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Die Zukunft unserer Energieversorgung Dietrich Pelte Eine Analyse aus mathematisch- naturwissenschaftlicher Sicht 2. Auflage

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Die Zukunft unserer Energieversorgung

Dietrich Pelte

Eine Analyse aus mathematisch-naturwissenschaftlicher Sicht

2. Auflage

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Die Zukunft unserer Energieversorgung

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Dietrich Pelte

Die Zukunft unsererEnergieversorgung

Eine Analyse ausmathematisch-naturwissenschaftlicherSicht

2. Auflage

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Prof. Dr. Dietrich PeltePhysikalisches InsitutUniversität HeidelbergHeidelberg, Deutschland

ISBN 978-3-658-05814-2 ISBN 978-3-658-05815-9 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-05815-9

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Lektorat: Daniel Fröhlich, Annette Prenzer

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier.

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Vorwort zur 2. Auflage

„Wie sieht die Zukunft unserer Energieversorgung aus?“ Eine Antwort auf diese Frage ent-scheidet auch die viel allgemeinere Frage: „Wie sieht unsere Zukunft aus?“ In der Tat, dieEnergie ist eine der wichtigsten Größen, die entscheidend für unsere Zukunft sein wer-den. Dabei ist Energie keineswegs eine Größe, deren Bedeutung, je nach Geschmack undLaune, sich von uns verändern und deren Verwendung sich beliebig manipulieren ließe.Sondern Energie ist eine wohldefinierte physikalische Messgröße, die in vielfacher Formin physikalischen Gesetzen auftritt, und deren Eigenschaften durch eben diese Gesetze be-stimmt werden. Diese Gesetze sind wiederum selbst ein Abbild der Natur, sie stellen inmathematischer Form die messbare Natur dar, wie sie sich aus der Vergangenheit in ihrengegenwärtigen Zustand entwickelt hat, und wie sie sich in Zukunft entwickeln wird.

Insofern ist die Frage nach der Zukunft unserer Energieversorgung zu allererst eine phy-sikalische Frage, und zu ihrer Beantwortung sollten physikalische Methoden verwendetwerden. Insbesonders sind die benötigten physikalischen Grundlagen so gesichert, dasskein Raum für bis heute unbekannte Energieformen oder ähnliche Spekulationen besteht.Auf der anderen Seite wäre eine Darstellung von Energieproblemen sicherlich unvollstän-dig, wenn diese nur im Rahmen physikalischer Gesetze erfolgte. Es macht gerade die un-geheure Bedeutung der physikalischen Größe Energie aus, dass sie in alle Aspekte unseresLebens eingreift, insbesondere auch in den Teil, der allgemein mit den Begriffen Wohl-stand und Lebensstandard umschrieben wird. Dieses sind Begriffe der Ökonomie und oft,aber vollständig unberechtigt, wird daher auch die Energie als eine ökonomische Größeangesehen.Wenn in diesem Buch die Bedeutung der Energie möglichst umfassend behan-deltwerden soll, dannmüssen ökonomische Fragenwenigstens ansatzweise auch behandeltwerden. Der Autor dieses Buchs ist kein Ökonom, aber viele ökonomische Probleme lassensich mit Methoden behandeln, welche auch in der Physik gebräuchlich sind. Dies ist be-sonders dann wichtig, wenn es um zukünftige Entwicklungen geht. Und insofern wendetsich dieses Buch nicht allein an die Leser mit naturwissenschaftlich-technischem Interes-se, sondern allgemein an alle Leser, die sich mit der Frage beschäftigen, welchen Weg dieEntwicklung der menschlichen Gesellschaft in Zukunft nehmen könnte.

Um allen Lesern gerecht zu werden, behandelt dieses Buch daher das Problem der Ener-gieversorgung auf zwei Ebenen. Da ist zunächst die Ebene, welche die Tatsachen und ih-re Zusammenhänge schildert und darstellt, welche Folgerungen daraus abzuleiten sind.

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VI Vorwort zur 2. Auflage

Diese Ebene ist für den normalen Leser die wichtigere Ebene, denn sie gibt die Antwor-ten auf die für uns wichtigen Fragen bezüglich der Energieversorgung. Aber diese Ebeneist zunächst auch die weniger objektive Ebene, denn welche Antworten gegeben werden,scheint von persönlichen Einstellungen und Voreingenommenheiten abzuhängen. Jedermag zu einer anderen, seiner persönlichen Antwort gelangen. Erst in der zweiten Ebene,der physikalischen Ebene (genannt P-Ebene), wird die Notwendigkeit der in diesem Buchgewählten Antwort dargelegt, und es wird gezeigt, wie sich diese Antwort aus den Gesetz-mäßigkeiten der Natur ergibt. Die P-Ebene benutzt an vielen Stellen eine andere, nämlichdie mathematische Sprache. Deswegen mag für viele Leser diese Ebene weniger transpa-rent und verständlich erscheinen. Sie bildet aber das Fundament für die erste Ebene, die –so hofft der Autor dieses Buchs – für jeden Leser verständlich ist. Das bedeutet nicht, dassauf dieser Ebene die Welt der Zahlen vollständig ausgeblendet, oder auf Formulierungenmithilfe von Gleichungen verzichtet werden kann. Man kann die Größe der Weltbevölke-rung nur durch eine Zahl angeben, und der Energiebedarf dieser Bevölkerung kann nurdurch eine Zahl spezifiziert werden. Ebenso ist es z. B. wesentlich einfacher, die Bezie-hung zwischen Energie und Entropie mithilfe einer Gleichung anzugeben, als siemit vielenWorten zu umschreiben. Bei der Diskussion, welche Abhängigkeiten zwischen Zahlenwer-ten sich aus diesen Gleichungen ergeben, werden grafische Darstellungen benutzt. Demnaturwissenschaftlich-technisch Interessierten genügtmeistens schon dieGleichung selbst,um die entsprechenden Folgerungen zu ziehen. Dies geschieht in der zweiten, der physi-kalischen Ebene. Damit beide Ebenen sich auch optisch unterscheiden, ist die P-Ebenegekennzeichnet durch eine dreistellige Kapitelangabe, also zum Beispiel der Abschn. 4.5.1:„Zur Physik des Erdklimas“ gehört zur P-Ebene.

Jede messbare Größe kannmithilfe einer Zahl spezifiziert werden. Dass dies allein nichtausreicht, sondern dass auch die Maßeinheit für diese Größe mit angegeben werden muss,damit werden wir uns in Abschn. 2.1.1 beschäftigen. Darüber hinaus ist es wichtig für dieGenauigkeit des Zahlenwerts, dass die Quelle zuverlässig ist, der die Zahl entnommenwur-de.Wir werden in diesemBuch nicht jedesmal die Quelle für den Zahlenwert angeben. Diemeisten der in diesem Buch zitierten Zahlen stammen aus statistischen Übersichten, dieohneKosten für jedermannüber das Internet zugänglich sind.Die amhäufigsten benutztenQuellen (alle in Englisch) sind:

• Energy Information Administration (www.eia.doe.gov)• British Petroleum Company (www.bp.com)• International Energy Agency (www.iea.org)

Informationen über regenerative oder erneuerbare Energien findet man zum Beispiel bei

• Bundesministerium fürUmwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit (www.erneuerbare-energien.de)

• World Energy Council (www.worldenergy.org (in Englisch))

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Vorwort zur 2. Auflage VII

Weiterhin sind Informationen aus folgenden Büchern in den Inhalt dieses Buchs eingeflos-sen:

• J. Fricke &W. L. Borst: Energie (R. Oldenbourg Verlag, München 1981)• M. Kaltschmidt & A. Wiese: Erneuerbare Energien (Springer Verlag, Heidelberg 1997)• W. Roedel: Physik unserer Umwelt (Springer Verlag, Heidelberg 1994)

Bei den thermodynamischen Aspekten der Energie war das englischsprachige Buch

• P. Richet: The Physical Basis of Thermodynamics (Kluwer Academic/Plenum Publis-hers, New York 2001)

sehr hilfreich.Die 1. Auflage des vorliegenden Buchs baute auf Vorlesungen auf, die der Autor für Stu-

denten der Physik, aber auch für Hörer anderer Fakultäten im Rahmen des StudiengangsUmweltökonomie an der Universität Heidelberg, in den Jahren 1998 bis 2001 gehalten hat.Als Referenzjahr wurde das Jahr 2000 gewählt und dies hat sich auch in der 2. Auflage die-ses Buchs nicht geändert. Natürlich sind seit 2000 einige Jahre vergangen, in der sich dieGegebenheiten bezüglich der globalen Energieversorgung verändert haben und wohl auchweiter verändern werden. Dies betrifft insbesondere die Erschließung neuer Energieres-sourcen und die Entwicklung des globalen Energiebedarfs, der stärker zugenommen hatals erwartet. Diese Veränderungen sind in der 2. Auflage berücksichtigt: Es werden anhandder modifizierten Daten neue Prognosen errechnet, wie auch von einer weniger optimisti-schen Wirtschaftsentwicklung ausgegangen wird. Schließlich hat die Welt seit Beginn des21. Jahrhunderts eine wirtschaftliche Rezession und die Finanzkrise erlebt und es wäre tö-richt, dies nicht zu berücksichtigen. Berücksichtigt sind aber auch die vielen Kommentareund Richtigstellungen, welche der Autor nach der 1. Auflage erhalten hat und für die ersich herzlich bedankt.

Wie auch früher schon, sollen die tatsächlichen Entwicklungen mit den Vorhersagender 2. Auflage im Begleitmanuskript „Energie3“

(im Internet unter http://www.physi.uni-heidelberg.de/~pelte/energie/start.htm)

verglichen werden, um fundamentale Fehleinschätzungen zu erkennen. Allerdings habensich die Schlussfolgerungen am Ende der 2. Auflage nicht wesentlich gegenüber denen der1. Auflage verändert, was immerhin die Vermutung zulässt, dass derartige Fehleinschät-zungen bisher nicht erkennbar sind.

Das vorliegende Buch wendet sich auch an alle, die verwundert sind über die wider-sprüchlichen Informationen zum Energiebegriff in den öffentlichen Medien. Es versucht,die notwendigen Kenntnisse zu vermitteln, um die Eigenschaften der Energie zu verstehenund zu erkennen, welche fundamentale Bedeutung die Energie für unser gesamtes Daseinbesitzt. Es benutzt dafür physikalische Prinzipien, aber es ist natürlich kein Lehrbuch der

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VIII Vorwort zur 2. Auflage

Physik. Zum Verständnis seiner Botschaften genügt der Wissensstand, den Schüler nachdem Abschluss der gymnasialen Oberstufe an deutschen Schulen besitzen sollten. Für denFall, dass Leser sich darüber hinaus etwas eingehender mit den physikalischen Konzep-ten zur Beschreibung der Natur auseinandersetzen wollen, und wie diese Konzepte in eineadäquate mathematische Formulierung umgesetzt werden, denen empfehle ichmein Lehr-buch

• D. Pelte: Physik für Biologen (ISBN 3-540-21162-4 Springer Verlag, Heidelberg 2004)

Anders als der Titel vermuten lässt, enthält dieses Buch eine allgemeine Darstellung derPhysik, die sich an ein breites Publikum wendet, das sich mit naturwissenschaftlichen Fra-gen und Problemen beschäftigt. Aber auch andere physikalische Lehrbücher können dieseAufgabe übernehmen, wobei dann unter Umständen eine andere Darstellungsweise undNomenklatur verwendet werden, als sie dieses und das oben angegebene Lehrbuch ver-wenden.

