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Die Terraner

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Band 8

Die Terraner

von Hubert Haensel

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Sommer 2036: Terrania ist ein Zukunftstraum, derMillionen von Menschen fasziniert. Diese Visionentsteht mitten in der Wüste Gobi, weitab von denZentren der Ziviliation. Mithilfe von Robotern, dieihm Außerirdische zur Verfügung gestellt haben,erbauen Perry Rhodan und seine Gefährten eineStadt, die einmal das Zentrum der geeintenMenschheit werden soll.

Derzeit hält sich aber nur ein Außerirdischer aufder Erde auf. Es ist Crest, der arkonidischeWissenschaftler, und er steht vor dem höchstenamerikanischen Gericht in Washington, DC. DieJustiz betrachtet ihn als Staatsfeind, dieaufgehetzte Öffentlichkeit will seinen Tod.

Perry Rhodan entwickelt einen tollkühnen Plan, mitdem er Crest befreien will. Dabei setzt er auf

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dem er Crest befreien will. Dabei setzt er aufMenschen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten, essind die Mutanten. Aber noch jemand schmiedetPläne: die Arkonidin Thora. Sie hat auf der Venuseine uralte Station gefunden. Mit ihren mächtigenWaffen zieht sie in den Kampf ...

Nimm dir Zeit, um zu träumen.

Das ist der Weg zu den Sternen.

(Irische Volksweisheit)

Prolog

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Die Nacht war voller Geräusche. Ein Rascheln,Raunen und Wispern drang von draußen herein,dazwischen der heisere Schrei eines Vogels.Irgendetwas musste ihn aufgeschreckt haben.

Walter Breck fand keinen Schlaf. Die Hände imNacken verschränkt, blickte er zum provisorischenDach seiner windschiefen Hütte hinauf.

Der Lehm zwischen den gebündeltenZypressenästen hielt nicht. Es war einedilettantische Konstruktion, aber wenigstens einSchutz gegen die immer greller stechende Sonne.In diesem Jahr gab es fast keine Ozonschicht mehrüber Florida und der Karibik, die Zahl derHautkrankheiten stieg weiter an.

War das tatsächlich so unbedeutend, wie diePolitik es beharrlich verkündete?

»Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,fürchte ich kein Unglück ...« Stockend murmelteBreck vor sich hin. Dieser eine fromme Satz warbereits mehr, als er in den letzten Jahren jemals

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über die Lippen gebracht hatte.

»... fürchte ich kein Unglück ...«

Er wusste nicht weiter, wühlte in den verstaubtenWinkeln seines Gedächtnisses nach den dazupassenden Worten. Er war nie gläubig gewesen, injungen Jahren nur ein Mitläufer, und als er die Weltrichtig verstanden hatte ...

»Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgenmein Leben lang!« Das brachte er gerade nochhervor, dann versiegte seine Erinnerung an denPsalm vollends.

... da hatte er sich urplötzlich gefragt, wann dieWahrheit so schrecklich zurechtgebogen wordenwar. Gab es einen Gott, der die Erde und dieMenschen als sein Ebenbild erschaffen hatte? DieVorstellungswelt der Kreationisten war wie seineHütte im verlassenen ÜberschwemmungsgebietFloridas: schief, brüchig, ohne Fundament. Dernächste Hurrikan würde davon nichts übrig lassen.

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»Mein Leben lang ...«, wiederholte er stockend.

In der Nähe stimmten Ochsenfrösche ihrdröhnendes Konzert an. Es störte ihn kaum, erhatte sich schnell daran gewöhnt.

Von den Astbündeln scheinbar in Streifengeschnitten, spannte sich der Himmel über ihm.Nur wenige Sterne waren zu sehen. Breck kanntesie nicht und wollte nicht einmal wissen, welchenSternbildern sie angehörten. Seit der Sache aufdem Mond hatte er mit allem abgeschlossen.

Aliens waren für ihn der Inbegriff der Furcht.

Was wollten sie?

Vor allem: Wie sahen die Fremden wirklich aus?Dass sie den Menschen gleichen sollten wie ein Eidem anderen, hielt Breck für eine bewussteTäuschung. Eher waren sie gefräßigeSpinnenmonster. Oder schuppenbewehrte Echsen.Auf jeden Fall die Vorboten der Apokalypse.

Sie waren hier, um den Menschen die Erde

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Sie waren hier, um den Menschen die Erdewegzunehmen. Das Schiff auf dem Mond stelltenur die Vorhut ihrer Invasionsflotte dar, einKundschafter. Es konnte gar nicht anders sein.

Walter Breck war davon überzeugt, dass bald dieMetropolen der Welt brennen würden: New York.Tokio. Paris ... Solche Bilder verfolgten ihn seitseiner Jugend. Filme zeigten längst, wie es seinwürde, wenn riesige, angreifende Raumschiffe dieSonne verdunkelten. Wenn EnergieschüsseWolkenkratzer aufrissen und Feuerwalzen durchStraßenschluchten tobten.

Wie groß war das Raumschiff der Fremden aufdem Mond? Eine Kugel mit fünfhundert MeternDurchmesser – gigantisch! Der Präsident hatteverkündet, das Schiff sei zerstört. Aber WalterBreck traute ihm nicht. Und selbst wennDrummond die Wahrheit sagte: Was, wenn dieArtgenossen der Fremden kamen, um Rache zunehmen?

Flackernde Helligkeit durchbrach dieWandgeflechte, die Hütte schien sich in der jähen

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Lichtfülle aufzulösen. Breck schrie auf.

Sekunden später herrschte wieder Düsternis. Daswar wie in den entsetzlichen Szenen in seinerErinnerung, die er nicht mehr loswurde. Um diesesEntsetzen nicht erleben zu müssen, hatte er sichweit von allen Siedlungen in menschenleeresGebiet zurückgezogen.

Kennedy Space Center, das einstigeRaumfahrtzentrum, war wegen des steigendenMeeresspiegels aufgegeben worden.

Endzeitstimmung, so hatte Breck es empfunden,als er vor wenigen Tagen mit einemangeschwemmten Boot hinausgerudert war. DieAnlagen der ehemaligen Cape Canaveral AirForce Station standen bald zwei Meter unterWasser. Cocoa Beach und Daytona Beachexistierten nicht mehr, Orlando war zu einem Kaffverkommen, das bestenfalls den Charme einervergessenen Welt ausstrahlte. Abgesehen vom

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Süden, dem Bereich um Fort Lauderdale undMiami, lag der Bundesstaat Florida in Agonie, einesterbende Region.

Das Lärmen der Ochsenfrösche war verstummt.Die Natur hielt den Atem an. Ein düsteres rötlichesFlackern quoll durch die Ritzen herein. Breckerschien es wie der Schein einer Feuersbrunst.

Im Space Center gab es genügend Hallen undTankanlagen, womöglich lagerten dort bis heuteexplosive Stoffe.

Walter Breck kam eine Spur zu schnell auf dieBeine. Ein leichtes Schwindelgefühl ließ ihntaumeln, doch er fing sich rasch. Er griff nachseiner Stablampe und der doppelläufigenschweren Flinte, mit der er sich jede Gefahr vomHals halten konnte.

Die großen Pythons, die schon Ende des letztenJahrhunderts in den Everglades ihr Unwesengetrieben hatten, waren in ganz Florida zurBedrohung geworden. Aber vor allem Alligatoren

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tummelten sich im Bereich des einstigenWeltraumbahnhofs, und es waren massigeExemplare unter ihnen.

Die Stille blieb, als Breck die Tür aufstieß. KeinVogelschwarm stob vor ihm auf, wie das sonst derFall war, sobald die rostigen Angeln knarrten. Derfahle Widerschein des Mondes reichte aus, dienähere Umgebung einigermaßen erkennen zulassen. Alles schien in Ordnung zu sein. Trotzdemging Breck zurück und schichtete aus demMunitionskarton zwei Dutzend Patronen in dieTaschen seiner Cargohose um.

Die Hütte am Rand eines Zypressenwäldchenswar aus der Luft kaum zu erkennen. Hin undwieder dröhnten Hubschrauber über dasweitläufige Areal hinweg, aber zur Landungangesetzt hatte bislang keine dieser Maschinen.Breck nahm an, dass Geowissenschaftler nur denZustand der Dämme kontrollierten, mit denenversucht worden war, dem steigenden

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Meeresspiegel zu begegnen.

Drüben, beim ehemaligen Startkomplex 39, warendie Schutzwälle bis zu fünf Meter hochaufgeschüttet. Das Meer war trotzdem zu denStartrampen vorgedrungen und umflutete sogardas monströse Hangargebäude.

Nur wenige Kilometer trennten Breck von demverfallenden NASA-Gelände. Als erhierhergekommen war, hatte er zwar überlegt, obihm die Gebäude besseren Unterschlupf bietenkonnten, den Gedanken jedoch schnell verworfen.Die Gefahr, dass die Aliens einen Angriff auf dieseAnlagen fliegen würden, erschien ihm zu groß.Aber so gesehen war er ohnehin zu nahe dran.

Unvermittelt war das Leuchten wieder da.

Wie eine aufquellende Blase wölbte es sich in dieHöhe, schlaff im einen Moment, sich kugelförmigaufblähend im nächsten.

Die Erscheinung schimmerte wie flüssiges Silber.

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Schlieren entstanden auf der Oberfläche ...verwischten ... und das alles erschien ihm, alsleuchtete es von innen heraus.

Breck hatte so etwas nie zuvor gesehen.

Es war – futuristisch. Gehörte nicht auf die Erde.

Alles in ihm drängte danach, sich umzudrehen unddavonzulaufen. Er konnte es nicht. Wie gelähmtstand er da und starrte hinüber zu demStartkomplex.

Die Kugel löste sich vom Boden. Breck zog denVergleich, dass sie gewaltig sein musste. Er sahdie verlassenen Gebäude zwar nur schemenhaft,doch das genügte für einen Größenvergleich.

Vierzig bis fünfzig Meter Durchmesser.

Wie groß war das Beiboot gewesen, mit dem dieArkonidin Thora die chinesische Armeeangegriffen hatte? Sechzig Meter. Das hatte er inden Medien mitbekommen, während er in dieEinsamkeit floh. Eine erdrückende Größe, die er

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Einsamkeit floh. Eine erdrückende Größe, die ersich nun erst richtig vorstellen konnte.

Die Kugel gewann an Höhe. Sie ragte schon überdas Hangargebäude hinaus und veränderte ihreFarbe erneut, zum blutroten Schimmer eines aufder Erde unbekannten Metalls.

Erschreckend war die absolute Lautlosigkeit. Breckwartete auf das Dröhnen schwererSchubtriebwerke. Was er hörte, war indes nur einsehr leises Summen. Er konnte es nicht einordnen,zweifelte aber nicht daran, dass es von der Kugelkam.

Ein breiter Wulst zog sich rings um dieses Gebilde,ein Ring, der wohl die Triebwerke barg, denn dortstachen mit einem Mal grelle Flammenbündel indie Tiefe. Die Kugel stieg weiter ...

... und glitt in seine Richtung. Entgeistert starrteBreck ihr entgegen, dann warf er sich herum undhastete davon.

Das Summen folgte ihm.

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Es klang immer mehr wie ein Hornissenschwarm.Gereizt und bedrohlich, und es versetzte ihn inPanik.

Verfilztes Gestrüpp erschwerte seinVorankommen. Er hastete durch tiefer werdendesBrackwasser; das war die ausgedehnteschlammige Fläche, die er zuvor in einem Bogenumgangen hatte.

Das Summen holte ihn ein. Schon war es überihm. Er bekam keine Luft mehr, rang nach Atem.Bebend starrte er in die Höhe.

Das Kugelschiff schwebte hundert, vielleicht auchzweihundert Meter hoch, das konnte er nur schwerabschätzen. Außerdem schimmerte es nun indunklem Silberton, und die Triebwerke arbeitetennicht mehr.

Langsam sank es tiefer.

»Nein ...«, keuchte er. Dann, lauter, ein gellenderAufschrei, in dem sich sein Entsetzen und seine

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Panik ausdrückten. Walter Breck riss die Flintehoch und drückte ab, feuerte aus beiden Läufenauf die gewaltige stählerne Kugel.

Nichts geschah.

Dieses seltsame Glühen, als dringe es durch denRumpf nach außen ... das war ein energetischesFeld ähnlich der Kuppel, die die vom Mondzurückgekehrten Astronauten in der Gobi schützte.Breck wurde sich bewusst, dass er mit ein paarPatronen nichts dagegen ausrichten konnte.

Das Raumschiff glitt weiter. Ein schrecklichesGeräusch, dieses Summen, als die Kugel inweitem Bogen zum nächsten Mangrovendickichtund hinaus aufs offene Meer abdrehte.

Breck lud seine Flinte nach. Er zitterte. Dassetliche Patronen in den Schlamm fielen, registrierteer nur am Rand.

Er hastete zurück in die Richtung, aus der ergekommen war.

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Als er sich umschaute, hing die Kugel wieder überdem Startkomplex. Es hatte den Anschein, alsginge sie nieder, aber darauf wartete er nicht. Erfloh vor sich selbst und vor den Fremden.

Beinahe hätte er zu spät reagiert, als ein Alligatormit ungestümer Wucht angriff. Zweimal drückte erab, beide Geschosse trafen die Echse imschnellen Lauf und ließen sie zusammenbrechen.

Diese Biester, das hatte er auf früheren Jagdengelernt, waren zäh und besaßen einen verdammtgut ausgeprägten Instinkt.

Hatten sich die Aliens aus solchen Echsenentwickelt?

Ihr werdet die Erde nicht bekommen, dachte WalterBreck bitter. Niemals!

Er war bereits ruhiger, als er die Flinte nachlud, aufden reglosen Kadaver anlegte und noch einmalabdrückte.

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1.

14. Juli 2036,

Supreme Court, Washington D.C.

Es war neun Uhr dreißig, der Beginn des zweitenVerhandlungstages. Der Gerichtssaal war wiederbis auf den letzten Platz besetzt.

Alle erhoben sich. Crest, der auf die irdischenGebräuche nicht schnell genug reagierte, wurdevon zwei Uniformierten an Oberarmen undEllenbogen ergriffen und auf die Beine gestellt.

»Die Ehrenwerten, der Vorsitzende Richter und dieBeigeordneten Richter des Obersten Gerichtshofs

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der Vereinigten Staaten von Amerika!«, verkündeteder Gerichtsdiener mit sonorer Stimme.

Clifford Monterny lächelte spöttisch, als dieAufgerufenen im schwarzen Talar eintraten.

»Wie gut dressierte Pinguine.« Nahezu lautlosbewegte er die Lippen, doch Tatjana Michalownaverstand, was er konzentriert dachte. SeineGedanken waren einer der gelegentlichen Tests,wieweit sie ihre Fähigkeit entwickelte.

Die junge Frau bedachte ihren Gönner mit einemüberraschten Blick, widmete sich aber sofortwieder dem Geschehen im Gerichtssaal. Soebennahmen auch die Geschworenen ihre Plätze ein.

Die Anklage lautete auf Mord an der Besatzung deramerikanischen Mondstation. Ein besondersschwerer Fall. Arglos und hilflos waren die Opfergewesen, die Tat entsprang dem niederenBeweggrund der Vertuschungsabsicht.

Die Vereinigten Staaten von Amerika als Kläger

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gegen den Außerirdischen Crest da Zoltral! Soetwas hatte es nie zuvor gegeben.

Diese Verhandlung bedeutete absolutes Neulandund war geeignet, die ohnehin politisch längstangeschlagene Welt vollends aus den Angeln zuheben. Entsprechend gierig stürzten sich dieMedien darauf ...

Wie Schmeißfliegen auf einen Haufen Unrat,überlegte Monterny zynisch. Und das wird erst zurSensation, sobald Perry Rhodan und ReginaldBull in die Falle tappen.

Neben zwei Netz-Teams hatten nur handverleseneJournalisten Permits für den Saal erhalten –ausgewählt von Präsident Stanley Drummondpersönlich. Dass es sich so verhielt, wussten nichteinmal die begünstigten Medienvertreter selbst.Sie waren ganz vorn dabei, was wollten sie mehr.

Als Zeuge der Anklage wurde Dr. Frank M.Haggard aufgerufen.

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Nicht nur mit neun Richtern war das Gericht fürdiese Verhandlung besetzt, sondern auch mitGeschworenen. Die außergewöhnliche Bedeutungmachte es möglich.

In dem Prozess ging es nur um Crest. DieVerfahren gegen Haggard und Manoli wurdenseparat vorbereitet. Beide waren nicht des Mordesangeklagt, sondern wurden des Hochverratsbezichtigt. Daran, dass Haggard Australier war,schien niemand Anstoß zu nehmen.

Michalowna wandte sich Monterny zu. Kaummerklich schüttelte sie den Kopf. »Die Richter sindin ihrer Entscheidung frei«, raunte sie als Antwortauf die »dressierten Pinguine«. »Ich erkenne inihren Gedanken keinen Zwang.«

»Das Gericht kann Crest nicht freisprechen, ohneden Präsidenten zu kompromittieren und dieVereinigten Staaten dem Vorwurf derVerweichlichung preiszugeben.« Monternylächelte mitleidig. »Das Urteil wird einstimmigfallen.«

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»Schuldig!« Tatjana atmete tief ein.

»Ein schwerer Schlag für den Arkoniden. Er warauf der Suche nach dem Planeten des EwigenLebens – aber was findet er?«

»Die Erde ... und den Tod!« Tatjanas Blickverweilte auf Monternys Gesicht.

»Die Medien werden zugegen sein, wenn Crestseinen letzten Atemzug macht«, sagte er. »Vorallem die Länder, die den Arkoniden selbst gernverurteilt hätten, werden Amerika einmal mehr alsHegemonialmacht und nur vordergründigdemokratisch beschimpfen. Dabei folgt dasHöchste Gericht Gesetz und Ordnung.«

»Eigentlich verrückt, was da geschieht«, bestätigtedie Telepathin. »Crest hat wahrscheinlich mehrWissen in seinem Kopf, als unsere Wissenschaftlerin den nächsten hundert Jahren ansammelnwerden. Auch wenn ich nicht richtig an ihnherankomme, mit seinem Tod geht sein Wissenunwiderruflich verloren.«

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»Egal, ob ihn die Chinesen hätten, die Russenoder sonst wer ...« Clifford Monterny schaute anTatjana vorbei hinab in den Saal. Die Presse hatteFotoerlaubnis, ein Blitzlichtgewitter ging über demAußerirdischen nieder. Der weißhaarige Arkonideließ den Ansturm mit stoischer Ruhe über sichergehen.

Hoffte Crest auf Hilfe, oder war er womöglich garnicht mehr in der Lage, dem Geschehen um ihnherum zu folgen? Seine schwere Krankheit, dasWechselbad aus Hoffnung und Enttäuschung –Monterny glaubte, eine zunehmende Resignationdes Arkoniden zu erkennen.

»Jedes Land, das Menschen und Material durchdiese Fremden verloren hat, würde ebensoreagieren«, fuhr er fort. »Es ist unerlässlich, demAlien den Prozess zu machen, ihn abzuurteilenund das Urteil zu vollstrecken – danach kehrtwieder Friede ein.«

Monterny lachte heiser, als Tatjana ihn ungläubig

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anblickte.

»Friede?«, fragte die geborene Russin. »Sagtestdu wirklich Friede?«

»Wenn nichts mehr da ist, worüber sichRegierungen und Militärs streiten könnten ... DieHinrichtung muss natürlich zweihundertprozentigecht wirken.«

»Ein Fake?«

War Tatjana in der Hinsicht so naiv? Monternyhätte es nicht mit Sicherheit zu sagen vermocht.Aber was war dieser Tage schon so, wie es denAnschein hatte? Die Welt spielte verrückt.

»Nennen wir das Ganze ›gelebte Politik‹«,antwortete er belehrend. »Crest kann eineGoldgrube sein. Wenn Amerika es schafft, nureinen Bruchteil dessen nachzubauen, was mit demfremden Raumschiff auf dem Mond verloren ging,wäre es ein gravierender Fehler, Cresthinzurichten. Ich weiß es nicht, ich nehme nur an,

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dass Stanley Drummond insgeheim in dieseRichtung denkt. Mithilfe der fremden Technikkönnten die USA endlich die Welt zu einemGanzen vereinen.«

»Also nichts anderes als das, was Rhodan undBull vorhaben?«

»Die beiden sind Narren. Sie überschätzen sichund unterschätzen die Nationalstaaten. So einenGrößenwahnsinn überlebt niemand auf Dauer.«

Tatjana lachte ihn an. »Du hast recht, wie immer.«

»Und wir brauchen Crest für uns. Was bedeutetschon hochgezüchtete Technik als solche, solangedas Ewige Leben zu gewinnen ist ...«

Dr. Haggard sah jünger aus als Ende vierzig, wieer es soeben zu Protokoll gegeben hatte. Er wirktekräftig, zumindest gut trainiert. Mit einer knappenGeste wischte er sich eine Strähne seinerdunkelblonden Haare aus der Stirn.

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dunkelblonden Haare aus der Stirn.

»Sie sind Arzt?«, fragte der Vorsitzende Richter.»Erzählen Sie uns mehr darüber!«

»Der Schwerpunkt meiner Tätigkeit liegt inunterschiedlichen Bereichen«, sagte Haggard.»Mein Engagement in der Forschung wurde vorvier Jahren mit dem Nobelpreis für Medizinbelohnt. Das Komitee bezog sich dabei auf meineDurchbrüche in der Erforschung des HI-Virus ...«

»Das ist dem Gericht bekannt und bedarf keinerweiteren Erläuterung.«

»Ich denke, dass es gerade für die Beurteilung ...«

»Bitte unterlassen Sie eigene Schlussfolgerungen,Dr. Haggard! Den Obersten Gerichtshof interessiertdie andere Ebene Ihres Wirkens. – Sie kennen denAngeklagten?«

»Crest ...«

»Crest da Zoltral. Sie haben ihn behandelt?«

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»Ja, natürlich.«

»Sie wussten zu dem Zeitpunkt, wen Sie vor sichhatten?«

»Ich fürchte, Euer Ehren, ich verstehe die Fragenicht richtig.«

»Ihnen ist das Schicksal unserer Mondbasisbekannt?«

»Sie existiert nicht mehr.«

»Hat Crest Ihnen das gesagt?«

Haggard schüttelte den Kopf.

»Würden Sie bitte lauter antworten, Dr. Haggard!Woher bezogen Sie Ihr Wissen um das Endeunserer Mondbasis?«

»Aus Nachrichten- und Informationssendungen. Zuden Basen aller drei Supermächte ist der Kontaktabgerissen. Aber das war kein Thema zwischenCrest und mir.«

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Clifford Monterny registrierte die knappe Geste desRichters, die den Staatsanwälten galt. Ein nichtminder knappes Nicken kam von Jack Nesmithzurück, dem Wortführer der Anklage.

»Sie hatten Ihre Information aus diesen ...Nachrichtensendungen ... schon erhalten, bevorCrest zu Ihnen kam?«

»Ich denke.«

»Denken Sie nur, Dr. Haggard, oder wissen Sie esgenau?«

»Ich weiß es«, bestätigte der Mediziner. »Das war,bevor Crest und mein Kollege mich konsultierten.«

»Mit Kollege meinen Sie Dr. Eric Manoli?«, fuhrNesmith fort. »Hat er Ihnen berichtet, was sich aufdem Mond zugetragen hat?«

»Dass Crest zur Besatzung eines einen halbenKilometer durchmessenden notgelandetenRaumschiffs gehört – ja.«

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»Was außerdem?«

»Nichts.«

»War keine Zeit dafür? Oder ...«

»Es stand nicht gut um Crest. Seiner Behandlungmusste ich Vorrang vor allem anderen einräumen.«

»Sie wussten, dass der Angeklagte für dieErmordung unserer Mondbesatzung verantwortlichist?«

»Einspruch, Euer Ehren!« William Tifflor galt alsStaranwalt in den Staaten. Er hatte sich erhoben,seine Miene blieb ausdruckslos. »Genau das zubeweisen oder eben nicht, darum geht es indiesem Prozess.«

Monterny konnte das Gesicht des VorsitzendenRichters nicht sehen. Fragend blickte er dieTelepathin an.

»Er fühlt sich bei einer kleinen Absprache ertappt«,

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raunte Tatjana ihm zu. »Am liebsten würde erTifflor auf den Mond schießen.«

Monterny konnte sich ein Grinsen nicht ganzverbeißen. Ausgerechnet zum Mond ...

»Ich verzichte auf die Frage«, fuhr derStaatsanwalt fort. »Sie wussten also, dass derPatient, mit dem Sie es zu tun hatten, kein Menschist.«

»Für mich war seine Krankheit maßgeblich, nichtseine Herkunft.«

»Nach dem Stand der Dinge muss Ihnen bewusstgewesen sein, dass dieser ... Patient ... vom Mondgekommen war.«

»Selbst wenn er vom anderen Ende derMilchstraße gekommen wäre: Er war krank.Sterbenskrank. Es ist meine Pflicht als Arzt, Krankezu heilen.«

Ein Raunen ging durch den Saal. Der VorsitzendeRichter sorgte mit zwei harten Hammerschlägen für

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Richter sorgte mit zwei harten Hammerschlägen fürDisziplin und Ruhe.

»Ihnen war also durchaus bewusst, Dr. Haggard,dass es sich bei diesem ›Kranken‹ um ein Wesenhandelte, das durchaus in der Lage wäre, dieMenschheit mit überlegenen Waffen auszulöschenund die Erde als lebensfeindliche Wüstezurückzulassen?«

»Einspruch!«, rief Tifflor erneut. »Das ist einesuggestive Unterstellung, die durch nichtsbewiesen ...«

»Einspruch abgelehnt! Diese Fremden vonaußerhalb unseres Sonnensystems – falls dieAngabe stimmen sollte – sind durchaus in derLage, uns schwersten Schaden zuzufügen. DemHohen Gericht liegen Bilddokumente vor, die daskugelförmige Beiboot während des Angriffs auf diechinesische Armee in der Gobi zeigen.«

Für wenige Sekunden wurde es still, dann wandtesich der Vorsitzende Richter erneut an denZeugen. »Dr. Haggard, ich wiederhole die Frage:

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War Ihnen bewusst, dass Ihr Patient über dieMacht verfügte, unseren Planeten in einSchlachtfeld zu verwandeln?«

»Crest? Warum sollte ausgerechnet er uns dieDrecksarbeit abnehmen?«, erwiderte der Arzt undForscher verblüfft. »Wir Menschen richten unserenPlaneten schon selbst zugrunde.«

Haggards Aussage sorgte für neue Unruhe.Abermals brach ein Blitzlichtgewitter los, das erstabebbte, als der Vorsitzende Richter androhte, denSaal räumen zu lassen.

»Ihre persönliche Meinung, Dr. Haggard, istinsofern bedeutungslos. Muss ich Sie daraufhinweisen, dass Ihre Aussage, die Sie hiermachen, in dem Prozess gegen Sie verwendetwerden kann?«

»Ich habe nichts verbrochen! Mein Eid verpflichtetmich, Leben zu erhalten, soweit ich dazu in derLage bin. Was Crest anbelangt, war mir dasmöglich.«

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»Crest ist kein Mensch.«

»Ich sehe kaum Unterschiede zwischen ihm unduns. Der Kontakt zu den Arkoniden lässt für uns einneues Zeitalter anbrechen. Künftig wird derhippokratische Eid für viele intelligente Lebewesengelten müssen ...«

Das Geräusch der aufgleitenden Tür ließ Monternyherumfahren. Seine Rechte zuckte zurOberschenkeltasche, er schloss die Finger um denGriff des arkonidischen Strahlers. Diese Waffe waretwas Besonderes. Wie plump muteten dagegendie Laserkanonen an, mit denen die Militärs seitJahrzehnten experimentierten, ohne einendurchschlagenden Erfolg zu erzielen.

Monterny entspannte sich sofort wieder.

Der Präsident hatte ihm die Loge über demGerichtssaal des Supreme Court zugänglichgemacht. Sie war nicht einsehbar, der Zugang

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abgesperrt.

»Deegan kommt«, stellte Tatjana fest, wenn auchviel zu spät. Sie hätte ihn eher aufspüren müssen,hatte sich aber wohl zu sehr auf das Geschehen imGericht konzentriert.

Sie ist noch lange nicht so gut, wie ich sie habenwill, überlegte Monterny. Sie muss es schaffen,rundum telepathisch zu lauschen. Die Zeitenwerden für uns keinesfalls sicherer.

Roster Deegan betrat die Loge. Sein spärlichesGrinsen entblößte die vom Nikotin verfärbtenSchneidezähne. Nach zwei Schritten blieb erstehen und hob die große Tasche, die er mit sichschleppte.

Monterny achtete auf jede Regung des ehemaligenZauberkünstlers. Deegan kniff die Augen leichtzusammen. Er konzentrierte sich auf die Tür, diewie von Geisterhand bewegt hinter ihm zuschwangund lautlos ins Schloss fiel. Gleichzeitig ließ er dieTasche los.

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Sie fiel nicht zu Boden, sondern schwebte aufMonterny zu. Bevor sie ihn erreichte, sank sie aufsParkett und öffnete sich.

»Beide Kampfanzüge.« Deegan husteteunterdrückt; er war ein wenig außer Atem, wirkteblasser als sonst. Die Schweißtropfen in seinenAugenbrauen wischte er mit dem Handrücken fort.

»Hat dich jemand gesehen?«

Deegan zuckte die Achseln. »Das Gebäude istbelagert. Ein Heer von Reportern. Keiner vondenen würde zögern, seinem Nachbarn ein Messerzwischen die Rippen zu stoßen, um selbst diebesten Aufnahmen einzusacken.«

»Haben sie dich gesehen oder nicht?«

»Die Polizei hat uns durchgewinkt. Trotzdem hättedie geile Medienmeute den Wagen beinahegestürmt. Verspiegelte Scheiben treiben solcheBurschen zur Raserei.« Deegan grinsteherausfordernd. »Ein paar dürften sich etliche

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Knochen gebrochen haben. Die wissen bloß nicht,was mit ihnen geschehen ist.«

Monterny wusste es. Auch, dass es wenig Sinnhatte, Roster deshalb zurechtzuweisen.

»Alle Vorbereitungen sind abgeschlossen«, sagteDeegan.

»Das ist gut in der Zeit. Bislang hat sich nichtsgetan, und die Verhandlung ist ohnehin für dreiTage angesetzt.« Clifford Monterny inspizierte diegeöffnete Tasche, deren Inhalt rund zwei Zentnerwog. Ein anderer als der Telekinet Deegan hättedamit nicht so ohne Weiteres herumlaufen können.

Monterny zog die arkonidischen Kampfanzügeheraus, die er Manoli und Crest abgenommenhatte. Seine Armeeausrüstung im Irak hattedagegen dilettantisch angemutet. Jeder dieserAnzüge war dem besten amerikanischenKriegsspielzeug um Jahre voraus.

»Also legen wir die Dinger an«, stellte Deegan

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fest.

Monterny fixierte den Telekineten mit einemfragenden Blick. Manchmal war Roster sogar zumReden zu faul, doch da ließ sich suggestiv immerein wenig anschieben.

»Ich bin ziemlich sicher, dass er keineInformationen erhalten hat, wo Rhodan und Bullsich derzeit befinden«, sagte Tatjana.

»Und du?«

Wirr hing ihr das Haar in die Stirn, als sie den Kopfschüttelte. Es war schweißverklebt. Ihre ohnehinschmalen Augen verengten sich ein wenig mehr.Monterny registrierte, dass sie sich starkkonzentrierte. Trotzdem tat sie sich schwer, in derMasse von Menschen einzelne Gedankenaufzuspüren und zu isolieren.

Erst nach einer Weile fiel die Anspannung von derjungen Frau ab. »Nichts Brauchbares«, sagte sieschwach. »Da draußen warten einige Tausend

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Menschen, die an nichts anderes denken als anCrest und die Verhandlung. Aber Rhodan oder Bull– Fehlanzeige. Wenn sie wirklich in der Nähewären ...«

»Du bist dir nicht sicher, ob du unter diesenUmständen ihre Gedanken überhaupt auffangenkannst?«, fragte Monterny schroff.

»Wohl kaum bei größerer Entfernung.«

Und wennschon. Roster Deegan begann, denKampfanzug anzulegen. Monterny zögerteebenfalls nicht länger. Ein unbeschreiblichesGefühl durchflutete ihn.

Um wie viel beeindruckender mochte erst dasriesige Kugelraumschiff auf der Rückseite desMondes gewesen sein?

Vielleicht war es das, was Rhodan und Bull zuihrer an sich irrsinnigen Handlungsweiseveranlasst hatte. Der Eindruck, dank deraußerirdischen Technik plötzlich über den Dingen

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zu stehen und unbesiegbar zu sein, war tückisch.Eine Gefahr für den, der sich dieser Verlockunghingab.

2.

14. Juli 2036,

am Morgen

Irgendetwas war anders.

Einfach die Augen zu öffnen, wäre der größteFehler gewesen, den er begehen konnte. Weil ersich in einer kalten und feindseligen Weltwiedergefunden hätte.

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Reginald Bull drehte sich auf die Seite und wühlteeinen Arm unter das Kopfkissen. Er lächelte, ohnedas jedoch zu bemerken.

Ebenso wenig nahm er den athletischenschwarzhäutigen Mann wahr, der neben ihmGestalt annahm, ihn nachdenklich musterte undgenauso schnell auf unheimliche Weise wiederverschwand.

Bull wollte wiederfinden, was er während seinesErwachens verloren hatte:

... das sanfte Rauschen der Meeresbrandung – dasweitaus erstrebenswerter war als das zermürbendeTrommelfeuer der chinesischen Artillerie in derGobi.

... die salzige Brise des Pazifiks und den Duft derüppigen Blütenpracht – beides so völlig anders alsder beißende Gestank ausgeschütteten Benzinsund brennender alter Autoreifen vor nicht einmalzwei Tagen im Westen Australiens.

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... die einschmeichelnden Hulaklänge, die jungenHawaiianerinnen. Zusammengenommen warendas genug Gründe, diese Nacht festzuhalten.

Er fand nicht in seinen Traum zurück.Ausgerechnet die Stille störte ihn.

Ruckartig setzte er sich auf. »Perry?«

Niemand antwortete ihm.

Der Raum, in dem er die Nacht verbracht hatte, warnicht allzu groß, aber trotzdem ein Tanzsaal,verglichen mit der Enge in der STARDUST. FahlesLicht fiel durch die schweren Vorhänge herein.

Mit einem Satz schwang Reginald sich aus demBett. Er hatte ein wenig Mühe, sichzurechtzufinden. Weil er hundemüde gewesenwar, als er in der Wohnung ... Angekommen?Erschienen? ... als er plötzlich da gewesen war.Während des Flugs von Australien hatte erbestenfalls für eine oder zwei Stunden leidlichabschalten können.

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Er zog die Vorhänge auf. Altertümlicher schwererBrokat. Sein Blick schweifte über das Häusermeer,das halb verschlafen in der Morgendämmerunglag. Arlington County, am Potomac River, direktgegenüber Washington D.C. und wohl deshalbschon zäher Verkehr auf den Straßen.

Die Sonne war gerade erst über den Horizontheraufgestiegen, ihre Strahlenfinger griffen überden Himmel. Bull schätzte, dass ein schöner Tagbevorstand. Zumindest, was das Wetteranbelangte. Für alles andere hätte er keinePrognose abgegeben.

Mit beiden Händen massierte er seine Schläfen.

»Verrückt. Das ist schlimmer als ein Vollrausch.Doch wann hatte ich den zuletzt?«

Aufwachen und nicht wissen, wo, das behagte ihmnicht. Das hatte etwas von Hilflosigkeit und demGefühl, nicht mehr Herr der Situation zu sein.

»Die Frauen, die mich abgeschleppt haben, konnte

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ich immer nach der Adresse fragen. Vorher.« Erlachte leise. Besonders gelungen fand er denScherz trotzdem nicht. Das rot und schwarzkarierte Bettzeug ebenso wenig. Das stammtenicht nur aus dem letzten Jahrhundert, das warschon letztes Jahrtausend.

Adams kam ihm in den Sinn. Homer GershwinAdams, das stand auf den ebenfalls altmodischenVisitenkarten, die der Mann großzügig verteilte.CEO General Cosmic Company. Eine Mischungaus Nostalgie und futuristischem Firmennamen.

Immerhin: Adams war alt genug, um kleinkarierteBettwäsche zu lieben. Und er war Brite, womöglichmit einem Schuss schottischem Nationalstolz inden Adern.

Außerdem war Adams ein Freund. Wer sonst hättezwei desertierte Astronauten vor der Lynchjustizverrückter Australier bewahrt?

Okay, sagte Bull zu sich selbst. Der Tag fängt erstan. Machen wir das Angenehmste daraus.

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Angenehmer jedenfalls als der Pyjama, den ertrug. Seine einzige Sorge war in dem Moment,dass ihn jemand in dem Museumsstück sehenkönnte. Exakt zusammengefaltet hatte derSchlafanzug auf dem Kopfkissen gelegen.

»Wir sind jedenfalls wieder in den Staaten, dieHeimat hat ihre verlorenen Kinder zurück, und dasFenster ist nicht mit eisernen Gardinen verhängt«,murmelte er. »Was wollen wir mehr?«

Er stürmte auf die nächste Tür zu, von der erannahm, dass sie ins Bad führte, und riss sie auf.

»Guten Morgen, Reg!« Rhodan stand an einem derbeiden Waschbecken und rasierte sich. »Alles istda, Reginald, von der Zahnbürste über Trocken-und Nassrasierer bis zum Designer Aftershave.«

»Ein Nobelschuppen.« Bull seufzte. »Wir sollengekauft werden, Perry. Zuckerbrot und Peitsche,das riecht nach Drummond. Was heißt riecht? Dasstinkt geradezu.«

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Rhodan schüttelte den Kopf. »Stanley Drummondhätte in Australien eher zugesehen, wie wirgeröstet worden wären. – Steht dir übrigens gut,der Pyjama. Ist das tatsächlich reine Wolle?Gehäkelt oder gestrickt?«

»Der Prozess gegen Crest wird das Ereignisschlechthin.« Mit einem knappen Kopfnickendeutete Homer Gershwin Adams auf den Schirmmit den Nachrichten-Streams.

Rhodan und Bull saßen an der Frühstücksbar. Sielangten kräftig zu. Seit Wochen, überlegte Rhodan,hatte er nicht mehr so gut gegessen. Es roch nachfrisch gebrühtem Kaffee, nach Speck und Rührei.

Ein Stück heile Welt. Das gab es also noch.

Bull nippte an seiner Tasse. In Gedanken war erweit weg, das sah Rhodan dem Freund an.Obwohl Reg interessiert auf den Schirm schaute,verlor sich sein Blick in weiter Ferne. Als suchte er

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nach dem, was sich hinter dem offiziellen Kontextverbarg.

Rhodan füllte sein Glas mit Orangensaft aus derKaraffe nach.

Die Bilder, eben alte Szenen aus der Gobi, nunWashington D.C., sprachen für sich. Vor demSupreme Court Building drängten sich schon dieSensationslüsternen.

Ein Blick die East Capitol Street entlang. DasCapitol vor leicht bewölktem blauem Himmel, aufder Kuppel brachen sich die erstenSonnenstrahlen in funkelndem Widerschein. Dazudezent die Nationalhymne.

»Das sind keine Aufnahmen von heute«,kommentierte Bull mit vollem Mund. »Da wirdStimmung gemacht.«

Die Hymne kam lauter in den Vordergrund, dieBilder wechselten und zeigten das Weiße Haus.Auch hier ein Meer von Flaggen. Der Präsident

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war kurz zu sehen, hob die Hand zum Gruß.

Schnitt.

»Noch Würstchen, Perry?«, fragte Reginald.Rhodan schüttelte den Kopf.

Das Washington Monument erschien in derWiedergabe, eingebettet in das schon kräftige Blaudes Himmels. Eine Staffel von Abfangjägern zoghoch über den Obelisken hinweg. Diepfeilförmigen schlanken Maschinen gingen aufgrößere Distanz zueinander, drehten in engemRadius und wurden von der Kamera inGroßaufnahme eingefangen.

Erst nach einigen Sekunden blendete die Regieum auf das Gräberfeld des NationalfriedhofsArlington. Das Bild war eindeutig als Überleitungzum Mordprozess gedacht.

Als das Dröhnen der Düsentriebwerke lauterwurde, blickte Bull schräg in die Höhe. Die Jäger,eben noch in den Nachrichten zu sehen gewesen,

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donnerten im Tiefflug über das Haus hinweg.

Adams, der sich mit einer Tasse Tee zur Sitzeckezurückgezogen hatte, schüttelte leicht den Kopf.»Keine Sorge, Mr. Bull, hier sind Sie beide sicher.Das Haus gehört einer Immobilienverwaltung, eineTochterfirma meiner GCC. Außerdem hat niemandSie kommen sehen, und keiner wird es bemerken,wenn Sie wieder gehen.«

»Wo ist Ras Tschubai?«, fragte Rhodan.

Schon auf dem Mond, als er das havarierteKugelraumschiff der Arkoniden wie ein Gebirgeaus Stahl vor sich gesehen hatte, war ihm bewusstgeworden, dass er das Staunen nicht verlernthatte. Wie ein Kind hatte er sich gefühlt, dasverstand, dass es außerhalb seiner engen Sichtauf die Welt sehr viel mehr gab. Als stehe er mit allseinem Wissen und Können vor einerunüberwindbaren Mauer und plötzlich öffnete sichdarin ein Tor.

Erst ein Zögern, Anspannung, gepaart mit

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natürlicher Vorsicht. Dann ein Ruck, getrieben vonunbezähmbarer Neugierde.

Du trittst aus dem Schatten der Mauer ins Licht desDurchgangs, das dich aber keineswegs schonerkennen lässt, was auf der anderen Seite liegt. Duhast den ersten Schritt getan und zögerst deshalbnur mehr unmerklich vor dem zweiten. Jäh öffnetsich vor dir eine Weite, die sogar deine kühnstenTräume übertrifft. Du findest keine Worte dafür, bistüberwältigt von den Möglichkeiten, die du auf dichzukommen siehst, und dann machst du dennächsten Schritt und weißt, dass du dich von nichtsund niemandem wirst aufhalten lassen, diesenWeg weiterzugehen.

Tschubai ...

Schon der Name jagte Rhodan ein Prickeln überden Nacken. Von Menschen mit übersinnlichenKräften nur zu hören oder ihre besonderen Kräfteunmittelbar mitzuerleben, das war ein gravierender

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Unterschied. Wobei sich das Hören vor allem aufHellseher und Gedankenleser bezog, auch schonmal auf einen angeblichen Telekineten. Gerüchteüber Experimente der Militärs mit Telekineten undTeleportern waren hin und wieder aufgekommen,was dahintersteckte, war jedoch in keinem Fallaufgeklärt worden.

Es gab sie also wirklich, Menschen mit Psi-Kräften,die wie Zauberei anmuteten. Eine Berührung, einGedanke, und schon stand man fünfzig oderhundert Meter entfernt, ohne sich bewegt zu haben.

Und Tschubai war keineswegs der Einzige.

»Sie haben einige der Leute, die mit mirzusammenarbeiten, vielleicht schonkennengelernt.« Adams' Feststellung klang inRhodan nach, als er sich darauf konzentrierte.Jede Nuance des abwartend fragenden Tonfallsglaubte er wieder zu hören.

Er erinnerte sich an das Gespräch.

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»Ich weiß nicht, wen Sie meinen, Mr. Adams.«

»Sie wollten zu Ihnen, in die Wüste Gobi, um Ihnenbeizustehen.«

»Vielleicht waren sie da. Keine Ahnung.Zehntausende Menschen aus aller Herren Länderhaben versucht, die Belagerung durch Bai JunsArmee zu durchbrechen. Aber dann dieAtomexplosion, zum Glück weit genug entfernt.Nicht auszudenken, wenn das näher an Terraniageschehen wäre.«

Terrania – ein großspuriger Name für die erst imEntstehen begriffene Stadt am Rand des Salzsees.Das wusste Rhodan selbst. Andererseits war esschier unglaublich, wie schnell und zielsicher diearkonidischen Roboter daran arbeiteten.

Er erinnerte sich weiter.

»Sid González? John Marshall? Sue Mirafiore?«

»Es tut mir leid, Mr. Adams, ich kenne dieseNamen nicht.«

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Namen nicht.«

»Deshalb waren Sie von Tschubais Psi-Fähigkeitso überrascht. Ich hätte es mir denken können. Sidist ebenfalls Teleporter ...«

Rhodan bemerkte, dass Adams ihn musterte. Erschaute auf. Der bucklige alte Mann nicktelächelnd.

Weiß er, was ich gerade denke? Nein, er ist keinTelepath. Er verfügt nur über ein fotografischesGedächtnis und jede Menge Gespür. Jedenfallshat er das so zu verstehen gegeben.

Rhodan schürzte die Lippen, als sich in seinerVorstellung das Bild eines schummrigbeleuchteten Zimmers formte. Schweres Mobiliar;dicke Teppiche; Vorhänge, die jedes überflüssigeGeräusch dämpften. Auf einem Tischchen eineleuchtende Kristallkugel. Adams saß mitgekrümmtem Rücken davor, ließ beide Hände überdie Kugel gleiten und weissagte zahlendenKlienten, was sie hören wollten.

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Vielleicht wäre das wirklich eine Möglichkeitgewesen.

Homer Gershwin Adams war indes nicht diesenbequemen Weg gegangen. Er hatte seineFähigkeiten nachhaltiger eingesetzt und sich, allenRückschlägen zum Trotz, ein Finanzimperiumaufgebaut. Längst jonglierte er mitMilliardensummen wie andere mitZehndollarscheinen.

So hatte Adams es erläutert.

»Die Immobilien- und Bankenkrise Anfang desJahrhunderts, danach das qualvolle Desaster mitEuropa, die Krise in Asien ... Zu dem Zeitpunktkonnte ich mein Netz knüpfen und lukrativeEngagements zu Schnäppchenpreisen eingehen.Schon mit ein wenig Kombinationsgabe wäre auchfür andere frühzeitig abzusehen gewesen, wohindie Entwicklung ging ...«

Mit Adams' Fähigkeiten waren Spekulationennatürlich treffsicherer gewesen. Angespannt hatte

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Rhodan registriert, wie zielstrebig und ohne zuzögern der Brite in Australien seine Fädengezogen hatte. Das Wrack der PHÖNIX war ohneweiteren Zwischenfall geborgen und an Bord einerkleinen Frachtmaschine verladen worden, ebensodie beiden arkonidischen Kampfanzüge,beschädigte Hüllen, die ihren Wert weitgehendverloren hatten, aber nicht völlig.

