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Die WEK macht Tempo ES-ZELL: Junge Mitarbeiter der Behinderteneinrichtung bauen legendären Dreirad-Oldtimer zum rollenden Café und Infomobil um Der flotte Spruch auf dem großfor- matigen Plakat an der Wand spornt an: „Die WEK macht Tempo“ steht in blauen Buchstaben drauf. Davor aufgebockt ist ein Pritschenaufbau, an dem kräftig gewerkelt wird. An- gehängt wird er an ein Gefährt, das im Hof der Werkstätten Esslingen- Kirchheim (WEK) in der Röntgen- straße in Zell steht: ein Oldtimer des legendären Tempo-Dreirads, Bau- jahr 1940. Mit dem auffälligen Fahr- zeug werden behinderte Mitarbeiter der WEK als mobiles Café oder rol- lendes Infomobil auf Tour gehen. Von Elisabeth Schaal Mario Calaprice, Annika Blum, Roll- stuhlfahrerin Katrin Diener, Sabrina Bohnert und Moritz Winkler arbei- ten im WEK-Berufsbildungsbereich. Dort finden sie heraus, wo ihre per- sönlichen Stärken liegen und welche Aufgaben ihnen Spaß machen. Sie erhalten Einblicke in unterschiedli- che Arbeitsfelder, erwerben Wissen und Fähigkeiten, dürfen üben und werden individuell gefördert. Zwei Jahre dauert diese Qualifizierung auch mit Praktika in der Werkstatt, in Außenarbeitsgruppen oder in ex- ternen Betrieben. Dann übernehmen sie eine beruflich für sie passende Arbeit. „Einmal jährlich stemmt der Berufsbildungsbereich, in dem je nach Jahrgangsstärke zwischen zehn und 15 junge Leute arbeiten, ein Großprojekt. Wir haben beispiels- weise im Garten eine stabile große Hütte gebaut und einen Niedrigseil- garten angelegt“, erzählt Gruppen- leiter Stephan Baur. In diesem Jahr habe man sich ans Restaurieren und Umbauen eines Oldtimers „rangetraut“. Die Idee dazu kam nicht von ungefähr. Denn mit dem Esslinger Kaffeehaus Sonne und dem Café Morlock auf dem Plo- chinger Stumpenhof verfügt die WEK über zwei Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung im Service beziehungsweise in der Backstube arbeiten. Der Gedanke an ein mobiles Café lag da nahe: „Vom Kaffeehaus bekommen wir dessen Kaffeespezialitäten, vom Café das leckere Gebäck.“ Emotionale Reaktionen Bei der Suche nach einem passenden Oldtimer-Transporter, den man zum Informations- und Verkaufswagen umbauen konnte, sei man relativ schnell über das Dreirad mit der Ty- penbezeichnung Tempo der Firma Vidal und Söhne Hamburg gestol- pert. Dessen Geschichte begann 1928 und in den 40er- und 50er-Jah- ren war das Gefährt ein beliebtes Transportfahrzeug. „Es war äußerst populär. Egal, wo man heute hin- kommt, die älteren Semester kennen es und es gibt teils sehr emotionale Reaktionen“, hat Baur bei bisherigen Ausfahrten erlebt. Gefunden und gekauft mit Unter- stützung von Sponsoren hat die WEK das zunächst nicht mehr fahrbereite Dreirad übers Internet in Heilbronn. Laut Fahrzeugbrief hatte es zuvor Halter in Pinneberg, Tübingen und Weil im Schönbuch. Dass das Tempo eine sehr einfache Technik hat, sei von Vorteil, weiß Mirko Theil, der den Arbeitsbereich leitet: „Wir kön- nen unseren jungen Leuten den Auf- bau des Fahrzeugs leicht erklären.“ Jeder werde bei dem Projekt nach seinem Können eingesetzt. „Das reicht von einfachen Dinge wie an- streichen bis zu komplexeren Auf- gaben“, ergänzt Baur. Ob Metall- oder Holzbearbeitung, Elektrik oder der Umgang mit Farbe zum Streichen des Rahmens – „alle unsere Fachbe- reiche kommen zum Zug und wir haben da ein großes Qualitätsbe- wusstsein.“ Warum sie den Rahmen des Pritschenwagens übrigens satt blau gestrichen haben, erklären die jungen Leute gern: „Das ist die Farbe wie bei unserem Logo“, sagt Lisa Schübler, und zeigt auf den WEK- Schriftzug an der Wand. Nun ist das Dreirad fahrtüchtig. Fal- sche Teile, die eingebaut waren, sind ersetzt worden. „Bis zu Tempo 50 kann man fahren, nur in den Kurven muss man langsam tun“, sagt Baur lachend. Er hatte im Sommer am fünften internationalen Tempo-Tref- fen in Vöhl in Hessen teilgenommen. Einer Veranstaltung für Freunde und Fahrer der Fahrzeuge der Marke Tempo und der in Hamburg konst- ruierten Nachfolgemodelle der Mar- ken Bajaj-Tempo, Hanomag und Mercedes-Benz. „Diese Spezialisten haben uns Tipps und Tricks für die Renovierung gegeben. Es gibt auch ein paar regionale Insider, die uns künftig bei technischen Problemen helfen könnten.“ Beitrag zur Inklusion Schienen auf der 2,50 mal knapp 1,30 Meter großen Ladefläche sor- gen dafür, dass die wechselnden Auf- bauten auf der Pritsche problemlos installiert werden können. Das ori- ginelle Gefährt wird künftig als Café mit Kaffeemaschine, Becherhaltern, Kühlwanne, Saftpresse und Kuchen- zylinder sowie Hygienebereich un- terwegs sein, aber auch als Infomobil mit Broschüren und einem Film über die Arbeit der WEK und zum Thema Inklusion. „Wir wollen mehr Präsenz im Landkreis Esslingen zeigen, wol- len beispielsweise auf Weihnachts- märkten, bei Stadt- und Sportfesten und auch beim Neckarwiesenfest vorbeikommen“, kündigt Theil an. Schließlich solle Inklusion nicht nur diskutiert, sondern auch praktiziert werden. Mit Tempo auf eine origi- nelle Weise. Am legendären Tempo-Dreirad aus dem Jahr 1940 gibts immer was zum Schrauben und Richten. Sabrina Bohnert und Moritz Winkler machen unter Anleitung von Arbeitserzieher Thomas Elholm gern mit bei diesem Projekt des WEK-Berufsbildungsbereichs. Fotos: Bulgrin Annika Blum (rechts), Katrin Diener und Mario Calaprice (im Hintergrund) arbei- ten mit Gruppenleiter Stephan Baur am Pritschenaufbau des Tempo. Bei einem Oldtimer-Treffen, an dem auch das WEK-Team teilnahm, entdeckte Gruppenleiter Stephan Baur diesen Tempo-Viehtransporter. Foto: Baur

