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Die Wahrheit über Flug 007 Die USA nutzten den Abschuß der koreanischen Maschine zu einer Propaganda-Aktion gegen die Sowjetunion von Alvin A. Snyder DIE ZEIT Nº 41/1996 4. Oktober 1996 14:00 Uhr WASHINGTON. - Vor dreizehn Jahren wurde ich zu einem geheimen Treffen im State Department gerufen, um eine Fernsehproduktion zu besprechen. Damals war ich Direktor des weltweiten Fernsehprogramms der amerikanischen Informationsbehörde U. S. Information Agency. In einem kleinen Konferenzraum, dessen Tür wie ein Safe mit einem schweren Kombinationsschloß gesichert war, wurde mir ein Tonband ausgehändigt. Ich sollte aus dem Inhalt ein Video herstellen, das im UN-Sicherheitsrat vorgeführt werden sollte. Es ging um Flug 007 der Korean Airlines. Die Maschine war am 31. August 1983 auf dem Weg nach Seoul mit 269 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord über eine sowjetische Flugabwehrraketenbasis geflogen und von Major Gennadij Osipowitsch mit seinem Suchoj-15- Jagdflieger abgeschossen worden. Jede Minute dieser Verfolgungsjagd und des Abschusses war von amerikanischen Aufklärungsstationen nahe der sowjetischen Grenze beobachtet worden. Wir machten aus dem Band einen raffinierten Kurzfilm, der am 6. September dem Sicherheitsrat vorgeführt und anschließend per Satellit weltweit ausgestrahlt wurde. Damit begann eine neue Ära der populistischen Diplomatie. Das Video war eindringlich, überzeugend - und eine Fälschung. Unser Ausgangsmaterial waren die Mitschnitte der Gespräche zwischen den Fluglotsen und den sowjetischen Piloten während der Verfolgungsjagd. Wir fügten dem russischen Original-Ton eine englische Übersetzung hinzu und ergänzten ihn mit einer Chronologie des Geschehens sowie einer Karte. Unsere These lautete: Die Sowjets hatten bewußt und absichtlich ein Passagierflugzeug abgeschossen. Dabei hatten sie weder Warnschüsse abgegeben noch das Flugzeug zum Landen aufgefordert. Der Film sollte - wie der damalige Außenminister George Shultz an Präsident Ronald Reagan schrieb - das Herzstück einer massiven öffentlichen Kampagne "zur Ausbeutung des Vorfalls" werden. Die Absicht dahinter war, den Abschuß mit dem Streit um die atomare Abrüstung zu verknüpfen. Der Film sollte die Glaubwürdigkeit der Sowjets in Frage stellen, um so die Bemühungen des Kreml zu untergraben, die europäischen Nato-Partner von der atomaren Nachrüstung abzubringen.

Die Wahrheit Über Flug 007

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Die USA nutzten den Abschuß der koreanischen Maschine zu einer Propaganda-Aktion gegen die Sowjetunion von Alvin A. Snyder

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  • Die Wahrheit ber Flug 007Die USA nutzten den Abschu der koreanischen Maschine zu einer Propaganda-Aktion gegen die Sowjetunion von Alvin A. Snyder

    DIE ZEIT N 41/1996 4. Oktober 1996 14:00 Uhr

    WASHINGTON. - Vor dreizehn Jahren wurde ich zu einem geheimen Treffen im State Department gerufen, um eine Fernsehproduktion zu besprechen. Damals war ich Direktor des weltweiten Fernsehprogramms der amerikanischen Informationsbehrde U. S. Information Agency.

    In einem kleinen Konferenzraum, dessen Tr wie ein Safe mit einem schweren Kombinationsschlo gesichert war, wurde mir ein Tonband ausgehndigt. Ich sollte aus dem Inhalt ein Video herstellen, das im UN-Sicherheitsrat vorgefhrt werden sollte.

    Es ging um Flug 007 der Korean Airlines. Die Maschine war am 31. August 1983 auf dem Weg nach Seoul mit 269 Passagieren und Besatzungsmitgliedern an Bord ber eine sowjetische Flugabwehrraketenbasis geflogen und von Major Gennadij Osipowitsch mit seinem Suchoj-15-Jagdflieger abgeschossen worden. Jede Minute dieser Verfolgungsjagd und des Abschusses war von amerikanischen Aufklrungsstationen nahe der sowjetischen Grenze beobachtet worden.

