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Dagmar Larini Die zehn Botschaften der Sterbenden © des Titels »Die zehn Botschaften der Sterbenden« (ISBN 978-3-86882-545-9) 2015 by mvg Verlag, Münchner Verlagsgruppe GmbH, München Nähere Informationen unter: http://www.mvg-verlag.de

Die zehn Botschaften der Sterbenden - mvg · Sam als Sohn zweier Kinderärzte geboren wurde und an einer der seltensten Kinderkrankheiten überhaupt litt. Zunächst schien Sam Berns

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Dagmar Larini

Die zehn Botschaften der Sterbenden

Was wir von Randy Pausch, Sam Berns, Steve Jobs und

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

www.mvg-verlag.deBeachten Sie auch unsere weiteren Verlage unterwww.muenchner-verlagsgruppe.de

Weitere Informationen zum Verlag fi nden Sie unter

Für Fragen und Anregungen:[email protected]

1. Auflage 2015

© 2015 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,Nymphenburger Straße 86D-80636 MünchenTel.: 089 651285-0Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung, vorbehalten. Die Über-setzung ist in Absprache mit dem Verlag und dem Autor für nicht kommerzielle Nutzung mög-lich. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Palma Müller-Scherf, BerlinUmschlaggestaltung: Pamela Machleidt, unter Verwendung von shutterstockSatz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, GermeringDruck: CPI books GmbH, LeckPrinted in Germany

ISBN Print: 978-3-86882-545-9ISBN E-Book (PDF): 978-3-86415-707-3ISBN E-Book (EPUB, Mobi): 978-3-86415-708-0

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Inhalt

Vorwort ....................................................... 7

1. Sam Berns: Lebe die Möglichkeiten .............. 10

Der Wert der letzten Worte ................ 21

2. Christoph Schlingensief: Genieße es – es ist nicht selbstverständlich .. 29

Diesseits des Jenseits ........................ 40

3. Randy Pausch: Verwirkliche deine Kindheitsträume .............. 45

Unsere wahren Wünsche................... 57

4. Tom Attwater und Mark Weber: Wollen heißt schaffen .................................. 64

Leben ist lernen .................................... 75

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5. Benjamin Breedlove und Jessica Joy Rees: NEGU .............................. 82

Jeder kann, ich kann ........................... 94

6. Steve Jobs: Hungrig bleiben, verrückt bleiben 100

Die Fäden zusammenführen .............. 112

7. James K. Flanagan: Unter teuren Hüten stecken auch nur Menschen ........................ 118

Nur keine Angst .................................... 129

8. Janis Joplin und der Klub 27: Du bist alles, was du brauchst ...................... 135

Ich bin ich – und andere ..................... 146

9. Albert Schweitzer: Leben inmitten von Leben 153

Mehr als ich ........................................... 164

10. Trisha Creekmore: Lebe! .............................. 168

Es ist mein Leben ................................. 179

Quellen ............................................................. 183

Weiterführende Literatur ..................................... 191

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Vorwort

Dieses Buch ist voller Lebensfreude, denn es handelt vom Sterben. Was auf den ersten Blick wie ein Widerspruch erscheinen mag, ist auf den zwei-ten Blick alles andere als das.

Von Kind auf wissen wir, dass unser Leben auf diesen unausweichlichen Schlusspunkt zusteuert, dass wir eines Tages nicht mehr sind. Der Gedanke daran macht uns Angst. So sehr, dass wir ihn am liebsten verdrängen. Statt-dessen stürzen wir uns in die Arbeit, meistern unseren Alltag und leben un-ser Leben, so gut es eben geht. Dabei vergessen wir allerdings nur zu häufi g, zu was unser Leben wirklich gut ist, was es uns alles bieten kann, sofern wir dies denn zuließen.

Was aber, wenn wir nicht mehr versuchen, das Unvermeidliche auszu-blenden? Wenn wir uns stattdessen sagen: Ja, ich werde sterben. Irgend-wann. Bis dahin aber nehme ich mir das Recht zu leben, so wie ich es wirk-lich will. Die Vorstellung ist verlockend, und die meisten von uns haben irgendwann schon einmal darüber nachgedacht. Doch wir alle wissen: Das ist nicht so leicht. Jeder Mensch ist fest verwoben mit einem Umfeld, wir haben unsere Verpfl ichtungen, die es zu erfüllen gilt. Vor allem aber fehlt es uns an der Zeit, solche Gedanken weiterzuspinnen und sie dann auch in die Tat umzusetzen. Wenn wir es doch wagen, begleiten uns ebenfalls ängstliche Gedanken. Weil wir gar nicht mehr so recht wissen, was das Leben tat-

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sächlich zu bieten hat, wenn wir von unseren Gewohnheiten und scheinbar Vertrautem loslassen.

Was also tun? Die Antwort ist einfach: Wir sollten auf diejenigen hören, denen die Angst vor der Ungewissheit genommen wurde. Auf jene Men-schen also, die statt mit der Ungewissheit mit der Gewissheit leben, dass sie bald sterben werden. Das Erstaunliche daran ist nämlich, dass sie nicht mit ihrem Schicksal hadern. Sie verbringen ihre letzten Tage oder auch Monate nicht damit, sich zu beklagen. Sie versinken nicht in Tränen oder Depressi-onen. Vielmehr ist häufi g etwas gänzlich anderes zu beobachten. Sterbende Menschen wirken, als wären sie von einer neuen Klarheit erfasst. Sie haben keine Angst mehr, weil sie nun wissen, dass es defi nitiv zu Ende geht. Eine Erkenntnis, die nicht zuletzt befreiend wirkt. Denn das Abfallen der Angst lässt sie einen neuen und eben klareren Blick auf das Leben werfen.

Was all die Jahre zuvor so wichtig erschien, spielt nur noch eine Ne-benrolle. Was sollen die Nachbarn von mir denken? Wie mache ich mich beim Chef beliebt? Vollkommen egal. In den Fokus rücken nun die wirklich elementaren Dinge des Lebens. Die Frage etwa, wer ich bin und ob ich so gelebt habe, wie es für mich selbst und nicht in den Augen der anderen rich-tig war. Was macht das Leben wirklich aus? Und was bedeutet die Antwort darauf für mich?