Adams hatte sich so ausgedrückt.

»Wir stehen auf derselben Seite. Es geht um nichtweniger als die Zukunft. Sie müssen mir vertrauen,Perry Rhodan. Wie ich schon sagte: Meine Firmaverkauft Hoffnung. Ich handle immer mit dem, wasgerade dringend benötigt wird; nur so hält man sichim Haifischbecken der Weltwirtschaft überWasser.«

Rhodan hatte die ihm dargebotene Hand ergriffen.Über Adams' festen Händedruck war er nicht mehrüberrascht gewesen.

Dann der Start. Zwei Zwischenlandungen, weil das

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schon betagte Frachtflugzeug aufgetankt werdenmusste.

Während des Flugs hatte Reginald Bullgemeinsam mit zwei von Adams gestelltenTechnikern alles darangesetzt, um die PHÖNIXwieder flugfähig zu bekommen.

Die Dialoge würde er nie vergessen.

»Wir holen den Vogel zum zweiten Mal aus derAsche!«

»Weil dir der Name gefällt, Reg?«

»Weil wir uns nicht unterkriegen lassen! Hoffentlichhaben wir genug Schrauben an Bord ...«

Rhodan entsann sich seines stummen Nickens.Ihm war da schon klar gewesen, dass Reginaldalles geben würde. Letztlich war der Freund bis zurLandung in Arlington nur sehr knapp amkörperlichen Zusammenbruch vorbeigeschrammt.Dass Reg bereits wieder auf den Beinen stand undsich das Frühstück schmecken ließ, bewies seine

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sich das Frühstück schmecken ließ, bewies seineunverwüstliche Natur.

Rhodan selbst hatte mit Adams erst während desFlugs ausführlicher über alles geredet. DieVergangenheit des Briten hatten sie dabei nurgestreift. Perry war überzeugt, dass es einiges zuentdecken gab, womöglich sogar Dinge, die ihmnicht so sehr gefallen würden.

»Warum sind sie nicht hier in Washington gelandetund haben offiziell Kontakt aufgenommen? Wiesoauf der Rückseite des Mondes? Diesen Wesen istnicht zu trauen. Das sage ich, und ich irre mich nie,wenn ich etwas behaupte.«

Der Interviewte blickte starr in die Kamera. Ringsum ihn scharten sich Dutzende Männer undFrauen. Allen war anzusehen, dass sie nichtgerade zu den wohlhabenden Amerikanernzählten, aber zumindest ihr Auskommen hatten.Sie waren das Volk, die Stimme auf der Straße,genau das, was einige Hundert Millionen

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Amerikaner im Netz sehen und hören wollten.

»Sie haben sich nie geirrt, Mister – wirklich?«

»Frank. Frank Olders.« Er fuhr sich mit der Handübers Gesicht. Dabei wurde deutlich, dass erImplantate trug. Nahezu seine gesamte rechteGesichtshälfte war künstlich, immerhin aus einemMaterial, das sich der Haut weitgehend anglich.Der starre Blick seines rechten Auges fiel nunebenfalls auf. Es handelte sich um eine guteNachbildung.

Rhodan konnte nicht erkennen, ob der Mann schonmit Chipimplantaten ausgestattet war, die einegrobkörnige Graustufenaufnahme derwahrgenommenen Umgebung direkt in seinSehzentrum übertrugen.

Olders klopfte auf seine Wange, einigeKunstnerven in dem Gewebe reagierten undverzerrten das Gesicht zur Grimasse.

»Ich wusste, was geschehen würde, als ich in

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Südafrika stationiert wurde, und konnte es trotzdemnicht verhindern. Eine Sprengfalle bei Kapstadt hatmich am letzten Tag vor dem Heimaturlauberwischt; die Maschine stand schon auf derRollbahn bereit ...«

»Ich sehe da wenig Zusammenhang mit demMordprozess gegen Crest.« Der Reporter wolltesich anderen Personen zuwenden, doch Oldershielt ihn am Arm zurück.

»Sehr viel Zusammenhang sogar!«, rief derVeteran hastig. »Das hier ist ein Andenken an denverdammten Krieg.« Er klopfte sich erneut an dieWange. »Aber ich bin froh, dass der Kongress dieMittel bewilligt hat, die mir und vielen verwundetenKameraden ein halbwegs normales Lebenwiedergegeben haben – für mich nach drei Jahrenmit immer neuen Operationen.« Olders heischteum Aufmerksamkeit, indem er beide Arme hob.»Ich sage es allen, die es hören wollen: Die Aliensbringen uns einen neuen Krieg, der um vielesbrutaler sein wird als alles, was unsere Nation inden vergangenen Jahrzehnten durchstehen

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musste. Der Prozess gegen diesen ... Crest ... istdas einzig Richtige, was wir als Demokratendagegen tun können. Die Fremden haben dieBesatzung unserer Mondbasis ermordet und wohlebenso die Chinesen und Russen, die sich daoben eingerichtet hatten. Crest muss verurteiltwerden, und das Urteil kann nur auf Todesstrafelauten. Andernfalls wird unser Land nie zur Ruhekommen.«

Zustimmende Rufe aus der Menge. Männer undFrauen drängten aus dem Hintergrund nach vorn,wollten ihre Meinung ebenfalls vor der Kamerakundtun. Der Reporter ignorierte sie, und dieAufnahme klebte jetzt ohnehin Format füllend aufdem Veteranen, auf seinem zusammengeflicktenGesicht und dem künstlichen Auge.

»Es gibt da noch ein Problem ...«, erinnerte derReporter. »Die Astronauten, die auf dem Mondwaren und Crest zur Erde gebracht haben ...«

»Dieser Rhodan?«, blaffte Olders. »Einabgehalfterter Testpilot der Air Force, der nicht

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weiß, was er tut? Wenn er sich nicht die Flaggevon der Uniform gerissen hätte, müssten wir dasnachholen. Was ist er denn? Nicht mehr als einRattenfänger, der mit seinem Irrsinn einenatomaren Weltkrieg riskiert. Desertiert in die Gobi,dabei haben wir hier in den Staaten jede MengeSalzseen. Womöglich hat er das getan, um denArkoniden die Drecksarbeit abzunehmen ... Ichfrage mich, was Crest ihm als Judaslohnversprochen hat. Womöglich das halbe Universum...«

Einzelne Lacher klangen auf. Doch das klang nichtbefreiend, eher zutiefst bedrückt.

»Ein Rattenfänger also ...« Reginald Bull schauteRhodan durchdringend an. »Endlich wissen wir esganz genau.«

»Sie sollten auf diese Meinung nichts geben«,wandte Adams ein. »Der Mann ist ein gekaufterClaqueur, der jubeln wird, sobald das Gericht Crestfür schuldig befindet. Das Ganze ist ohnehin einSchauprozess, von dem sich einige Beteiligte

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offenbar sehr viel versprechen.«

»Damit die Welt ihren Frieden bekommt – undDrummond seinen Alien, dem er technischeGeheimnisse entlocken kann«, schimpfte Bull.

»Vielleicht erwartet Drummond sogar, dass wirversuchen werden, Crest zu befreien«, wandteRhodan ein. »Vor allem geht es nicht nur um Crest,sondern ebenso um Eric Manoli und Dr. Haggard.Die beiden können am wenigsten dafür, wirmüssen ihnen ebenso beistehen.«

Rhodan schnippte mit den Fingern, derAkustiksensor des Bildschirms reagierte promptund schaltete ab.

Adams lächelte. »Ich habe erwartet, dass Sie dastun würden.«

»Wenn wir uns schon wie Kriminelle verhalten undunsere Freunde aus den Händen der Justizbefreien, dann schnell, wie Sie es gesternvorschlugen, Mr. Adams. Und nun reden wir

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nochmals über sämtliche Einzelheiten, liebereinmal zu viel, bevor wir etwas übersehen.«

»Fürchten Sie, Perry Rhodan, dass Sie doch inIhrem eigentlich unbrauchbaren Kampfanzug denSupreme Court stürmen müssen?«

Rhodan nickte nachdenklich. »Wenn ich wüsste,was aus Flipper geworden ist ... Sein Anzugkönnte uns weiterhelfen.«

»Wir sind sowieso schon ganz unten angelangt«,half Reginald Bull aus. »Viel tiefer können wir nichtmehr sinken. Also, was soll's, verkaufen wir denRest unserer Moral für eine billige Hoffnung.«

3.

Washington D.C.,

11.30 Uhr

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Die Finsternis hatte tausend Gesichter, und hinterjeder Mauerecke konnte die nächste Todesfratzelauern ...

Längst hasste er die beklemmende Atmosphärezwischen den alten Mauern, in der das einzigeGeräusch sein eigenes keuchendes Atmen zu seinschien. Obwohl die stickige Luft in seiner Lungebrannte, konnte er das Atmen nicht einstellen –nicht, bevor ihn die nächste Sprengfalle erwischteoder er von den Kugeln der Aufständischendurchsiebt wurde.

Schwerer Qualm lastete in den Räumen. Dazu derGestank nach verbranntem Fleisch und Pulver ...überhaupt: Es roch nach Tod.

Er drückte die Mossberg 500 fest an sich. SeinZeigefinger lag auf dem Druckpunkt; ein nervösesZusammenzucken genügte, und das Gewehr spie

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seine Geschosse aus.

Von der anderen Straßenseite klang das Ratterneiner vollautomatischen Waffe herüber. Diedumpfen Schläge explodierender Handgranatenfolgten. Danach wieder Stille, die hilfloseOhnmacht, die diesem gottlosen Land anhaftetewie ein Fluch.

Er glitt weiter. Mechanisch wie ein Roboter, derprogrammiert war, schneller zu schießen als dieBastarde, die ihm auflauerten. Die nicht einmaldavor zurückschreckten, Kinder für ihre Zweckeeinzusetzen und die Kleinsten und Hilflosesten indiesem dreckigen Krieg zu Opfern zu machen.

Aus dem Stadtzentrum erklang das Dröhnen einerschweren Explosion. Wahrscheinlich eineAutobombe. Er biss sich auf die Unterlippe, undzum ersten Mal ekelte er sich vor dem eigenenwarmen Blut.

Der Korridor lag voller Unrat. Glas brach unterseinen Stiefelsohlen. Das Splittern erschien ihm

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unerträglich laut in dieser nächtlichen Welt ausgraugrünen Schattierungen. Nur dieRestlichtaufhellung des Visiers half ihm durch dieFinsternis.

Vor ihm zeichnete sich die Silhouette einesTreppenaufgangs ab. Das Geländer bestand nurnoch aus zersplitterten Pfosten, die Tür imHintergrund war herausgebrochen. NacktesMauerwerk überall.

Anweisungen wisperten aus dem winzigenEmpfänger in seinem Ohr. Er verstand jedochkaum, was gesagt wurde.

Die Hitze war so unerträglich wie alles in diesemLand. Sogar jetzt, in der Nacht, war es nur ein paarGrad weniger heiß. Er schmorte im eigenen Saft,verwünschte den schweren Kevlaranzug ebensowie den Helm, der ihm das Hirn aus dem Schädelquetschte.

In Gedanken bis drei zählen. Ein kurzes Zögernnach der Zwei und die jähe Hoffnung, dass alles

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zu Ende sein würde, wenn er sich weigerte,weiterzuzählen. Aber trotzdem: Drei!

Er wollte es nicht ...

... doch er hastete weiter, das Gewehr im Anschlagund bereit, das volle Magazin durch den Lauf zujagen, sollte er nur den Hauch einer Bewegungbemerken.

Momente später stand er im Treppenhaus desbaufälligen Hauses irgendwo in BagdadsPeripherie. Die Stadt der Kalifen, nach der er sichin seiner Jugend oft gesehnt hatte, war längst zumAlbtraum geworden.

Ein grelles Aufflammen, Scheinwerferfingerstachen suchend durch die Finsternis. DieMossberg 500 spie Feuer, aber die Projektilehämmerten lediglich in die Lehmziegel der Wände.

Eine gedankenschnelle Drehung. Er sicherte nachoben, auf der Treppe schien niemand zu sein.Vorsichtig stieg er die ersten Stufen hinauf. Die

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Sichtbrille zeigte ihm die Kameraden, die hinterihm kamen. Einer hob den Gewehrlauf alsZeichen, dass sie weitergehen wollten und er beider Treppe bleiben sollte. Kein Einwand. Erversuchte, ruhig zu atmen, obwohl sein Puls raste.

Über ihm war niemand. Die Gegner hatten sichzurückgezogen, sie ...

Ein greller Lichtblitz blendete ihn. DerExplosionsdonner war unerträglich laut, zugleichplatzte die Wand vor ihm auseinander.Zeitlupenhaft langsam sah er die Ziegel berstenund in einer Wolke aus Feuer und Staubversinken. Die Druckwelle wirbelte ihn herum, erschlug schwer auf und rollte sich instinktiv ab.Keinesfalls warten, bis der Gegner nachsetzte undihn erledigte! Seine Mossberg spuckte Munition,doch die Geschosse zerfetzten nur Wandteppicheund billigstes Mobiliar.

Die Stimme in seinem Ohr war wieder da.

»Sie müssen ziemlich nahe sein! Hörst du mich

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...?«

»... hörst du, was ich sage, Clifford? Sie sind in derStadt, ich fange ihre Gedanken auf, wenn auchsehr verschwommen ...«

Er brauchte Sekunden, um sich zu besinnen unddie schrecklichen Erinnerungen zu verdrängen, dieihn immer wieder überfielen.

Hier und heute, das war nicht mehr Bagdad, das ernur um Haaresbreite überlebt hatte. Mit einementstellten Gesicht – und einer Psi-Gabe, die ererst Jahre später verstehen sollte. Hier warWashington D.C., die Geborgenheit im Herzen derVereinigten Staaten. Sage und schreibeneunundzwanzig Jahre nach der unseligen Zeit imIrak, auch wenn der Wahnsinn jener Tage eherweiter um sich gegriffen hatte.

»Sie sind hier!«, wiederholte Tatjana mitNachdruck. »Ich spreche von Rhodan und Bull!«

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»In der Nähe des Supreme Court Buildings?«

Clifford Monterny streifte mit beiden Händen überden arkonidischen Kampfanzug, den ermittlerweile vollständig angelegt hatte. DasGewicht stammte vor allem vom Energiespeicher.Sobald er den Antigrav aktivierte, würde er davonkaum mehr etwas bemerken.

Deegan schloss soeben den Helm seines Anzugs,die transparente Folie faltete sich lautlos auf. Er,Anfang zwanzig, blass und eher schwächlichwirkend, fühlte sich in diesem technischenWunderding wie Superman. Sein triumphierendesGrinsen behagte Monterny nicht. Trotzdembrauchte er den Mann; als starker Telekinet warRoster Deegan für ihn unverzichtbar.

»Ich spüre sie nur sehr schwach«, antworteteTatjana. »Eigentlich wie ein Hauch, der michstreift. Sie sind da, mehr kann ich nicht erkennen,irgendwo in der Stadt. Aber frag mich nicht, wooder was sie vorhaben.«

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»Sind sie allein?«

Die Frau konzentrierte sich. Unverkennbar, wie ihrKörper sich im Logensessel versteifte. Ihr Gesichtwar gerötet, glänzte feucht. Sie schaute Monternyan, doch sie nahm ihn nicht mehr wahr; sie schautedurch ihn hindurch, suchte wieder nach denGedanken der Astronauten.

Unten im Gerichtssaal wurde Eric Manoli alsZeuge befragt, der Bordarzt der STARDUST.Clifford Monterny wusste es nicht, aber er warmittlerweile ziemlich sicher, dass dieses Verfahrenbeeinflusst wurde. Crest war für das Land zuwertvoll.

»Sie, Dr. Manoli, haben den Angeklagten von allenAstronauten der STARDUST wohl am intensivstenkennengelernt«, stellte der Vorsitzende Richtersoeben fest. »Ich gehe davon aus, dass Sie ihnschon auf dem Mond untersucht und betreuthaben.«

»An Bord der AETRON«, bestätigte der Bordarzt.

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»Jeder hier im Supreme Court hätte das gewaltigeRaumschiff der Arkoniden sehen sollen. Danngäbe es diese Verhandlung nicht und Crest würdeso behandelt werden, wie es sich für einendiplomatischen ...«

»Das genügt, Dr. Manoli! Ich wage zu behaupten,dass Sie ebenso beeinflusst wurden wie dieHerren Rhodan und Bull. Was haben dieArkoniden mit Ihnen an Bord dieses Raumschiffsgemacht?«

»Nichts!«, antwortete Eric Manoli mit Nachdruck.

»Wir verfügen durchaus über Möglichkeiten, eineGehirnwäsche aufzudecken. Wurden Sie von denFremden unter Drogen gesetzt, Dr. Manoli?«

»Ich befinde mich im Vollbesitz meiner geistigenKräfte.«

Ein Raunen ging durch den Saal.

Monterny fragte sich, ob das der unerwarteteVersuch sein sollte, Rhodan und Bull als

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Versuch sein sollte, Rhodan und Bull alsFahnenflüchtige zu rehabilitieren. Was sie getanhatten, beschmutzte das Ansehen der VereinigtenStaaten. Ganz klar, dass der Präsident so dachte.Und weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte,galt es, dem Arkoniden die Verantwortung dafürzuzuschieben. Ein Beweis zugleich für dieIntegrität der Vereinigten Staaten von Amerika. DieFremden hatten die Psyche der Astronautenmanipuliert ... Das Aufatmen, wenn es sich soherausstellte, glaubte Monterny förmlich hören zukönnen. Wennschon, ihm war das egal. Seitbeinahe vier Wochen spielte ohnehin jeder seineigenes Spiel. Monterny selbst gab sich dabeikeineswegs bescheiden, seit er wusste, weshalbdie Arkoniden ins Sonnensystem eingeflogenwaren.

»Ich kann nicht erkennen, ob Rhodan und Bullallein sind«, sagte Tatjana.

Monterny reagierte mit einer geringschätzigenHandbewegung. »Wer wird zwei Deserteurenbeistehen? Doch nur die ewig Gestrigen, die trotzallem glauben, mit ihrem Geschwätz die Welt

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verändern zu können. Nur heiße Luft, Tatjana,mehr steckt nicht dahinter. Diese Leute hatten ewigZeit, ihre Vorstellungen umzusetzen. Geschehenist nichts.«

»Clifford wartet nur darauf, dass Rhodan endlicherscheint, um Crest aus den Fängen der Justiz zubefreien.« Roster Deegan lachte amüsiert. »Unddann – bingo!« Er schlug die Hände zusammen,als müsse er ein lästiges Insekt erschlagen.

Natürlich wartete er genau darauf. Wenn Rhodanund Bull kamen, gab ihm das Gelegenheit, seineneigenen Plan umzusetzen. Monterny hatte sich vonder alten Ordnung der Dinge losgesagt. SeinVaterland, Homeland Security oder auch PräsidentStanley Drummond – was hatten sie ihm schon zubieten, das mit der Unsterblichkeit konkurrierenkonnte?

»Einen Dreck«, murmelte er lautlos in sich hinein,bemüht, seine Überlegungen diesmal vor derTelepathin zu verbergen.

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Sie schaute ihn verwirrt an. Sie scheiterte fürgewöhnlich daran, seine Gedanken zu lesen, aberspürte sie intuitiv seine Absichten?

Egal. Er ahnte, dass der Preis für dieUnsterblichkeit hoch sein konnte. Alles hatteseinen Preis, das war nie anders gewesen.

Das Ewige Leben war gar nicht hoch genugeinzuschätzen, denn er kannte den Tod. Zu vieleKameraden hatte er sterben sehen, die eigeneschwere Verwundung hatte ihn an die Schwellezum Jenseits gebracht – er hatte den Tod gespürt.

Was konnte also verlockender sein als dieAussicht auf Unsterblichkeit? Dafür, dessen warMonterny sicher, hätte er sogar seine Mutterverkauft. Drummond wusste gar nicht, welcheChance ihm das Schicksal mit Crest in die Handgegeben hatte.

So eine Chance gab es nur einmal und nur fürkurze Zeit, danach wahrscheinlich nie wieder.

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4.

14. Juli 2036,

früher Vormittag

»Geben Sie mir Ihre Hand, Mr. Rhodan, und Siebitte ebenfalls, Mr. Bull!«

An diesen Satz fühlte sich Perry Rhodan erinnert,als urplötzlich eine große, athletische Gestalt ausdem Nichts erschien. Ras Tschubai war mitten indem Wohn- und Essraum materialisiert – eineigentlich unbegreiflicher Vorgang für denmenschlichen Verstand.

Perry spürte einen prickelnden Schauder. Wie

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bewerkstelligte Tschubai die räumlicheVersetzung? Nur mithilfe seines Geistes?Natürlich. Aber was war im Gehirn des Sudanesenanders, welche Laune der Natur hatte ihn mitdieser Fähigkeit ausgestattet? Und mit Tschubaioffenbar einige andere Menschen, wenn das, wasAdams angedeutet hatte, den Tatsachenentsprach. »Geben Sie mir Ihre Hand, Mr. Rhodan...«

Den Satz hatte er am vergangenen Abend gehört,kurz vor 22 Uhr, nachdem die Frachtmaschineausgerollt war und als die Triebwerke noch einenHöllenlärm vollführten. Die Pistenbefeuerung warbereits der Lichtfülle der Terminals gewichen.Offensichtlich waren in kurzem zeitlichem Abstandmehrere große Maschinen gelandet, jedenfallsherrschte rege Betriebsamkeit.

Adams' dicker Brummer kam zum Stillstand.Rhodan sah mehrere Gepäckwagen vorbeirollen.Leere Zubringerbusse parkten in Reih und Glied,zwei Fahrzeuge der Flughafenfeuerwehr rasten mitblinkenden Warnlichtern davon.

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»... und Sie bitte ebenfalls, Mr. Bull!«

Reg zögerte nicht und griff zu – so fest, dassTschubai das Gesicht verzog. Rhodan glaubte, dasZusammenzucken des Sudanesen spüren zukönnen ...

... dann herrschte Dunkelheit.

Das Dröhnen der Turbinen war jäh verstummt,ersetzt durch das kaum wahrnehmbare Summeneines leistungsstarken Elektromotors. EinFahrzeug, geschlossener Kastenaufbau,vermutlich ein Lieferwagen.

»Sie können meine Hand wieder loslassen«,erklang Tschubais Stimme. Offenbar meinte er Bulldamit, denn Rhodan hatte seine Hand schonzurückgezogen.

»Es stinkt nach totem Fisch!«, analysierte Reg dieneue Umgebung. »Ich hoffe, wir stecken nicht ineinem Berg verendeter Kopffüßer.«

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»Mögen Sie keinen Tintenfisch?«, fragte Tschubai.»Tiefseefang ist das, was die Ozeane freiwillignoch in profitabler Menge hergeben.«

»Einzeln komme ich gerade so damit zurecht, inrauer Menge nicht«, schimpfte Bull. »Sie hätten mirsagen sollen, dass wir unter einem Berg glitschigerKalmare ins Land eingeschleust werden.«

»Catering Service«, sagte der Sudanese leise.»Alles hygienisch und frisch zubereitet und gutverpackt.«

Zwei leichte Erschütterungen schlugen durch.Verursacht von Bodenwellen, die einLangsamfahren erzwingen sollten, vermuteteRhodan. Das Fahrzeug näherte sich einer Ausfahrtdes Flughafengeländes.

»Kontrolle«, raunte Tschubai.

Rhodan spürte eine Berührung am Arm ...

... und fand sich mit Bull und dem Teleporter ineinem Waschraum wieder.

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einem Waschraum wieder.

»Keine Sorge.« Tschubai grinste breit undentblößte zwei Reihen makellos weißer Zähne.»Adams' Leute haben dafür gesorgt, dass dieserRaum vorübergehend nicht zugänglich ist. Wir sindnicht mehr als sechzig Meter von dem Lieferwagenentfernt und dürfen nur den richtigen Zeitpunktnicht verpassen.«

Tschubai blickte auf seine Armbanduhr. EineStopp-Funktion war aktiviert, zählte rückwärts.»Unsere Fahrerin wird die Kontrolleure in einekurze Diskussion verwickeln, falls die Prüfung zuschnell abgeschlossen sein sollte.«

Noch eine Minute vierzig, sah Rhodan.

Dann wieder Tschubais Hand ... Fischgeruch. Gutvierzig Minuten Fahrt im Stop-and-go-Verkehr. Vonvorn erklang ein Klopfzeichen. Für Rhodan warklar, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Eine ruhigeNacht hatte Homer G. Adams versprochen unddass bis zum Morgen alles vorbereitet sein würde.

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Sosehr Rhodan sich vorgenommen hatte, auf denAblauf der nächsten Teleportation zu achten, ernahm nicht das Geringste wahr, als Tschubai Regund ihn in ihrem Quartier ablieferte. Eben dieDunkelheit im Kastenwagen, im nächstenSekundenbruchteil die neue Umgebung, das waralles. Es hätte schon einer extremenHochgeschwindigkeitskamera bedurft, umvielleicht erkennen zu lassen, wie der Vorgangablief ...

Und nun stand der Sudanese wieder vor ihm, undRhodan verschwendete nicht mehr einenGedanken an eine Aufzeichnung. Er dachtestattdessen an Crest und wie viel der Arkonide fürdie Menschheit bedeuten konnte.

»Bitte geben Sie mir Ihre Hand, Mr. Rhodan!«,sagte der Teleporter. »Sie ebenfalls, Mr. Bull.«

Die Umgebung wechselte abrupt.

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»Verdammt«, schnaubte Reginald Bull. »Davonhat Adams nichts gesagt. Quetscht unserePHÖNIX in eine ... eine ...« Er suchte vergeblichnach einem passenden Wort.

»In einen Giga-Truck erster Güte!«, bemerkte einemarkante Stimme hinter ihm.

»Eine Schuhschachtel!« Bull fuhr auf dem Absatzherum. Er wirkte verkniffen; die teilweiseverkrusteten Narben auf seiner Stirn und imGesicht, unnötiges Andenken an den Absturz derSTARDUST, spannten sich.

»Na fein«, sagte er, aber sein Zorn verrauchteschnell. »Eine Schuhschachtel für einen Giga-Truck ausgeben, das kann nur ...«

»... eine Frau?«, klang es ihm entgegen. »Unsinn.Ich mag keine Vorurteile. Und wenn du es genauwissen willst, ich hasse sie sogar.«

»Ich auch.« Reginald nickte knapp. »Trotzdem. DiePHÖNIX hat es nicht verdient, derart

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zusammengestaucht zu werden. Falls wir schnellstarten müssen, geht alles dabei zu Bruch.«

»Das glaube ich nicht«, widersprach die Frau.

Bull musterte sie. Sie war älter als er, aber daskonnte ebenso gut täuschen. Möglich, dass ihrverschmutzter Blaumann diesen Anscheinerweckte. Ein paar leichte Falten hatten sich indesschon in ihr Gesicht eingegraben.

Sie wirkte kräftig, sogar auf eine schwer zudefinierende Weise attraktiv. Das Schmieröl unterihren Fingernägeln störte Bull eigentlich nicht. DasEinzige, was nicht recht dazu passte, war ihrkurzes, elegant frisiertes Haar – zwingendnotwendig für den Einsatz im Gerichtsgebäude,vorausgesetzt, sie tauschte den Overall zuvorgegen angemessenere Kleidung. Im Momenterweckte sie den Anschein, als wollte sie zwar feinausgehen, müsse jedoch zuvor einen kaputtenStoßdämpfer auswechseln.

»Sie sind Iga, nehme ich an. Adams hat von Ihnen

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gesprochen.«

»Und du bist Reginald Bull, wenn ich nicht irre.Einer der Verrückten, die uns die Aliens auf denHals gehetzt haben.«

»Das ist nur bedingt richtig«, korrigierte Rhodan.»Wir mögen verrückt sein, aber die Arkonidenwaren schon auf dem Mond, bevor wir dortankamen.«

»Wortklauberei.« Die Frau musterte ihn von obenbis unten und nickte zögernd. »Du bist also PerryRhodan. Freut mich – oder auch nicht, ganz wie duwillst. Dieses Geschwätz über Außerirdische, daswar für mich so weit weg wie ... wie der Mond.Alles nur dafür da, damit die Leute nicht übermütigwerden.«

»Inzwischen sind Sie eines Besseren belehrt,Miss?«

Sie zuckte die Achseln. »Wir arbeiten zusammen.Allan hat mich darum gebeten, deshalb tue ich es.

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Und weil mich inzwischen einiges ...« Sie biss sichauf die Zunge, als sei sie plötzlich nicht sicher, obsie so reden durfte.

»... ankotzt?«, fragte Reginald Bull.

Sie nickte.

»Das geht uns genauso, Iga. Hast du eigentlicheinen Familiennamen? Adams hat ihn nichtgenannt.«

»Tulodziecki.«

Bull grinste breit. »Schon gut, ich bleibe bei Iga.«

Sie wandte sich wieder Rhodan zu. »Ich bin wederMiss noch Mrs, beides will ich nicht hören. Bei unsTruckern ist die förmliche Anrede verpönt.«

»Wohin ist Tschubai eigentlich verschwunden?«,fragte Bull. »Ich war der Meinung, dass er nurAdams holt.«

»Mir ist nichts anderes bekannt.« Die Frau hob

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beide Hände, als wolle sie sich da raushalten. »ImÜbrigen, Reginald, ich habe mir den Leasing-Truckangesehen. Wenn ich dir sage, dass die PHÖNIXunbeschadet innerhalb von neunzehn Sekundendraußen sein kann, dann passt das. Auch ohneSchuhlöffel. Wir haben die halbe Nacht darangearbeitet.«

Bull ging nicht darauf ein. Er inspizierte dasFluggerät, das er nach dem Absturz derSTARDUST eigenhändig zusammengeschraubthatte. Dreh- und Angelpunkt war das arkonidischeTriebwerk, das Crest in die STARDUST einbauenließ. Es hatte den Absturz überstanden undoperierte autonom. Verstellbare Trichter lenktenund dosierten die Schubleistung. Die eigentlichabgespreizten Spinnenbeine waren so nahe wiemöglich an den Mittelteil angestellt. Die Düsen unddie beiden Tanks beeinträchtigte das nicht. Siewaren das eigentlich Wichtige, dazu Piloten- undCo-Pilotensitz mit den dazugehörendenSteuerungsinstrumenten im Schwerpunkt derKonstruktion. Die Schäden, die die PHÖNIX beiihrer Bruchlandung an der australischen Küste

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erlitten hatte, waren nur oberflächlich gewesen undwieder behoben.

Das ganze Gebilde war improvisiert, ohneAndruckneutralisator, Antigrav und Energieschirm.Wer immer die PHÖNIX flog, war dabei äußerenEinflüssen schutzlos ausgesetzt. Doch dasarkonidische Triebwerk verlieh ihr einBeschleunigungsvermögen und eineManövrierfähigkeit, die alles in den Schattenstellte, was irdische Technologie aufzubietenvermochte.

»Alles okay?«, fragte Iga.

Bull klopfte mit der flachen Hand auf eines derangewinkelten Landebeine. »Ich sehe trotzdem einProblem: Wir müssen so nahe wie möglich an dasSupreme Court Building heran. Nicht nur, dass wiruns mit dem Truck-Monster unmittelbar vor demGericht verdächtig machen würden, denPartyservice wird uns bei der Größe niemandabkaufen – es sei denn, für eine Baseballarena.«

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»Allan und Mr. Adams haben daran gedacht.«

Iga hantierte mit einer Fernsteuerung, die aussahwie die Schalteinheit eines Verladekrans. EinStück der Innenverkleidung des Aufliegers schobsich beiseite und gab einen Bildschirm frei. DiePerspektive der optischen Erfassung wargewöhnungsbedürftig. Aus einer Höhe vonmehreren Metern fiel die Sicht sehr schräg seitlichauf den Giga-Truck.

Night & Day Catering. Der Schriftzug prangte ingrell bunten Versalien auf der Seitenwand desTrucks.

»Trotzdem«, wandte nun auch Rhodan ein. »DasFahrzeug ist ungeeignet. Ein Giga-Truck vor demSupreme Court würde schnell Terroralarmauslösen. Homeland Security steht imzweifelhaften Ruf, in so einem Fall erstzuzuschlagen und danach Fragen zu stellen.«

»Vielleicht Fragen zu stellen«, ergänzte Bull.

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»Tschubais Fähigkeiten sind enge Grenzengesetzt«, fuhr Rhodan fort. »Zweihundert Metermaximal, wie Adams uns versichert hat. EineTeleportation über diese Distanz hinweg zwingtihn zu einer längeren Regenerationspause.«

»Das habe ich auch erfahren«, erwiderte Iga.

Offenbar hatte sie einiges hinzufügen wollen,schwieg aber, weil Tschubai und Adamsmaterialisierten.

»Ich sehe, Sie haben sich schon bekanntgemacht«, sagte der Brite. »Entschuldigen Siemeine Verspätung. Ich habe mit Mercant undPounder gesprochen, sie fahren bereits wieder undwerden rechtzeitig die geeignete Positioneinnehmen.«

»Also können wir aufbrechen?«, fragte Iga.

»Pounder?«, erkundigten sich Rhodan und Bullnahezu gleichzeitig. Rhodan war vielleicht einenTick schneller mit seiner Frage. »Lesly Pounder,

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der Flight Director der NASA? Was hatausgerechnet er mit unserem Vorhaben zu tun?Und über Mercant wissen wir nicht mehr, als dasser mit Ihnen Initiator der Befreiungsaktion ist.«

»Die beiden sind unsere Versicherung dafür, dassdas Vorhaben ungestört ablaufen kann. Allan D.Mercant ...? Nun, sein Lebensweg war bis vorKurzem eng mit Homeland Security verbunden.Mittlerweile steht er auf unserer Seite.«

»Sie sind sich dessen sicher?«, wollte Bull wissen.

»Voll und ganz!«, platzte Iga heraus, ehe Adamsantworten konnte.

»Wie sieht diese ›Versicherung‹ aus?«, fassteRhodan nach.

»Lassen Sie mir ein kleines Geheimnis«, bat derBucklige. »Was Sie nicht wissen, können Sie nichtunbeabsichtigt verraten.«

»So weit haben wir uns bestimmt unter Kontrolle«,protestierte Bull. Er verstummte, weil Adams

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protestierte Bull. Er verstummte, weil Adamsabwinkte.

»Ich weiß nicht, ob Drummond möglicherweise aufTelepathen zurückgreifen kann. Allerdings mussteich das in Erwägung ziehen und unsereSicherheitsvorkehrungen darauf abstellen – soweitdas überhaupt möglich ist.«

»Wenn ich einen erwische, der in meinenGedanken herumschnüffelt, drehe ich ihmeigenhändig den Hals um.« An Bulls Schläfenschwollen die Adern. »Wo sind wir da nurhineingeraten?«, schimpfte er. »Wenn das dieschöne neue Zeit sein soll, dann ...«

»Ich fahre ...« Ohne weiteren Kommentar hatte Igavor etwas mehr als einer Stunde den Aufliegerverlassen. Seitdem rollte der Truck durch immerdichter werdenden Verkehr ostwärts.

»Wir liegen gut in der Zeit«, bestätigte Adams.»Meine Leute beliefern den Supreme Court seit

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vier Jahren und waren nicht ein einziges Mal zuspät. Zuverlässigkeit zahlt sich im Geschäftslebeneben aus.«

»Dann wird das heute trotzdem die letzteCateringfahrt sein«, bemerkte Bull.

»Ich kann den Verlust verschmerzen. Wer weiß,womöglich ändern sich die Zeiten, und derSupreme Court wird bald zum terranischenGerichtshof aufgestuft. Danach dürfte Night & DayCatering hoffentlich schnell wieder im Geschäftsein. Und nur, damit keine falschen Befürchtungenaufkommen: Querverbindungen zwischen derCatering-Gesellschaft und der General CosmicCompany wird nicht einmal Homeland Securityausgraben können.«

»Sie ziehen demnach in Erwägung, dass CrestsBefreiung scheitern könnte?«, fragte Rhodan.

Adams erwiderte den forschenden Blick desAstronauten. »Was sollte schon schieflaufen?«

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Die vier Männer hockten auf ausgeklappten Sitzen.Die Außenbeobachtung ließ erkennen, dass derTruck soeben eine der Brücken über den Potomacpassierte. Der Verkehr staute sich.

»Wir werden bald da sein.«

Adams erhob sich – und musste prompt nacheinem Halt suchen, weil das Fahrzeug insSchwanken geriet. Bremsen quietschten, lautesHupen drang gedämpft herein.

Augenblicke später machte Adams sich schon ander Ladewand zu schaffen, die den Aufliegerunterteilte. Was hinter der Abtrennung lag, glaubteRhodan mittlerweile zu wissen. Ihm waraufgefallen, dass Bull ebenfalls nachdenklich dieTrennwand taxiert hatte.

Adams schlug mehrere Stahlsplinte auf, bevor ereinen Seitenbereich der Wand öffnen konnte. Dasabgetrennte rückwärtige Segment des Aufliegerswar unbeleuchtet.

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»Ich nehme an, Mr. Rhodan, Mr. Bull, Sie habenbereits eine Vorstellung von dem, was Sie hiererwartet.«

»Ein auf Hochglanz polierter Lieferwagen derNight & Day Catering,« sagte Bull.

Rhodan setzte einen drauf: »Nicht einLieferwagen, sondern genau das Fahrzeug, mitdem das Gerichtsgebäude regelmäßig beliefertwird. Vertrautes gegen verstärkteSicherheitsvorkehrungen.«

»Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet.«Adams nickte zufrieden. »Natürlich gibt es ein paarkleinere Umbauten an dem Fahrzeug. DieKontrollen bei der Einfahrt ins Gerichtsgebäudewerden heute deutlich intensiver sein als fürgewöhnlich. Das konnte Iga gestern schonherausfinden.«

»Und wenn der Coup schiefgeht?«, wandte Bullein.

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»Ras Tschubai wird dann mit Mr. Rhodan inSicherheit teleportieren.«

»Sofern alles im Bereich unter zweihundert Meterbleibt«, schränkte Bull ein.

Adams nickte knapp. »Das Reichweitenproblemlässt sich nicht wegdiskutieren. Falls dochBedenken aufkommen: Iga und Tschubai könnenCrest auch allein befreien. Sie, Mr. Bull, und nochmehr Mr. Rhodan sind die Leitfiguren derWeltrevolution, jedenfalls sehe ich das so. Es wärein der Tat fatal ...«

»Revolution klingt nach Aufstand undWaffengewalt«, wandte Rhodan ein. »MeineVorstellungen sehen anders aus.«

»Aber so ist die Entwicklung nun einmal.«

Perry ballte die Hände zu Fäusten, öffnete siewieder, wischte sich in wachsender Unruhe mitdem Handrücken über die Lippen. »Es hat schonviel zu viel Leid gegeben«, sagte er betroffen.

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»Die chinesischen Soldaten, die von Thora mit denGeschützen ihres Beiboots getötet wurden ...«

»Thora hat überreagiert. Sie wurde angegriffen undhat extrem hart zurückgeschlagen. Womöglichmusste sie das. Wir wissen nichts über Ethik undMoral der Arkoniden, schon gar nichts übermögliche Gefahren, denen dieses Volk in seinerHeimat ausgesetzt ist.«

»Vielleicht ist die Milchstraße ein einzigerKriegsschauplatz«, wandte Tschubai ein.

Rhodan bedachte den Teleporter mit einemabschätzenden Blick. »Das hoffe ich nicht«, sagteer. »Wir legen unser menschliches Denkenzugrunde. Aber wer das Wissen und die Technikfür überlichtschnelle Reisen hat, der stehtwahrscheinlich über Krieg und Zerstörung.«

»Thoras Feuerschlag in der Gobi beweist eher dasGegenteil. Die zerstörten Mondbasen sindebenfalls eine eindeutige Anklage.«

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»Ich weiß.« Das einzugestehen fiel Rhodanschwer. Wäre er überhaupt Astronaut gewordenund zum Mond geflogen, wenn ihn nicht eineunstillbare Sehnsucht dazu getrieben hätte?Dieselbe Sehnsucht, die wagemutige Abenteurerin ihren schwimmenden Nussschalen vor beinahefünfeinhalb Jahrhunderten dazu veranlasst hatte,von Europa aus westwärts zu segeln, um einenneuen Seeweg nach Indien zu finden. JeneMänner um Christoph Kolumbus waren fündiggeworden und hatten einen neuen Kontinententdeckt: Amerika.

Aber dann?

Unsagbares Leid. Ungezählte Tote, gestorben anEntbehrungen, Krankheiten und im Kampf gegendie Eingeborenen. Brennendes Land. Diegewaltigen Bisonherden abgeschlachtet. Dasgleiche Schicksal war vielen Indianervölkernwiderfahren.

»Warum unterstützen Sie uns, Mr. Adams?« DieFrage lag Rhodan seit Australien auf der Zunge, er

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hatte sie nur bisher nicht ausgesprochen. Nun warder richtige Zeitpunkt dafür. »Sie sind reich undangesehen; ich glaube kaum, dass Sie sich überdie Probleme unserer Welt den Kopf zerbrechenmüssen.«

»Das war keineswegs immer so«, sagte Adamszögernd.

»Warum Ihre Unterstützung?«, wiederholteRhodan.

Homer Gershwin Adams nickte nachdenklich.»Eine gute Frage«, stellte er fest. »Eine sehr guteFrage sogar, das Warum?. Vielleicht, weil ichTräume und Sehnsüchte habe, die den Ihrengleichen, Rhodan. Weil die Menschheit ohneTräume heute nicht da stünde, wo sie ist ...«

»Einen Schritt vor dem Abgrund!«, kommentierteReginald Bull trocken.

»Oder vor dem Beginn eines neuen Zeitalters«,widersprach Adams. »Zweifeln Sie inzwischen an

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sich selbst?«

»Nein!«, antwortete Rhodan entschieden.Reginald Bull schüttelte stumm den Kopf.

»Wir werden den Warteplatz gleich erreichthaben!«, rief Tschubai, der noch auf der anderenSeite der Trennwand stand.

Bull nahm einen an der Wand hängendenHandscheinwerfer an sich und leuchtete denLieferwagen ab. »Wo ist Perrys Versteck?«, wollteer wissen.

Adams zeigte es den beiden Astronauten. EinBereich von knapp achtzig auf achtzig Zentimeternwar hinter der Fahrerkabine des Cateringfahrzeugsabgeteilt. Der schmale Raum war keinesfalls zubemerken, solange jemand nicht gezielt danachsuchte. Als Adams ein Regal zur Seite zog, öffnetesich ein enger Zugang.

»Das wurde aber nicht erst vor Kurzemnachgerüstet«, stellte Rhodan unumwunden fest.

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»Richtig«, bestätigte der Brite. »Die Kammer hatihre Feuerprobe schon bei anderer Gelegenheitbestanden. Das war jedoch nie etwasUngesetzliches. Bei Crest liegt die Sache einwenig anders ...« Nachdenklich schaute er Rhodanan. »Trotzdem waren alle Beteiligten sich vonAnfang an einig, dass der Arkonide nicht alsMörder verurteilt werden darf.«

»Alle?« Rhodan zählte die Namen an den Fingernab. »Das sind Sie, Mr. Adams. Außer Ihnen LeslyPounder und dieser ehemalige SecuritymannMercant. Oder gibt es weitere Beteiligte? EineGeheimgesellschaft zur Rettung Außerirdischer?«

»Sagen wir: eine Zweckgemeinschaft, die sichzusammengefunden hat, weil jedem bewusst ist,dass wir an einem historischen Scheidewegstehen. Dass wir Menschen eine Chance erhaltenhaben, die wir keinesfalls leichtfertig verspielendürfen. Eine eigentlich unverdiente Chance, umgenau zu sein.«

Bull schnalzte überrascht mit der Zunge, das

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machte Rhodan aufmerksam. Reg hatte sich indem abgetrennten engen Teil umgesehen. Mit denFingerknöcheln klopfte er auf die Verkleidung.

»Was ist das hier? Ein transparenterKunststoffüberzug – und darunter ...«

»Blei«, sagte Adams.

»Wozu?«, entfuhr es Bull. »Wohl kaum, umStrahlung abzuschirmen, oder?«

»Nur zur Vorsicht. Zu Mr. Rhodans Schutz. SeitMonaten sind neuartige Hohlraumresonatoren inGebrauch, die vor allem Homeland Securityeinsetzt. Die Bleiverkleidung verhindert, dass derRaum angemessen werden kann.«

»Ich glaube, Sie mittlerweile recht gut einschätzenzu können, Mr. Adams«, sagte Rhodan. »Sie sindsich ziemlich sicher, dass der Präsident mitmeinem Erscheinen rechnet? Natürlich: Crestverurteilt und die Landesverräter Rhodan und Bullendlich in sicherem Gewahrsam, das wäre für

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Drummond das große Los, das seine Wiederwahlgarantiert.«

»Mag sein, dass er so denkt. Ausschließen kannich es jedenfalls nicht. Ich würde sogar verstehen,wenn Sie das Risiko nicht eingehen ...«

Rhodan schüttelte nur leicht den Kopf, das ließAdams mitten im Satz verstummen.

»Glauben Sie, dass wir alles riskiert haben, nurdamit ich mich nun verkrieche? Die Arkoniden sindder Beweis dafür, dass Leben nicht nur auf derErde existiert, dass wir eben nicht der Mittelpunktder Schöpfung sind. Einige Leute werden endlicheinsehen müssen, dass unsere Heimat nur einSandkorn im All ist. Wenn wir Menschen eineZukunft haben wollen, dürfen wir nicht länger alsAmerikaner, Chinesen oder Deutsche denken undhandeln, sondern müssen als Terraner gemeinsaman einem Strang ziehen.«

»Es wird lange dauern, bis alle Menschen dasbegreifen werden«, behauptete Adams.

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»Sollte es wirklich so schwer sein? Ich glaube,dass acht Milliarden lernfähig sind.« Rhodanschaute den Briten forschend an, dann setzte er miteiner heftigen Handbewegung einen symbolischenSchlussstrich. »Crest ist der letzte überlebendeArkonide im Sonnensystem. Er kennt mich undvertraut mir ...«

»He!«, sagte Bull heftig.