Mein besonderer Dank gilt dem Physikalischen Institut der Ruprecht-Karls-UniversitätHeidelberg, das mir auch nach dem Ende meiner Lehrtätigkeit gestattete, die Ressourcendes Instituts weiter zu benutzen, ohne welche die Fertigstellung dieses Buchprojekts un-möglich gewesen wäre. Ich möchte auch dem Springer Verlag und seinem Lektor DanielFröhlich danken, der die 2. Auflage initiiert und sorgfältig betreut hat.

Heidelberg, Februar 2014 Dietrich Pelte

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Theoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.1.1 P-Ebene: Die Aussagen der Thermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Der Energiebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72.1 Die Energie und die Energieformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

2.1.1 P-Ebene: Die Definition von Messgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . 82.2 Die Umwandlung der Energieformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.2.1 P-Ebene: Die Exergie als wandelbarer Teil der Energie. . . . . . . . . 152.3 Die Wirkungsgrade der Energiewandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.3.1 P-Ebene: Der maximale Wirkungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252.4 Der Nutzungsgrad und der Versorgungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

2.4.1 P-Ebene: Nutzungsgrad und Versorgungsgrad . . . . . . . . . . . . . . 372.5 Fragen zur Energieversorgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

3 Der Bedarf an Primärenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433.1 Empirische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

3.1.1 P-Ebene: Korrelation zwischen Bruttoinlandprodukt und Primär-energiebedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

3.2 Die ve- und we-Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533.3 Bedarfssektoren für Endenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553.4 Die Energieprognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

3.4.1 P-Ebene: Die Grundlagen von Prognosen . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

4 Das Wachstum und seine Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

4.1.1 P-Ebene: Die zeitliche Veränderung der Bevölkerungszahlen . . . . 664.2 Die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774.3 Die Entwicklung des Primärenergiebedarfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 804.4 Die Grenzen des Wachstums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824.5 Der Energiehaushalt der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

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X Inhaltsverzeichnis

4.5.1 P-Ebene: Zur Physik des Erdklimas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904.6 Das Flächenangebot der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 964.7 Deutschland, ein Sonderfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

5 DieWeltenergievorräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1035.1 Die fossil biogenen Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1045.2 Die fossil mineralischen Energien 1: Kernspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 108

5.2.1 P-Ebene: Die physikalischen Grundlagen der Kernspaltung . . . . . 1125.3 Die Entsorgung des nuklearen Abfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

5.3.1 P-Ebene: Moderne Techniken der Entsorgung . . . . . . . . . . . . . . 1325.4 Die fossil mineralischen Energien 2: Kernfusion . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

5.4.1 P-Ebene: Der Fusionsreaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355.5 Die Risiken der Kernenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1435.6 Das Ende der fossilen Energieträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

5.6.1 P-Ebene: Die zukünftige Entwicklung der fossilen Energieträger . 152

6 Die erneuerbaren Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1576.1 Die Solarenergie: Verfügbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

6.1.1 P-Ebene: Die Umwandlung der Solarenergie . . . . . . . . . . . . . . . 1636.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

6.2.1 P-Ebene: Die Kohlenstofffixierung durch Fotosynthese . . . . . . . . 1806.3 Die Solarenergie: Fotovoltaik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

6.3.1 P-Ebene: Die Eigenschaften einer Fotodiode . . . . . . . . . . . . . . . 1906.4 Die Solarenergie: Lichtkonzentratoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192

6.4.1 P-Ebene: Die optischen Eigenschaften von Linsen und Spiegeln . . 1976.5 Die Solarenergie: Thermische Solarzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

6.5.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen thermischer Solarzellen . . . . 2046.6 Die Strömungsenergie: Verfügbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2066.7 Die Strömungsenergie: Windkraftanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

6.7.1 P-Ebene: Die Energiewandlung mithilfe einer Windkraftanlage . . 2156.8 Die Strömungsenergie: Wasserkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

6.8.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen vonWasserkraftwerken . . . . 2246.9 Die Strömungsenergie: Wellenkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

6.9.1 P-Ebene: Die physikalischen Grundlagen vonWellenkraftwerken 2286.10 Die Strömungsenergie: Gezeitenkraftwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231

6.10.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen von Gezeitenkraftwerken . . . 2346.11 Die Kernenergie: Geothermie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

6.11.1 P-Ebene: Das Gestein als Wärmespeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

7 Eine Zukunft ohne Energie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

8 Die Energiespeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2578.1 Die Versorgung mit erneuerbarer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

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Inhaltsverzeichnis XI

8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2618.2.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen von Energiespeichern . . . . . 262

8.3 Die Möglichkeiten der Energiespeicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289

9 Der Energietransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2939.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports . . . . . . . . . . . . . 294

9.1.1 Der Transport von elektrischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2949.1.2 Der Transport von chemischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3019.1.3 Der Transport von thermischer Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

9.2 Transport und Speicherung erneuerbarer Energien . . . . . . . . . . . . . . . 308

10 Die Möglichkeiten des Energiesparens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31110.1 Das Einsparpotenzial bei der Raumwärme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316

10.1.1 P-Ebene: Aktive Anlagen zur Einsparung von Heizenergie . . . . . 32010.2 Das Einsparpotenzial bei der Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32710.3 Das Einsparpotenzial bei privaten Haushalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33010.4 Die Energielücke zwischen Bedarf und Angebot . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

11 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339

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1Einleitung

Das 21. Jahrhundert wird vielleicht einmal als das Jahrhundert in Erinnerung bleiben, indem die natürlichen Ressourcen der Menschheit (Rohstoffe, Wasser, Luft, etc) bedrohlichknapp wurden. Auch die Energie kann man zu diesen Ressourcen rechnen. Dass derenVerknappung eintritt, ist um so erstaunlicher, da für viele dieser Ressourcen ein Erhal-tungsgesetz gilt, ihre Menge also nicht ab- oder zunehmen kann. Falls wir die Erde als einabgeschlossenes Systembetrachten, für das kein Austauschmit seinerUmgebung möglichist, dann gilt zum Beispiel in Bezug auf die Rohstoffe

In einemabgeschlossenen Systemverändert sich dieMenge eines Rohstoffs, das heißtdie Zahl der Atome eines bestimmten Elements, nicht.

Bezüglich der Energie ist die Lage allerdings etwas komplizierter, denn die Erde ist indiesemFall und glücklicherweise ein offenes System.Wir alle wissen, dass wir tagsüber vonder SonneEnergie in Formder Sonnenstrahlung empfangen, und die Energiemengewürdeauf der Erde ständig zunehmen, wenn die Erde nicht dieselbe Menge an Energie wieder indenWeltraum abstrahlen würde. Bezüglich der Energie findet also ein ständiger Austauschzwischen der Erde und ihrer Umgebung statt mit der Folge, dass die Energiemenge auf derErde im Wesentlichen konstant bleibt. Dieses Gleichgewicht zwischen empfangener undabgegebener Energie ist zum Beispiel dafür verantwortlich, dass auf der Erde eine mittlereJahrestemperatur von etwa 15 °C herrscht. Auf dieses Phänomen der Natur werden wir inAbschn. 4.5.1 noch genauer eingehen.

Obwohl die Erde bezüglich der Energie ein offenes System ist, verändert sich die Mengeihrer Gesamtenergie nur unwesentlich. Und die geringfügige Veränderung ist ein Energie-verlust, der durch den Abbau der von der Erde gespeicherten Energievorräte in Form vonfossilen Brennstoffen auftritt. Dabei ist es nicht richtig, von einem Energieverbrauch zusprechen, denn diese Energie wird nicht verbraucht bzw. vernichtet, sondern zusätzlichmit

1D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_1,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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2 1 Einleitung

der von der Sonne empfangenen Energie in den Weltraum abgestrahlt. Wir werden dahernicht von einem Energieverbrauch, sondern immer von einem Energiebedarf der Weltreden. Wenn also die Mengen der Rohstoffe oder die der Energie auf der Erde unverän-derlich sind, warum haben wir dann in der Zukunft mit diesen Ressourcen ein Problem?Den Grund erkennt man vielleicht am einfachsten, wenn wir den Rohstoff Kupfer (Cu) alsBeispiel betrachten. Cu wird in einem Bergwerk abgebaut, wo es in konzentrierter Formgelagert ist. Auf jeden Fall ist dort die Konzentration1 so hoch, dass sich der Abbau lohnt,wobei als nicht geringer Kostenfaktor die für denAbbau benötigte Energie eine Rolle spielt:Je geringer die Konzentration, umso höher sind die Energiekosten. Nachdem das Kupferverarbeitet ist, gelangt es zu den Abnehmern, das heißt es wird über die Erde verteilt. Dereigentliche und für uns wichtige Aspekt in der Historie des Rohstoffs Kupfer besteht nichtdarin, was aus diesem Rohstoff erzeugt wurde, sondern darin, dass er von einem lokalenStandort aus über die gesamte Welt verteilt wurde. Auch zur Beschreibung dieses Vertei-lungsprozesses besitzen wir eine physikalische Größe, die Entropie. Durch die Verteilungdes Kupfers wird die Entropie der Cu-Menge erhöht. Daraus folgt für ein abgeschlossenesSystem, dass die Entropie im Gegensatz zur Energie keinem Erhaltungsgesetz unterliegt,sie kann sich verändern. Und diese Veränderung besteht immer in einer Vergrößerung derEntropie in diesem System.

Jeder technische Prozess in einem abgeschlossenen System lässt die Gesamtenergiedes Systems unverändert, erhöht aber die Entropie des Systems.

Es ist daher von essentieller Bedeutung, dass die Erde bezüglich der Energie ein offenesSystem bildet. Durch den Austausch mit ihrer Umgebung kann sich die Entropie der Erdeauf einem kleinen Wert halten, und dies ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass hierdas Leben möglich ist. Dieser kleine Entropiewert macht es auch möglich, dass im Prin-zip die Verteilung der Cu-Menge in unserem Beispiel wieder rückgängig gemacht werdenkönnte: Wir könnten das verteilte Kupfer wieder einsammeln und an seinen Abbauort zu-rückbringen. Durch diesen Prozess verringert sich die Entropie der Cu-Menge, währendsich die Entropie der Umgebung stärker erhöht. Aber wir alle haben das Gefühl, dass dieseRückverbringung an den Abbauort außerordentlich unökonomisch ist, denn sie erfordertnoch mehr Energie, als für den Abbau, die Verarbeitung und Verteilung benötigt wurde.

Dieser Zusammenhang zwischen Energie und Entropie ist für das Verständnis aller Vor-gänge in der Natur, bei denen die Energie eine Rolle spielt, und das sind praktisch alleVorgänge auf unserer Erde, von ausschlaggebender Bedeutung.Wir werden unsmit diesemZusammenhang in den nächsten Kapiteln beschäftigen, er ist es, der ein ziemlich genau-es Bild über die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten ergibt. Dabei ist es nicht sinnvoll,

1 Unter der Konzentration c verstehen wir das Verhältnis einer Teilmenge Δn zur Gesamtmenge n,also c = Δn/n.

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1.1 Theoretische Grundlagen 3

dieUntersuchung der Entwicklungsmöglichkeiten allein auf Deutschland zu beschränken.Das Problem der Energieversorgung ist ein globales Problem, wir werden aber bei einzel-nenThemen immer wieder auf die besonderen Gegebenheiten in Deutschland blicken.

