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Die verhinderten Möglichkeiten der Geldpolitik Wolfgang Edelmüller Die Europäische Zentralbank (EZB) wurde nach dem Vorbild der Deut- schen Bundesbank (DB) konstituiert, sodass die Geldpolitik von Anbeginn monetaristischen Selbstbeschränkungen ausgesetzt war. Erst die bedroh- lichen Folgen der Eurokrise haben die EZB-Geldpolitik für pragmatische Lösungen geöffnet, die gleichwohl gegen den Widerstand der „DB-Falken“ und ihrer lautstarken Verbündeten um den Preis abschwächender Kom- promisse durchgesetzt werden mussten. Dadurch bleibt die geldpolitische Effektivität der EZB weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Ein ganz be- zeichnendes Beispiel ist das laufende „Quantitative Easing“ (QE), das über eine gezielte Erweiterung der Geldbasis den Deflationstendenzen in der Eurozone entgegenwirken soll, aber mangels fiskalpolitischer Koordi- nation nur eingeschränkt wirksam ist. In der nachfolgenden Abhandlung soll auf einer theoretisch fundierten Grundlage gezeigt werden, wie die EZB durch eine sachlogisch konsistente Bilanzierung der Geldbasis ihren pragmatischen Handlungsspielraum deutlich erweitern und die Wirksam- keit ihrer geldpolitischen Maßnahmen signifikant steigern könnte. 1. Ursprung und Zusammensetzung der Geldbasis In einem modernen Geldsystem 1 ist der Unternehmensgegenstand der Zentralbank die Herstellung und Verwaltung der Geldbasis. Die Geldbasis umfasst die Menge des im Umlauf befindlichen Zentralbankgeldes. Das Zentralbankgeld wird in jener monetären Recheneinheit denominiert, die vom Staat durch Festlegung von Geldzeichen und Mengenmaß für alle gültigen Zahlungsmittel in seinem Hoheitsgebiet gesetzlich verfügt wird. 2 Die Zentralbank ist daher das staatliche Geldinstitut, 3 das mit der Aus- übung des souveränen Geldmonopols beauftragt ist, indem es für die Emission der Geldbasis in Einheiten des gesetzlichen Zahlungsmittels sorgt. Die Geldbasis wird in zwei Formen von Zentralbankgeld hergestellt, nämlich in Form von Geldmünzen (Scheidemünzen) und Banknoten sowie in Form von Guthaben der Geschäftsbanken 4 bei der Zentralbank. Die Summe aus den umlaufenden Beständen von Geldmünzen, Bankno- 257 42. Jahrgang (2016), Heft 2 Wirtschaft und Gesellschaft

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Die verhinderten Möglichkeitender Geldpolitik

Wolfgang Edelmüller

Die Europäische Zentralbank (EZB) wurde nach dem Vorbild der Deut-schen Bundesbank (DB) konstituiert, sodass die Geldpolitik von Anbeginnmonetaristischen Selbstbeschränkungen ausgesetzt war. Erst die bedroh-lichen Folgen der Eurokrise haben die EZB-Geldpolitik für pragmatischeLösungen geöffnet, die gleichwohl gegen den Widerstand der „DB-Falken“und ihrer lautstarken Verbündeten um den Preis abschwächender Kom-promisse durchgesetzt werden mussten. Dadurch bleibt die geldpolitischeEffektivität der EZB weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Ein ganz be-zeichnendes Beispiel ist das laufende „Quantitative Easing“ (QE), dasüber eine gezielte Erweiterung der Geldbasis den Deflationstendenzen inder Eurozone entgegenwirken soll, aber mangels fiskalpolitischer Koordi-nation nur eingeschränkt wirksam ist. In der nachfolgenden Abhandlungsoll auf einer theoretisch fundierten Grundlage gezeigt werden, wie dieEZB durch eine sachlogisch konsistente Bilanzierung der Geldbasis ihrenpragmatischen Handlungsspielraum deutlich erweitern und die Wirksam-keit ihrer geldpolitischen Maßnahmen signifikant steigern könnte.

1. Ursprung und Zusammensetzung der Geldbasis

In einem modernen Geldsystem1 ist der Unternehmensgegenstand derZentralbank die Herstellung und Verwaltung der Geldbasis. Die Geldbasisumfasst die Menge des im Umlauf befindlichen Zentralbankgeldes. DasZentralbankgeld wird in jener monetären Recheneinheit denominiert, dievom Staat durch Festlegung von Geldzeichen und Mengenmaß für allegültigen Zahlungsmittel in seinem Hoheitsgebiet gesetzlich verfügt wird.2Die Zentralbank ist daher das staatliche Geldinstitut,3 das mit der Aus-übung des souveränen Geldmonopols beauftragt ist, indem es für dieEmission der Geldbasis in Einheiten des gesetzlichen Zahlungsmittelssorgt. Die Geldbasis wird in zwei Formen von Zentralbankgeld hergestellt,nämlich in Form von Geldmünzen (Scheidemünzen) und Banknotensowie in Form von Guthaben der Geschäftsbanken4 bei der Zentralbank.Die Summe aus den umlaufenden Beständen von Geldmünzen, Bankno-

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ten und Zentralbankguthaben ergibt die Geldbasis. Die Herstellung derGeldbasis erfolgt ausschließlich im Wirkungsbereich der Zentralbankdurch Prägung von Geldmünzen in der bankeigenen Münzanstalt,5 durchden Druck von Banknoten in der bankeigenen Druckerei und durch Gut-schriften auf den Konten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. DerHerstellungsaufwand der Zentralbank für die Geldbasis beschränkt sichauf den die Vollkosten erfassenden Betriebsaufwand für die Münzanstalt,die Banknotendruckerei und die Kontenverwaltung, während die Mengeder erzeugten Geldeinheiten den nominellen Wertumfang des zirkulieren-den Zentralbankgeldes (Geldbasis) repräsentiert.

Die zirkulierende Zentralbankgeldmenge wird gehalten (i) von den Nicht-banken (Haushalte, Unternehmen und staatliche Einrichtungen) in Formvon Geldmünzen und Banknoten in den Portemonnaies von Privatperso-nen, in den Handkassen von Unternehmen (Produktions-, Handels- undDienstleistungsunternehmen sowie Nichtbanken-Finanzinstitute) und inden Kassastellen der staatlichen Einrichtungen sowie (ii) von den Ge-schäftsbanken als Bargeldbestände (Geldmünzen und Banknoten) in denBanktresoren und als Guthaben auf den Konten der Zentralbank.6 Dieunter (ii) bezeichnete Summe aus Bargeldbeständen und Zentralbankgut-haben repräsentiert die Zentralbankreserve der Geschäftsbanken. DieGeldbasis ergibt sich daher aus der Summe des Bargeldbestandes in derHand des Privatsektors und der staatlichen Einrichtungen und der Zentral-bankreserve in der Hand des Geschäftsbankensektors.

Die Zentralbankreserve als jener Teil der Geldbasis, der sich in der Ver-fügung der Geschäftsbanken befindet, ist die monetäre Grundlage für dendualen Charakter eines modernen Geldsystems, das sich auf zwei unter-schiedliche Arten von Geld stützt, nämlich auf das oben beschriebeneZentralbankgeld als Geldbasis und auf das Giralgeld (Buchgeld) der Ge-schäftsbanken.7 Das Giralgeld wird von den Geschäftsbanken in der De-nominierung des gesetzlichen Zahlungsmittels hergestellt, vom Privatsek-tor und den staatlichen Einrichtungen in Form von Sicht- und Termineinla-gen auf Girokonten der Geschäftsbanken gehalten und beinhaltet einedoppelte Verpflichtung der Geschäftsbanken, nämlich die jederzeitigeVerwendbarkeit der Guthaben auf den Girokonten als bargeldloses Zah-lungsmittel und die jederzeitige Verfügbarkeit dieser Guthaben in Formvon Bargeld. Beide Versprechen sind nur mit Hilfe der von der Zentralbankhergestellten Geldbasis erfüllbar.

Die Guthaben des Privatsektors und der staatlichen Einrichtungen aufden Girokonten sind eine echte Verbindlichkeit der Geschäftsbanken,denn diese Guthaben erhalten ihren Geldcharakter analog der Geldbasis(Zentralbankgeld) nur durch den Umstand, dass sie auf jederzeitige An-weisung der Girokonteninhaber als Zahlungsmittel im Zahlungsverkehrder Geschäftsbanken mit schuldbefreiender Erfüllungswirkung verwendet

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und/oder auf jederzeitiges Verlangen der Girokonteninhaber in Form vonBargeld an den Kassenschaltern8 der Geschäftsbanken ausgezahlt wer-den können. Eine Geschäftsbank kann diesen Guthabensanspruch derGirokonteninhaber nur erfüllen, wenn eine ausreichende Zentralbankre-serve (Bargeld und Zentralbankguthaben) vorgehalten wird, um den mo-netären Verfügungsanweisungen der Girokonteninhaber über ihre Konto-guthaben (Überweisungsauftrag und/oder Bargeldauszahlung) jederzeitentsprechen zu können. Da sich das souveräne Herstellungsmonopolüber die Geldbasis aber in der Hand der Zentralbank befindet und die Ge-schäftsbanken erst die Voraussetzungen erfüllen müssen, um über eineausreichende Zentralbankreserve zu verfügen, verbleibt das monetäre Er-füllungsrisiko (Verfügung als Bargeld und/oder als bargeldloses Zahlungs-mittel) aus den Guthaben auf ihren Girokonten als Forderungsrisiko derGeschäftsbanken bei den Girokonteninhabern des Privatsektors und derstaatlichen Einrichtungen. Bilanzierungstechnisch werden daher die Gut-haben der Girokonteninhaber in den Geschäftsbanken auf der Passivseiteim Kontohaben als Verbindlichkeit (Verpflichtung) geführt, die es in Formvon Überweisungsaufträgen oder Bargeldanweisungen jederzeit zu erfül-len gilt. Korrespondierend werden dieselben Guthaben in den Büchern derGirokonteninhaber des Privatsektors und der staatlichen Einrichtungenauf der Aktivseite im Kontosoll als Forderungen (Vermögen) ausgewie-sen, die durch Überweisungsauftrag oder Bargeldbehebung jederzeit mo-bilisiert (monetisiert) werden können. Dem passiven Verpflichtungsaus-weis der Geschäftsbanken steht der aktive Forderungsausweis desPrivatsektors und der staatlichen Einrichtungen gegenüber. Das ergibteine sachlogisch konsistente Abbildung im Rahmen der Bestimmungengängiger Bilanzierungsregeln,9 denn die Mobilisierung der Guthaben aufden Girokonten zur Verwendung als Zahlungsmittel (Überweisungsdurch-führung oder Bargeldauszahlung) setzt den ausreichenden Zugriff der Ge-schäftsbanken auf die Geldbasis (Zentralbankgeld in Form von Zentral-bankguthaben und/oder Geldmünzen und Banknoten im bankeigenenTresor) voraus, deren Herstellung dem souveränen Geldmonopol derZentralbank vorbehalten ist.