»Er vertraut uns beiden«, berichtigte Rhodan.»Natürlich bezweifle ich nicht, dass Ihr TeleporterCrest allein aus dem Gerichtssaal holen kann.Trotzdem frage ich mich, wie schnell die Wachenreagieren werden und wie locker ihre Waffensitzen. Die Ladung eines Elektroschockers ausnächster Nähe dürfte Tschubai aus dem Verkehrziehen. Ein zusätzliches Ablenkungsmanöver, dasalle Blicke auf sich zieht, verschafft ihm vielleichtwertvolle Sekunden.«

Adams nickte zögernd. »Mir ist durchaus bewusst,warum Sie darauf bestehen, die Befreiungsaktionmitzumachen. Das mit Crests Vertrauen ist ein

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wenig zu dünn als Begründung. Sie wollen zu denMenschen sprechen? Gut. Zwei Netz-Teams sindfür den Supreme Court zugelassen, dieÜbertragung erfolgt weltweit über Satellit. Ehrlichgesagt: Ich bin gespannt darauf, herauszufinden,wie schnell die Regie alles kappt.«

5.

Washington D.C.,

10.45 Uhr

»Verschwindet!«, fauchte Iga aufgebracht. »Gehtmir aus dem Weg, ihr Idioten! Seht ihr nicht, dassich ...« Ihr Handballen klatschte auf die Hupe. Lautblökend steckte der Lieferwagen in der Menge fest.

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»War das gestern schon so katastrophal?«

Ras Tschubai saß auf dem Beifahrersitz. Mitbeiden Händen wedelnd, versuchte er dieDemonstranten zur Seite zu scheuchen, die mitihren Transparenten die Straße blockierten.

Ein Glatzkopf mit Kinnbart schaute sich zu ihm um,schüttelte den Kopf und zeigte eine obszöneGeste.

»... du dich selbst!«, schnaubte Iga und ließ denMotor lauter summen. »Ich weiß schon, warum ichdiese Elektrokarren nicht mag«, schimpfte sie.»Früher konnte man den Motor richtig lautaufheulen lassen. Aber heute?«

Tschubai öffnete die Seitenscheibe eineHandbreit. »He, Jack!«, rief er dem Glatzkopf zu.»Wir müssen da durch, sonst verhungern die imGericht. Nur ein paar Schritte zur Seite ... Nach unskönnt ihr tun und lassen, was ihr wollt.«

Der Mann reagierte nicht.

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»Jack!« Tschubai wurde lauter. »Lasst uns einfachdurch, danach dürft ihr gegen Gott und die Weltprotestieren.«

»Jack?« Der Angesprochene fuhr herum. Auszusammengekniffenen Augen musterte er denLieferwagen und die beiden Personen hinter derFrontscheibe. »Ich heiße nicht Jack.«

»Dann eben Jim oder wie immer. Wir müssenweiterfahren!«

Verächtlich verzog der andere das Gesicht. »EinNigger und eine weiße Nutte. Glaubt nicht, dassich mir von euch Vorschriften machen lasse.«

Tief atmete Tschubai ein. »Bitte!«

Der Mann, er machte nicht einmal denschlechtesten Eindruck, spuckte aus. »Einenbettelnden Nigger kann ich auf den Tod nichtausstehen. Verzieh dich und lass die Menschen inRuhe, die Wichtiges zu sagen haben.« SeineFaust krachte auf die Karosserie.

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»Wenn du Streit suchst, komm rüber zu mir!«, riefIga. »Aber ich wette, du hast jetzt schon die Hosenvoll.«

Er funkelte sie zornig an. »Erst mach ich denNigger fertig, danach dich! He, wo ist der Kerlhin?« Entgeistert starrte er auf den leeren Platz desBeifahrers.

Iga hob beide Hände. »Wer?«, brüllte sie gegendie lauter werdenden Sprechchöre an. »Von wemredest du?«

»Der Nigger! Er kann sich unmöglich in Luftaufgelöst haben.«

Der Mann versuchte, sich auf die Stoßstange zustellen, doch Iga ließ den Transporter wiederanrollen. Zwei, drei Handbreit Platzgewinn, schonwar es erneut vorbei. Der Glatzköpfige rüttelte ander verriegelten Beifahrertür, immerhin konnte ervom Einstieg her die Kabine einsehen.

»Ich bin allein, ich war allein!«, rief Iga. »Deshalb

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glaube ich, bei dir ...« Unmissverständlich wedeltesie mit der gespreizten Hand vor ihrem Gesicht.Wieder drosch sie auf die Hupe, ließ das Fahrzeuganrollen und bremste abrupt. Als sie aufsah, warder Kerl auf der rechten Seite verschwunden.

Sie steckte mit der Catering-Lieferung fest, kamnicht einmal bis zur Einmündung zurück.Tausende Demonstranten hatten Spruchbänderentrollt und zogen die Second Street entlang.

»Bürger von Washington«, plärrte eineLautsprecherstimme. »Das Ende der Welt ist nahe!Tut Buße und bereitet euch darauf vor, dassunsere Welt im Feuersturm versinkt. Niemandkennt den Tag noch die Stunde, aber die Rache istmein, sagt der Herr ...«

Ein heftiges Klopfen an der Scheibe. EineTeufelsfratze mit rot blinkenden Hörnern starrte Igaentgegen. Der maskierte Bursche drückte einPlakat an die Scheibe.

Der Antichrist ist in die Welt gekommen. Die

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Apokalypse begann in der Wüste Gobi, las dieTruckerin.

Ein sanfter Luftzug ließ sie den Blick wenden.Tschubai saß wieder da.

»Wo warst du?«

»Zwei Straßenzüge weiter steht Polizei ...«

»Nicht schlecht.« Ein Grinsen huschte über ihrGesicht, als sie mit dem Zeigefinger aufs Displaytippte. Die Menü-Auswahl huschte durch, schnellstabilisierte sich das Patch der Metropolitan Police.

»Justitia Omnibus«, las Iga halblaut. »Justice ForAll. District of Columbia.« Dann hatte sich dieFunkverbindung aufgebaut.

Du bist verrückt!, bedeutete ihr Tschubais Blick, alsder Teleporter verstand, was sie vorhatte. Igawinkte großzügig ab.

Ein Master Patrol Officer meldete sich. Sieverstand seinen Namen nicht, doch das war

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ohnehin nebensächlich.

»Night & Day Catering, Melinda Abeltree«, sagteIga. »Tut mir leid, Officer, ich habe die üblicheCatering-Lieferung für den Supreme Court an Bordund stecke in einer Demonstration fest. ObPräsident Drummond auf die bestellte Ware wartenwird, weiß ich nicht, aber der Vorsitzende Richterund die Beigeordneten ...«

»Wo sind Sie, Miss Abeltree?«

»Mrs«, berichtigte sie und zwinkerte Tschubai zu.»Mein Begleiter und ich hängen in der SecondStreet rum und können das Madison Buildingschon vor uns sehen. Falls uns jemand zumSupreme Court lotsen kann ... Es geht auf dieMittagspause zu.«

»Ich habe zufällig mehrere Cruiser in Ihrer Nähestehen, Ma'am. Warten Sie einige Minuten.«

»Ohne Ihre Hilfe komme ich hier ohnehin keinenSchritt weiter.« Iga seufzte tief. »Danke, Officer!«

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Die Verbindung wurde vom Department ausgetrennt.

Sie sah, dass Tschubai sich den Schweiß von derStirn wischte. Er musterte sie von der Seite. »Ichhoffe, du weißt, was du verantworten kannst.Rhodan und Bull ...«

»Wer?«, fragte sie irritiert.

»Rhodan und ...« Tschubai verstand. »In Ordnung,ich habe die beiden nie gesehen. Und wenn ich ansie denke, dann nur an irgendwelche Nachrichtenaus China und vom Mond.«

»Übertreib nicht gleich! So etwas fällt erst richtigauf.«

»Das musst ausgerechnet du ...«

Schrilles Sirenengeheul jaulte die Straße entlang.Drei der weißen, mit roten und blauen Streifenverzierten Police Cruiser schoben sich langsamnäher heran, und endlich kam mehr Bewegung in

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die Demonstranten.

Zwei Cruiser stoppten. Die Beamten stiegen aus,kamen näher. Weiter vorn skandierte die Menge.

Einer der Polizisten klopfte an die Scheibe. Iga ließdas Seitenfenster nach unten gleiten.

»In Fahrtrichtung kommen wir so schnell nichtdurch«, sagte der Mann. »Aber Sie können gleichzurücksetzen.«

»Danke, Sergeant!« Sein Rangabzeichen hatte Igamit routinemäßigem Blick gecheckt.

»Schon gut. Sie sind zu zweit?«

»Wir sind für die Fracht, das ordnungsgemäßeAusladen und die Serviervorschlägeverantwortlich. Full Service.«

»Machen Sie den Laderaum auf!«, bemerkte derPolizist mit einem Kopfnicken zur Werbeaufschrift.

Als Iga ausstieg, drückte sie dem Sergeant zwei

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bedruckte Blätter in die Hand. Text und Bilder.»Die heutige Lieferung, dem Anlass entsprechendvom Feinsten.«

Er warf nur einen flüchtigen Blick darauf. »Und wir,die wir für alles den Kopf hinhalten müssen ...«

»... kriegen Hotdogs oder Cheeseburger«, stimmteIga zu. »Ich würde Ihnen gern was abgeben, leiderist die Ware abgezählt.« Sie öffnete die Hecktür.

Der Polizist warf nur einen schnellen Blick hinein.

»Okay. Stoßen Sie zurück, Ma'am. Ein Wagenbegleitet Sie zum Court.«

»Bis zur Lieferantenauffahrt bitte.«

Wer sich auf dem von Bürgerkriegen zerrissenenafrikanischen Kontinent ein wenig auskannte, dersteckte Ras Tschubai seiner tiefschwarzenHautfarbe wegen schnell in die sudanesischeEcke. Im Moment wäre die Zuordnung nicht mehr

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so eindeutig ausgefallen. Er war bleich geworden,aschfahl geradezu. Stumm saß er auf demBeifahrersitz und blickte starr geradeaus. Dabeiwäre Ras der Erste gewesen, der mit heiler Hautaus der Sache rauskam, fand Iga.

Sie hatte die Einfahrt zum Gerichtsgebäudeerreicht. Der Police Cruiser fuhr rechts ran, Iga zogmit dem Lieferwagen langsam vorbei. Sie grüßtedankend und bog auf die Rampe ein.

Als sie nach knapp vierzig Metern denWachtposten erreichte, lächelte sie wieder. DerMann, der hier kontrollierte, war gestern schon dagewesen und kannte sie.

Sie stoppte, wartete, bis er zur Fahrertür kam.

»Spät dran«, stellte er fest.

»Eine Weltuntergangssekte übt schon mal, da wardie Straße dicht. Ich hab die DC Police umUnterstützung gebeten, sonst hätte es schlechtausgesehen mit der Termintreue.«

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»Hab das schon bemerkt. Die Ladung?«

»Wie gestern: Vorspeisen, drei Gänge Hauptmenü.Lediglich das Kuchenbuffet wurde auf Wunsch desPräsidenten umgestellt.«

Der Beamte winkte ab. Knapp deutete er aufTschubai. »Ein Neuer? Was ist mit dem vongestern?«

»Dienstplanumstellung.« Iga rieb sich den Nacken.»Heute so, morgen so, wie's gerade gebrauchtwird. Ich habe die Tour auch nur für diese undnächste Woche, danach bin ich für die UNO inNew York eingeteilt.« Sie warf einen Blick auf dieUhr. »Ist tatsächlich arg spät heute.«

Der Wachmann zuckte die Achseln. »Der Sprintersteht schlecht. Fahr zwei Meter vor für dieUnterbodenkontrolle, und mach hinten auf.«

Die gepflasterte Zufahrt ließ nicht erkennen, woMessgeräte und Sensoren verborgen waren. Igawusste das trotzdem, Allan Mercant hatte es ihr

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erklärt. »Gut so?«, rief sie nach draußen, nachdemsie den Wagen ein kleines Stück weit hatte rollenlassen.

»In Ordnung.«

Sie stieg aus.

»Anderes Fahrzeug als gestern«, stellte derUniformierte fest und ließ seine Hand über einekleine Schramme in der Hecktür gleiten.

»Das ist wie mit dem Personal«, versetzte Iga.Insgeheim war sie erleichtert, dass daraufverzichtet worden war, die Kennzeichenumzustecken. Sie hatte am Vortag einen absolutidentischen Typ gefahren – bis auf die zusätzlicheingebaute Kammer.

Der Mann hielt ein röhrenförmiges Gerät in denLaderaum und bewegte es langsam von einerSeite zur anderen. Dann stieg er ein, ging gebücktnach vorn.

»Und?«, fragte Iga. »Wir verarbeiten nur absolut

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»Und?«, fragte Iga. »Wir verarbeiten nur absolutfrische Ware.«

Er schaute sie forschend an. »Sprengstoff istjedenfalls nicht an Bord; das neue Plastikzeug ausden arabischen Ländern ist hochbrisant und lässtsich in jede gewünschte Form pressen. Du glaubst,du hältst einen Apfel in der Hand, aber wenn duhineinbeißt – bums.«

»Aua.« Iga fasste sich an den Mund. »Gibt es daswirklich?«

Er lachte. »Fahr weiter!«

Eine enge spiralförmige Auffahrt. Hier warmehrmals umgebaut worden, das war deutlich zusehen. Selbst der Oberste Gerichtshof derVereinigten Staaten galt nicht mehr als dasAushängeschild, das er einmal gewesen war.Während die Säulenfront wie geleckt erschien,merkte man im rückwärtigen Bereich die fehlendenfinanziellen Mittel. Die Hurrikan-Saison von 2028

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hatte der ohnehin stagnierenden Wirtschaft desLandes einen Schlag versetzt, von dem sie sichbislang nicht erholt hatte.

Das Ladedeck. Bröckelnder Beton, verblassendeFarben, sogar die Bodenmarkierungen verwittert.

Unvermittelt eine Absperrung. Am Vortag war sienicht da gewesen. Ein Uniformierter winkte Iga. Erwirkte ungeduldig – sie war es mittlerweile. Vorallem die Marines bereiteten ihr Magendrücken.Die Soldaten standen scheinbar gelangweiltherum, aber die Maschinenpistolen in ihrenArmbeugen redeten eine andere Sprache.

»Warum hat Allan nichts davon gesagt?«

Tschubai schwieg. Was hätte er schon antwortensollen? Iga biss die Zähne zusammen. Die Zeitschritt unaufhaltsam dahin. Jeden Moment mussteAllans Meldung eintreffen, dass er mit PounderPosition bezogen hatte. Dann würde es nur mehreine Viertelstunde dauern ...

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»Beide aussteigen!«

»Aber ...« Sie resignierte, als sie die starre Mienesah, nickte Tschubai trotzdem zu. Er würdehoffentlich spüren, wann er reagieren musste.

»Wir werden erwartet«, sagte Iga. »Catering-Service. Sind ohnehin schon spät dran. Gesternwar die Kontrolle noch normal.«

»Heute ist es eben anders.«

»Warum das?«

»Wir erwarten Rhodan.«

»Den Astronauten?« Iga bebte. »Ich dachte, dieserRhodan und seine Deserteure sind in China inGefangenschaft gegangen.«

»Sieht nicht danach aus.« Der Soldat grinstedreckig. »Ehrlich gesagt, die wären schön blöd,wenn sie versuchten, nach Washington zukommen.«

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»Na also ...«

Der Marine deutete mit dem Lauf seiner Waffe aufden Lieferwagen. Zwei andere öffneten denLaderaum und verschwanden darin.

»Bringt mir bloß nichts durcheinander ...«, sagteIga.

»Anordnung von oben.«

Höchstens zwei Minuten vergingen, dannverließen die beiden Soldaten das Fahrzeugwieder. »Negativ!«, meldeten sie. »Die Messgerätezeigen nichts an.«

Iga schaute ihr Gegenüber so verblüfft an, dass derOffizier lachte. »Ein Scan nach biologischenKörperfunktionen«, erklärte er. »Könnte ja sein,dass sich jemand in einer Kühltruhe versteckthält.«

Es war eng. Und dunkel. Perry Rhodan saß auf

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dem Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt,die Beine angezogen. Er bemühte sich,gleichmäßig zu atmen und alle düsteren Gedankenzu verbannen. Gerade das mit den Gedanken warnicht leicht. Nach der Rückkehr vom Mond hatte ersich als Sieger gefühlt und geglaubt, die Menschenschnell überzeugen zu können.

»Du willst sie zu ihrem Glück zwingen«, hatte Regihm vorgeworfen. »Sie sind noch nicht so weit.«

»Ein paar Unverbesserliche sind nicht so weit«,hatte er dem Freund geantwortet. »Der Rest sehntsich nach einer besseren Zukunft.«

»Glaube mir, Perry, das wird ein langer undschmerzhafter Prozess. Wir Menschen sindGewohnheitstiere. Alles Neue wird kritisch beäugtund vorverurteilt. Schau dir die Foren im Netz an.«

»Das meinst du nicht ernst, Reg, oder?«

Bulls Schweigen war Antwort genug gewesen. Siehatten dieses Thema seitdem nicht wieder

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aufgegriffen.

Der Lieferwagen stoppte. Ruckte wieder an. Hielterneut. Gedämpft drangen Lautsprecherstimmenvon draußen herein. Wieder ein kleiner Ruck.

»Die letzten Tage sind angebrochen«, vernahmRhodan eine markante Stimme. »Ich sage euch,diese Welt wird keinen Bestand mehr haben, denndie Zeit der Ernte ist gekommen. Die Frucht derErde ist reif geworden, der Planet wird abgeerntet...«

Perry fühlte sich in dem Kampfanzug wie einFootballspieler lange nach dem Match. Eingekeiltund plump. Die Kleidung, die Adams Reg und ihmin Australien besorgt hatte, hätte genügt. Aber nein,er musste ja Eindruck schinden, sobald er vor demHohen Gericht erschien.

Adams hatte ihm einen Pod gegeben. DieVerbindung war angeblich abgesichert. Aus demOhrstöpsel hörte er plötzlich Bull reden.

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»Wir haben das Spiel verloren, Perry, leider sindwir zu verbohrt, um das einzusehen. Was habenwir denn sonst vorzuweisen?«

»Wir haben Crest.«

»Drummond hat ihn, Perry. Drummond. Soll ich dirseinen Namen buchstabieren?«

»Nicht nötig.«

»Oh, der Herr fühlt sich zu Unrecht angegriffen. Wirstehen mit leeren Händen da. Wie in diesemMärchen: Hans im Glück. Die AETRON hätte unsRespekt verschaffen können – sie ist hinüber, mitMann und Maus und Robotern. Drummond hat einTeam auf den Mond geschickt, in dem es keinenPerry gab, der im entscheidenden Augenblick überden Tellerrand seiner beschränkten Befehlegesehen hat. Und die STARDUST? Futsch. DiePHÖNIX ist auch nicht gerade ein technischesGlanzstück. Und unser Stützpunkt in der Gobi, denwir großspurig ›Terrania‹ genannt haben? Wäreschön gewesen, aber leider war der Baugrund zu

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sandig und die Nachbarn wollten uns nichthaben.«

Perry Rhodan schwieg.

»Hast du nichts dazu zu sagen?«, fragte ReginaldBull heftig.

»Doch: Bist du fertig mit deiner Aufzählung?«

Bull schnappte hörbar nach Luft. »Thora hätteunser Trumpf sein können«, sagte er schonmerklich ruhiger. »Aber sie ist, wie alle anderen,ein bedauerliches Opfer von DrummondsExistenzangst. Wenigstens eines müssen wir ihmzugutehalten: Es war eine saubere Bombe ohneradioaktiven Fallout. In der Hinsicht haben sich dieChinesen ebenso wenig lumpen lassen. DassCrest nicht schon beseitigt ist, wundert mich.Vielleicht ist Drummond auf den Geschmackgekommen und hat begriffen, wie weit dieArkoniden uns technisch voraus sind.«

Sirenengeheul war zu vernehmen. Es kam näher,

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dann blieb es konstant.

»Eines muss man ihm lassen«, schnaubte Bull.»Er hat schnell herausgefunden, wo er dicherwischen kann. Soll ich dich jetzt schon darausholen?«

Offenbar hatte Reginald Bull dem Präsidentendoch zu viel zugetraut. Der Lieferwagen setzte sichwieder in Bewegung. Dass der schrilleSirenenklang blieb, ließ vermuten, dassPolizeiautos das Fahrzeug begleiteten.

Eine Eskorte?

Perry Rhodan bemerkte kaum, dass Bull wiederschwieg. Er dachte daran, dass Crest der letzteArkonide im Sonnensystem war. Ohne ihn bestandkeine Aussicht, Kontakt zu den Zivilisationen in derMilchstraße aufzunehmen. Jedenfalls nicht indiesem Jahrhundert.

Und später?

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Und später?

Er musste eigentlich nur eins und einszusammenzählen, dann konnte er die Hoffnung aufein Später schon begraben. Die Menschen desPlaneten Erde waren im Begriff, ihr eigenes Grabzu schaufeln. Sicher, so hatte es schon im letztenJahrhundert geheißen und trotzdem war der allesvernichtende Atomkrieg der Supermächteausgeblieben. Die Gräben zwischen den Nationen,zwischen Ost und West und auch Nord und Süd,waren jedoch keineswegs zugeschüttet worden.Zudem blutete der Planet aus, seine Wundenwurden von Tag zu Tag deutlicher.

Ein Schreckensszenario: Der Meeresspiegel stiegschneller, als stets für möglich gehalten wordenwar. Zugleich schwand die schützendeOzonschicht. Der Fischereikrieg war zum Glücknicht zum lodernden Fanal geworden, hatte aberdennoch Tausende von Toten gefordert. Gegen dieaktuellen Fangzahlen regte sich neuer Widerstand.Frischer Fisch war in vielen Regionen längstunbezahlbar.

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Im Amazonasbecken bewachten mittlerweileschwer bewaffnete Milizen mehrere TausendQuadratkilometer halbwegs intakten Dschungel.Dass sie trotz allem auf verlorenem Postenstanden, hatten neue Brandrodungen in denletzten Monaten bewiesen. Aus Kleinflugzeugenabgeworfenes Napalm sollte weiteres Weidelandschaffen. Ob Brasilien die daraufhin verhängteFlugverbotszone mit militärischen Mitteln schützte,entzog sich Rhodans Kenntnis. In den letztenWochen hatte er sich mit anderem befasst.

Er hatte die Chance, alles zu verändern.

Schon beim ersten Blick auf das knapp fünfhundertMeter durchmessende Kugelraumschiff war ihmdeutlich geworden, was die Menschen endlichvereinen konnte. Eine Vision, wie es sie nie zuvorgegeben hatte. Der gemeinsame Griff nach denSternen.

Seine Zuversicht war schnell demontiert worden,nicht jedoch seine Hoffnung. Sie stützte sichweiterhin auf den Arkoniden Crest.

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Er ist kein Mörder.

Aber Crest war neben Thora als Einziger in jederHinsicht voll handlungsfähig gewesen. Selbstwenn er den Befehl für den Waffeneinsatz gegendie Mondbasen nicht gegeben hatte, Crest hattezumindest davon gewusst und es nicht verhindert.

Sind Menschen Mörder, die eine Fliegeerschlagen, weil sie ihnen lästig wird?

Der Vergleich erschreckte Rhodan. Und doch, ausSicht der Fliegen richtete ein einzelner Menschoftmals ein Massaker an.

Die Toten ließen sich nicht leugnen. Nicht dieBesatzungen der Mondbasen und nicht diechinesischen Soldaten in der Gobi. Und dieZehntausende von Menschen, die in dieZentralgobi gepilgert waren, um seinen Traum voneiner vereinten Menschheit mitzuträumen, wieviele Opfer hatten sie bringen müssen? Tote undVerwundete, an deren Schicksal er letztlichmoralische Mitschuld trug.

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Sie, Angehörige vieler Völker, die spontan in dieGobi aufgebrochen waren, durfte er zu Recht»Terraner« nennen. Ohne Ansehen ihrer Herkunft,ihrer Hautfarbe oder der Religion hatten sie sichzusammengefunden, um seiner Idee eine Basis zuverschaffen.

Ihnen bin ich es schuldig, dass ich nicht aufgebe!Was wir alle begonnen haben, darf nicht umsonstgewesen sein!

Rhodan lauschte. Der Lieferwagen hatte wiederangehalten. Jemand hantierte im Laderaum, erhörte Stimmen, verstand aber nicht, was geredetwurde. Wahrscheinlich handelte es sich um dieKontrolle vor dem Gerichtsgebäude.

Demnach war es bald so weit.

Crest befreien und Kontakt mit den Arkonidenseiner Heimat aufnehmen – dazu gab es keineAlternative.

Letztlich ging es dabei um den Planeten Erde und

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um über acht Milliarden Menschen. Hier und jetztwurde entschieden, ob sie auf Dauer eine Zukunfthaben würden.

Nur für einen Moment zeigte die Truckerin ihreEmpfindungen. Als das Summen desElektromotors verstummte, schloss sie die Augenund lehnte sich mit dem Kopf an dieSeitenscheibe. Wenige Sekunden verharrte sie sound atmete tief ein und aus, dann richtete sie sichauf und schaute Tschubai an. »Ich dachte schon,sie hätten uns.«

Der Teleporter deutete nach draußen. »DasPersonal kommt. Wir sollten uns beeilen.«

Iga nickte stumm.

Der gläserne Aufzug hatte auf dem Parkdeckangehalten. Vier Frauen und Männer in der dezent-eleganten Kleidung des Hauspersonals kamen mitTablettwagen im Laufschritt näher.

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Iga stieg aus.

»Okay«, sagte sie und heischte umAufmerksamkeit. »Wir wurden aufgehalten, aberdie DC Police hat uns den Weg frei gemacht. Ichverteile als zuerst die Vorspeisen und Suppen,dazu die Getränke. Wir haben es gestern geschafft,wir bekommen das heute ebenso in den Griff. Wiesieht es mit speziellen Wünschen aus?«

Eine der Frauen reichte ihr ein Tablet. Iga blättertedurch die Notizen. »Gibt es schon Informationenzur Mittagspause? Pünktlich? Oder wird das HoheGericht erst zu einem späteren Zeitpunktunterbrechen?«

»Wir haben die Mitteilung, dass ein weiterer Zeugeaufgerufen wird. Der Vorsitzende Richter will damitnicht bis nach der Pause warten.«

»Wie lange?«

Iga erhielt ein Kopfschütteln als Antwort.

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Mittlerweile war auch Tschubai ausgestiegen. Siehalfen beide beim Transport. Natürlich hatten siedie Pläne des Gerichtsgebäudes studiert. AllanMercant hatte sofort nach dem Bekanntwerden derVerhandlung gegen Crest seine Beziehungenspielen lassen und einen Datensatz auf einenöffentlichen Netz-Knoten erhalten. Rückverfolgungdes Transfers in dem Fall nicht möglich. Die Kopiewar nicht die beste, aber brauchbar.

Der Küchenkomplex wurde schon seit Jahren nichtmehr genutzt und wirkte von der Zeit überholt.Night & Day Catering als preisgünstigster Anbieterhatte damit zwar einige Arbeitsplätze auf demGewissen, die freigesetzten Kräfte jedoch für denAufbau des Filialnetzes entlang der Ostküsteübernommen.

Leere Korridore zweigten ab. Iga registrierte, dassTschubai mehrmals stehen blieb und sich umsah.Diese leeren Räume waren für ihn als Teleporterideal, und dass er sie unmittelbar in Augenscheinnehmen konnte, war für ihn Gold wert. So konnte erseine Sprungweite jeweils kurz halten und Kräfte

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sparen. Möglicherweise brauchte er einen leerenRaum als Zwischenziel.

Ein kurzer Piepton. Iga griff nach ihrem Pod. DerSchirm zeigte eine explodierende Sternenwolke,das Signal von Allan D. Mercant und LeslyPounder.

Fünfzehn Minuten waren veranschlagt. Sie mussteschnell entscheiden, ob jetzt oder später. ZehnMinuten waren es nur noch bis zur Mittagspausedes Gerichts, wenn sich der Saal erst geleert hatte,würde manches schwerer werden.

Jetzt! Damit hielt sie das Risiko einer Entdeckungso gering wie möglich.

Sie gab ihr Bestätigungssignal. Tschubai sah esund nickte zustimmend.

Im Vorbereitungsraum wurde abgeladen, verteilt,sortiert. Was erst später benötigt wurde, fand denWeg in die Kühlbereiche. Gedämpfte Hektikherrschte.

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Deckenbildschirme waren den jeweiligenArbeitsbereichen zugeordnet. Die beidenSpeisesäle für Medienvertreter und Gäste wareneinsehbar, die Räumlichkeiten, in die sich Richter,Staatsanwaltschaft und Geschworenezurückzogen, blieben tabu.

Ein Schirm zeigte die Netz-Übertragung aus demSupreme Court. Der Ton war abgeschaltet, was Igabedauerte. Es hätte ihr geholfen, den Ablaufbesser einzuschätzen.

Aber auch so: Die Pause wurde hinausgeschoben.Die Anspannung in den Gesichtern der Richter wargreifbar. Die Autokameras waren auf menschlicheRegungen justiert, das war mittlerweile bei denmeisten Live-Reportagen Standard.Fortgeschrittene Programme zurGesichtserkennung machten es möglich.Emotionen verkaufen, hieß das Schlagwort.Freude, Leid, Trauer und Verzweiflung, daserwarteten die Menschen, die sich ins Neteinschalteten. Permanent suchten dieautomatischen Kameras und zeichneten auf,

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sobald die vorgegebenen Kriterien erfüllt waren.Jedes Netz-Team bestand aus zwei Leuten, derenTablets als Mischpult dienten, auf dem die Fädenzusammenliefen. Fingertippen besorgte dieAuswahl der jeweiligen Filmsequenz. ImGerichtssaal fiel die Schnittfolge natürlichlangsamer und beständiger aus als bei anderenEreignissen. Vor allem waren die mit nahezugeräuschlosen Rotoren flugfähigen Kleinkamerasverboten.

Crest kam ins Bild.

Der Arkonide wirkte nachdenklich, fand Iga. Alsverstehe er, dass er ein Außenseiter war, der keineChance hatte, irdischen Vorurteilen zu entgehen.Mehrmals fasste er sich an den Hals und massiertesich mit beiden Händen den Nacken.

Er war unsicher. Ein Eingeständnis seiner Schuld?Oder nur Unverständnis, was mit ihm geschah?

Irgendwann, Iga entsann sich längst nicht mehr,wann und wo, hatte sie einen Ausspruch gehört,

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der ihr nun wieder in den Sinn kam. Es war wohlwährend einer ihrer vielen Überlandfahrtengewesen, eine der wissenschaftlichenInfosendungen.

Wenn eines Tages Außerirdische auf der Erdelanden, werden wir sie entweder als Götterverehren oder wir bringen sie um.

Sie brauchte nicht mehr zu fragen, welche derbeiden Möglichkeiten die zutreffendere sei.

In den Topnachrichten war Crest nur sehr kurzoder in verwischten Aufnahmen zu sehengewesen, wenn überhaupt. Sein Alter zu schätzen,fiel Iga schwer. Dass er wie ein Mensch aussah,verblüffte sie immer noch. Crest war groß undschlank, eigentlich schon dürr. Falten prägten seinGesicht, verrieten viel von Lebenserfahrung undstarker Willenskraft. Die hohe Stirn verrietIntelligenz, dem Blick seiner roten Augen schiennichts zu entgehen.

Das weißblonde Haar umschmeichelte ihn. Es war

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lang, fast zu lang, fand Iga, und das machte denArkoniden älter, als er tatsächlich sein mochte.

Dennoch wirkte Crest schwach, zweifellos alsFolge seiner schweren Erkrankung. DieGefangennahme konnte ebenso wenig spurlos anihm vorübergegangen sein.

Crests Miene verhärtete sich.

Die Regie blendete um zu Manoli. Iga kannte denschwarzhaarigen, unscheinbar wirkenden Manninzwischen. Die Crew der STARDUST war in denletzten Wochen oft genug auf allen Sendern zusehen gewesen. Wie ein Verbrecheralbum warendie Konterfeis der vier Astronauten immer wiederim Frontdisplay ihres Trucks erschienen.

Dr. Eric Manoli, Bordarzt und Materialforscher.Kind italienischer Einwanderer. Seine Eltern hattenauf alles verzichtet, was das Leben in den Staatenlebenswert machte, nur um sein Medizinstudium zufinanzieren. Warum der biedere Arzt zumHochverräter geworden war? Etliche Psychologen

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hatten in Talkrunden im Netz darüber diskutiert unddas Problem von allen Seiten beleuchtet: Siewussten es nicht. Das war Igas einzige Erkenntnisdaraus. Die Koryphäen hatten sich darüberentzweit, ob ein einschneidendes Ereignis inManolis Kindheit für sein unglaubliches Verhaltenverantwortlich sein mochte oder ob ganz einfachRhodan und Bull ihn mit Zwang gefügig gemachthatten.

Zu gern hätte Iga gehört, wie Manoli selbst sichdazu äußerte.

Soeben wurden die letzten Verpackungseinheitenaus dem Transporter herangefahren. Iga ergriffeinen der Männer am Arm, der Getränkekartons aufeiner Sackkarre vorbeirollte.

»Ist alles ausgeladen?«

»Die Flaschen waren das Letzte, Miss.«

Sie holte sich die elektronische Bestätigung überdie Lieferung. Vollständigkeit, Zustand, alles okay

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wie immer. Die leeren Behälter, Porzellan, Besteckund Abfälle vom Vortag aus dem Zwischenlagerzurückzunehmen und zu verladen, war ihreAufgabe und die ihres Beifahrers. Ob sie einehalbe Stunde dafür benötigte oder zwei Stunden,danach fragte niemand. Denn sobald sie denBereich des ehemaligen Küchenkomplexesverließ, gab es für sie keinen unmittelbarenZugang mehr ins eigentliche Gerichtsgebäude.Jedenfalls nicht ohne erneute Kontrolle.

Sie grinste Tschubai an.

Noch sieben Minuten, als sie beide denLieferwagen erreichten. Iga wusste nicht, wasAllan vorhatte, ihr war nur klar, dass ein Rädchenperfekt ins nächste greifen musste. »Wie einUhrwerk«, hatte er ihr zu verstehen gegeben.»Hinterher wirst du wissen, was ich meine.«

Wo war sie nur hineingeraten, als sie den Anhaltermit seinem vollen Benzinkanister mitgenommenhatte?

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Aber irgendwie wollte sie auch nicht mehr missen,was sich seitdem für sie verändert hatte. Ihreintöniges Leben hatte mit einem Mal etwas Farbeund Aufregung bekommen. Ein wenig James-Bond-Flair.

Wahrscheinlich gab es in diesen Minuten schonAufruhr an der Stadtgrenze.

Tschubai schwang sich in den Lieferwagen. Infliegender Eile zog er sich um, wobei dasWichtigste die hauchdünnen Handschuhe warenund die ebenso dünne Maske, die seine Haarekaschierte und der Haut einen eher grünlichenSchimmer verlieh. Der Mann, der Crest aus demGericht entführte, musste nicht unbedingt als deraktuelle Catering-Mitarbeiter identifiziert werden.Obwohl Adams behauptet hatte, selbst für einensolchen Fall Vorsorge getroffen zu haben.

Perry Rhodan zwängte sich aus seinemabgesicherten Versteck. Tschubai ergriff seineHand. Beide lächelten Iga zu, dann waren sieverschwunden.

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Es gab keine Überwachungseinrichtungen indiesem Bereich. Niemandem konnte auffallen,dass Iga plötzlich allein war.

Sie sorgte sich nur wegen der Marines an derAuffahrt.

Obwohl: Allan hatte behauptet, dass die Wachennicht mehr da sein würden. Er hatte ihr eineungehinderte Ausfahrt versprochen.

6.

Washington D.C.,

Stadtrand

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»Die Region um Cape Canaveral und denStartkomplex 39 ist menschenleer.« Lesly Pounderfuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. Erschwitzte leicht, aber das war eher seiner Erregungzuzuschreiben. »Dort gibt es mittlerweile einewachsende Population von Alligatoren undSchlangen, und weiß der Teufel, was für Viehzeugaußerdem zugewandert ist.«

»Alligatoren schießen nicht mit schwererMunition«, widersprach Mercant. »Wenn ich etwasbei Homeland Security gelernt habe, dann das.«

Lesly Pounder, Flight Director der NASA undmaßgeblich Verantwortlicher für den Mondflug derSTARDUST unter dem Kommando Major PerryRhodans, musterte den kleinwüchsigen Mann.Mercant sah jünger aus, als er war, eigentlich sehrviel jünger. Kaum eine Falte prägte sein Gesicht,höchstens, wenn er lächelte. Dabei zeigte seineHaut nichts von der künstlichen Spannung einesLiftings.

Pounder nickte zögernd. Nachdenklich musterte er

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den Berg aus reflektierender Metallfolie, der denLaderaum weitgehend ausfüllte. Das war nichts,was offiziell bekannt gewesen wäre. Mit derMaterialkomposition aus speziellemKunststoffgranulat, Leichtmetall und einigenweiteren Zutaten experimentierten seine Leute seitJahren. Sie waren keineswegs schon am Endedessen angelangt, was er persönlich für machbarhielt.

»Sie müssen sich angewöhnen, die Umgebungregelmäßiger zu kontrollieren. Brackwasser undwucherndes Dickicht sind eben kein vollkommenerSchutz.«

Mit einer Hand fuhr Pounder durch sein schütteresHaar. »Das wird wohl nicht mehr nötig sein, sobaldwir das hier hinter uns haben«, stellte er zögerndfest. Ein ärgerlicher, beinahe aggressiver Tonfallschwang in seiner Stimme mit. »Ich habe keineAhnung, was der Verrückte so nahe an denverlassenen Anlagen zu suchen hatte. Wenigstenshat er uns eine Schwachstelle aufgezeigt.«

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Mercant nickte. »Absicherung, Mr. Pounder, ist dasA und O bei solchen Unternehmungen. Wasglauben Sie, wieso ich davon wusste? Stünde ichnoch auf der anderen Seite, hätten Sie größtenErklärungsbedarf.«

Lesly Pounder verzog das Gesicht. Den Blick aufdie metallisch glänzende Verbundfolie gerichtet,zwängte er sich zwischen der Bordwand und derKonstruktion hindurch. Obwohl das Material gutzwei Meter hoch lag, zeichneten sich dieAntriebsaggregate mit ihren gerundeten Kantendeutlich darunter ab.

Ein Truck war für den Transport nötig gewesen.Adams hatte das Fahrzeug beschafft, ebenso wieden Giga-Truck, in dem Reginald Bull mit derPHÖNIX wartete. Alles war mit heißer Nadelgestrickt, aber trotzdem solide geplant. DenUmständen entsprechend solide.

Pounder betrachtete die Einschussstelle. Sie warmit neuer Folie verschweißt worden, doch siebewies die Verletzbarkeit des Materials. Normaler

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Munition hielt die nur millimeterdicke Foliemühelos stand. Der unbekannte Schütze mussteGeschosse mit extremer Durchschlagskraftverwendet haben, die sogar Metallplattendurchdrangen.

»Vor Jahren sind solche Waffen aus Militärdepotsverschwunden«, hatte Mercant erklärt. »Das wirdbis heute verschwiegen.«

Wie auch immer. Pounder schaute auf, weil erMercants Blick auf sich ruhen fühlte. »Wenn derSchuss drei Meter versetzt getroffen hätte, wäre dieGaskammer zur Feuerlohe geworden. Sie erinnernsich an die Zeppelin-Katastrophe von Lakehurst?«

»Ja. Die Hindenburg ging bei der Landung in NewYersey in Flammen auf, als sich der Wasserstoff inihren Tanks entzündete«, sagte Mercant.

»Sie sind gut informiert.«

»Als Geheimdienstmann war das mein Beruf. Aberbei der Hindenburg ist das nicht weiter schwer.

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Das Netz ist voll mit Berichten darüber. In einigenMonaten ist der hundertste Jahrestag derKatastrophe.« Mercant trat einen Schritt zurück.»Alles bereit?«

Pounder hatte die Anordnung bis zum Ende derLadefläche abgeschritten. Die präzisezusammengefaltete Hülle ließ keine Problemeerwarten.

»Bereit«, bestätigte er.

Allan D. Mercant sendete das Signal an Iga. Keinehalbe Minute verging, dann kam ihre Bestätigung.

Das Verdeck des Trucks glitt auf. Vorübergehendübertönte das Geräusch der sich einfaltendenLamellen alles andere, dann wurde das Knisternhörbar, mit dem die Folie reagierte. Gas strömteaus den Tanks in die Hülle, die obersten Lagenblähten sich auf und stiegen in die Höhe.

Drei Minuten bis zur vollständigen Füllung.

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Drei Minuten bis zur vollständigen Füllung.

Silbern schimmernde Reflexionen huschten durchdas Innere des Trucks. Es war ein Eindruck, wieihn ein Taucher wenige Meter unter dersonnenüberfluteten Wasseroberfläche habenmusste.

Die Folie hatte ein sehr geringes Eigengewichtund war extrem reißfest. Dem Memoryeffektfolgend, der während ihrer Verarbeitungentstanden war, stieg sie wie eine breite Wurst indie Höhe. Erst ab einem bestimmten Innendruckwurde das Materialgedächtnis überwunden, unddie verschweißten Bahnen entfalteten sich zu derForm, die das Schnittmuster vorgab.

Von hohen Bäumen vor direkter Sicht geschützt,stand der Truck in einem verwilderten Park. Dasschwere Fahrzeug hatte den weichen Bodenaufgewühlt, doch die verräterische Spur begannnicht schon an der Abzweigung der zum Potomacführenden Seitenstraße, sondern erst nachmehreren Hundert Metern Schotterpiste. Bis vorzwanzig Jahren hatten hier Industrie-Ruinen

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gestanden, die im Rahmen einer kurzlebigenRenaturierungskampagne aufgelassen undbegrünt worden waren. Mittlerweile verkam dasAreal erneut.

Zwei Rotorkameras flogen über dem Waldrand undübermittelten Bilder der näheren Umgebung.Bislang gab es keine ungebetenen Zaungäste. Jehöher die Ballonkonstruktion allerdings aufstieg,desto größer wurde die Gefahr, dass einAugenzeuge voller Panik Alarm schlug.

Mit grässlich reißendem Geräusch schrammten dieverstärkten Gasbrenner im Ringwulst über dieTruckwand. Sekunden später wurden dieschwereren Antriebsaggregate von dem in derHöhe schon Kugelform annehmenden Ballonangehoben.

Gut die Hälfte der Konstruktion ragte bereits überdie Baumwipfel hinaus und musste von Weitemsichtbar sein. Der intensiver werdende Silberglanzfiel selbst in der Mittagssonne auf. Möglicherweisehielten viele Menschen das Leuchten jedoch für

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eine Reflexion.

Mercant hatte ein auf »News« programmiertesTablet aufgehängt. Ein schlecht animiertesSprecheravatar redete über den Weltuntergang.Immer wieder wurde die verzerrte Gestalt vonSzenen einer Demonstration überlagert. Ein Meervon Transparenten und Bannern drängte für kurzeZeit sogar den Prozess gegen Crest in denHintergrund.

Das letzte Folienstück löste sich aus dem Truckund wurde von dem grellen Silberglanz erfasst. Dieleuchtende Kugel blähte sich vollständig auf.

»Sehr gute Arbeit, Mr. Pounder.« Allan Mercantnickte zufrieden. »Ihre Weltraumverrückten habensich selbst übertroffen, vor allem in Anbetracht derKürze der Zeitspanne, die ihnen zur Verfügungstand.«

Mit leisem Summen sprang der Vortrieb an, eineKombination aus Propellersystem undultraleichtem Düsentriebwerk. Alte Luftschiffpläne

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hatten dafür ebenso Pate gestanden wie diebislang erst in den Rechnern der Konstrukteuresichtbaren hochmodernen Flüsterjets.

Lesly Pounder lächelte, als er den Steuerknüppelder Fernsteuerung bewegte und das Summen überihm zum hellen Sirren anschwoll. Er löste diebeiden Halteleinen – dünne Fäden, die dankmodernster Gentechnik aus modifiziertenSpinndrüsen designt worden waren. Hightech ausden Genlaboren der Forscher.

Eine gewaltige, silbern schimmernde Kugel hingnun über den Bäumen.

Mit fünfundvierzig Metern Durchmesser war siekleiner als die Beiboote des arkonidischenRaumschiffs. Aber wer konnte denGrößenunterschied schon erkennen?

Rote Wellen überliefen die Kugel, als Pounder denAntrieb hochfuhr. Einen Augenblick später stiegein Feuerball in den strahlend blauenMittagshimmel. In knapp siebenhundert Metern

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Höhe jagte er davon.

Spätestens jetzt mussten die ersten Menschenaufmerksam werden.

»Steht die Bildübertragung, Mr. Pounder?«

»Einwandfrei.« Der Flight Director warf einen Blickauf den Monitor der Fernsteuerung. Die Erfassungzeigte Wiesen, einige Brachflächen, die naheStraße kam in Sicht. Die ersten Autos stoppten,Menschen sprangen aus ihren Fahrzeugen undstarrten in die Höhe. Deutlich zeigte dieVergrößerung, dass sie ihre Augen mit denHänden beschatteten.

Das Tablet meldete sich mit schrillem Warnton.Auch wenn das Sprecheravatar nun wie versteinertwirkte, die Kunststimme klang plötzlich schrill, alsstehe sie kurz davor, in den Ultraschallbereichabzugleiten. Eine denkbar schlechte akustischeModifikation.

»Die Invasion hat begonnen! Raumschiffe der

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Fremden sind in die Atmosphäre eingedrungen.Immer mehr Meldungen gehen ein, dass dieAngreifer mit Kurs auf Washington gesichtetwurden. Wir hoffen, dass unsere Abfangjäger ...«Das Avatar verwischte, der Ton explodierte ineinem Crescendo.

»Ich denke, dass unser improvisierter Kugelraumernoch nicht einmal auf den Radarschirmen dernächsten Flughäfen zu sehen ist«, kommentiertePounder die wirre Nachricht. »Das Material hatnicht die schlechtesten Stealth-Eigenschaften.«

Er hatte es nie richtig verwunden, dass die NASAihre Anlagen in Florida geräumt hatte. DasAbschmelzen der Polkappen ließ denMeeresspiegel unaufhaltsam ansteigen. Für diekommenden Jahrzehnte waren starkeÜberflutungen prognostiziert. Und Prognosen, sobitter sie auch klangen, waren bislang in jederHinsicht übertroffen worden.

