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Die Verwendbarkeit der hypnotisch-suggestiven Behandlung bei AlkohoUsmus. Von Dr. Johannes Haupt. (Aus der Heilst~tte ,,Waldfrieden" fiir Alkoholkranke, Ftirstenwalde/Spree b. Berlin. -- Direktor: Sanit~ttsrat Dr. Richstein.) (Eingegangen am 20. Mdrz 1924.) Die in der Not und Bedr~ngnis unserer Naehkriegszeit besonders verh~ngnisvollen Folgen des Alkoholismus lassen die Behandlung Trunk- sfichtiger in erh6htem MaBe beaehtenswert ffir den Arzt erscheinen. Der besondere Versuch einer Beeinflussung der Alkoholkranken dureh hypnotische Heilsuggestionen war bereits Gegenstand einer frfiheren Arbeit 1) -- auf Grund meiner damaligen Effahrungen und Beobachtungen, unter eingehender Berficksichtigung einschlagiger VerSffentlichungen. Inzwischen konnte ieh weitere Erfahrungen sam- meln, konnte an neuen Fallen die Wirksamkeit dieser Behandlungs- weise dureh ein geeignetes Untersuehungsverfahren prfifen und die sp~teren Sehicksale meiner ehemaligen Kranken weiter ve1~olgen. Ich glaube mir nunmehr ein Urteil fiber die Verwendbarkeit der hypnotisch- suggestiven Behandlung bei Alkoholismus bilden zu dfirfen. Eins zeigt sieh immer wieder: trotz monatelanger, eiffiger und aus- giebiger Hypnosuggestivbehandlung k6nnen Rfickfalle eintreten -- friiher oder spgter --, und andererseits kann auch ohne hypnotisch- suggestive Beeinflussung (wie bei ttypnoseunfi~higkeit) v511ige, an- dauernde Enthaltsamkeit erreieht werden. Hypnoseunfi~higen Alkohol- kranken gegenfiber, die es bedauern, dab Hypnose und Suggestion bei ihnen nicht anwendbar sind, ist zu betonen, dal~ ihr kfinftiges Geschick keineswegs yon dieser Behandlung abh~ngt, sondern dal~ in der Haupt- sache sie selbst ihr Schicksal in der Hand haben. Diese Aufklarung ist auch sonst empfehlenswert, damit die Kranken sieh nicht zu sehr auf die Bemfi'hungen des Arztes verlassen -- auf seine hypnotischen Sug- gestionen --, w~hrend sie die hochwichtige eigene Mitwirkung vernach- 1) Die Alkoholfrage 1923, H. 1.

Die Verwendbarkeit der hypnotisch-suggestiven Behandlung bei Alkoholismus

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Die Verwendbarkeit der hypnotisch-suggestiven Behandlung bei AlkohoUsmus.

Von Dr. Johannes Haupt.

(Aus der Heilst~tte ,,Waldfrieden" fiir Alkoholkranke, Ftirstenwalde/Spree b. Berlin. - - Direktor: Sanit~ttsrat Dr. Richstein.)

(Eingegangen am 20. Mdrz 1924.)

Die in der Not und Bedr~ngnis unserer Naehkriegszeit besonders verh~ngnisvollen Folgen des Alkoholismus lassen die Behandlung Trunk- sfichtiger in erh6htem MaBe beaehtenswert ffir den Arzt erscheinen.

Der besondere Versuch einer Beeinflussung der Alkoholkranken dureh hypnotische Heilsuggestionen war bereits Gegenstand einer frfiheren Arbeit 1) -- auf Grund meiner damaligen Effahrungen und Beobachtungen, unter eingehender Berficksichtigung einschlagiger VerSffentlichungen. Inzwischen konnte ieh weitere Erfahrungen sam- meln, konnte an neuen Fallen die Wirksamkeit dieser Behandlungs- weise dureh ein geeignetes Untersuehungsverfahren prfifen und die sp~teren Sehicksale meiner ehemaligen Kranken weiter ve1~olgen. Ich glaube mir nunmehr ein Urteil fiber die Verwendbarkeit der hypnotisch- suggestiven Behandlung bei Alkoholismus bilden zu dfirfen.