Aussagen über zukünftige Entwicklungen beruhen immer auf Modellen. Selbst wenndie Grundlage dieser Modelle die physikalischen Gesetze und damit die Naturgesetze sind,so sind diese Aussagen trotzdem nicht frei von Unsicherheiten. Diese Unsicherheiten ha-ben zweiUrsachen. Zumeinen ist einModell immer eine vereinfachteAbbildung derWirk-lichkeit. Der Grad der Vereinfachung bestimmt die Unsicherheit der Modellaussagen. DieAussagen in diesem Buch beruhen auf sehr einfachen Modellen, die wegen ihrer Einfach-heit aber auch den Vorteil besitzen durchschaubar zu sein. Zum anderen ist es so, dassjedes Modell eine Anzahl von Parametern enthält, derenWerte selbst nur mit einer gewis-senUnsicherheit bekannt sind.Die Berücksichtigung dieser beiden Fehlerquellen geschiehtgewöhnlich derart, dass dieWerte der Parameter in einen gewissen und plausiblen Bereichvariiert werden und somit ihr Einfluss auf die Aussagen eines Modells untersucht wird.Dieses Verfahren wird auch hier angewendet, das heißt, es werden mehrere Aussagen zi-tiert, deren Bandbreite gleichzeitig ein Maß für ihre Unsicherheit ist. Wir werden sehen,auf welche zukünftigen Probleme diese Aussagen trotz ihrer Unsicherheit hinweisen, unddiese Probleme haben ihre Ursache nicht in der Einfachheit des benutzten Modells oderin der Unsicherheit der Modellparameter, sondern sie ergeben sich aus den Gesetzen derNatur, die eben nicht per Bundes- oder sonst welcher von Menschen gemachten Gesetzeaußer Kraft gesetzt werden können. Besonders auch dann, wenn die Bedeutung der Energiebei der Lösung ökonomischer Probleme offensichtlich ist, wird oft vergessen, welche Gren-zen diese Gesetze den angestrebten Lösungen setzen. Eine Lösung, welche diese Gesetzemissachtet, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.

1.1 Theoretische Grundlagen

Wir werden uns so früh in diesem Buch mit dem ersten und zweiten Hauptsatz der Ther-modynamik beschäftigen, weil beide von fundamentaler Bedeutung für die Beschäftigungmit Energiefragen sind und weil später die große Gefahr besteht, dass der Leser „denWaldvor lauter Bäumen nichtmehr sieht“, also inDetaildiskussionendieWirkung dieserHaupt-sätze nicht mehr wahrnimmt.

1.1.1 P-Ebene: Die Aussagen der Thermodynamik

Der 1. Hauptsatz der ThermodynamikDer 1. Hauptsatz derThermodynamik macht eine prinzipielle Aussage über die Energieer-haltung bei allen Systemprozessen. Mathematisch formuliert lautet er:

ΔW =∫

dU −∫

PdV . (1.1)

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4 1 Einleitung

Das bedeutet, die bei einer Zustandsänderung des Systems abgegebene oder aufgenomme-ne Energie ΔW ist gleich der Änderung der inneren EnergieU des Systems, vermindert umdie Arbeit des Systems gegen den äußeren Druck P. Da das System Erde bei allen Prozessensein Volumen V nicht verändert (dV = ), ergibt sich

ΔW =∫

dU . (1.2)

Das bedeutet insbesondere, dass jede dem System zugeführte Energie (ΔW > ), also z. B.die Solarenergie, die innere Energie des Systems vergrößern muss. Der 1. Hauptsatz stehtdamit im Widerspruch zu der Behauptung, diese Energie ΔW könnte verbraucht werden,und hat viele Leute veranlasst, an der Gültigkeit des 1. Hauptsatzes für das System Er-de zu zweifeln. Als Argument wird gewöhnlich angeführt, dass der 1. Hauptsatz nur fürabgeschlossene Systeme gelte und die Erde kein abgeschlossenes System sei. Aber die-se Argumentation ist falsch. Der 1. Hauptsatz kennt die Begriffe „Energieverbrauch“ und„Energieerzeugung“ überhaupt nicht unddaher ist es besser, sie inDiskussionen über Ener-gie erst gar nicht zu benutzen. Darüber hinaus löst die Nichtabgeschlossenheit des SystemsErde gleichzeitig den Widerspruch: Die Energieaufnahme wird kompensiert durch eineetwa gleich große Energieabgabe. Mathematisch wird dies beschrieben durch das Konti-nuitätsgesetz:

∮jW ⋅ dA−

ddt ∫

ρUdV = , (1.3)

welches eine Folge des 1. Hauptsatzes ist. Es besagt, dass bei einer zeitlichen Änderung derinneren Energie U die Energiestromdichte2 jW durch die Systemoberfläche A ungleichNull sein muss. Ist dagegen der Zufluss gleich groß wie der Abfluss,

j(+)W + j(−)W = jW = , (1.4)

so bleibt die Energie im System konstant. Dies ist bei der Erde angenähert der Fall, wie wirin Abschn. 4.5 besprechen werden.

Der 2. Hauptsatz der ThermodynamikDass trotz Energieerhaltung überhaupt Zustandsänderungen in einem System stattfindenund so Prozesse ablaufen können, verdanken wir einer anderen fundamentalen Größe derPhysik, der Entropie. Der 2. Hauptsatz besagt, dass jeder Prozess die Entropie S im Systemverändert, und zwar so, dass

ΔS =∫

dQT≥ (1.5)

gilt. Durch diese (Un-)Gleichung wird die Entropieänderung an eine besondere Form derEnergie gekoppelt, nämlich an die thermische Energie (Wärme) Q, wobei die Systemtem-peratur T ein zusätzlicher Parameter ist. Nach dem 2. Hauptsatz bleibt die Systementropie

2 Die Energiestromdichte j und die Oberfläche A sind gerichtete Größen (Vektoren). Später wer-den wir die senkrechte Komponente j⊥ der Energiestromdichte auf die Oberfläche als Intensität Ibezeichnen.

Page 16: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

1.1 Theoretische Grundlagen 5

ΔS = nur konstant, wenn der Prozessablauf reversibel ist. Bei allen irreversiblen Pro-zessen muss sich die Entropie ΔS > vergrößern. Dazu ist thermische Energie notwendig,die wegen der Energieerhaltung nur durch eine Wandlung aus einer anderen Energieformentstehen kann. Und dies ist die wichtige Aussagedes 2. Hauptsatzes, dass jeder irreversibleProzess die teilweise Energiewandlung erfordert, um die benötigte Wärme für die Entro-pieerzeugung bereitzustellen:

Nicht der Energieverbrauch ist der Antriebsmechanismus aller irreversiblen Prozes-se, sondern die teilweise Wandlung einer Energieform in thermische Energie.

Diese Aussage ist deshalb von so fundamentaler Bedeutung, weil alle Prozesse, insbe-sondere auchWachstumsprozesse, auf der Erde irreversibel sind3.Unser eigenesWachstumist dafür das beste Beispiel:Wir werden geboren undwir sterben, und nie ist es einemMen-schen gelungen, diesen Prozess umzukehren. Um zu leben, muss unser Körper genügendEntropie erzeugen, indem er die chemische Energie der Nahrung in thermische Energieumwandelt.

Obwohl die Entropie eine zentrale Stellung in allen Systemänderungen einnimmt,kommt sie in den gängigen Darstellungen zum Thema Energie nicht vor. Da ihre Aus-wirkungen aber natürlich nicht unterdrückt werden können, werden neue Begriffe, wie„Exergie“ und „Anergie“, in die Behandlung der Energie eingeführt. Auch in diesem Buchwird das geschehen, und zwar schon im nächsten Kapitel.

3 Reversible Prozesse sind ein Konstrukt der theoretischen Physik, um die Eigenschaften von Sys-temänderungen berechnen zu können.

Page 17: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2Der Energiebegriff

2.1 Die Energie und die Energieformen

Die Energie ist eine physikalische Größe, die sich messen lässt und daher eindeutig be-stimmbar ist. Trotzdem ist der Energiebegriff im Sprachgebrauch sehr undeutlich. ZumBeispiel werden viele der Behauptung zustimmen: „Es kostet mich viel Energie, morgensaufzustehen“. Damit ist aber eigentlich etwas ganz anderes gemeint: „Ich muss mich über-winden, morgens aufzustehen, weil ich eigentlich noch viel lieber weiterschlafen würde“.Physikalisch gesehenwird zumAufstehen in der Tat Energie benötigt, weil derMassenmit-telpunkt des Körpers angehoben wird, der Körper also seine Lage verändert. Aber dieserEnergiebedarf ist minimal, er beträgt für einen normalen Menschen nur etwa 400 J (dasJoule (J) ist die Maßeinheit der Energie, die wir auf der P-Ebene in diesem Unterkapiteldefinieren werden). Das entspricht der chemischen Energie von etwa 0,05 gWeizenmisch-brot, also etwa der Energiemenge eines Brotkrümels. Daher benötigen wir eigentlich fastkeine Energie, um morgens aufzustehen!

Wir lernen aus diesem Beispiel noch etwas anderes: Energie tritt in vielen Formen auf.Wir haben zwei Energieformen gerade kennen gelernt:

• Die Energie der Lage (man bezeichnet diese Energieform als potenzielle Energie).• Die Energie von Lebensmitteln (man bezeichnet diese Energieform als chemischeEner-

gie).

Und weitere Energieformen sind zum Beispiel

• Die Energie der Bewegung (man bezeichnet diese Energieform als kinetische Energie).• Die Energie der Wärme (man bezeichnet diese Energieform als thermische Energie

oder einfach alsWärme).

Alle Energieformen können in einander umgewandelt werden, ohne dass dabei Energieverloren geht. Die chemische Energie des Brots kann in die potenzielle Energie des Körpers

7D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_2,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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8 2 Der Energiebegriff

umgewandelt werden. Aber dieser Wandlungsprozess ist nicht vollständig, denn ein Teilder chemischen Energie wird bei der Wandlung auch in thermische Energie umgesetzt.Beim Aufstehen erhöht sich unsere Körpertemperatur, und je höher unsere Körpertem-peratur ist, umso höher ist die thermische Energie des Körpers. Diese nicht erwünschtenUmwandlungen der Energie sind das eigentliche Hauptproblem bei allen technischen Pro-zessen, die zu ihrer Durchführung eine Versorgung mit Energie benötigen. Wir werdenuns im nächsten Kapitel ausführlich mit diesem Problem beschäftigen.

Ein weiteres Sprachproblem ist der Gebrauch des Worts „Arbeit“. In der Physik ist dieMessgröße Arbeit identisch zur Messgröße Energie, beide besitzen dieselbe MaßeinheitJoule (J). In einem Gespräch kann ich aber unwidersprochen behaupten: „Um dieses Buchzu schreiben, muss ich arbeiten“, und einige werden sogar zustimmen, dass das viel Ar-beit ist. Aber eigentlich ist die Menge an Energie, die ich zur Fertigstellung dieses Buchsbenötige, nur minimal, sie ist noch geringer als die, die ich zum morgentlichen Aufstehenbenötige. Und manche werden vielleicht auch zustimmen, dass das Verfassen eines Buchseine große Leistung ist. Aber auch hier ist die Sprache ungenau, denn die Leistung ist physi-kalisch bestimmt durch die Rate, mit der die eine Energieform in eine andere umgewandeltwird. Das bedeutet, Leistung ist die pro Zeiteinheit umgewandelte Energie.

Und jetzt nähern wir uns einem sehr wichtigen Punkt: Wenn wir den Energiebedarfder Welt bestimmen wollen, dann meinen wir eigentlich den Energiebedarf pro Jahr. Unddiese Größe bezeichnet nicht wirklich die Energie, sondern den Bedarf an Leistung. Es istdaher vielleicht nicht überraschend, dass Diskussionen um die Energie so oft zu keinemErgebnis führen. Denn vielleicht meinen ja verschiedene Personen mit demselben Wortganz verschiedene Größen und reden daher einfach nur aneinander vorbei.