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Die WEK macht Tempo es-zell: Junge Mitarbeiter der Behinderteneinrichtung bauen legendären Dreirad-Oldtimer zum rollenden Café und Infomobil um

Der flotte Spruch auf dem großfor-matigen Plakat an der Wand spornt an: „Die WEK macht Tempo“ steht in blauen Buchstaben drauf. Davor aufgebockt ist ein Pritschenaufbau, an dem kräftig gewerkelt wird. An-gehängt wird er an ein Gefährt, das im Hof der Werkstätten Esslingen-Kirchheim (WEK) in der Röntgen-straße in Zell steht: ein Oldtimer des legendären Tempo-Dreirads, Bau-jahr 1940. Mit dem auffälligen Fahr-zeug werden behinderte Mitarbeiter der WEK als mobiles Café oder rol-lendes Infomobil auf Tour gehen.

Von Elisabeth Schaal

Mario Calaprice, Annika Blum, Roll-stuhlfahrerin Katrin Diener, Sabrina Bohnert und Moritz Winkler arbei-ten im WEK-Berufsbildungsbereich. Dort finden sie heraus, wo ihre per-sönlichen Stärken liegen und welche Aufgaben ihnen Spaß machen. Sie erhalten Einblicke in unterschiedli-che Arbeitsfelder, erwerben Wissen und Fähigkeiten, dürfen üben und werden individuell gefördert. Zwei Jahre dauert diese Qualifizierung auch mit Praktika in der Werkstatt, in Außenarbeitsgruppen oder in ex-ternen Betrieben. Dann übernehmen sie eine beruflich für sie passende Arbeit. „Einmal jährlich stemmt der Berufsbildungsbereich, in dem je nach Jahrgangsstärke zwischen zehn und 15 junge Leute arbeiten, ein Großprojekt. Wir haben beispiels-weise im Garten eine stabile große Hütte gebaut und einen Niedrigseil-garten angelegt“, erzählt Gruppen-leiter Stephan Baur.In diesem Jahr habe man sich ans Restaurieren und Umbauen eines Oldtimers „rangetraut“. Die Idee dazu kam nicht von ungefähr. Denn mit dem Esslinger Kaffeehaus Sonne und dem Café Morlock auf dem Plo-chinger Stumpenhof verfügt die WEK über zwei Einrichtungen, in denen Menschen mit Behinderung im Service beziehungsweise in der Backstube arbeiten. Der Gedanke an ein mobiles Café lag da nahe: „Vom Kaffeehaus bekommen wir dessen Kaffeespezialitäten, vom Café das leckere Gebäck.“