Vor allem aber ist bei vielen Sterbenden zu beobachten, dass sie ihre neue und freiere Sicht der Dinge nicht allein dafür nutzen, den letzten Abschnitt ihres Lebens einfach nur zu absolvieren. Die Sterbenden haben vielmehr etwas mitzuteilen: Sie wollen uns sagen, was wir mit unserem Leben ma-chen sollen, um es trotz unserer steten Unsicherheit auskosten zu können. Sie wollen uns helfen, den Weg zu einem erfüllten und glücklichen Leben zu fi nden. Und sie wollen uns davor warnen, wie uns die vielen scheinbaren Selbstverständlichkeiten des zivilisierten Daseins genau davon abhalten.

Wer den Sterbenden aufmerksam zuhört, der wird von ihnen Weishei-ten mit auf den weiteren Lebensweg bekommen, die vieles verändern. Zum

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Positiven und für immer. Wer zuhört, muss allerdings darauf gefasst sein, dass manches Lebensziel kaum etwas mit dem zu tun hat, das wirklich zu Glück und Erfüllung führt. Keiner von denen, die auf der anderen Seite der Schwelle der Angst stehen, wird uns raten, von jetzt an noch mehr Über-stunden zu machen, um möglichst zügig eine weitere Sprosse der Karrie-releiter zu erklimmen. Keiner von ihnen fordert uns auf, bis zum Lebensen-de möglichst viele Reichtümer anzuhäufen oder uns, auf welche Weise auch immer, ein eigenes Denkmal zu schaff en.

Aber: Die Sterbenden sind auch schlau genug, uns nicht zu raten, schlicht alles hinzuwerfen und etwa ein völlig neues Leben auf einer idylli-schen Südseeinsel anzufangen. Was sie uns mit auf den Weg geben, ist ein Wissen, das unser Leben bereichert, ohne es von Grund auf umzukrempeln. Es geht um viele kleine und sachte Hinweise, die zusammen jedoch ein mächtiges Werkzeug ergeben. Die Sterbenden eröff nen uns neue Blickwin-kel, indem sie vielleicht danach fragen, was aus unseren Kindheitsträumen geworden ist und wie wir sie auch jetzt noch einlösen können. Sie regen uns an zu überlegen, ob es wirklich sinnvoll ist, dass wir immer nur bedauern, was wir nicht haben – oder ob es nicht wesentlich Erfolg versprechender wäre, all das wirklich und umfassend zu nutzen, was uns gegeben ist.

Es gibt durchaus Fälle, in denen ein todkrankes Kind uns Weisheiten auf den Weg gibt, die so reif und erwachsen sind, dass wir uns nur wundern, warum wir nicht selbst darauf gekommen sind. Andererseits überraschen uns weltbekannte, erfolgreiche und überaus wohlhabende Menschen mit Erkenntnissen, die auf reiner Menschlichkeit beruhen.

Eines kann ich Ihnen versichern: Was Sie in diesem Buch von den Ster-benden erfahren, wird Sie berühren. Es wird Sie manchmal vielleicht sogar zu Tränen rühren. Am Ende aber werden Sie voller Hoff nung sein. Und Sie werden alles in der Hand haben, um ein erfülltes Leben zu führen. Ein Leben voller Lebensfreude, das Ihnen garantiert die Angst vor der Unge-wissheit nimmt.

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1. Sam Berns: Lebe die Möglichkeiten

Sampson Gordon »Sam« Berns war nicht einmal zwei Jahre alt, als klar wurde, dass er diese Welt bald schon wieder verlassen sollte. Seine Lebens-erwartung wurde auf bestenfalls vierzehn Jahre geschätzt, am Ende sollten es allen Voraussagen zum Trotz immerhin siebzehn Jahre sein, die Sam auf dieser Erde verbrachte. Eine sehr kurze Zeit, aber doch lang genug, um aus Sam Berns einen Menschen zu machen, der Millionen berührte – und des-sen Weisheit und Lebensmut wir niemals vergessen dürfen.

Man kann es fast schon als eine Ironie des Schicksals betrachten, dass Sam als Sohn zweier Kinderärzte geboren wurde und an einer der seltensten Kinderkrankheiten überhaupt litt. Zunächst schien Sam Berns ein vollkom-men gesundes Baby zu sein, doch bald schon stellten sich Symptome ein, die beunruhigten. Die Diagnose war nichts anderes als ein Todesurteil: Pro-gerie. Die wenigsten werden davon je gehört haben oder wissen, was sich hinter diesem Namen verbirgt. Fast jeder wird aber schon mal irgendwo ein Bild eines jungen Menschen gesehen haben, der unter Progerie leidet. Denn die Auswirkungen der Krankheit sind deutlich sichtbar.

Hergeleitet ist der Begriff aus dem Altgriechischen und er steht für früh- oder vorzeitiges Altern. Was allerdings immer noch eine sehr zurückhal-tende Beschreibung dessen ist, was in dem Körper eines der weltweit kaum mehr als einhundert Betroff enen vor sich geht. Denn Progerie führt dazu,

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dass ein Mensch vier- bis zehnmal schneller altert, als es normalerweise der Fall ist. Die ersten Anzeichen treten meist schon im ersten Lebensjahr auf. Sie reichen von Haarausfall über Arterienverkalkung und Knochen-schwund bis hin zu Kleinwuchs, der ebenfalls für diese Patienten typisch ist.

Im Klartext: Sam Berns lebte bereits als Teenager im Körper eines sehr alten Mannes, eines Greises. Er war winzig klein und mager, sein kahler Kopf wirkte unverhältnismäßig groß.

Kein gesunder Mensch vermag sich annähernd vorzustellen, was diese Krankheit für ein Kind bedeutet. Unbeschwertes Herumtollen war für Sam unmöglich, und immer war da auch dieses Wissen, dass er nur ein kurzes Gastspiel im Reich der Lebenden geben würde. Doch Sam wäre nicht der gewesen, der er war, hätte er sich davon unterkriegen lassen. Stattdessen ließ er die Menschen an seinem Leben teilhaben und bereicherte damit wiede-rum deren Leben.

