selbst-analysierenden Reflektion«.

19) Siehe Glossar zu Teil II, Anmerkung 4.Über den Dhy¥ni-Buddhas steht die »Dia-mant-Seele« oder der Vajradhara.

20) Dies ist eine Anspielung auf einen imOsten weitverbreiteten Glauben (der übrigensauch im Westen vorhanden ist), daß jeder hin-zukommende Buddha oder Heilige ein neuerKämpfer in der Heerschar jener ist, die für dieBefreiung oder Erlösung der Menschen arbei-ten. In den Ländern des nördlichen Buddhis-mus, wo die Lehre von den Nirm¥nak¥yas

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verbreitet ist – von jenen Bodhisattvas, die aufdas wohlverdiente Nirv¥na oder das Dhar-mak¥ya-Gewand verzichten (durch beideswürden sie für immer von der Menschenweltabgeschnitten), um der Menschheit unsichtbarbeizustehen und sie schließlich dem Para-nirv¥na zuzuführen –, wird jeder neue Bodhi-sattva oder initiierte, große Adept ein»Menschheitsbefreier« genannt. Die vonSchlagintweit in seinem »Buddhism in Tibet«gegebene Erklärung, der Prulpai Ku oder der»Nirm¥nak¥ya« sei »der Körper, in demBuddhas oder Bodhisattvas auf Erden erschei-nen, um die Menschen zu belehren« – istsinnwidrig, ungenau und erklärt nichts.

21) Ein Hinweis auf menschliche Leiden-schaften und Sünden, die während derPrüfungen in der Probezeit überwunden werdenund als gut vorbereiteter Boden dienen, in dem»heilige Keime« oder Samen transzendentalerTugenden sprießen können. Präexistente oderangeborene Tugenden, Talente oder Geistes-gaben werden als Eigenschaften betrachtet, die ineiner früheren Geburt erworben wurden. Genie

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ist ausnahmslos eine Begabung oder Fähigkeit,die aus einer früheren Geburt stammt.

22) Titiksh¥ ist der fünfte R¥ja-YogaZustand – ein Zustand höchsten Gleichmuts;wenn notwendig, Unterwerfung unter »dieallgemeinen Freuden und Schmerzen« ohnejedoch Freude und Schmerz aus einer solchenUnterwerfung zu ziehen – kurz, es bedeutetphysisch, mental und moralisch gleichmütigund gleichgültig gegenüber Freud oder Leidzu werden.

23) Ein Sowani ist einer, der Sowan ausübt,einer, der den ersten Pfad in Dhy¥na beschrei-tet. Der Ausdruck ist gleichbedeutend mitSrot¥patti.

24) »Tag« bedeutet hier ein ganzes Manvan-tara, eine Periode von unvorstellbarer Dauer.

25) Der Berg Meru, der heilige Berg derGötter.

26) In der nordbuddhistischen Symbologiewird von Amit¥bha oder dem »GrenzenlosenRaum« (Parabrahman) gesagt, er habe in

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seinem Paradies zwei Bodhisattvas – Kwan-Shai-Yin und Tashishi – die beständig Lichtauf die drei Welten, in denen sie lebten, unsereeigene eingeschlossen (siehe Anmerkung 27),ausbreiten, um mit diesem Licht (der Erkennt-nis) bei der Unterweisung der Yogis zu helfen,die ihrerseits Menschen erlösen werden. Ihreerhabene Stellung in Amit¥bhas Reich beruht,der Allegorie zufolge, auf barmherzigenTaten, die die beiden vollbrachten, als sie nochals Yogis auf Erden lebten.

27) Diese drei Welten sind die drei Ebenendes Seins, die irdische, die astrale und diespirituelle Ebene.

28) Der »Schutzwall« oder »Abwehrwall«. Eswird gelehrt, daß die angesammelten Anstren-gungen langer Generationen von Yogis, Heili-gen und Adepten, besonders der Nirm¥nak¥yassozusagen eine Schutzmauer um die Mensch-heit geschaffen haben, die diese unsichtbar vornoch schlimmeren Übeln schützt.

29) Kle‚a ist die allgemeine, oft unmora-lische Vergnügungssucht oder die Liebe zuweltlichem Genuß.

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30) Tanh¥ ist der Wunsch zu leben, das,was Wiedergeburt erzeugt.

31) Dieses »Mitleid« darf nicht im gleichenLicht wie Gott, die göttliche Liebe derTheïsten betrachtet werden. Mitleid steht hierals ein abstraktes, unpersönliches Gesetz, des-sen Wesen, absolute Harmonie, durch Streit,Leid und Sünde in Verwirrung gebracht wird.

32) In der nordbuddhistischen Ausdrucks-weise werden alle großen Arhats, Adeptenund Heilige als Buddhas bezeichnet.

33) In der Hierarchie steht ein Bodhisattvatiefer als ein »vollkommener Buddha«. Inexoterischer Redeweise werden diese beiden(Ausdrücke) sehr oft verwechselt. Die natür-liche und richtige volkstümliche Auffassungstellt jedoch einen Bodhisattva – auf Grundjenes Selbstopfers – in der Verehrung übereinen Buddha.

