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16 4. November 2010 DIE ZEIT N o 45 ÖSTERREICH A J etzt lodern die Flammen der Empörung auf dem Regierungsdach. So ziemlich jede In- stitution in der Republik revoltiert gegen das Spardiktat von Loipersdorf (minus sie- ben Milliarden Euro bis 2013), das vor zwei  Wochen dem Land überfallartig aufgezwungen werden sollte. Klerus und Studentenfunktionäre,  Wirtschaftskammer und Gewerkschaftsbund, Be- hindertensprecher sowie die Vertreter der Famili- enverbände, der Fluggesellschaften, der Autofah- rerorganisationen und sogar der Zigarettenhändler, die Opposition zu beiden Seiten des Regierungs- blocks ohnehin, aber auch die Quergeister inner- halb der beiden Regierungsparteien, sie alle eint der  Widerstan d gegen einen Budgetplan, der lediglich ein Leitmotiv zu haben scheint: die Löcher im Staatsha ushalt notdürftig zu stopfen. Es ist ein nationaler Schulterschlus s gegen eine hilflose Ministerriege. Logisch, dass die Umfrage- werte in den Keller rasselten. Würde am Sonntag gewählt, die einst Große Koalition müsste sogar um ihre Mehrheit bangen. Offensicht lich war die Regierung selbst von der Heftigkeit der Proteste überrascht. Unverzüglich nach den ersten Reaktionen begannen die Mit- glieder des Kabinetts in sich zu gehen. Wissen- schaftsministerin Beatrix Karl machte flugs 15 Mil- lionen Euro beim Finanzminister locker, um die Folgekosten der Familienbeihilfekürzungen für die rund 8000 Studienbeihilfeempfänger, die beson- ders schlimm getroffen werden, abzumildern. Die Proteste vermochte diese Feuerwehrak tion freilich nicht zu besänftigen . Im Gegenteil: Die Studenten fühlten sich ver- höhnt, da man vermutlich versuchte, sie mit ein paar »Milliönchen« abzuspeisen (eine Formulie- rung, die wieder die Wissenschaftsministerin er- zürnte). Zugleich weckte das kleine Entgegenkom- men neue Begehrlichkeiten bei den Betroffenen. Nun versucht die Regierung vom Bundeskanz- ler abwärts zu retten, was noch zu retten ist, und lädt alle, die aufgeschrien haben, zu Versöhnungs- gesprächen ein. Zuletzt räumte Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek ein, man habe »nicht alles bedacht« und sich »zu wenig Zeit genommen, um alle Nebengeräusche zu berücksichtigen«. Nun versprach sie, es werde noch einmal »kreativ nach- gedacht« werden, wie einige Härten abgefedert werden könnten. Allerdings, ohne das Gesamt- paket aufzuschnüren, wie beteuert wird, das Ein- sparungspotenzial von insgesamt 400 Millionen Euro im Familienbereich müsse beibehalten wer- den. Aber das heißt es stets in solchen Fällen. Der Basar ist somit eröffnet. In den nächsten  Wochen wird um Zuschläge und Abstriche, um Übergangsfristen und Ausnahmeregeln so lange geschachert werden, bis der Haushaltsplan zer- fleddert und die politische Autorität der Regierung unwiderruflich ramponiert ist. Die große Milliön- chen-Show, zu der die Budgetdebatte mittlerweile pervertierte, ist die bislang größte Blamage in der ohnehin nicht sonderlich ruhmreichen Regie- rungsbilanz. Der vollmundig angepriesene Fay- mann/Pröll-Kurs aus der Wirtschaftskrise stellt sich schon nach ganz kurzer Wegstrecke als Stol- perpfad ins Ungewisse heraus. Verantwortlich dafür ist vor allem der politische Kleinmut, von dem sich die Regierung leiten lässt. Sie geht jedem Konflikt aus dem Wege, vermeidet es peinlich, in eine Kontroverse über eine Reform der verkrusteten Strukturen des Landes zu geraten, und verabsäumt es, Prioritäten zu setzen. Stattdessen lässt sie sich von Interessenvertretern (besonders von jenen aus den geschützten Werkstätten) und Provinzbonzen diktieren, wohin die Steuergelder zu fließen haben: in sinnlose Tunnelprojekte beispielsweise