2.1.1 P-Ebene: Die Definition vonMessgrößen

Die physikalische Messgröße EnergieDieEnergieW ist eine physikalischeMessgröße. Sie lässt sichmit geeignetenAnordnungenmessen, das Ergebnis dieser Messung ist ein Messwert ⟨W⟩ zusammen mit seiner Maß-einheit [W]. Der Messwert wird hier in der Form des Mittelwerts über eine Anzahl vonMessungen (einer Stichprobe) angegeben, weil jede Messungmit einem Fehler ΔW behaf-tet ist, der umso kleiner wird, je größer die Anzahl der Einzelmessungen ist.

Allerdings sind dieMessfehler, wie bereits in der Einleitung ausgeführt, ohne Bedeutungfür die Argumente, die in diesem Buch vorgebracht werden. Von viel größerer Bedeutungsind die Fehler, die durch die Unsicherheiten in den Modellannahmen für die Prognosenverursacht werden.Wir werden daher später denWert der Energie einfach durch das Sym-bol W kennzeichnen, und der Fehler wird aus der Anzahl der signifikanten Stellen desWerts deutlich. Also ein angegebener Energiewert von W = ⋅ J bedeutet, dass derwahreWert irgendwo zwischen , ⋅ J und , ⋅ J liegt. Von ebensolcher Wichtigkeit,wie der Messwert, ist die Maßeinheit der Energie. In diesem Buch werden wir allgemeindie durch das „Systeme International d’Unités (SI)“ vorgeschriebenen Maßeinheiten ver-

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2.1 Die Energie und die Energieformen 9

Tab. 2.1 Die Basismessgrößen im Systeme International d’Unités

Basismessgröße Symbol Basismaßeinheit BezeichnungLänge r [r] =m MeterZeit t [t] = s SekundeMasse m [m] = kg KilogrammElektrischer Strom I [I] =A AmpereTemperatur T [T] =K KelvinStoffmenge n [n] =mol MolLichtstärke Lν [Lν] = cd Candela

Tab. 2.2 Umrechnungstabelle der wichtigsten Energieeinheiten

Einheit J cal eV kWh kg ⋅ SKE BtuJ , , ⋅ , ⋅ − , ⋅ − , ⋅ −

cal , , ⋅ , ⋅ − , ⋅ − , ⋅ −

eV , ⋅ − , ⋅ − , ⋅ − , ⋅ − , ⋅ −

kWh , ⋅ , ⋅ , ⋅ , ⋅ − , ⋅

kg ⋅ SKE , ⋅ , ⋅ , ⋅ , , ⋅

Btu , ⋅ , ⋅ , ⋅ , ⋅ − , ⋅ −

J = Joule; cal = Kalorie; eV = Elektronenvolt; kWh = Kilowattstunde;kg ⋅ SKE = Kilogramm Steinkohleeinheit; Btu = British thermal unit

wenden. Diese SI-Einheiten wurden mit dem Gesetz über Einheiten im Messwesen vom 2.Juli 1969 von der Bundesrepublik Deutschland übernommen und sind daher verbindlichvorgeschrieben. Die Maßeinheit für die Energie ist das Joule (J), also [W] = J. Die Maß-einheit J ist eine abgeleitete Maßeinheit, sie ist abgeleitet aus den Basismaßeinheiten desSI. In diesem System gibt es 7 Basismessgrößen mit ihren Basismaßeinheiten. Diese sindin Tab. 2.1 zusammengefasst.

Ausgedrückt durch diese Basismaßeinheiten besitzt die Energie die Einheit

[W] = J = kg ⋅m⋅ s− . (2.1)

Unglücklicherweise werden neben dieser Maßeinheit des SI noch eine Vielzahl andererEinheiten in der Literatur verwendet. Die wichtigsten sind in der Tab. 2.2 mit ihren Um-rechnungsfaktoren zusammengefasst. Besonders schlimm ist, dass auch die deutschenElektrizitätswerke in ihren Abrechnungen die Energiewerte mit der Einheit kWh (Kilo-wattstunde) angeben. Dabei ist dasWatt (W) eigentlich die SI-Einheit für eine Leistung P.Es bestehen folgende Zusammenhänge:

Leistung = Energie pro Zeit

P =dWdt

, [P] = J ⋅ s− =W.(2.2)

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10 2 Der Energiebegriff

Tab. 2.3 Potenzen und dazugehörige Vorsilben vor Einhei-ten

Vorsilbe Potenz Abk. Deutsche SpracheYocto − yZepto − zAtto − aFemto − fPiko − pNano − nMikro − μMilli − mZenti − cDezi − dDeka daHekto hKilo k TausendMega M MillionGiga G MilliardeTera T BillionPeta P BilliardeExa EZetta ZYotta Y

Daraus ergibt sich, dass die Energie auch die SI-Einheit [W] =W ⋅ s = J besitzt; die EinheitW ⋅ s heißt Wattsekunde.1

In der Tab. 2.2 und auch sonst in diesem Buch werden wir davon Gebrauch machen,große bzw. kleine Zahlenwerte mithilfe von Potenzen oder durch Vorsilben an den Ein-heiten darzustellen. Zwischen den Potenzen undden zugehörigenVorsilben bestehen die inder Tab. 2.3 gezeigten Zusammenhänge. Ein Beispiel: Eine Energiemenge vonW = Jlässt sich wie folgt schreiben:

W = J = ⋅ J = kJ,

und wird in deutscher Sprache „eintausend Joule“ oder „ein Kilojoule“ genannt.Die jährlichen Abrechnungen der Elektrizitätswerke gibt die bezogene Energiemenge in

der Einheit kWh an. Aber da die Rechnung jedes Jahr neu aufgestellt wird, spezifiziert sieeigentlich eine gelieferte Leistung in der Einheit kWh⋅a− . Trotz einiger Bedenken, dass von

1 Es ist vielleicht verwirrend, dass für die Messgröße „Energie“ der Buchstabe W (vom englischenWort „work“ für Arbeit) benutzt wird, und derselbe Buchstabe W für die Einheit der Leistung. Ansolche Doppeldeutigkeiten muss man sich gewöhnen. In diesem speziellen Fall besteht allerdingsein Unterschied in den Schreibweisen: Physikalische Größen werden kursiv geschrieben, Einheitenwerden steil geschrieben, wie auch der Text.

Page 21: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.2 Die Umwandlung der Energieformen 11

der vorgeschriebenen SI-Einheit W abgewichen wird, werden wir in diesem Buch für dieLeistung öfters die Einheit kWh⋅a− benutzen. Denn damit erhält der Leser aufgrund seinereigenen Elektrizitätsrechnung ein ungefähresGefühl dafür, wie hoch zumBeispiel der jähr-liche Energiebedarf (das heißt Leistungsbedarf) in Deutschland ist und welche Kosten mitder Bereitstellung dieser Leistung verbunden sind. Die Umrechnungsfaktoren zwischendiesen beiden Leistungseinheiten ergeben sich zu:

W = ,kWh ⋅ a− ,

kWh ⋅ a− = ,W.(2.3)

Die ökonomischen MessgrößenAuch ökonomischeProzesse sind irreversible Prozesse unddamit abhängig von der Entro-pieerzeugung, also der Energiewandlung.UmdieseAbhängigkeiten zu diskutieren, werdenwir ökonomische Messgrößen verwenden, die sich durch Zahlenangaben quantifizierenlassen. Die ökonomischen Messgrößen können aber nicht als gleichrangig zu den phy-sikalischen Messgrößen angesehen werden, denn es fehlt ihnen eine wesentliche Eigen-schaft: Die Definition einer eindeutigen Maßeinheit. Allgemein üblich ist der Gebraucheines Geldwerts als Maßeinheit, wobei üblicherweise als Basismaßeinheit die Weltrefe-renzwährung, also der USD verwendet wird. Aber der Wert eines USD ist nicht eindeutigdefiniert, er schwankt aufgrund von

• Währungsinflation und Deflation,• Wechselkursänderungen.

Beide Phänomene unterliegen darüber hinaus staatlichen Einflüssen, besonders dort, wodie Landeswährung nicht frei konvertibel ist. Diese Nichteindeutigkeit der Maßeinheitstellt ein besonderes Problem dar, dem wir in diesem Buch oft begegnen werden.

2.2 Die Umwandlung der Energieformen

Fast alle technischen Prozesse in unserer Welt benutzen die Möglichkeit, eine Energieformin eine andere umzuwandeln. Solange unsere Energieversorgung noch überwiegend aufder Nutzung fossiler Energieträger beruht, ist die primäre Energieform meistens die che-mische Energie, die in elektrische, kinetische oder thermische Energie umgewandelt wird.Bei diesen Umwandlungen geht keine Energie verloren, denn für die Energie gilt ein stren-ges Erhaltungsgesetz.

Warum haben wir dann trotz Energieerhaltung ein Energieproblem, das sich in den nächstenJahrzehnten dramatisch verschärfen wird?

Dieses Problem entsteht durch ein fundamentales Naturgesetz (2. Hauptsatz der Ther-modynamik), das zwar die Wandlung ohne Energieverlust erlaubt, aber nicht gestattet,

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12 2 Der Energiebegriff

f i

i f i f

Energiewandlungs

system

Energieaufnehmendes

System

Energiewandlungs

system

Energiewandlungs

system

W´Q´

abgegebene Energie Wfwandelte Energie W

ge

Umgebunga b

Abb. 2.1 SchematischeDarstellung eines idealen (a) und eines realen (b) Energiewandlungsprozes-ses. Neben der nutzbaren Energie W bzw. Wf wird ein Teil der Energie in einem realen Prozess indie nicht nutzbaren Formen Q′ undW ′ gewandelt, die in die Umgebung gelangen

dass derWeg, den die Wandlung nimmt, von uns nach Belieben vorgegeben werden kann.Wenn wir den idealen Wandlungsprozess betrachten, der sich allerdings technisch nichtrealisieren lässt, dann können fast alle Energieformen in beliebige andere Energieformenumgewandelt werden (also zum Beispiel elektrische Energie in kinetische Energie), aberdie thermische Energie kann nur unvollständig in jede andere Energieform umgewandeltwerden, es bleibt immer ein Rest an thermischer Energie zurück. Diese Sonderstellung derthermischen Energie wird dadurch berücksichtigt, dass sie durch ein besonderes Symbol(den Buchstaben Q) gekennzeichnet ist, während alle anderen Energieformen durch denBuchstaben W symbolisiert werden. Ideale Prozesse bezeichnet man in der Thermodyna-mik als reversible Prozesse, denn der Weg eines idealen Wandlungsprozesses kann auchin umgekehrter Richtung durchlaufen werden, also kinetische Energie kann in elektrischeEnergie umgewandelt werden. Das geschieht zum Beispiel in einem idealen Fahrraddyna-mo.

Wenn wir statt des idealen einen realen Wandlungsprozess betrachten, dann ist dieMenge der von uns gewünschten Energieform Wf nach der Wandlung geringer, als es ei-gentlich der ideale Prozess erlauben würde. Ein nicht unerheblicher Teil der Anfangsener-gie Wi wird nämlich nicht an uns, sondern in Form von thermischer Energie Q′ oder inirgendeiner anderen Energieform W ′ an unsere Umgebung abgegeben. Dieses Verhalteneines jeden realen Wandlungsprozesses ist in der Abb. 2.1 schematisch dargestellt. SolcheProzessewerden in derThermodynamik irreversibel genannt, denn ein Teil der Energie istin die Umgebung gelangt und kann nicht zurückgewandelt werden. Der Weg eines realenProzesses kann nur in einer Richtung durchlaufen werden.