emotionale ReaktionenBei der Suche nach einem passenden Oldtimer-Transporter, den man zum Informations- und Verkaufswagen umbauen konnte, sei man relativ schnell über das Dreirad mit der Ty-penbezeichnung Tempo der Firma Vidal und Söhne Hamburg gestol-pert. Dessen Geschichte begann 1928 und in den 40er- und 50er-Jah-ren war das Gefährt ein beliebtes Transportfahrzeug. „Es war äußerst populär. Egal, wo man heute hin-kommt, die älteren Semester kennen es und es gibt teils sehr emotionale Reaktionen“, hat Baur bei bisherigen Ausfahrten erlebt.Gefunden und gekauft mit Unter-stützung von Sponsoren hat die WEK das zunächst nicht mehr fahrbereite Dreirad übers Internet in Heilbronn. Laut Fahrzeugbrief hatte es zuvor Halter in Pinneberg, Tübingen und Weil im Schönbuch. Dass das Tempo eine sehr einfache Technik hat, sei von Vorteil, weiß Mirko Theil, der

den Arbeitsbereich leitet: „Wir kön-nen unseren jungen Leuten den Auf-bau des Fahrzeugs leicht erklären.“ Jeder werde bei dem Projekt nach seinem Können eingesetzt. „Das reicht von einfachen Dinge wie an-streichen bis zu komplexeren Auf-gaben“, ergänzt Baur. Ob Metall- oder Holzbearbeitung, Elektrik oder der Umgang mit Farbe zum Streichen des Rahmens – „alle unsere Fachbe-reiche kommen zum Zug und wir haben da ein großes Qualitätsbe-wusstsein.“ Warum sie den Rahmen des Pritschenwagens übrigens satt blau gestrichen haben, erklären die

jungen Leute gern: „Das ist die Farbe wie bei unserem Logo“, sagt Lisa Schübler, und zeigt auf den WEK-Schriftzug an der Wand.Nun ist das Dreirad fahrtüchtig. Fal-sche Teile, die eingebaut waren, sind ersetzt worden. „Bis zu Tempo 50 kann man fahren, nur in den Kurven muss man langsam tun“, sagt Baur lachend. Er hatte im Sommer am fünften internationalen Tempo-Tref-fen in Vöhl in Hessen teilgenommen. Einer Veranstaltung für Freunde und Fahrer der Fahrzeuge der Marke Tempo und der in Hamburg konst-ruierten Nachfolgemodelle der Mar-

ken Bajaj-Tempo, Hanomag und Mercedes-Benz. „Diese Spezialisten haben uns Tipps und Tricks für die Renovierung gegeben. Es gibt auch ein paar regionale Insider, die uns künftig bei technischen Problemen helfen könnten.“

Beitrag zur InklusionSchienen auf der 2,50 mal knapp 1,30 Meter großen Ladefläche sor-gen dafür, dass die wechselnden Auf-bauten auf der Pritsche problemlos installiert werden können. Das ori-ginelle Gefährt wird künftig als Café

mit Kaffeemaschine, Becherhaltern, Kühlwanne, Saftpresse und Kuchen-zylinder sowie Hygienebereich un-terwegs sein, aber auch als Infomobil mit Broschüren und einem Film über die Arbeit der WEK und zum Thema Inklusion. „Wir wollen mehr Präsenz im Landkreis Esslingen zeigen, wol-len beispielsweise auf Weihnachts-märkten, bei Stadt- und Sportfesten und auch beim Neckarwiesenfest vorbeikommen“, kündigt Theil an. Schließlich solle Inklusion nicht nur diskutiert, sondern auch praktiziert werden. Mit Tempo auf eine origi-nelle Weise.

Am legendären Tempo-Dreirad aus dem Jahr 1940 gibt’s immer was zum Schrauben und Richten. Sabrina Bohnert und Moritz Winkler machen unter Anleitung von Arbeitserzieher Thomas Elholm gern mit bei diesem Projekt des WEK-Berufsbildungsbereichs. Fotos: Bulgrin

Annika Blum (rechts), Katrin Diener und Mario Calaprice (im Hintergrund) arbei-ten mit Gruppenleiter Stephan Baur am Pritschenaufbau des Tempo.

Bei einem Oldtimer-Treffen, an dem auch das WEK-Team teilnahm, entdeckte Gruppenleiter Stephan Baur diesen Tempo-Viehtransporter. Foto: Baur