Bekannt beziehungsweise berühmt wurde Sam in seinem letzten Le-bensjahr. Vier Jahre hatte der amerikanische Fernsehsender HBO sein Le-ben begleitet und eine Dokumentation mit dem Titel Life According to Sam über ihn gedreht, die 2013 veröff entlicht wurde. Gegen Ende jenes Jahres absolvierte Sam Berns noch einen öff entlichen Auftritt im Rahmen einer Tagung, was ihn endgültig zu einer weltweiten Berühmtheit machen sollte –wenige Monate bevor er starb.

Im Rahmen der sogenannten TEDx Midatlantic saß Sam Berns auf ei-ner riesigen Bühne allein auf einem Stuhl vor dem Publikum. Wer ihn nicht kannte, mochte ihn für ein bedauernswertes Wesen halten. Sein zu großes blaues Hemd konnte nicht verbergen, wie zerbrechlich sein Körper wirk-te. Sein Kopf war haarlos und er blickte durch dicke Brillengläser auf die Zuschauer. Als wollte er die Diskrepanz zwischen seinem Erscheinungsbild und seiner Jugend noch verdeutlichen, begann er seine Rede mit den Wor-ten: »Ich bin Sam und ich bin gerade 17 Jahre alt geworden.«

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Wer nun erwartete, dass der greise Teenager die Welt über sein Leid aufklären wollte, erfuhr allerdings schnell, dass es genau darum nicht ging. Denn der Auftritt stand unter einem unerwarteten Motto: Sam Berns sprach über seine Philosophie für ein glückliches Leben. Und er tat es mit einer Klarheit und Weisheit, wie sie selbst für einen doppelt so alten Men-schen ungewöhnlich wäre.

Seine Erzählung begann mit einem zunächst sehr überraschenden oder fast schon abwegig wirkenden Beispiel. Vor einigen Jahren, so erzählte Sam, hatte er den dringenden Wunsch, Trommel in einer Marching Band zu spielen. Also in einem der vor allem in den USA verbreiteten Orchester, die nicht nur musizieren, sondern dabei auch marschieren. Der Haken an der Sache: Während des Marschierens werden die Trommeln mit einer Art Gurtgeschirr am Körper getragen. Eine Kombination, die in Sams Fall ein Gewicht von rund 20 Kilogramm ausmachte. Er selbst jedoch war durch die Progerie inzwischen auf ein Gewicht von 25 Kilogramm abgemagert. Nie-mand dürfte daran zweifeln, dass es ihm eigentlich vollkommen unmöglich war, ein derartiges Gewicht am Körper zu tragen, dabei noch die Trommel zu schlagen und im Takt zu marschieren. Ganz zu schweigen von der typi-schen Uniform, die zusätzliches Gewicht bedeutete.

Die naheliegende Schussfolgerung lautete daher: Dieser Traum ist un-möglich, manche Dinge sind nicht zu realisieren und damit muss man sich abfi nden. Doch genau das war nicht die Haltung von Sam Berns. Er wollte sich auch nicht damit abfi nden, dass man ihm anbot, doch zum Beispiel Bongos zu spielen – die musste er nicht tragen und er musste mit ihnen auch nicht marschieren. Sam aber wollte marschieren und er wollte trommeln.

Zunächst noch niedergeschlagen von der Aussichtslosigkeit seines Wun-sches, rappelte sich Sam Berns schnell wieder auf: Er setzte sich mit seiner Familie zusammen, man holte einen Techniker hinzu und nach einiger Entwicklungsarbeit fand man tatsächlich eine Lösung. Am Ende entstand eine neu konstruierte Kombination aus Tragegeschwirr und Trommel, die

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zusammen auf nicht mehr als drei Kilogramm Gewicht kam und zudem auch noch angenehmer zu tragen war.

Was Sam Berns damit sagen wollte, war eindeutig: Nur weil etwas un-möglich erscheint, muss es noch lange nicht unmöglich sein. Wir alle stehen in unserem Leben immer wieder vor Problemen, deren Lösungswege wir nicht kennen. Manchmal kämpfen wir uns an solchen Problemen ab, doch sie bestehen weiter, weil wir mit üblichen Methoden an sie herangehen. Manchmal versuchen wir uns des Problems zu entledigen, indem wir uns von ihm abwenden, es zu vergessen versuchen und an anderer Stelle so wei-termachen, als wäre nichts gewesen – was natürlich das Problem auch nicht aus der Welt schaff t. Sam Berns’ Rat für derartige Lebenssituationen lautet hingegen: Wenn es ein unüberwindbares Problem gibt, nicht aufgeben oder in Panik verfallen. Stattdessen sollten wir das Ganze aus allen erdenklichen Blickwinkeln betrachten, ruhig bleiben und die Sache genau analysieren. Vermutlich fi ndet sich dann ein neuer Weg, der das Hindernis doch noch aus der Welt schaff t.

Dass wir schwierige Situationen jedoch häufi g mit wenig Erfolg verspre-chenden Methoden angehen, dafür gibt es einen ganz bestimmten Grund: Wir gehen davon aus, dass uns genügend Zeit bleibt. Wenn etwas gerade nicht lösbar erscheint, dann verschieben wir die Arbeit daran auf einen spä-teren Zeitpunkt. Die Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden, da wird sie doch auch ein Problem aus dem Weg schaff en können.

Sam Berns aber hatte keine Zeit. Was er hatte, das war ein Traum bezie-hungsweise der ganz große Wunsch, in der Band zu trommeln. Also setzte er alles daran, dies Realität werden zu lassen.

Für einen gesunden Menschen ist es vielleicht schwierig, sich einzubil-den, er habe keine Zeit zu verlieren und müsse wie Sam möglichst schnell handeln. Was wir aber von Sam Berns lernen können, das ist die schlichte Wahrheit, dass es sich lohnt, für seine Wünsche und Träume wirklich zu kämpfen. Dass wir uns nicht einfach nur passiv anhören sollten, dass unser

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Traum ein Ding der Unmöglichkeit sei, sondern dass wir so lange daran arbeiten sollten, bis er wahr wird.

Doch damit war Sam Berns noch lange nicht am Ende seiner Rede. Er berichtete, dass er einmal im Radio interviewt wurde und man ihm dabei die Frage stellte, was denn das Wichtigste sei, das die Menschen über ihn wissen sollten. Sams Antwort darauf war ebenso einfach wie überraschend: nämlich dass er ein sehr glückliches Leben führe.