Verlassene Gebäude, menschenleeres Land.Pounder hatte die sich bietende Chance am

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Schopf ergriffen. Anfangs nur mit einer HandvollGleichgesinnter, denen der Flight Directorvertrauen konnte, inzwischen mit DutzendenSpezialisten, war in Cape Canaveral neueBetriebsamkeit eingezogen. Spätestens in drei bisvier Jahren wollte Pounder hier den Grundstock fürdie Entwicklung einer Raumfahrt »anders als beider NASA« haben. Seine Leute verfolgten dieverrücktesten Konzepte. Einem davon entstammtedie Idee für das neue Material. Leicht,widerstandsfähig, preisgünstig. Die ersten Tests inForm von Stratosphärenballons waren erfolgreichverlaufen. Das Material ließ sich gut verarbeitenund in Form bringen.

Das Konzept für ein erstes Luftschiff war bereits aufKiel gelegt, die daraus resultierenden Ergebnissesollten in die Konstruktion eines kleinen,wiederverwertbaren, flugzeugähnlichenRaumschiffs einfließen. Das war der Stand, alsAllan D. Mercant dazwischengefunkt hatte.

Das Kugelraumschiff war nichts anderes als einbesserer Ballon. Trotzdem überzeugend, solange

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die Konstruktion Furcht verbreitete.

»Legen Sie die Bildübertragung auf das Tabletum«, bat Mercant.

Die blutrote Kugel jagte inzwischen über dichtbesiedeltes Gebiet hinweg. Überall starrten dieMenschen in den Himmel hinauf. Lesly Pounderhätte in diesen Minuten viel für ihre Gedankengegeben.

»Ich weiß, worauf Sie warten«, sagte Mercantunvermittelt.

Der Flight Director prüfte den programmierten Kurs.Das vermeintliche Raumschiff näherte sichkeineswegs geradlinig dem Capitol, aber derSchwenk würde in spätestens dreißig Sekundenerfolgen.

»Ich habe nie daran gezweifelt, Mercant, dass Sienur das versprechen, was Sie halten können. Siesagten, dass weder Polizeihubschrauber nochprivate Flugdienste unserem kleinen Raumschiff in

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die Quere kommen werden. Wo bleiben dieAbfangjäger?«

»Vorerst in ihren Hangars.«

»Sie können das Militär nicht bestochen haben.«

Der ehemalige Geheimdienstmann zog eine Brauehoch. »Wie sich das anhört. Ich habe lediglichjemanden, der mir einen Gefallen schuldig war,daran erinnert. Die Befehlskette ist unterbrochen –jedenfalls so lange, bis wir unsere Schäfchen imTrockenen haben.« Er fixierte die Wiedergabe aufdem Tablet. Am Rand des Wohngebiets kam einFabrikareal in Sicht. Seit zwei Jahren war derKomplex stillgelegt und stand zum Abbruch an. EinCasino sollte dort errichtet werden. Das warenalles Daten, die Mercant im Vorfeld der Aktioneruiert hatte.

»Es wird Zeit, dass unser Kugelraumer zeigt, waser kann!«

Pounder zündete die Gasbrenner, die

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Ringwulsttriebwerke simulierten. Jemand, der demvermeintlichen Beiboot sehr nahe war, hätte denBluff vielleicht durchschauen können. Aus derEntfernung von einigen Hundert Metern wirktealles verdammt echt. Ohnehin kursierten diewildesten Gerüchte über die Beschaffenheit derarkonidischen Beiboote. Die Leute stützten sichdabei auf die spärlichen und nicht gerade qualitativwertvollen Aufnahmen im Evernet.

Grelle Flammenbündel zuckten aus denimprovisierten Ringwulstdüsen. Zum Teilumfluteten die Feuerlohen schon wegen derVorwärtsbewegung den Rumpf, aber das ließ denVorgang womöglich sogar spektakulärererscheinen. Die montierten Kameras vermitteltenimmerhin einen ungefähren Eindruck.

Zwischen den Fabrikhallen ereigneten sichnacheinander mehrere schwere Explosionen.Brodelnde Glutwolken stiegen weit über dieHallendächer empor, gefolgt von Rauchpilzen, diesich zu ausgedehnten schwarzen Wolkenentwickelten.

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Die beiden Rotorkameras über dem Waldranderfassten über die Distanz von mehreren DutzendKilometern hinweg die Explosionsblitze und denschweren Qualm.

»Das war erst der Anfang«, sagte Mercantzufrieden. »Meine Feuerwerker arbeiten präzise.Allerdings kommt es ausschließlich auf die letzteSprengladung an.«

Zwischenspiel

Eine von unzähligen Nachrichtensendungen, dieHalbwahrheiten verbreiteten

»... soeben erreicht uns die Meldung, dass dieArkoniden über Nordamerika erschienen sind.Wobei offenbleibt, ob in diesen Minuten über

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anderen Kontinenten ebenfalls Raumschiffegesichtet werden.

Bislang liegen keine Bestätigungen unsererRadarstationen vor. Aber das ist die offizielleVersion.

Inoffiziell: Unsere Telefonleitungen sindzusammengebrochen, nachdem in den erstenMinuten Hunderte von Anrufen zeitgleicheingingen. Übereinstimmend wird von einerblutroten Kugel berichtet, die sich in geringerFlughöhe dem Zentrum Washingtons nähert. Mitfeindseligen Handlungen muss gerechnet werden.Ich wiederhole: Wir müssen auf einen Angriff derArkoniden vorbereitet sein. Ein Narr, wer glaubt,dass dies ein Höflichkeitsbesuch sei. Die Alienskommen, um ihren Anführer zu befreien.

Deshalb der eindringliche Rat der ›UnabhängigenStimme Nordamerikas‹: Meiden Sie, wo immer Siesich in diesen Minuten befinden, öffentliche Plätzeund Gebäude und vor allem größereMenschenansammlungen. Ziehen Sie sich in die

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unteren Etagen der Tiefgaragen und in dieMetrostationen zurück und warten Sie aufEntwarnung. Falls Sie soeben auf einem derHighways fahren: Nehmen Sie die nächsteAusfahrt, suchen Sie Schutz unter Bäumen, in leerstehenden Hallen ...«

Ein qualvolles Schnaufen war zu vernehmen. ImHintergrund stöhnte jemand: »Oh mein Gott! Sag,dass das nicht wahr ist!« Beides war sicherlichnicht dafür bestimmt, über halb Nordamerikaverbreitet zu werden.

Dann war der Sprecher wieder zu hören. SeineStimme klang belegt, er schaffte es nicht, das zukaschieren.

»Ich muss mich berichtigen: Suchen Sie umHimmels willen keine verlassenen Fabrikhallenauf. Ich wiederhole: Auf keinen Fall in verlassenenFabrikhallen Schutz suchen. Soeben erreicht unsdie Meldung, dass die Smith & SmithsonProductions von den Aliens in Schutt und Aschegelegt wurden. Die Glut- und Rauchwolke ist

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bereits meilenweit zu sehen.«

Erneut eine flüchtige Pause.

»Fünf Meilen stadteinwärts stehen die Hallen derehemaligen Tablets Inc. in Flammen. DieEntscheidung des Chipherstellers über dieWiederaufnahme der Produktion im kommendenMonat sollte in den nächsten Tagen fallen – darauswird wohl nichts mehr. Die Angreifer aus dem Allsind im Begriff, unsere Industrie lahmzulegen. Woum alles in der Welt bleiben die Abfangjäger?Verdammt, Leute, ihr kotzt an allen Brennpunktendieser Welt herum, aber wenn es in der Heimatbrennt ... Gott schütze unsere Nation!«

7.

Supreme Court, Washington D.C.

High Noon

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»Ich weise alle Anschuldigungen mit Nachdruckzurück. Perry Rhodan, Reginald Bull, Clark Flipperund ich als Bordarzt der STARDUST habenniemals gegen amerikanische Interessenverstoßen.«

»Dann erklären Sie bitte, wie das Hohe Gerichtden Landeplatz des Shuttles nach der Rückkehrvom Mond werten soll«, fasste StaatsanwaltNesmith sofort nach. Er hatte seine Mimik nichtunter Kontrolle, ein verächtlicher Zug umspielteseine Mundwinkel. »Mir ist bislang unbekannt,dass die Volksrepublik China durch einen wieauch immer gearteten Akt als einundfünfzigsterStaat in die USA aufgenommen worden wäre. Ichgehe weiterhin davon aus, dass dies auch vonkeiner der anwesenden Personen als Tatsachebestätigt werden kann.«

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Ein Raunen ging durch die Reihen der Zuschauer.Hier und da wurde ein spöttisches Lachen laut.

Der Verteidiger William Tifflor erhob sich undbreitete in einer gelassenen Geste um Ruheheischend die Arme aus. Fast schlagartig wurde esstill. Tifflor lächelte.

»Hohes Gericht, mit dieser Bemerkung – ich weißnicht, wie ich die Ausdrucksweise andersbezeichnen sollte, ohne mich im Ton zu vergreifen– gibt sich der Staatsanwalt ein schlechtesZeugnis. Er stellt sich ins Abseits der Jurisprudenz.Jack Nesmith steht im Begriff, die Würde desVerfahrens der Lächerlichkeit preiszugeben.«

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können.

Der Vorsitzende Richter schüttelte kaum merklichden Kopf. Sein Blick brannte sich an demStarverteidiger fest. »Ich erwarte von Ihnen einegenauere Definition, Mr. Tifflor.«

»Das ist doch ...«, fuhr der Staatsanwalt auf und

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verstummte, als der Richter abwehrend eine Handhob.

»Mr. Tifflor, ich höre!«

»Das Verhältnis zwischen China und den USAsollte bereits einem Zehnjährigen hinreichendbekannt sein. Ich gehe davon aus, dass dies sogardem Staatsanwalt bewusst ist. In dem Fall mussich leider annehmen, dass die Bemerkung dazudient, dem Zeugen – und späteren Angeklagten ineinem zweiten Verfahren – eine gewisserechtsstaatliche Abneigung anzudichten. Solltedies dem Staatsanwalt nicht bewusst gewesensein ...«, die Sprechpause, die Tifflor einlegte, warzu kurz, um zu provozieren, wenngleich merkbar,»... muss ich den Zeugen bitten, seiner Ausführungden nötigen Hintergrund zu geben. Wieso, Dr.Manoli, sind Sie der Meinung, nicht gegen dieInteressen unseres Staates verstoßen zu haben?«

Der Vorsitzende nickte knapp. »Dem Einwand wirdstattgegeben. Dr. Manoli, bitte beantworten Sie dieFrage.«

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Der Bordarzt leckte sich über die Lippen. Ihm waranzusehen, dass er nach Worten suchte. Er warder stille, ausgleichende Typ, das war währendseiner Befragung bereits deutlich geworden.Niemand im Saal erwartete von ihm einenGefühlsausbruch.

»Wir hatten den Arkoniden Crest an Bord. DasVerhältnis der drei großen Machtblöckezueinander kann ich guten Gewissens alsgegenseitig eifersüchtiges Belauern bezeichnen.Es geht um den wirtschaftlichenFührungsanspruch, um Ressourcen undkeineswegs zuletzt um Energie. Mit dem, was wirauf dem Mond vorgefunden haben – das Wissenund die ausgereifte Technik der Arkoniden –,ließen sich alle drei Faktoren mühelosbeherrschen.«

»Umso mehr wäre es Ihre Pflicht gewesen, genaudort zu landen, wo die STARDUST gestartet ist«,wandte der Staatsanwalt ein.

»Das hat Perry Rhodan, der Kommandant unserer

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Mission, bewusst vermieden.«

»Sie sprechen von dem ehemaligenKommandanten und Verräter Perry Rhodan. Hiersoll keinesfalls der Anschein erweckt werden, beiseiner Fahnenflucht handele es sich um einKavaliersdelikt.«

»Sie sollten Rhodan für diese ›Fahnenflucht‹dankbar sein, Herr Staatsanwalt.«

Der Saal hielt den Atem an, doch Nesmithreagierte diesmal nicht darauf. Ein amüsiertesLächeln lag um seine Mundwinkel.

»Mäßigen Sie sich, Dr. Manoli!«, forderte derVorsitzende Richter den Zeugen auf.

»Ich bitte um Verzeihung. Vielleicht sollte ich miteiner Frage antworten. Wenn eine der dreiGroßmächte von heute auf morgen über Mittelverfügte, die alle Probleme lösen, was würden dieanderen unternehmen? Höflich um Almosenbitten?«

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Die Atmosphäre blieb angespannt. Der eine oderandere gequälte Atemzug war zu vernehmen.

»Lassen Sie uns Ihre Antwort hören, Dr. Manoli!«

»Der offene Konfliktfall wäre die unausweichlicheFolge. Wahrscheinlich innerhalb weniger Tageoder Wochen, bevor unser Land stark genug wäre,die arkonidische Technik nachzubauen undeinzusetzen. Ich glaube, man nennt das inMilitärkreisen einen Präventivschlag.«

»Sie basteln sich Ihre eigene Wahrheitzusammen«, konterte der Staatsanwalt. »Das istIhre subjektive Sicht der Dinge. Nur leider ist siefalsch. Keiner unserer Strategen und Psychologen,die befragt wurden, kam zu dieser Annahme.«Nesmith wandte sich dem Richtertisch zu. »Ichbeantrage, die entsprechenden Gutachten alsBeweis der Anklage hinzuzufügen.«

»Wir haben getan, was für das Wohl derMenschheit das Beste war!«, beharrte Eric Manoli.»Wir haben den einzig möglichen Weg beschritten,

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der eine gute Zukunft verspricht.«

»Den einzig möglichen Weg?«, fragte derStaatsanwalt. »Das bezweifle ich. Wie soll ich dieExplosion einer Atombombe in der Wüste Gobinennen? Nach friedvollem Anklopfen sieht dasjedenfalls nicht aus.«

Wieder wandte Nesmith sich dem VorsitzendenRichter zu. »Ich beantrage außerdem dieEinvernahme eines weiteren Zeugen: Clark G.Flipper, Astronom und Nutzlastspezialist an Bordder STARDUST. Er wird bestätigen, dass dieMeinung der Astronauten keineswegs so einhelligist, wie der Zeuge Manoli dies vorgibt.«

Ungläubige Stille herrschte einen Augenblick langim Saal. Dann brach ein Tumult aus.

»Was soll das?«, fuhr Clifford Monterny auf, alsFlipper den Gerichtssaal betrat und zurZeugenbank geführt wurde. Er schaute Tatjana an.

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»Clark Flipper ist tot! Was steckt dahinter? Sagschon, was denkt Nesmith?«

Clark G. Flipper war kurz nach der Landung derSTARDUST in der Gobi mit einem arkonidischenKampfanzug vom Landeplatz geflohen. Um dieFlucht Manolis und Crests zu decken. Aber auchum nach seiner im Himalaja verschollenen LiebeBeth zu suchen. Umsonst: Flippers Spur hatte sichim höchsten Gebirge der Welt verloren. Seitdemhatte man nichts mehr von ihm gehört.

Die Telepathin blickte in den Saal hinab. Sie wirkteunkonzentriert, massierte sich mit beiden Händendie Schläfen.

»Wenn dir Nesmith zu kompliziert ist, kümmeredich um Flipper!«, schnaubte Monterny. »Er ist derzerrissenste Typ von allen.«

»Warum fragst du nicht Drummond?«, zischteRoster Deegan im Hintergrund. »Er will alles, aberbestimmt nicht teilen.«

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Monterny starrte den Telekineten ungläubig an.Nicht wegen der Bemerkung über denPräsidenten, der pflichtete er ohnehin bei. Sondernweil wie von Geisterhand bewegt einGlimmstängel vor Deegan in die Höhe stieg undgleichzeitig ein Streichholz über den Parkettbodenschrammte und aufflammte. Die Zigarette glittzielstrebig zwischen Deegans Lippen, dasStreichholz setzte den groben Tabak in Brand,wurde gleich darauf mit einer heftigenSchüttelbewegung ausgelöscht und verschwandunter dem nächsten Sessel.

Der Telekinet paffte eine dicke Rauchwolke in denRaum.

Das war der Moment, in dem Clifford Monternywütend zupackte, seinem Mann die Zigarette ausdem Mund riss und sie in der Hand zerdrückte. AlsDeegan aufspringen wollte, hielt Monterny ihnzurück. »Ganz ruhig!«, sagte er bedrohlich leise.»Du wirst uns hier oben nicht auffliegen lassen,weil du die Sprinkler auslöst. Ist das klar?«

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Deegan hob die Schultern und ließ sie langsamwieder sinken. Da hatte Monterny schon seinenPod in der Hand und tippte die Kurzwahl ein,sinnigerweise die Null.

»Was geschieht da eigentlich?«, platzte derSuggestor heraus, als sich Präsident Drummondmeldete. »Wieso weiß ich nichts von Flipper? Werzaubert den Kerl einfach aus dem Hut?«

»Bis vor zehn Minuten wusste ich selbst nichtsdavon. Flipper hat sich gestellt und angeboten,gegen seine ehemaligen Kameradenauszusagen.«

»Da steckt mehr dahinter.«

»Flipper gibt Rhodan und den anderen die Schuldam Tod seiner Freundin. Sie war im Himalajaverschollen, während die Crew zum Mond flog.Wäre die STARDUST früher zurückgekehrt oderhätte Rhodan ihn nur einen Tag eher aus derEnergiekuppel gehen lassen, hätte er sie rettenkönnen.«

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»Das ist Unsinn.«

»Natürlich«, sagte Stanley Drummond ruhig. »AberFlipper glaubt das einfach. Und uns nützt es. Waskann für das Gericht und die Masse auf der Straßeschon überzeugender sein als die Aussage einesKameraden?«

»Das mag sein. Nur, wieso trägt er ausgerechneteinen arkonidischen Kampfanzug? Das ist mehrals ein Affront.«

Drummond lachte leise und in einem Tonfall, dereine steile Unmutsfalte auf Monternys Stirnzauberte.

»Flipper hat darauf bestanden«, sagte derPräsident. »Er will die anderen demütigen, undwarum sollte ich ihm diesen kleinen Gefallen nichttun? Nach seiner Aussage wird er den Anzugablegen und uns übergeben, das heißt, denVereinigten Staaten ...«

»Ja, ja«, unterbrach Monterny unwillig. »Mir gefällt

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er trotzdem nicht!«

»Das ist egal, du kannst nichts mehr daran ändern,Clifford. Vergiss es.«

Der Präsident unterbrach die Verbindung.

Für ein paar Sekunden starrte Monterny stumm vorsich hin, dann wandte er sich wieder an dieTelepathin: »Was denkt Flipper? Na los, ichwarte!«

»Ich habe Probleme ...« Tatjana biss die Lippenzusammen und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

Die junge Frau in dem Zustand weiter zu drängen,wäre das Dümmste gewesen, was er tun konnte.Das war Monterny klar. Vielleicht waren wirklich zuviele intensive Gedanken ringsum, die es ihrschwer machten, sich auf eine oder zwei Personenzu konzentrieren. Sie hatte schon zu lange nachRhodan und Bull gesucht. Der Einsatz ihrer Gabelaugte sie aus.

Eigenartig, dass urplötzlich Flipper wie aus dem

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Eigenartig, dass urplötzlich Flipper wie aus demNichts erschien, nachdem sie die beidenRädelsführer aufgespürt hatte. Das schmeckte ihmnicht. Ein zu offensichtlicher Zufall, den niemandsonst erkennen konnte, der nichts von RhodansNähe wusste.

War Flipper so etwas wie eine Vorhut? EinBauernopfer, das sich in der Falle fangen würde,wenn es eine Falle gab? Ja, er traute Rhodan einesolche Denkweise zu. Aber was hatten die dreivor?

Ein Blick zu Tatjana. Sie stand unter höchsterKonzentration. Ein leichtes Zittern schien ihrenKörper zu schütteln. War es schon Schwäche, diesich bemerkbar machte, Überanstrengung?

Monterny trat so weit nach vorn, wie es ihm geradenoch geraten erschien. Er sah Flipper imZeugenstand von einem Bein auf das anderewippen, als braute sich etwas zusammen. DieMedienleute wussten offensichtlich wenig mit derSituation anzufangen. Sie blickten unruhig umsich.

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Einer schaute zu den Emporen auf. Überraschungstand plötzlich in seinem Gesicht zu lesen. Eineder sündhaft teuren dreidimensionalen Netz-Kameras schwenkte ruckartig herum.

»Es ist genug!«, klang eine laute Stimme durchden Saal.

Ungläubig starrte Monterny auf den Mann, der überdem Zugangsbereich zwischen zwei Emporenstand und beide Arme ausgebreitet hatte ... UmAufmerksamkeit brauchte er nicht zu heischen, diewar ihm sicher. Seine Geste wirkte eher, als wolleer die ganze Welt umfassen.

»Dieser sogenannte Prozess ist eine Farce! Crestda Zoltral ist nicht der Mann, vor dem wir unsfürchten müssen! Crest kann die Rettung für dieMenschheit bedeuten – wenn wir ihn nichtumbringen!«

Rhodan!

Der Astronaut stand da, als sei es die natürlichste

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Sache der Welt. Als gäbe es nichts, was ihn daranhindern konnte, vor laufenden Kameras zu reden.

»Die Anklage gegen Eric Manoli und Dr. Haggardentbehrt jeder Grundlage. Beide sind Mediziner;sie haben nur getan, was ihre Pflicht ist: Sie habenein Leben gerettet.«

Rhodan hatte einen Kampfanzug angelegt, dasschien ihn unangreifbar zu machen. Ohnehin trugkeine der Saalwachen eine tödlich wirkendeWaffe. Sie waren mit Elektroschockernausgerüstet, die auf drei bis vier Meter Distanzwirkten. Ausreichend, um die Flucht einesAngeklagten zu verhindern. Schmerzhaft. Nichtgeeignet, den Verrückten zum Schweigen zubringen.

Die ersten Wachen liefen los, hasteten über dieSeitengänge und quer durch den Saal zumEingang.

»Ich fordere Sie auf, dieses Schauspiel zubeenden und Crest da Zoltral, Eric Manoli und Dr.

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Haggard freizulassen!«

Crest! Diese Idioten ließen den Angeklagten allein,nur um Rhodan zu erwischen. Das sollten dieSoldaten erledigen. Monterny war beides recht. Erfragte sich, wie der Astronaut überhaupt in denSaal gelangt sein konnte. Draußen standen dieSoldaten, um ihn abzufangen, bevor er Schadenanrichten konnte.

Und Bull?

»Flipper ist ein Verräter!«, rief Tatjana schrill. »Erist hier, um seinen Kameraden Manoliherauszuhauen!«

Siedend heiß durchlief es ihn. Monterny musstehandeln, wenn er den Arkoniden nicht verlierenwollte.

»Roster!«, brüllte er und stürmte zur Brüstung derLoge vor. »Wir schnappen uns Crest!«

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Übergangslos materialisierte er mit Tschubai überdem Saaleingang. Er verstärkte seinen Griff umTschubais Hand, aber der löste sich von ihm undtrat wortlos zurück. Die Säulen, die auch hiertragendes Element zu sein schienen, verbargenden Teleporter vor neugierigen Blicken und gabenihm damit Gelegenheit, sich auf den nächstenOrtswechsel zu konzentrieren.

Niemand schaute in seine Richtung. RhodansBlick huschte durch den Saal, erfasste alleszugleich und nahm wohl dennoch nicht die Hälftevon dem wahr, was es zu sehen gab.

Drei, höchstens vier Minuten blieben ihm, um zusagen, was ihm wichtig erschien, was die Weltaber offenbar nicht hören wollte. Nicht glaubenwollte, korrigierte er sich. Die meisten Menschendachten nicht daran, sich aus ihren eingefahrenenDenkschemata zu befreien.

Auf der Empore der Medienvertreter wandtejemand den Kopf in seine Richtung. Rhodan hatteungewollt Blickkontakt, er sah den Mann verwirrt

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blinzeln, die Augen weit aufreißen und hastig anseinem breiten Metallarmband hantieren. Offenbarhandelte es sich um eine Fernsteuerung, denneine der schweren Kameras schwenkte herum.

Lächelnd breitete Rhodan die Arme aus. »Esreicht!«, rief er, und in dem Moment ging es wie einRuck durch den Saal. »Dieser sogenannteProzess ist eine Farce! Crest da Zoltral ist nicht derMann, vor dem wir uns fürchten müssen! Crestkann die Rettung für die Menschheit bedeuten –wenn wir ihn nicht umbringen!«

Er hatte sich zurechtgelegt, was er sagen wollte.Trotzdem redete er, wie es ihm in den Sinn kam ...

... und bemerkte währenddessen, dass Crest ohneHandschellen auf der Anklagebank saß, aber vonmehreren Uniformierten bewacht wurde. DieWachen achteten jedoch kaum mehr auf denArkoniden, sondern starrten zu ihm herüber.

»Die Anklage gegen Eric Manoli und Dr. Haggardentbehrt jeder Grundlage. Beide sind Mediziner;

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sie haben nur getan, was ihre Pflicht ist: Sie habenein Leben gerettet.«

Flipper war da. Rhodan sah ihn erst in dieserSekunde. Sie blickten einander an, ohne zuverstehen, was sie hier zusammenführte.

Crest? Hatte Flipper sich freiwillig ausgeliefert, umden Arkoniden zu befreien?

»Ich fordere Sie auf, dieses Schauspiel zubeenden und Crest da Zoltral, Eric Manoli und Dr.Haggard freizulassen!«

Zwei Schatten in der Höhe zogen RhodansAufmerksamkeit auf sich. Die beiden Gestalten, diesich aus einer der Logen lösten, trugenunverkennbar arkonidische Kampfanzüge. Dochwer immer sie sein mochten, in der Sekundeerschütterte grollender Explosionsdonner dasGebäude. Die Luft schien zu vibrieren, der Bodenschwankte. Staub war plötzlich überall, und ineiner Seitenwand klaffte ein armdicker Riss. Erweitete sich aus, spaltete das Mauerwerk wie beim

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Hieb mit einer gigantischen Axt.

Eine zweite, schwächere Explosion folgte. Dasneue Beben ließ Stuck von der Decke abplatzenund herabregnen. Aus der Wand brachen großeMauerbrocken heraus, sie stürzten auf leere Sitze,denn schon drängte alles dem Ausgang entgegen.

Dröhnend brach ein langer Wandabschnitt in sichzusammen.

Es war eine perfekte Sprengung, die jedem Zeitgelassen hatte, sich aus dem unmittelbargefährdeten Bereich zurückzuziehen. Insgeheimbeglückwünschte Rhodan den ehemaligenHomeland-Mann Mercant für seine Leute, die dieseSprengung vorbereitet hatten. Wahrscheinlichhatten sie nur Plastiksprengstoff angebracht, beieinem exponierten Gebäude wie dem SupremeCourt Building grenzte das aber schon an einHimmelfahrtskommando. Vor allem durfte es keineToten geben, nicht einmal Verletzte. Ein präziserchirurgischer Schnitt war erforderlich gewesen, wieihn wohl nur wenige Spezialisten beherrschten.

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Greller roter Lichtschein fiel von draußen in denSaal herein.

Kaum mehr als eine halbe Minute war seit derersten Explosion vergangen.

Eine Lautsprecherstimme dröhnte.

8.

Supreme Court,

Washington D.C.

Die Explosion erschütterte den Saal, als CliffordMonterny sich über die Brüstung schwang. Fastzum Greifen nahe vor sich sah er die Seitenwand

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aufbrechen. Ein Teil der Mauer verschob sichknirschend. Aufwirbelnder Staub undGesteinssplitter wurden wie von einem gewaltigenGebläse nach innen gedrückt und zwangen dieMenschen zur Flucht. Gellende Schreievermischten sich mit dem Krachen der berstendenWand. Dem Ordnungsruf des Saaldieners hafteteetwas Hilfloses an.

Eine zweite Explosion ließ größere Brocken ausder Wand herausbrechen. Sie zertrümmerten eineder Sitzreihen. Bis vor wenigen Sekunden hattendort Medienleute gesessen.

Monterny sah, dass die Autokamera zermalmtwurde, die auf Rhodan gerichtet gewesen war.

Rhodan? Der Astronaut stand immer nochzwischen den Emporen. Wie um alles in der Weltwar der Mann unbemerkt in den Saal gelangt? Nurim Schutz seines Kampfanzugs?

Die Wachen würden Rhodan jedenfalls nichtschnell genug erreichen. Sie steckten in der

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Menge fest. Monterny hatte nur einen verächtlichenBlick für die Menschen, die sich heillos zwischenden Sitzreihen und vor dem Ausgang verkeilten.

Blutig roter, flackernder Feuerschein ergoss sich inden Saal. Für Sekunden schien sogar dieStaubwolke aufzuflammen.

Crest zeigte sich von all dem unberührt. Er saß aufseinem Platz, als habe er längst mit dem Lebenabgeschlossen.

Vielleicht war es so. Crest war alt und müde, dieKrankheit hatte ihm womöglich mehr zugesetzt, alser sich eingestehen wollte.

»Tatjana!«, brüllte Monterny und schleuderte ihrseine Gedanken entgegen. Unmöglich für ihn, zuerkennen, ob die Telepathin ihn überhauptwahrnahm. Aber sie musste Crest jetzt sondierenund versuchen, tiefer in sein Bewusstseineinzudringen. Wartete der Arkonide darauf, dassihn jemand aus seiner misslichen Lage befreite?

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Flipper harrte ebenfalls an seinem Platz aus. Ergriff lediglich zum Nackenwulst seinesKampfanzugs und zog die transparente Helmfolienach vorn.

»Clifford!«

Monterny hörte Deegans Aufschrei, reagierte abernicht darauf. Manoli war kurz vor der Explosion voneinem Beamten aus dem Saal geführt worden.Doch der ehemalige Bordarzt war nur zweitrangig...

Ein schmerzhafter Schlag in die Seite rissMonterny aus seinen Überlegungen. Deegan hatteihm den heftigen Stoß telekinetisch verpasst.

»Sieh dir das an!« Der Mutant deutete auf die halbeingestürzte Seitenwand.

Clifford Monterny unterdrückte seinenaufkommenden Zorn ebenso wie eine heftigeZurechtweisung.

Das rote Glühen lastete schwer über allem.

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Das rote Glühen lastete schwer über allem.

Deshalb war Crest so ruhig geblieben, geradezuunmenschlich gelassen. Das Leuchten stammtevon einem Energieschirm. In seiner Struktur wardieser Schirm wohl nicht anders als die Kuppel,die den Angriffen der chinesischen Armee langeZeit getrotzt hatte.

Der Schirm hüllte eine gewaltige Kugel ein,schmiegte sich offenbar eng an ihre Oberfläche.

An die fünfzig Meter mochte sie durchmessen.Monterny sah sie nicht einmal in ihrer vollenGröße, trotzdem konnte er erkennen, dass sich eindicker Wulst rings um ihren Äquator zog.

Handelte es sich um ein Beiboot der auf dem Mondzerstörten AETRON?

Ein Beiboot ... trotzdem war es erdrückend undmächtig. Monterny begriff erst jetzt, wie gewaltigdas Mutterschiff gewesen sein musste. Wer übereinen solchen Koloss verfügte, dem gehörte dieWelt – wenn er nur wollte.

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Die rote Kugel hatte keine Landebeine. Sie lag aufdem gepflegten, kurz gehaltenen Rasen vor demGebäude. Nein, sie lag nicht – sie schwebtedarüber, in einer Höhe von ungefähr zwei Metern.

Als die Lautsprecherstimme dröhnte, wurdeMonterny bewusst, dass nur wenige Minuten seitder ersten Explosion vergangen sein konnten.

»Menschen der Erde, dieser kleinen undunbedeutenden Welt!« Die Stimme musste weithinzu verstehen sein. »Ihr seid ungebildet,überheblich und habt euch vergessen. Einerwilden Zivilisation wie euch steht es nicht zu, übereinen Arkoniden zu richten. Gebt Crest frei – oderihr werdet für eure Anmaßung teuer bezahlen.«

Von fern hallte Explosionsdonner heran. Sirenenheulten. Monterny fragte sich, ob das Zufall waroder die Drohung bekräftigen sollte.

Das harte Stakkato mehrerer Maschinenpistolenerklang. Dazwischen ein kurzes scharfes Fauchen,unmittelbar gefolgt von einer heftigen Detonation.

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Die Marines griffen das Raumschiff an. DerPräsident hatte den Einsatzbefehl erteilt. Einklägliches Aufgebot angesichts dessen, was dieChinesen in die Schlacht geworfen hatten.

Wieder feuerte ein Granatwerfer.Maschinenpistolen ratterten.

Monterny hatte den Eindruck einer HandvollAmeisen, die versuchten, einen Menschen vonihrem Nest fernzuhalten. Es musste einvergeblicher Versuch bleiben. Die Arkonidenwürden Washington dem Erdboden gleichmachenund ein unübersehbares Exempel statuieren.

Stanley, du Idiot! Viel zu oft hatte er das schongedacht. Nun war es endgültig und unwiderruflich.

»Roster! Kümmere dich um Flipper, ich übernehmeCrest! Wir müssen hier raus, bevor ...«

Eine grelle, fast lautlose Explosion ließ Monternyverstummen. Eine Feuerwalze rollte über denRasen, verzehrte sich aber schon nach wenigen

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Dutzend Metern von selbst und erreichte dasaufgebrochene Gebäude nicht einmal. Das Grosder Glut tobte fauchend in die Höhe und erloschohne nennenswerte Rauchentwicklung.

Da war nur noch das Bellen einer einzigenautomatischen Waffe, als hätte der Schütze garnicht begriffen, dass alles schon vorbei war.Endlich verstummten die Schüsse.

Todesstille herrschte, lediglich durchbrochen vomlauter werdenden Knistern und Knacken in denWänden.

Das Beiboot der Arkoniden existierte nicht mehr.

»Lasst Crest in Ruhe! Er hat euch nichts getan.«

Flippers heftiger Protest verblüffte Deegan. Zumalder Astronaut nicht auf ihn geachtet, sondernentgeistert nach draußen geblickt hatte, wo diegelandete Kugel in einer Feuerlohe vergangenwar.

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war.

Auf gewisse Weise hatte Deegan das Gefühl, dassdas keinesfalls schon alles gewesen sein konnte.

Nicht mehr als zwei Meter trennten ihn von Flipper.Der Schönling hatte den Helm nicht geschlossen,sondern ihn nur so weit nach vorn gezogen, dassdie Folie sich zu ihrer transparenten Formverfestigt hatte.

»Wer seid ihr beide?«, fragte Flipper. »DieKampfanzüge habt ihr keinesfalls von denArkoniden.«

»Und wenn es so wäre?«, fragte Deegan schroffzurück. »Was dann?«

Flipper blickte ihm nachdenklich entgegen. »Dassind die Anzüge von Eric und Crest, habe ichrecht?«

»Wennschon ... Was gehört einem denn das ganzeLeben lang?«

»Du und der andere, ihr seid also schuld daran,

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dass meine Freunde vor Gericht stehen.«

»Deine Freunde? Bist du nicht hier, um gegen sieauszusagen?« Demonstrativ fuhr Deegan sich mitdem gespreizten Daumen über die Kehle. Erwartete darauf, dass Flipper ihn angriff, doch derAstronaut tat ihm den Gefallen nicht. Clark Flipperwar einer der aalglatten Typen, deren Anblick beiRoster in schöner Regelmäßigkeit Brechreizauslöste.

Flippers Energieschirm baute sich auf. Flirrendhüllte die schützende Aura den Astronauten ein,aber sie stabilisierte sich nicht. Wie Nebel flossdas schützende Feld auseinander, nahm nocheinmal deutlichere Konturen an – und verwehteinnerhalb von Sekunden.

Roster Deegan lachte heiser. »Sind dieEnergiereserven erschöpft? Du warst schon zulange in dem Anzug unterwegs. Das macht dichangreifbar.«

Flipper schüttelte den Kopf. Er wirkte verbissen, als

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er fordernd die Hand ausstreckte. »Gib mir deinenAnzug zurück!«, verlangte er.

Irgendwie, fand Deegan, war das ein sonderbaresGespräch. Sie belauerten einander, drehten sichaber nur im Kreis. Ein Patt, so hieß es beimSchach, wenn keiner die Oberhand gewann.Flipper glaubte wohl, dass sie gleichwertigeGegner waren. Womöglich hatte er sogar rechtdamit. Es wäre interessant gewesen, dasauszutesten. Mit rein körperlicher Gewalt war demGegner womöglich nicht beizukommen, wennbeide ihre Helme geschlossen hatten.

Deegan verschränkte die Arme. Abwartend kauteer auf seiner Unterlippe. »Wenn du etwas von mirhaben willst, dann hol es dir!«

Flipper schnellte nach vorn. Mit beiden Händengriff er zu und versuchte, Roster auszuhebeln. DerAnsatz für den Wurf war durchaus in Ordnung, aberdann kam Flipper aus seiner halb verdrehtenHaltung nicht mehr heraus.

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Amüsant, seine Verblüffung zu beobachten. Zusehen, wie der athletisch wirkende Mann dieAugen immer weiter aufriss, weil er es nicht einmalmehr schaffte, seine Hand zurückzuziehen. Flipperstöhnte verhalten.

»Lass mein Handgelenk los!«, verlangte Roster.»Kannst du es nicht? Hat dich der Mut verlassen.«Er griff mit der Linken zu und bog die Finger desAstronauten auf.

»Und nun darfst du gehen, wohin du willst. Ichhindere dich nicht daran. Was ist? Zu schwach?«

»Ich kann mich nicht bewegen«, ächzte Flipper.

Deegan zog eine Braue hoch. »Ach«, sagte erspöttisch. »Ist es so besser?«

Der Astronom taumelte und wäre um ein Haargestürzt. Vorsichtig richtete er sich auf undbetastete seine Arme.

»Wie machst du das?«

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»Zauberei«, sagte Deegan. »Jetzt gib du mirdeinen Anzug. Schneller, wenn ich bitten darf.«

Er lachte über den wütenden Blick, mit dem Flipperihn schier durchbohrte. Deegan verpasste demAstronauten mehrere telekinetische Schläge insGesicht. Flippers Wangen platzten auf, ein dünnerBlutfaden rann über sein Kinn. Mit demHandrücken wischte er sich übers Gesicht undblickte entgeistert auf das verschmierte Blut.

»Kapiert?«, fragte Deegan.

Flipper nickte schwach. Immer noch zögernd,öffnete er seinen Anzug. Ein wenig mühsamversuchte er, sich das schwere Ding von denSchultern zu streifen.

»Roster!« Monternys halb erstickter Ausruf ließDeegan herumfahren.

Clifford hing im Griff eines kräftigen Gegners, derihm einen Arm auf den Rücken zerrte und denUnterarm unter sein Kinn gehebelt hatte.

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Roster packte telekinetisch zu und half Monterny,aus der Umklammerung freizukommen. Er blickteerst genauer hin, als er das Gesicht des Angreifersin Fetzen hängen sah.

Da traf ihn ein heftiger Schlag, der seinen Helmhalb aufklappen ließ. Flipper sprang ihn an, griff inden Kragenwulst und schloss die Hände umseinen Hals. Deegan gurgelte entsetzt. Ein wenighilflos versuchte er, die Arme des Gegnersauseinanderzutreiben.

»Du wirst Rhodan keine Steine in den Wegwerfen!«, sagte Flipper. »Ich habe nachgedacht.Perry hat recht.«

Der Griff schnürte ihm die Kehle zu. Er bekamkeine Luft mehr. Grelle Schlieren tobten vor seinenAugen, ein grässliches Pochen machte sich unterder Schädeldecke breit. Roster spürte diebeginnende Ohnmacht.

Mit letzter Kraft konzentrierte er sich. Allen Hasslegte er in seine Kraft hinein und schleuderte sie

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Flipper ins Gesicht.

Der Griff des Gegners wurde ein wenig lockerer,löste sich aber erst, als Deegan noch einmalzuschlug.

Flipper stürzte rückwärts. Blut quoll aus seinerNase, er schien das nicht einmal wahrzunehmen.Taumelnd kam er wieder hoch und wollte erneutangreifen.

Von einer unsichtbaren Faust getroffen, stoppteFlipper mitten in der Bewegung.

Deegan starrte ihn an. Die Augen gingen ihmdabei über. Er sah den Gegner verschwommen,wie etliche einander überlagernde Bilder, vondenen jedes ein winziges Stück gegen dieanderen verschoben war.

Deegans Blick fokussierte einen einzigen Punkt,eine Fingerbreite über Flippers Nasenwurzel. Allesandere verwischte für ihn ...

... und dann spürte er ein nachgebendes Splittern,

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... und dann spürte er ein nachgebendes Splittern,drang tiefer ein – und stand plötzlich heftigkeuchend und vornübergebeugt wie nach stärksterkörperlicher Anstrengung da. Seine Hände stütztensich an den Oberschenkeln ab, er zitterte, warschweißgebadet.

Flipper lag verkrümmt vor ihm am Boden.

Auf den ersten Blick war zu sehen, dass derAstronaut im Sterben lag. Seine Stirn war kompletteingedrückt, Blut rann aus der Nase.

Schwer atmend richtete Deegan sich auf. In demMoment übergab er sich.

Iga Tulodziecki hatte das dumpfe Grollen gehört,das klang, als stünde halb Washington über einemausbrechenden Vulkan. Die Erschütterungenwaren im rückwärtigen Parkdeck deutlich zuspüren gewesen. Vorübergehend hatte sie sogarbefürchtet, die klassische Säulenfassade deswestlichen Haupteingangs würde in sich

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zusammensinken wie ein Kartenhaus.

Nichts dergleichen schien geschehen zu sein.

Iga vermisste die in die Frontscheibeeingeblendeten Tickernachrichten. Allein auf denHighways, tagelang hinter dem Steuer ihres Giga-Trucks, waren ihr die Kurznachrichten ein geliebterständiger Begleiter geworden.

Ihr Pod steckte in der Halterung zwischen denArmaturen. Sie tippte mit dem Finger auf denkleinen Bildschirm. »Anwahl in der Reihenfolgeeins, zwei«, sagte die Stimme von John Wayne.Wer kannte ihn heute noch? Iga liebte seine Filme,deshalb hatte sie alles darangesetzt, eine App mitseiner Stimme zu bekommen. Nicht gerade billig,der Spaß.

Eins war Rhodan, zwei Ras Tschubai. Keiner vonbeiden nahm den Anruf an.

Iga tippte auf die Bremse. Nur im Schritttemporollte sie die Rampe hinab.

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Die Auffahrt war verlassen, wie Adams esvorhergesagt hatte. Die Marines schienen sich inLuft aufgelöst zu haben.

Ein grelles rotes Leuchten, das sogar dieMittagssonne überstrahlte, hing in der Luft. Allanhatte eine eigenartige Erscheinung prophezeit,sich nur nicht eindeutiger dazu geäußert.

In der Ferne heulten Sirenen. Iga ließ dieSeitenscheiben herunterfahren. Der Klang wurdedeutlicher. Außerdem Schüsse. Stakkatoartighämmerten Maschinenpistolen ihre Salven. Siebrauchte nicht mehr zu fragen, wo die Soldatenwaren: Auf der anderen Seite des Gebäudeswurde gekämpft.

Langsam weiterfahren. In der Nähe bleiben, damitRas ein leicht erreichbares Ziel fand. Sobald er mitRhodan und Crest an Bord war ... Nein, auch dannnicht Bleifuß, sondern unauffällig bleiben.

Ein dumpfes Beben war zu spüren, ein Fauchenwie von entweichendem Gas zu hören. Flammen

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loderten in den Himmel auf. Iga sah denbrodelnden Widerschein. Mühsam verrenkte siesich den Hals, um mehr zu erkennen.

Weit oben, der funkelnde Punkt ... Er wurde größer,reflektierte das Sonnenlicht. Einen Augenblickspäter hörte das Funkeln auf. Was blieb, war einheller metallischer Schimmer.

Iga hielt den Lieferwagen an. Sie stieg aus. Nunkonnte sie besser in die Höhe sehen. Die grellblendende Sonne schirmte sie mit der flachenHand ab.

Aus dem funkelnden Punkt war eine kleineScheibe geworden. Sie wuchs weiter an, alsnäherte sie sich mit hoher Geschwindigkeit.

Das war keine Scheibe, auch wenn es eben soausgesehen hatte. Iga erkannte bereits dieKugelform.

Was immer da über den Obelisken anflog und zurLandung ansetzte, es erweckte den Anschein, als

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wäre es von weit her gekommen. Von sehr weit.Ein Ding aus einer anderen Welt. Iga verzog dasGesicht. Ein wenig Ironie schadete nie, dochausgerechnet jetzt erschien sie ihr fehl am Platz.

Seufzend ließ sie sich wieder auf den Fahrersitzsinken. Sie schloss die Augen und streckte dieBeine aus. Vielleicht, wenn sie die Lider wiederöffnete, entpuppte sich das alles als böser Spuk.

Ihr Pod meldete sich mit durchdringendem Ton.

Rhodan war der Anrufer. »Tschubai wirdaufgehalten. Bleib in der Nähe!«, sagte er hastig.Schon war die Verbindung wieder weg.

Iga fragte sich, wer einen Teleporter aufhaltenkonnte, vor allem, wie. Eigentlich war das nurdenkbar, wenn ihm jemand eine Kanone an dieSchläfe hielt.

9.

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Thora

Thora da Zoltral konnte sich in Zarakh'khazil freibewegen. Dennoch glaubte sie, in ihrer Unterkunfteher Gefangene als Gast zu sein. Die Unruhe, diesie seit dem ersten Zusammentreffen mit Ricoempfand, wollte nicht weichen. Außerdem quältesie die Sorge um Tamika, ihre Co-Pilotin. Tamikarang in der Intensivstation der Venuszuflucht mitdem Tod.

Am schlimmsten litt sie unter dem Gedanken, dassCrest in die Gefangenschaft gewissenloserMenschentiere geraten war, die ihn anklagten. EinArkonide als Gefangener rückständiger Barbaren,das hatte ihr Ziehvater Crest keinesfalls verdient.Vor allem hatte er sich von den letzten Jahrenseines Lebens mehr versprochen, sehr viel mehr.

Es war entwürdigend. Ein Verbrechen. Diese

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Wilden auf ihrer kleinen Welt maßten sich Dingean, die ihnen nicht zustanden.

Wütend sah Thora sich in dem dürftigeingerichteten Wohnraum um. Ein Bett, ein Sessel,ein Tisch und die Sanitärkabine, die vermutlich seitTausenden von Jahren nicht mehr benutzt wordenwar und nach Desinfektionsmitteln stank – das waralles.

Auf dem Tisch lagen die wenigen Dinge, die sie indem beschädigten Anzug mit sich geführt hatte: derMultifunktionsstift mit Leselampe, das Essbesteck,die dünne Scheibe des Logbuchs ...