oder in doppelte und dreifache Verwaltungsstrukturen, die einzig dazu dienen, weiterhin eine möglichst große Zahl an Posten und Pfründen zur Versorgung poli- tischer Günstlinge zur Verfügung zu haben. Gleich- gültig ob im Gesundheitswesen oder im Bildungs- system, die Millionen versickern im unersättlichen Schlund einer ineffizienten Staatsmaschinerie. Einzig auf ein Ziel haben sich die Koalitions- parteien offenbar geeinigt: Alles daranzusetzten, das politische Überleben der Regierung zu gewähr- leisten. Da Sozialdemokraten und Volkspartei zu- gleich darin übereinstimmen, dass dem Wähler unangenehme Wahrheiten nicht zumutbar seien, riskiert die Regierungsko alition, lieber ihr Gesicht zu verlieren als Stellung zu beziehen. Monatelang verweigerten Kanzler und Vizekanz- ler deshalb jedes Gespräch über das unvermeidliche Sparbudget. Sie fürchteten, ihre Parteien würden bei Regionalwahlen Verluste hinnehmen müssen, sollten bittere Pillen bekannt werden. Sie verloren dennoch, zum Teil empfindlich. Dass man die Phase des Denk- verbotes dazu hätte nutzen können, im stillen Kanz- leizimmer alles vorsorglich einmal durchzurechne n, dürfte niemanden in den Sinn gekommen sein.  Wenn nun Bundeskanzler Werner Faymann, wie er es nach der vergangenen Sitzung des Ministerrats getan hat, beteuert, man habe eben bei den »Tau- senden Punkten des Sparprogramms« das eine oder andere übersehen, so stellt er seiner Mannschaft ein  Armutszeugnis aus. Diese Leute beherrschen nicht einmal die einfachsten Techniken ihres Handwerkes. Nichts war durchkalkuliert, nirgendwo eine politi- sche Idee, für die es wert wäre, Argumente ins Tr ef- fen zu führen. Mehr Murks geht kaum. Schwarze Weltwirtschaftsrevue  Am Burgtheater stellt Regisseur Michael alheimer Brechts »Heilige Johanna« auf den Kopf S chweinezyklus nannte man einst jenes Phä- nomen der Zeitverzögerung, durch das im Regelmechanismus aus Angebot, Nachfrage und Preis instabile Marktsituationen entstehen. Der Schweinezyklus beschrieb den Funktions- mechanismus der alten kapitalistischen Ordnung. Geprägt unmittelbar vor Ausbruch der Weltwirt- schaftskrise, bewährte sich der Begriff in den fol- genden Jahren bestens. Damals im Berlin der kommunistischen Vorzugs- schüler bemühte sich der talentierte Dichter Bertolt Brecht um die Rolle des Klassenprimus. In seiner dramatischen Lehrwerkstatt sollte den ausgebeuteten, nunmehr freilich arbeitslosen Massen der Weg zum sozialistischen Heil gewiesen werden: Prolet, dort geht’s lang!  Als es nun darum ging, im Belehrungstheater die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise zu ziehen, nahm Brecht, der nie vor platten Botschaften zurückschreck- te, den Schweinezyklus beim Wort und erzählte folgerichtig eine Fabel, die im Bauch des Kapitalismus und dort in den Fleischfabriken von Chicago spielt. Lange bastelte er mit seinen Mitarbeiterinnen, die er nach bester Kapitalistenmanier ausbeutete, an den unterschiedlichen Versionen seiner dramatischen Kampfanweisung, um gleich zwei marxistische Grundwahrheiten auf die Bühne zu wuchten: Erstens, dass die »Befreiung der Arbeiter nur das Werk der  Arbeiter« sein könne (so steht’s in Brechts kommunis- tischem Gassenhauer, dem Einheitsfrontlied), und zweitens, dass Religion Opium fürs Volk sei. Ein biss- chen viel für einen Theaterabend.  