Was wieder den Bogen zu Sams Philosophie, wie man ein glückliches Leben führt, spannt. Diese Philosophie setzt sich aus drei Aspekten bezie-hungsweise Facetten zusammen. Die erste stammt dabei gar nicht mal von Sam Berns selbst. Er hat sie vielmehr einer Highschoolkomödie aus dem Jahr 1986 entnommen. Genauer gesagt handelte es sich um ein Zitat von Ferris Bueller, der von Matthew Broderick gespielten Hauptfi gur in Ferris macht blau.

Der sagt an einer Stelle des Films: »Das Leben bewegt sich sehr, sehr schnell. Wenn du nicht gelegentlich anhältst und dich umschaust, könntest du es verpassen.« Ein sterbenskranker Junge wählt also ein Zitat aus einem eher zweitklassigen Hollywoodstreifen, um uns klarzumachen, wie auch wir ein glückliches Leben haben können? Macht das Sinn? Auf den ersten Blick nein – auf den zweiten Blick dagegen sehr wohl. Denn was Sam vermitteln will, ist schließlich nichts weniger als der Hinweis auf ein typisches Problem unserer schnelllebigen Zeit. Wir sind es gewohnt, immer nur nach vorne zu schauen. Einfach weil wir denken, dass wir sonst etwas verpassen oder dass die anderen uns überholen. Wenn wir aber ständig nur nach vorne schau-en, dann ignorieren wir das Jetzt. Doch dieses Jetzt ist unser Leben, der Augenblick, den wir eigentlich auskosten sollten. Wenn wir die Gegenwart nicht genießen, dann können wir auch in der Zukunft nicht glücklich und zufrieden sein.

Dass wir aber ständig nach vorne blicken, das hängt auch damit zusam-men, dass wir etwas erreichen wollen. Dass wir immer mehr wollen, weil es

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doch so vieles gibt, was uns sonst verwehrt bleibt. Denken wir, befürchten wir. Aber ist das auch wirklich so?

Tatsächlich gibt es auch hierfür einen anderen Betrachtungswinkel. Und wieder ist es Sam Berns, der uns darauf hinweist. Die Frage sollte demnach nicht lauten, was uns noch fehlt zum Glücklichsein oder was wir uns noch ermöglichen wollen, weil wir es bisher nicht haben. Sam dreht das Ganze um: Statt immer nur zu lamentieren, was wir nicht haben oder können, sollten wir uns doch einfach mal überlegen, was wir haben und was wir kön-nen. Der stete Wunsch nach mehr, der starre Blick nach vorn hält uns nur zu oft davon ab, unsere bestehenden Möglichkeiten wahrzunehmen und vor allem auch wirklich umzusetzen.

Sam Berns wusste nur zu gut, wovon er sprach, wenn er dieses Th ema anschnitt. Sein Leben war geprägt von Dingen, die er nicht machen konnte. Dass er nicht mit einer herkömmlichen Trommel marschieren konnte, war nur ein Bruchteil davon. Sein 25 Kilogramm schwerer und gebrechlicher Körper ließ kaum eine Tätigkeit zu, die für einen Siebzehnjährigen eigent-lich selbstverständlich war. Doch nur weil manches nicht machbar war, be-deutete dies für Sam eben nicht, dass gar nichts möglich war.

Er beschäftigte sich in seinem Leben auch nicht vorrangig mit den Ein-schränkungen, die seine Krankheit Progerie mit sich brachte – die meiste Zeit dachte er über völlig andere Th emen nach, verfolgte die unterschied-lichsten Dinge.

Er wusste, dass er nicht einfach losrennen konnte, wenn er dazu Lust hatte. Er wusste auch, dass er sich den vielleicht aufkeimenden Wunsch nach einer abenteuerlichen Achterbahnfahrt verkneifen musste, weil sein Körper derartigen Aktivitäten nicht gewachsen war.

Aber das Leben bot eben mehr. Sam Berns liebte Bücher – und das Lesen wurde nicht von der Progerie beeinfl usst. Auch Comics liebte Sam und hatte damit eine weitere Möglichkeit, sein Leben zu bereichern. Dazu kam die Musik, und wenn er schon nicht selber Sportler sein konnte, dann

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konnte er ja immer noch seine Lieblingsteams anfeuern. Das alles soll nicht missverstanden werden: Sam zog sich mit seinem gebrechlichen Körper nicht auf sein Zimmer zurück und beobachtete die Welt von dort aus. Er ging sehr wohl hinaus. Als Fan der Dave Matthews Band besuchte er zum Beispiel gemeinsam mit seinem Vater Konzerte und traf die Bandmitglieder hinter der Bühne.

Auch die Spiele seines Lieblingseishockeyteams Boston Bruins verfolgte Sam live im Stadion. Mannschaftskapitän Zdeno Chara war sogar über viele Jahre ein enger Freund von Sam.

Was Sam uns sagen will, wenn er davon erzählt: Wir haben uns vielfach angewöhnt, immer nur auf das zu schauen, was uns fehlt. Und wir vergessen dabei, was wir alles bereits haben, wie reich unser Leben ist, wenn wir uns genau dieser Dinge vergewissern.

Der nächste Aspekt in Sam Berns’ Philosophie beschäftigt sich nicht mit seinen eigenen Möglichkeiten oder Einschränkungen. Es geht vielmehr um sein Umfeld beziehungsweise unser aller Umfeld. Sein Rat hört sich zu-nächst recht selbstverständlich an: Umgebe dich mit Menschen, mit denen du wirklich gern zusammen sein willst. Ein Rat, bei dem wohl jeder Mensch nur zustimmen kann. Wir alle wollen von Personen umgeben sein, die wir mögen und die uns mögen. Menschen, mit denen wir uns austauschen kön-nen, die für uns so da sind wie wir für sie. Ein Freundeskreis, der gemein-sam Spaß hat, der aber auch ehrlich zueinander ist und sich gegenseitig unterstützt, wenn es notwendig ist. Die meisten von uns werden auf einige solcher Freunde zählen können. Doch unser Alltag führt uns immer wieder auch in Gesellschaft anderer, die uns das Leben schwer machen oder deren Kontakt sogar zu Auseinandersetzungen, zu Rivalitäten und Streit führt. So ist das Leben, denken wir dann. Das lässt sich im Alltag nicht vermeiden.