Eins zeigt sieh immer wieder: trotz monatelanger, eiffiger und aus- giebiger Hypnosuggestivbehandlung k6nnen Rfickfalle eintreten -- friiher oder spgter -- , und andererseits kann auch ohne hypnotisch- suggestive Beeinflussung (wie bei ttypnoseunfi~higkeit) v511ige, an- dauernde Enthaltsamkeit erreieht werden. Hypnoseunfi~higen Alkohol- kranken gegenfiber, die es bedauern, dab Hypnose und Suggestion bei ihnen nicht anwendbar sind, ist zu betonen, dal~ ihr kfinftiges Geschick keineswegs yon dieser Behandlung abh~ngt, sondern dal~ in der Haupt- sache sie selbst ihr Schicksal in der Hand haben. Diese Aufklarung ist auch sonst empfehlenswert, damit die Kranken sieh nicht zu sehr auf die Bemfi'hungen des Arztes verlassen -- auf seine hypnotischen Sug- gestionen --, w~hrend sie die hochwichtige eigene Mitwirkung vernach-

1) Die Alkoholfrage 1923, H. 1.

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l~ssigen --, die unabl~ssige ernste Arbeit an sich selbst und die hSchste, nie nachlassende Anspannung des Willens.

Bei einigen Kranken lie• sich mittels einer besonderen yon mir er- dachten MaBnahme, der sog. ,,suggestiven Desorientierung" 1, ~, 3) nachweisen, dab die in Hypnose erteilten Heilsuggestionen leider voll- kommen wirkungslos blieben. Es ist fiir den Arzt geradezu zum Ver- zweiieln, wenn solche ,,desorientierte" Hypnotische unmittelbar nach eindringlichster Erteilung der Heilsuggestionen (Einsicht in die Not- wendigkeit vSlliger, dauernder Enthaltsamkeit; ernsthafter Enthalt- samkeitswille; St~hlung der Widerstandskraft gegenfiber allen Ver- suchungen zum Alkoholgenu[3) -- wenn dann gleichwohl solche ,,deso- rientierte" tIypnotische in Unkenntnis ihrer Situation sich zum Genu{3 alkoholischer Getr~nke unbedenklich, bereit zeigen. Solche Unter- suchungen lehren, dab der Enthaltsamkeitswille nicht durch hypno- tische Suggestionen hervorgerufen werden kann, wie AngehSrige yon Trinkern haufig glauben. Bei Alkoholikern, die nicht einsehen, dab nur vSllige Enthaltsamkeit ihnen helfen kann, muB daher die hypnotisch- suggestive Behandiung erfolglos sein. Die erw~hnten Kranken, die sich bei Prfifung in ,,Desorientiertheit" als nicht enthaltsamkeitswillig erwiesen (sonst ffeflich behaupteten sie es zu sein), haben denn auch weitergetrunken. Doch auch manche andere sind sparer riickI~llig ge- worden, die bei ihrer Priifung in ,,Desorientiertheit" enthaltsamkeits- willig erschienen. I)ieses (positive) Priifungsergebnis beweist also nichts fiir die Zukunft. Das gegenteilige (negative) Ergebnis aber mu~ offenbar als sicheres Zeichen wenigstens vorl~ufig schlechter tteilungsaussichten angesehen werden.

ttervorgerufen werden kann also Enthaltsamkeitswille durch hypnotische Suggestionen nicht; wohl aber mag er durch sie gestarkt werden k6nnen, wenn er bereits besteht. Deshalb kSnnte die hypnotisch- suggestive Behandlung bei allen denjenigen Trinkern Zweck haben, die ihrer Behauptung nach yon der Notwendigkeit v511iger, dauernder Enthaltsamkeit iiberzeugt sind und angeblich auch den Willen zur Enthaltsamkeit haben, der trotz vorhandener Einsicht fehlen kann. Ob Einsicht und Wille in Wirklichkeit vorhanden sind, ist natiirlich niemals sicher. Der Erfolg der hypnotisch-suggestiven Behandiung ist also in allen Fallen durchaus ungewi~. Auch kSnnen ja trotz anl~ng- licher Enthaltsamkeit -- also trotz oifensichtlichen Enthaltsamkeits- willens -- schlieBlich doeh wieder RfickfaUe eintreten.

Bei dieser g~nzlichen UngewiBheit kann man sich dahin entschlieBen, jeden hypnosefahigen und angeblich enthaltsamkeitswilligen Trinker

1) Med. Klinik 1922, Nr. 41, 3) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 86, H. 1/2. 1923. 3) Dtsch. reed. Wochenschr. 1923, H. 14.