An der rückwärtigen Wand simulierte ein längstmatt gewordenes, unvollständiges Hologramm dasFenster nach draußen. Thora beachtete es kaum.Es erinnerte sie an verfaulte Natur. Verwesung undTod. Schon der Gedanke daran würgte sie und ließEkelgefühle in ihr aufsteigen.

Thora begann eine ruhelose Wanderung. ZehnSchritte hin, zehn zurück, wie ein gefangener

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Kiwirrl in seinem Käfig. Es war unerträglich, dieZeit ihr einziger Begleiter.

Die Räume in den Wohntürmen waren klein.Zarakh'khazil war für eine unbekannte Zahl vonFlüchtlingen erbaut worden. Jede dieserZufluchten bot Tausenden Platz.

Nach einer Weile hatte Thora genug von Zeit undFlüchtlingen und diesem unbedeutendenSonnensystem, in das sie ohnehin nur einungnädiges Schicksal verschlagen hatte. Sie ließsich in den Sessel fallen und schickte einengedanklichen Hilferuf an die Sternengötter.

»Hast du einen Wunsch, Thora da Zoltral?«,erkundigte sich der tonnenförmige Servoroboterneben der Tür.

»Nein!«, erwiderte sie schroff.

Sie mochte diese Roboter nicht. BaugleicheModelle hatten sie und Tamika in der Venusstationangegriffen und Tamika schwer verletzt. Dass es

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sich bei der Station um eine Zuflucht fürarkonidische Kolonisten handelte, machte dasGeschehen keineswegs verständlicher. Sie warwütend auf die Arkoniden, die in tieferVergangenheit die Verhaltensvorgaben für alleRoboter der Station erstellt hatten. Zugleich war ihrbewusst, dass sie selbst keineswegs andersgehandelt hätte. Sobald Arkoniden Zufluchtsuchten, existierte eine Bedrohung, und jederBedrohung galt es sofort und kompromisslos zubegegnen.

»Doch!«, fuhr sie den Roboter an. »Sag mir, wie esum Tamika bestellt ist!«

»Ihr Zustand ist stabil, aber unverändert.«

Thora hatte nichts anderes erwartet. Trotzdemfehlte ihr ein Wort der Entschuldigung. Nicht vondem Servoroboter, sondern vom Leiter der Station.Unerträglich viel Zeit war vergangen, bis dieAutomaten ihn aus dem Tiefschlaf geholt hatten.Deshalb war der Aufklärer von der Raumabwehrabgeschossen worden.

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Sie wollte von diesem Rico nicht nur eine förmlicheEntschuldigung hören, sondern zugleich einEingeständnis seiner Schuld.

Rico. Er war groß und schlank, das weiße Haarumfloss seine Schultern wie eine funkelnde Aura.Nur seine Manieren ... Nach Jahrtausenden, die erin Einsamkeit und Tiefschlaf verbracht hatte,musste sie wohl oder übel Abstriche machen.

»Verbinde mich mit Rico!«, befahl sie demServoroboter.

Keinesfalls würde sie weitere Zeit in der Stationvergeuden. Der Gedanke an Crest bereitete ihrSorgen. Außerdem wusste sie nichts über denVerbleib von Quiniu, der Pilotin des zweitenAufklärers.

»Rico befindet sich schon auf dem Weg hierher«,antwortete die Tonne. Täuschte sie sich, oderschwang in dem Satz ein Hauch von Ablehnungmit?

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Egal.

Rico kam mit schnellen, schweren Schritten. In deroffenen Tür blieb er stehen. »Das Schiff iststartbereit!«

Thora fixierte ihn überrascht. Beim erstenGespräch hatte er in keiner Weise darauf reagiert,dass sie so schnell wie möglich zum drittenPlaneten wollte. Erde, dachte sie unwillig. Erde istkein Name, sondern bestenfalls ein Zustandverrotteter Materie.

»Bevor wir Zarakh'khazil verlassen, verabschiedeich mich von Tamika«, sagte sie. Der Leiter derVenusstation nahm es kommentarlos zur Kenntnis.

Kurze Zeit später stand Thora vor derIntensivstation.

Tamika lag in einem Tank mit Nährlösung.Dutzende winziger Schläuche waren über Kanülenmit ihrem Blutkreislauf verbunden. Die Maschinesorgte für die richtige Durchblutung ihres Körpers

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und reicherte das Blut mit Sauerstoff an.

Thora holte die aktuellen Biodaten auf den Monitor.Im Vergleich zum frühen Morgen hatten sich dieMesswerte verschlechtert.

»Arkons ewiges Licht möge Sie behüten undstärken, Tamika!« Täuschte Thora sich, oderflatterten tatsächlich die Lider derSchwerverletzten? Tamika lag im Koma. Hatte siedennoch die traditionelle Segensformel gehört undsogar verstanden?

Fast ein wenig unwirsch wandte Thora sich ab undging.

»Sie werden wissen wollen, über wie viele Schiffedie Station verfügt«, empfing Rico sie. »Eineinziges. Wie ich schon erwähnte, wurde dieZuflucht für Notfälle errichtet, aber nie genutzt.«

Thora verstand das nicht. Zarakh'khazil hatteFlüchtlinge aufnehmen sollen, obwohl es indiesem Sektor keine arkonidische Kolonie gab.

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»Was verheimlichen Sie mir, Rico?«

Er ignorierte die Frage. »Bitte legen Sie denSchutzanzug an.« Mehr sagte er nicht.

Sie benutzten den Liftschacht. Zu ThorasVerwunderung machte Rico keine Anstalt, dasaufwärts gepolte Feld zu verlassen, als sie amAusgang zur Rampe vorbeiglitten. Sein Ziel wardas Schott, das sie bei der Ankunft für denAbschluss des Schachtes gehalten hatte.

Nun entpuppte es sich als Zugang zu einerHohlkugel.

Im Widerschein blauer Leuchtringe, die imregelmäßigen Abstand die Innenseite derHohlkugel umliefen, sah Thora zu dem Schiff auf.Eine Sechzigmeterkugel wölbte sich über ihr.Einige Landestützen waren leicht verschoben,möglicherweise aufgrund von Fehlern in derHydraulikführung. Jedenfalls berührten dieLandeteller den Boden nur unvollständig.

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Undeutlich erkannte Thora die verwitterten undteilweise abgefressenen und verwischtenSchriftzüge an der Außenhülle.

TOSOMA IX.

Das Beiboot einer größeren Einheit namensTOSOMA also.

Der Rumpf wies Rinnen und Schmelzflüsse auf. Imunteren Bereich waren die unregelmäßigenUmrisse eines mehrere Meter großenEinschusslochs sichtbar. Die Autoreparaturroutinedes Schiffs hatte es abgedichtet.

Thora bedachte Rico mit einem unwilligen Blick.

»Eine Zuflucht für Zigtausende Arkoniden ... einBeiboot, das offensichtlich in schwere Gefechteverwickelt war ... ein Schlachtschiff, über dessenVerbleib in der Zuflucht keine Daten existieren ...Sehe ich das richtig? Das sind unerträglicheZustände.«

Rico blieb stehen. Das war seine einzige Reaktion

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Rico blieb stehen. Das war seine einzige Reaktionauf ihre verbale Attacke.

Bei allen Arkongeistern, dachte sie bitter. Er isteiskalt. Wie viele Jahrtausende hat er erlebt oderverschlafen?

Rico deutete zu einer offen stehenden Luke hinauf.

»Über den Zustand der Waffensysteme bin ichnicht unterrichtet«, erläuterte er, während sie vomAntigrav nach oben getragen wurden. »Der Antriebarbeitet jedenfalls einwandfrei.«

Wieder über ein flugfähiges Raumschiff zuverfügen, das war schon ein Fortschritt, fand Thora.Auch wenn es sich wohl nur um einaltersschwaches Beiboot handelte, das nichteinmal annähernd die Reichweite hatte, dass sienach Arkon zurückkehren konnte.

»Sie und Crest befanden sich also auf einemForschungsflug«, stellte Rico fest, als sie dieSchleusenkammer betraten. »Mit der Zerstörungder AETRON sind die Koordinaten Ihres Flugziels

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verloren gegangen, nehme ich an.«

Er ging voran. Im Schiffsinnern herrschte das trübeLicht der Notbeleuchtung.

»Keine Koordinaten«, bestätigte Thora.

Vergeblich wartete sie darauf, dass Ricoweitersprach und eine Information gab, was ihninteressierte. Er redete über alles Mögliche, dochnicht mehr darüber. Nach einer Weile fiel ihr auf,dass er sie durchdringend ansah.

»Stimmt meine Annahme, dass Crest da Zoltral alsExpeditionsleiter das Flugziel und dessenKoordinaten kennt?«

»Es gibt kein eigentliches Flug...« Thora schluckteverwirrt.

»Verzeihen Sie, Thora da Zoltral, wenn ich erneutfrage. Sind Sie ganz sicher, dass es sich um einenForschungsflug handelt?«

»Ja.«

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»Ich werde, wenn es erforderlich wird, weitereFragen stellen.«

»Sie werden nicht in jedem Fall eine Antworterhalten, Rico«, schränkte Thora ein. »Hiermitübernehme ich das Kommando über die TOSOMAIX.«

Die Kommandozentrale lag im Dämmerlicht. Alssie und Rico den runden, von einer Kuppeldeckeüberspannten Raum betraten, entstanden Holos anden Wänden und der Decke der Zentrale undschufen die Illusion, ungehindert nach draußen zusehen. Thora registrierte es mit Genugtuung undÜberraschung. Dieses Schiff war jahrtausendealt,aber offenbar auf einem technologischen Niveau,das in Grundzügen mit dem ihr vertrautenübereinstimmte.

»Rico, Sie fliegen das Boot. Ich gebe dieAnweisungen.«

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»Wie Sie wünschen. Der Platz desKommandanten ist dort drüben.«

Er begleitete sie zu einer Konturliege in der Mitteder Zentrale. Ihre Lehne war aufrecht.Holografische Steuerelemente flammten auf.

»Schiff startklar machen!«, ordnete sie an.

Rasch wurde die Zentrale in ein freundlicheresweißgelbes Licht getaucht. Thora fühlte sichbereits wohler. Von ihrem Platz aus sah sie Ricozu, wie er erste Schaltungen an denSteuerelementen vornahm.

»Kommandant Rico identifiziert«, erklang eineschlecht modulierte Stimme, und wenigeAugenblicke später: »Kommandowechselakzeptiert. Thora da Zoltral, für Arkons Ruhm undEhre!«

Das Holo an der Zentraledecke zeigte jetzt dentrüben Himmel des zweiten Planeten.

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»Die Bodenplatte wurde vor langer Zeit derUmgebung angepasst, der mechanische Antrieb inden Boden neben der Schleuse integriert«,erläuterte Rico. »Die Platte besteht ausOberflächengestein.«

Die Steuerpositronik kommentierte die Phasen deseingeleiteten Startvorgangs. Ein Rauschen drangaus dem Bauch des Schiffes, es steigerte sich zumverhaltenen Dröhnen. Einen Großteil derSechzigmeterkugel beanspruchten dieTransitionstriebwerke, die Impulsaggregate unddie zugehörigen Energiemeiler und Speicher.

Das Beiboot schüttelte sich leicht, bis dieTriebwerke im vollsynchronisierten Modusarbeiteten.

Rico schwenkte seinen Sessel. Ein leichterSchauder jagte über Thoras Rücken, derdurchdringende Blick des Mannes behagte ihrnicht.

»Sie sind zornig«, stellte Rico fest. »Und wütend.

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Ich fliege das Boot auf dem kürzesten Kurs zumdritten Planeten. Es wird nur wenig Zeit inAnspruch nehmen.«

»Ich fürchte, diese Zeit haben wir nicht mehr!«

»Eine Transition im Innenbereich des Systemsbirgt Risiken. Die Schockwelle ...«

»Ich weiß.« Schroff unterbrach Thora ihrenBegleiter. »Die Schockwelle könnte Fremdeanlocken, aber die Zuflucht auf dem zweitenPlaneten muss geheim bleiben.«

»Ich sehe, Sie haben mich verstanden.«

Thora maß den Mann mit einem zornigen Blick.»Es steht Ihnen nicht zu, dass Sie sich ein Urteilüber meine Befindlichkeiten bilden.«

»Das mag sein. Für die Sicherheit vonZarakh'khazil bin jedoch ausschließlich ichverantwortlich.«

»Gut. Sie wissen am besten, was zu tun ist. Ich

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werde ohnehin alles daransetzen,schnellstmöglich aus diesem Sonnensystemwegzukommen. Mit Crest!«

»Diese Menschen haben stets Kriege geführt«,sagte Thora. »Ihre Evolution dürfte ein Meer vonBlut und Leid sein und ist es bis heute geblieben.«

Für sie waren diese Wesen Barbaren, undeigentlich war es vollkommen zutreffend, sie alsTiere zu bezeichnen. Die Kataloge erlaubten dieseBezeichnung, vielleicht weniger nach ihremtechnischen Standard, sondern mit Blick auf ihrVerhalten untereinander.

Thora war sich dessen bewusst, dass sie einengroßen Fehler begangen hatte. Niemals hätte sieCrests Verlangen nachgeben und zulassen dürfen,dass diese Primitivlinge die AETRON betraten.Wären Rhodan und seinesgleichen in derunwirtlichen Kraterlandschaft gestorben, würdendas Schiff und seine Besatzung heute noch

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existieren und es gäbe einige Probleme weniger.

Crest hätte wahrscheinlich den Kampf um seinÜberleben verloren.

Nun hatten ihn die Wilden vor ihr Gericht gezerrt.Sie wollten ihn umbringen. Weil sie ihn fürchteten.Und dafür bemühten sie ihre wertlosen Gesetze.Um sich den Anschein einer höheren Ordnung zugeben. Wie primitiv.

Rico nannte die Zeit, bis das Schiff in dieAtmosphäre des dritten Planeten eintauchenwürde. Die Spanne entsprach ungefähr einerStunde der dortigen Zeitrechnung.

»Die Menschen halten mich und alle an Bord derAETRON für tot. Das ist unsere Chance. Wirnutzen den Augenblick der Überraschung.«

»Was haben Sie vor, Thora?«

»Wir werden Crest befreien und den Kerker, indem er gefangen war, zerstören.«

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Rico spielte die Nachrichtensendungen ein, die imirdischen Netz kursierten. Das unwürdigeSchauspiel, das die Menschen einen »Prozess«nannten, ging in den zweiten Tag. Crest wirktemüde, resigniert. Er musste glauben, dass siezusammen mit der übrigen Besatzung derAETRON gestorben war.

»Dafür werden diese Wilden bezahlen!«, fauchteThora. Der Anblick ihres Ziehvaters schmerzte sie.

»Sie sehen in Crest den einzigen überlebendenAngreifer. Ihre Astronauten in den Mondbasen sindtot. Wir sind für sie die Aggressoren. Was könnenSie dagegen vorbringen?«, fragte Rico.

Thora schwieg.

Im Zentrale-Holo wurde der blaue Planet größer.Weite Bereiche der Oberfläche lagen unter weißenWolkenwirbeln verborgen.

»Es hat den Anschein, dass auch andere Crestbefreien wollen«, stellte Rico fest.

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»Rhodan? Er ist ein Affe!«

»Auf jeden Fall wird er nicht tatenlos zusehen,dass Crest seiner Würde beraubt wird.«

»Und seines Lebens!«, schnaubte Thora. »Siescheinen über diesen Rhodan gut informiert zusein.«

»Überhaupt nicht. Ich kenne nur seine Rede, die ergehalten hat. Danach haben sich Zehntausendeaufgemacht, um Bürger der neuen Stadt Terraniazu werden.«

»Rhodan ist ein Fantast. Sein Traum vom Aufbruchzu den Sternen ist zu Ende, bevor er überhauptbegonnen hat.«

»Immerhin ist er Realist genug, dass er dierichtigen Mediziner gefunden hat, die Crest heilen.Manoli und Haggard heißen sie, und sie werdendes Hochverrats angeklagt, weil sie einemNichtmenschen helfen.«

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Thora rief weitere Steuerelemente auf. »Ich machemich mit der Geschützkontrolle vertraut.«

In den modernen Schiffen beherrschte sie alleFunktionen blind. In diesem uralten Beibootmusste sie sich manches erst erschließen. Thorahatte ein merkwürdig flaues Gefühl im Magen, alssie nacheinander mehrere Simulationen einleitete.

Das Boot näherte sich dem Planeten. Diese Weltin ihren Hauptfarben Azur und Weiß verstrahlteeine eigenartige Atmosphäre, fast wie Arkon,wenngleich niemals so harmonisch.

Aus der Ferne verriet die Erde nicht, wie vieleKriege sie schon gesehen und wie vielestrahlenverseuchte Atomexplosionen ihr Lebenbeeinflusst hatten. Ein gnädiges Schicksal hatteihre Barbaren bisher davor bewahrt, die eine großealles verzehrende Bombe zu erfinden, die ihre Weltim Atombrand vernichtete. Diesen dummen,selbstgefälligen Menschen hätte Thora inzwischenzugetraut, dass sie ihren eigenen Planeten undsich selbst auslöschten. Es wäre sicher kein

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Verlust für die Völker dieser Sterneninselgewesen.

Das Beiboot drang in die obere Atmosphäre ein. ImSchutzschirm verglühten die ersten auftreffendenPartikel; selbst das erschien Thora anders als fürgewöhnlich. Ich rede mir das nur ein – dieseunbedeutende Welt wird für mich zum Albtraum.Wegen Crest war sie hier, es gab keinen anderenGrund, nichts, was für Arkoniden interessantgewesen wäre. Das Verhalten von Wilden auch inextremen Situationen war von denWissenschaftlern schon so oft studiert worden. DieAbhandlungen darüber füllten Unmengen anSpeicherpotenzial.

Die Funkortung durchsuchte dasKommunikationsnetz der Menschen nachSchlagwörtern. Crest, Rhodan, Supreme Court,Stanley Drummond und Frank Haggard ... DieAutomatik arbeitete einigermaßen schnell. ZuRhodan fanden sie wenig Neues. Es hatte denAnschein, als sei er vor wenigen Erdtagen von denChinesen gefangen genommen worden. Seitdem

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verlor sich seine Spur. Und wennschon. Rhodanhatte keinen Einfluss auf den Prozess gegen Crest,er wäre selbst sehr schnell abgeurteilt worden.Vielleicht hatten das die Chinesen schonübernommen; sie waren mit ihrerInformationspolitik weitaus zurückhaltender als dasVielvölkerland im Westen.

»Demokratische Systeme auf der Erdefunktionieren zumeist nach dem Prinzip derGewaltenteilung«, erläuterte Rico ungefragt.»Legislative, Judikative und Exekutive dürfen nichtvon denselben Personen ausgeübt werden.Gerichte und Richter handeln unabhängig von derPolitik und vom Staat. Ausnahmefälle gibt es imBereich des Terrorismus, wenn Justiz und Polizeieng zusammenarbeiten, vor allem, um dieBevölkerung zu schützen.«

»Sie kennen sich überraschend gut auf dieser Weltaus, Rico.«

Er reagierte nicht auf die unterschwellige Frage,jedenfalls nicht auf die Weise, die Thora erwartet

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hätte. Rico deutete lediglich auf die leuchtendenSteuerelemente. »Alles lässt sich analysieren. Esgibt kritische irdische Medien und Gruppierungen,die sogar das Vorgehen der höchsten Behördenüberwachen. Auch Menschen haben so etwas wieein Fingerspitzengefühl. Nur dürfen sie nicht injedem Land ihre Meinung auch verkünden.«

»Was Sie nicht sagen, Rico.«

Das Boot tauchte durch eine Zone dichter kalterHöhenwolken. In der oberen Atmosphäre tobteneigenartige elektromagnetischeLichterscheinungen. Das Gebiet der höchstenGebirgszüge wurde von einem schwerenSchneesturm heimgesucht.

Die TOSOMA IX sank tiefer.

»Die Menschen haben uns in ihrerRadarüberwachung«, stellte Rico unbewegt fest.»In den Regionen China und Großrussland steigendie ersten Abfangjäger auf.«

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Die Jäger waren zu langsam. Sie würden nichteinmal das uralte arkonidische Beiboot einholen.

Die Holos zeigten nun die Wasserwüste desPazifiks. Einige wenige hingestreute Inselgruppen.Manche lagen unglaublich dicht unter derWasseroberfläche.

»Der Planet erwärmt sich, das Wasser wird nochviele dieser Inseln verschlingen«, stellte Thora fest.Zugleich ärgerte sie sich über ihr anklingendesInteresse an dieser Welt. Das hatte sie nicht. DieErde wäre unbedeutend gewesen ohne Crest.

Amerikas Westküste kam in Sicht, der langgestreckte ausgedehnte Gebirgszug von Nordnach Süd. Rico ließ das Boot weiter absinken, hieltes schließlich auf einer Höhe, wenige Kilometerüber dem primitiven irdischen Flugverkehr.

Über einer großen Seenplatte änderte er den Kurs.

Thora nickte zufrieden. »Für jeden Toten derAETRON werden diese Wilden hundertfach

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bezahlen«, zischte sie.

Rico hob den Blick. Thora reagierte überrascht undunwillig darauf, wie viel Zwang mit einem Mal inseinen Augen lag. Fast so, als wolle er ihrbefehlen.

»Bitte handeln Sie umsichtig, Thora«, sagte er.»Sie würden Schaden anrichten, wenn Sieversehentlich Rhodan und Bull töteten.«

Sie verzog das Gesicht. »Das wäre mir völliggleichgültig. Wie nennen diese Menschen so einVorgehen? Kollateralschaden? Ich könnte damitleben.«

Rico schwieg einige Zeit.

»In die Verhandlung gegen Crest da Zoltral scheintBewegung zu kommen«, stellte er unvermittelt fest.»Ein für alle Beteiligten überraschend genannterZeuge soll jetzt aussagen. Clark Flipper.«

Thora kannte den Namen. Flipper war einer dervier Astronauten unter Rhodans Führung gewesen.

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vier Astronauten unter Rhodans Führung gewesen.

»Dutzende Jäger im Anflug!«, meldete Rico.

»Sie können uns nichts anhaben!« Aber das hattesie auch über die auf dem Erdtrabantengestrandete AETRON gedacht. Das Schiffexistierte nicht mehr, die Besatzung war tot.Vielleicht sollte sie die Verantwortlichen auf derErde dafür vor ein arkonidisches Gericht zerren.

Ein verrückter Gedanke.

Will ich Rache? Thora erschrak über sich selbst.Offenbar färbte das primitive Denken dieserMenschen auf sie ab.

Das Zielgebiet kam in Sicht. BewaldeteHügellandschaften mit dem District of Columbia,einer quadratischen Sonderzone zwischen denBundesstaaten Virginia und Maryland, erläuterteRico beiläufig. Die optischen Systeme holten dieHauptstadt der westlichen Großmacht auf dieHolos.

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Schnell wurden Details erkennbar. Ein großer, sichträge dem Meer entgegenwälzender Fluss. EinNetz von Zufahrtsstraßen, auf denen sich diebodengebundenen Fahrzeuge über weite Bereichestauten.

Was halfen Straßen und Fahrzeuge, wenn sichnichts bewegte?

Ein großes, fünfeckig konstruiertes Gebäude ...»Das Pentagon«, sagte Rico. »Hier wird dieVerteidigung des Landes organisiert.«

Eine mangelhafte Verteidigung. Die TOSOMA IXwar bereits so unglaublich nahe. Sollte sie einExempel statuieren? Eine einzige Salve derBordgeschütze hätte genügt, das Pentagon ineinem Glutsee versinken zu lassen.

Thora verzichtete darauf.

Dann waren die ersten Jagdflugzeuge nahe. Thorabeobachtete sie weitgehend unbewegt.

Sie hatte erwartet, dass die Jäger sofort angreifen

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Sie hatte erwartet, dass die Jäger sofort angreifenwürden. Fast alle diese Maschinen, das warunschwer zu erkennen, waren mit Raketenbestückt. In heftiger werdender Drohgebärderasten zwei Staffeln auf Kollisionskurs heran. Erstim allerletzten Moment brachen die Maschinenseitlich aus.

»Sie wagen es nicht«, sagte Thora.

»Weil unser Beiboot explodieren könnte und imAbsturz aus dieser Höhe ihre Hauptstadtverwüsten würde.«

»Ein Hauch von Vernunft?« Flüchtig sah Thora zuRico hinüber.

»Es ist schwer, eine Prognose anzustellen, wielange ihre Geduld reichen wird.«

»Sobald sie angreifen, schießen wir die Flugzeugeab!«, sagte Thora.

In den Außenbezirken der Stadt kreistenSchwärme von Hubschraubern. Abfangjäger

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demonstrierten im Tiefflug Präsenz. Alle Straßenund Brücken waren verstopft. Rauch stieg an weitverteilten Stellen auf und wälzte sich träge durchdie Straßenzüge. Im Fluss standen zweiKriegsschiffe.

Eine Optik fing den Bereich des Gerichts ein.

»Was ist das?« Zum ersten Mal spürte ThoraUnsicherheit und Verwirrung in sich aufsteigen.

Eine rot leuchtende Kugel schwebte vor demweißen Gerichtsgebäude. Staubwolken hingen inder Luft und verwehten nur langsam, als habe eseine oder mehrere Explosionen gegeben.

Menschen wälzten sich wie eine bunte Flut nachallen Richtungen.

»Das Gericht war von Schaulustigen undDemonstranten umlagert«, erklärte Rico. »Nunfliehen sie vor dem, was dort geschieht.«

Wie eine Mikrobenkultur, in deren Mitte einAntibiotikum platziert wurde, ging es Thora durch

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Antibiotikum platziert wurde, ging es Thora durchden Sinn. Die heilende Wirkung breitet sichgleichmäßig aus.

»Was ist das?« Ein wenig verwundert registriertesie den breiten Ringwulst. »Das Ding sieht aus wieein Beiboot ...«

»Es ist kleiner«, erwiderte Rico. »UnbekanntesMaterial, kaum Masse. Ich fange keinehöherwertige Ausstrahlung auf.«

»Das Ding ist kein Raumschiff?« Thora knifffragend die Augen zusammen.

»Nein.«

»Was ist es dann?«

»Ich vermute, ein einfacher Ballon ...«

»Wozu?«

»Vorspiegelung falscher Tatsachen«, behaupteteRico.

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»Wozu?«, wiederholte Thora. Sie verstand, was ermeinte, nur wollte sie es nicht glauben. DieseMenschen waren primitiv – aber so primitiv, dasssie annahmen, mit einem Kinderspiel alle anderenbeeindrucken zu können ...?

»Eine Wand des Gebäudes ist eingestürzt. Ichdenke, dass auf diese Weise Crest befreit werdensoll.«

»Rhodan?«

»Es wäre ihm zuzutrauen«, erwiderte Rico.

»Rhodan wird in seiner Naivität Crest denTodesstoß versetzen.«

»Soldaten greifen an!«, rief Rico, ohne auf ThorasBemerkung zu reagieren. »Sie kommen aus zweiPavillons im Park. Allem Anschein nach verlaufendort unterirdische Gänge.«

Thora kniff die Augen zusammen. Sie fragte sich,

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ob Ricos Vermutung richtig war. Falls es bei demGeschehen wirklich um Crest ging, musste sie jetzteingreifen. Auf keinen Fall durfte sie zulassen,dass die Soldaten alles zerstörten, was in ihremLeben von Bedeutung war.

»Wir gehen tiefer!«, verlangte Thora.

Nur flüchtig fragte sie sich, warum wederHubschrauber noch die Jagdflugzeuge eingriffen.Die Antwort lag auf der Hand. Niemals hätte es einArkonide gewagt, in ähnlicher Nähe zumKristallpalast schwere Waffen einzusetzen. Wenndie Menschen davor zurückschreckten, ihre eigeneElite zu gefährden, waren sie vielleicht doch nichtganz so primitiv. Einige von ihnen jedenfalls.

Rund um die rot glühende Kugel bezogen dieSoldaten Stellung. Ein wenig belustigt stellte Thorafest, dass sie einen deutlichen Sicherheitsabstandhielten. Sie feuerten aus ihren einfachenProjektilwaffen.

Das Ziel war so groß, sie konnten es gar nicht

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verfehlen.

Schon die erste Salve hätte den leuchtendenBallon platzen lassen müssen.

Er tat es nicht. Auch nicht, als eine schwacheExplosion im Bereich des falschen Ringwulsteserfolgte.

Einen Augenblick später stachen Flammenbündelaus den Ringwulstdüsen. Die Kugel gewann anHöhe, wenn auch nur gering.

»Sie starten!«, rief Thora – und hätte sich amliebsten die Zunge dafür abgebissen, hätte sie denunbedachten Ausruf rückgängig machen können.

»Das ist in der Tat eine leere Hülle«, stellte Ricosofort fest. In seiner Stimme schwang Tadel mit.

»Warum ist das Ding nicht längst in tausendFetzen?«

»Das Material konnte die einfachen Projektileabfangen«, stellte Rico fest. »Vielleicht molekular

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extrem verdichtet ...«

»Unsinn!«, begehrte Thora auf. »Haben diese T...,diese Menschen das Wissen dafür?«

»Nein«, antwortete Rico. »Mit Sicherheit nicht.«

Thora nahm es zur Kenntnis. Die Eingeborenenmochten einfallsreich sein, aber was bedeutetedas schon. Nie würden sie dieselbeEntwicklungsstufe erreichen wie die Arkonidenund alle anderen raumfahrenden Völker.

»Wir holen Crest da raus!«, entschied sie. »Egalwie. Ich will ihn gesund und unverletzt zurück.Nimm keine Rücksicht.«

»Jedes Individuum bedarf der Rücksichtnahme«,widersprach Rico, wenn auch auf eine freundlicheArt. »Die Menschen, die gegen Crest da Zoltral zuGericht sitzen, fühlen sich im Recht. Undwahrscheinlich sind sie es auch – nach ihrenGesetzen.«

»Sie fühlen?«, fuhr Thora auf. »Sie haben keine

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»Sie fühlen?«, fuhr Thora auf. »Sie haben keineAhnung, was sie Crest antun. Er sollte sie dafürhassen, aber dazu ist er nicht in der Lage. Crest daZoltral ist zu gut für diese Welt, er hat Besseresverdient.«

»Besseres, das er am Ziel seiner Expedition zufinden hoffte?«, wandte Rico ein.

Thora bedachte ihn mit einem abschätzendenBlick. Sie presste die Lippen zusammen, zumal indem Moment die Schirme eine brodelndaufsteigende grelle Glutwolke zeigten. Die roteKugel existierte nicht mehr, sie war in diesemrauchlosen Feuerball verglüht.

»Eine Gasexplosion«, stellte Rico fest.»Wahrscheinlich eher eine Verpuffung.«

Das Beiboot, mehrere Kilometer hoch über derStadt, sank tiefer. Es flog auf die schlankaufragende Steinsäule zu, die als WashingtonMonument bezeichnet wurde, war über demKuppelbau des Capitols, nur noch zweitausendMeter über dem Boden, und fiel dem

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Gerichtsgebäude entgegen.

»Wir landen auf der Wiese vor der eingestürztenWand, genau dort, wo die Attrappe stand!«

Thora starrte auf die Bildschirme. Die erstenMenschen flohen aus dem Gerichtsgebäude,dessen Bauweise an die Säulentempel auf Arkonerinnerte. Sie drängten und stießen, und dieakustische Außenerfassung ließ ihre Schreiehörbar werden. Die Ersten stürzten auf der breitenSteintreppe vor dem Gebäude, andere trampeltenüber sie hinweg. Sie waren wirklich wie Tiere. Nurwenige versuchten, den Gestürzten zu helfen.

Ein Heulen ging durch die Menge, als sie das zurLandung ansetzende Beiboot bemerkten.

»Die Soldaten fliehen«, sagte Rico. »Einigeschießen allerdings auf uns.«

Thora lächelte grimmig.

»Sollen sie schießen, diese Verrückten. Siewerden sehen, wohin das führt.«

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werden sehen, wohin das führt.«

Lautlos senkte sich die TOSOMA IX auf die weiteGrünfläche hinab.

Plötzlich waren Hubschrauber überall. Wie einSchwarm blutrünstiger, bösartig surrender Insektenhatten sie das Beiboot eingekreist. Abfangjägerdonnerten in geringer Höhe über den Stadtteilhinweg. Die Soldaten hatten zwar das Feuereingestellt, vielleicht sogar erkannt, dass sie gegendie TOSOMA IX so nichts ausrichten konnten, abersie lagen ringsum in Stellung, ihre Waffenunmissverständlich auf das Schiff gerichtet.

»Sieht so aus, als würden sie Crest lieberumbringen, als ihn freizugeben.«

Thora deutete auf eine kleine Baumgruppe amRand der Grünfläche und auf eine eigenartige,annähernd runde Konstruktion unmittelbar nebender in einiger Distanz vorbeiführenden Straße.Einige Menschen, die aus dem Gerichtsgebäudegeflohen waren, hasteten dort vorbei.

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»Sie wissen, was das ist, Rico?«

»Ein Pavillon. Menschen warten dort auf dieöffentlichen Verkehrsmittel.«

»Jetzt ist niemand in der Nähe. Der Pavillon unddie Baumgruppe ...«

Thora richtete zwei der kleinerenEnergiegeschütze auf die Ziele und löste dieProjektoren mit minimaler Intensität aus. DasHäuschen verdampfte in einem fahlen grünenFlimmern. Zwischen den Bäumen fuhr einarmdicker Glutstrahl in den Boden. Mit splitterndemDröhnen stürzten zwei der weit ausladendenRiesen, an den anderen leckten grelleFlammenzungen empor. Sie wurden zu loderndenFeuersäulen.

Die Soldaten zogen sich eilig zurück. Nicht einSchuss fiel.

»Sie haben verstanden«, sagte Thora.

»Die Hubschrauber sind noch da.«

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»Die Hubschrauber sind noch da.«

»Auch die Piloten werden begreifen, dass wirkeineswegs wehrlos sind.«

Thora löste das Polgeschütz aus. Eine mächtigeFlammensäule zuckte in den Mittagshimmel. Wieein Fanal musste der Glutstrahl weithin sichtbarsein, ein Blitz, der von der Erde zu den Wolkenzuckte und sie durchschlug.

Die Insekten waren aufgescheucht. In kleinenPulks stoben sie davon.

10.

Supreme Court,

Washington D.C.

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Im günstigsten Moment zuschlagen undverschwinden – dass es trotz der arkonidischenAusrüstung nicht so einfach sein würde, hatteClifford Monterny sich an den Fingern abzählenkönnen. Doch was sich mittlerweile im HöchstenGericht der Vereinigten Staaten abspielte, erschienihm so absurd, dass es schon wieder verständlichwurde.

Selbstverständlich war er nicht der Einzige, derden Arkoniden haben wollte.

Präsident Drummond konnte es sich erlauben, dasGerichtsverfahren auszusitzen. Crest fiel ihmanschließend wie eine überreife Frucht in dieHände. Damit bewies er aller Welt, dass die USAauch in diesem einmaligen Fall nicht von denPrinzipien der Rechtsstaatlichkeit abwichen.Natürlich wurde die Menschenwürde geachtet,wenngleich Crest bestimmt nicht als Mensch imSinn des Gesetzes gelten konnte. Für alle Weltsichtbar hatte Verteidiger Tifflor schon zu Beginn

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des ersten Verhandlungstags durchgesetzt, dassdem Arkoniden die Handschellen abgenommenworden waren und er weitere Vergünstigungenerhalten hatte, die seinem hohen Alter und seinemangeschlagenen Gesundheitszustandentgegenkamen.

Rhodan, das hatte Monterny erwartet, wartatsächlich erschienen. Irgendwie hatte er esgeschafft, in die USA einzureisen und dabeiunentdeckt zu bleiben. Er war ein gefährlicherGegner. Sogar mehr als das. Rhodan entpupptesich als gerissener Hund. Die Sprengung, die denEinsturz der Außenmauer zur Folge hatte, dasgelandete Raumschiff ... Fast wäre Clifford auf denBluff hereingefallen. Alles, was auch nur entferntnach Arkoniden aussah, löste Hysterie undEntsetzen aus. Die Verunsicherung und Angst derMenschen waren zu groß, um einen kühlen Kopfzu bewahren.

Ein Raumschiff der Arkoniden explodierte nicht soeinfach im Kugelhagel wie das rot strahlendeEtwas. Mehr hatte Rhodan in den wenigen Tagen

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nicht auf die Beine stellen können, aber schon daswar bewundernswert.

Ein mit Gas gefüllter riesiger Ballon ... Selbstschuld, wenn das Ding mit Wasserstoffvollgepumpt worden war, anstatt mit Helium. Oderwar gerade das Absicht gewesen?

Wie auch immer, Rhodan hatte sein Ziel erreicht.Innerhalb weniger Minuten stand alles kopf. DenArkoniden würde er trotzdem nicht bekommen.

Eine Verwünschung auf den Lippen, landeteMonterny auf dem Saalboden. Stuckbrockenknirschten unter seinen Sohlen, in der Luft hingimmer noch der aufgewirbelte Staub ...

Clifford Monterny reagierte zu langsam. Schwerprallte er gegen die kräftige Gestalt, die urplötzlichzwischen Crest und ihm stand. Grünlichschimmernde Haut und einen halben Kopf größerals er, das erkannte er noch. Die Arme riss er zuspät hoch. Der Fausthieb des Angreifersschrammte über seinen Unterarm und traf ziemlich

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hart. Greller Schmerz raste von seinem Kinn ausdurch den Schädel.

Er taumelte. Ein Teleporter!, schoss es ihm durchden Sinn. Das erklärte, wie Rhodan in denGerichtssaal gelangt war.

Dem nächsten Hieb wich er aus. Seine Fingerkrallten sich ins Gesicht des anderen, gruben sichin dessen Haut ein – und er spürte, wie die Hautaufriss und an seinen Nägeln hängen blieb.

Es war eine Maske, die er mit heftigem Ruckzerfetzte. Tiefschwarze Haut kam darunter zumVorschein. Der Gegner riss sich los. Eigentlichhatte Monterny ihn von sich gestoßen, denn dasverschaffte ihm Luft, um nach dem Strahler zugreifen. Er riss die Waffe hoch und schoss, dochder Teleporter reagierte den Bruchteil einerSekunde eher und verschwand.

Monterny wandte sich Crest zu, der ihm ruhigentgegensah. Niemand achtete mehr auf denArkoniden, die Wachen versuchten, Rhodan zu

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erwischen.

Crest hätte fliehen können.

Warum er es nicht tat? Wohin sollte er gehen?,fragte sich Monterny. Er ist allein, gestrandet aufeiner ihm fremden Welt.

Eigentlich war Crest ein bedauernswertes Opfer.

»Ich hätte nicht geglaubt, dass wir unswiedersehen würden«, sagte der weißhaarige Altezögernd. Er wandte sich um und blickte auf dieWiese vor dem Gebäude hinaus. Vielleicht dachteer jetzt an Flucht.

Monterny legte dem Arkoniden die Hände auf dieSchultern.

»An Ihrer Stelle würde ich das nicht tun, alterMann«, sagte er. »Wo wollen Sie hingehen? Siekönnen nicht einfach nach Hause telefonieren, undhier wartet die Todeszelle auf Sie. Ich hingegenbiete Ihnen die Freiheit.«

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Hatte Crest überhaupt gehört, was er sagte?

»Sie ist gekommen, um mich zu holen«, murmelteder Alte. »Ich wusste, dass ich mich auf sieverlassen kann.«

Sie?

Monterny hatte Schüsse gehört, während desZweikampfs mit dem Teleporter aber nicht daraufgeachtet. Jetzt vernahm er ein dumpfes Fauchen,ein Geräusch, als würde zunderdürres Material ineiner gewaltigen Stichflamme auflodern. DasDröhnen der schnellen Kampfhubschrauber, dassich unbarmherzig in sein Unterbewusstseineingefressen hatte, entfernte sich.

Wieder einmal fühlte er sich zurückversetzt nachBagdad, sah Menschen um ihr Leben rennen,hörte die Maschinengewehrsalven und das dumpfeWummern explodierender Granaten. Hörte dieunmenschlichen Schreie der Verwundeten,Sirenen in der Ferne, Kampfhubschrauber überden Straßen ...

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Entgeistert starrte er hinaus ins weite Grün.

Ein Raumschiff stand mit abgespreizten dickenLandebeinen auf dem zerwühlten Rasen. Es hatteKugelform und bestand aus düsterem, zerfurchtemStahl. Wie Panzer, die unter Beschuss geratenwaren.

Das war kein Bluff mehr, dieses Schiff war echt. Eshatte Patina angesetzt, Gebrauchsspuren,vielleicht stammten die Schäden sogar vonschweren Gefechten.

»Thora«, murmelte Crest.

Der Alte redete wirr. Thora lebte seit Tagen nichtmehr, war in der Atomexplosion umgekommen, diedas große Schiff auf dem Mond vernichtet hatte.

Und die Kugel draußen? Wahrscheinlich gab esdoch weitere Arkoniden im Sonnensystem.

»Kommen Sie, Crest!« Monterny griff nach demArm des Arkoniden. Er spürte, wie ausgezehrt der

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Mann war.

»Jetzt nicht mehr«, murmelte der Alte. »Ich werdeerwartet.«

»Mag sein. Aber Sie sind mir wichtiger, so lieb wiemein Leben.« Clifford Monterny lachte leise.

Als Crest den Kopf schüttelte, wühlte er seineHand in das lange weiße Haar und zerrte den Kopfdes Arkoniden zurück. So weit, bis er in Crestsfurchtsam aufgerissene Augen sah.

»Für mich sind Sie der Schlüssel zum ewigenLeben.«

Er sah das Erschrecken des alten Mannes. Furcht.Entsetzen. Was auch immer es sein mochte. Erpackte fester zu und zerrte Crest in die Höhe.

»Wir nehmen ihn in die Mitte und schalten dieSchirme zu einer Einheit zusammen!«, rief erDeegan zu. »Dann raus hier, so schnell wiemöglich!«

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Bevor sie uns erwischen, fügte er in Gedankenhinzu.

Perry Rhodan rieb sich die Knöchel. DerWachmann, den er niedergeschlagen hatte,musste ein Kinn aus Stahl haben. Oder er selbstwar aus dem Training, das eher.

Während er dem Bewusstlosen denElektroschocker abnahm, fragte er sich, wann erdas letzte Mal mit aller Kraft auf einen Sandsackeingeschlagen hatte. Das war kurz vor dem Startzum Mond gewesen, ziemlich genau eine Stundenachdem Lesly Pounder ihm das Foto gezeigthatte. Das letzte von der Mondstation übermittelteBild, aufgenommen von einer autonomen Sondeauf der Rückseite des Erdtrabanten. Damals hatteer nur ahnen können, was ihn in dem Kratererwartete.

Mittlerweile wusste er es. Doch seinen Frust hatteer an jenem Tag schon am Sandsack

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ausgelassen.

Er prüfte die Ladungsstärke des Schockers. DieAnzeige stand auf voll. Eigentlich schwer zuglauben, dass ein geschulter Wachmann auf denSäulentrick hereinfiel. Rhodan sah immer noch dasverblüffte Gesicht des Mannes vor sich. SeinErstaunen, dass ihm jemand von hinten auf dieSchulter tippte, nachdem er die mächtigeStützsäule eben erst vorsichtig umrundet hatte.Während er sich umdrehte, schien er begriffen zuhaben, da war Rhodans Faust aber schonpunktgenau auf seinem Kinn gelandet.

Der Saal bot ein Bild der Verwüstung. Staubwirbelte in der Luft, der Boden und das Mobiliarwirkten wie eine graue Mondlandschaft. DieSeitenwand war weitgehend nach inneneingebrochen. Wie es draußen aussah, konnteRhodan von seiner erhöhten Position aus nurschwer erkennen. Er hörte Überschalljäger überdie Stadt hinwegdonnern und das Dröhnen derwendigen Kampfhubschrauber, einunverkennbarer Klang.

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Oben war niemand mehr außer ihm. Der Saal warvollgestopft gewesen mit Menschen, ein Großteilvon ihnen mochte das Gebäude bereits verlassenhaben. Niemand hatte es gewagt, den eigentlichkürzesten Weg zu nehmen, weil in Sichtweite dieBedrohung lauerte.

Vor wenigen Minuten hatte Rhodan den stummenAlarm seines Pods gespürt, aber den Anruf nichtannehmen können. Nun rief er zurück. Unten imSaal hatte Tschubai eben vergeblich zu verhindernversucht, dass Crest entführt wurde. Flipperprügelte sich mit dem anderen Mann, der ebenfallsaus der Loge gekommen war. Die Kampfanzügeder beiden konnten nur die von Crest und Manolisein.

Iga meldete sich.

»Tschubai musste teleportieren. Bleib in derNähe!«, rief Rhodan.

Er hastete die Treppe hinunter, um einzugreifen.Eine zweite Wache kam ihm entgegen. Rhodan

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löste seine Waffe einen Sekundenbruchteilschneller aus. Von heftigen Zuckungen geschüttelt,brach der Wachmann zusammen und rutschte dieStufen hinunter. Rhodan geriet ins Stolpern, als ermit dem verkrampften Körper zusammenstieß, undfing sich leidlich ab.

Immer noch drängten Dutzende Menschen vor demAusgang. Die Kontrollsperren verhinderten, dasssich der Saal schneller leerte.

»Haltet ihn auf! Das ist der Verräter!«, brülltejemand.

Achtlos schlug Perry die nach ihm greifendenHände zur Seite. Einige Frauen und Männerklatschten Beifall.

Er kam gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wiedie beiden Männer Crest zwischen sich nahmenund die Schutzschirme ihrer Kampfanzügeaufbauten.

Rhodan flankte über mehrere Sitzreihen hinweg.

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Im Laufen löste er den Schocker aus, aber dieReichweite des Elektrofelds war zu gering.Einholen konnte er die Männer und den Arkonidenohnehin nicht mehr.

Tschubai war noch nicht zurückgekommen.

Und Flipper schwer verletzt. Erschüttert knieteRhodan neben dem Kameraden nieder. In FlippersBlick lag die Andeutung eines Lächelns.

»Ruhig, mein Freund«, sagte Rhodan. »Die Ärztewerden gleich hier sein.«

Eine Lüge. Er sah, wie es um Flipper stand.

»Beth ...« Ein Hauch, so drang es über FlippersLippen. Rhodan beugte sich tief über denSterbenden. »... Beth ist tot ... habe sie gefunden ...begraben ...« Er erbebte. »Euch helfen ... Ericheraushauen ... nicht verdient ...«

Ein leises Stöhnen. Flipper war tot.