2. Die Monetisierung des Giralgeldes durch die Geldbasis

Der Ausgleich („Settlement“) der im Zuge des „Clearing“ festgestelltengegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten im bargeldlosen Zah-lungsverkehr der Geschäftsbanken (Durchführung von Überweisungenfür Zahlungszwecke der Nichtbanken) erfolgt über die jeweiligen Zentral-bankguthaben.10 Ein isoliert betrachteter Überweisungsauftrag aus demNichtbankensektor (Privatsektor und staatliche Einrichtungen) von einem

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Girokonto bei einer Geschäftsbank (Bank A) auf das Girokonto bei eineranderen Geschäftsbank (Bank B) bewirkt in der Bank A eine Bilanzverkür-zung durch jeweils betragsgleiche Lastschriften auf das Guthaben des Gi-rokontos (Minderung des Habensaldos durch Sollbuchung) und auf dasGuthaben des Reservekontos bei der Zentralbank (Minderung des Soll-saldos durch Habenbuchung), das auf einem aktiven Bestandskonto (For-derungskonto) in der Bilanz der Bank A ausgewiesen ist. Korrespondie-rend erfolgt in der Bilanz der Zentralbank ein bilanzsummenneutralerPassivtausch zwischen den Zentralbankguthaben der Bank A und derBank B, die jeweils als Verbindlichkeiten (passive Habensalden) der Zen-tralbank an die Banken A und B ausgewiesen sind, indem das Zentral-bankguthaben der Bank A mit dem Überweisungsbetrag belastet (Minde-rung des Habensaldos durch Sollbuchung) und das Zentralbankguthabender Bank B mit dem Überweisungsbetrag erkannt wird (Erhöhung des Ha-bensaldos durch Habenbuchung). Abgeschlossen wird der Überwei-sungsvorgang in der Bilanz der Bank B durch Gutschrift des Überwei-sungsbetrags auf dem Reservekonto bei der Zentralbank (Erhöhung desSollsaldos durch Sollbuchung) und auf dem Girokonto des Zahlungsem-pfängers (Erhöhung des Habensaldos durch Habenbuchung), wodurch eszu einer Bilanzverlängerung bei der Bank B kommt. Saldenmechanisch istsomit das Guthaben auf dem Girokonto des Überweisungsauftraggebersin der Bank A um den Überweisungsbetrag gesunken und das Guthabenauf dem Girokonto des Überweisungsempfängers in der Bank B um denÜberweisungsbetrag gestiegen. Durch das korrespondierende Settlementüber die Zentralbankreserven der beiden Banken entspricht die Bilanzver-kürzung bei der Bank A der Bilanzverlängerung bei der Bank B. Erst überdie Zahlungsverwendung der Zentralbankreserven im Settlement der be-teiligten Banken wird deren bargeldloses Giralgeld als Zahlungsmittel zurschuldbefreienden Tilgung von Verbindlichkeit des Nichtbankensektorsmonetisiert.

Im Barzahlungsfall kann jeder dem Nichtbankensektor zugehörige Inha-ber eines Girokontos sein darauf befindliches Guthaben am Kassenschal-ter der Geschäftsbank in Form von Geldmünzen und Banknoten behebenund für Zahlungszwecke im Wege von Barauslagen verwenden. Damit be-kommt der über ein Girokontoguthaben verfügende Kontoinhaber das ei-gentliche Zentralbankgeld, nämlich die Geldmünzen und Banknoten derZentralbank, in die Hand, die als gesetzliches Zahlungsmittel unter Annah-mezwang zur schuldbefreienden Begleichung jedweder Verbindlichkeitsteht. Analog zum obigen Beispiel führt die Barbehebung von einem Giro-konto der Bank A zu einer Verringerung des Guthabens (Reduktion despassiven Habensaldos durch Sollbuchung) im Ausmaß des Bargeldbetra-ges (Mengenumfang der behobenen Geldmünzen und Banknoten), deraus dem Tresor der Bank A, wo die Barreserve verwahrt ist, physisch ent-

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nommen und am Kassenschalter (oder Bankomat) ausgezahlt wird. DieBarreserve ist Teil der Zentralbankreserve und wird auf einem aktiven Be-standskonto (Kassakonto) der Geschäftsbank aufgezeichnet. Bei Barbe-hebung vom Guthaben eines Girokontos wird daher die Barreserve imAusmaß des aus dem Tresor in Form von Geldmünzen und Banknotenentnommenen Auszahlungsbetrages verringert (Reduktion des aktivenSollsaldos durch Habenbuchung). Der Zahlungsempfänger aus einer Bar-zahlung, die mit dem bei der Bank A behobenen Bargeld durchgeführtwird, kann die entgegengenommenen Geldmünzen und Banknoten überden Kassenschalter bei der Bank B auf sein Girokonto einzahlen,11 derBareinzahlungsbetrag erhöht das Guthaben auf seinem Girokonto (An-stieg des passiven Habensaldos durch Habenbuchung). Die entgegenge-nommen Geldmünzen und Banknoten werden in den Banktresor physischeingeliefert und erhöhen die Barreserve der Bank B, das aktive Bestands-konto für die Barreserve wird im Ausmaß des Einzahlungsbetrages dotiert(Anstieg des aktiven Sollsaldos durch Sollbuchung). Saldenmechanischentspricht die Bilanzverkürzung der Bank A der Bilanzverlängerung derBank B, das Settlement bei Barzahlung erfolgt über die Barreserven derbeiden Banken, die eine Monetisierung des bargeldlosen Giralgeldes alsBarzahlungsmittel erst ermöglichen.

Aus der vereinfachten Transaktionsstruktur der obigen Zahlungsver-kehrsbeispiele (bargeldlose Überweisungsdurchführung und Bargeldaus-zahlung für Barzahlungszwecke) wird der duale Charakter eines moder-nen Geldsystems an folgenden Merkmalen sichtbar: (i) das eigentlicheZahlungsmittel sind die von der Zentralbank hergestellten Geldmünzenund Banknoten, nur sie können ohne Vorbedingung zur Begleichung vonVerbindlichkeiten (schuldbefreiende Tilgung) verwendet werden; (ii) dasvon den Geschäftsbanken hergestellte Giralgeld (Guthaben auf Girokon-ten in Form von Sicht- und Termineinlagen) erhält nur in operativer Verbin-dung mit der Zentralbankreserve der Geschäftsbanken Zahlungsmittel-charakter, weil das dem Clearing folgende Settlement im bargeldlosenZahlungsverkehr nur über die Zentralbankguthaben der Geschäftsbankenund weil die Versorgung des Nichtbankensektors mit Bargeld für den Bar-zahlungsverkehr und die Kassenhaltung nur über die Barreserven der Ge-schäftsbanken erfolgen kann; (iii) das Zahlungsmittel im bargeldlosenZahlungsverkehr zwischen den Geschäftsbanken ist Zentralbankgeldausschließlich in Form von Zentralbankguthaben, die bei der Zentralbankgehalten werden, das Zahlungsmittel im Barzahlungsverkehr des Nicht-bankensektors ist Zentralbankgeld ausschließlich in Form von Geldmün-zen und Banknoten, die aus der Barreserve der Geschäftsbanken zur Ver-fügung gestellt werden; (iv) der Barreservebedarf der Geschäftsbankenwird durch physische Belieferung der Geschäftsbanken mit Geldmünzenund Banknoten durch die herstellende Zentralbank zu Lasten der Zentral-

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bankguthaben gedeckt, Barreserve und Zentralbankguthaben sind diekommunizierenden Gefäße der Zentralbankreserve der Geschäftsban-ken, theoretisch (und praktisch bei einem Sturm auf die Banken) kann dieVollauszahlung der Zentralbankguthaben in Form von Geldmünzen undBanknoten in die Barreserven erfolgen, die Zentralbankreserve entsprichtdann der Barreserve; (v) der Bargeldbedarf des Nichtbankensektors wirdentsprechend den Gewohnheiten der Kassenhaltung und des Barzah-lungsverkehrs zwar von den Geschäftsbanken durch Barbehebungen vonGuthaben auf den Girokonten zu Lasten der Barreserve gedeckt, die Be-lieferungskette hat aber ihren Ursprung in der Münzanstalt und Bankno-tendruckerei der Zentralbank, die bei Bedarf zu Lasten der Zentralbank-guthaben die Barreserven der Geschäftsbanken dotiert.

3. Die sachlogisch inkonsistente Bilanzierung der Geldbasis

Die Monetisierung des Giralgeldes der Geschäftsbanken als Zahlungs-mittel ist – wie oben gezeigt – in einem dualen Geldsystems nur durch Ver-fügung über Zentralbankgeld in Form von Zentralbankguthaben und Bar-reserven (zusammen Zentralbankreserven) in der Hand von Geschäfts-banken möglich. Die Zentralbankreserven unterscheiden sich nur in ihrerintrinsischen Form, einmal als Buchgeld in Form von Zentralbankgutha-ben und einmal als Bargeld (Geldmünzen und Banknoten) in Form vonBarreserven. Das Buchgeld der Zentralbankguthaben kann jederzeit aufAnforderung der Geschäftsbanken durch Aktivierung der Münzanstalt undder Banknotendruckerei der Zentralbank in Bargeld verwandelt und alsBarreserven zur Verwahrung in den Banktresoren eingeliefert werden.Umgekehrt kann der nicht benötigte Bargeldüberschuss der Geschäfts-banken zu Lasten der Barreserven aus der Verwahrung der Banktresorebei der Zentralbank abgeliefert werden.12 Bilanzierungstechnisch mani-festiert sich die intrinsische Formwandlung der Zentralbankreserven durchkomplementäre Saldenbewegungen auf den Barreserve- und Zentral-bankreservekonten in den Büchern der Geschäftsbanken und auf denZentralbankguthabenskonten und Bargeldumlaufkonten in den Büchernder Zentralbank. Die Barreserven der Geschäftsbanken stellen liquidesVermögen in reinster Form dar, frei von jeglichem Zahlungsrisiko, weil sieselbst gesetzliches Zahlungsmittel sind. Der liquide Vermögenscharakterergibt sich aus der Wertaufbewahrungsfunktion des gesetzlichen Zah-lungsmittels, dessen Kaufkraft jederzeit durch Präsentation von Bargeld(Geldmünzen und Banknoten) zum Erwerb von Gütern und Dienstleistun-gen und zur schuldbefreienden Tilgung von Verbindlichkeiten wirtschaft-lich aktiviert werden kann. Folgerichtig werden die Barreserven in den Bi-lanzen der Geschäftsbanken sachlogisch konsistent auf forderungsrisiko-