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hypnotiseh-suggestivzu behandeln. Hi~ufig ist diese Behandlung infolge yon Hypnoseunf~higkeit nicht m6glich, so dab eine ganze Anzahl Kranker sowieso nicht in Betracht kommt. (Mitunter ist die anfangs fehlende Hypnosef~higkeit sp~ter vorhanden; ihre wiederholte Prfifung ist daher angezeigt.)

Der Wert der hypnotisch-suggestiven Behandlung wird beim Alkoho- lismus vielfach betr~chtlich fiberschatzt. In Wirklichkeit ist sie yon sehr untergeordneter Bedeutung und kann tedig]ich zur Unterstfitzung der Hauptbehandlung dienen, -- der psychischen Beeinflussung aul]er- halb der Hypnose. Keinesfalls darf HypnoSe.und Suggestion die I-Iaupt- rolle bei der Behandlung Alkoholkranker spielen oder gar ausschliel~lich angewandt werden. Bleuler weist in seinem Lehrbuch der Psychiatrie (S. 241) auf die Gefahr bin, dab sich Arzt und Kranker dureh die Hypnose yon der eigentlichen Aufgabe ablenken lassen -- eben yon der aul~erhypnotischen Beeinflussung des Trinkers. Allerdings muB man sieh hfiten, dieser Gefahr zu erliegen; sie ist aber kein Grund, ganz auf die hypnotisch-suggestive Behandlung Alkoholkranker zu ver- zichten.

Eigene Erfahrungen mit der Hypnosuggestivbehandlung einer anderen Giftsucht, des Nikotinismus, gestatten Rfickschlfisse auf die M6glichkeit einer hypnotisch-suggestiven Beeinflussung des Alkoholis- mus. Ein leidensehaftlicher Pfeifenraucher, der sich das Rauchen ab- gew6hnen wollte, bat mich, ihn in diesem angeblich ernsten Bestreben durch Suggestionen in Hypnose zu unterstfitzen. In einer ganzen Reihe tiefer I-Iypnosen machte ieh diesen Versuch. Suggestionen, die den Willen zum Tabakverzicht und die Widerstandskraft gegenfiber allen Versuchungen zum Rauchen st&rken sollten (entsprechend den Heft- suggestionen bei Alkoholismus), verband ich mit besonders drastischen verekelnden Suggestionen, -- entsprechend denen, die ich mir ffir Alko- holiker erdacht habel). Sein Versuch, auf meine Aufforderung in der Hypnose Pfeife zu rauchen, erregte denn auch sofort Widerwillen bei ibm; es war ihm offensichtlich wirklich unm6glich. Nach der Hypnose hatte er stets etwa eine halbe Stunde lang kein Verlangen nach seiner Pfeife und rauchte tats~chlich ausnahmsweise nicht. Dann abet er- wachte allm~hlich die Lust zum Rauchen wieder mit Macht, so dal~ er ihr nicht widerstehen koImte. Auch der Versuch einer psychischen Verekelung des Alkohols in der tIypnose hat wohl dieses Schicksal (meine Alkoholkranken, die ich auch auf diese Weise zu beeinflussen versuchte, glaubten freilich, gerade dieses Verfahren sei besonders wirkungsvoll). Bei dem erw&hnten Raucher versagte -- wie der Mi$- erfolg ja zeigte -- aueh der Versuch einer suggestiven Willensst~rkung

x) Die Alkoholfrage 1923, H. 1.

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in Hypnose, von der wir beim Trinker Erfolg erhoffen, aber ja auch keineswegs immer wirklich erleben.

Gegeniiber dem offenbar organisch bedingten dipsomanischen Zwang zur Berauschung -- gewShnlich entgegen der besten Einsicht und Ab- sicht des Kranken -- ist die hypnotisch-suggestive Behandlung machtlos; ebenso erfolglos diirfte sie dann sein, wenn die Neigung zu fiberm~l~igem AlkoholgenuB Anzeichen einer Psychopathie ist.

Besondere Erwartungen sollten Arzt, Kranke und AngehSrige in keinem Falle von Trunksucht gerade an die hypnotisch-suggestive Be- handlung kniipfen; sie daft beim Alkoholismus nur als ein Versuch von fraglichem Erfolg gewertet werden.