Und vielleicht ist das auch tatsächlich so. Umso wichtiger ist aber ge-rade dann, dass wir an Sams Worte denken. Wir neigen dazu, uns auf die problematischen Situationen unseres Daseins zu konzentrieren. Befi nden

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wir uns also – zum Beispiel auf der Arbeit – in einem nicht immer angeneh-men Umfeld, so lassen wir diesen Umstand häufi g einen großen Einfl uss auf unseren Alltag gewinnen. Wir beschäftigen uns also auch in der Freizeit noch mit den Rivalitäten des Arbeitsalltags, denken darüber nach und lassen uns davon die Stimmung vermiesen. Manchmal geht das so weit, dass wir diese schlechte Stimmung in unser Familienumfeld oder den Freundeskreis einbringen.

Nehmen wir uns aber Sams Worte zu Herzen, dann drehen wir die Sa-che um. Wir lassen nicht zu, dass der Berufsalltag unser privates Umfeld beeinfl usst. Wir nutzen vielmehr Vertrautheit und Freundschaft, stellen sie an die erste Stelle. Sodass Streit und Unfrieden in den Hintergrund treten, weil wir in unserem Leben etwas viel Wertvolleres besitzen – nämlich die Menschen, die uns nahestehen. Für Sam Berns waren Familie und Freunde ein so wichtiges Gut, weil er durch sie und dank ihnen immer wieder die Hürden vergessen konnte, die seine Krankheit Progerie ihm in den Weg stellte. Wenn ein Teenager mit einem schrecklichen Leiden das schaff te, dann sollte uns das doch auch möglich sein.

Doch Sam Berns hatte noch mehr zu sagen. Der dritte Punkt in seiner Philosophie für ein glückliches Leben schien allerdings einen Widerspruch zu dem bisher Gesagten darzustellen. Einmal mehr jedoch nur auf den ers-ten Blick, nicht auf den zweiten. Hatte Sam zuvor gesagt, wir sollten in unserem Leben auch einmal innehalten, sprach er nun davon, immer auch nach vorne zu schauen. Was sich nicht gegenseitig ausschloss, sondern bei näherem Hinsehen perfekt ergänzte. Wenn Sam vom Innehalten sprach, dann meinte er damit ja nicht einen dauerhaften Stillstand, sondern wich-tige Momente der Beobachtung oder des Nachdenkens und Analysierens – die von anderen und ebenso wichtigen Schritten vorwärts ergänzt werden sollten.

Um den dritten Aspekt seiner Philosophie zu unterstreichen, wählte Sam erneut ein Zitat aus einem Film. Dieses Mal handelte es sich um den

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Animationsfi lm Triff die Robinson von den Walt Disney Studios aus dem Jahr 2007. Frei übersetzt lautete der Spruch:

»Wir verweilen nie lange im Gestern. Wir geben niemals auf, öff nen neue Türen und entwickeln neue Ideen, weil wir neugierig sind … und die Neugier ist es, die uns neue Wege beschreiten lässt.«

Off en sein für Neues, sich die Neugier bewahren – das also war ein weiterer Teil der Lebensphilosophie von Sam Berns. Doch er meinte das nicht in einem vielleicht überspannten Sinn, wie diejenigen, die uns immer wieder dazu auff ordern, unser Leben vollkommen umzukrempeln und es im Grunde komplett neu anzufangen.

Was Sam sagen wollte, das war auch im Zusammenhang mit seinem persönlichen Alltag zu sehen. Für einen Menschen in seiner Lage wäre es ein Leichtes gewesen, sich im Wust der täglichen Probleme zu verlieren, die ständig auf ihn und vor allem auf seinen Körper einprasselten.

Der Blick nach vorn und die Neugier bewahrten ihn davor. Statt über seine Situation zu lamentieren, freute er sich auf etwas, das vor ihm lag. Viel-leicht der neue Comicband, der in Kürze erscheinen sollte. Oder das nächste Spiel seiner Lieblingsmannschaft, das er im Stadion verfolgen würde.

Sam wusste, dass er vor den tatsächlichen Problemen des Lebens nicht fl iehen konnte, so wie auch wir nie allen Hindernissen ausweichen können, die sich uns in den Weg stellen. Aber wir sollten dann nicht nur auf diese Hindernisse starren, sondern überlegen, was wir hinter diesen Hindernissen fi nden können. Dass die Zukunft immer auch Momente bereithält, auf die wir uns freuen können. Sei es auch nur der nächste gemeinsame Abend mit Freunden, ein Th eaterbesuch oder der nächste Urlaub, die Reise in den Süden oder wohin auch immer. Es geht also einfach darum, sich nicht vom Alltag das Leben vermiesen zu lassen – so schwer uns das auch manchmal fallen mag.

Nun könnte man meinen, gerade für einen Sam Berns wäre der Blick nach vorn wenig erstrebenswert. Schließlich war er ein sehr intelligenter

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junger Mann, der seit Jahren die Auswirkungen seiner Krankheit kannte. Er wusste, dass er 2013 seine prognostizierte Lebensspanne bereits um drei Jah-re überschritten hatte. Doch auch das war für ihn nur eines der Hindernisse, die es aus dem Weg zu räumen galt. Sam Berns lebte und daher nahm er sich auch das Recht zu träumen. Von einer Zukunft, die vor ihm lag. Dazu gehörte auch der Traum, was er in seinem Leben erreichen, welchen Beruf er einmal ausüben wollte – selbst wenn alle Wahrscheinlichkeit dagegen sprach, dass der Traum je Realität werden würde.

Früher, berichtete Sam Berns, wollte er Erfi nder werden. Oder Ingeni-eur. Weil er in seiner Kindheit so gerne mit Lego-Steinen spielte und damit etwas erschaff en konnte. Doch diese Pläne hatten sich in der Zwischenzeit geändert. Nun stellte er sich seine Zukunft in einem Beruf vor, der etwas mit Biologie oder Biochemie zu tun hatte. Was sicher auch vor dem Hin-tergrund seiner Krankheit zu sehen war. Bei ihr handelte es sich schließlich um eine Genmutation, deren Ursache lange im Dunkeln lag. Sams Mutter Dr. Leslie Gordon beschäftigte sich nach der Geburt ihres Sohnes mit der Erforschung der Ursachen der Progerie und gründete gemeinsam mit ihrem Mann Dr. Scott Berns die Progeria Research Foundation. Dieser 1999 ent-standenen Organisation gelang es 2003 dann auch, überhaupt zum ersten Mal die Genmutation als Ursache der Krankheit zu erkennen und einen Diagnosetest zu entwickeln. Danach setzte man alles daran, Mittel zur Hei-lung der Progerie zu fi nden. Was allerdings bis heute nicht gelungen ist. Doch die Arbeit der Eltern dürfte Sam Berns Berufswunsch entscheidend mitgeprägt haben.