Mit der flachen Hand fuhr Rhodan über Flippers

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Gesicht und drückte ihm die Augen zu. »Ruhe inFrieden, Clark. Wir werden dich nie vergessen.«

»Mr. Rhodan«, sagte hinter ihm eine leise Stimme.

Zögernd richtete er sich auf. Tschubai warzurückgekommen.

Der Teleporter nickte schwach. »Niemand istgegen den Tod gefeit. Den einen erwischt esfrüher, den anderen später – sterben muss jedervon uns.« Er streckte Rhodan die Hand entgegen.»Kommen Sie!«

Iga Tulodziecki schreckte zusammen, als sie dasPoltern hinter sich hörte. Der Laderaum war so gutwie leer.

Sie hatte die Fahrertür noch offen, ihre Beinehingen nach draußen. Mit einem Satz kam sie aufdie Füße.

Die Hecktür des Lieferwagens wurde von innen

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aufgestoßen. Tschubai blickte ihr aus seinengroßen weißen Augen entgegen. Er sahfürchterlich aus. Wenn sie nicht gewusst hätte,dass es eine Maske war, die ihm in Fetzen vomGesicht hing ...

»Fahr los!«, sagte er heftig. »Wenigstens ein paarStraßen weit. Wir müssen uns mit Bull treffen.«

»Ist Rhodan ...?«

»Alles in Ordnung, ich habe ihn heilzurückgebracht.«

Tschubai verschwand wieder im Laderaum. DieTür schlug hinter ihm zu.

Iga gab Gas. Sie musste an sich halten, um nichtmit Bleifuß loszurasen. Langsam die Einfahrtentlang, vorbei an dem mächtigen Treppenaufgangund der Säulenhalle. Als sie nach oben schaute,sah sie nicht nur die beiden großen Marmorfiguren,die den Aufgang flankierten, die Meditation derJustiz, sondern im Hintergrund, unmittelbar am

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Haupteingang, die neu gestaltete Statue GeorgeWashingtons.

Soldaten waren überall. Sie blickten demCateringfahrzeug nach, machten aber keineAnstalten, es aufzuhalten.

Staubbedeckte Gestalten wankten über die Straße.Der Wind trieb Rauchschwaden heran. EinigeHundert Meter entfernt standen Bäume lichterloh inFlammen. Iga glaubte, das Knistern und Prasselndes brennenden Holzes zu hören.

Vielleicht kamen die Geräusche auch von dermonströsen stählernen Kugel, die auf dem Rasenstand.

Iga fröstelte. Schon die Fregatten undSchnellboote in den Häfen behagten ihr nicht. Dashier war noch etwas ganz anderes. Jederzeitkonnte sich das Raumschiff in eine Feuerspeiende Festung verwandeln.

Sie atmete erst auf, als sie in die nächste

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Seitenstraße abbog und die stählerne Kugel aufihren Landebeinen nicht mehr sah.

Reginald Bull war im Truck zurückgeblieben. Derübergroße Laster mit den Catering-Logos stand ineinem der zahlreichen Waldgebiete, die fürWashington viel mehr bedeuteten als nur einegrüne Lunge. Hier draußen war er weit von derÖffentlichkeit entfernt, dass er nicht gerade damitrechnen musste, von Verschwörungsfanatikernoder Alienjägern aufgespürt zu werden.

Und wenn: Die große fette Spinne, die auf derLadefläche kauerte und einige ihrer Beine weitüber die Bordkante hinaus abgespreizt hatte,mochte erst einmal jeden auf Abstand halten.

Er hatte die Seitenwände des Giga-Trucks ebensozurückgeschoben wie das Dach und die PHÖNIXstartbereit gemacht. Ruhig und konzentriert prüfteer die Verbindungen zu den schwenkbaren Düsen.Nichts hatte Schaden genommen, vor allem waren

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Adams' Techniker mit dem bizarren Fluggerät beimUmladen aus dem Frachtflugzeug pflegsamumgegangen.

Zwischendurch warf er einen Blick auf das Tablet.Gerichtsverhandlungen hatten für ihn stets etwasErmüdendes. Und was sollte der Unsinn? Erkannte das Urteil im Voraus: schuldig. Unterbesonderer Berücksichtigung der Umstände nurlebenslängliche Haft für Crest. Aber dann? EinDesaster für die USA, denn der kleinsteMarionettenstaat würde versuchen, Crest für sichzu bekommen. Also eine saubere Lösung und einNeubeginn des alten Mächtepokers: Todesurteil,eine getürkte Hinrichtung, erst einmal Ruhe aufdem politischen Parkett. Was man als Ruhebezeichnen konnte. Irgendwo zündelte immereiner, bestand die Gefahr eines Flächenbrandes.

Bull überprüfte den Steuerknüppel. Diechinesische Beute-Elektronik, die ihn mit demarkonidischen Aggregat verband, hatte sich alsüberraschend robust erwiesen.

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Ein anschwellendes Dröhnen riss ihn aus seinenGedanken. Er schaute auf. Nichts war zu sehen,doch dem Geräusch nach donnerten schwereAbfangjäger über den Potomac hinweg unddrehten weit nach Westen ab.

Bull führte die angefangenen Veränderungen zuEnde.

Das Tablet zeigte nur wildes Flimmern, als erMinuten später wieder hinsah. Das Flimmern hatteBestand.

Er zog die Stirn kraus und fischte den Pod ausseiner Brusttasche. Adams hatte die Dinger verteilt,weil weder Iga noch Tschubai über eineMöglichkeit verfügten, die Funkgeräte in denKampfanzügen anzusprechen. Dann eben dieseAllerweltsapparate, wenigstens mit einerabgesicherten Verbindung.

Ein Dröhnen hing in der Luft. Bull glaubte, von fernSirenen zu hören.

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Sein Pod meldete sich. Es gab keinen Bildkontakt,nur Perrys Stimme.

»Jemand hat uns Crest weggeschnappt. Kommsofort!«

11.

Washington D.C.

»Können Sie Crest lokalisieren?«, fragte Thoraheftig. »Die akustische Erfassung ...«

»Nein«, antwortete Rico. »Die Geräuschkulisseaus dem Gebäude ist zu unklar und vermischt sichmit allem außerhalb. Um einzelne Stimmen zuseparieren, müsste ich zu viel Zeit aufwenden.«

»Die haben wir nicht, das ist richtig.«

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Thora versuchte es über Funk. Wahrscheinlich wardas vergebliche Mühe, aber sie durfte dieMöglichkeit nicht übergehen. Crest warGefangener dieser Menschen. Sie mussteannehmen, dass sie ihm den Kampfanzugabgenommen hatten.

Auf der breiten Treppenfront vor dem Gebäudewaren Eingeborene. Uniformierte versuchten, siein eine andere Richtung zu lenken – weg von demgelandeten Raumschiff.

Für Thora war es ein kleines und altersschwachesBeiboot, nicht mehr geeignet, um großeEntfernungen damit zurückzulegen, bestenfalls, umvon einem System zum nächsten zu springen. DieEingeborenen fürchteten sich vor der riesigenKugel, sie zweifelte nicht daran.

»Rhodan hat das klug angefangen.« Rico dachteoffensichtlich laut. Das war jedenfalls nichts, wassie beide zu diskutieren hatten. »Alle diese Leutewaren schon vor unserer Landung von demleuchtenden Gasballon in Panik versetzt. Jetzt

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glauben sie endgültig, dass die Invasion ihrer Weltbegonnen hat.«

»Sie sind dumm und abergläubisch«, sagte Thora.»Ich kann es nicht ändern.«

Wieder versuchte sie, über Funk Kontakt zuerhalten. »Kommen Sie, alter Mann!«, zischte siefast flehend. »Sie wissen, dass wir da sind. Siekennen diesen Typ von Beiboot, auch wenn essich um ein uraltes Modell handelt.«

Sie fragte sich, welche gedanklichenVerknüpfungen Crest anstellen mochte. DasBeiboot aus einer lange vergessenen Zeit ... dieSuche nach dem ewigen Leben ... das falscheSonnensystem ... Als Wissenschaftler war er esgewohnt, Verbindungen zwischen Dingen zusuchen, die nicht schon auf den ersten Blickzusammengehörten. Das gehörte zu dengrundlegenden Werten von Forschung undErkenntnis. Vor allem zeichnete es jedesintelligente Lebewesen aus.

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Thora verließ das Boot durch die Mannschleuse inhalber Höhe.

»Ich gehe jetzt hinaus«, informierte sie Rico, der ihrstumm hinterhergeschaut hatte, als sie die Zentraleim Laufschritt verließ.

»Die Soldaten werden versuchen, Siefestzunehmen.«

»Wenn sie das tun, wird es ihnen schlechtbekommen.«

Sie schwang sich aus der Schleuse, erwartete,dass die Soldaten sie sofort unter Beschussnahmen. Doch abgesehen von lauten Rufen, diesie nicht verstand und auch nicht verstehen wollte,blieb alles ruhig. Dass sie scheinbar schwereloszu Boden sank, erschien den Eingeborenen wieZauberei. Das war immer so. Auf Magieverstanden sich die Wilden, selbst wenn es sichum entwicklungsfähige Völker handelte, mit deneneinige Generationen später sogar Handelgetrieben werden konnte: Naturprodukte und

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genetisches Material von Fauna und Flora imTausch gegen solche Dinge wie Solarlampen,hermetisch schließende Kunststoffbehälter,manchmal sogar fertige Bauteile für einfacheSiedlungen.

In einiger Entfernung vom Schiff lagen dieSoldaten in Deckung. Thora sah genau, wo einerdieser Menschen den Kopf reckte und die Waffeauf sie anlegte. Dass keiner die Nerven verlor undabdrückte, wunderte sie.

Um nicht zu provozieren, hielt Thora sich in derDeckung einer der Landestützen. Das zerfurchte,an manchen Stellen sogar ausgeglüht wirkendeÄußere des Beiboots wirkte auf Menschenzweifellos Furcht einflößend. So waren die Spurenüberstandener Raumschlachten eben, damitmusste man leben. Diese Menschen existiertenauch im steten Kampf, wahrscheinlich ohne jemalsdarüber nachzudenken.

Der Lärm aus dem Gebäude, ebenso von derTreppenfront her, wurde weniger. Irritiert suchte

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Thora nach der Ursache dafür. Sie sah, dasseinige Menschen zu ihr herüberblickten undseltsame Gesten machten; sie bewegten die rechteHand von der Stirn bis fast zur Mitte ihres Leibesund dann sofort von der linken Seite desOberkörpers zur rechten. Vielleicht einsymbolischer Akt, von dem sie sich Schutzversprachen. Sie achtete nicht länger darauf.

Ihr Interesse galt weit eher der beschädigtenGebäudewand. Wie nach einer gezieltenSprengung war sie eingebrochen. In dieentstandene Öffnung hätte Thora leicht mit einemGleiter einfliegen können.

Dahinter steckte Absicht.

Also doch dieser Rhodan. Rico hatte schon einenBefreiungsversuch angedeutet. Demnach hatteCrest sich in diesem Teil des Gebäudesaufgehalten, und wenn er nicht bei der Sprengungverletzt worden war ... Sie stutzte. Womöglich hatteRhodan Erfolg gehabt und Crest befreit. Würde sieihm für diese Selbstverständlichkeit auch noch

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danken müssen?

Zwischen den Mauertrümmern war Bewegung.Thora sah genauer hin. Dort waren Menschen und...

Crest!

Er stand einige Schritt weit im Hintergrund, aber erschaute nach draußen. Soweit sie es erkennenkonnte, war er unverletzt geblieben. Jedenfallsstand er aufrecht da, wirkte ruhig und gelassen.Offensichtlich ging es ihm gut, sehr viel besser alsan dem Tag, als sie ihn zum letzten Mal gesehenhatte.

Crest wirkte nicht völlig gesund, trotzdem strahlteer Ruhe und Würde aus. Vor allem diese Würdehatte Thora vermisst. Er hatte sich diesenMenschen angebiedert, als stünden sie auf einerStufe mit ihm.

Crest da Zoltral so zu sehen, tat gut. Thora spürte,dass ein wenig ihres aufgestauten Zorns verflog.

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Der helle Anzug, den Crest trug, wirkte wie dieFarbe der Zuversicht.

Ihre Gefühle rebellierten. Nur wenige HundertSchritt entfernt, zwischen groben Mauerbrocken,stand der Mann, dem sie alles verdankte, was siewar. Er hatte sie gefördert, sie wie seine eigeneTochter behandelt, ihr sogar seinen Namengegeben.

Thora warf einen schnellen Blick in die Runde. Siehatte sich nicht getäuscht. Etliche Soldaten zieltenbereits mit ihren Waffen auf Crest. Er hob jetztseine Hand und spreizte die Finger wie zum Gruß.

Sein Blick ruhte auf dem Beiboot, glitt in die Höhe,in den Himmel hinauf, als suche er die Sterne.

Thora erschrak. War es wirklich ein Gruß? EineGeste des Abschieds?

Bislang hatte er sie nicht gesehen. Crest! Crest daZoltral! Sie wollte ihn rufen, auf sich aufmerksammachen, sie konnte es nicht. Stattdessen trat sie

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einige Schritt weit aus dem Schatten derLandestütze.

Crest schaute nach wie vor nicht in ihre Richtung,aber hinter ihm erschien jetzt ein Mensch. DerMann kam auf ihn zu und redete mit ihm. Er ergriffCrest am Oberarm, wie jemand, der einen anderenzwingen wollte.

Crest schüttelte den Kopf. Der Mensch wühlteseine Finger in das lange weiße Haar des altenMannes und zerrte ihn nach hinten. Crest riss sichallerdings mit einer heftigen Bewegung los und tratweiter vor. Thora hatte den Eindruck, dass er siejetzt sah, nur wusste er mit ihrem antiquiertenKampfanzug wohl nichts anzufangen. Mit derTOSOMA IX ebenso wenig. Er stellte einfach nichtdie letzte Verbindung her. Natürlich, denn ermusste annehmen, dass sie tot war.

»Crest!« Auch jetzt war es eher ein Krächzen. IhreKehle kratzte. Im schlimmsten Fall hatte sie sichmit Erregern dieser Welt infiziert.

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Crest stand wie erstarrt.

Nur sein Gesicht verzerrte sich. Thora glaubte zuerkennen, dass er fliehen wollte, doch etwasstimmte nicht. Als würde er von einem Energiefeldfestgehalten.

Sie lief los. Verwünschte die Tatsache, dass sieden alten Kampfanzug nicht mit einemFlugaggregat nachgerüstet hatte. Der weicheBoden war aufgewühlt, sie kam nicht schnellgenug vorwärts.

Als sie wieder aufsah, erschrak sie. Ein zweiterMann war erschienen. Die beiden Menschenhatten Crest gepackt und zwischen sichgenommen. Was ihr zuvor nicht aufgefallen war:Sie trugen arkonidische Kampfanzüge.

»Rico!«, rief Thora über Funk. »Ich brauche ...«

Die Menschen aktivierten ihre Schirmfelder imÜberlappungsmodus. Crest, auch ohne eigenenAnzug, war darin mit eingeschlossen. Gemeinsam

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schwebten sie in die Höhe, über die Trümmerhinweg, auf die TOSOMA IX zu. Aber schon nachhalber Distanz bogen sie ab.

»Rico!« Thora wartete keine Antwort ab. »StartenSie, sobald ich in der Schleusenkammer bin! Undverfolgen Sie die Fliehenden, sie haben Crest!«

Viel zu langsam schwebte sie in dem Antigravfeldin die Höhe. Als sie endlich die Schleuse erreichte,sah sie die Männer mit Crest hinter einerBaumgruppe verschwinden.

Die Landestützen wurden bereits eingezogen, dasBoot stieg mithilfe des Antigravtriebwerks langsamauf.

Thora hastete hinauf in die Zentrale.

Die Schirmgalerie zeigte das Panorama vonWashington.

»Sie fliegen in Richtung Potomac!«, sagte Rico.»Möglicherweise haben sie dort ein schnelles Bootvertäut.«

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vertäut.«

»Damit haben sie keine Chance. Ich will Crestzurück!«

»Wenn es sich um ein Tauchboot handelt, wird eszumindest schwierig, sie zu orten«, widersprachRico.

»Sie fliehen tatsächlich zum Fluss!«

Die Helikopter, die sich aus der Nähe desKugelraumers zurückgezogen hatten, warenplötzlich wieder da. Die Ortung verriet, auswelchen Löchern sie hervorkamen. Thora fragtesich deshalb, ob sie überhaupt einem dieserErdenmenschen trauen dürfe. Die mit Raketenbestückten Kampfmaschinen hatten nur auf einegünstige Gelegenheit gewartet, um anzugreifen.

Jetzt folgten sie Crests Entführern.

Beide trugen Kampfanzüge.

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Rhodan und Bull?

Thora hatte ihre Gesichter nur undeutlich zwischenLicht und Schatten gesehen, trotzdem war sieüberzeugt, dass sie beide erkannt hätte. So schwervoneinander zu unterscheiden waren dieEingeborenen dieses Planeten keineswegs.

Rhodan und Bull, davon war sie sogar überzeugt,hätten Crest nicht so schroff behandelt. Und wozudieser schnelle Flug dicht über dem Boden? Dochnur, um der Ortung zu entgehen.

Dass sie trotzdem verfolgt wurden, konnte ihnengar nicht entgehen.

Sicher, die beiden Astronauten, die in einerNussschale zum Mond geflogen waren, galten indiesem Land als Verbrecher. Schon mit ihrerEinreise in Amerika, ihrem Heimatland, riskiertensie Kopf und Kragen. Sie setzten ihr Leben aufsSpiel, um Crests Leben zu retten?

Um Crest zum zweiten Mal zu retten. Falls die

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medizinische Behandlung wirklich Erfolg zeigte.Das blieb abzuwarten. Thora gab nicht viel auf dieKräuterhexerei primitiver Völker. Doch hin undwieder wussten solche Wesen gar nicht, mit welchhochwirksamen Stoffen sie hantierten.

»Senden Sie einen Rundruf auf derMilitärfrequenz!«, bat Thora ihren Begleiter. »Dieselärmenden Dampfmaschinen sollen zurückbleiben.Es ist effizienter, wenn ein einziges gutesFahrzeug den Fliehenden folgt. Das Beiboot istallen irdischen Flugmaschinen weit überlegen.«

Rico aktivierte den Frequenztaster und schaltetesich in den Funkverkehr der Amerikaner ein.

»He, wer ist da auf unserer Frequenz.Verschwinde, Mann, oder wir blasen dir den Arschaus den Wolken!«

»Ich heiße Rico! Wer sind Sie?«

»Das geht dich einen feuchten Dreck an. Dugehörst zu den Russen? Dein Akzent ...«

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»Ich gehöre zu den Arkoniden«, sagte Rico.

Sekundenlang war Stille.

»Sag das noch einmal!«, erklang es dann.

»Hier wird nicht diskutiert!«, ging Thoradazwischen. »Drehen Sie ab, Sie undIhresgleichen! Sofort!«

»Wenn nicht?«

»Die TOSOMA IX mag alt sein, ihre Geschützeübertreffen trotzdem alles auf diesem Planeten.Drehen Sie ab!«

»Schon gut, schon gut, wer immer Sie sein mögen.Wir wollen Ihr nobles Schiff nicht noch mehrankratzen.«

Thoras Hand krachte auf das Leuchtfeld, das dieFunkjustierung unterbrach. »Sie sind arrogant unddumm«, sagte sie, mehr zu sich selbst als für Ricobestimmt.

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Immerhin fielen die schlanken Helikopter merklichzurück und hielten von da an die Distanz.Losgeworden war Thora sie nicht. Es wäre ihr einLeichtes gewesen, mit einer kurzenBeschleunigungsphase diesen Maschinensprungartig davonzuziehen. Aber dieGeschwindigkeit orientierte sich an den Verfolgten,und Kampfanzüge waren eben nicht das ultimateFortbewegungsmittel.

Die Flüchtenden schwenkten über dem Potomacnach Norden ab. Sie hielten sich in der Mitte desFlusses, dicht über der Wasseroberfläche. Einebewaldete Insel kam in Sicht.

Rico zeigte auf einen der Schirme, dieausschließlich die Insel erfassten. »Diese Männerwissen genau, dass sie nur dann eine Chancehaben, wenn sie sich verbergen können. Siewählen eine Route, die ihnen größten optischenSchutz verspricht.«

»Es gibt andere Möglichkeiten, sie nicht aus denAugen zu verlieren«, sagte Thora schroff. »Notfalls

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brennen wir die Insel ab.«

Jenseits der nächsten Flussbiegung erstreckte sichein breiter Grüngürtel nach Norden.

»Wir gehen tiefer«, drängte Thora. »Und näheraufschließen! Sie sollen spüren, dass sie nichtentkommen können.«

Rico ließ das Beiboot bis dicht über die höchstenBaumkronen sinken.

Thora, die inzwischen die Funkortungübernommen hatte, erwischte endlich dieAnzugfrequenz der Verfolgten und schaltete sichein. Die Menschen beherrschten die Funktionalitätder Anzüge nur unvollkommen, sonst wäre ihrFunkverkehr verschlüsselt worden.

Sie erfuhr, dass die Männer Clifford Monterny undRoster Deegan hießen. Monterny redete kaum,und wenn, dann forderte er Deegan auf, keineInformationen preiszugeben.

»Diese Menschen verfügen über ein beachtliches

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»Diese Menschen verfügen über ein beachtlichesMaß an Eigeninitiative, nicht wahr?«, meinte Rico.»Das hebt sie über den Evolutionsstatus vonTieren hinaus.«

»Es könnte sich um eine Art von simulierterIntelligenz handeln, ein Überlebensprinzipgewissermaßen.«

»Das würde bedeuten, dass sie lange Zeit Kontaktzu überlegenen Intelligenzwesen hatten.«

»Damit wären wir bei der Venuszuflucht und derTatsache, dass Sie ein so aktuelles Amerikanischsprechen, Rico.«

»Sonden steigen regelmäßig in derVenusatmosphäre auf und speichern Funkverkehrvon der Erde. Das extrahierte Wissen steht mir zurVerfügung.«

Die Flüchtenden schlugen Haken, doch dasBeiboot wurden sie nicht los. Und wie einKometenschweif, mit einigen Kilometern Abstand,folgten die Helikopter.

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Thora zermarterte sich den Kopf mit der Frage, wasdie Entführer sich von Crest erwarteten. Er warWissenschaftler, kein Techniker. Raumschiffekonnte er ihnen nicht bauen, Waffensystemeebenso wenig. Und sein fachliches Wissen war sohoch, dass sie es in Hunderten ihrer Jahre nichtbegreifen würden.

Oder hatte Crest sich irgendwie verraten? Wusstensie von dem Planeten des Ewigen Lebens? Aberdann hätten sie die Zerstörung der AETRONverhindern müssen.

Thora beobachtete wieder die Schirme.

Die Entführer flogen keineswegs einen beliebigenKurs. Das wurde ihr allmählich klar. Diese beidenMenschen reagierten kompromisslos; in ihrerHandlungsweise lag etwas, das sie Arkonidenähnlich machte. Zweifellos hatten sie ihrenFluchtweg vorbereitet. Am Ende wartete etwas aufsie: ein Flugzeug, eine Rakete. Irgendetwasjedenfalls, das sie sicher machte, selbst demhartnäckigsten Verfolger entkommen zu können.

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»Die Geländeanalyse ist beendet«, sagte Rico.»Ich lege die Auswertung auf Ihr Holo.«

Thora überflog die Daten. Die Flüchtenden warenvor wenigen Minuten in ein weitläufiges und sehrdichtes Waldgebiet abgetaucht. Die ohnehin eherspärlichen Ortungsergebnisse des Beibooteshatten sich weiter verschlechtert. Als hätten CrestsEntführer die Funktionen ihrer Kampfanzügeweitestgehend abgeschaltet. Womöglich einProblem der Energieversorgung. Denkbar war es,doch Thora glaubte eher an Absicht. DieseMenschen, gewann sie den Eindruck, lerntenschnell. Eigentlich zu schnell.

Es gab keine geologischen Besonderheiten in derWaldzone. Weit verstreut lagen mehrere Holzverarbeitende Fabriken. Ein großer Steinbruch imTagebau bot möglicherweise gute Verstecke. DieEntführer mussten aber damit rechnen, dass siebelagert wurden.

Thora fand nichts, was den Fluchtweg der

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Entführer logisch erscheinen ließ.

Sich auf diese Weise vorführen zu lassen, behagteihr schon gar nicht. Sie wies Rico an, tiefer zugehen. Schließlich drang das Beiboot meterweit indas Laubdach ein und riss mit dem Schirmfeld einegewaltige Bresche. Zurück blieben zersplitterteund verkohlte Stämme und eine nicht zuübersehende Spur der Zerstörung, die bis auf denWaldboden reichte.

»Keine Reaktion«, stellte Rico fest. »Falls sie nochda unten sind, wissen sie, dass wir ihnen weniganhaben können.«

In einem eng eingrenzbaren Bereich waren dieVerfolgten verschwunden. Thora nahm nicht an,dass sie Crest quer durch den Wald schleppten.Sie warteten irgendwo dort unten vielmehr darauf,dass die Verfolger aufgaben.

»Weiter!«, drängte die Arkonidin. »Ich will Crest,alles andere ist mir egal.«

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Wieder fraß sich das Beiboot geradezu durch denWald. Thora beobachtete die Anzeigen derSchirmfeldkontrolle. Die Leistungsabgabeschwankte, das war ein Tribut, den sie dem Alterdes Schiffes zollen musste. Trotzdem sah es nichtdanach aus, als würde der Schirm in absehbarerZeit zusammenbrechen.

Sie justierte das untere Desintegratorgeschütz. Einflirrender grüner Energiestrahl jagte quer durch denWald, ohne jedoch bis zum Boden vorzudringen;das Risiko wollte Thora nicht eingehen. DerDesintegratorschuss löste alle Materie auf, zurückblieb langsam verwehender Staub. Das Krachenund Bersten der stürzenden Baumkronen mussteweithin zu hören sein.

»Ich habe eine schwache Energieortung auf demSchirm!«, meldete Rico.

»Wo?«

»Etwa vierhundert Meter westlich der letztenPosition. Sie bewegen sich schneller.«

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Thora lachte spöttisch. Sie war sicher gewesen,dass ihr diese Menschen nicht entkommenkonnten.

Die Entführer wollten weiter nach Westen. ImBereich einer lang gestreckten Rodung erhobensich die Schuppen und Lagerhallen mehrererUnternehmen. Die optische Erfassung zeigtegroße Baumaschinen unterschiedlichster Art,mehrachsige Lastwagen und kleinere Fahrzeuge.

Jede der Hallen wäre groß genug gewesen,Raumfahrzeuge wie eine kleinere Planetenfähreoder gar mehrsitzige Raumjäger aufzunehmen.

Die Entführer dachten jedoch nicht daran, sich zuverbergen. Mit einem der kleinen vierrädrigenFahrzeuge rasten sie die staubige Piste entlang.Sie waren auf den Holos so deutlich zu sehen, alshätten sie ein Funkfeuer gezündet.

»Sie wissen nicht mehr, wie sie uns entkommensollen«, stellte Thora zufrieden fest. »Bald werdensie aufgeben.«

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Der Wagen schwenkte nach Norden ab. Fürwenige Augenblicke war die Sicht auf dasFahrzeug so gut, dass die Insassen deutlich zusehen waren. Drei Personen, einer vorn amSteuer, zwei hinten.

Thora suchte das Gelände in Fahrtrichtung ab.Einige Meilen voraus gab es offenbar leerstehende Gebäude. Die Masseortung ließjedenfalls nicht erwarten, dass sie besonderetechnische Einrichtungen enthielten. Keinanmessbarer Stromfluss, nichts, was aufAktivitäten hindeutete.

Das Fahrzeug hielt vor dem letzten Gebäude, einerzweistöckigen, wenngleich nicht allzu großenHalle. Dort endete die Zufahrt in einem engen Hof.Die TOSOMA IX konnte keinesfalls landen, ohnegroße Zerstörungen anzurichten. Nur am Beginnder schmalen Zufahrt gab es ein ausreichendgroßes Gelände. Der Platz und die Halle, in derjetzt die beiden Menschen mit Crestverschwanden, lagen gut eine halbe Meile

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auseinander.

»Da kommt etwas auf uns zu!«, rief Rico.

»Die Hubschrauber?«

»Die Menschen halten konstant Abstand. Nein,das ist etwas anderes. Ich messe Streustrahlungan, die ein besseres Triebwerk erwarten lässt.«

Es war ein seltsames Gebilde, das mit hoherGeschwindigkeit tief über dem Boden herankam.Thora hatte sofort den Verdacht, dass diesesFahrzeug nicht erst jetzt erschienen war, sondernschon seit einiger Zeit unbemerkt folgte. DiesesGefährt wirbelte viel Staub auf, als es dicht überdem Boden auf die Halle zuraste. In einemriskanten Manöver wurde es abgebremst und glittdurch das große offen stehende Seitentor in dieHalle.

»Sie sind verschwunden!«, sagte Rico im selbenMoment.

»Wer?« Thora verstand nicht.

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»Wer?« Thora verstand nicht.

»Die beiden Männer – und vermutlich Crestebenfalls.«

»Unmöglich. Sie können die Halle nicht schonwieder verlassen haben, das hätten wir sehenmüssen.«

»Die Energieemissionen ihrer Schirmfelder sinderloschen.«

»Abgeschaltet«, vermutete Thora. »Was sonst?«

Sie fragte sich, wer die Neuankömmlinge mit demspinnenförmigen Etwas sein mochten. DieWiedergabe der Bildaufzeichnung verriet ihr, dassdie beiden ebenfalls Kampfanzüge trugen.

Rhodan? Bull?

Warum interessierte sie das überhaupt? Sobald sieCrest hatte, würde sie diese Welt ohnehin ihremSchicksal überlassen.

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»Wie die Geier kreisen sie da oben.« ReginaldBull grinste leicht. »Wir müssen nur schnell sein,bevor der Schwarm sich auf die Beute stürzt –schließlich wollen wir das größte Stück davon füruns selbst.«

Rhodan bedachte den Freund mit einemmissbilligenden Blick, schwieg aber dazu.

Die PHÖNIX jagte dicht über dem Gelände dahin.Reginald musste nicht zeigen, was in ihm steckte,schon gar nicht war er gezwungen, alles aus demFluggerät herauszukitzeln. Offensichtlich waren sievon der Meute bislang nicht entdeckt worden.

»Ewig wird die Energieversorgung ihrer Anzügenicht durchhalten«, murmelte Bull, nachdem esminutenlang so ausgesehen hatte, als würde dieJagd über einem ausgedehnten Waldgebiet zuEnde gehen. »Die arkonidische Technik istbeileibe kein Perpetuum mobile.« Er tätschelte dasGestänge des Fluggeräts. »Das mit der AETRONwar allerdings der größte Fehler, den wir

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Menschen begehen konnten. Der Staat klagt Crestdes Mordes an und übersieht dabei, dass er selbstauf die Anklagebank gehört.«

Die Verfolgung ging weiter.

Unbeantwortet war nach wie vor die Frage nachder Herkunft des kleinen Kugelraumschiffs.Befanden sich überhaupt Arkoniden an Bord?

Wahrscheinlich. Die äußere Erscheinung desSchiffes sprach ebenso dafür wie die Tatsache,dass sie Crest haben wollten.

»Die Kugel ist so groß wie die Beiboote derAETRON waren.« Bull befasste sich durchaus mitden gleichen Überlegungen wie Rhodan. »Abersie sieht alt aus. Erinnert mich an die Bomber ausdem Zweiten Weltkrieg.«

»Bitte?«, fragte Rhodan, der mehr auf dieHubschrauberpulks geachtet hatte als auf Bull.

»Ich meine, dieses Schiff wirkt auf mich, als hättees jemand aus einem Museum entführt.«

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es jemand aus einem Museum entführt.«

»Natürlich«, sagte Rhodan. Sie unterhielten sichüber Funk, auf ein Reichweitenminimumeingestellt. Das war das einzige nochFunktionsfähige an ihren Kampfanzügen.

Was Bull ansprach, ging Perry Rhodan ebenfallsdurch den Kopf. War die AETRON keineswegsallein gekommen, wie es den Anschein gehabthatte? Waren weitere große Schiffe Crest undThora gefolgt?

»Wir haben sie!«, rief Reginald aus.

Die Kampfhubschrauber fächerten auf, hielten aberweiterhin respektvollen Abstand zu demKugelraumschiff, das langsam tiefer flog.

Mit hoher Geschwindigkeit, dicht über dem Boden,glitt die PHÖNIX zwischen hohen Bäumenhindurch. Nur noch ein schmales Stück Himmelwar zu sehen. Diese Schneise quer durch denWald war von großen Fahrzeugen benutzt worden.Die Piste war leidlich befestigt, verwilderte aber

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schon wieder.

»Ich wüsste gern, wo wir hier sind«, sagte Bull.»Auf dem Mond kennen wir jeden Krater, aber hier...«

Kleinere Gebäude zur Rechten. Nicht einmal mehreinen Kilometer voraus endete die Piste. Einegroße Halle stand dort. Für wenige Sekunden hatteRhodan einen guten Blick auf das über dem Arealschwebende Kugelraumschiff. Dann versperrtenwieder überhängende Äste die Sicht.

»Dort steht ihr Jeep!«, rief Bull.

Rhodan sah das Fahrzeug ebenfalls. Es standmehrere Meter vor der Halle und hatte einedeutliche Schleuderspur hinterlassen. Gab eseinen Grund, weshalb Monterny oder auch Deegannicht weitergefahren war?

Reginald Bull jedenfalls steuerte die PHÖNIXdurch das weit geöffnete Tor und setzte sie innenin einer Staubwolke auf.

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Gähnende Leere, das war Rhodans ersterEindruck, als er sich aus dem Gestänge schwangund ein paar Meter weit zur Seite lief. Es gab keineEinrichtungsgegenstände, keine Maschinen odergelagerte Waren, nichts.

Die Halle war groß – und leer.

»Wo sind sie hin?«, fragte Bull.

An der Giebelseite verlief eine schmale Galerie,die dem Ansatz einer zweiten Ebene entsprach.Doch der Bereich war gut einsehbar. Dort obenkonnte sich niemand verborgen halten.

»Monterny!«, rief Bull. »Deegan! Crest!«

Keine Antwort. Nicht das leiseste Geräusch,abgesehen vom fernen Dröhnen derHubschrauber.

»Ein Geheimgang?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Zu viel Aufwand füreine alte Fabrikhalle mitten im Wald.«

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Falls Spuren in dem Staub zu sehen gewesenwaren, hatte die Landung der PHÖNIX sieverwischt. Rhodan lief einmal um die Halle. Diebeiden großen Fenster waren verriegelt, ansonstengab es keine Öffnungen außer dem Tor.

Mit einer knappen Geste deutete Bull in die Höhe.»Der Raumer kann nicht landen. Dass er über unshängt, beweist aber, dass Monterny und Crestnoch hier sein müssen. Trotzdem, sie sind weg!Verschwunden!« Reginald Bull schnippte mit denFingern.

»Du sagst es.« Rhodan schlug sich mit der flachenHand an die Stirn.

»Was sage ich?« Bull verstand ausnahmsweisenicht sofort.

»Weg!«

»Ja, natürlich«, sagte Bull gedehnt, dann platzte erheraus: »Ein Teleporter! Das meinst du. Monterny

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hat es geschafft, alle an der Nase herumzuführen.Deshalb steht der Jeep unübersehbar draußen. Erhat es von Anfang an darauf angelegt.«

Rhodan hob die Reichweitenbegrenzung seinesFunkgeräts auf.

»Hier spricht der Terraner Perry Rhodan. Falls esden Kommandanten des Beiboots interessiert, dasüber der Lagerhalle schwebt: Die Entführer sindmit Crest spurlos verschwunden.«

Die Antwort ließ einige Sekunden auf sich warten.»Rhodan«, erklang es schroff. »Schon wiederSie?«

»Thora?«, fragte er verblüfft. »Sie sind nicht tot?«

»Das hätten Sie und diese ... Menschen wohl gern.Was ist mit Crest?«

12.

Page 291: Die Terraner

14. Juli 2036

Thora

»Was erwarten Sie?«, fragte Rico. »Dass dieseMenschen fortschrittlicher sind als wir Arkoniden?Sie selbst haben sie als Tiere bezeichnet, alsWilde und Barbaren. Ihre Ansprüche an diesesVolk und Ihre gleichzeitige Ablehnungwidersprechen einander.«

Thora sah ihn nachdenklich an. Der Kommandantder Venuszuflucht ergriff Partei für die Menschen.Je öfter sie die vergangenen Stunden noch einmalvor ihrem inneren Auge ablaufen ließ und sich mitRicos Kommentaren dazu befasste, destodeutlicher erschien es ihr, als betrachte er dieseWesen als gleichwertig. Vor allem versuchte er, inihr Sympathie für die Eingeborenen zu wecken.

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ihr Sympathie für die Eingeborenen zu wecken.

Vielleicht täuschte sie sich auch und schrieb demGesagten zu viel Gewicht zu. Sie befand sichselbst nicht in der besten Verfassung, fühlte sichaufgewühlt und verwirrt. Immer öfter redete sie sichein, Fehler gemacht zu haben. Fehler, die nicht nurdie Vernichtung der AETRON und den Tod derBesatzung zur Folge hatten.

Es war ihre Schuld, dass Crest von den Menschenangeklagt und vor ihr lächerliches Gericht gezerrtworden war. Die Todesstrafe wartete auf ihn. Wennsie bedachte, weshalb Crest in diesen Seitenarmder Galaxis geflogen war ... Sie fror bei demGedanken daran.

Wenn jemand in der Lage und fähig gewesenwäre, das zu verhindern, dann sie. Nicht dieBesatzung, die träge den Tag verdämmert hatte.

Empfand sie Bedauern? Nein. Sie hatte falschgehandelt und war mit Crest und mit diesenMenschen zu nachsichtig gewesen. Diesen Fehlerwürde sie nun korrigieren.

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»Haben Sie die Vorbereitungen getroffen, Rico?«

»Ja. Und Sie? Sind Sie sicher, dass es die richtigeEntscheidung ist?«

Thora fuhr herum, eine geharnischte Antwort aufder Zunge. Unter der Unerbittlichkeit seinesBlickes verwarf sie, was sie hatte sagen wollen.

»Ich bin mir absolut sicher, dass ich das Richtigetun werde«, bestätigte sie lediglich. »Crest daZoltral hat diese Entscheidung verdient. Ich lassenicht zu, dass er auf dieser Welt sein Leben undseine Hoffnungen zurücklässt.«

»In letzter Konsequenz heißt das, dass Sie dieErde zerstören werden, Thora.«

Ein deutlicher Vorwurf schwang in Ricos Stimmemit. Dennoch akzeptierte er, was sie angeordnethatte. Sie war die Kommandantin des Beiboots.

Menschen dieses Planeten hatten Crestgedemütigt. Menschen hatten ihn entführt.

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Es war auch ein Mensch, der ihn von seinerKrankheit befreit hat, entsann sie sich. Aber daswar einer von über acht Milliarden.

Es gab keine Spur mehr von Crest und seinenEntführern. Sie waren aus der leeren Halleverschwunden, als hätten sie nie existiert.

Menschen waren dafür verantwortlich. Menschenmussten dafür einstehen.

»Sie haben ihr Schicksal selbst in der Hand, nunkönnen sie zeigen, über wie viel Intelligenz siewirklich verfügen. Wenn sie zusammenarbeiten,wird Crest in wenigen Stunden befreit sein. Oderglauben Sie das nicht, Rico?«

Er drückte sich um die Antwort. Thora unterstellteihm mehr als zuvor, ein Freund dieser Menschenzu sein. Vielleicht, sagte sie sich, war er in derEinsamkeit der Venuszuflucht nicht immer alleingewesen. Wer hätte ihn daran hindern können,Frauen von der Erde zur Venus zu holen?

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»Die Verbindung ist geschaltet«, sagte Ricounbewegt. »Die TOSOMA IX sendet in daserdweite Kommunikationsnetz.«

Ihre Augen tränten. Thora war erregt, als sie dieAufnahmeoptik aktivierte.

Sie zögerte. Vor einer Stunde hatte sie sich diesenBereich schon genau angesehen. MehrereFehlfunktionen waren angezeigt worden, dieallerdings nur die Internverarbeitung betrafen. Nungab es diese Anzeigen nicht mehr. Die Optikarbeitete einwandfrei.

»Haben Sie das in Ordnung gebracht, Rico?«,fragte Thora überrascht. Eigentlich hätte sie esbemerken müssen, die Schaltfehler machten esnötig, die Verkleidung abzunehmen.

»Was in Ordnung gebracht?«, fragte Rico zurück.

»Die Aufnahmeoptik ...«

»Ich hatte anderes zu tun.«

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Thora rieb sich die Schläfen. Sie ließ sichverwirren, das war nicht gut. Sie durfte keine Spurvon Unsicherheit zeigen.

Sie legte den Kopf in den Nacken, schloss dieAugen und dachte an Arkon. Langsam kehrte ihreRuhe zurück. »Jetzt«, sagte sie. DieOptikschaltung reagierte auf das knappeKommando, ein Holo entstand, signalisierteSendebereitschaft.

»Ich, Thora von Zoltral, spreche zu den Menschendes Planeten Erde. Angehörige eurer Art habenCrest da Zoltral entführt, ein angesehenes Mitgliedmeines Volkes. Das ist bedauerlich ... nicht fürmich, sondern für euch Menschen.

Ich erwarte, Crest unversehrt wiederzusehen.

Aber ich warte nicht lange.

Ich gebe den Menschen vierundzwanzig StundenZeit, um meinen Zorn zu besänftigen. Das ist mehrals genug, damit ihr Crest zu mir bringen könnt.

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Geschieht das nicht, und die Frist verstreicht, ohnedass Crest wieder vor mir steht, werde ich damitbeginnen, euren Planeten einzuäschern.

Die Menschen haben ihre Zukunft in der eigenenHand. Vierundzwanzig Stunden, nicht eine Minutelänger!«

Routinemäßig, mit einer knappen Handbewegung,gab sie den Abschaltbefehl. Die Automatikreagierte prompt darauf, Thora nahm es überraschtzur Kenntnis. Sie wandte sich Rico zu.

»Ich glaube nicht, dass das nötig war«, sagte ervorwurfsvoll.

13.

15. Juli 2036

Ehrenvolle Beisetzung

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Das Leben ging weiter wie gewohnt, und dazugehörte nun einmal der Tod. Die Erde hörte auchnicht auf, sich zu drehen, nur weil die Arkonidengekommen waren.

Stanley Drummond stand wie versteinert da. Erhielt den Blick gesenkt, die Hand auf dem Herzen,und lauschte der Nationalhymne. Die Geste derVerbundenheit schmerzte ihn, aber sie musstesein. Und die Hymne war kein Zugeständnis anClark G. Flipper, sondern ein Affront gegen Thora.

Wir beugen uns nicht!

Die Nation hält zusammen, auch – oder gerade –wenn der Feind übermächtig ist.

Ein leichter Wind wehte. Er trug Brandgeruchheran und hielt damit die Erinnerung an denvergangenen Tag wach.

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Drummond presste die Lippen zusammen. Mit derlinken Hand versuchte er, seine Krawatte geradezu rücken, merkte indes, dass es eine unpassendeBewegung war, und ließ den Arm wieder sinken.

Ein Wechselspiel von Licht und Schatten huschteüber den Nationalfriedhof hinweg. Arlington warein Ort der Erinnerungen und des Schmerzes,zugleich auch der Hoffnung. In Reih und Gliedwuchsen die weißen Grabsteine aus dem üppigenGrün des Rasens. Jeder Stein ein Schicksal, einDienst für das Vaterland.

Die Hymne endete. Stanley Drummond standweiterhin starr. Er hatte registriert, dass wenigeMeter vor ihm eine Rotorkamera in der Luft hing.Sein Konterfei erschien wohl in gestochen scharferAuflösung auf allen Nachrichten-Streams.

Die Ehrengarde salutierte vor dem üppig mitBlumen geschmückten, mit der Flagge bedecktenSarg.

Plötzlich und unerwartet kam für ihn der Tod.

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Amerika trauert um seinen Helden Clark G. Flipper... So verbreiteten es die Medien. Die Wahrheitkannten nur wenige. Stanley Drummond verfluchteden Tag, als er sein Vertrauen der falschen Persongeschenkt hatte. Ein Fehler, zugegeben. EinFehler, den nur er und Monterny kannten.

Die lästige Kamera flog die Reihe der Trauerndenab. Nur wenige Dutzend waren gekommen: einigeSenatoren, der Gouverneur von Nevada und seineasiatische Lebensgefährtin, mehrere WeggefährtenFlippers aus seiner Zeit bei der Air Force. Natürlichauch Flight Director Lesly Pounder und mehrerehochrangige Mitglieder seines NASA-Stabes.Pounder hatte viele gute Männer und Frauenverloren, ein herber Rückschlag im Ringen um dieVorherrschaft im Weltraum. Dass Russland undChina ähnlich betroffen waren, bedeutete nichtunbedingt einen Ausgleich. Den Vorteil würden dieInder daraus ziehen. Ihre nächste Mondmission ...

Der Zapfenstreich hallte über den Nationalfriedhof.

Mit Daumen und Zeigefinger fasste Stanley

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Drummond sich an die Nasenwurzel und wischtedie Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln. Die neueLage bereitete ihm Sorge, Thoras Ultimatum warauf jeden Fall ernst zu nehmen.

Salutschüsse. Aus dem dichten Laubwald, derArlington in eine Oase der Ruhe verwandelte, stiegkreischend ein Schwarm Vögel auf.

Einige Medien hatten kritisiert, dass die Beisetzungschon am Tag nach dem Tod erfolgte. Abgesehendavon, dass mögliche Nachforschungen über dieUmstände von Flippers Tod nicht wünschenswertwaren, sah Drummond darin ein Zeichen an dieNation. Der Zusammenhalt war wieder einmalgefragt und wichtiger denn je.

In der Gobi war General Bai Jun zum Verrätergeworden. Schon das ein eigentlich undenkbarerVorgang. Noch verwirrender erschien dieTatsache, dass Bai Jun alle Menschen zumAufbegehren gegen ihre rechtmäßigenRegierungen aufgerufen hatte.

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Selbst in den USA, in den Reihen der eigenenStreitkräfte, war Unruhe spürbar. Wie viele derSoldaten, die Clark Flipper die letzte Ehreerwiesen, dachten insgeheim schon an Rebellion?Ihrer Treue war Drummond nicht mehr sicher.