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freien Kassakonten (aktiven Vermögensbestandskonten) ausgewiesen,analog zu den Bargeldbeständen in den Büchern des Nichtbankensek-tors.13 Zentralbankreserven in Form von Zentralbankguthaben werdenhingegen bei den Geschäftsbanken auf aktiven Forderungskonten imKontosoll ausgewiesen und bei der Zentralbank auf passiven Verbindlich-keitskonten im Kontohaben. Dadurch entsteht der Eindruck, dass die Ge-schäftsbanken ein Risiko bei der Mobilisierung von Forderungen (Ver-wandlung in Bargeld) gegen die Zentralbank aus Zentralbankguthaben(Forderungsrisiko) und die Zentralbank Verpflichtungen (Bereitstellungvon Bargeld) aus den Gutschriften auf den Zentralbankkonten der Ge-schäftsbanken (Erfüllungsrisiko) haben. Das ist aber nicht der Fall, denndie Zentralbank schuldet den Geschäftsbanken aus den Zentralbankgut-haben nichts und die Geschäftsbanken haben aus den Zentralbankgutha-ben nichts zu fordern, was sie nicht ohnehin schon haben, außer dass siedie intrinsische Form ihrer Zentralbankreserven gemäß den durch dieZahlungsverkehrs- und Kassenhaltungsgewohnheiten des Nichtbanken-sektors determinierten Barreservebedarf frei wählen können. Die bedarfs-gerechte Formwandlung der Zentralbankreserven garantiert die Zentral-bank durch ihre Herstellungskapazitäten in der Münzanstalt und der Bank-notendruckerei, die sie mit Ausnahme von höherer Gewalt (physische Zer-störung oder politische Willkür) jederzeit aktivieren kann. Die Bilanzie-rungspraxis für die den Buchgeldteil erfassenden Zentralbankreserven(Zentralbankguthaben) als Forderungen und Verbindlichkeiten mit Mobili-sierungs- und Erfüllungsrisiko ist daher sachlogisch inkonsistent, denn dieVerfügung über gesetzliche Zahlungsmittel, die jederzeit in ihre jeweils be-nötigte Verkehrsform gewandelt und rückgewandelt werden können, ist ri-sikofreie Eigenliquidität.

Einer der Gründe für diese sachlogisch inkonsistente Bilanzierungspra-xis besteht vermutlich in der Beibehaltung der buchmäßigen Erfassungdes Zentralbankgeldes aus der geschichtlichen Phase der physischenEdelmetalldeckung des Zentralbankgeldes („Goldstandard“), als die Inha-ber von Zentralbankgeld in Form von Geldmünzen, Banknoten und Zen-tralbankguthaben einen verbrieften Forderungsanspruch auf den Dec-kungsstock des Zentralbankgeldes in Form des Goldschatzes (bzw.Edelmetallschatzes) der Zentralbank hatten. In der Urform des Goldstan-dards, dessen Edelmetalldeckung aber im Laufe seiner Geschichte durchVerwässerung der Deckungsquote sukzessive aufgeweicht wurde, konn-ten daher die Banknoten von ihren Inhabern zur Einlösung in Form einesäquivalenten Gold- oder Edelmetallquantums bei der Zentralbank präsen-tiert werden. Diese Möglichkeit gibt es in modernen Geldsystemen nicht(mehr), selbst wenn die Zentralbank neben anderen Vermögensartenauch über einen Edelmetallschatz verfügt. Das Zentralbankgeld (Geld-münzen, Banknoten und Zentralbankguthaben, zusammen die Geldbasis)

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wird zwar in den IOUs (phonetisch „I owe you“: „Ich schulde dir“) des ge-setzlichen Zahlungsmittels emittiert und vermittelt daher den äußeren An-schein eines verbrieften Durchgriffs auf das Vermögen der Zentralbank,die Emission erfolgt jedoch unter der Bedingung, dass das Zentralbank-geld nur in sich selbst eingelöst werden kann (Konvertibilitätsausschluss).Die Mobilisierung der Zentralbankreserven in Form von Zentralbankgutha-ben ist daher auf die risikofreie Formwandlung in Barreserven beschränkt.Vor diesem Hintergrund wäre eine sachlogisch konsistente Bilanzierungder gesamten Zentralbankreserve analog der Barreserve (Kassakonten)auf forderungsrisikofreien, aktiven Bestandskonten der Geschäftsbanken(kassakontenähnliche Reservekonten) und auf den Eigenkapitalkontender Zentralbank angemessen, was getrennte Systeme der Bilanzierungund des Clearing samt Settlement des Zentralbankgeldumlaufes erfordert.Es wird im Folgenden gezeigt, dass der wesentlichere Grund für die Bei-behaltung der überkommenen und sachlogisch inkonsistenten Bilanzie-rungspraxis für den Zentralbankgeldumlauf die Vermeidung von Geld-schöpfungsgewinnen der Zentralbank ist.

4. Die Vermeidung des Geldschöpfungsgewinnsin der Zentralbankbilanz

In einem modernen Geldsystem erfolgt die Geldschöpfung „aus demNichts“.14 Das betrifft sowohl die Herstellung des Zentralbankgeldes inForm der Geldbasis durch die Zentralbank als auch die Herstellung desGiralgeldes durch die Geschäftsbanken. Der Unterschied besteht aller-dings darin, dass die Verwendung des Giralgeldes als Zahlungsmittel –wie oben gezeigt – erst durch Monetisierung mit Hilfe der Geldbasis er-möglicht wird. Diese duale Geldhierarchie macht das Zentralbankgeld zueinem „besonderen Stoff“, der nur von der Zentralbank als souveränemGeldmonopol hergestellt werden kann. Und die Zentralbank benötigt zurGeldschöpfung, also zur Herstellung des durch die zirkulierende Zentral-bankgeldmenge repräsentierten Wertumfangs der Geldbasis, nichts wei-ter als ein verlässlich verwaltetes Kontensystem, eine Münzanstalt zurPrägung von Geldmünzen und eine Spezialdruckerei zum fälschungssi-cheren Druck von Banknoten. Das „Nichts“, aus dem die Zentralbankgeld-schöpfung erfolgt, ergibt sich daher aus der Relation zwischen dem be-trieblichen Aufwand der Geldschöpfung und dem Wertumfang der herge-stellten und in Umlauf gesetzten Geldmenge (Münzen, Banknoten undZentralbankguthaben). Diese Wertdifferenz stellt den Geldschöpfungsge-winn der Zentralbank (monetäre Seigniorage)15 dar, den man in den Bü-chern der Zentralbanken infolge einer sachlogisch inkonsistenten Bilan-zierungspraxis vergeblich suchen wird. Und dies, obwohl in einem moder-

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nen Geldsystem am Ursprung des Zentralbankgeldumlaufs der erstmaligeZahlungsmitteleinsatz des Zentralbankgeldes im Wege von Vermögen-stransaktionen der Zentralbank mit den Geschäftsbanken steht. DennZentralbankgeld als Geldbasis wird in Umlauf gesetzt, indem die Zentral-bank Vermögen erwirbt und mit Zentralbankgeld bezahlt oder Kredite inder Denominierung des gesetzlichen Zahlungsmittels einräumt und dieKreditvaluta in Zentralbankgeld zuzählt. Die Zentralbank verordnet auf ge-setzlicher Grundlage das Regelwerk, unter dem diese Transaktionenstattfinden können. Dazu gehört u. a., dass Kredite der Zentralbank nur ankonzessionierte Geschäftsbanken, nicht aber an den Privatsektor undstaatliche Einrichtungen ausgereicht werden können und dass diese Aus-leihungen durch akzeptable Vermögenswerte in ausreichendem Umfangbesichert sein müssen. Unabhängig davon, ob die Zentralbank Kredite mitlombardfähigen Sicherheiten an Geschäftsbanken gewährt, Kostgeschäf-te auf repofähiger Wertpapierbasis abschließt, Fremdwährungen ankauftoder Staats-, Bank- und Firmenanleihen auf den einschlägigen Sekundär-märkten erwirbt, in diesen und allen anderen Vermögenstransaktionsfäl-len mit der Zentralbank werden die Transaktionen durch einfache Gut-schriften im Umfang der Transaktionswerte auf den Zentralbankkontender konzessionierten Geschäftsbanken geschlossen, womit Zentralbank-geld jeweils „mit einem Federstrich“ (einem Buchungssatz) oder „aus demNichts“ in der Verfügung der Geschäftsbanken (Zentralbankreserven) ge-schaffen wird.

Im einfachen Beispiel des Kaufs einer Staatsanleihe von einem Wertpa-pierfonds wird der Kaufpreis von der Zentralbank bezahlt, indem die Zen-tralbank die Anleihe zum Wert des Erwerbspreises (aktueller Börsenkurs)auf einem Vermögensbestandskonto aktiviert (Zuwachs des Sollsaldosauf einem Bestandskonto für Staatsanleihen durch Sollbuchung) undgleichzeitig das Zentralbankkonto der depotführenden Geschäftsbank desWertpapierfonds mit dem Betrag der fälligen Kaufpreisforderung erkennt(Erhöhung des Habensaldos auf dem Zentralbankreservekonto durchHabenbuchung) mit der Anweisung, dass die Geschäftsbank dem Wert-papierfonds den Kaufpreis der Anleihe auf seinem Girokonto gegen Über-tragung der erworbenen Staatsanleihe in das Depot der Zentralbank gut-bringt. Die Geschäftsbank vollzieht diesen Auftrag, indem sie den Anstiegihrer Zentralbankreserve um den Betrag des Kaufpreises der Anleihedurch Forderungserhöhung gegen die Zentralbank auf ihrem aktiven Re-servekonto ausweist (Erhöhung des Sollsaldos durch Sollbuchung) undbei gleichzeitigem Depotübertrag den Kaufpreis auf dem Girokonto desWertpapierfonds gutschreibt (Erhöhung des Habensaldos durch Haben-buchung). Die Geschäftsbank verfügt somit über die notwendige zusätzli-che Zentralbankreserve, um das neu hinzugekommene Guthaben aufdem Girokonto des Wertpapierfonds gemäß seinen Verfügungsanweisun-

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gen (bargeldloser Überweisungsauftrag oder Barauszahlung) als Zah-lungsmittel monetisieren zu können.

