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52 eine sogenannte traumatisierte Coalitio, typischerweise bestehen persistierende Beschwerden längerfristig nach einem inadäquaten OSG-Distorsionstrauma, die trotz an- gemessener Schienenbehandlung keine Regredienz zei- gen. Dies sind typischerweise auch die Fälle, die zu einer deutlich verschleppten Diagnose führen mit teilweise bis zu zweijährigen Schmerzen ohne adäquater Therapie. Die tarsale Coalitio im Wachstumsalter – eine häufig nicht erkannte Problematik Die sogenannte tarsale Coalitio ist eine patho- logische Verbindung zwischen einem oder mehreren Knochen im Rückfussbereich, die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen verursachen kann. Die sicher häufigsten Coalitionen sind die patholo- gischen Verbindungen zwischen dem Calcaneus und dem Naviculare einerseits (ca. 70 Prozent) und dem Cal- caneus und dem Talus (ca. 30 Prozent) als sogenannte subtalare Coalitio andererseits. Die Inzidenz beträgt ca. 0,03 –1 Prozent laut aktueller Literatur. Die Ätiologie der tarsalen Coalitio ist unklar. Es wird gene- rell davon ausgegangen, dass es sich um eine Segmentati- onsstörung des Fussknochens handelt. Klinik Die tarsalen Coalitionen werden häufig in der Jugend zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr symptomatisch. Die frühzeitigeren symptomatischen Coalitionen sind sel- ten und werden daher am häufigsten verkannt. Die bei uns am häufigsten diagnostizierten Coalitionen (Coalitio calcaneonaviculare und Coalitio talocalcaneare) zeigen typischerweise eine unterschiedliche Symptomatik. Wäh- rend bei der calcaneonavicularen Coalitio ein deutlicher Schmerz im Bereich des Sinus tarsi wie auch unmittelbar über der calcaneonavicularen Brücke (lateraler Fussrü- cken) besteht und Schmerzen vor allem bei forcierten Bewegungen im Chopardgelenk ausgelöst werden, zei- gen sich bei der subtalaren Coalitio vor allem lokalisierte Schmerzen unter der Innenknöchelspitze und besonders bei Bewegungen im unteren Sprunggelenk. Beide Coa- litionen bewirken typischerweise eine mehr oder weni- ger vollständige Einschränkung der USG-Beweglichkeit. Es handelt sich meist um einen sogenannten rigiden Plattfuss. Typischerweise steht die Ferse deutlich val- gisch, die lateralen Fussheber und vor allem die perone- ale Gruppe zeigt sich sekundär spastisch, der Fuss kann weder aktiv noch passiv korrigiert werden (Abb. 1). Zu- dem ist häufig die Triceps-surae-Muskulatur verkürzt. Im Wesentlichen hängt die klinische Symptomatik mit dem Ausprägungsgrad der Coalitio zusammen. Zeigt sich eine fibröse bzw. fibrokartilaginäre Coalitio, ist die Beschwer- desymptomatik häufig deutlicher ausgeprägt, als wenn sich bereits eine annähernd vollständige knöcherne Über- bauung dieser Zone zeigt. In einigen Fällen besteht auch Fachbericht Kinderorthopädie Abb. 1: Bei vorliegender subtalarer Coalitio zeigt sich links keine Varisierung der Ferse im Zehenspitzenstand; es zeigt sich das Bild eines steifen Plattfusses. Sicherung der Diagnose Der mit dieser Problematik vertraute Kinderorthopäde kann bereits aufgrund der Anamnese und Klinik einen hochgra- digen Verdacht auf eine Coalitio stellen. Die primäre Dia- gnostik ist nativradiologisch. Hierbei zeigt sich bei der Coalitio calcaneonaviculare häufig sehr klar die typische Verbindung zwischen dem vorderen Calcaneus- und dem lateralen Naviculareanteil im Röntgen- bild (Schrägaufnahme – Abb. 2). In Einzelfällen ist diese Verbindung nicht klar sichtbar, vor allem, wenn diese noch rein fibrös oder fibrokartilaginär vorliegt. In diesen Fällen empfiehlt sich eine MRI-Unter-

Die tarsale Coalitio im Wachstumsalter – eine häufig nicht erkannte

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eine sogenannte traumatisierte Coalitio, typischerweise bestehen persistierende Beschwerden längerfristig nach einem inadäquaten OSG-Distorsionstrauma, die trotz an-gemessener Schienenbehandlung keine Regredienz zei-gen. Dies sind typischerweise auch die Fälle, die zu einer deutlich verschleppten Diagnose führen mit teilweise bis zu zweijährigen Schmerzen ohne adäquater Therapie.

Die tarsale Coalitio im Wachstumsalter – eine häufig nicht erkannte Problematik Die sogenannte tarsale Coalitio ist eine patho­logische Verbindung zwischen einem oder mehreren Knochen im Rückfussbereich, die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen verursachen kann. Die sicher häufigsten Coalitionen sind die patholo-gischen Verbindungen zwischen dem Calcaneus und dem Naviculare einerseits (ca. 70 Prozent) und dem Cal-caneus und dem Talus (ca. 30 Prozent) als sogenannte subtalare Coalitio andererseits. Die Inzidenz beträgt ca. 0,03 –1 Prozent laut aktueller Literatur.