Um dies zu verdeutlichen, betrachten wir die Wandlung der chemischen Energie in ki-netische Energie am Beispiel eines Autos. So lange das Auto von dem Motor beschleunigt

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2.2 Die Umwandlung der Energieformen 13

wird, wandelt dieser die chemische Energie des Kraftstoffs in kinetische Energie des Au-tos um. Ist die von uns gewünschte Endgeschwindigkeit erreicht, ist im Prinzip (also imIdealfall) keine weitere Energiewandlung nötig: Das Auto würde sich mit konstanter Ge-schwindigkeit weiter bewegen. In Wirklichkeit muss aber der Motor weiterhin chemischeEnergie in kinetische Energie umwandeln, um den Luftwiderstand zu überwinden. BeimFahren werden in der Luft Wirbel erzeugt, es entsteht kinetische Energie der Luft. Undgleichzeitig wird die thermische Energie des Motors durch die Motorkühlung an die Luftabgegeben. Die Luft übernimmt also die Funktion der Umgebung, an sie wird der nichterwünschte Teil der Energie W ′

+ Q′ abgegeben, der bei jedem realen Wandlungsprozessauftritt, aber bei einem idealen Prozess immer vernachlässigt wird.

Man kann daher die primäre EnergieWi in zweiAnteile zerlegen, nämlich in dieExergieE und die Anergie A, so dass gilt:

W = E + A. (2.4)

Von diesen beiden Anteilen lässt sich in einem idealen Prozess nur die Exergie E in diegewünschte Energieform Wf umwandeln, die Anergie kann nicht gewandelt werden, son-dern sie wird an die Umgebung abgegeben. DieThermodynamikmacht für das Verhaltenvon Exergie und Anergie in einem idealen und in realen Prozessen Aussagen, deren Kon-sequenzen wir uns auf keinerWeise entziehen können, denn sie basieren auf denGesetzender Natur:

1. Nur bei reversiblen Prozessen bleibt die Exergie erhalten.2. Bei allen irreversiblen Prozessen verwandelt sich Exergie in Anergie.3. Es gibt keinen Prozess, der Anergie in Exergie verwandelt.

Wie effizient ein Prozess die Energie Wi in die Energie Wf umwandelt, hängt also vonzwei Faktoren ab:

• Von dem Exergiegehalt εi = Ei/Wi der EnergieWi .• Von demWandlungsprozess, der im Idealfall reversibel sein muss, aber im Realfall im-

mer irreversibel ist.

Der Exergiegehalt einer Energieform ist eine für die Form charakteristische Eigenschaft.Die meisten Energieformen besitzen einen Exergiegehalt εi = . Zum Beispiel gilt für dieelektrische Energie εel = . Auf der anderen Seite kommt die Sonderstellung der ther-mischen Energie wiederum dadurch zum Ausdruck, dass εtherm < ist. Der Wert desExergiegehalts von Q hängt von dem Verhältnis der zu Q gehörenden Temperatur T zu

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14 2 Der Energiebegriff

Exe

rgie

geh

alt

30001000 5000

1,0

0,5

0

ther

m

Temperatur T ( C)o

Abb. 2.2 Die Temperaturabhängigkeit des Exergiegehalts von thermischer Energie. Die Temperaturist in der Einheit [T] =○C angegeben, so dass T = ○C. Zwischen der Temperaturmit dieser Einheitund der SI-Einheit [T] =K besteht der Zusammenhang T ○C = (T − ,)K

der Temperatur der Umgebung T ab.2 Und zwar gilt

εtherm = −T

T. (2.5)

Und daraus folgt im Fall der thermischen Energie Q:

Exergie E = ( −T

T) Q , AnergieA = (

T

T) Q . (2.6)

Das bedeutet insbesondere, dass thermische Energie mit der Temperatur T = T niemalsin eine andere Energieform Wf umgewandelt werden kann.

In der Abb. 2.2 ist die Temperaturabhängigkeit des Exergiegehalts εtherm dargestellt.Auch die Sonne versorgt uns durch ihre Strahlung mit thermischer Energie. Glücklicher-weise besitzt die Sonnenoberfläche eine Temperatur von T ≈ K, so dass εtherm ≈ ,und ein großer Teil der Sonnenenergie prinzipiell in andere Energieformen umgewandeltwerden kann.

Es ist sicher eine interessante Frage, warum alle Wandlungsprozesse der Energie diesenGesetzmäßigkeiten folgenmüssen. Der eigentliche Grundwurde bereits in Kap. 1 erwähnt,er ist eng verknüpft mit den Veränderungen, welche die Entropie S des Systems nehmenmuss. Bei jedem irreversiblen Prozess in einem abgeschlossenen System muss sich dieEntropie des Systems vergrößern. Nur in einem reversiblen Prozess bleibt der Entropie-wert unverändert. Und es gibt keinen Prozess in einem abgeschlossenen System, bei demsich die Entropie verringert. Eine Vergrößerung der Entropie um ΔS > verlangt, dassthermische Energie von der Größe Q zur Verfügung steht. Beide sind bei einer Momen-tantemperatur T des Systems verbunden durch das Gesetz:

ΔS =QT

(bei konstanter Temperatur). (2.7)

2 Man beachte, dass in allen thermodynamischen Gesetzen die Temperatur immer in der SI-Einheit[T] =K angegeben werden muss, siehe Tab. 2.1. Es gilt die Beziehung T (K) = T (○C) + .

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2.2 Die Umwandlung der Energieformen 15

Also muss bei einer irreversiblen Wandlung immer ein Teil der Energie Wi in thermischeEnergie verwandelt werden und dieser Teil fehlt daher in der gewandelten Energie Wf .Dieser fehlende Teil wurde bei der Wandlung zur Anergie und daher besteht ein engerZusammenhang zwischen der Anergie A und der Entropieänderung ΔS.

In dem vorigen Abschnitt wurde öfters gefordert, dass das System abgeschlossen ist,also keinen Kontakt zu und keinen Austauschmit seiner Umgebung besitzt. Ist dieser Aus-tausch vorhanden, kann die Entropie in einem System tatsächlich abnehmen (ΔS < ), weildurch den Austausch die Entropie der Umgebung zunimmt (ΔS′ > ). Dabei muss aber ge-währleistet sein, dass die Gesamtentropie ΔStot niemals abnimmt, sondern dass immer gilt

ΔStot = ΔS + ΔS′ ≥ . (2.8)

Das Gleichheitszeichen ist nur gültig, wenn der Prozess in dem System und der Austauschmit der Umgebung reversibel erfolgen. Anderenfalls muss die Gesamtentropie zunehmen.

Eine uns Allen bekannte Anwendung dieser Sachverhalte findet sich in der idealenWär-mekraftmaschine, die man als Prototyp des Automotors betrachten kann. Die Wärme-kraftmaschine ist ideal, wenn das System eine Folge von reversiblenKreisprozessen durch-läuft. Gemittelt über einen Kreisprozess verändert sich die Entropie des System wegen derReversibilität nicht. Die Entropie der Umgebung nimmt aber während eines Kreisprozes-ses zu (der Austausch ist irreversibel), so dass die chemische Energie des KraftstoffsWchem

niemals vollständig in die kinetische Energie des Autos Wkin umgewandelt werden kann.In der Tat, der größte Teil der EnergieWchem wird benötigt, umdie Entropie derUmgebungzu vergrößern und geht daher der EnergieWkin verloren.

2.2.1 P-Ebene: Die Exergie als wandelbarer Teil der Energie.

Wie bereits erwähnt, besitzen sehr viele Energieformen einen Exergiegehalt εi = . Betrach-ten wir einige Energieformen.

Die kinetische Exergie EkinDie kinetische Energie bezeichnet die Energie der Bewegung, sie hängt also von der Ge-schwindigkeit v eines Körpers und seiner Massem ab. Die Exergie eines Körpers in Bewe-gung ergibt sich zu

Ekin =Wkin =m v . (2.9)

Diese Beziehung gilt ganz allgemein, sie muss aber unter Umständen modifiziert werden,wenn verschiedene Teile des Körpers verschiedeneGeschwindigkeiten besitzen. Dieser Falltritt zum Beispiel ein, wenn sich ein Körper um eine Achse dreht.

Die potenzielle Exergie EpotDie potenzielle Energie bezeichnet die Energie der Lage. Sie ist auf der Erde von großerBedeutung, weil zwischen einem Körper mit Masse m und der Erde mit Masse m⊕ eine

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16 2 Der Energiebegriff

anziehendeGravitationskraft FG besteht. Auf der Erdoberfläche kannmandie Stärke dieserKraft durch die Erdbeschleunigung g = , ≈ m ⋅ s− beschreiben, und ein Körperbesitzt dann die Exergie

Epot =Wpot = (m −m) g h, (2.10)

wenn er sich in einer Höhe h über dem Erdboden befindet und die durch den Körperverdrängte Luft die Massem besitzt. Bei festen Körpern und Flüssigkeiten kann man dieKorrektur durch m fast immer vernachlässigen, da m etwa 1000fach größer ist als m.

Die elektrische Exergie EelDamit ein Körper eine elektrische Energie besitzt, muss er eine elektrische Ladung q tra-gen und er muss sich in einem elektrischen Feld befinden, dessen Stärke sich durch dasPotenzial ϕ beschreiben lässt. Verändert der Körper in dem Feld seine Lage, so verändertsich seine Exergie um

Eel =Wel = qΔϕ, (2.11)

wobei Δϕ die Potenzialdifferenz ist, welche die Lageveränderung beschreibt, also der Grö-ße g h im Fall der potenziellen Energie entspricht. Die Potenzialdifferenz Δϕ nennen wirgewöhnlich die elektrische Spannung , wir werden aber die elektrische Spannung auchweiterhin mit diesem Symbol kennzeichnen.

Die thermische Exergie EthermDie thermische Energie eines Körpers hängt von seiner Temperatur T ab und von der An-zahl der Atome bzw. Moleküle, die sich in diesem Körper befinden. Diese Anzahl wirddurch diemolareMenge n spezifiziert, welche die Einheit [n] =mol besitzt, siehe Tab. 2.4.In n = mol eines Körpers befinden sich genau nA = , ⋅ ≈ ⋅ Atome bzw.Moleküle. In einem beliebigen Körper befinden sich daher n = n nA Atome bzw. Moleküle,und die thermische Energie dieses Körpers beträgt

Q = n C T . (2.12)

C bezeichnet man als diemolareWärmekapazität, für sehr viele Festkörper besitzt sie beiZimmertemperatur einen Wert von C ≈ J ⋅ K− ⋅ mol− . Es ist schon mehrfach daraufhingewiesen worden, dass die Exergie der thermischen Energie geringer ist als diese selbst,und zwar ergibt sich nach (2.6)

Etherm = n C (T − T), (2.13)

wobei T die Temperatur der Umgebung ist. In einem System, das nicht abgeschlossen undsich selbst überlassen ist, kann ein Körper keine Temperatur besitzen, die kleiner ist als dieUmgebungstemperatur.