Auf Grundlage des dürren Thesenskeletts ge- staltete der ehrgeizige Brecht mit seiner Heiligen Jo- hanna der Schlachthöfe jedoch ein sehr komplexes Höllenmärchen, das zum einen Teil ein Wirtschafts- krimi ist, zum anderen aber das Rührstück einer reinen Torin, die Güte in die Welt bringen will, in Zeiten sozialer Eiseskälte aber erfrieren muss. »Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt ist, und es helfen nur Men- schen, wo Menschen sind«, erkennt sie, einen ein- samen Lungentod sterbend. Da derzeit gerade die zweitgrößte Weltwirtschafts- krise in hundert Jahren ausgestanden zu sein scheint, ist das Brechtsche Fazit kapitalistischer Abscheulich- keit auf den Spielplänen deutschsprachiger Bühnen wieder sehr gefragt. In kaum einem anderen Stück der respektablen Theaterliteratur wird die Fratze des Systems derart schonungslos demaskiert. Doch kann sich ein marxistisches Melodram, in dem die Wäh- rung aus Fleischkonserven besteht und der Moloch Schlachthof Menschen ver- schlingt, in einer Zeit der abstrakten Finanzprodukte und der sozialstaatlichen Rundumversorgung glaubhaft behaup- ten? Ist das klassenkämpferische Pathos im klassischen Blankvers nicht bloß noch Phrasendrescherei? Nicht, wenn die Intention des Autors gegen sein eigenes Stück gekehrt wird, wie das Michael Thal hei- mer in seiner ersten Inszenierung am Wiener Burg- theater getan hat. Seine Version der Heiligen Johan- na ist eine bitterböse Farce, die im Trichter eines Fleischwolfs spielt, zu dem die nüchterne Bühne stilisiert wurde. In diesem Schlund zappeln die burlesken Comicfiguren der Kapitalismuskritik. Der Schurke dieser schwarzen Weltwirtschafts revue, der Fleischkönig Maulder, der sich dank Insidertrading eine Monopolstellung ergaunert, scheint die längste Zeit gar nicht kapieren zu können, wieso seine raff- gierigen Fischzüge sein Vermögen mehren, ganz so  wie moderne Spekulanten letztlich nicht begreifen, warum sie einmal Boni, dann wieder Prügel beziehen. Alle sind nur Figuren in einem irrwitzigen Spiel, in dem längst niemand mehr mit finsteren Machenschaften ver- hängnisvolle Entwicklungen in Gang zu setzen vermag. Also schreien die bösen Kapitalisten auf der Burg-Bühne wirres Zeug, werfen die Arme verzweifelt in die Luft, so wie das die Börsenspekulanten tun, wenn wieder einmal die Kurse ins Bodenlose fallen und niemand es vorausgesehen hat. Diesem Gesindel tritt eine Johanna gegenüber, die in ihrer Ahnungslosigkeit direkt aus dem Studio einer TV-Castingshow kommen könnte. Sie ist nun nicht mehr eine von Glaubeseifer beseelte Soldatin Gottes, die eine Heilslehre ihr eigen weiß, sondern eine naive Unschuld vom Land, die fassungslos erlebt, wie ihre romantischen Jungmädchenträume vom  Aberwitz des Geschehens demoliert werden. Kon- sequenterweise hat Regisseur Thalheimer in seiner Inszenierung auch die bekannteste Passage des Stü- ckes, das Kampflied der Schwarzen Strohhüte (wie Brecht seine Heilsarmee-Kompanie nannte), einfach weggestrichen, als wollte er einem Hamlet dessen »Sein oder Nichtsein« nehmen, die Quintessenz der ganzen Rolle.  Als Bertolt Brecht seine  Johanna fertiggestellt hatte, kam die Machtergreifung der Nazis einer Ur- aufführung zuvor. Später, im Alterssitz DDR, galt das Stück als nicht linientreu genug, weil es gänzlich ohne proletarischen Helden auszukommen glaubte. Auf eine Bühne kam das Drama erst 1959, drei Jahre nach dem Tod des Autors, in Hamburg. »Wir spielen es heute, weil es nicht mehr aktuell ist«, meinte damals der Chefdramaturg des Schauspielhauses. Das stimmt so heute nicht mehr: Am Burgtheater wird nun alle ideologische Gewissheit sehr unterhaltsam ad ab- surdum geführt.  JOACHIM RIEDL Die große Milliönchen-Show Mit dem dilettantischen Entwurf zu einem Sparbudget verspielt die Regierung ihr Ansehen VON JOACHIM RIEDL   A    R   T  G  ENO S  S   E   N   Ein neuer Volkssport breitet sich aus: Demonstrationen gegen das Budget    F   o    t   o   s   :    C    h   r    i   s    t    i   a   n    M  .    K   r   e   u   z    i   g   e   r    /   p    i   c    t   u   r   e    d   e   s    k  .   c   o   m