    Wir machten aus dem Band einen raffinierten Kurzfilm, der am 6. September dem Sicherheitsrat vorgefhrt und anschlieend per Satellit weltweit ausgestrahlt wurde. Damit begann eine neue ra der populistischen Diplomatie. Das Video war eindringlich, berzeugend - und eine Flschung.

    Unser Ausgangsmaterial waren die Mitschnitte der Gesprche zwischen den Fluglotsen und den sowjetischen Piloten whrend der Verfolgungsjagd.

    Wir fgten dem russischen Original-Ton eine englische bersetzung hinzu und ergnzten ihn mit einer Chronologie des Geschehens sowie einer Karte. Unsere These lautete: Die Sowjets hatten bewut und absichtlich ein Passagierflugzeug abgeschossen. Dabei hatten sie weder Warnschsse abgegeben noch das Flugzeug zum Landen aufgefordert.

    Der Film sollte - wie der damalige Auenminister George Shultz an Prsident Ronald Reagan schrieb - das Herzstck einer massiven ffentlichen Kampagne "zur Ausbeutung des Vorfalls" werden. Die Absicht dahinter war, den Abschu mit dem Streit um die atomare Abrstung zu verknpfen. Der Film sollte die Glaubwrdigkeit der Sowjets in Frage stellen, um so die Bemhungen des Kreml zu untergraben, die europischen Nato-Partner von der atomaren Nachrstung abzubringen.

  • Die Wahrheit ber Flug 007Seite 2/2 Die Zuschauer lauschten in sprachlosem Entsetzen den knisternden Bndern, auf denen die sowjetischen Piloten emotionslos die schrecklichen letzten Augenblicke von Flug 007 schilderten.

    Nur der sowjetische Botschafter drehte sich nicht zum Bildschirm hinter ihm um. Statt dessen starrte ertrotzig geradeaus. Ein russischer Journalist sagte mir spter, da unser Video der grte Propagandarckschlag war, den der Kreml whrend des Kalten Krieges erlebt hat.

    In den letzten Jahren ist jedoch zustzliches Material verfgbar geworden, aus dem deutlich wird, da ich damals unvollstndige Informationen erhalten habe: ausgewhlte uerungen der Piloten und gar keine der Fluglotsen. Die vollstndigen Abhrprotokolle zeigen, da die Russen der berzeugung waren, Flug 007 sei ein amerikanisches Aufklrungsflugzeug des Typs RC-135, die routinemig in dieser Gegend flogen.

    Im 1993 verffentlichten Abschlubericht der Internationalen Zivilen Luftfahrtbehrde erfuhr ich nun, was mir damals vorenthalten wurde: Amerikanische Beamte kannten die Protokolle. Aus ihnen geht hervor, da Major Osipowitsch das Flugzeug nicht identifizieren konnte, da er Warnraketen abscho und mit den Flgelspitzen wackelte - eine international anerkannte Landeaufforderung. Sein Fluglotse sagte zu ihm: "Das Objekt ist militrisch. Zerstren Sie es, sobald es unsere Grenzen berschreitet. Machen Sie sich gefechtsbereit. Das Objekt hat die Grenzen berschritten. Zerstren Sie es."

    Frhere amerikanische Beamte, die an der Vertuschung beteiligt waren und auf Anonymitt bestehen, haben mir gesagt, da uns diese Information bewut vorenthalten wurde. Auer dem Propagandawert wollten die Amerikaner die Sowjets auch nicht wissen lassen, wie hervorragend ihre Aufklrungsmglichkeiten entlang der sowjetischen Grenze waren.

    "Das Video mag eine Flschung gewesen sein", sagte mir ein frherer Beamter des State Department. "Aber es hat die Russen eingeschchtert und so vermutlich weitere Vorflle verhindert und Leben gerettet."

    Alvin A. Snyder war Direktor des Fernsehprogramms der amerikanischen U. S. Information Agency.

    Die Wahrheit ber Flug 007Die Wahrheit ber Flug 007Seite 2/2