Vor allem war dieser Wunsch aber wichtig für Sams Lebensanschauung: Er ließ ihn daran denken, dass eine spannende Zukunft vor ihm lag. Wes-halb er einmal mehr die alltäglichen Hindernisse in einem anderen Licht sah. Oder wie er es ausdrückte: Er arbeite hart daran, seine Energie nicht ausschließlich auf Probleme zu verschwenden, die seinen Weg beschwerten. Würde er das tun, wäre er auf ewig gefangen in einer Welt, in der es keinen

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Raum für Fröhlichkeit oder positive Emotionen gab. Er ignorierte nicht die Tatsache, dass es ihm zeitweise wirklich schlecht ging, er akzeptierte dies auf seine Weise. Dann aber beschäftigte er sich damit, was er tun konnte, um solche Momente oder Phasen zu überwinden.

Sam Berns Rede über seine Philosophie, wie man ein glückliches Le-ben führt, mündete in einen Satz, der angesichts des kränklichen jungen Mannes im Körper eines Greises überraschend wirkte. Denn zum Abschluss seiner Ausführungen sagte Sam: Verpasse niemals eine Party.

So seltsam das auch klingen mag, es gab vermutlich kein treff enderes Re-sümee. Natürlich forderte Sam Berns seine Zuhörer und uns alle nicht dazu auf, von nun an nur noch wild feiernd durchs Leben zu ziehen. Wir sollten diese Worte vielmehr so interpretieren, dass wir stets nach den Momenten im Leben Ausschau halten sollten, in denen wir Spaß haben können, in de-nen wir uns, wenn auch nur für Augenblicke, von jenen Lasten befreien, die der Alltag mit sich bringt. Denn wir wissen durchaus, dass das Leben kein Zuckerschlecken ist, und dennoch bietet es viele Gelegenheiten, in denen wir es einfach genießen können.

Sam Berns starb am 10. Januar 2014, nur wenige Wochen nach seiner eindrucksvollen Rede. Er hat nie die glänzende Zukunft erleben können, auf die er baute. Aber wir können sicher sein, dass er sein Leben bis zum letzten Atemzug ausgekostet hat. Dass er wirklich das Beste aus seinen be-grenzten Möglichkeiten gemacht hat und dass er so glücklich war, wie er es nur sein konnte.

Wir dürfen trauern um diesen einzigartigen Menschen. Vor allem aber sollten wir uns daran erinnern, wie er mit dem Leben umgegangen ist. Wenn wir Sam Berns Respekt erweisen wollen, dann damit, dass wir uns an ihm ein Beispiel nehmen.

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Der Wert der letzten Worte

Was Sterbende zu sagen haben, das hat Menschen seit jeher inte-

ressiert. Nur drang davon bislang meist wenig an die Öffentlichkeit.

Einerseits lag das daran, weil der Tod immer auch tabuisiert war,

andererseits waren die Möglichkeiten der Aufzeichnung solcher Äu-

ßerungen früher deutlich begrenzter. Was ein Sam Berns zu sagen

hatte, das können wir uns heute jederzeit auf den Videoplattformen

des Internets anschauen. Für entsprechende Äußerungen aus ver-

gangenen Zeiten müssten wir uns durch vielfach schlecht dokumen-

tierte Aufzeichnungen in den Archiven und durch Berge von Papier

arbeiten. Wenn sie nicht ohnehin längst verloren gegangen sind.

Trotzdem zeigt gerade auch die Geschichte, wie früh der Mensch

damit begonnen hat, letzte Worte oder Äußerungen eines Sterben-

den zu dokumentieren. Weil man eben schon damals wusste, dass

es sich dabei um wertvolles Wissen handelte. Nicht von ungefähr

ist die Frage nach solchen Worten heute für uns nichts Ungewöhnli-

ches mehr. Wer von uns denkt noch darüber nach, was es bedeutet,

wenn wir behaupten, jemand habe kein Sterbenswort verloren?

Doch Sterbenswort bedeutet genau das, was es meint. Wurde

früher gefragt, ob jemand noch ein Sterbenswort gesagt hat, dann

ging es ausdrücklich darum, dass man wissen wollte, wie die letz-

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ten Worte eines Sterbenden gelautet hatten. Und sprechen wir von

Galgenhumor, dann hat das einen vergleichbaren Hintergrund: Der

Begriff ist im Rahmen von Hinrichtungen entstanden und dreht sich

um die Frage, ob der Delinquent womöglich vor dem Tod noch etwas

und vielleicht sogar etwas Amüsantes von sich gegeben hat. Gerade

das galt in vergangenen Zeiten als eine gewissermaßen besondere

Leistung, wenn ein Mensch dem Tod ins Auge blickte und sich dar-

über noch lustig machte.

Sterbensworte und Galgenhumor – diese beiden Begriffe stehen

auch dafür, wie unterschiedlich das sein kann, was uns Sterbende

vermitteln wollen. Sam Berns etwa starb einen natürlichen Tod und

er lebte sein Leben in geistiger Klarheit, die ihm das Nachdenken

über das Dasein und das Entwickeln seiner Philosophie für ein glück-

liches Leben überhaupt erst erlaubt hatte – und er hat sie mit den

Menschen geteilt.

Menschen, die eines unnatürlichen oder plötzlichen Todes ster-

ben, haben diese Gelegenheit in der Regel nicht. Sie können nicht

lange darüber nachdenken, was sie vor ihrem Tod noch sagen wol-

len. Trotzdem stammen einige der berühmtesten letzten Worte von

Personen, die vom Tod überrascht wurden. Jeder Schüler kennt

noch heute den Satz »Auch du, mein Sohn Brutus«, den Julius Cäsar

bei seiner Ermordung geäußert hat und der Einzug in den Sprich-

wortschatz fand.