Die Zeit: Die große Milliönchen-Show

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8/8/2019 Die Zeit: Die große Milliönchen-Show

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16 4. November 2010 DIE ZEIT No 45 ÖSTERREICH

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Jetzt lodern die Flammen der Empörung auf dem Regierungsdach. So ziemlich jede In-stitution in der Republik revoltiert gegendas Spardiktat von Loipersdorf (minus sie-

ben Milliarden Euro bis 2013), das vor zweiWochen dem Land überfallartig aufgezwungenwerden sollte. Klerus und Studentenfunktionäre,Wirtschaftskammer und Gewerkschaftsbund, Be-hindertensprecher sowie die Vertreter der Famili-enverbände, der Fluggesellschaften, der Autofah-rerorganisationen und sogar der Zigarettenhändler,die Opposition zu beiden Seiten des Regierungs-blocks ohnehin, aber auch die Quergeister inner-halb der beiden Regierungsparteien, sie alle eint derWiderstand gegen einen Budgetplan, der lediglichein Leitmotiv zu haben scheint: die Löcher imStaatshaushalt notdürftig zu stopfen.

Es ist ein nationaler Schulterschluss gegen einehilflose Ministerriege. Logisch, dass die Umfrage-werte in den Keller rasselten. Würde am Sonntag gewählt, die einst Große Koalition müsste sogarum ihre Mehrheit bangen.

Offensichtlich war die Regierung selbst von derHeftigkeit der Proteste überrascht. Unverzüglichnach den ersten Reaktionen begannen die Mit-glieder des Kabinetts in sich zu gehen. Wissen-

schaftsministerin Beatrix Karl machte flugs 15 Mil-lionen Euro beim Finanzminister locker, um dieFolgekosten der Familienbeihilfekürzungen für dierund 8000 Studienbeihilfeempfänger, die beson-ders schlimm getroffen werden, abzumildern. DieProteste vermochte diese Feuerwehraktion freilichnicht zu besänftigen.

Im Gegenteil: Die Studenten fühlten sich ver-höhnt, da man vermutlich versuchte, sie mit einpaar »Milliönchen« abzuspeisen (eine Formulie-rung, die wieder die Wissenschaftsministerin er-zürnte). Zugleich weckte das kleine Entgegenkom-men neue Begehrlichkeiten bei den Betroffenen.

Nun versucht die Regierung vom Bundeskanz-ler abwärts zu retten, was noch zu retten ist, undlädt alle, die aufgeschrien haben, zu Versöhnungs-gesprächen ein. Zuletzt räumte FrauenministerinGabriele Heinisch-Hosek ein, man habe »nicht

alles bedacht« und sich »zu wenig Zeit genommen,um alle Nebengeräusche zu berücksichtigen«. Nunversprach sie, es werde noch einmal »kreativ nach-gedacht« werden, wie einige Härten abgefedert

werden könnten. Allerdings, ohne das Gesamt-paket aufzuschnüren, wie beteuert wird, das Ein-sparungspotenzial von insgesamt 400 MillionenEuro im Familienbereich müsse beibehalten wer-den. Aber das heißt es stets in solchen Fällen.

Der Basar ist somit eröffnet. In den nächsten Wochen wird um Zuschläge und Abstriche, umÜbergangsfristen und Ausnahmeregeln so langegeschachert werden, bis der Haushaltsplan zer-fleddert und die politische Autorität der Regierung unwiderruflich ramponiert ist. Die große Milliön-chen-Show, zu der die Budgetdebatte mittlerweilepervertierte, ist die bislang größte Blamage in derohnehin nicht sonderlich ruhmreichen Regie-rungsbilanz. Der vollmundig angepriesene Fay-mann/Pröll-Kurs aus der Wirtschaftskrise stelltsich schon nach ganz kurzer Wegstrecke als Stol-perpfad ins Ungewisse heraus.

Verantwortlich dafür ist vor allem der politischeKleinmut, von dem sich die Regierung leiten lässt.Sie geht jedem Konflikt aus dem Wege, vermeidet espeinlich, in eine Kontroverse über eine Reform derverkrusteten Strukturen des Landes zu geraten, undverabsäumt es, Prioritäten zu setzen. Stattdessen lässtsie sich von Interessenvertretern (besonders von jenenaus den geschützten Werkstätten) und Provinzbonzendiktieren, wohin die Steuergelder zu fließen haben:in sinnlose Tunnelprojekte beispielsweise oder indoppelte und dreifache Verwaltungsstrukturen, dieeinzig dazu dienen, weiterhin eine möglichst großeZahl an Posten und Pfründen zur Versorgung poli-tischer Günstlinge zur Verfügung zu haben. Gleich-gültig ob im Gesundheitswesen oder im Bildungs-system, die Millionen versickern im unersättlichenSchlund einer ineffizienten Staatsmaschinerie.