Die Ätiologie der tarsalen Coalitio ist unklar. Es wird gene-rell davon ausgegangen, dass es sich um eine Segmentati-onsstörung des Fussknochens handelt. KlinikDie tarsalen Coalitionen werden häufig in der Jugend zwischen dem 12. und 16. Lebensjahr symptomatisch. Die frühzeitigeren symptomatischen Coalitionen sind sel-ten und werden daher am häufigsten verkannt. Die bei uns am häufigsten diagnostizierten Coalitionen (Coalitio calcaneonaviculare und Coalitio talocalcaneare) zeigen typischerweise eine unterschiedliche Symptomatik. Wäh-rend bei der calcaneonavicularen Coalitio ein deutlicher Schmerz im Bereich des Sinus tarsi wie auch unmittelbar über der calcaneonavicularen Brücke (lateraler Fussrü-cken) besteht und Schmerzen vor allem bei forcierten Bewegungen im Chopardgelenk ausgelöst werden, zei-gen sich bei der subtalaren Coalitio vor allem lokalisierte Schmerzen unter der Innenknöchelspitze und besonders bei Bewegungen im unteren Sprunggelenk. Beide Coa-litionen bewirken typischerweise eine mehr oder weni-ger vollständige Einschränkung der USG-Beweglichkeit. Es handelt sich meist um einen sogenannten rigiden Plattfuss. Typischerweise steht die Ferse deutlich val-gisch, die lateralen Fussheber und vor allem die perone-ale Gruppe zeigt sich sekundär spastisch, der Fuss kann weder aktiv noch passiv korrigiert werden (Abb. 1). Zu-dem ist häufig die Triceps-surae-Muskulatur verkürzt. Im Wesentlichen hängt die klinische Symptomatik mit dem Ausprägungsgrad der Coalitio zusammen. Zeigt sich eine fibröse bzw. fibrokartilaginäre Coalitio, ist die Beschwer-desymptomatik häufig deutlicher ausgeprägt, als wenn sich bereits eine annähernd vollständige knöcherne Über-bauung dieser Zone zeigt. In einigen Fällen besteht auch

Fachbericht Kinderorthopädie

Abb. 1: Bei vorliegender subtalarer Coalitio zeigt sich links keine Varisierung der Ferse im Zehenspitzenstand; es zeigt sich das Bild eines steifen Plattfusses.

Sicherung der DiagnoseDer mit dieser Problematik vertraute Kinderorthopäde kann bereits aufgrund der Anamnese und Klinik einen hochgra-digen Verdacht auf eine Coalitio stellen. Die primäre Dia-gnostik ist nativradiologisch.

Hierbei zeigt sich bei der Coalitio calcaneonaviculare häufig sehr klar die typische Verbindung zwischen dem vorderen Calcaneus- und dem lateralen Naviculareanteil im Röntgen-bild (Schrägaufnahme – Abb. 2).

In Einzelfällen ist diese Verbindung nicht klar sichtbar, vor allem, wenn diese noch rein fibrös oder fibrokartilaginär vorliegt. In diesen Fällen empfiehlt sich eine MRI-Unter-

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Kinderorthopädie

suchung (Abb. 3). In Einzelfällen führen wir zur Diagno-sesicherung eine Infiltration im calcaneonavicularen Übergangsbereich durch. Zeigt sich eine unmittelbare Schmerzlinderung, ist die Diagnose gesichert.

TherapieDie Therapie richtet sich nach Klinik und dem Ausmass der Coalitio. In den meisten Fällen ist eine operative The-rapie notwendig, um die Beschwerden zu beseitigen. Während sich die Coalitio calcaneonaviculare durch eine ausreichende Resektion und gegebenenfalls Interposi-tion von Fettgewebe in den meisten Fällen unkompliziert beherrschen lässt, ist der operative Zugang zur meist medialseitig gelegenen talocalcanearen Coalitio diffiziler. Primär muss, um das geeignete Prozedere richtig bestim-men zu können, das Ausmass der subtalaren Coalitio be-stimmt werden. Erfahrungsgemäss lässt eine Coalitio, die über ein Drittel der (grösseren) hinteren Gelenksfacette des Subtalargelenks betrifft, keine Resektion mehr zu.

Abb. 2: Coalitio calcaneonaviculare (Pfeil) vor und nach der Resektion.

Abb. 3: Im MRI zeigt sich die pathologische Verbindung im medialseitigen Bereich des unteren Sprunggelenks (Pfeil).

Hier sollte eher eine subtalare Arthrodese in Erwägung gezogen werden. In den Fällen, bei denen schon sekun-däre Deformitäten des Fussskeletts aufgetreten sind, müssen diese gesondert – meist im Sinne von Plattfuss-operationen – adressiert werden.

Die richtige Nachbehandlung ist essenziell. Sobald die postoperative Schmerzsituation es zulässt, sollte der Fuss zumindest teilbelastet werden, um ein Frührezidiv zu vermeiden. Häufig sind auch vorübergehend varisierende Fussorthesen notwendig.

FazitDie Rückfusscoalitio wird sehr häufig übersehen und führt zu einer meist langen Leidensgeschichte, bis die richtige Behandlung durchgeführt wird. Persistierende Rückfussbeschwerden und zunehmende Bewegungs-einschränkungen subtalar und im calcaneonavicularen Übergangsbereich sowie rigide Knick-Senk-Füsse müs-sen weiter abgeklärt werden.