Man mag sich allerdings fragen, warum. Letzte Worte wie diese

geben wenig Aufschluss über das Denken und die Persönlichkeit

des Verstorbenen. Schon gar nicht beinhalten sie einen wie auch

immer gearteten Rat an die Lebenden.

Aber blickt man heute auf die überlieferten letzten Worte der ver-

gangenen Jahrhunderte, dann muss man ohnehin feststellen, dass

kaum etwas davon wirklich als Weisheit für die Lebenden anzusehen

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ist. Vielmehr können wir davon ausgehen, dass es als überaus wich-

tig erachtet wurde, überhaupt etwas an nachfolgende Generationen

weiterzugeben, das zumindest den Namen desjenigen im Gespräch

halten und ihm so ein gewisses Weiterleben im Gedächtnis der Men-

schen garantieren könnte.

Dabei war man schon mit Sätzen zufrieden, die im Grunde oft

gar keine wirkliche Aussage beinhalteten oder sinnstiftend waren.

So wurde etwa von Generation zu Generation weitergegeben, dass

der griechische Physiker Archimedes vor seinem Tod 212 vor Christi

gesagt haben soll: »Störe meine Kreise nicht!« Auch so ein Satz,

den wir heute bei vielen Gelegenheiten verwenden. Dabei sind die-

se Worte weit von einer durchdachten Weisheit oder Botschaft für

die Nachfahren entfernt. Vielmehr sagt uns die Überlieferung, dass

Archimedes in seinem Garten gerade über geometrischen Berech-

nungen grübelte, als er sich von einem Eindringling gestört fühlte.

Bei dem handelte es sich allerdings um einen römischen Soldaten,

der Archimedes nach der Eroberung der Stadt Syrakus im Garten

entdeckte – und ihn dort auch erstach.

Nun sind seit dem Tod von Archimedes mehr als zwei Jahrtau-

sende vergangen und niemand kann heute mit Sicherheit sagen,

was sich an jenem Todestag wirklich zugetragen hat und ob diese

Worte tatsächlich so geäußert wurden. Es lässt sich aber kaum leug-

nen, dass viele über Jahrtausende weitergegebene letzte Worte sich

häufi g so anhören, als wären sie nicht nur zur Erinnerung, sondern

auch zum Zweck der Unterhaltung gedacht, als eine Art Anekdote.

Selten sind es Zitate, die eine gewisse Gedankentiefe vermuten las-

sen. Wie etwa bei dem 290 vor Christi verstorbenen chinesischen

Philosophen und Schriftsteller Zhuangzi. Ihm wollten seine Schüler

ein prächtiges Begräbnis ausrichten, zu dem auch Grabbeigaben

wie Jade, Perlen und Juwelen zählen sollten. Worauf Zhuangzi ab-

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lehnend antwortete oder geantwortet haben soll: »Ich werde Himmel

und Erde als Sarg und Hülle haben, Sonne und Mond werden meine

Jadesteine sein, Sterne und Sternbilder meine Perlen und Juwelen,

und die ganze Schöpfung wird das Trauergeleit mir geben.«

Natürlich wird sich die Wahrheitstreue dieser überlieferten letzten

Worte ebenfalls nicht verifi zieren lassen. Doch zumindest vermitteln

sie uns einen Anhaltspunkt, welche Gründe es dafür gegeben haben

konnte, dass Menschen schon vor sehr, sehr lange Zeit so viel Wert

auf die letzten Worte von Sterbenden legten. Es ging gar nicht nur

darum, von ihnen vielleicht noch einen weisen Rat für das eigene Le-

ben zu erhalten. Es ging einmal mehr auch um unsere unauslösch-

bare Angst vor dem Sterben und der Ungewissheit danach. Man

erhoffte sich deshalb von den Sterbenden eine Auskunft. Worte von

der Schwelle zwischen Leben und Tod, die vielleicht eine Ahnung

davon gaben, wie es denn auf der anderen Seite aussah. Ob der Tod

wirklich endgültig war oder ob die Sterbenden vielleicht mitteilten,

der Tod sei nicht wirklich aller Tage Abend.

Was wir gerade bei den sehr frühen Aufzeichnungen nicht ver-

gessen dürfen: Letzte Worte, letzte Ratschläge oder letzte Anwei-

sungen galten als mächtig. Sie konnten bei großen Herrschern auch

beinhalten, wer eventuell das Erbe des Verstorbenen antreten oder

die Macht über eine Armee, vielleicht sogar einen Staat übernehmen

sollte. Deshalb wurden sie nicht selten auch missbraucht und dann

von anderen für den eigenen Vorteil verfremdet und eventuell gar

komplett erfunden.

Auch später wurden letzte Worte immer wieder zwar nicht voll-

kommen verfremdet, sondern in einigen Fällen nur unvollständig wei-

tergegeben, um dem Verstorbenen eine gewisse Aura zu verleihen.

Ein Beispiel dafür ist Johann Wolfgang von Goethe, der am 22. März

1832 vermutlich an den Folgen eines Herzinfarkts verstarb. Goethes

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letzte Worte wurden von dem Arzt Carl Vogel übermittelt, der sich

in dem Sterbezimmer aufhielt. Wenn heute diese letzten Worte zi-

tiert werden, dann heißt es meist, Goethe habe mit seinem letzten

Atemzug ausgestoßen: »Mehr Licht!« Was natürlich perfekt zuge-

schnitten ist auf einen großen Denker. Denn »Mehr Licht!« kann ja

so vieles bedeuten. Hatte Goethe eine Erscheinung, sprach er von

einem Geistesblitz oder forderte er, dass der Nachwelt das Licht der

Aufklärung scheinen solle?