Es ist also evident, dass der Vermögenstransfer in Gestalt eines Staats-anleihenkaufs aus dem Privatsektor von der Zentralbank dank der Aus-übung des souveränen Geldmonopols „aus dem Nichts“, also mit dem Mi-nimalaufwand eines elektronischen Buchungssatzes aus Gutschrift aufdem Zentralbankkonto der depotführenden Geschäftsbank gegen Aktivie-rung auf einem Vermögensbestandskonto für Staatsanleihen finanziertwird. Und dennoch wird diese Finanzierung durch Zentralbankgeldschöp-fung „aus dem Nichts“ in den Büchern der Zentralbank als „Verbindlichkeit“mit Erfüllungsrisiko gegenüber der Geschäftsbank und in den Büchern derGeschäftsbank als „Forderung“ mit Mobilisierungsrisiko gegenüber derZentralbank ausgewiesen. Das ist sachlogisch nicht nachvollziehbar,denn eine Entität wie die Zentralbank, die dank ihres souveränen Geld-schöpfungsmonopols ohne nennenswerten Aufwand liquides Vermögenin der reinsten Wertaufbewahrungsform des Zentralbankgeldes (= Kauf-kraft) herstellen kann, schafft mit diesem weitgehend aufwandslosen Her-stellungsvorgang in ihrer Bilanz nicht Verpflichtungen aus „Verbindlichkei-ten“, sondern Eigenmittel! Und dieser Eigenmittelschaffung durch quasiaufwandslose Zentralbankgeldschöpfung sind theoretisch auch keineGrenzen gesetzt, weswegen die Zentralbank als einzige Entität einerVolkswirtschaft unter dem impliziten Schutz vor einem Zahlungsverzugsteht. Es gibt daher auch für die Geschäftsbanken kein materielles Form-wandlungsrisiko ihrer Zentralbankreserven: Die Umwandlung von Zentral-bankguthaben in Bargeld samt Auslieferung in die Tresore der Geschäfts-banken ist der Zentralbank jederzeit möglich, solange sie unter demgesetzlichen Schutz des Staates als souveränes Geldmonopol agiert.Folglich ist es auch sachlogisch nicht nachvollziehbar, dass die Ge-schäftsbanken ihre nicht in Bargeldform, sondern in Zentralbankgutha-bensform gehaltenen Zentralbankreserven als Forderungen gegen dieZentralbank ausweisen, obwohl liquides Vermögen ohne Forderungsrisi-ko analog dem Bargeld als reines Zahlungsmittel auf kassakontenähnli-chen aktiven Bestandskonten geführt werden müsste.

5. Die Aufdeckung des Geldschöpfungsgewinns durchsachlogisch konsistente Bilanzierung der Geldbasis

Eine sachlogisch konsistente Bilanzierung der Zentralbankgeldschöp-fung durch Herstellung von gesetzlichen Zahlungsmitteln „aus dem Nichts“im Wege von Vermögenstransaktionen der Zentralbank impliziert eine Bi-lanzierungsreform, die eine wirklichkeitsgetreue Abbildung der Geldbasisin den Büchern der Zentralbank und der Geschäftsbanken ermöglicht.

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Die notwendige Bilanzierungskorrektur in Analogie zum obigen Beispieleines Staatsanleihenkaufs aus dem Depot eines Wertpapierfonds erfor-dert die Einbeziehung der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) der Zen-tralbank in die Kauftransaktion, die mit Zentralbankgeld, dem Herstel-lungsgegenstand der Zentralbank, durch Gutschrift auf dem Zentralbank-reservekonto der depotführenden Geschäftsbank bezahlt wird. In der Kor-rekturversion wird daher die Gutschrift des Erwerbspreises der Staatsan-leihe auf einem Zentralbankreserve-Evidenzkonto16 der depotführendenGeschäftsbank des Wertpapierfonds auf einem Erlöskonto in der GuV derZentralbank gegengebucht, weil uno actu mit der Bezahlung der erworbe-nen Staatsanleihe die gesetzlichen Zahlungsmittel von der Zentralbankohne maßgeblichen Aufwand quasi „aus dem Nichts“ hergestellt werden,um den Anleihenkauf zu finanzieren. Nachdem auf dem Aufwandskontoder GuV der Zentralbank neben einem marginalen Verwaltungsaufwand(= Herstellungsaufwand der Geldschöpfung) für die Transaktionsabwick-lung die Vorsorge für das allfällige Kredit- und Marktrisiko der erworbenenStaatsanleihe in Form einer passiven Rückstellung verbucht wurde, er-rechnet sich die Erlös-Aufwands-Differenz als Gewinnsaldo dieser spezifi-schen Transaktion in der GuV der Zentralbank, der als eigenkapitalfähigerGeldschöpfungsgewinn in Form eines Zugangs zum Eigenkapital in derBilanz ausgewiesen wird. Der Aktivierung des Nettobuchwertes derStaatsanleihe (Kaufpreis abzüglich Transaktions- und Risikovorsorgekos-ten) steht ein aus der Gegenbuchung des Gewinnsaldos resultierenderAnstieg des Eigenkapitals gegenüber.

Das Verschwindenlassen des Geldschöpfungsgewinns (historisch:„Seigniorage“) durch eine sachlogisch inkonsistente Verpflichtungsinsze-nierung der Zentralbankgeldschöpfung in der Bilanz der Zentralbank istdamit aufgedeckt. In der Bilanz der depotführenden Geschäftsbank wirddie Kaufpreisgutschrift auf dem Zentralbankreserve-Evidenzkonto durchbetragsgleiche Zuführung auf dem Zentralbankreservekonto als kassa-kontoähnlichem aktivem Bestandskonto ausgewiesen und am Girokontodes Wertpapierfonds gutgebracht.

Die Einführung einer sachlogisch konsistenten Bilanzierungspraxis fürdie Zentralbankgeldschöpfung hat vier wesentliche Implikationen: (i) DieGeldbasis wird in der Bilanz der Zentralbank als Teil des Eigenkapitals(bisher: Verpflichtungen aus Gutschriften in die Zentralbankreserven derGeschäftsbanken und/oder aus dem Banknotenumlauf) ausgewiesen. (ii)In den Bilanzen der Geschäftsbanken werden die Zentralbankreservenunabhängig von ihrer Geldform (Bargeld oder Zentralbankreserven aufEvidenzkonten der Zentralbank) als liquider, forderungsrisikofreier Ver-mögensbestand auf kassakontoähnlichen aktiven Bestandskonten aus-gewiesen. (iii) In den Büchern von Zentralbank und Geschäftsbanken istfür die Geldbasis eine dem Settlement dienende organisatorische Tren-

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nung von Bilanzierungs- und Clearing-Systemen erforderlich, die Zentral-bank benötigt ein vom Bilanzkontensystem getrenntes Clearing-Konten-system (Evidenzkontensystem), um die Geldbasis und ihren Umlauf fürKontrollzwecke evident halten zu können. (iv) Aus der Zentralbankgeld-schöpfung resultiert ein eigenkapital- und daher ausschüttungsfähigerGeldschöpfungsgewinn, der einen Ausschüttungsanspruch des Staatesals Alleingesellschafter gegen die Zentralbank begründet, wodurch eineBarriere des Staatsfinanzierungsverbots der Zentralbank ins Wankengerät.

Denn das Staatsfinanzierungsverbot der Zentralbank ruht auf zwei Säu-len: auf einer expliziten Verbotsnorm, die beispielsweise die Zeichnungvon Staatsanleihen auf dem Emissionsmarkt (Primärmarkt) ausschließt,und die Beseitigung des ausschüttungsfähigen Geldschöpfungsgewinnsdurch eine sachlogisch inkonsistente Bilanzierungspraxis, die das mone-täre Wesen des souveränen Geldmonopols („Zentralbankgeldschöpfungaus dem Nichts“) verleugnet.

6. Die Grenzen der Giralgeldschöpfung

Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken in Form des Giralgeldes er-folgt durch Kreditgewährung an den Privatsektor und die staatlichen Ein-richtungen ebenfalls „aus dem Nichts“, indem die Kreditbeträge im Wegeder Kreditausnützung auf den Girokonten der Kreditnehmer gutgeschrie-ben werden.17 Dieses Kreditgeld oder Buchgeld oder Giralgeld der Ge-schäftsbanken ist aber – wie oben gezeigt – nur durch Monetisierung mitHilfe der von der Zentralbank hergestellten Geldbasis als Zahlungsmittelverwendbar, sodass der giralgeldschöpfende Kreditvergabeprozess inden Geschäftsbanken mit der Vorsorge für eine ausreichende Zentral-bankreserve verbunden sein muss.

Neben der Kreditvergabe können die Geschäftsbanken auch durch Ver-mögenserwerb Giralgeld „aus dem Nichts“ schaffen, indem die Erwerbs-preise durch Gutschriften auf den Girokonten der Verkäufer bezahlt wer-den, sofern die daraus resultierenden Girokontogutschriften durchausreichende Zentralbankreserven (Zentralbankguthaben und Barreser-ven) für die jederzeitigen Zahlungsanweisungen der Kontoinhaber (Über-weisungsaufträge und Barbehebungen) monetisiert sind. Der Erwerbeiner Staatsanleihe beispielsweise durch eine Geschäftsbank aus einerNeuemission mit der damit verbundenen Gutschrift auf dem Girokontojener staatlichen Einrichtung, die mit der Begebung der Anleihe beauftragtist, kann daher nur durchgeführt werden, wenn ein ausreichender Über-schuss an Zentralbankreserve vorhanden ist, die Staatsanleihe selbst alsrepofähiges Wertpapier von der Zentralbank belehnt wird oder die Ge-

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schäftsbank über den Geldhandel den Zusatzbedarf an Zentralbankreser-ve decken kann.