Der Sarg wurde abgelassen.

Ein ergreifender Moment, wie immer. Jedes Leben,das so plötzlich endete, bedeutete einen Verlust.

Das nächste Problem hieß Monterny. StanleyDrummond kannte ihn gut genug, um zu wissen,dass Clifford Monterny sich erst einmal aus derSchusslinie genommen hatte. Er konnte sich aneinigen Orten verborgen haben. Möglicherweise,fürchtete Drummond, waren ihm nicht einmal alleAusweichquartiere des Projektleiters bekannt.Monterny hatte den Arkoniden, und er hatte dieMutanten. Von Crest versprach er sich offenbarsehr viel, andernfalls wäre er dem Präsidenten derVereinigten Staaten von Amerika nicht so offen inden Rücken gefallen.

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Drummond hatte seine Entscheidung bereitsgetroffen. Es galt, schnell und unbemerktherauszufinden, wohin Monterny sich abgesetzthatte und ihn dann mit einer Elitetruppeauszuräuchern. In spätestens achtundvierzigStunden musste die Aktion abgeschlossen sein,bevor die Öffentlichkeit davon Wind bekam.

Der Giga-Truck stand immer noch in demWaldgebiet, und niemand schien auf den Kolossaufmerksam geworden zu sein. Nur wenigeDutzend Meter abseits kauerte die spinnenbeinigePHÖNIX im Schutz der knorrigen Bäume. ReginaldBull hatte sie zentimetergenau manövriert, als hätteer nie etwas anderes getan.

Seit rund vierundzwanzig Stunden erwartete er,Thora über Washington zu sehen. Er hatte dieNacht deshalb im Pilotensitz der PHÖNIXverbracht und keineswegs gut geschlafen. Immerwieder war er von den über die Hauptstadthinwegdonnernden Überschalljägern

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aufgeschreckt worden. Das Militär zeigte Präsenz.Allerdings fragte er sich, ob die Piloten tatsächlichFeuerbefehl hatten, falls das kleineKugelraumschiff noch einmal über der Hauptstadterschien. Das konnte eigentlich jederzeitgeschehen.

Thora schien Überraschungen zu lieben. Sie warim wahrsten Sinn des Wortes von den Totenauferstanden.

Mehr als den kurzen Funkkontakt mit ihr nachMonternys spurlosem Verschwinden aus derleeren Lagerhalle hatte es nicht gegeben.Rhodans Fragen über ihren Verbleib in den letztenTagen hatte Thora hartnäckig ignoriert. Ebensowenig hatte sie sich zur Herkunft ihres ramponiertaussehenden Raumschiffs geäußert.

Das war kein Beiboot der AETRON, es wirkte älter,sehr viel älter. Reginald Bull glaubte nicht, dass ersich in der Hinsicht verschätzte.

Die Frage nach dem Woher war geblieben.

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Eine einzige denkbare Antwort hatte Reg sichschnell zurechtgelegt: Wie immer Thora esgeschafft haben mochte, sie hatte das kleine Schiffirgendwo im Sonnensystem ausgegraben. Marskam dafür in Frage – was sonst?

Sie hätte sich ruhig etwas gesprächiger zeigenkönnen. Aber sie gibt uns die Schuld daran, dassCrest vor Gericht gestellt und entführt wurde.

»Brauchst du eine separate Einladung, Reg?«, riefRhodan vom Truck herüber. »Thora hat Besseresvor, als sich um uns zu kümmern.«

»Wir stecken in einer Sackgasse«, sagte Rhodan.»Eigentlich können wir nur abwarten.«

Er schaute die Gefährten der Reihe nach an. Bull,der gedankenverloren an den Narben in seinemGesicht kratzte, tatsächlich aber aufs Äußersteangespannt war. Adams, der Kleinste in derRunde, der in seinem mit Flicken verstärktenDesigneranzug einen äußerst zwiespältigenEindruck hervorrief. Vor langer Zeit hatte Rhodan

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Fotomontagen von Menschen mit vier Augengesehen. Er hatte das Bild angeblickt, gespürt,dass etwas nicht stimmen konnte, und hättetrotzdem schon nicht mehr sagen können, was ihmaufgefallen war. Die vier Augen, sicher, allesandere drum herum war in der Wahrnehmungdavon überlagert worden. Nicht so intensiv,wenngleich ähnlich, verhielt es sich mit Adams'Erscheinung. Sein Ich blieb dahinter verborgen.Tschubai war ebenfalls da. Er lehnte an derRippenwand und kaute auf einem Gewürzkraut,das er draußen abgerissen hatte. Iga war wiederdie Truckerin, als die sie sich wohler fühlte. IhrHaar wirkte kaum weniger flott als am Vortag, dochsie trug bereits den Blaumann. Die Daumen in dieTaschen eingehakt, schaute Iga abwartend in dieRunde.

»Über kurz oder lang wird sich eine Spur findenlassen, die zu Monterny führt«, sagte Adams.

»Und dann?«, fragte die Truckerin. »Wasgeschieht dann? Monterny steht alles andere alsallein da. Ich habe gesehen, zu welcher Leistung

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Ras in der Lage ist – trotzdem habe ich das Gefühl,dass das alles nicht wahr sein kann.«

»Es ist wahr«, murmelte der schwarzhäutigeTeleporter.

»Monterny verfügt über mehr Mutanten. Ich fragemich, wozu sie in der Lage sind, wenn schon derTelekinet ...«

»Roster Deegan«, half Tschubai aus, als Igastockte.

»... wenn dieser Deegan bereits in der Lage war,Flipper zu töten.«

Rhodan schaute Homer G. Adams an. DieDiskussion im Auflieger des Trucks hatte etwasvon einer Krisensitzung. Weil ihre ganze Aktionbuchstäblich ins Leere gelaufen war. Mehr als eineleere Lagerhalle hatten sie nicht vorzuweisen.Dazu Thoras Ultimatum. Sie waren nicht einmaleinhellig einer Meinung, ob Thora ihre Drohungwahr machen wollte oder nicht.

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Allerdings würde die Welt schon in wenigenStunden klüger sein – und möglicherweise um tiefeWunden reicher.

»Wir müssten mit Sid reden«, sagte Adams. »Odermit Sue. Aber die beiden sind in der Gobi, ich weißnicht einmal, ob sie und Marshall und die anderenes überhaupt geschafft haben.«

»Andererseits ist es schon eine Menge, was wiruns zusammenreimen konnten«, wandte ReginaldBull ein. »Mit Ihren Informationen, Mr. Adams,konnten wir Monterny und Deegan identifizieren,und es würde mich nicht wundern, wenn diebeiden sogar in Begleitung der Telepathingewesen wären. Wir wissen, dass Monterny überweitere Mutanten mit unterschiedlichenFähigkeiten verfügt und dass er offenbar selbstbesondere Fähigkeiten hat. Eine intensiveAnziehungskraft ...«

»... die wie bei Sid eines Tages das Gegenteilhervorrufen kann«, stellte Adams fest. »Sid fürchtetund hasst diesen Mann wie keinen anderen.«

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»Eine bekannte Bedrohung ist nur halb soschlimm.« Bull rieb sich das Kinn, roteBartstoppeln sprossen in seinem Gesicht. »Er hatdie beiden Kampfanzüge undhöchstwahrscheinlich Crests Strahler dazu. Undnatürlich den Arkoniden als Geisel.«

»Damit hat er Gott und die Welt gegen sich«,wandte Rhodan ein. »Spätestens falls Thora ihreDrohung wahr machen sollte.«

»Du zweifelst nicht daran?«

»Ich weiß nicht, Reg, was ich von ihr halten soll.Sie ist ... unnahbar – jetzt noch mehr als bisherschon.«

»Vielleicht ist das nur Selbstschutz.«

Rhodan schaute den Freund forschend an, dannwinkte er ab. »Irgendwas wird sich ergeben, da binich mir sicher.«

Keine halbe Stunde später meldete sich Allan

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Mercant. Er hatte seine alten Beziehungen spielenlassen und einen Namen in Erfahrung gebracht:Fort Sunrise.

»Es sieht so aus, als hätte Clifford Monterny sichmit seinen Leuten dort verschanzt. Aber nicht jederist darüber glücklich.«

»Heißt das, die Information kommt aus Monternysengstem Umfeld?«, fragte Rhodan.

»Sunrise wurde in den Adirondacks errichtet.Monterny hat Crest in Fort Sunrise vor demProzess festgehalten. Dazu brauchte er Helfer.Nicht alle sind mit seinem Vorgeheneinverstanden.«

Iga verdrehte die Augen, Tschubai nickte nur.

»Na schön«, kommentierte Bull. »Damit lässt sicheiniges anfangen.«

»Die Adirondack-Mountains liegen im Nordostendes Bundesstaats New York«, sagte Rhodan. »Mitder PHÖNIX ist das ein Katzensprung.«

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der PHÖNIX ist das ein Katzensprung.«

Bull schürzte die Lippen. »Wir sind zwei gegeneine Übermacht. Oder sehe ich das falsch?«

»Wir werden uns nur umsehen. Das schadetbestimmt nicht und ist immer noch besser, als imTruck Däumchen zu drehen.«

»Ich kenne das«, entgegnete Reginald Bull. »Aufdem Mond sollten wir uns auch ›nur‹ umsehen.«

14.

Rückblick: 13. Juli 2036

Sid González

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Sid hatte es geschafft. Weit war er mit derAtombombe in die Wüste hinausteleportiert undhatte damit Zehntausenden von Menschen dasLeben gerettet. Sie befanden sich inzwischen unterder Energiekuppel in Sicherheit – Sid hattebewusstlos, mit verbrannter oder verbrühter Haut,zwischen den endlos anmutenden Dünenwällengelegen, wo Sue und Oberst Huang Chao ihnendlich gefunden hatten.

Der Hubschrauber flog Sid zum Lazarett ...

Plötzlich sprühende Funken und Huang Chaosüberraschter Aufschrei ... In derselben Sekundestürzte Sue gemeinsam mit Sid in den Sand. Sieversuchte, sich abzufangen, konnte die Arme abernicht bewegen. Sid hielt sie fest umklammert, alskönnte er sie dadurch vor Verletzungen schützen.Erleichtert und besorgt zugleich sah er sie an.

»Ich bin so froh, dass du mich gefunden hast.«

»Sid!« Sue hatte panische Angst ausgestanden,versuchte aber, genau das zu verbergen. »Wir

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haben stundenlang nach dir gesucht.«

»Die Bombe ...«

»Sie ist weit weg von der Stadt explodiert.«

»Eine seltsame Bombe.«

Sue wusste nicht, was er meinte. »Es war einFehler, den Hubschrauber zu verlassen. Dubrauchst einen Arzt. Huang Chao wollte dich insLazarett bringen. Tut es weh?« Mit denFingerspitzen strich sie vorsichtig über seinedunkelrot verfärbte Haut.

Sid verzog das Gesicht. »Ein wenig«, sagte er.

»Die Strahlung hätte dich fast verbrannt.«

»Strahlung?«

»Von der Bombe.«

»Ich weiß nicht. Der Ausschlag stammt eher vonder Hitze beim Teleportieren.«

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»Es wird von beidem sein.« Sue entdeckte deneinzelnen Schuh, den sie im Sand gefunden hatte.Sid hatte ihn aus dem Hubschraubermitgenommen. Daneben lag ein zweiterGegenstand, eine Pistole.

»Du hast Oberst Huang die Waffe geklaut?«

»So könnte man es nennen.«

»Sid, für was in aller Welt brauchst du einePistole?«

»Ich werde ihn töten. Er ist böse. Ich werde CliffordMonterny erschießen.«

Sue wich vor ihm zurück. »So etwas darfst dunicht. Nicht einmal denken solltest du es!«

»Wenn ich es nicht tue, werden noch vieleUnschuldige sterben.«

Sue fasste ihn an, ihr Armstumpf berührte seinerechte Hand. »Ein Verbrechen leitet das nächste

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ein. Einer muss damit aufhören.«

Sid stand vor ihr wie ein Häuflein Elend. »Das tutgut«, flüsterte er.

»Du meinst, es tut gut, wenn ich dich anfasse?«

Er nickte stumm. Als fürchtete er, Worte könntenden Zauber ihrer Berührung vertreiben.

Wie lange sie dastanden, konnte Sue hinterhernicht sagen, eine Stunde vielleicht. Sidsverkrampftes Gesicht entspannte sichwährenddessen, sein Atem wurde gleichmäßiger.Mehrmals fielen ihm die Augen zu, dann hielt sieihn fest und ließ ihn schlafen. Aber seine innereUnruhe schreckte ihn immer wieder auf.

»Wir müssen los, Sue!«

»Wo willst du hin?«

»Nach Hause!«

»Und wie?«

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»Die Fernstraße ist in der Nähe!«

Sie wateten durch den Sand, bis die Piste in Sichtkam. Eine geteerte Straße in der Wüste, das warungewöhnlich. Sid erläuterte in seiner leichtunbeholfenen Art, dass sie am besten mit einemTruck und danach per Bus reisten. Vonirgendeinem internationalen Flughafen aus wollteer schließlich mehr oder weniger direkt in die USAzurückkehren.

»Wir sollten den General aufsuchen«, schlug Suevor. »Er wird dafür sorgen, dass du schnell inärztliche Obhut kommst.«

»Falls ich das will, schaffe ich es selbst«,widersprach er.

Sie warteten lange, bis endlich ein alter Lastwagenherandröhnte. Der hintere Teil der Plane fehlte underlaubte den Blick auf die Ladefläche. Sue sahFunken sprühen – in derselben Sekunde saß sieunter der zerfetzten Plane und sah die Wüstevorbeihuschen.

Page 317: Die Terraner

Später wechselten sie in einen Bus, der erst nachEinbruch der Dunkelheit die Stadt erreichte. Siesprangen zum Flughafen, dann brauchte Sid eineErholungspause.

Mit Sues letztem Geld kauften sie etwas zu essenund zu trinken. Die Nacht verbrachten sie in einemnahen Park. Als Sue im Morgengrauen erwachte,hielt sie Sids Hand in ihrer geborgen.

Zurück im Flughafengebäude machte Sid eineMaschine ausfindig, die mit Zwischenstopp inSingapur nach Amsterdam flog. In derZwischenzeit sah sich Sue im Schalterbereich undbei der Zollabfertigung um. Es gab keinebewaffneten Patrouillen an diesem Morgen, einZeichen, dass sich alles normalisierte. Von denVorgängen in der Gobi nahm hier keiner Notiz.

Sue ging zum Duty-free-Shop, den sie alsTreffpunkt vereinbart hatten.

»Sobald die Passagiere das Gebäude verlassen

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und zum Flieger gehen, machen wir uns auf denWeg«, sagte Sid. »An Bord müssen dieStewardessen glauben, wir hätten bereits denCheck der Bordkarten hinter uns.«

»Was ist mit den Sitzplätzen? Das Flugpersonalhat Listen ...«

»Das Risiko müssen wir eingehen. Wenn wirkontrolliert werden, sind wir schnell entlarvt. Dannkehrt die Maschine um, und wir werden von derPolizei abgeholt. Nur sind wir dann längst nichtmehr in der Kabine.«

»Tust du mir einen Gefallen, Sid? Gib mir diePistole!«

»Nur wenn ich sie nach unserer Ankunft in denUSA zurückbekomme. Versprich mir das!«

»Ich verspreche es.«

In einem dunklen Winkel der Sanitäranlagenwechselte die Waffe den Besitzer. Sid teleportiertemit Sue aufs Rollfeld. Als die Passagiere

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mit Sue aufs Rollfeld. Als die Passagiereeinstiegen, fasste er erneut nach ihrer Hand.

Von einer Anhöhe aus hatten sie eine wunderbareSicht aufs Meer. Sue saß auf einem Felsbrocken,ihre Hand lag auf Sids Arm. Die Haut des Jungenwar nicht mehr so dunkelrot, die Falten in seinemGesicht hatten sich teilweise zurückgebildet.

Sid redete wie ein Wasserfall, berichtete fieberhaftvon seiner Vergangenheit, als stünde sein Lebenauf dem Spiel, wenn er sich nicht mitteilte. Dass erals elternloses Straßenkind die Welt nichtverstanden hatte, weil sie ihm nie erklärt wordenwar. Er erzählte von den Gleichaltrigen, mit denener auf Raubzug gegangen war. Sie waren inHäuser und Keller eingebrochen, und meist hattensie sich an Ort und Stelle satt gegessen, weil derHunger sie antrieb. Einmal waren sie erwischtworden, da hatte Sid festgestellt, dass er auf kurzeStrecken von einer Stelle zu einer anderenverschwinden konnte. Wenn er das jedochmehrmals gemacht hatte, war er müde und

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erschöpft gewesen und hatte diese seltsameFähigkeit nicht mehr beherrscht.

Man hatte ihn und seine Freunde erwischt. Dannwar dieser Mann erschienen, der sich für seineFähigkeit interessiert hatte. Er hatte Sid freigekauftund mitgenommen.

So war er nach Camp Specter gekommen, der US-Mutantenschule im mexikanischen Norden, zu Dr.Goratschin, der ihn und die anderen mit seinenVersuchen quälte. Irgendwann hatte er den Plangefasst zu fliehen. Goratschin und Monterny hattendas vereitelt, und damit war die Hölle über CampSpecter hereingebrochen. Im Sterben liegend,hatte Goratschin das Lager allein mit seinem Geistin Brand gesteckt. Die Mutanten waren Amokgelaufen, in der aufkommenden Panik war Sid dieFlucht gelungen.

Bis dahin hatte er immer nur Böses erlebt und sichdeshalb abgekapselt.

Urplötzlich brach Sid seine Erzählung ab und

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schaute suchend in alle Richtungen. »Er ist in derNähe. Wir müssen hier weg!«

Sue ahnte, dass Sid sich nur verfolgt fühlte.Trotzdem versuchte sie erst gar nicht, ihm dasauszureden. »Bring uns zum Flughafen«, sagte sienur. Der Flieger von Schiphol nach New Yorkstartete zwar erst in vier Stunden, aber in demTrubel der Wartehallen konnten Sid und sieuntertauchen.

Als sie nach zehnstündigem Flug und unterUmgehung der Zollkontrollen den heißen AsphaltNew Yorks unter den Schuhsohlen spürten, warSids Haut fast wieder normal.

»Das verdanke ich dir«, sagte er. »Deine Nähemacht mich gesund.«

»Ich denke, es lag am Teleportieren«, sagte Sue.»Wie geht es nun weiter?«

»Mit dem Zug. Nicht weit von Fort Sunrise gibt eseine kleine Bahnstation. Ach, Sue, würdest du mir

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bitte die Pistole zurückgeben?«

»Versprich mir, dass du nicht das LebenUnschuldiger bedrohst.«

»Ich verspreche es.«

15.

15. Juli 2036

Thora

Vierundzwanzig Stunden ... Das war eine kleineEwigkeit, sogar auf einer Welt wie dieser. Mehr alsausreichend, um zwei Männer – eigentlich drei –aufzuspüren und einem von ihnen seine Freiheit

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zurückzugeben.

Woran lag es, dass die Frist ungenutzt verstrichenwar? Thora bezweifelte, dass die Menschen Crestüberhaupt freilassen wollten. Für sie war er einFremder, und alles Fremde war von vornhereinnegativ belegt. Viele niedere Völker reagierten so.Sie verstanden gar nicht, was Leben wirklichbedeutete.

»Erinnern Sie sich an Ihre Kindheit, Rico?«

Er schaute sie aus großen Augen an. Stand daVerblüffung in seinem Blick zu lesen oder garUnverständnis? Bevor Thora sich daraufkonzentrieren konnte, war dieser seltsameAusdruck wieder verschwunden. Rico machte eineGeste der Verneinung.

»Ich entsinne mich schon.« Thora redete einfachweiter, sie hatte das Gefühl, dass es ihr guttat. »Ichhatte ein wertvolles Positronikelement von seinemPlatz weggenommen und es versteckt und wolltees nicht wieder hergeben.«

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Rico schaute sie eigenartig forschend an, als habeer Mühe, ihren Überlegungen zu folgen.

»Ich habe mich geweigert«, sagte Thora. »DieErwachsenen haben mich dafür auf die Fingergeschlagen. Es tat sehr weh.«

»Sie haben das positronische Bauteil nichtzurückgegeben«, vermutete Rico nach einer Weile,als Thora beharrlich schwieg.

»Doch«, sagte sie zögernd. »Aber ich habe langedurchgehalten.«

»Wie alt waren Sie?«

»Drei Jahre, vielleicht auch vier.«

»Also alt genug, um zu erkennen, dass Sie mitdem Element ohnehin nichts hätten anfangenkönnen. Warum haben Sie es nicht gleichzurückgegeben?«

Thora blickte auf die Schirme. Die TOSOMA IX flog

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in großer Höhe. Sie waren nicht allzu weit von derStelle entfernt, an der Crest diesen Planetenbetreten hatte. Vom Meer her näherte sich dasSchiff dem indischen Subkontinent. Sie zeigtedarauf.

»Gibt es dort unten besondere Gebäude?«

Was sie sah, erschien Thora da Zoltral durchauseindrucksvoll, wenngleich in keiner Weiseimposant. Mit zwei Fingern zeigte sie auf dieWiedergabe des filigranen, mehrstöckigenKuppelbaus mit seinen Seitentürmen, Türmen unddem hinführenden großen Wasserbereich.

»Ich rate davon ab«, widersprach Rico verhalten.»Wollen Sie wirklich dieses wundervolle Bauwerk...«

»Tadsch Mahal heißt es, wenn ich die Datenrichtig interpretiere. Und die Menschen nennen esWeltkulturerbe. Wissen diese Wesen überhaupt,was Kultur ist?«

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Rico schluckte schwer. »Die Menschen habensogar einen klangvolleren Namen für diesesBauwerk. Sie nennen es ›Eine Träne auf derWange der Zeit‹.«

»Sollte mich das beeindrucken?«, fragte Thora.»Die Frist ist abgelaufen, niemand hat Crest zu mirgebracht. Es gibt kein verwertbares Lebenszeichenvon ihm. Die Eingeborenen haben ihreEntscheidung selbst getroffen.«

Sie aktivierte eines der Geschütze. Die Flutung derProjektoren mit Energie vollzog sich schnell. Derletzte Schuss, den sie abgegeben hatte, inWashington, hatte die Lademarke nicht so schnellerreicht. Thora glaubte nicht, dass sie sich in derHinsicht irrte. Womöglich war das Schiff einfach zulange nicht mehr bewegt worden.

»Das Gebäude ist ein Mausoleum«, sagte Ricohastig. »Ein Großmogul ließ es zum Andenken anseine verstorbene Hauptfrau erbauen. Es dürfte umdie vierhundert Erdjahre alt sein.«

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»Die Menschen haben die Frist ungenutztverstreichen lassen«, erinnerte Thora. »Sieverdienen es nicht anders.«

»Wollen Sie wirklich die Ruhe der Toten stören?Es gibt bessere Ziele, an denen Sie Ihre Stärkebeweisen können.«

Thora hob den Blick von den Schirmen. »Warum,Rico?«, fragte sie verblüfft.

Sie ließ ihrem Begleiter keine Zeit für eine Antwort.Ein gleißender Thermostrahl zuckte aus demAbstrahlfeld ...

... und dicht über den Kuppelbau hinweg. Diegebündelte Energie schlug in das länglicheWasserbecken ein, fächerte auseinander undüberzog den Zugangsbereich mit brodelnder Glut.

Die schlanken Bäume zu beiden Seiten desBeckenbereichs wurden zu lodernden Fackeln.

Die tosende Energiebahn erlosch, bevor sie die inPanik fliehenden Menschen gefährden konnte.

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Panik fliehenden Menschen gefährden konnte.

Verkohlte Bäume, die ihre Äste anklagend in denHimmel reckten; brodelnde Glut auf denZugangswegen und dichter Qualm, den der Windniederdrückte, dennoch war die Schönheit desHauptgebäudes erhalten geblieben.

»Hoffentlich werde ich das nicht bereuen«,sinnierte Thora. Ihre Stimme klang emotionslos.

Sie blickte auf den Schirm auf ihrer Konsole, derdie Umrisse aller Kontinente zeigte. Für einenAugenblick war sie unschlüssig, dann streckte siedie Hand aus und ihr Finger bohrte sich ins Herzdes Staates Frankreich.

»Paris, ich entsinne mich. Crest sprach darüber,als er anfing, Daten über den Planeten zuerfassen. Der Turm in Paris gehört bestimmtebenfalls zu diesem Kulturerbe. Ich hoffe, Siehaben daran weniger auszusetzen.«

Thora machte es nichts aus, dass Rico nichtantwortete. Sie registrierte, dass er sich in das

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irdische Kommunikationsnetz eingeschaltet hatte.Während die TOSOMA IX in den mittlerweile leichtbewölkten Himmel aufstieg und auf Westkursbeschleunigte, redete Rico mit einer offiziellenVerwaltungsstelle in Paris. Er verlangte, dass derTurm selbst und sein weites Umfeld sofortevakuiert werden sollten.

Leben opfern wollte Rico nicht. Thora ebensowenig. Sollte sie allerdings mit Crests Todkonfrontiert werden, veränderte das die Situationvollkommen.

Thora kümmerte sich nicht um den Flug desBootes. Für kurze Zeit spürte sie denEnergieflüssen der Geschütze nach. Es gab keinenennenswerten Widerstände. Das Boot schienwiderstandsfähiger zu sein, als sie anfangsangenommen hatte. Es war ein Kriegsschiff, keinForschungsraumer, wie es die AETRON und ihreBeiboote gewesen waren.

Rico verzögerte den Flug. »Die Wirkung derZerstörungen auf die Menschen potenziert sich,

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wenn jedem einzelnen Ereignis mehr zeitlicherRaum eingeräumt wird«, beantwortete er ThorasFrage nach dem Warum. Dem Argument konntesie sich nicht entziehen.

Sie befasste sich mit den Funklogs und testete diePositronik, wobei sie sich eingestand, dass sieeigentlich nach weiteren positiven Entwicklungenim Schiff suchte.

Den kodierten Impuls entdeckte sie eher zufällig.Er war weder in den Logs noch in denSenderoutinen vermerkt. Eigentlich ein extremschwacher Hyperimpuls, aber er verließ dieAntennen in Endlosschleife. Ein Impuls ohneInformationsgehalt, lediglich eine Modulation –gerade das war ungewöhnlich.

»Das sieht nach einer Verschiebung derpositronischen Grundkonfiguration aus.« Thorawandte sich an Rico, als sie sicher war, dass siekeinem Messfehler aufsaß.

Ricos Augen tränten, ein Zeichen überaus starker

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Erregung.

»Was ist mit Ihnen?«, fragte Thora. »Sie sind sehrruhig geworden. Wir haben es mit Wesen einerniederen Entwicklungsstufe zu tun, vergessen Siedas nicht.«

»Das können Sie nicht verstehen«, lautete die fasttrotzige Antwort.

»Denken Sie einfach nicht daran!«

»Nicht zu denken, ist unmöglich. Ich kann esnicht.«

»Unmöglich gibt es nicht«, widersprach Thora.»Ich habe den Eindruck, Sie wollen nicht darübernachdenken. Warum?«

»Später ... später, wenn ... Ich ziehe mich zurück.Die Nachwirkungen des Tiefschlafs machen mirwohl zu schaffen.«

Fassungslos sah sie zu, wie er aufsprang. Ricoging quer durch die Zentrale zum Ausgang. Er ging

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keineswegs langsam. Thora hatte den Eindruck,dass er vor etwas floh, das sie nicht erkennenkonnte. Genau das behagte ihr nicht.

Das Schiff flog inzwischen quer über Europahinweg.

Paris kam in Sicht. Die ausgedehnte Metropole imZwielicht der Dämmerung war Paris, der Abgleichzwischen den optischen Merkmalen und denmittlerweile vorhandenen digitalen Kartensätzenfiel eindeutig aus.

Thora flog langsam über die Stadt hinweg, um denMenschen Zeit zu geben, die Gefahrenzone zuverlassen.

Auf einmal waren die Jagdflugzeuge da. Thorahatte sie nicht kommen sehen, und die Ortunghatte keinen Alarm ausgelöst.

Mehrere Raketen explodierten im Schutzschirm.Eine Bedrohung bedeuteten sie nicht.

Grimmig blickte die Arkonidin der zweiten

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Grimmig blickte die Arkonidin der zweitenAngriffswelle entgegen. Mit einer einzigen Salvehätte sie die Jagdstaffel vom Himmel holenkönnen. Sie verzichtete darauf, ohne darübernachzudenken, warum sie es nicht tat.

Aus zwei Thermogeschützen feuerte sie auf denEiffelturm. Die Schüsse schlugen in die Spitze desTurmes ein und wanderten an dessen Flankenentlang abwärts. Fast rot glühend stand er fürwenige Augenblicke vor dem dunkler werdendenNachthimmel, dann knickten die erstenVerstrebungen ein.

Langsam neigte sich der obere schlanke Teil desTurmes zur Seite. Glutflüssiges Metall spritzte nachallen Seiten, als die Verstrebungen dem Drucknicht mehr standhielten und brachen. Mitohrenbetäubendem Dröhnen schlug dasabgebrochene Segment auf und fiel in sichzusammen. Eine Flammenwand loderte auf, fandaber wenig Nahrung im Umfeld und erlosch bis aufeinzelne Glutnester schnell wieder.

Eines der vier weit ausladenden Turmbeine

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knickte weg; der Rest der Konstruktion kippteeinfach zur Seite.

Ein seltsamer Ton hing in der Luft. Von überall herschien er zu erklingen, hell, beinahe schrill, auchdumpf dröhnend. Glockenklang erkannte Thora.Immer mehr Glocken fielen ein. Es war wie einSchrei, ein lang anhaltender Aufschrei der Stadt.

16.

15. Juli 2036

Unterschlupf Fort Sunrise

»Ich weiß, dass Sie müde sind.« Clifford Monternylächelte, doch dieses Lächeln wirkte alles andere

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als beruhigend. »Sehen Sie, Crest, Sie machensich das Leben selbst schwer. Geben Sie mir dieInformationen – und Sie können von mir alleshaben, was Ihnen fehlt. Ich bitte Sie!«

Crest da Zoltral hielt kaum mehr die Augen offen.Immer öfter sackte sein Kopf nach vorn, dannschreckte er heftig zusammen und straffte sichwieder. Unbewegt blickte er Monterny an.

»Es geht Ihnen nicht gut. Ich sehe das, Crest, alsokönnen Sie es offen zugeben.«

»Es geht mir gut«, widersprach der weißhaarigeArkonide schleppend. Sein verzerrtes Gesichtsagte dabei etwas anderes.

Seit Stunden hatte er sich nicht mehr von demharten und unbequemen Stuhl erhoben. Der Raumwar abgedunkelt. Es war unmöglich zu erkennen,ob draußen strahlender Sonnenschein oder tiefeNacht herrschte.

»Wo sind wir hier?«, fragte Crest schwerfällig.

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»Fort Sunrise ist ein ruhiger und verschwiegenerOrt«, wandte Deegan ein. Der Telekinet hielt sichim Hintergrund. »Niemand wird Sie schreienhören, wenn ich mich erst mit Ihnen ...«

»Halt dich da raus, Roster!«, unterbrach Monterny.»Unser Gast weiß selbst sehr genau, was ihmguttut. Das ist so, Crest, oder?«

Der Alte murmelte etwas in einer Sprache, diekeiner verstand. Zweifellos war das seineMuttersprache Arkonidisch. Monterny warf TatjanaMichalowna einen fragenden Blick zu. DieTelepathin stand schräg hinter dem Arkoniden. Sieschüttelte den Kopf.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Crest.«Monterny ging um den Tisch herum, auf dem einehelle Lampe stand, die einzige Lichtquelle imRaum. Neben Crest lehnte er sich an dieTischkante. »Sie erzählen mir alles über denPlaneten des Ewigen Lebens – danach trennen wiruns in Frieden.«

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»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

»Wie Sie wollen, Crest. Ganz wie Sie wollen.«

Monterny begann eine unruhige Wanderung.Mehrmals blieb er stehen und schaute denArkoniden an. Crest war erschöpft und am Endeseiner Kraft. Sein Kinn sank auf die Brust. Imnächsten Moment wurde sein Oberkörper voneinem heftigen Schlag getroffen, und er richtetesich kerzengerade auf. Deegan grinste breit.Telekinetisch stieß er den Alten immer wieder an,bevor dieser einnicken konnte.

»Ich kann einfach nicht tief genug in seinBewusstsein eindringen«, raunte Tatjana, alsMonterny neben ihr stehen blieb. »Du wirst ihmRuhe gönnen müssen. Sein Bedürfnis nach Schlafist übermächtig, das überlagert alles andere.«

Sie waren zu fünft in dem nicht zu großen Raum:Monterny, Tatjana, Deegan und der japanischeTeleporter Tako Kakuta, ein Kind der Fukushima-Präfektur. Und natürlich Crest.

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Der Arkonide traf Anstalten, sich vom Stuhl zuerheben. Er griff nach der Tischkante und hattesich schon halb aufgerichtet, da stieß Deegan ihntelekinetisch zurück. Crest torkelte und wäre umein Haar gestürzt. Nur Kakuta, der blitzschnell zuihm teleportierte, konnte das verhindern.

»Sehen Sie, Crest, wir alle meinen es gut mitIhnen«, stellte Monterny fest. »Erzählen Sie mireinfach etwas über diesen Planeten des EwigenLebens!«

Der Arkonide schwieg.

»Er schläft mit offenen Augen«, stellte dieTelepathin fest.

Das war der Moment, in dem Deegan den Alten anden Schultern packte und ihn zu sich herumriss.Deegan schlug ihm ins Gesicht.

»Du sollst aufwachen, Alter. Und wenn du nichtwillst, dass ich dir alle Knochen breche, dannspuck's endlich aus. Wir wissen, dass du das

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Ewige Leben suchst, und wir wollen daranteilhaben. Also ... Rede endlich!«

Wieder schlug er zu. Crest sank gurgelnd in sichzusammen.

»Roster!« Monterny schrie geradezu. »Du sollst ihnnicht umbringen. Tot nützt er uns nichts.«

»Anders kriegen wir nichts aus ihm heraus ...Entscheide dich endlich, was du willst, Clifford.Deinen Schmusekurs oder knallhart ...«

Ein kurzer auffordernder Wink zu Kakuta. DerJapaner teleportierte, er materialisierte nebenDeegan, ergriff den Telekineten am Arm, undschon verschwanden beide.

Crest lag stöhnend am Boden. Monterny half demAlten auf und setzte ihn wieder auf den Stuhl.

»Sie bekommen eine Schlafpause, Crest. EineStunde. Danach will ich alles von Ihnen hören!«

»Wenn du ihn noch einmal so angreifst, Roster ...«

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»Was dann, Clifford? Tatjana kommt nicht an ihnran, das gibt sie selbst zu. Deiner Gabe widerstehter ebenfalls. Also machen wir es auf meineWeise.«

»Ich will nicht, dass du mit Crest so umspringst! Istdas deutlich genug?«

»Aber auf sein Wissen wartest du? Ja? Wie lange?Bis dir unsere Ärzte schon ein halbesErsatzteillager eingebaut haben?«

»Ich denke eher, du kannst es nicht erwarten,Roster. Du bist ein Narr und schaffst es nichteinmal, das zu erkennen. Mit Gewalt holen wirnichts aus Crest heraus. Ich warne dich, Roster.Rühr ihn nie wieder so hart an.«

»Machen Sie die Augen auf, Crest! Sehen Siegenau hin, und dann sagen Sie mir, was dageschieht!«

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Eine Stunde war vergangen. Der Arkonide hattewie ein Toter geschlafen, vornübergesunken undden Kopf zwischen den auf der Tischplatteverschränkten Armen vergraben. Es bereitete ihmsichtlich Mühe, in die Realität zurückzufinden.

Blinzelnd schaute der Arkonide auf das Tablet, dasMonterny ihm hinhielt. »Was ist das?«, fragte erzögernd.

»Thora hat der Erde den Krieg erklärt!«, sagteMonterny scharf. »Sie greift an.«

»Thora interessiert sich nicht für die Menschen.Warum sollte sie das tun? Ich sehe keinen Grunddafür.«

»Der Grund sind Sie, Crest! Der Eiffelturm in Paris:zerstört. Oder hier: Indien. Uraltes Kulturerbe, vonThora mit einem Knopfdruck ausgelöscht. DieNordsee: eine ganze Insel vernichtet. Und dasscheint erst der Anfang gewesen zu sein. Die Frauist verrückt, sie wird den ganzen Planetenvernichten. Sie allein können das verhindern.«

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In einer schwachen Geste hob Crest die Schultern.»Thora macht nichts ohne Grund. Ich kann mirnicht vorstellen ...«

»Thora verlangt, dass Sie freigelassen werden.«

»Dann tun Sie es, Mr. Monterny. Wo ist dasProblem?«

»Sie sind frei, Crest, sobald Sie Ihr Wissenpreisgegeben haben.«

Crest schob das Tablet zur Seite, stützte dieEllenbogen auf und massierte sein Gesicht mitbeiden Händen.

»Dann wird Ihre Welt brennen, Mr. Monterny. Ichkann Ihnen nichts anderes sagen, als dass Thorain jeder Hinsicht konsequent ist.«

»Wir dürfen das nicht zulassen, Clifford!« TatjanaMichalowna redete im Flüsterton auf Monterny ein.»Er hat recht, Thora ist unberechenbar. InWashington war ich nahe dran an ihren Gedanken.

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Sie sieht uns Menschen als Wilde. Für sie spielt eskeine Rolle, ob wir existieren oder nicht. Sie wirddie Erde einäschern.«

»Soll sie es ruhig versuchen!« Monterny zuckte dieAchseln. »Es wird ihr schwerfallen.« Er warf einenBlick auf Crest. Der Arkonide war schon wiedereingeschlafen. »Du kommst an seine Gedankenran, davon bin ich überzeugt. Du hast es einmalleidlich geschafft, du schaffst es wieder.«

»Er sträubt sich, als wüsste er ...«

Monterny unterbrach die Telepathin mit einerheftigen Handbewegung. »Crest steht kurz vordem emotionalen Zusammenbruch, er wird seineGedanken nicht mehr lange verbergen können.Aber was nutzt uns alles Wissen um einen fremdenPlaneten? Wir brauchen zugleich ein Raumschiff,das uns zu dieser Welt des Ewigen Lebensbringen kann.«

»Woher sollen wir das bekommen?«, rief Deegan.»Die NASA schafft es gerade mal bis zum Mond.«

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»Von Thora!«, sagte Monterny.

Heftig schüttelte Michalowna den Kopf. »Das istunmöglich. Wunschdenken. Nicht einmal dieGroßmächte können sie wirkungsvoll angreifen.Dieser Technologie haben wir nichtsGleichwertiges entgegenzusetzen.«

»Man muss keine Großmacht sein.« Monternystreifte Crest mit einem nachdenklichen Blick.»Schaut ihn euch an! Hat ihm seine Technikgeholfen?« Er deutete auf den Arkoniden.»Schüttel ihn wach, Roster! Doch vorsichtig, Crestist unsere Lebensversicherung.«

Als der Arkonide aufschreckte, wandte Monternysich wieder an die Telepathin.

»Du schaffst es – und wir schaffen es auch. Wirsind viele, Tatjana, vergiss das nicht. Vor allemhaben wir eine Waffe, der die Arkoniden nichtsentgegensetzen können.«

Demonstrativ tippte er sich an die Stirn. »Unser

Page 345: Die Terraner

Geist ist eine Waffe, der keine Technikwiderstehen wird.«

17.

Treffpunkt Fort Sunrise

Stumm blickte Thora auf den Bildschirm. IhreHände zitterten. Sie ballte sie zu Fäusten. Hart undstoßweise atmete sie, und an ihren Schläfenschwollen die Adern.

»Was haben diese Menschen mit ihm gemacht?«,stieß sie zornig hervor. »Ich habe Crest nie soleiden gesehen. Er ist nur noch ein Wrack.«

Die Funküberwachung hatte die Sendung ebenerst aufgefangen. Eine kurze Kombination aus Bildund Ton.

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Crest war totenbleich. In seinem rissigen Gesichtzeichneten sich die Adern ab, die Augen lagen tiefin ihren Höhlen. Sein Blick war matt, ein einzigerAusdruck von Hoffnungslosigkeit. Er hatte mit demLeben abgeschlossen.

»Das werden sie büßen!« Thora starrte dieWiedergabe an, suchte nach Details, die ihr imersten Erschrecken entgangen waren. »Haben wirden Standort des Senders?«

»Ein Gebirgszug im Nordosten des BundesstaatesNew York«, antwortete Rico.

Im Hintergrund des Bildes war, leichtwolkenverhangen, eine Bergkulisse zu sehen.Lockeres Waldgebiet, ein Fluss. Wahrscheinlicheine größere Schlucht oder ein Taleinschnitt, sointerpretierte Thora den Schattenwurf.

Mehrere große Gebäude, überwiegend aus dickenStämmen errichtet. Sie standen nahe beieinander,wirkten wehrhaft und boten Platz für einige HundertMenschen. Ein Militärlager, war Thoras erster

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Eindruck, doch sie vermisste die typischenMilitärfahrzeuge.

Crest war an einen grob zugehauenen Holzpfahlgefesselt. Ketten zerrten seine Arme nach hintenum den Pfahl, eine war um seinen Halsgeschlungen und nahm ihm jedeBewegungsfreiheit.

»Hol ihn dir, wenn du kannst!«

Das konnte nur Clifford Monternys Stimme sein.Immer wieder erklang sie, in einer Endlosschleifegefangen.

Hol ihn dir, wenn du kannst!

Purer Hohn schwang in den Worten mit. Es warnicht schwer, solche Klangnuancenherauszuhören, sobald man sich erst ein wenig mitdiesen Wilden befasst hatte.

»Ja, ich kann!«, sagte Thora. Das klang nicht nurwie ein Versprechen, es war eines.

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»Die Einpeilung des Senders liegt vor«, meldeteRico einen Augenblick später.

Die TOSOMA IX hatte sich weit im NordenEuropas befunden, im direkten Anflug auf mehrereverlassene Hochseeplattformen, als die Sendungempfangen worden war. Groß, wie die AETRONgewesen war, trotzten die rostigen Kolosse derstürmischen See. Ein einzelnes Versorgungsschiffkämpfte gegen die haushohen Wellen an. Thorahatte nur noch einen nachdenklichen Blick für diePlattformen, während sie schon rasend schnellunter dem Schiff zurückfielen. Hier, in der Nähedes Nordpols, wirkte der Planet nicht weniger rauund urwüchsig als seine Bewohner.

Die Atmosphäre wurde dünner.Elektromagnetische Entladungen, einWechselspiel zwischen oberer Atmosphäre undauftreffendem Sonnenwind, überzogen denHimmel mit unruhigem Farbenspiel. Mit weiterwachsender Beschleunigung tauchte das Schiff

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ein in dieses Meer aus blauen und roten Schleiern,die einander umtanzten wie balzendeSternenvögel.

Auch wenn es ihr Unbehagen bereitete, Thoragestand sich ein, dass der Planet viele schöneSeiten hatte. Eine Welt, vielleicht sogar ideal fürdie Besiedlung von Arkon aus, wäre da nicht dasLeben gewesen, das sie selbst hervorgebrachthatte.

Ein Zackenwall aus Blau und Rot wuchs vor demSchiff aus der Tiefe auf, dann verblassten diePolarlichter.

Die TOSOMA IX glitt über die spärlichenGletschergebiete von Grönland hinweg. WeiteBereiche der Insel schimmerten in sattem Grün unddem Gelb wogender Felder.

Rico leitete das Bremsmanöver ein und stieß überLabrador hinweg auf den Norden der VereinigtenStaaten hinab.

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»Das ist eine Falle!«, stellte er fest.

»Ich weiß«, sagte Thora. »Trotzdem darf ich Crestnicht im Stich lassen.« Sie überprüfte ihrenKampfanzug, zog den Folienhelm nach vorn undschloss ihn. »Verstehen Sie mich, Rico?«

Er schaute nur kurz auf. »Funkverbindung undAußenakustik funktionieren einwandfrei.«

»Ich habe keine Waffe. Geben Sie mir IhrenStrahler, Rico!«

Er zögerte. »Wer das Schwert trägt, wird durch dasSchwert umkommen«, sagte er leise. »Eine alteWeisheit der Menschen.«

Thora schlug den Helm wieder zurück.Nachdenklich musterte sie ihren Begleiter. »Woherwissen Sie das, Rico? Aber behaupten Sie nichtwieder, dass Sie alle Information nur überFunksonden beziehen.«

Unter dem Schiff erstreckte sich nun einweitläufiger Gebirgszug. Seen, Wälder,

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weitläufiger Gebirgszug. Seen, Wälder,gelegentlich das schmale Band einer Straße.

»Keine Abfangjäger?«

»Die Menschen sind lernfähig«, antwortete Rico.»Sie haben erkannt, dass es ihnen nichts einbringt,hinter einer Beute herzujagen, die schneller undwendiger ist.«

»Sie glauben, der Lerneffekt hält an? Es liegt wohleher an der Demonstration unserer Stärke.«

Minuten später stand die Sechzigmeterkugelmehrere Kilometer hoch über dem Ziel. Einbewaldetes Tal; der Fluss mit vielen Nebenarmen,Schleifen und fruchtbarem Schwemmland; die fastim Viereck stehenden Gebäude. Menschen, dieweit verstreut arbeiteten. Die ersten von ihnenwurden auf das Schiff aufmerksam, das langsamtiefer sank. Einige flohen in die Häuser.

»Die große Betonpiste mit den aufgemalten

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Symbolen ist der Landeplatz für Hubschrauber«,sagte Rico.

Dort, mitten auf der ansonsten leeren Fläche, standCrest an den Pfahl gefesselt. Sein Kopf war nachvorn gesunken. Nicht einmal in der optischenVergrößerung konnte Thora erkennen, ob ihrZiehvater das Bewusstsein verloren hatte oderwomöglich schon tot war.

Monterny stand neben Crest. Er hielt sich an demPfahl fest und blickte in die Höhe, dem Beibootentgegen. Er trug wirklich einen arkonidischenKampfanzug, vielleicht sogar den, der Crestgehörte.

Ein wenig abseits wartete der zweite der Entführer.Er musste es sein, weil er ebenfalls einenKampfanzug anhatte. Den dritten Mann konnteThora nicht einschätzen. Er wirkte nicht allzu groß,eher schmächtig, hatte kurzes schwarzes Haar unddeutlich ausgeprägte Wangenknochen. Überhauptwiesen einige Völker des Planeten deutlicheUnterschiede in der Physiognomie auf, das war

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zumindest ungewöhnlich.