34) »Buddhas des Mitleids« nennt diegleiche volkstümliche Verehrung jene Bodhi-sattvas, die, nachdem sie den Rang einesArhats erreicht haben (d. h. den vierten oder

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siebenten Pfad vollendeten), sich weigern, inden nirv¥nischen Zustand einzugehen oder»das Dharmak¥ya-Gewand anzulegen undzum anderen Ufer überzusetzen«, weil es dannaußerhalb ihrer Macht läge, den Menschen bei-zustehen – selbst in dem geringen Maße, dasKarma gestattet. Sie ziehen es vor, unsichtbar(sozusagen geistig) in der Welt zu bleiben undzur Erlösung der Menschen beizutragen,indem sie diese beeinflussen, dem GutenGesetz zu folgen, d. h. sie auf den Pfad derRechtschaffenheit führen. Es ist Bestandteildes exoterischen nördlichen Buddhismus, allederart großen Charaktere als Heilige zu vereh-ren und ihnen sogar Gebete darzubringen, wiees die Griechen und Katholiken mit ihrenHeiligen und Schutzpatronen tun. Die esoteri-schen Lehren lehnen Derartiges jedoch ab.Zwischen den beiden Lehren besteht eingroßer Unterschied. Der exoterische Laie kenntschwerlich die wirkliche Bedeutung des Wor-tes Nirm¥nak¥ya – daher die Verwirrung unddie unzutreffenden Erklärungen der Orientali-sten. Schlagintweit glaubt z. B., daß der

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Nirm¥nak¥ya-Körper die von den Buddhasbei ihrer Verkörperung auf Erden angenom-mene Form sei – »die am wenigsten erhabeneihrer irdischen Hüllen« (siehe »Buddhism inTibet«) – und entwickelt dann eine völligfalsche Anschauung über den Gegenstand. Diewirkliche Lehre ist jedoch die folgende:

Die drei Buddhischen Körper oder Formensind:

1. Nirm¥nak¥ya2. Sambhogak¥ya3. Dharmak¥ya

Der erste ist jene ätherische Form, die einerannähme, wenn er beim Verlassen seines physi-schen Körpers in seinem Astralkörper erschei-nen würde – wobei er zusätzlich das Wisseneines Adepten besitzt. Der Bodhisattva ent-wickelt ihn in sich in dem Maße, wie er auf demPfad fortschreitet. Nachdem er das Ziel erreichtund seinen Früchten entsagt hat, verbleibt er aufder Erde als ein Adept; wenn er stirbt, verbleibter, anstatt in Nirv¥na einzugehen, in jenem glor-reichen Körper, den er sich selbst gewebt hat,

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unsichtbar für die uneingeweihte Menschheit,um über sie zu wachen und sie zu beschützen.

Sambhogak¥ya ist der gleiche Körper, abermit dem zusätzlichen Glanz der »drei Voll-kommenheiten«, von denen eine das völligeEntrücktsein von allen irdischen Angelegen-heiten ist.

Der Dharmak¥ya-Körper ist der eines voll-ständigen Buddha, d. h. er ist überhaupt keinKörper, sondern ein idealer Hauch: Bewußt-sein, verschmolzen mit dem Universal-Bewußtsein oder Seele bar jeglichen Attributs.Sobald er einmal ein Dharmak¥ya ist, läßt derAdept oder Buddha jede mögliche Verbin-dung zu dieser oder jeglichen Gedanken fürdiese Erde hinter sich. Um also der Mensch-heit helfen zu können, »verzichtet« der Adept,der das Recht auf Nirv¥na erworben hat,mystisch gesprochen, »auf den Dharmak¥ya-Körper«. Er behält vom Sambhogak¥ya nurdas große, vollständige Wissen und verbleibtin seinem Nirm¥nak¥ya-Körper. Die esoteri-sche Schule lehrt, daß Gautama Buddha mit

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mehreren seiner Arhats solch einNirm¥nak¥ya ist. Auf Grund der großen Ent-sagung und des Opfers für die Menschheit istkein höherer bekannt.

35) Myalba ist unsere Erde – von der eso-terischen Schule bezeichnenderweise »Hölle«genannt, die größte aller Höllen. Die esoteri-sche Lehre kennt keine Hölle oder keinenanderen Ort der Bestrafung außer einenmenschentragenden Planeten oder die Erde.Av}chi ist ein Zustand, keine Örtlichkeit.

36) Dies bedeutet, daß ein neuer, weitererErlöser der Menschheit geboren wurde, derdie Menschen am Ende des Lebensszykluszum endgültigen Nirv¥na führen wird.

37) Dies ist eine der Variationen der For-mel, die jeder Abhandlung, Anrufung oderUnterweisung unabänderlich folgt: »Friedeallen Wesen«, »Segen allem, das da lebt«, usw.,usw.

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