Der Interbanken-Geldhandel ermöglicht einen quantitativen Ausgleichder zirkulierenden Geldbasis zwischen den Geschäftsbanken. AllfälligeÜberschüsse an Zentralbankreserven werden bedarfsgerecht alloziert, esentstehen zwischen den Banken Forderungen und Verbindlichkeiten, dieüber die Zentralbankreserven im Zahlungsverkehr operationalisiert wer-den. Das Asset Liability Management (ALM) in den Geschäftsbankensorgt im Wege der Liquiditätssteuerung für die tägliche Sicherung der Zah-lungsverkehrsfähigkeit der Geschäftsbanken. Die kommerziellen Bestre-bungen von Geschäftsbanken sind daher auf eine Maximierung von Giro-kontobeziehungen mit hohen Kontenumsätzen gerichtet, weil daraus eineStärkung der bankeigenen Geldbasis resultiert.

Zusätzlich wird die Fristigkeitsstruktur der Kundenveranlagungen überdie auf den Girokonten eingerichteten Sicht- und Termineinlagen hinausoptimiert, weil langfristige Bindungen in Form von Spareinlagen bis hin zuBankanleihen die Beanspruchung der Geldbasis verringern und die Aus-reichung von langlaufenden Krediten oder das Investment in langfristigeAssets ermöglichen. Eine Verlangsamung des Zentralbankreserveabflus-ses durch langfristige Refinanzierungsformen (gebundene Sparguthabenund Bankanleihen) und eine Beschleunigung des Zentralbankreservezu-flusses durch regelmäßige und hohe Eingänge auf den Girokonten (Sicht-und Termineinlagen) verbreitern die Geldbasis für langfristige Kreditver-gaben und Vermögenserwerb ohne Beanspruchung der Zentralbank undstärken die Zahlungsverkehrssicherheit der Geschäftsbank.

Im Unterschied zur Zentralbank, die mit der Herstellung der Geldbasis„aus dem Nichts“ Eigenmittel schafft, ist der Geldschöpfungsprozess derGeschäftsbanken gänzlich unterschiedlichen Bedingungen unterworfen:(i) Das Buchgeld der Geschäftsbanken wird durch Kreditvergabe und Ver-mögenserwerb geschaffen, aus den Gutschriften von Kreditvaluta undKaufpreis auf den Girokonten der Kreditnehmer und Assetverkäufer ent-steht Giralgeld, das nur bei Monetisierung durch eine ausreichende Zen-tralbankreserve als Zahlungsmittel verwendbar ist. (ii) Das in Form vonSicht- und kurzfristigen Termineinlagen auf den Kundenkonten verfügbareGiralgeld ist zusammen mit den langfristigen Kundenveranlagungen eineechte Verbindlichkeit der Geschäftsbanken, weil sie zur monetären Siche-rung der Zahlungsverkehrseignung des Giralgeldes über eine ausreichen-de Geldbasis verfügen müssen, die außerhalb ihrer Ingerenz von der Zen-tralbank hergestellt wird. (iii) Das aus Kreditgewährung und Asseterwerbgeschöpfte Giralgeld wird auf die Laufzeit der Kredite und die Behaltedau-er der Assets zur Verfügung gestellt, weil seine Monetisierung der Lauf-zeitbegrenzung und Mengenbeschränkung der Zentralbank bei der Her-stellung und Lieferung der Geldbasis unterliegt. (iii) Die Rückzahlbarkeit

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der Kredite und die Mobilisierbarkeit der Assets, aus denen zusammendas mit Hilfe der Geldbasis der Zentralbank monetisierbare Giralgeld ge-schaffen wird, exponiert die Geschäftsbanken einem fortwährenden Kre-dit- und Marktrisiko,18 das nach Sicherstellung und Verzinsung zur Kom-pensation des potenziellen Forderungsausfalls und der beeinträchtigten,preiswirksamen Marktgängigkeit verlangt. (iv) Erwartete und unerwarteteVerluste aus den Kreditforderungen und den sonstigen Vermögensposi-tionen müssen daher in einem risko- und eigenkapitalkostendeckendenBetriebsergebnis und einer solvabilitätskonformen Kapitalunterlegung fürdie risikogewichteten Aktiva gedeckt sein, die strengen regulatorischenVorschriften unterliegen. (v) Die zirkulierende Geldmenge (z. B. M1 alsSumme aus Geldmünzen, Banknoten und Sichteinlagen auf Girokontender Geschäftsbanken) ist ganz offensichtlich Resultat eines endogenenGeldschöpfungsprozesses, der vom Zahlungsmittelbedarf und der Geld-haltungsneigung des Privatsektors und der staatlichen Einrichtungen auslaufender Geschäftstätigkeit samt Konsum-, Spar- und Investitionsnei-gung determiniert ist und von der Monetisierungsbereitschaft der Zentral-bank durch Anpassung der Geldbasis und der Kapitalaufbringungsfähig-keit der Geschäftsbanken durch rentabilitätssichere Kapitalmarktzugängereguliert wird, wobei die Zentralbank in einem dualen Geldsystem die er-forderlichen Zentralbankreserven bereitstellen wird, solange die Ge-schäftsbanken die regulatorischen Voraussetzungen erfüllen.19

In den obigen Demonstrationsbeispielen wurden zu Erklärungszweckenisolierte Transaktionsfälle ausschnittsweise beleuchtet. In der monetärenRealität des Finanzsektors ist aber der Umlauf des Geldes in seiner du-alen Gestalt als Zentralbankgeld und Giralgeld zwischen den Akteurendes Geld- und Kreditwesens sowie dem Privatsektor und den staatlichenEinrichtungen maßgeblich, der sich aus der hohen Zahl von täglichen Ein-zeltransaktionen in beiden Geldaggregaten ergibt, die sich wiederum ingroßem Umfang im Wege des Clearing gegenseitig saldieren. Es sinddaher die Saldenbewegungen der monetären Positionen aus dem Settle-ment entscheidend, die sich aus der Zirkulation der Geldmengen ergeben.Dabei spielen auch Zahlungsgewohnheiten und die technische Umlaufge-schwindigkeit eine wichtige Rolle. Ein geringer Barzahlungsanteil am mo-netären Transaktionsvolumen und eine taggleiche Buchungslogistik imelektronischen Zahlungsverkehrssystem beeinflussen beispielsweise dieProportionen zwischen den Geldaggregaten (Bargeld, Zentralbankgutha-ben, Giralgeld) ebenso wie deren Schwankungen im Zeitablauf.

Nachzuholen zum Verständnis des unten dargestellten praktischen Bei-spiels der „offenen Möglichkeiten der EZB-Geldpolitik“, die sich aus einersachlogisch konsistenten Bilanzierungspraxis für die Geldbasis ergeben,ist daher die Wirkung der gegenläufigen Transaktionsrichtung, also imKontext des beschriebenen Beispiels die Wiederveräußerung der von

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einem Wertpapierfonds erworbenen Staatsanleihe durch die Zentralbanküber den Sekundärmarkt. Wer auch immer die zur Disposition stehendeStaatsanleihe von der Zentralbank erwirbt, sei es ein Privater, ein Unter-nehmen oder ein Nichtbanken-Finanzinstitut, die bargeldlose Bezahlungdes Erwerbspreises an die Zentralbank erfolgt durch eine Belastungsket-te, die vom Girokontoguthaben des Erwerbers bei der künftig depotführen-den Geschäftsbank ausgeht, sich über das aktive Forderungskonto für dieZentralbankreserve der Geschäftsbank fortsetzt und auf dem Guthabens-konto der Geschäftsbank bei der Zentralbank endet. Im Falle des Erwerbsder Staatsanleihe durch eine Geschäftsbank ist der bargeldlose Zahlungs-ursprung ein Aktivtausch in der Bilanz der Geschäftsbank vom Forde-rungskonto für die Zentralbankreserve gegen ein Bestandskonto fürStaatsanleihen, die Belastung der Zentralbankreserve in den Büchern derGeschäftsbank endet analog mit einer korrespondierenden Lastschrift aufdem Guthabenskonto der Geschäftsbank bei der Zentralbank. Der finaleBilanzierungsschritt in der Zentralbank ist ein Depotübertrag in dasFremddepot des Erwerbers bei der Geschäftsbank oder in das Eigendepotder Geschäftsbank. In beiden Fällen ist die Zentralbankreserve der Ge-schäftsbank um den Erwerbspreis der Staatsanleihe gemindert, womit inder Bilanz der Zentralbank uno actu mit dem bilanzverkürzenden Abgangder veräußerten Staatsanleihe in das Fremd- oder Eigendepot der Ge-schäftsbank Zentralbankgeld „vernichtet“ wird.

Vermögensveräußerungen der Zentralbank enden nach der herrschen-den, sachlogisch inkonsistenten Bilanzierungspraxis für die Geldbasis ineiner anteiligen Vernichtung der Zentralbankgeldmenge. Einen analogenEffekt hat die Rückführung von Krediten oder die Schließung von Reposder Zentralbank an Geschäftsbanken. Die Veräußerung von Vermögen anden Nicht-Bankensektor oder die Rückführung von Krediten des Nicht-Bankensektors führt in den Büchern der betroffenen Geschäftsbanken zueiner Vernichtung von Giralgeld und zu einer Stärkung bzw. Entlastungder Zentralbankreserven der Geschäftsbanken.

Nach einer sachlogisch konsistenten Bilanzierungspraxis würde in derbeschriebenen Transaktionsstruktur die Geschäftsbank die ihr auf einemaktiven Bestandskonto zur Verfügung stehende Zentralbankreserve imUmfang des Erwerbspreises der Staatsanleihe zahlungshalber zurücklie-fern, was auf ihrem Zentralbankreserve-Evidenzkonto verzeichnet wirdund in der Bilanz der Zentralbank in einem Aktivtausch vom Bestandskon-to für Staatsanleihen gegen Zentralbankgeldkassa endet. Das von derZentralbank „aus dem Nichts“ geschaffene und daher als Eigenmittelan-stieg bilanzierte Zentralbankgeld kehrt durch Vermögensveräußerung anseinen Entstehungsursprung zurück und kann von der Zentralbank imRahmen ihrer geldpolitischen Ziele frei verwendet werden. Dazu gehörtauch die Finanzierung der Ausschüttung des Geldschöpfungsgewinns an

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den Zentralbankeigentümer in der Gestalt des Staates, der die ihm ausdem souveränen Geldmonopol durch Gewinnausschüttung gemäß denVeränderungen der Geldbasis zufließenden Zahlungsmittel zur Bede-ckung von Staatsausgaben oder zur Schuldentilgung verwenden kann.20

Die Seigniorage wird also nicht vernichtet, sondern dem Urheber des sou-veränen Geldmonopols als Gewinnausschüttung weitergereicht.