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2.2 Die Umwandlung der Energieformen 17

Die chemische Exergie EchemDie chemische Energie hat ihre Ursache in der Bindungsenergie vonMolekülen, die ausAtomen aufgebaut sind. Im Prinzip ist dies eine spezielle Form der elektrischen Energie,denn ohnedie Existenz von geladenen Elektronen und geladenenAtomkernenwürde dieseEnergie nicht existieren. Aber auch der Atomkern ist ein aus den Nukleonen aufgebautesSystem, die dabei auftretenden Bindungsenergien sind die Ursache für die Kernenergie.Allerdings sind die nuklearen Bindungsenergie um drei Größenordnungen höher als diemolekularen Bindungsenergie, und das vereinfacht die Behandlung der Kernenergie3. DieBehandlung der chemischen Energie ist weitaus komplizierter, denn sie tritt erst dann inErscheinung, wenn sich in chemischen Reaktionen Atome zu Molekülen oder Molekülezu Molekülen verbinden. Dabei spielen eine Vielzahl von Prozessen eine Rolle, insbeson-dere Phasenübergänge zwischen den verschiedenen Aggregatzuständen der Reaktanden,ihre Mischung und ihre Diffusion in die Umgebung. Die Analyse dieser Prozesse geschiehtmithilfe des 1. Hauptsatzes derThermodynamik, angewendet auf die Gegebenheiten derAbb. 2.1:

− ΔU =Wf +W ′+ Q′ . (2.14)

Alle Größen auf der rechten Seite von (2.14) bezeichnen die Energien, die bei der Ener-giewandlung entweder als erwünschte Energie (Wf ) oder als nicht erwünschte Energien(W ′+Q′) abgegeben werden, wobei die innere EnergieU desWandlungssystem abnimmt.

Daher ist ΔU < , aber da alle Energien auf der rechten Seite von (2.14) positiv sind, mussauf der linken Seite von (2.14) ein negatives Vorzeichen stehen. Damit ergibt sich die nutz-bare EnergieWf (die wir bisher als erwünschte Energie bezeichnet hatten) zu

Wf = −ΔU −W ′− Q′ . (2.15)

Wir nehmen an, dass der Wandlungsprozess vollständig ist, das heißt, nach der Wandlungbefindet sich daswandelnde System im thermodynamischenGleichgewichtmit seinerUm-gebung, die durch einen Index 0 gekennzeichnet ist. Daher ist die Änderung der innerenEnergie

ΔU = U −U < da U > U .

Die an die Umgebung abgegebene Energie W ′ entsteht dadurch, dass sich bei der che-mischen Reaktion das Volumen der Reaktanden verändern kann, weil sich entweder ihreAnzahl verändert oder sie in einen anderenAggregatzustandwechseln. Dannmuss Arbeitgegen den Umgebungsdruck P verrichtet werden:

W ′= P (V − V) wobei V ≥ V oder V ≤ V .

Die an die Umgebung abgegebeneWärmeQ′ ist mit der Entropieänderung der UmgebungΔS′ verknüpft, die ihrerseits mit der Änderung der Gesamtentropie ΔStot nach (2.8) ver-

3 Das Thema Kernenergie ist mit Vorurteilen besonders belastet, eine ausführliche Darstellung derphysikalischen Grundlagen wird daher auf den Abschn. 5.2 verschoben.

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18 2 Der Energiebegriff

Tab. 2.4 Die Exergie der Methanverbrennung unter verschiedenen Bedingungen und in verschie-denen Umgebungen. Die Einheit aller Zahlen ist kJ ⋅mol−

Verbrennung in Sauerstoff Verbrennung in LuftTerm HO (g) HO (f) HO (g) HO (f)U −U 803 886 803 886P (V − V) 0 5 0 5−T (S − S) 41 −52 34 −60Heizwert 803 891 803 891Exergie 844 839 837 831

bunden ist:

Q′ = T ΔS′ = T (ΔStot − ΔS) wobei ΔStot ≥ = T ΔStot − T (S − S).

Setzt man diese drei Beiträge in (2.15) ein, so ergibt sich

Wf + T ΔStot = (U −U) + P (V −V) − T (S − S). (2.16)

Diese Gleichung lässt eine nahe liegende Interpretation zu: Auf der rechten Seite steht diegesamte Exergie E, die in einemProzess umgewandelt wird in die nutzbare EnergieWf undin die Wärme, die zur Erhöhung der System- und Umgebungsentropie benötigt wird. DerProzess ist reversibel, wenn T ΔStot = gilt, und er ist irreversibel, wenn T ΔStot > . DieExergie einer chemischen Reaktion beträgt daher

Echem = (U −U) + P (V −V) − T (S − S) (2.17)

und wir wollen uns die Bedeutung jedes einzelnen der 3 Terme überlegen:

1. Term: U −U

Dieser Term charakterisiert die Änderung der inneren Energie der Reaktanden.Er liefert zur Exergie den weitaus größten Beitrag, der durch die molekularenBindungsenergien bestimmt wird. Gleichzeitig sind in diesemTerm auch die Bei-träge enthalten, die für einen Phasenübergang (zum Beispiel flüssig (f)⇌ gasför-mig (g)) benötigt werden, siehe Tab. 2.4. Damit eine Reaktion selbständig abläuft,muss U > U sein, das heißt, dieser Term ist immer positiv.

2. Term: P (V − V)

Dieser Term berücksichtigt, dass sich bei chemischen Reaktionen das Reaktions-volumen der Reaktanden verändern kann. EineVolumenänderung tritt ein, wenndie Anzahl der Reaktanden vor und nach der Reaktion unterschiedlich sind. EinBeispiel ist die Reaktion

H +O ⇌ HO. (2.18)

Page 29: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.2 Die Umwandlung der Energieformen 19

Tab. 2.5 Die Heizwerte der Verbrennung in Luft von verschiedenen Verbindungen zwischen Was-serstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff. Nach der Verbrennung liegt das Wasser im gasförmigen Aggre-gatzustand vor

Reaktand C CO H CH CH CH CH CH

Heizwert (fest) (flüssig)H (kJ ⋅mol−) 394 283 242 803 1323 1428 2045 5080Hm (MJ ⋅ kg−) 33 10 121 50 47 48 46 45HV (MJ ⋅m−) ⋅ 13 11 36 59 64 91 ⋅

Eine Volumenänderung tritt auch ein, wenn einer der Reaktanden einen Phasen-übergang durchführt, zum Beispiel

HO(f) ⇌ HO(g).

Vergrößert sich das Volumen durch die Reaktion (V > V), so ist dieser Termnegativ. Verkleinert sich das Volumen durch die Reaktion (V < V ), so ist dieserTerm positiv, siehe Tab. 2.4.

3. Term: −T (S − S)Dieser Term wird verursacht durch die Entropieänderung des Systems währendder Reaktion. Er besitzt mehrere Anteile, sie stammen von– der atomaren Zusammensetzung der Reaktanden,– der Mischung der Reaktanden bei der Reaktion,– der Diffusion der Reaktanden in die Umgebung.Die Größe dieses Terms wird bestimmt durch die Eigenschaften der chemischenReaktion und ihrer Umgebung, und daher lässt sich die Größe nicht allgemeinangeben. Verglichen mit dem 1. Term ist dieser von geringerer Bedeutung, wirwerden seinen Beitrag im Folgenden immer vernachlässigen. Dies ist auch da-durch gerechtfertigt, da er noch einmal auf der linken Seite von (2.16) auftrittund daher die Menge der gewandelten Energie nicht beeinflusst.

In der Tab. 2.4 sind die Größen dieser drei Terme für dieMethanverbrennung

CH + O → CO + HO (2.19)

zusammen gestellt. Die Summe aus den beiden ersten Termen wird als Heizwert bezeich-net. Das bedeutet, im Folgenden werden wir die Heizwerte von chemischen Reaktionenbenutzen, um den Exergiegehalt dieser Reaktion anzugeben. Besonders wichtig sind dieHeizwerte von Reaktionen zwischen Wasserstoff (H), Sauerstoff (O) und Kohlenstoff (C).In der Tab. 2.5 werden die Heizwerte von einigen dieser Reaktionen gezeigt. Diese Tabelleenthält drei Einträge für jede Reaktion. Der erste Eintrag gibt den Heizwert pro n = mol

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20 2 Der Energiebegriff

an, also die Energien, die sich durch die Reaktionen von nA Atomen bzw. Molekülen mitSauerstoff maximal wandeln lassen. In technischen Prozessen ist es aber gebräuchlicher,diesen Heizwert nicht auf die Menge der Reaktanden, sondern auf ihre Masse oder ihr Vo-lumen zu beziehen. Dazu benötigen wir die entsprechenden Umrechnungsverfahren. Esgilt:

• Für die Masse einer Menge n von Atomen m(Atom) = n A ⋅ − kg.Dabei istAdieMassenzahl einesAtoms, dieman demperiodischen Systemder Elemen-te entnehmen kann. Für ein Molekül, das aus ni Atomen der Sorte i mit Massenzahl Ai

aufgebaut ist, gilt entsprechend für die Masse einer Menge n dieser Moleküle

m(Molekül) = ∑ini m(Atom)i = n∑

ini Ai ⋅ − kg. (2.20)

Zum Beispiel findet man für n = mol CH mit AH = und AC = einemolareMasse

m(CH) = ⋅ − kg.

• Für das Volumen V = m/ρm.Dabei ist ρm = n/V dieMassendichte des Reaktanden, die man physikalischen Tabel-len entnehmen kann. Man beachte, dass die Massendichte vom Aggregatzustand desReaktanden abhängt. Zum Beispiel besteht zwischen den Massendichten im flüssigenund gasförmigen Aggregatzustand ein Unterschied von ca. 3 Größenordnungen

ρm(f) ≈ ρm(g).

Das bedeutet, dass der Heizwert pro Volumen, der den Namen Heizwertdichte erhält,bei festen und flüssigen Brennstoffen viel größer ist als bei gasförmigen. Dagegen ist derHeizwert pro Masse, der den Namen spezifischer Heizwert erhält, unabhängig vom Ag-gregatzustand des Brennstoffs. In der Tab. 2.5 ist dieser Sachverhalt erkennbar, wo alleReaktanden bis auf Kohlenstoff (C) und Oktan (CH) im gasförmigen Aggregatzustandvorliegen. Zum Beispiel erhöht sich die Heizwertdichte HV desWasserstoffs von MJ ⋅m−

auf , ⋅ MJ ⋅m−, wenn man denWasserstoff bei T = K verflüssigt.

Zwischen dem spezifischen Heizwert Hm und der Heizwertdichte HV besteht dieBeziehung HV = ρm Hm.

Page 31: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.3 Die Wirkungsgrade der Energiewandlung 21

2.3 DieWirkungsgrade der Energiewandlung

Man kann (2.16) verallgemeinern und für jede beliebige Energiewandlung das Gesetz auf-stellen, dem der Wandlungsprozess folgen muss:

Wf + T ΔStot = Ei . (2.21)

In Worten ausgedrückt:

Die Anfangsexergie Ei lässt sich nur dann vollständig in die Endenergie Wf um-wandeln, wenn sich die Gesamtentropie ΔStot bei dem Wandlungsprozess nichtverändert. Anderenfalls ist die Endenergie Wf immer kleiner als die Anfangsexer-gie Ei, da ΔStot > .

Dieses Gesetz verknüpft die Anfangsexergie mit der Endenergie, es lässt sich aber mit-hilfe von (2.4) auch allein als Funktion der Energie bzw. der Exergie schreiben:

Wf + Ai + T ΔStot =Wi , Ef + Af + T ΔStot = Ei , (2.22)

wobei als Zusatzterme die Anergien Ai bzw. Af auftreten.Der Zusammenhang zwischen Wf und Wi bzw. Ef und Ei wird gewöhnlich durch den

Wirkungsgrad ausgedrückt, der für die Energie bzw. Exergie folgendermaßen definiert ist:

ηW =Wf

Wi, ηE =

Ef

Ei. (2.23)

Der Exergiewirkungsgrad ηE ist eigentlich nur dann von Interesse, wenn Alternativen fürdie Wandlung von Wi nach Wf existieren, insbesondere Wi = Qi , und diese Alternativenbewertet werden sollen. Machen wir uns das an einem Beispiel klar:

Man kann thermische Energie Wf = Qf mit der Temperatur Tf > T sowohl aus derelektrischen Energie Wi = Wel wie auch aus der thermischen Energie Wi = Qi mit derTemperatur Ti > Tf wandeln.Welche dieser beiden Alternativen besitzt die bessere Bewer-tung?