Goethe ist noch heute eine so schillernde Figur, dass man es im

Grunde gern dabei belassen würde. Doch es ist nun mal so, dass

auch hier durch den Wunsch nach einem letzten Geistesblitz des

Denkers die Wahrheit an die Seite gedrängt wurde. Wohl war es so

gewesen: Johann Wolfgang von Goethe hat nach den Überlieferun-

gen des Arztes am Ende seines Lebens wirklich »Mehr Licht!« gefor-

dert. Doch diese beiden Worte bildeten nur den Teil eines deutlich

längeren Satzes, dessen Aussage nichts an Klarheit vermissen ließ,

auch wenn es sich um eine wesentlich profanere Angelegenheit han-

delte. Vollständig lautete die Niederschrift der letzten Worte nämlich:

»Macht doch den zweiten Fensterladen auch auf, damit mehr Licht

hereinkomme.«

Anpassungen wie diese ziehen sich wie ein roter Faden durch die

Aufzeichnungen letzter Worte. Selbst wenn letzte Worte vollständig

und bestätigt weitergegeben werden, sind sie nicht frei von Fehlin-

terpretationen. So wird von dem kubanischen Revolutionär Ernesto

»Che« Guevara berichtet, er habe zu dem Soldaten, der ihn erschie-

ßen sollte, gesagt: »Schieß ruhig, du Feigling. Du wirst einen Mann

töten.« Bald gewann jene Auslegung des Satzes die Interpretati-

onshoheit, die besagte, Che habe sagen wollen, er habe keine Angst

vor dem Tod, denn schließlich sei er ein Mann und ein ganzer Kerl.

Tatsächlich aber lag die Betonung nicht auf dem Begriff »Mann«,

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sondern auf dem Wort »einen«. Che Guevara sprach demnach gar

nicht über sich selbst, sondern für die gesamte Bewegung, der er

angehörte. Sein Tod wäre also nur der Tod eines einzigen Mannes,

die Revolution oder der Kampf würden auch ohne ihn weitergehen.

Nun könnte man meinen, wenn die Worte der Sterbenden ohnehin

so häufi g verfälscht würden, dann müsste doch auch das Interesse

daran irgendwann erlöschen. Doch das ist nie geschehen. Vielmehr

war der Wunsch der Menschen, etwas über die Ratschläge der Ster-

benden zu erfahren, so groß, dass immer wieder nach Möglichkeiten

gesucht wurde, sie der Nachwelt möglichst unverfälscht übermitteln

zu können.

Im 17. Jahrhundert entstanden dann auch erstmals Niederschrif-

ten, die das Wissen über bekannte Aussagen Sterbender festhielten.

Allerdings konzentrierte man sich dabei vor allem auf die Worte von

zwei gegensätzlichen Gruppen: Was gesammelt wurde, das waren

zum einen die letzten Worten von Märtyrern oder Heiligen und an-

dererseits, was die weniger guten Menschen am Ende ihres Lebens

zu sagen hatten – um genau zu sein wurden die letzten Worte von

Verbrechern als abschreckendes Beispiel niedergeschrieben.

Erst im 19. Jahrhundert ging man dann dazu über, solche Samm-

lungen allgemeiner zu fassen und nicht nur die Äußerungen extremer

Menschen festzuhalten.

Was heute jedoch kaum noch jemand weiß, das ist die Tatsache,

dass im 19. Jahrhundert auch eine der wegweisenden Erfi ndungen

der Menschheit eng mit dem Wunsch nach Archivierung der Worte

von Sterbenden in Verbindung stand.

Der am 11. Februar 1847 im US-Bundesstaat Ohio geborene Tho-

mas Alva Edison wird vor allem als Erfi nder der Glühbirne gefeiert,

die in aller Welt das elektrische Licht in die Häuser brachte. Doch

schon vor dem Jahr 1879 hatte Edison mehrfach Bahnbrechendes

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ersonnen. Einer seiner ersten Geistesblitze war im Jahr 1867 ein so-

genannter Quadruplex-Apparat – eine frühe Form der Gegensprech-

anlage. Im Jahr 1877 wiederum legte Edison mit der Erfi ndung des

Kohlegrießmikrofons den Grundstein für die moderne Telefon- und

Kommunikationstechnologie.

Er war also durch und durch ein Techniker und Ingenieur und

damit einer jener Menschen, die meist zu sehr im Hier und Jetzt ver-

haftet sind, als dass sie sich etwa mit Dingen wie den Worten von

Sterbenden beschäftigen würden.

Die Wahrheit allerdings sah anders aus. Denn gerade der

Wunsch, letzten Worte und wichtige Ratschläge unverfälscht und

dauerhaft festhalten zu können, stellten den Antrieb für eine weitere

große Erfi ndung von Thomas Alva Edison dar.

Am 18. Juli 1877 kam Edison die Idee für ein Gerät, das Stimmen

festhalten und jederzeit wiedergeben konnte – ein Schall- und Klang-

schreiber also. So etwas hatte es bis dahin auf der Welt noch nicht

gegeben. Würde die Idee in ein funktionsfähiges Gerät münden,

dann täten sich damit vollkommen neue Möglichkeiten auf. Edison

machte sich also ans Werk und kündigte schon im November des-

selben Jahres an, dass er das Gerät bald vorführen werde. Gesagt,

getan: Acht Tage später führte Edison vor, was er selbst nun »den

Phonografen« nannte. Den Urahn aller späteren Tonbandgeräte,

Platten-, CD- oder auch MP3-Spieler.

Als erste Tonprobe soll Edison einen Vers aus »Mary had a little

Lamb« auf das Gerät gesprochen haben – beim Hören seiner eige-

nen Stimme sei er sehr ergriffen gewesen.

Aber: Was hat das alles damit zu tun, was uns die Sterbenden

sagen wollen? Die Antwort ist einfach. Als Edison auf die Idee für den

Phonografen kam, hatte er nicht vorrangig im Sinn, darauf Gedichte

oder Musik festhalten zu wollen.

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Als Edison einmal zur Bedeutung und zum Sinn des Phonografen

befragt wurde, antwortete er unmissverständlich, was es mit der Er-

fi ndung auf sich hatte und was sein eigentlicher Beweggrund für die

Arbeit an dem Projekt war.

Edisons Antwort lautete: »Zum Zwecke der Bewahrung der Re-

den, der Stimmen und der letzten Worte von sterbenden Familienmit-

gliedern – wie von großen Männern – wird der Phonograf fraglos die

Fotografi e an Bedeutung übertreffen.«

Es sollte allerdings eine Weile dauern, bis dieses ursprüngliche

Ziel sich durchsetzen konnte. Doch ohne einen Thomas Alva Edi-

son hätten wir heute sicher nicht die Möglichkeit, die Ratschläge der

Sterbenden wirklich originalgetreu, unverfälscht und mit allen darin

enthaltenen Emotionen auf uns wirken zu lassen.

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