Genauso gut, allerdings unter Umgehung des Staatsfinanzierungsver-bots, könnte die Zentralbank dem Staat, der sie mit der Ausübung dessouveränen Geldmonopols beauftragt hat, Kredit gewähren und im Aus-maß der zugezählten Kreditvaluta die Zentralbankreserve-Evidenzkontender kontoführenden Geschäftsbanken der staatlichen Einrichtungen „do-tieren“, die sodann in ihren Büchern die Zentralbankreserven und die Gut-haben auf den Girokonten der staatlichen Einrichtungen mit betragsglei-chen Gutschriften erhöhen. In der Bilanz der staatlichen Einrichtungensteht ein (erhöhtes) Girokontoguthaben als Forderung an die kontoführen-den Geschäftsbanken einer Kreditverbindlichkeit an die Zentralbank ge-genüber. Bei Fälligkeit des Kredites emittiert der Staat Anleihen, ausderen Erlös der Zentralbank-Direktkredit rückgeführt wird, sodass in derBilanz der Zentralbank ein Aktivtausch zu Lasten der Kreditforderunggegen den Staat und zu Gunsten eines Kassaguthabens aus zurückflie-ßendem Zentralbankgeld erfolgt, der in den „Lastschriften“ auf den Zen-tralbankreserve-Evidenzkonten der mit der Rückzahlung beauftragtenGeschäftsbanken gespiegelt wird. Das Zentralbankgeld-Kassaguthabenkann als Seigniorage an den Staat ausgeschüttet werden, der daraus wie-derum Anleihen zurückführt. Ob die Zentralbank zuerst den Staat kreditiertund dann der Staat bei Fälligkeit des Kredites zu RefinanzierungszweckenAnleihen emittiert, um aus der ausgeschütteten Seigniorage die Refinan-zierungsemission zurückzuzahlen oder ob der Staat zuerst Anleihen amPrimärmarkt emittiert und die Zentralbank (diese oder andere) Staatsan-leihen am Sekundärmarkt erwirbt, sodass der Staat aus der ausgeschütte-ten Seigniorage Anleihen zurückzahlen kann, diese Reihenfolge ist aus-schließlich von der Existenz eines Staatsfinanzierungsverbots abhängig.Der Direktkredit der Zentralbank an den Staat und dessen Rückführungaus der Seigniorage der damit verbundenen Zentralbankgeldschöpfungist aber die sachlogische Brücke zu der in der MMT angenommenen funk-tionellen Einheit von Budgetbehörde und Zentralbank. Sobald die Seignio-rage aus dem staatlichen Geldschöpfungsmonopol der Zentralbank bilan-ziell anerkannt und ausgeschüttet wird, kann der Staat seinen Vermögen-serwerb (z. B. Investitionen in die Infrastruktur) ohne dauerhafte Zusatz-verschuldung aus dem Geldschöpfungsgewinnen seiner Zentralbank„finanzieren“. Damit wird die antizyklische Wirksamkeit einer fiskalisch ko-ordinierten Geldpolitik zur Bewältigung einer Überschuldungs-und Defla-tionskrise signifikant erhöht.

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7. Die offenen Möglichkeiten der EZB-Geldpolitik am Beispielder „Mengenmäßigen Lockerung“ (Quantitative Easing)

Zwei notwendige Voraussetzungen bzw. Änderungen im Sinne der obi-gen Darstellung müssen gegeben sein: (i) eine sachlogisch konsistenteBilanzierungspraxis für die Geldbasis im SEZB und der EZB sowie eineprozessuale Trennung von Bilanzierung und Clearing der umlaufendenZentralbankgeldmenge; (ii) eine temporäre Lockerung der „Schulden-bremse“ im Stil eines befristeten Verschuldungs-Trade-off zu Gunsten derstaatlichen Finanzierung von wohldefinierten Infrastrukturinvestitionen(Bildung, Forschung und Entwicklung, Gesundheit, Sozialeinrichtungen,Umwelt- und Klimaschutz, Verkehrsinfrastruktur, Energiewirtschaft usw.).

1. Runde: Die EZB führt das ML-Programm im geplanten Ausmaß vonaktuell ca. EUR 1.500 Mrd. (mit Beschluss vom 3.12.2015 hat die EZB das„Public Sector Purchase Programme“, das ab März 2015 monatlicheBondkäufe in Höhe von 60 Mrd. A vorsieht, auf 25 Monate bis März 2017verlängert)21 wie vorgesehen durch und verbucht die Finanzierung desVermögenserwerbs (Anleihenkäufe auf den Sekundärmärkten) sachge-recht über die Erfolgsrechnung (GuV) als dem Eigenkapital zurechenba-ren Geldschöpfungsgewinn. Die konzessionierten Banken mit Kontover-bindung zur EZB führen ihre Zentralbankreserven unabhängig von ihrerGeldform (Buchgeld in Form von Guthaben bei der Zentralbank oder vonder Zentralbank geliefertes Bargeld in den Banktresoren) als Liquiditätsre-serven (jederzeit verwendbare Zahlungsmittel) auf Kassakonten (aktiven,forderungsrisikofreien Bestandskonten) und beteiligen sich zwingend amneuen EZB-Clearing-System zur Evidenzhaltung des Zentralbankgeldum-laufs. Der ausschüttungsfähige Gewinn der EZB wächst im ML-Durchfüh-rungszeitraum durch die Zentralbankgeldschöpfung „aus dem Nichts“ imAusmaß der Vermögenskäufe abzüglich Transaktionskosten sowie kredit-und marktrisikorelevante Dotierung der Bewertungsrückstellung.

2. Runde: Die dem Markt aus der Durchführung des ML-Programms lau-fend zufließende Liquidität (freie Zentralbankreserven der Banken undüberschüssige Bankguthaben des Privatsektors einschließlich der Nicht-banken-Finanzinstitute) wird für die Zeichnung von Staatsanleihen ausNeuemissionen am Primärmarkt verwendet, nachdem den Euroländernein befristeter Verschuldungs-Trade-off im Ausmaß ihrer geprüften Infra-strukturinvestitionsprogramme gemeinschaftlich zugesichert wurde. Infol-ge der Zinssenkungswirkung des ML-Programms der EZB auf den Bond-märkten (verringerte CDS-Spreads) erhalten die Eurostaaten das „frischeGeld“ zu historischen Bestkonditionen, die budgetäre Zinsbelastung ausdem Verschuldungs-Trade-off ist deutlich gemindert, sodass die staatli-chen Finanzierungskosten für die Infrastrukturinvestitionen in manchenEuroländern konkurrenzlos gering sein werden.

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3. Runde: Die Eurostaaten führen ihre Infrastrukturinvestitionsprogram-me zügig durch, beschaffen entsprechende Infrastruktur- und Investitions-güter auf den privaten Güter- und Dienstleistungsmärkten, generieren da-durch eine erhöhte Nachfrage, die zur Steigerung der Beschäftigung(Reduktion der Arbeitslosigkeit), Schaffung von Einkommen und Bele-bung des Steueraufkommens (bzw. Minderung der Transferausgaben)beitragen. Die zusätzliche Liquidität der Eurostaaten aus den Neuemis-sionen des Verschuldungs-Trade-off fließt durch die infrastrukturellenBeschaffungsaktivitäten der Euroländer in den Privatsektor, um als Um-satzerlöse den Produktionsaufwand für die herzustellenden Infrastruktur-und Investitionsgüter (Löhne, Gehälter, Vormaterialien usw.) zu refinan-zieren.

4. Runde: Die Wachstumsimpulse aus den staatlichen Infrastrukturin-vestitionen bewirken eine positive Veränderung des realwirtschaftlichenErwartungstrends, über die Multiplikatoreffekte wird die Endverbraucher-nachfrage angeregt, sodass auch in den Konsumgüterindustrien durchbestätigte Gewinnerwartungen die Investitionsneigung steigt. Das kredit-wirtschaftliche Bonitätsprofil der Unternehmen verbessert sich, durch Ab-nahme der negativen Migrationsdynamik in Richtung „Non PerformingLoans“ (sinkender Risikovorsorgebedarf) steigt die Assetqualität des be-stehenden Kreditportfolios im jeweiligen Geschäftsbankensektor, sodassdie ökonomische Risikotragfähigkeit der Kreditwirtschaft (nach ICAAP-/SREP-Kriterien) zunimmt. Eine dadurch erhöhte Kreditvergabebereit-schaft trifft auf eine konjunkturbedingt steigende Kreditnachfrage, der en-dogene Geldschöpfungsprozess manifestiert sich in Zuwächsen des Kre-ditvolumens, die Realwirtschaft wird mit ausreichender Liquidität versorgt,um das einsetzende Wachstum zu finanzieren. Und der Kreditapparat ver-fügt durch die in erhöhtem Umfang zirkulierende Zentralbankgeldmenge(primärer ML-Effekt in Kombination mit dem ausgabenwirksamen undkonjunkturbelebenden Verschuldungs-Trade-off der Euroländer) über ge-nügend Kapital- und Liquiditätsreserven, um das Kreditwachstum (Geld-mengenwachstum) im Rahmen der regulatorischen Anforderungen (ge-mäß Basel III) darstellen zu können.

5. Runde: Das anspringende Wirtschaftswachstum mündet in einerselbsttragenden Konjunktur mit steigender Beschäftigung, wachsendemEinkommen und zunehmendem Steueraufkommen in den Euroländern,sodass sich die souveräne Schuldendienst- und Kapitalmarktfähigkeit vorallem auch der mediterranen Krisenländer deutlich verbessert. Die durchKreditwachstum entspannte Liquiditätslage der Volkswirtschaften erlaubtes der EZB, das ML-Programm ab einem bestimmten, gemeinschaftlichfestgelegten und durch die Beschäftigungsentwicklung (Arbeitslosigkeits-rate) indizierten Konjunkturniveau durch gezielten Vermögensabbau (An-leihenverkäufe) schrittweise zurückzufahren, mit einem doppelten Effekt:

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Das langfristige Zinsniveau steigt (stärkere Neigung der Zinskurve), unddie zurückfließende Zentralbankgeldmenge ermöglicht die (teilweise)Ausschüttung der aus der expansiven Phase des ML-Programms stam-menden Gewinnvorträge der EZB an die Euroländer, die diese Extraein-nahmen zur Tilgung des Verschuldungs-Trade-off verwenden. ErhöhtesSteueraufkommen und EZB-Gewinnpartizipation in den Euroländern er-möglichen daher einen fristgerechten Abbau des antizyklischen Verschul-dungsanstiegs aus den infrastrukturellen Konjunkturbelebungsprogram-men.