1. Die Wandlung aus der elektrischen Energie.Wir betrachten ein abgeschlossenes System. Dann gilt:

Wi =Wel , Ei =Wel ; Wf = Qf , Ef = Qf ( −T

Tf) .

Daraus ergibt sich ΔStot = und nach (2.21) gilt dann

Qf =Wel .

Page 32: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

22 2 Der Energiebegriff

Die Wirkungsgrade für diesen Prozess betragen daher

ηW , =Qf

Wel= , ηE , =

Qf ( − T/Tf)

Wel= ( −

T

Tf) . (2.24)

2. Die Wandlung aus der thermischen Energie.Wir betrachten wiederum ein abgeschlossenes System. Dann gilt für diese Alternative:

Wi = Qi , Ei = Qi ( −T

Ti) ; Wf = Qf , Ef = Qf ( −

T

Tf) .

Da das Systemabgeschlossen ist, tritt keinAustauschmit derUmgebung auf. Also ergibtsich ΔS′ = , aber nach den Gleichungen (2.6), (2.7) und (2.16) gilt

T ΔStot = −T ΔS = −TQi

Ti= −Ai .

Und daraus folgtQf = Qi .

Die Wirkungsgrade für diesen Prozess betragen daher

ηW , =Qf

Qi= , ηE , =

Qf ( − T/Tf)

Qi ( − T/Ti)=

− T/Tf

− T/Ti. (2.25)

Vom Energiestandpunkt aus betrachtet sind beide Prozesse vollständig gleichwertig(ηW , = ηW ,), aber vom Exergiestandpunkt aus betrachtet muss der zweite Prozess besserbewertet werden, denn ηE , < ηE , . Und zwar wird die Bewertung um so besser, je kleinerdie Temperaturdifferenz Ti − Tf > ist (Niedertemperaturheizung). Dieses Kriteriumspielt zum Beispiel auch dann eine Rolle, wenn es um die Frage geht, ob es günstiger ist,eine bestimmte Menge heißen Wassers mit der gewünschten Temperatur Tf gleich direktbei dieser Temperatur zu erzeugen, oder zunächst eine kleinere Menge bei der höherenTemperatur Ti > Tf und dann durch Mischung mit kaltem Wasser T < Tf zur Endtem-peratur zu gelangen. Energiemäßig betrachtet besteht zwischen beiden Alternativen keinUnterschied, aber da bei der ersten Alternative keine Exergie in Anergie gewandelt wird,muss dieser Prozess als die bessere Alternative bewertet werden.

Wir erkennen aus diesen Beispielen, dass allgemein der Exergiewirkungsgrad ηE bei derUmwandlung in thermische Energie kleiner als eins ist. Nur im Grenzfall ist

ηE ,max = . (2.26)

Daher wird bei der Umwandlung aus/in thermische Energie immer auch Exergie in Aner-gie verwandelt. Alle diese Prozesse sind irreversibel mit

ηE < , (2.27)

Page 33: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.3 Die Wirkungsgrade der Energiewandlung 23

da die Anergie niemals in Exergie zurückgewandelt werden kann. Berücksichtigen wirdiese Sonderstellung der thermischen Energie, so lassen sich aus (2.22) für alleWandlungs-prozessedie folgendenGesetzmäßigkeiten derWirkungsgrade feststellen, die einen oberenGrenzwert angeben, nach dem die technische Verwirklichung des Prozesses streben muss:

• Wandlung ohne Einsatz von thermischer Energie:

ηW ≈ ηE ≈ . (2.28)

• Wandlung aus thermischer Energie:

ηW < ηE < . (2.29)

• Wandlung in thermische Energie:

ηW > ηE < . (2.30)

Im letzten Fall kann daher auch ηW = sein (wie wir gerade in unseren Beispielen gese-hen haben), oder es kann sogar ηW > sein (wie es zum Beispiel bei einerWärmepumpeder Fall ist, siehe Abschn. 10.1.1). Eine Situation, wie die im obigen Beispiel geschildert,bei der verschiedene Wandlungstechnologien von der Energie Wi zur Energie Wf einengleich großenWirkungsgrad ηW besitzen, sind äußerst selten. Im Normalfall besitzen ver-schiedeneWandlungstechnologien auch verschieden große Energiewirkungsgrade und fürihre Bewertung ist ηW ausreichend. Wir werden daher im Folgenden nur noch vom Wir-kungsgrad η sprechen, und es muss eine Wandlungstechnologie existieren, bei der dieserWirkungsgrad einen maximalen Wert ηmax erreicht.

Von äußerst wichtiger und enorm technischer Bedeutung ist die Wandlung von ther-mischer Energie in eine andere Energieform, meist in kinetische Energie. In einem idealenProzess, den man den Carnot’schen Kreisprozess nennt und den wir auf der P-Ebene nä-her studieren werden, lässt sich erreichen:

ηmax = −T

T< . (2.31)

Selbst dieser ideale Prozess besitzt immer einen Energiewirkungsgrad kleiner als eins. Wieklein ηmax wirklich ist, hängt von der Temperatur T der zu wandelnden Wärme ab. Fürgängige Prozesse (dieTemperaturwird durchWärmefestigkeit der verwendetenWerkstoffebeschränkt) ist T < K und die Umgebungstemperatur ist T ≈ K. Daher finden wir

ηmax < −≈ ,.

DieserWirkungsgrad ist der maximaleWirkungsgrad, den andere Prozesse und besonderstechnisch realisierbare Prozesse nie erreichen. Eine plausible Abschätzung besagt

η ≈ , ηmax (2.32)

Page 34: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

24 2 Der Energiebegriff

für Wärmekraftmaschinen, zu denen der Otto-Motor und die Dampfmaschine gehören,die wir auf der P-Ebene besprechen. In solchen technischen Prozessenwird die thermischeEnergie nicht als Anfangsenergie Wi zur Verfügung gestellt, sondern der Wandlungspro-zess besteht aus einer Folge von Prozessschritten, also einer Prozesskette mit n Schritten.Zum Beispiel treten bei einem Elektrizitätswerk auf der Basis fossiler Brennstoffe folgendeProzessschritte auf:

Chemische Energie→ thermische Energie→ kinetische Energie→ elektrische Energie.Jeder dieser Schritte besitzt einen Wirkungsgrad ηi und derWirkungsgrad der gesam-

ten Prozesskette ergibt sich aus dem Produkt aller Wirkungsgrade

η =n∏

i=ηi . (2.33)

Diese Gesetzmäßigkeit impliziert die Aussage:

Der Gesamtwirkungsgrad einer Prozesskette ist immer kleiner als der kleinste Wir-kungsgrad, der für einen bestimmten Schritt innerhalb der Kette auftritt.

Nehmen wir zum Beispiel an, dass eine Prozesskette aus n = Schritten besteht, vondenen jeder einen Wirkungsgrad ηi = . besitzt. Dann beträgt der Gesamtwirkungsgrad

η =∏

i=, = (,) = ,.

Es ist daher insbesondere bei längeren Prozessketten enorm wichtig, dass der Wirkungs-grad jedes einzelnen Prozessschritts durch technischeVerbesserungen optimiert wird. Diesist seit der Einführung eines bestimmtenWandlungsprozesses auch immer geschehen, abernatürlich sind dieMöglichkeiten derOptimierung beendet an der oberenGrenze, die durchηmax gegeben ist und die von keinem Prozess überschritten werden kann. In der Abb. 2.3sind die Verbesserungen des Energiewirkungsgrads während der letzten Jahrhunderte amBeispiel der Beleuchtung und der Dampfmaschine dargestellt. Man beachte den logarith-mischenMaßstab dieser Darstellung. Dadurch wird die Beschränkung desWirkungsgradsfür eineDampfmaschine nicht so deutlich, wie sie wirklich ist. Bei der Beleuchtung handeltes sich imPrinzip umdie Bereitstellung thermischer Strahlungsenergie. Durchwelche phy-sikalischen Gesetze hier die Beschränkung erzwungen wird, werden wir auf der P-Ebenediskutieren.

Die Tatsache, dass jeder Prozess der EnergiewandlungWi →Wf durch einenmaximalenWirkungsgrad ηmax gekennzeichnet ist, hat für unsere Versorgung mit Energie weitrei-chende Konsequenzen. Insbesondere natürlich die, dass Probleme der Energieversorgung

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2.3 Die Wirkungsgrade der Energiewandlung 25

Abb. 2.3 Die Verbesse-rung der Wirkunggrade derBeleuchtung und der Dampf-maschine durch technischeEntwicklungen während derletzten Jahrhunderte

W

En

erg

iew

irku

ng

sgra

d

Dampfmaschine

Grenzen desWirkungsgrads

0,01

0,0011700 1800 1900 2000

0,1

1

Jahr

Beleuchtung

Paraffinkerze

Wolframfaden

Leuchtstoffröhre

Watt

Savery

dampfturbineHochdruck

nicht einfach „durch größere Effizienz im Energieverbrauch“ zu lösen sind. Dies ist nichtsals eine hohle Phrase, welche eine einfache und naheliegende Lösung vortäuscht, ohnediese konkretisieren zu können. Obman diesem Vorschlag überhaupt einen gewissen Rea-litätssinn zusprechen kann, das heißt, ob innerhalb der physikalischen Gesetze noch eineEffizienzsteigerung möglich ist, mit dieser Frage beschäftigt sich unter Anderem das vor-liegende Buch.

Jede Energiewandlung besitzt einen maximalen Wirkungsgrad ηmax < . Der in ei-nem technischen Verfahren erreichbare Wirkungsgrad ist immer kleiner und etwavon der Größenordnung η ≈ , ηmax.

2.3.1 P-Ebene: Der maximaleWirkungsgrad

Die Frage, wie groß dermaximaleWirkungsgradwirklich ist, muss durch eine genaueAna-lyse der physikalischen Gesetzmäßigkeiten eines Energiewandlungsprozesses beantwortetwerden. Dies ist von besonderer Bedeutung für die Wandlung von thermischer in kineti-sche Energie, da dieser Wandlungsprozess häufig in den Prozessketten auftritt, mit denenunsere Energieversorgung heute noch sicher gestellt wird. Grundlage für diese spezielleEnergiewandlung bildet der thermodynamische Kreisprozess, der sich auf verschiedeneWeisen realisieren lässt. Einige dieser Realisierungen wollen wir untersuchen.

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26 2 Der Energiebegriff

Der Carnot’sche KreisprozessDer Carnot’sche Kreisprozess ist der Prototyp eines thermodynamischen Kreisprozes-ses, er besitzt einen Wirkungsgrad ηmax = ηCarnot, den kein anderer thermodynamischerKreisprozess übertrifft.

In derTheorie sind alle thermodynamischen Kreisprozesse reversibel (ΔS = ) und zu-sammengesetzt aus einer Anzahl von Zustandsänderungen, die, nachdem sie durchlaufenwurden, wieder in den Anfangszustand zurückführen. Daher der Name „Kreisprozess“.Zur Realisierung wird ein Gasvolumen betrachtet, das periodisch vergrößert und wiederverkleinert wird. Die Volumenänderungen sind an die Bewegung eines verschiebbarenKolbens gekoppelt, die Kolbenbewegung entspricht der gewandelten kinetischen Energie.