»Höhe fünfhundert Meter, keine Hinweise aufschwere Waffen unter uns.«

»Halten Sie die Höhe!«, sagte Thora.

Sie schaltete das Funkgerät ihres Anzugs ein.

»Hören Sie mich, Monterny?«

»Klar und deutlich.« Ein spöttisch klingendesLachen folgte. »Wollen Sie da oben bleiben undwarten, Thora? Sie können Crest haben, er stehtneben mir, und es geht ihm gut. Sie müssen ihnaber selbst abholen. Oder schrecken Sie davorzurück? Haben Sie Angst, Thora?«

»Ich ...« Sie biss sich auf die Lippe. Jedes Wortwar ein Wort zu viel. Monterny wollte sieprovozieren.

Sie wandte sich an Rico. »Ich steige aus undkomme mit Crest zurück. Geben Sie mir jetzt IhrenStrahler!«

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»Nein!«, widersprach der Leiter der Venusstation.»Ich bedauere, Thora, das werde ich nicht tun.Diese Falle ist zu offensichtlich ...«

»Natürlich ist sie das. Und wennschon, ich fürchtemich nicht vor einer Handvoll Wilder.«

Rico übersah ihre fordernd ausgestreckte Hand.»Monterny weiß nichts von meiner Existenz«,sagte er. »Wir sollten ihn überlisten.«

Was Perry Rhodan einen »Katzensprung« genannthatte, waren rund achthundert Kilometer Luftlinie.Eine geringe Distanz für die PHÖNIX und schnellzu überwinden. Das eigentliche Problem hießThora.

Aliens bombardieren das Taj Mahal.

Der Eiffelturm eingeschmolzen! Schutt und Tränenauf dem Marsfeld.

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Land unter für die Insel Helgoland. Warnung derAußerirdischen rettet Einwohner, aber wo werdensie als Nächstes zuschlagen?

Invasion vom Mond – die Arkoniden zeigen ihrwahres Gesicht. In den Metropolen bilden sicherste Bürgerwehren ...

Die Nachrichtenticker überschlugen sich in derüblichen Effekthascherei. Unmöglich, auf Anhiebzu erkennen, was Wahrheit und was Dichtung war.

»Thora weiß überhaupt nicht, was sie anrichtet«,schimpfte Reginald Bull. »Sie tut sich selbst denschlechtesten Gefallen, wenn sie solche Angriffefliegt. Mich würde interessieren, ob sie eineneinzigen Gedanken an die Konsequenzenvergeudet hat.«

»Frag sie!«, forderte Rhodan den Freund auf.

Bull bedachte ihn mit einem kurzen Seitenblick. Ernickte. »Das werde ich tun, genau das.« Es klangnicht danach, als meinte er das auch so.

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Mehrmals dröhnten Abfangjäger über das Landhinweg. Präsident Drummond und das Pentagonließen die Muskeln spielen. Mehr als die Absicht,der Bevölkerung ein trügerisches Gefühl derSicherheit zu vermitteln, steckte aber kaumdahinter.

Rhodan und Bull waren schon deshalbgezwungen, mit ihrem schnellen Fluggerät so nahewie möglich über dem Boden zu bleiben und dieRadarüberwachung zu unterfliegen. Ähnliches galtfür das dicht besiedelte Gebiet bis auf dieungefähre Höhe von Scranton. Einspinnenbeiniges Gefährt – ein Mittelding zwischenLunar-Landemodul aus dem letzten Jahrhundertund monströsem Alienroboter – konnte schnelleine Welle der Panik auslösen. Erst weiter imNorden, in den Ausläufern der Adirondacks, wurdees leichter. Rhodan, der diesmal die Steuerungübernommen hatte, erhöhte trotz des schwierigerwerdenden Geländes die Geschwindigkeit.

Ohne Zwischenfall erreichten sie das Tal, das sichin einer Höhe von knapp tausend Metern nach

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Westen öffnete.

»Hier treibt Monterny also sein Unwesen«,kommentierte Bull. »Eigentlich ein idyllischesFleckchen.«

Dichter Bewuchs an beiden Flussufern. Rhodanzog die PHÖNIX nahe an den natürlichenSichtschutz. »Wenn wir unser Gefährt verbergenund zu Fuß ...«

Weiter kam er nicht. Bull stieß ihn mit demEllenbogen an. Mit dem anderen Arm deutete Regin die Höhe.

Grob geschätzt drei bis vier Kilometer entfernt undmehrere Hundert Meter hoch hing eine stählerneKugel am Himmel.

»Thora!«, sagte Rhodan.

»Sie hat Monterny und seine Brut schnelleraufgespürt als wir. Ich glaube allerdings nicht ...«

»Was?«, fragte Rhodan, als der Freund schwieg.

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»Monterny verzichtet keinesfalls freiwillig auf Crest.Den stört nicht, ob Thora ein paarMonumentalbauten einäschert.«

»Du meinst, Crest ist für ihn ein Köder?«

Bull fuhr sich mit dem Handrücken über die Lippen.»Genau das«, bestätigte er. »Monterny will dasSchiff.«

»Er kann es nicht fliegen.«

»Wenn er hofft, dass seine Mutanten ihn dabeiunterstützen ...«

Rhodan setzte die PHÖNIX auf. Der Fluss machtean dieser Stelle eine weite Schleife. Buschwerkund Bäume an drei Seiten reduzierten die Gefahreiner zufälligen Entdeckung.

»Falls Thora sich auf eine Verhandlung mitMonterny einlässt, schwebt sie in höchster Gefahr.Ich fürchte, von den beiden hofft jeder, dass er denanderen über den Tisch ziehen kann.«

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»Nur umsehen, nicht wahr?«, sagte Bull. »Wasverstehst du eigentlich darunter?«

Perry Rhodan blieb ihm die Antwort schuldig.

Das Raumschiff hing unverändert über dem Tal.Ein winziger Punkt löste sich von der Kugel undschwebte langsam tiefer.

Die beiden Astronauten schauten sich an, dannhasteten sie los. Schnell konnten sie Fort Sunrisein seiner ganzen Ausdehnung überblicken. Nureinen Steinwurf weit vor sich sahen sie Crest,Monterny und noch zwei Männer.

»Einer von denen muss Deegan sein. Er hatFlipper getötet«, raunte Rhodan.

»Der andere ist bestimmt ebenfalls ein Mutant«,sagte Bull. »Ich tippe auf Teleporter.«

Thora schwebte bereits zu Boden.

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Als die Arkonidin das Kugelraumschiff verließ,wusste Clifford Monterny, dass er dieAuseinandersetzung so gut wie gewonnen hatte.Obwohl Thora einen Kampfanzug trug. Er hattedas nicht anders erwartet, es kam ihm sogarentgegen. Weil die Arkonidin sich damit sichererfühlen durfte als in einer einfachen Kombination.

Dass Roster und er ebenfalls Kampfanzüge trugen,wusste Thora ohnehin. Dass er außerdem CrestsStrahler hatte, konnte sie vermuten.

Ihr Kampfanzug sah nicht viel anders aus als seinExemplar. Unübersehbar steckte eineEnergiewaffe in ihrem Gürtel. Das war eineMachtdemonstration, die Monterny gar nichtbeeindruckte. Die Außerirdischen musstenbeweisen, dass sie besser und stärker waren.Schließlich kamen sie von den Sternen,wohingegen die Menschen der Erde bemannteFlüge erst bis zu ihrem Mond geschafft undlediglich eine Fülle von Sonden zu denNachbarplaneten und quer durchs Sonnensystem

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geschossen hatten. Ohne eine deutliche Arroganzund Überheblichkeit mussten die Arkonidenschnell den Nimbus des Unnahbaren verlieren.

Du wirst dich wundern, wie schnell das geht,dachte Monterny.

Er hatte Crest. Thora würde es nicht wagen, auf ihnzu schießen, aus Furcht, der weißhaarige Altekönnte dabei verletzt werden oder sogar den Todfinden. Ihre Drohung, die Erde in Schutt und Aschezu legen, wenn ihr Crest nicht übergeben wurde,sagte in der Hinsicht genug aus.

Thora kam zwanzig Meter von ihm entfernt auf, amRand des Landefelds.

»Nehmen Sie Crest die Fesseln ab!« Ihre Stimmeklang schroff.

»Warum so eilig, Thora?«

»Was wollen Sie von mir, Mensch?«, konterte sieüber Funk.

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Er verschränkte die Arme. Da die Arkonidinweiterhin den Helm ihres Anzugs geschlossenhielt, vermutete Monterny, dass sie Messungenvornahm und die Ergebnisse im Head-up-Displaybetrachtete.

»Es gibt bei mir keine verborgene Armee, die Siefürchten müssten«, sagte er.

»Das habe ich soeben festgestellt.«

Nach allem, was Clifford Monterny über Thorawusste, hatte er dieses Eingeständnis nichterwartet.

»Ich möchte mit Ihnen reden, Thora. Nicht nur aufunpersönliche Distanz, sondern eher von Menschzu Arkonidin.«

»Ich wüsste nicht, was uns beide verbindet.«

»Crest zum Beispiel. Ebenso der Planet desEwigen Lebens.«

»Woher ...?« Thora verstummte sofort wieder.

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Immerhin ging sie auf ihn zu. Der Helm spiegelteein wenig, die Lichtbrechung verwischte ihreGesichtszüge. Nur das lange weiße Haar stachdeutlich hervor.

»Geben Sie Crest frei, Mensch! Andernfalls kehreich zu meinem Schiff zurück und ...«

»Ich glaube nicht, dass Sie das tun werden. Nochist Crest unversehrt.«

»Sie drohen mir?«

Angestrengt schaute Monterny der Frau entgegen.Ihr Helm störte ihn, war wie ein Fremdkörperzwischen ihm und der Arkonidin, der seineFähigkeiten beeinträchtigte. Andererseits war erbei Crest auch nicht zum Ziel gekommen. Crestwar telepathisch nur sehr schwer auszuspähen,auf den Versuch einer Suggestion hatte erüberhaupt nicht angesprochen.

»Wir sollten eine Vereinbarung treffen, Thora. Abervorab das Wichtigste: Wir stehen beide auf

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derselben Seite.«

Hinhalten. Ein neuer Versuch, die Frau in seinenBann zu ziehen. Nach seiner schwerenKopfverletzung hatte er diese besondere Gabeentwickelt, die ihm treue Freunde verschaffte. Nurwenige waren ihm wieder entglitten. Einer vonihnen war Sid González. Den pummeligen jungenLatino hatte er besonders intensiv in seinerEntwicklung gefördert. Genau das war ein Fehlergewesen, der größte, den er sich jemals erlaubthatte.

Sid war schuld am Tod seines FreundesIwanowitsch Goratschin, der treibenden Kraft hinterdem Projekt »brain drain«. Niemals hätte espassieren dürfen, dass Sid aus Camp Specter floh.Elmer Bradley war ebenfalls ein sehr begabterMutant gewesen; seine starke telepathische Gabehatte sich zu der Fähigkeit entwickelt, Materie zudurchdringen. Auch Elmer war ums Lebengekommen wie Iwanowitsch.

Clifford Monterny fokussierte seinen mentalen

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Zwang auf die Arkonidin. Thora war nur noch dreiSchritt vor ihm.

Du bist bei Freunden!, dröhnte es unter MonternysSchädeldecke. Gib mir deinen Strahler, du hastnichts zu befürchten. Gib ihn mir!

Sie reagierte nicht. Es war, als stoße er auf einenunüberwindlichen Widerstand, als fließe dersuggestive Zwang auf ihn zurück. Monternyertappte sich dabei, dass er nach seiner Waffetastete.

Siedend heiß überlief es ihn. Wollte er den Strahlerwirklich der Arkonidin überlassen?

Sie griff zu ihrem Helm, löste den Verschluss undschob die schlaff werdende Folie in den Nackenzurück. Diese Gesichtszüge gehörten zu keinerFrau.

»Ihr wollt mich reinlegen?«, ächzte Monterny.

Er hatte es geahnt. Den Aliens war nicht zu trauen.Mit einem hastigen Schritt zur Seite stand er hinter

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Mit einem hastigen Schritt zur Seite stand er hinterCrest und griff nach der Kette, die um den Hals desArkoniden lag. Sein Gegenüber reagierteallerdings eine Nuance schneller.

Monterny konnte nicht mehr ausweichen. Einheftiger Schlag gegen die Schulter ließ ihntaumeln, ein zweiter Hieb riss ihn von den Beinen.Er schaffte es gerade noch, seinen Sturzeinigermaßen abzufangen und sich abzurollen.

»Tako!«, rief er und sah den Teleporterverschwinden, da war der Gegner schon über ihmund zerrte ihn hoch.

18.

Tod in Fort Sunrise

Roster Deegan glaubte, die Anspannung zu

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spüren, die mit einem Mal in der Luft hing. Cliffordhatte sich vorbereitet. Eigentlich hatte er immeralles in der Hand.

Deegan zog den angebissenen Energieriegel ausseiner Tasche und schob ihn sich in den Mund. Ergrinste. Mitte des Jahres kam diesmal schon derWeihnachtsmann. Thora brachte ihr kleinesRaumschiff als Geschenk.

Klein? Das ist relativ.

Deegans Blick pendelte zwischen Clifford und derArkonidin hin und her. Thora griff nach ihrem Helm,öffnete ihn.

Roster Deegan schluckte den halb zerkautenRiegel hinunter. Für einen Moment hatte er dasGefühl, als bleibe ihm der Bissen im Hals stecken.Etwas stimmte nicht. Er schaltete seinenSchutzschirm ein. »Energie sparen,« hatte Cliffordgemahnt. »Mehr als dreißig Minuten bei vollerAufladung sind nicht drin.« Egal.

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Kurz war er abgelenkt. Als er wieder aufsah, drangThora auf Clifford ein. »Tako!«, hörte er Monternyrufen. Der Teleporter verschwand, um zuveranlassen, dass Goratschin aufgeweckt wurde.

Dann gehört das Kugelraumschiff bald uns.

Er sah, dass die Arkonidin Monterny packte undihn hochzerrte, als wiege er kaum mehr als einpaar Kilogramm. Mit seinen Gedanken griffDeegan nach Thoras Händen und bog ihre Fingerauf. Hart rammte er ihr danach seine unsichtbarenFäuste in den Leib. Alles in ihm verkrampfte sich,er vergaß fast zu atmen dabei. Thora taumelterückwärts.

Roster Deegan setzte nach. Er stellte sich vor,dass er der Arkonidin wie ein Kickboxer zusetzte.Eine Rechts-Links-Kombination gegen dieSchulter, ein schwerer Tritt vors Schienbein. IhrKampfanzug absorbierte die meiste Wucht,trotzdem taumelte die Frau.

»Das ist nicht Thora!«

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Der Ruf kam von Monterny. Er stand wieder aufden Beinen.

Nicht ... Thora ...? Für einen Augenblick war Rosterabgelenkt. Der Gegner nutzte die Gelegenheit undbaute den Schutzschirm seines Kampfanzugs auf.Noch bevor der Schirm seine volle Kapazitätentfalten konnte, packte Roster Deegan zu,konzentrierte sich auf die Technik desKampfanzugs. Er musste den Arkoniden seinesSchutzes berauben und ihn zu Boden zwingen ...

Zu spät bemerkte er, dass der andere die Waffezog. Und wennschon, er war nicht weniger gutgeschützt.

Roster griff nach der Waffenhand seines Gegners.Vor seinem inneren Auge sah er sich an demStrahler zerren, sah die Waffe herumschwenkenund auf den Arkoniden selbst zielen, sah dasEntsetzen in den Augen des weißhaarigenFremden.

Sengend heiße Glut war plötzlich überall.

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Deegan lachte darüber. Die Hitze konnte ihmnichts anhaben. Er packte fester zu, wühlte sichdurch den Anzug des anderen, griff in dessenInneres und tastete nach den Organen. Er zerrteund riss, und seine Gedanken schäumten über mitder Vorstellung, dass er dem Arkoniden den Todbrachte ...

Das Gegenteil war der Fall. Die Hitze wurdeunerträglich. Sie fraß sich durch Roster DeegansLeib und raubte ihm den Atem.

Sein Aufschrei erstickte.

Dass er in sich zusammensackte, nahm er schonnicht mehr wahr.

»Wir müssen ihr helfen!«, raunte Perry Rhodandem Freund zu. »Thora hat keine Ahnung, woraufsie sich da eingelassen hat.«

Er wollte aus der Deckung stürmen, doch Reginald

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Bull hielt ihn zurück. »Thora wird sich nicht helfenlassen. Und nur mit dem Elektroschocker ...«

Reg verstummte. Thora griff Monterny an, und derSuggestor rief etwas, das wie ihr Name klang. Siedrang mit Wucht auf ihn ein. Aber gleich darauftaumelte sie wie aus heiterem Himmel zurück.

»Deegan mischt da mit«, erkannte Rhodan. »DerTelekinet ist Thora überlegen.«

»Wir kommen nicht nahe genug an ihn ran, Perry.Schlag dir das aus dem Kopf. Damit muss sieselbst fertig werden.«

Die Arkonidin zuckte unter heftigen Schlägenzusammen. Der unsichtbare Angriff trieb sie vorsich her. Als sie sich vornüberkrümmte, leuchteteendlich ihr Schutzschirm auf, wenn auch flackernd.

»Jetzt weiß sie, was sie hier erwartet«,kommentierte Bull trocken.

Ein Strahlschuss zuckte auf Deegan zu. Dasschützende Energiefeld seines Anzugs flammte

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schützende Energiefeld seines Anzugs flammteauf – und erlosch. Der Schuss bohrte sich in denOberkörper des Mutanten. Deegan sackte haltlosin sich zusammen.

Fast gleichzeitig stürzte Thora. Sie schlug derLänge nach hin, der Strahler fiel ihr aus der Handund rutschte mehrere Meter weit über dieBetonpiste.

Rhodan rannte los. Bull folgte dicht hinter ihm.

Der Telekinet war tot, daran gab es keinen Zweifel.Monterny blickte den beiden entgegen, aber daraufachtete Rhodan kaum. Dass er sich mit demeinfachen Schocker kaum wirkungsvoll verteidigenkonnte, ignorierte er ebenfalls.

Nicht einmal hundert Meter. Er kniete neben Thoranieder. Verkrümmt lag sie da, die Hände unter demLeib, das Gesicht am Boden. Vorsichtig griff er zuund drehte sie herum, während Reginald Bull denStrahler an sich brachte.

Rhodan blickte in ein verzerrtes Gesicht. Ein

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Arkonide, das verrieten schon die roten Augen unddas lange weiße Haar. Trotzdem hatte Perry denMann nie zuvor gesehen. Er bezweifelte sogar,dass der Fremde zur Besatzung der AETRONgehört hatte.

»Wer sind Sie?«

Ein feuchter Schleier hing über den roten Augen.Trotzdem schienen sie ihn zu fixieren.

»R...rico«, ächzte der Mann. Seine Hände zucktenhoch, verkrallten sich im Halsausschnitt, alsbekomme er keine Luft mehr. Rhodan half ihm, denKampfanzug zu öffnen – und erstarrte.

Der Leib war aufgerissen, Deegan hatte mit seinertelekinetischen Kraft unbarmherzig zugepackt.Aber da waren kein Blut, kein Fleisch, keineKnochen. Stattdessen Kunststoff, stählerneElemente und mechanische Bauteile, die aus derKörperhöhle hervorquollen.

Der Mann war ein Roboter!

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Er war völlig anders als die arkonidischen Roboter,die Rhodan bisher gesehen hatte. Ohne diesegrässlich klaffende Wunde wäre ihm derUnterschied nie aufgefallen.

»Woher kommen Sie?«, fragte Perry.

»Unwichtig.« Die Stimme wurde kratzig, sieschwankte. »Müssen zu ihm ...«

Rhodan glaubte, wachsendes Entsetzen in denAugen des Sterbenden ... des Roboters zuerkennen. Rico wollte etwas sagen, doch erschaffte es nicht.

»K... Kuppel«, stieß er endlich aus.

»Was für eine Kuppel?«

Ein Zittern durchlief den Roboter. Auch dasunterschied ihn kaum von einem Menschen ausFleisch und Blut. Rico starb.

Grelle Glut brach aus dem Körper hervor. Offenbarwaren Ricos Energiespeicher beschädigt worden

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oder überlastet. Die Glut verzehrte ihn von innenheraus, sprang auf seine Körperhülle über und ließihn auseinanderbrechen.

Rhodan wich zurück. Erst jetzt wurde ihm bewusst,dass Clifford Monterny ihn spöttisch grinsendanstarrte. Doch dieses Grinsen wurde zurGrimasse. Funken sprühten in Rhodansunmittelbarer Nähe. Zwei Menschen erschienenaus dem Nichts.

Tatjana Michalowna schaute nur kurz auf, alsKakuta materialisierte. Er musste nichts sagen, sieerkannte an seinen Gedanken, dass es so weitwar. Monterny hatte entsprechende Anweisungenerteilt.

»Clifford braucht dich«, murmelte Tatjana miteinem nachdenklichen Blick auf die hünenhafteGestalt auf der Liege. Der Mann war zwei Metergroß, sein dunkles Haar klebte schweißnass amKopf. Schon seit Stunden war er unruhig, ohne

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jedoch aufzuwachen.

Tatjana öffnete eine Kühlbox und entnahm ihr diemarkierte Ampulle. Ohne zu zögern, zog sie dieSpritze auf und drückte die Luft und ein paarTropfen der trüben Flüssigkeit aus der Kanüle.Haggard und Manoli hatten das Medikamentempfohlen.

Mit einem kräftigen Stich setzte sie die Spritze an,warf danach alles in den Abfalleimer.

Als Telepathin nahm sie die ersten Regungen deserwachenden Bewusstseins wahr. CliffordMonterny hatte Iwan Goratschin suggestiv aufeinen solchen Einsatz vorbereitet, hatte seinegesamte Gabe der Suggestion eingesetzt. DerSoldat Goratschin war im Krieg gewesen, inAfghanistan, als eine Verletzung ihn ins Komagerissen hatte. Er war auf Abwehr eingestellt,darauf, mit aller Kraft gegen den Feindzurückzuschlagen ...

Der Raum, in dem das Krankenbett und die

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notwendige Ausrüstung untergebracht waren,erinnerte an eine Sternwarte. Sobald die hoheKuppel geöffnet wurde, war der Blick hinauf in denHimmel frei.

Tatjana betätigte die Sensorschalter für dieKuppelmotoren. Ein leises Schaben erklang, alsdie Hydraulik ansprang. Im Zenit der Kuppelentstand ein schmaler Spalt, wurde rasch größerund gab den Blick frei auf einen tiefblauen und vonWattebäuschen durchsetzten Himmel.

Im Sonnenlicht schimmerte eine stählerne Kugel:das Raumschiff der Arkoniden.

Tatjana hatte den Eindruck, dass sie nur die Handauszustrecken bräuchte, um danach zu greifen.Aber das Schiff, das von der hellen Aura einesSchutzschirms umgeben war, stand mehrereHundert Meter über ihr.

Iwan Goratschin erwachte aus dem Koma. Ererinnerte sich seines Auftrags. Tatjana las es inseinen Gedanken.

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Goratschin konzentrierte seinen Geist auf dieKugel ...

Roster Deegan war so gestorben, wie er gelebthatte: impulsiv, aggressiv und rücksichtslos. AlsTelekinet hatte er sich allen anderen überlegengefühlt. Eines Tages, das wusste Monterny, wäreDeegan in seiner Selbstgefälligkeit weit über alleGrenzen hinausgeschossen. Ihn jetzt schon zuverlieren, schmerzte allerdings.

Monterny schaute zu Rhodan und Bull hinüber. Mitihnen hatte er am wenigsten gerechnet. Rhodankniete neben dem Arkoniden und drehte ihn aufden Rücken. Der Mann war tot, davon warMonterny überzeugt.

Glutschimmer huschte über den geöffnetenKampfanzug. Monterny schaute genauer hin. Docherst, als Rhodan zurückwich, verstand er, was sichda abspielte. Ein Roboter. Es konnte nicht anderssein. Thora hatte eine Maschine geschickt, die

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Crest abholen sollte. Sie hatte die Falle gewittert.

Zwischen Monterny und Rhodan flimmerte die Luft.Funken wirbelten durcheinander ...

... und aus diesen Funken heraus materialisiertenzwei Gestalten. Eine von beiden kannte Monternynur zu gut.

»Sid!«, stieß er hervor. »Du kommst zu mirzurück?«

Der Junge hatte abgenommen, das fiel Clifford auf.Und das Mädchen, das bei ihm war, wirkte äußerstzerbrechlich, sein linker Arm endete in einemStumpf.

Es war schlimm. Wie oft hatte er Kinder mit solchenund anderen Verstümmelungen gesehen. Kinderohne Beine, ohne Arme. Es gab zu wenig Stellen,die diesen bedauernswerten Geschöpfen halfen.Jemand musste ihnen beistehen, den Schwachen,die sich nicht selbst helfen konnten. Wo mochteSid dieses Mädchen aufgefunden haben?

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Die Kleine musterte ihn interessiert. In ihrem Blicklagen Unsicherheit und Furcht. Vielleicht würde siein Fort Sunrise bleiben. Da Sid sie mitbrachte,verfügte sie wohl über besondere geistigeFähigkeiten. Sid war für Monterny von jeherbesonders gewesen. Außergewöhnlich begabt.Und ihm außergewöhnlich nah – bis Sid einesTages mit einem anderem Kind aus Camp Spectergeflohen war. Dabei hatten sie seinen alten FreundIvanhoe – Iwanowitsch Goratschin – umgebracht.Den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte. Derihm bewusst gemacht hatte, welches Geschenksein Traum eigentlich war ...

Ivanhoe war tot – und Sid trug die Schuld daran.

Sid, der nun unvermittelt vor ihm stand.

Er hielt eine Waffe in der Hand, sein Zeigefingerlag am Abzug. Monterny erkannte, dass es sich umeine chinesische Armeepistole handelte.

Clifford Monterny straffte sich, er hatte sein inneresGleichgewicht zurück. »Wie geht es dir, Sid?«,

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sagte er. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht,Junge. Du siehst mager aus.«

Nicht nur das. Richtig dürr war er geworden.

Lass die Waffe fallen und komm her zu mir! Bitte!

Der Junge blinzelte irritiert. Er schüttelte den Kopf,als müsse er ein lästiges Insekt vertreiben, das ihnumschwirrte. Monterny verstärkte den suggestivenDruck. Sid senkte den Kopf, hielt ihm wie ein zurAbwehr bereiter Stier die Stirn entgegen.

»Mir geht es gut«, antwortete der Junge. »Daranwirst du nichts ändern, Clifford.«

Monterny versuchte es erneut. Komm zu mir, meinJunge! Bitte! Leg die Waffe weg!

Sid hielt die Pistole in der Rechten. Mit der linkenHand wischte er sich fahrig über die Stirn.

»Ich freue mich«, sagte Monterny.

Seine Gedanken überschlugen sich. Da waren

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Rhodan und Bull, aber sie bedeuteten sicher nichtdie größte Gefahr. Sid schon eher, solange er dieWaffe schussbereit hielt. Die größte Gefahrschwebte jedoch über ihm. Thora hatte einenRoboter geschickt, also befand sie sich nach wievor in ihrem Raumschiff.

Ihm lief die Zeit davon. Er brauchte Crest und dasSchiff für die Unsterblichkeit. Wenn er Thora unddas Schiff hatte, konnte er Crest opfern.

Monterny ignorierte die auf ihn gerichtete Waffe.»Hör mir zu, Sid.« Er hob die Hände, zeigte demJungen, dass er nicht daran dachte, ihnanzugreifen. »Ich hatte dich immer gern, das weißtdu. Sag mir, was dir an mir nicht gefallen hat.«

Er ging, während er redete, auf Crest zu. DerPistolenlauf folgte ihm. Sid zeigte keine Regung,wie erstarrt stand er da.

Wirf die Pistole weg! Bitte! Es war vergeblich, Sidreagierte nicht auf die Beeinflussung.

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Mit einem letzten schnellen Schritt gelangteMonterny wieder hinter den Arkoniden. Er schalteteden Schutzschirm seines Anzugs ein, um Crestund sich selbst zu schützen. Das charakteristischeFlimmern baute sich auf ...

... und erlosch sofort wieder.

Monterny löste die Schaltung ein zweites Mal aus.Das Ergebnis war nicht anders.

Ein Defekt? Oder steckte Thora dahinter? Konntesie den Kampfanzug vom Raumschiff ausbeeinflussen? Aber dann hätte sie schon inWashington die Verfolgungsjagd bis zu der leerenLagerhalle schnell beenden können. Warum hattesie es nicht getan? Nein, es musste ein Defektsein.

Sid starrte ihn wütend an. Er hielt die Pistole jetztmit beiden Händen, um ruhiger zielen zu können.Trotzdem hatte er sichtlich Angst, Crest zu treffen.

»Wenn du unbedingt schießen willst, dann tu es

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endlich!«, sagte Monterny. Er straffte sich. Sidwürde nicht schießen. Er wusste es. »Du willstzeigen, was du kannst. Worauf wartest du? Wenndu mich hasst, dann bring mich um!«

Sid kniff das linke Auge zu. Mit dem rechten blickteer über den Lauf der Pistole hinweg ...

19.

Gestrandet in Fort Sunrise

Stille.

Clifford Monterny hatte den Eindruck, als hielte dieWelt den Atem an. Sogar die Zeit schienstillzustehen.

Sid zielte lange und genau. Der Junge zitterte nicht

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mehr, er wirkte jetzt eiskalt. Er ist keinKindersoldat! Er kann niemanden töten und dabeizusehen, dachte Monterny.

Lass die Waffe fallen, Junge! Bitte! Er versuchte eswieder. So erfolglos wie zuvor. Der Jungewiderstand seiner Suggestivgabe.

Ein Knistern und Prasseln drang aus der Höheherab. Ohne Sid aus den Augen zu lassen, hobMonterny den Blick.

Eine Feuerlohe umtoste Thoras Kugelraumschiff.

Iwan Goratschin! Er war aus dem Koma erwacht!

Das war Goratschins Werk: winzige nukleareExplosionen. Als Zünder hatte Iwan dieselbeverheerende Gabe, wie sie sein BruderIwanowitsch besessen hatte. Er ließ Kohlenstoff-und Kalziumatome miteinander reagieren, und dasSpektrum reichte von der winzigen Flamme bis hinzur schweren Explosion.

Iwans aus dem Koma zurückgeholter Geist tobte

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Iwans aus dem Koma zurückgeholter Geist tobtesich mit unvorstellbarer Kraft rings um dasRaumschiff aus.

Der Lärm wurde ohrenbetäubend. SchonAugenblicke später brach der Schutzschirmzusammen. Nur flackernd verwehendeEnergieschleier blieben – und die tobendenExplosionen, die auf den Schiffsrumpfübersprangen. Sekundenlang schien der Stahlaufzuglühen, dann war es vorbei.

Die Kugel taumelte.

Sekundenlang hatte es den Anschein, als würdesie aufsteigen und sich entfernen. Trotzdem sacktesie durch. Mehrere Triebwerke im Ringwulstzündeten, ihr schwacher Schub reichte nicht mehraus, um das Schiff zu stabilisieren.

Wie ein Stein fiel es ...

... wurde nach hundert Metern aufgefangen ...

... fiel weiter.

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Jeder starrte entgeistert in die Höhe. Monternyglaubte schon nicht mehr, dass es Thora gelingenwürde, das Schiff zu stabilisieren. Iwan Goratschinhatte nicht nur den Schutzschirm aufgebrochen,seine Fähigkeiten hatten offenbar schwereSchäden angerichtet.

Tako Kakuta war wieder da. Nachdem er Tatjanainformiert hatte, war er zurückgekommen und hatteversucht, sich um Deegan zu kümmern. DieErschütterung war ihm anzusehen; er hielt dentoten Telekineten unter den Armen gefasst, doch erteleportierte nicht mit ihm.

»Tako!«, rief Monterny. »Roster kannst du nichtmehr helfen, der Arkonide hat ihn umgebracht!Bring uns beide hier weg!«

Der Teleporter schaute ihn an, schüttelte zögerndden Kopf. »Das werde ich nicht tun«, sagte er leiseund deutete eine knappe Verneigung an. »Ichwerde anderswo dringender gebraucht.« Er ließ

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Deegans Leichnam wieder zu Boden sinken. »Lebwohl, Clifford!«

Entgeistert blickte Monterny auf die Stelle, wo derJapaner eben gestanden hatte. Tako Kakuta wargegangen – und er materialisierte keineswegsunmittelbar neben Monterny, um mit ihm inSicherheit zu springen. Er blieb einfach fort.

Ein Schatten huschte über die Landepiste. DerKugelraumer gewann noch einmal an Höhe. DasFauchen der Triebwerke tobte wie ein Feuersturm.Aber schon war wieder Stille. Die Kugel stürzte ab.

In der Sekunde riss Monterny seinen Strahler hoch.Es war ihm egal, ob Sids Kugel Crest tötete odernicht, er würde den Jungen auf jeden Fallerwischen.

Ein Schemen sprang ihn an. Dieses Produkt einesmutierten Geistes war nicht real, dennoch schluges seine Klauen wie ein gieriges Tier in MonternysFleisch. Clifford glaubte, ein urweltliches Brüllenzu hören, die Wucht der mentalen Bestie riss ihn

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fast von den Beinen ...

Gleichzeitig wühlte sich der Kugelraumer tief inden Boden. Ein Dröhnen und Krachen drang ausdem Untergrund herauf, Erschütterungen waren zuspüren.

Brüllend wälzte sich das Raubtier über Monterny.Er schrie, als mächtige Reißzähne nach ihmschnappten. Dieses Biest kam aus dem Nichtsheraus und war immateriell, dennoch spürteClifford die Zähne tief in sich. Sie veränderten ihn,ließen seine Zellen explosiv wuchern und dieAdern aufbrechen.

Schon nach Sekunden ließ die Bestie von ihm ab.Sie beäugte ihn und fletschte die Lefzen, aber siezog sich zurück. Winselnd und furchtsamschmiegte sie sich an das Mädchen, das Sidbegleitete. Gleich darauf erlosch sie.

Mit dem Rest seines schwindenden Bewusstseinserkannte Monterny die besondere Kraft desMädchens. Dieses Kind hatte das Leben in der

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Hand, konnte heilen und töten, wie es ihm beliebte.

Sein Herz verkrampfte sich. Es hörte auf zuschlagen.

Rico war tot!

Rhodan verdeckte zwar die optische Erfassung,trotzdem sah Thora die Glut aus dem Körper ihresBegleiters schlagen. Rico – kein Arkonide,sondern ein Roboter. Das erklärte einiges, warfaber viele neue Fragen auf.

Thora empfand Wut. Zorn. Sogar ein wenigEnttäuschung. Rico hatte an die Eingeborenen desdritten Planeten geglaubt, nun hatten sie ihngetötet.

Sie aktivierte die Feuerleitkontrollen. Freigabe füralle Geschütze. Was sie daran hinderte, dieStrahlengeschütze auszulösen, war Crest. Gleichdarauf war es zu spät. Eine Flammenwand standauf den Schirmen. Alarm heulte durch das Schiff,

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auf den Schirmen. Alarm heulte durch das Schiff,die Schirmfeldbelastung näherte sich schnell demkritischen Wert.

Angriff mit einer unbekannten Waffe.

Thora rief die Ortungsanzeigen auf. WederJagdflugzeuge der Eingeborenen noch einfremdes Raumschiff standen in der Nähe derTOSOMA IX. Trotzdem erreichte die Belastung desSchutzschirms die Warnmarke und überschritt sie.

Der Alarm wurde durchdringend.

Einen Augenblick später brach der Schutzschirmzusammen. Dutzende Warnmeldungen kamen vonder Außenhülle; die Erscheinung ähnelteschweren Strahltreffern.

Alle Rettungssysteme ausgefallen. Die Schleusenverriegelt. Das Schiff stürzte ab ...

... wurde von der Automatik stabilisiert.

Weitere Anzeigen fielen aus. Von denRingwulsttriebwerken zeigten nur wenige

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Bereitschaft. Der Antigrav setzte aus, stabilisiertesich wieder.

Abermals zündeten die Triebwerke – einvergeblicher Versuch der Automatik, dieSchräglage zu kompensieren.

Thora registrierte einen schwachen Lufthauch. Inderselben Sekunde stand einer der Barbaren vorihr. Ein schmächtiger Mann. Ihr fielen seinschwarzes Haar und die hohen Wangenknochenauf. Der Mann lächelte. Er streckte die Hand nachThora aus, umfasste ungefragt ihren Arm ...

... und als sie seine Hand abstreifen wollte, dastand sie in der Nähe des Flusses, den sie vorwenigen Augenblicken noch auf den Schirmengesehen hatte. Der Mensch nahm die Hand vonihrem Arm.

»Mein Name ist Tako Kakuta«, sagte er. »Sie sindThora? Ich habe viel von Ihnen gehört.«

Sie fragte sich, warum er sie gerettet hatte und vor

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allem, wie. Aber letztlich war die Antwortnebensächlich.

Sie sah die TOSOMA IX in der Nähe des Flussesaufschlagen. Das Beiboot wühlte sich tief in denbewachsenen Boden. Es schob einen Wall ausDreck und Schlamm vor sich her und war, als eszur Ruhe kam, tief eingesunken.

Erschütterungen, von dumpfem Grollen begleitet,durchliefen den Untergrund. Es klang, als wollesich der Boden öffnen und alles verschlingen.

Thora blickte hinüber zum Schiff. Erst allmählichwurde ihr bewusst, was es bedeutete, dass alleRettungssysteme ausgefallen waren: Sie hätte denAbsturz wahrscheinlich nicht überlebt.

Ohne das Schiff war sie auf der Erde gestrandet.Crest und sie würden von diesem Planeten nichtmehr wegkommen.

Thora lief los. Sie wollte hinüber zum Schiff. Dochnach wenigen Schritten hielt sie inne. Sie drehte

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sich um. Einsam stand der Mensch da, dem sievielleicht ihr Leben verdankte. Er hatte die Armevor dem Leib verschränkt und schaute ihr hinterher.In seinem Gesicht konnte sie keine Regungerkennen.

»Danke!«, sagte Thora. Es fiel ihr schwer.

Als er nicht reagierte, ging sie auf ihn zu undstreckte ihm die Hand entgegen, wie sie esmehrmals auf dieser Welt gesehen hatte. TakoKakuta ergriff ihre Hand.

»Ich habe es gern getan, Thora«, erwiderte er.»Nun weiß ich, wohin ich gehöre.«

Epilog

16. Juli 2036

Terrania

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Sie waren zurück in der Wüste. Noch vor wenigenWochen hätte keiner von ihnen erwartet, imBereich des Goshun-Salzsees Gebäude zu sehen,die wie Pilze aus dem Wüstenboden wuchsen. DieRoboter arbeiteten unermüdlich.

Dank des Teleporters Tako Kakuta war PerryRhodan, Reginald Bull, Crest und Thora die Fluchtvon Fort Sunrise gelungen. Der abgestürzteKugelraumer, die Explosion der PHÖNIX, dieReginald Bull schweren Herzens per Funkausgelöst hatte, hatten für ausreichend Ablenkunggesorgt. Ein von Homer G. Adams zur Verfügunggestelltes Privatflugzeug hatte auf einem nahenFlugfeld auf die Gefährten gewartet.

Perry Rhodan ließ seinen Blick über dieVersammelten schweifen. Sie waren nur einekleine Gruppe, aber sie hatten bewiesen, dass siezusammenhielten. Reginald Bull war anwesend.

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Ebenso Adams, der sich aus kleinsten Anfängenheraus ein finanzielles Imperium aufgebaut hatte,das seinesgleichen suchte.

Die Terranische Union startete ebenfalls klein.

Sie war eine Idee ... Eigentlich der Traum allerMenschen, dennoch nie realisierbar gewesen.Endlich gab es die Chance dafür und der Anfangwar gemacht.

Irgendwer hatte eine Flasche Champagneraufgetrieben. Bull ging herum, schenkte denAnwesenden ein.

Ras Tschubai, der schwarzhäutige Mann aus demSüdsudan, gehörte ebenso zu denGründungsmitgliedern wie der Teleporter TakoKakuta als Erbe der Fukushima-Katastrophe.Schon damals, nach dem gewaltigen Erdbebenund dem Tsunami in Japan, hatte sich die Weltverändert. Nun stand eine weit größereUmwälzung bevor.

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Lesly Pounder war über das Netz zugeschaltet; ersprach zugleich für Allan Mercant, der unerreichbarwar. Der ehemalige Agent war damit beschäftigt,Eric Manoli und Frank Haggard aus dem Land zuschmuggeln. Den beiden Ärzten war in der Panik,die Thoras Auftauchen am Supreme Courtausgelöst hatte, die Flucht gelungen. MercantsLeute, die überall zu sein schienen, hatten sieabgefangen und versteckten sie vor den Behörden.

John Marshall war da. Er stand mit Sid Gonzálezund Sue beisammen.

»General Bai Jun ist informiert«, sagte PerryRhodan. »Er hat seiner Freude Ausdruckverliehen, kann aber leider nicht anwesend sein.«

Bull zog die Brauen hoch. Er schwieg dazu.

Auch Thora und Crest fehlten. Der alte Arkonidewar geschwächt, die Ärzte hatten ihm strengeBettruhe auferlegt. Thora hatte sich entschieden,an seiner Seite zu wachen.

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»Immer sind es große Ideen, die den Tatenvorausgehen.« Rhodan deutete in die Runde. »DieZeit ist längst reif für die beste dieser Ideen, für dieVereinte Menschheit. Eine Erde ohne Grenzen undohne nationale Streitigkeiten. Eine Welt, in derweder Hautfarbe noch Religionszugehörigkeit überdas Zusammenleben entscheiden, sondernMenschlichkeit – die Welt der Terraner.«

Perry Rhodan hob sein Glas.

»Auf Terra und auf eine gute Zukunft!«

ENDE

Im Juli 2036 herrscht auf der Erde apokalyptischeEndzeitstimmung: Überall gehen die Menschen auf

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die Straße, denn sie befürchten nach demAuftauchen der Arkoniden das Ende der Welt. WillPerry Rhodan wirklich die Terranische Uniongründen, an die er so fest glaubt, muss er sichgegen die amerikanische Regierung und ihreMachenschaften durchsetzen.

Dazu benötigt er das alte arkonidische Beiboot, mitdem Thora von der Venus gekommen ist, und dieTrümmer des seltsamen Roboters namens Rico.Woher stammen diese mysteriösen Gerätschaften,die offensichtlich seit Jahrtausenden imSonnensystem waren? Und welche Geheimnisseverbirgt der Arkonide Crest vor den Menschen?

In dieser Situation trifft ein Notruf auf der Erde ein.Er stammt aus dem System der blauen SonneWega. Rhodan entschließt sich, dem Notruf zufolgen: Der erste interstellare Flug der Menschheitbeginnt ...

Der nächste Roman von PERRY RHODAN NEOeröffnet die zweite Staffel unserer Serie. Er wurdevon Frank Borsch geschrieben, dem Exposéautor

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der Serie, und kommt in zwei Wochen unterfolgendem Titel in den Handel:

RHODANS HOFFNUNG

Impressum

EPUB-Version: © 2012 Pabel-Moewig VerlagGmbH, PERRY RHODAN digital, Rastatt.

Chefredaktion: Klaus N. Frick.

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ISBN: 978-3-8453-3407-3

Originalausgabe: © Pabel-Moewig Verlag GmbH,Rastatt.

Internet: www.perry-rhodan.net und E-Mail:[email protected]

PERRY RHODAN – die Serie

Was ist eigentlich PERRY RHODAN?

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PERRY RHODAN ist die größte Science-Fiction-Serie der Welt: Seit 1961 erscheint jede Woche einHeftroman. Alle diese Romane schildern eineFortsetzungsgeschichte, die bis in die ferneZukunft reicht.

Daneben gibt es gebundene Ausgaben,Taschenbücher, Sonderhefte, Comics,Computerspiele, Hörbücher, Hörspiele, E-Booksund zahlreiche weitere Sammelartikel. Die Weltvon PERRY RHODAN ist gigantisch, und in ihrfinden sich zahlreiche Facetten.

Und was ist dann PERRY RHODAN NEO?

PERRY RHODAN NEO ist ein neuer Anfang fürdie PERRY RHODAN-Geschichte: Die Ideen undVorstellungen, die 1961 brandaktuell waren,werden aufgegriffen und in eine andere Handlungverpackt, die im Jahr 2036 spielt. Der MythosPERRY RHODAN wird somit im aktuellen Lichtdes Jahres 2011 auf neue Weise interpretiert.

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Die besten deutschsprachigen Science-Fiction-Autoren arbeiten an diesem neuen Mythos – inihren Romanen beginnt die Zukunft von vorn.

Wer ist eigentlich Perry Rhodan?

Perry Rhodan war ein amerikanischer Astronaut.Mit seiner Rakete STARDUST startete er zumMond; mit an Bord war unter anderem sein besterFreund Reginald Bull. Die beiden trafen auf dieArkoniden Thora und Crest, zweimenschenähnliche Außerirdische, deren Techniksie übernahmen. Rhodan gründete die DritteMacht, einte mit Hilfe der Alien-Technik die Erde –und in der Folge stießen die Terraner gemeinsamins Universum vor.

Wie funktioniert die PERRY RHODAN-Serie?

Seit 1961 wird PERRY RHODAN nach einer

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Methode geschrieben, die sich bewährt hat: DieRomane werden von einem zehnköpfigenAutorenteam verfasst, das unter der Leitung einesChefautors steht. In Autorenkonferenzen wird dieHandlung festgelegt.

Neben den Heftromanen gibt es die sogenanntenSilberbände, in denen die klassischen Heftromanezu Hardcover-Bänden zusammengefasst werden.In den Taschenbuch-Reihen, die im Heyne-Verlagveröffentlicht werden, erscheinen neue Abenteuermit Perry Rhodan und seinen Gefährten.

Übrigens PERRY RHODAN gibt es auch in Formvon Hörbüchern: www.einsamedien.de

Wo bekomme ich weitere Informationen?

Per Internet geht's am schnellsten: www.perry-rhodan.net liefert alles Wissenswerte.

Und wer ein Infopaket per Post haben möchte,sende bitte 1,45 Euro an:

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sende bitte 1,45 Euro an:

PERRY RHODAN-Redaktion, Postfach 23 52,76431 Rastatt.

Das große PERRY RHODAN-Lexikon online – diePerrypedia: www.perrypedia.proc.org.