Die Trade-off-Frist sollte daher „through the cycle“ bemessen werden,sodass am Höhepunkt des Konjunkturaufschwungs (idealerweise bei Er-reichen der Vollbeschäftigung) die restriktive ML-Phase einsetzt, um überden Zinstrend und die Steuerung der zirkulierenden Zentralbankgeldmen-ge Verstetigungseffekte auf den Wachstumsverlauf und die Beschäfti-gungslage sicherzustellen. Die EZB hat bei Gefahr von Erwartungseupho-rie und Blasenbildung auf den Vermögensmärkten überdies die Möglich-keit, durch die Verwendungsalternative für den zurückfließenden Zentral-bankgeldbestand zwischen Gewinnausschüttung (via ESZB an die Euro-länder) oder Geldvernichtung (Buchung eines eigenkapitalverbrauchen-den Geldvernichtungsaufwands in der GuV) die zirkulierende Zentral-bankgeldmenge „pulsieren“ zu lassen, sodass freie Liquiditätsreservenabgeschöpft und der spekulativen Verwendung entzogen werden können.Diese Wahl stellt ein wirksames Instrument der makroprudenziellen (d. h.systembezogenen) Regulierung dar, erfordert aber eine Neudefinition derRolle der EZB im Rahmen einer koordinierten Geld- und Fiskalpolitik in derEurozone. Die EZB kann auf diese Weise einen güter- und vermögensin-flationsfreien Wachstums- und Beschäftigungspfad erfolgreich unterstüt-zen.

Um eine nachhaltige Effektivität der oben am Beispiel der ML beschrie-benen Geldpolitik zu ermöglichen, muss zunächst eine plausible Zirkula-tionsdarstellung der Zentralbankgeldmenge (Geldbasis) nach den histo-risch und empirisch schlüssigen Erkenntnissen der MMT sichergestelltwerden, auch wenn daraus vordergründig ein Machtverlust der EZB (Auf-deckung des bis dato vorenthaltenen Gewinnanspruchs der Euroländeraus der Seigniorage durch sachlogisch konsistente Bilanzierungsregeln)resultieren mag. Die EZB bleibt dennoch politisch unabhängig und trifft dieWahl der geldpolitischen Strategie im Rahmen ihres Mandats zur Siche-rung der Preisstabilität.

Die Bandbreite ihrer „tool box“ wird allerdings erweitert, weil sie im fiskal-politischen Zusammenspiel mit den ESZB-Mitgliedsländern die souverä-nen Bondmärkte auf der Mengen- und Zinsebene entscheidend steuernkann, um eine stabilitätsgerechte und wachstumsangemessene Liquidi-tätsversorgung der Volkswirtschaften der Eurozone wirkungsvoll umzu-

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setzen. Zu diesem Zweck muss aber der wirtschaftspolitische Koordina-tionsrahmen über die Geld- und Fiskalpolitik hinaus erweitert werden. Vorallem der sozialpartnerschaftliche Einbezug der Gewerkschaften ist es-senziell, um die Stabilitätsziele durch eine produktivitätsorientierte Lohn-politik zu unterstützen. Das ist aber nur möglich, wenn der gegen die so-zialen Interessen der arbeitenden Bevölkerungsmehrheit gerichteteneoliberale Kanon (Strukturreformen, Wettbewerbsfähigkeit, Austerität)überwunden und der Vollbeschäftigung neben einem preisstabilen Infla-tionskorridor eine gleichrangige Priorität eingeräumt wird. Der EZB mussdaher im Rahmen ihrer politischen Unabhängigkeit eine breite Koordina-tionsverpflichtung auferlegt werden, damit Vollbeschäftigung und Preis-stabilität in einem wirtschaftlich dynamischen Europa erreicht und verste-tigt werden können.

Anmerkungen1 Die nachfolgende Argumentation nimmt Anleihe bei den historisch und empirisch

schlüssigen Erkenntnissen der Modern Monetary Theory (die sich unter dem streitbarenAkronym MMT als innovatives Teilgebiet der postkeynesianischen Geldforschung eta-blieren konnte), ohne deren akademische Vereinfachungen zu übernehmen, wie bei-spielsweise die funktionelle Einheit von Budgetbehörde und Zentralbank, die an deraktuellen Realität unabhängiger und daher mächtiger Zentralbanken vorbeiführt. Zwarist für ein demokratisches Gemeinwesen die direkte Ausübung des souveränen Geld-monopols durch ein exekutives Staatsorgan ein naheliegender Ansatz, der in der MMTseine wissenschaftliche Rechtfertigung findet, damit bewegt man sich aber auf derEbene der institutionellen Geldreform, die nicht im Fokus der gegenständlichen Analysesteht, mit der auf einen pragmatischen Ausweg aus dem selbstverschuldeten Dilemmader Eurokrise verwiesen wird. Zur Einordnung der MMT in den postkeynesianischenTheorierahmen siehe Lavoie (2011). Zum gegenwärtigen Forschungsstand der MMTsiehe Wray (2012).

2 Im Diskurs der MMT wird sehr überzeugend dargelegt, dass der Ursprung der souverä-nen Währung auf die staatliche Steuerhoheit zurückzuführen ist, aus der ein Dauer-schuldverhältnis zwischen BürgerInnen und Finanzbehörde begründet wird. Der Staatverfügt die Recheneinheit, in der die Steuern vorgeschrieben werden, und emittiert dasdarauf bezogene Zahlungsmittel, mit dem allein die Steuern schuldbefreiend zu entrich-ten sind. Dadurch wird die souveräne Währung als Zahlungsmittel im Wirtschaftskreis-lauf verankert, um schließlich in den einschlägigen Gesetzen (z. B. Zentralbankgesetz)kodifiziert zu werden. Das Zentralbankgeld als gesetzliches Zahlungsmittel mit Annah-mezwang und schuldbefreiender Erfüllungswirkung steht am Ende des chartalen Ent-wicklungsprozesses eines souveränen Geldsystems.

3 Die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) als österreichische Zentralbank ist eineAktiengesellschaft, die sich seit der Vollverstaatlichung im Jahr 2010 im alleinigenEigentum der Republik Österreich befindet. Davor wurden Minderheitsanteile vonFinanzinstituten und sozialpartnerschaftlichen Einrichtungen gehalten. In anderen Län-dern gibt es aus historischen Gründen auch private Eigentumsformen, wie beispiels-weise in den USA, wo der Eigentumsursprung des Federal Reserve Systems auf denAnteilen der Geschäftsbanken an den 12 regionalen Zentralbanken beruht, wobei aller-

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dings die Eigentumsrechte (z. B. Dividendenansprüche) zu Gunsten der gesetzlich ver-liehenen Ausübung des souveränen Geldmonopols und der Zuständigkeit für die Geld-politik stark eingeschränkt sind.

4 „Geschäftsbanken“ steht im Folgenden aus Vereinfachungsgründen für alle konzessio-nierten Finanzinstitute, die von der Aufsichtsbehörde nach den einschlägigen gesetzli-chen Bestimmungen für das Bankwesen reguliert werden, über eine Kontoverbindungzur Zentralbank verfügen und von dieser „refinanziert“ werden können. Auf analoge Ver-einfachungen, die von den Besonderheiten der geld- und kreditwirtschaftlichen Praxisabstrahieren, weil sie für die gegenständlichen Analyse von geringem Belang sind, wirdin den fortlaufenden Endnoten hingewiesen.

5 Münzanstalten befinden sich nicht zwingend im Eigentum der Zentralbank, sondernkönnen in der historischen Tradition des „Münzregals“ auch direkt dem Staat gehören.In Österreich ist die „Münze Österreich“ eine Tochter der OeNB. Entscheidend ist, dassdie Herstellung der Geldmünzen nach den Vorgaben und auf Rechnung der Zentral-bank erfolgt. Ähnliches gilt auch für die Banknotendruckerei, die in Österreich analogzur „Münze Österreich“ als Tochter der OeNB fungiert.

6 In der gegenständlichen Analyse wird aus Vereinfachungsgründen das Ausland in dersektoralen Gliederung der Volkswirtschaft weggelassen und daher auf die Unterschei-dung zwischen Deviseninländern und Devisenausländern verzichtet, jedoch stillschwei-gend davon ausgegangen, dass alle sektoralen Akteure unabhängig von ihrem territo-rialen Status Devisen (Geld in fremden Währungen) halten können. Austauschverhält-nisse zwischen den Währungen und allfällige Zugangsbeschränkungen zum Geldanderer Staaten (Zentralbanken) bleiben daher unberücksichtigt.

7 Im MMT-Diskurs wird von einer Hierarchie der Geldarten ausgegangen, sodass bei-spielsweise auch Lieferantenkredite und ähnlich aufrechnungsfähige Zahlungsverein-barungen als Clearing-fähige Geldformen anerkannt werden. Entscheidend aber ist,dass das definitive Settlement von Zahlungsansprüchen nur mit einem forderungsrisiko-freien Zahlungsmittel erfolgen kann. Und das ist einzig und allein das Zentralbankgeld(Geldmünzen, Banknoten und Zentralbankguthaben), das daher an der Spitze derGeldhierarchie als „high powered money“ steht, nur mit diesem Geld können subordi-nierte Geldarten (z. B. Giralgeld) monetisiert und daher zur Schließung von Zahlungs-vereinbarungen verwendet werden. Die gegenständliche Analyse beschränkt sich aufden hierarchischen Dualismus von Zentralbankgeld und Giralgeld. Vergleiche dazu Kel-ton-Bell (2001).

8 Als automatisierter Kassenschalter mit Selbstbedienungscharakter fungiert der „Banko-mat“, an dem über einen elektronischen Legitimationsmechanismus Banknoten beho-ben werden können.

9 Dazu gehören die jeweiligen nationalen Rechnungslegungsvorschriften und die „Inter-national Financial Reporting Standards“ (IFRS) samt den „International AccountingStandards“ (IAS)

10 In der geldwirtschaftlichen Praxis können Clearinghäuser dazwischen geschaltet sein,die über einen Aufrechnungsmodus unter Berücksichtigung der Geldhandelsergeb-nisse Tagessalden feststellen, die sodann über die Zentralbankreserven der teilneh-menden Geschäftsbanken gesettelt werden. Von diesen Besonderheiten der Zahlungs-verkehrssysteme wird in der gegenständlichen Analyse abgesehen, ohne dass sich ander prinzipiellen Natur der nachfolgenden Transaktionsbeschreibung etwas ändert.