Einzig auf ein Ziel haben sich die Koalitions-parteien offenbar geeinigt: Alles daranzusetzten,das politische Überleben der Regierung zu gewähr-leisten. Da Sozialdemokraten und Volkspartei zu-gleich darin übereinstimmen, dass dem Wähler

unangenehme Wahrheiten nicht zumutbar seien,riskiert die Regierungskoalition, lieber ihr Gesichtzu verlieren als Stellung zu beziehen.

Monatelang verweigerten Kanzler und Vizekanz-

ler deshalb jedes Gespräch über das unvermeidlicheSparbudget. Sie fürchteten, ihre Parteien würden beiRegionalwahlen Verluste hinnehmen müssen, solltenbittere Pillen bekannt werden. Sie verloren dennoch,zum Teil empfindlich. Dass man die Phase des Denk-verbotes dazu hätte nutzen können, im stillen Kanz-leizimmer alles vorsorglich einmal durchzurechnen,dürfte niemanden in den Sinn gekommen sein.

Wenn nun Bundeskanzler Werner Faymann, wieer es nach der vergangenen Sitzung des Ministerratsgetan hat, beteuert, man habe eben bei den »Tau-senden Punkten des Sparprogramms« das eine oderandere übersehen, so stellt er seiner Mannschaft ein

Armutszeugnis aus. Diese Leute beherrschen nichteinmal die einfachsten Techniken ihres Handwerkes.Nichts war durchkalkuliert, nirgendwo eine politi-sche Idee, für die es wert wäre, Argumente ins Tref-fen zu führen. Mehr Murks geht kaum.

Schwarze WeltwirtschaftsrevueAm Burgtheater stellt Regisseur Michael �alheimer Brechts »Heilige Johanna« auf den Kopf

Schweinezyklus nannte man einst jenes Phä-nomen der Zeitverzögerung, durch das imRegelmechanismus aus Angebot, Nachfrage

und Preis instabile Marktsituationen entstehen.Der Schweinezyklus beschrieb den Funktions-mechanismus der alten kapitalistischen Ordnung.Geprägt unmittelbar vor Ausbruch der Weltwirt-schaftskrise, bewährte sich der Begriff in den fol-genden Jahren bestens.

Damals im Berlin der kommunistischen Vorzugs-schüler bemühte sich der talentierte Dichter BertoltBrecht um die Rolle des Klassenprimus. In seinerdramatischen Lehrwerkstatt sollte den ausgebeuteten,nunmehr freilich arbeitslosen Massen der Weg zumsozialistischen Heil gewiesen werden: Prolet, dortgeht’s lang!

Als es nun darum ging, im Belehrungstheater dieLehren aus der Weltwirtschaftskrise zu ziehen, nahmBrecht, der nie vor platten Botschaften zurückschreck-e, den Schweinezyklus beim Wort und erzählte

folgerichtig eine Fabel, die im Bauch des Kapitalismusund dort in den Fleischfabriken von Chicago spielt.

Lange bastelte er mit seinen Mitarbeiterinnen, die ernach bester Kapitalistenmanier ausbeutete, an denunterschiedlichen Versionen seiner dramatischenKampfanweisung, um gleich zwei marxistischeGrundwahrheiten auf die Bühne zu wuchten: Erstens,dass die »Befreiung der Arbeiter nur das Werk der

Arbeiter« sein könne (so steht’s in Brechts kommunis-tischem Gassenhauer, demEinheitsfrontlied),undzweitens, dass Religion Opium fürs Volk sei. Ein biss-chen viel für einen Theaterabend.

Auf Grundlage des dürren Thesenskeletts ge-staltete der ehrgeizige Brecht mit seinerHeiligen Jo-hanna der Schlachthöfe jedoch ein sehr komplexesHöllenmärchen, das zum einen Teil ein Wirtschafts-krimi ist, zum anderen aber das Rührstück einerreinen Torin, die Güte in die Welt bringen will, inZeiten sozialer Eiseskälte aber erfrieren muss. »Es hilftnur Gewalt, wo Gewalt ist, und es helfen nur Men-schen, wo Menschen sind«, erkennt sie, einen ein-samen Lungentod sterbend.