11 Das geschieht regelmäßig in Geschäftssparten mit hohen Kassaumsätzen (z. B.Lebensmittelhandel), wo eine Handkassa mit der Tageslosung in den Nachttresor dernächstgelegenen Filiale einer kontoführenden Geschäftsbank eingeworfen wird.

12 Geschäftsbanken werden ihre Barreserven stets auf dem durch Zahlungsverkehrsge-wohnheiten determinierten Mindestniveau halten, weil es sich um ein ertragloses (zins-

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freies) Asset handelt, während Zentralbankreserven (Mindest- und Überschussreser-ven) je nach Zinspolitik der Zentralbank einen Ertrag (z. B. in der Höhe der „policy rate“aus dem Interbanken-Geldhandel im Fall von Überschussreserven) abwerfen können.Die Mindestreserve- und Zinspolitik der Zentralbank samt ihren monetären Steuerungs-effekten bleiben in der gegenständlichen Analyse außer Betracht.

13 Das verbleibende Risiko auf Kassakonten ist einzig und allein das Inflationsrisiko, dasjedoch kein monetäres Realisationsrisiko (Liquiditätsrisiko) ist, sondern ein realwirt-schaftliches Preisrisiko (Kaufkraftrisiko).

14 Vgl. dazu als aktuelle Quelle Binswanger (2015).15 Die monetäre Seigniorage ist additiv zur „Opportunitätskosten-Seigniorage“ gedacht,

die aus den gewinnsteigernden Nettozinsüberschüssen des staatlichen Geldmonopols(Ertragsvorteil aus der Refinanzierung des Notenbankvermögens durch unverzinstenBanknotenumlauf und niedrig verzinste Zentralbankreserven) resultiert. Folglich führtdie monetäre Seigniorage bei einer signifikanten Ausweitung der Geldbasis (wie im Falldes „Quantitative Easing“) zu einem periodengleichen Gewinnschub, der die fiskalischeSeigniorage (Ausschüttungspotenzial an den Staat) massiv alimentieren kann.

16 Das Evidenzkonto ist ein reines Spiegelkonto zum Zentralbankreservekonto in derBilanz der Geschäftsbank, sein beweglicher Saldo folgt den Settlementerfordernissenaus dem bargeldlosen Zahlungsverkehr. Die Zentralbank gewinnt dadurch einen tag-gleichen Überblick über die buchmäßigen Zentralbankreservestände der Geschäfts-banken. Bei Wandlung in Barreserven wird der Wert der an die Geschäftsbanken gelie-ferten Banknoten auf ein Banknotenumlauf-Evidenzkonto umgebucht mit einemkorrespondierenden Aktivtausch in den Bilanzen der Geschäftsbanken vom Zentral-bankreservekonto an das Barreservekonto (beides forderungsrisikofreie Bestandskon-ten).

17 In der kreditwirtschaftlichen Praxis erfolgt nach Maßgabe der Kreditarten (z. B. einmalausnützbare Investitionskredite oder revolvierende Betriebsmittelkreditrahmen, usw.)nicht zwingend mit der Krediteinräumung auch die Gutschrift der Kreditvaluta auf denGirokonten der Kreditnehmer, weil beispielsweise die jeweilige Geschäftsbank die Ver-wendung der Kreditmittel unter Kontrolle halten will. Es wird daher der genehmigte Kre-ditrahmen im Kreditsystem erfasst und erst bei Zahlungsbedarf der erforderliche Kredit-teilbetrag durch Überweisung zugezählt. Die Gutschrift erfolgt daher auf dem Girokontodes Zahlungsempfängers eventuell bei einer anderen als der kreditgebendenGeschäftsbank, sodass erst die konsolidierte Betrachtung des Geschäftsbankenappa-rats die kreditkonformen Giralgeldveränderungen ausweist.

18 Kredit- und Marktrisiko sind bloß die Hauptrisiken in einem ganzen Katalog von Risikender kreditgebenden und vermögenserwerbenden Geschäftsbanken, zu dem vor allemdas aus der Verfügbarkeit der erforderlichen Geldbasis und der Fristenkongruenz derRefinanzierung resultierende Liquiditätsrisiko zählt. In den regulatorischen Vorschriftenzur Ermittlung der Risikotragfähigkeit von Geschäftsbanken sind alle Risikokategorienberücksichtigt.

19 Das Geldschöpfungsprivileg der Geschäftsbanken (Giralgeldschöpfung) und somit dasduale Geldsystem kann nur so lange bestehen, als die Zentralbank die Zentralbankgeld-versorgung der Geschäftsbanken zur Monetisierung ihres Giralgeldes sichert, soferndie Geschäftsbanken die dafür erforderlichen Voraussetzungen erfüllen. Die Geldbasisist daher eine abhängige Variable der Kreditnachfrage (Giralgeldbedarf), der Kreditver-gabefähigkeit (Risikotragfähigkeit) und der erwartungsinduzierten Zentralbankreserve-haltung der Geschäftsbanken, die durch regulatorische Vorgaben (mikro- und makro-prudenzielle Regulierung) gelenkt werden kann, ohne dass die Zentralbank dasGeldangebot mengenmäßig festzulegen imstande wäre. Eine vollständige Kontrolle

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über das Geldangebot hat daher die Zentralbank nur in einem Vollgeldsystem, in demdie Geschäftsbanken in den Kreditvergabeprozessen kein eigenes Giralgeld schaffen,sondern nur Zentralbankgeld vermitteln können.

20 Sollte die Zentralbank in dieser Bilanzierungslogik aus geldpolitischen Motiven Zentral-bankgeld vernichten wollen, dann kann sie das nur durch Buchung eines Geldvernich-tungsaufwands in der GuV. Der daraus resultierende Verlustsaldo mindert das Eigenka-pital um den Wert der vernichteten Zentralbankgeldmenge, die auf dem Zentralbank-geldkassakonto aus Zentralbankgeldrückflüssen eingegangen ist. Nur auf diese Weisekann „aus dem Nichts“ hergestelltes Zentralbankgeld (aufwandsloser Umsatz = Geld-schöpfungsgewinn) ins „Nichts“ zurückgewandelt werden (umsatzloser Aufwand =Geldvernichtungsverlust). Giralgeld hingegen, das bloß einen buchmäßigen Anspruchauf Zentralbankgeld gegen eine Geschäftsbank (Monetisierungsanspruch) darstellt,verschwindet durch Saldierung im Girozahlungsverkehr aus Kredittilgung bei einerGeschäftsbank und Schließung (Closing) eines Vermögenserwerbs von einerGeschäftsbank.

21 Breuss (2016).

Literatur

Binswanger, Mathias, Geld aus dem Nichts. Wie Banken Wachstum ermöglichen und Kri-sen verursachen (Weinheim 2015).

Breuss, Fritz, Wann beginnt das QE der EZB zu greifen?, in: Ökonomenstimme (28.1.2016);http://www.oekonomenstimme.org/artikel/2016/01/wann-beginnt-das-qe-der-ezb-zu-greifen/.

Kelton-Bell, Stephanie, The Role of the State and the Hierarchy of Money, in: CambridgeJournal of Economics (2001).

Lavoie, Marc, The monetary and fiscal nexus of neo-chartalism: A friendly critical look(=Department of Economics, University of Ottawa, Ottawa 2011); online: www.boeck-ler.de/pdf/v_2011_10_27_lavoie.pdf.

Wray, L. Randall, Modern Money Theory. A Primer on Macroeconomics for SovereignMonetary Systems (New York 2012).

Zusammenfassung

Moderne Geldsysteme beruhen auf einer dualen Geldhierarchie, wobei das die Zah-lungsströme dominierende Giralgeld der Geschäftsbanken seine Zahlungsmitteleignungerst durch Monetisierung mit Hilfe der Geldbasis erhält. Die Darstellung von Girokontogut-haben erfolgt in den Bilanzen der Geschäftsbanken daher sachlogisch konsistent als Ver-bindlichkeiten an den Nichtbankensektor, weil die Erfüllung von Verfügungsanweisungenin Form von Bargeldbehebungen oder bargeldlosen Zahlungsaufträgen den Zugriff auf dieGeldbasis voraussetzt, die allein von der Zentralbank hergestellt und nur unter bestimmtenBedingungen in Umlauf gebracht wird. Die analoge Darstellung der Geldbasis in der Zen-tralbankbilanz als „Verbindlichkeiten“ an den Geschäftsbankensektor und die Bargeldinha-ber ist hingegen sachlogisch inkonsistent, weil die Zentralbank auf Grund ihres Geldschöp-fungsmonopols gesetzliche Zahlungsmittel als reine Liquidität mit Eigenmittelcharakterohne Erfüllungsrisiko schafft. Die Umstellung auf eine konsistente Bilanzierungspraxis fürdie Geldbasis würde daher zur Aufdeckung des Geldschöpfungsgewinns der Zentralbank(„Seigniorage“) führen, dessen Ausschüttung an den Staat eine verschuldungsneutraleAusgabenpolitik (z. B für beschäftigungswirksame Infrastrukturinvestitionen) unterstützt.

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Das eröffnet pragmatische Optionen für eine koordinierte Geld- und Fiskalpolitik zur Über-windung der Verschuldungs- und Deflationskrise, wie am Beispiel des QE-Programms derEZB gezeigt werden kann.

Abstract

Sovereign currency systems are based on a dual hierarchy of money taking into accountthat the deposit money of commercial banks usually dominating the payment flows gainseligibility as a means of payment only by its monetizing with the aid of the monetary base.Thus in the financial reports of commercial banks deposits are booked in a logically consis-tent way as liabilities to the non-banking sector considering that any kind of disposalinstructions in terms of cash withdrawal or non-cash payment orders are presupposed onthe access to base money which is created and circulated subject to conditions releasedonly by the central bank. On the contrary the analogous treatment of the monetary base inthe financial reports of central banks as „liabilities“ to the commercial banking sector andcash money holders is logically inconsistent because due to their sovereign empowermentcentral banks are creating legal tender as pure liquidity free of any performance risk andclose to equity characteristics. Therefore a practical switch to reporting standards consis-tent with the monetary realities of sovereign currencies would reveal the seigniorage ofbase money creating central banks which could be distributed as dividend payouts to thesovereigns to support non-deficit government spending (such as job-creating capitalinvestments in new infrastructure). This view facilitates pragmatic options for a coordinatedmonetary and fiscal policy to overcome the public indebtedness and deflation crisis whichis demonstrated by the example of the ECB’s current QE program.

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