Da derzeit gerade die zweitgrößte Weltwirtschafts-krise in hundert Jahren ausgestanden zu sein scheint,

ist das Brechtsche Fazit kapitalistischer Abscheulich-keit auf den Spielplänen deutschsprachiger Bühnenwieder sehr gefragt. In kaum einem anderen Stück der respektablen Theaterliteratur wird die Fratze desSystems derart schonungslos demaskiert. Doch kannsich ein marxistisches Melodram, in dem die Wäh-rung aus Fleischkonserven besteht und derMoloch Schlachthof Menschen ver-schlingt, in einer Zeit der abstraktenFinanzprodukte und der sozialstaatlichenRundumversorgung glaubhaft behaup-ten? Ist das klassenkämpferische Pathosim klassischen Blankvers nicht bloß nochPhrasendrescherei?

Nicht, wenn die Intention des Autors gegen seineigenes Stück gekehrt wird, wie das Michael Thalhei-mer in seiner ersten Inszenierung am Wiener Burg-theater getan hat. Seine Version derHeiligen Johan-na ist eine bitterböse Farce, die im Trichter einesFleischwolfs spielt, zu dem die nüchterne Bühne

stilisiert wurde. In diesem Schlund zappeln dieburlesken Comicfiguren der Kapitalismuskritik. Der

Schurke dieser schwarzen Weltwirtschaftsrevue, derFleischkönig Maulder, der sich dank Insidertrading eine Monopolstellung ergaunert, scheint die längsteZeit gar nicht kapieren zu können, wieso seine raff-gierigen Fischzüge sein Vermögen mehren, ganz so wie moderne Spekulanten letztlich nicht begreifen,

warum sie einmal Boni, dann wieder Prügelbeziehen. Alle sind nur Figuren in einem

irrwitzigen Spiel, in dem längst niemandmehr mit finsteren Machenschaften ver-hängnisvolle Entwicklungen in Gang zusetzen vermag. Also schreien die bösen

Kapitalisten auf der Burg-Bühne wirresZeug, werfen die Arme verzweifelt in die Luft,

so wie das die Börsenspekulanten tun, wenn wiedereinmal die Kurse ins Bodenlose fallen und niemandes vorausgesehen hat.

Diesem Gesindel tritt eine Johanna gegenüber,die in ihrer Ahnungslosigkeit direkt aus dem Studioeiner TV-Castingshow kommen könnte. Sie ist nun

nicht mehr eine von Glaubeseifer beseelte SoldatinGottes, die eine Heilslehre ihr eigen weiß, sondern

eine naive Unschuld vom Land, die fassungslos erlebt,wie ihre romantischen Jungmädchenträume vom Aberwitz des Geschehens demoliert werden. Kon-sequenterweise hat Regisseur Thalheimer in seinerInszenierung auch die bekannteste Passage des Stü-ckes, das Kampflied der Schwarzen Strohhüte (wieBrecht seine Heilsarmee-Kompanie nannte), einfachweggestrichen, als wollte er einem Hamlet dessen»Sein oder Nichtsein« nehmen, die Quintessenz derganzen Rolle.

Als Bertolt Brecht seine Johanna fertiggestellthatte, kam die Machtergreifung der Nazis einer Ur-aufführung zuvor. Später, im Alterssitz DDR, galt dasStück als nicht linientreu genug, weil es gänzlich ohneproletarischen Helden auszukommen glaubte. Auf eine Bühne kam das Drama erst 1959, drei Jahre nachdem Tod des Autors, in Hamburg. »Wir spielen esheute, weil es nicht mehr aktuell ist«, meinte damalsder Chefdramaturg des Schauspielhauses. Das stimmtso heute nicht mehr: Am Burgtheater wird nun alle

ideologische Gewissheit sehr unterhaltsam ad ab-surdum geführt. JOACHIM RIEDL

Die große Milliönchen-ShowMit dem dilettantischen Entwurf zu einem Sparbudget verspielt die Regierung ihr AnsehenVON JOACHIM RIEDL

A R T G E N O S S E N

Ein neuer Volkssportbreitet sich aus:

Demonstrationengegen das Budget