Im Carnot’schen Kreisprozess geschieht die Volumenvergrößerung durch die Zufuhrvon thermischer Energie bei hoher Temperatur Ti = T und die Volumenverkleinerungdurch die Abfuhr von thermischer Energie bei der Umgebungstemperatur Tf = T. DieWärmezufuhr und Abfuhr sind im Prinzip irreversible Prozesse. Damit trotzdem ΔStot =ΔS′ in (2.8) verschwindet, wird angenommen, dass die Wärmereservoire mit TemperaturT und T unendlich groß sind, so dass sie während des Durchlaufens eines Kreisprozessesweder ihre Temperatur noch ihre Entropie verändern.

Die Anzahl der Zustandsänderungen in einem Carnot’schen Kreisprozess beträgt 4, siesind in Abb. 2.4 dargestellt. Dieses Darstellung erfolgt in der S-T-Ebene, die Zustandsän-derungen haben folgende Bedeutung:

Die Änderung 1→ 2 geschieht bei konstanter Temperatur Ti. Dabei wird die Wärme Qi

aufgenommen und die Entropie des Systems vergrößert sich um Smax−Smin = ΔSi = Qi/Ti.Man nennt dies eine isotherme Zustandsänderung.

Die Änderung 2→ 3 geschieht bei konstanter Systementropie ohne Zufuhr vonWärme.Dabei verringert sich die Temperatur von Ti nach Tf . Man nennt dies eine adiabatischeZustandsänderung.

Die Änderung 3→ 4 geschieht wiederum bei konstanter Temperatur Tf . Dabei wird dieWärmeQf abgegeben und die Entropie des Systems verringert sich um Smin−Smax = ΔSf =Qf/Tf = −ΔSi . Dies ist wiederum eine isotherme Zustandsänderung.

Die Änderung 4 → 1 geschieht wiederum bei konstanter Systementropie ohne AbfuhrvonWärme. Dabei vergrößert sich die Temperatur von Tf nach Ti. Dies ist wiederum eineadiabatische Zustandsänderung.

DerWirkungsgrad des Carnot’schenKreisprozesses ergibt sich aus (2.22), aus der wegenWi = Qi folgt

Wf = Qi − Ai = Qi ( −Tf

Ti)

und daher für den Wirkungsgrad

ηCarnot =Wf

Qi= −

Tf

Ti. (2.34)

Es ist natürlich nicht überraschend, dass dieses Ergebnis identisch zu (2.31) ist. Beide basie-ren auf den identischen physikalischen Gesetzen. Betrachten wir in Abb. 2.4a die Darstel-

Page 37: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.3 Die Wirkungsgrade der Energiewandlung 27

Smin Smax Smin Smax

S

T

Ti

TfS

T

Ti

Tf

2

3

1

4

a b

Abb. 2.4 Die Darstellung des Carnot’schen Kreisprozesses (a) und eines beliebigen Kreisprozesses(b) in der Entropie (S)-Temperatur (T)-Ebene.Die nach links oben schraffierten Flächen entsprechenden zugeführtenWärmen, die nach rechts oben schraffierten Flächen den abgeführten Wärmen

lung des Carnot’schen Kreisprozesses in der S-T-Ebene, in der die 4 Zustandsänderungenals Geraden parallel zu der S- bzw. T-Achse repräsentiert werden. Die zugeführte WärmeQi = Ti ΔSi entspricht genau der nach links oben schraffierten Fläche, die abgeführte Wär-meQf = Tf ΔSf genau der nach rechts oben schraffierten Fläche. Die Differenz der Flächenergibt die während eines Carnot’schen Kreisprozesses gewandelte Energie

Wf = Qi − Qf = (Ti − Tf)ΔSi = (Ti − Tf)Qi

Ti. (2.35)

Obwohl daher die Analyse des Carnot’schen Kreisprozesses bezüglich des Wirkungsgradsnichts Überraschendes erbracht hat, besitzen wir jetzt ein tieferes Verständnis für die Naturthermodynamischer Kreisprozesse und wie sie mithilfe von reversiblen Zustandsänderun-gen beschrieben werden können. Daraus erkennen wir auch, dass der Wirkungsgrad desCarnot’schen Kreisprozesses der maximal erreichbare Wirkungsgrad eines thermodyna-mischen Kreisprozesses überhaupt ist, der zwischen den Temperaturen Ti und Tf und denEntropien Smax und Smin abläuft. Betrachten wir in Abb. 2.4b einen beliebigen Kreisprozessin der S-T-Ebene. Für die nach links oben schraffierte Fläche gilt Qi < Qi(Carnot). Für dienach rechts oben schraffierte Fläche gilt Qf > Qf(Carnot) und daher für die VerhältnisseQf/Qi ≫ Qf(Carnot)/Qi(Carnot). Mithilfe von (2.35) lässt sich für den Wirkungsgradeines beliebigen thermodynamischen Kreisprozesses schreiben

η = −Qf

Qi< −

Qf(Carnot)Qi(Carnot)

= ηCarnot . (2.36)

Es gibt keinen thermodynamischen Kreisprozess, der einen größeren Wirkungsgradbesitzt als der Carnot’sche Kreisprozess.

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28 2 Der Energiebegriff

Dass der Carnot’sche Kreisprozess einen maximalen Wirkungsgrad besitzt, liegt offen-sichtlich daran, dassWf(Carnot) der maximalen Fläche entspricht, die sich zwischen denTemperaturen Tf , Ti und den Entropien Smin, Smax bilden lässt. Der große Nachteil desCarnot’schen Kreisprozesses ist, dass er sich technisch nicht realisieren lässt.

Der Otto-MotorAuch derOtto-Motor stellt einenKreisprozess dar.Wirwissen, dass er aus einer Folge von 4Takten aufgebaut ist (daher auch der Name „4-Takt-Motor“), von denen allerdings 2 Tak-te – das Ansaugen des frischen Gemischs und der Ausstoß des verbrannten Gemischs –nichts mit der Umwandlung von thermischer in kinetische Energie zu tun haben. Dierestlichen 2 Takte ergeben den Umwandlungsprozess, sie lassen sich, wie auch beim Car-not’schenKreisprozess, in 4Zustandsänderungen zerlegen und sind inAbb. 2.5a dargestellt.Diese Darstellung benutzt wiederum die S-T-Ebene, aber zwei der Zustandsänderungenunterscheiden sich wesentlich von denen, die im Carnot’schen Kreisprozess ablaufen. DerOtto-Zyklus läuft folgendermaßen ab:

Die Änderung 1 → 2 geschieht bei konstantem Volumen Vi . Das verdichtete Gemischwird gezündet und dabei vergrößert sich die Temperatur von T auf T = Ti . Man nenntdies eine isochore Zustandsänderung.

Die Änderung 2 → 3 geschieht, wie beim Carnot’schen Kreisprozess, bei konstanterSystementropie, ist also eine adiabatische Zustandsänderung. Dabei vergrößert sich dasVolumen von Vi auf Vf und die Temperatur verringert sich von T auf T.

Die Änderung 3→ 4 geschieht wiederum bei konstantem Volumen Vf . Das verbrannteGemisch wird von der Temperatur T auf die Temperatur T = Tf abgekühlt und an-schließend ausgestoßen (nicht in der Abb. 2.5 gezeigt, ebenso wie das Ansaugen des neuenGemischs).

Die Änderung 4 → 1 geschieht wiederum bei konstanter Systementropie (adiabatischeZustandsänderung). Dabei wird das neue Gemisch vom Volumen Vf auf das Volumen Vi

komprimiert und die Temperatur vergrößert sich von T auf T.Dadurch, dass beim Otto-Motor die isothermenZustandsänderungen des Carnot’schen

Kreisprozesses durch isochore Zustandsänderungen ersetzt werden, verringert sich auchder Wirkungsgrad des Otto-Motors. Man findet

η = −T

Ti= −

Tf

T< −

Tf

Ti= ηCarnot , (2.37)

da T/Ti = Tf/T > Tf/Ti gilt. Es ist allerdings üblicher, den Wirkungsgrad nicht mithilfeder Temperaturverhältnisse, sondern mithilfe des Kompressionsverhältnisses Vf/Vi aus-zudrücken. Dann ergibt sich

η = − (Vf

Vi)

−κ, (2.38)

wobei κ der Adiabatenkoeffizient ist, der für das Gemisch einen Wert von κ ≈ , besitzt.

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2.3 Die Wirkungsgrade der Energiewandlung 29

Smin Smax Smin Smax

S

T

Ti

TfS

T

Tf

2

4

13

Tk

Ti

1

2

3'

4 4'

3

a b

Abb. 2.5 Die Darstellung des Otto-Zyklus (a) und des Dampfmaschinenzyklus (b) in der S-T-Ebe-ne. Die nach links oben schraffierten Flächen entsprechen den zugeführten Wärmen, die nach rechtsoben schraffierten Flächen den abgeführtenWärmen. Die stark umrandeten Flächen entsprechen dergewandelten Energie, die stark gestrichelten Linien zeigen einen alternativen Weg zur Vergrößerungdes Wirkungsgrads einer Dampfmaschine

Nehmen wir an, dass der Otto-Motor ein Kompressionsverhältnis Vf/Vi = besitzt,dann beträgt der Wirkungsgrad dieses Otto-Motors

η = − −, = ,.

Der realistisch zu erzielende Wirkungsgrad kann mit

η ≈ ,

angenommen werden. Wir wollen nur anmerken, dass der Carnot’sche Kreisprozess untergleichen Bedingungen einen Wirkungsgrad

ηCarnot = −Tf

Ti= ,

besitzt, wobei allerdings eine sehr hohe Verbrennungstemperatur von über Ti = Kerreicht wird. Normale Otto-Motoren besitzen daher eine geringere Kompression.

Die DampfmaschineAuch die Dampfmaschine operiert mit einem Kreisprozess, der dem Carnot’schen Kreis-prozess ziemlich ähnlich ist und, wie dieser, aus 4 Zustandsänderungen besteht. Der Wir-kungsgrad einer Dampfmaschine ist daher relativ groß, absolut genommen aber klein, weiler bei einer niedrigen Temperatur Ti stattfindet. Dass diese Temperatur so niedrig ist, liegtan der speziellen Eigenschaft des Dampfmaschinenzyklus, innerhalb des Gebiets der Pha-senübergänge flüssig ⇌ gasförmig von Wasser zu operieren. In der Abb. 2.5b ist diesesGebiet durch eine schmale Kurve in der S-T-Ebene gekennzeichnet. Den linken Teil dieserKurve bezeichnet man als Siedekurve, den rechten als Taukurve. Das Gebiet der Phasen-übergänge wird begrenzt durch eine obere Temperatur, der kritischenTemperatur Tk, die

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30 2 Der Energiebegriff

für Wasser bei Tk = K liegt und einem Dampfdruck von Pk = bar (das sind ca. 225mal demAtmosphärendruck P) entspricht. Normalerweise arbeiten Dampfmaschinen beikleineren Dampfdrücken und damit bei kleineren Temperaturen.

Wir wollen die Zustandsänderungen des Dampfmaschinenzyklus anhand der Abb. 2.5bdiskutieren:

Die Änderung 1 → 2 erwärmt das Wasser durch Wärmezufuhr von der Temperatur Tf

auf die Temperatur Ti , bei welcher die Verdampfung desWassers einsetzt. Da Flüssigkeitenpraktisch inkompressibel sind, erfolgt die Wassererwärmung bei konstantem Volumen. Eshandelt sich daher um eine isochore Zustandsänderung entlang der Siedekurve des Pha-senübergangsgebiets.

Während der Änderung 2 → 3 wird das Wasser durch Zufuhr von weiterer Wärmevollständig in Dampf verwandelt. Bei diesem Phasenübergang vergrößert sich das Dampf-volumen, aber es bleibt der Druck konstant auf dem Wert des oberen Dampfdrucks PD,i ,und es bleibt die Temperatur konstant auf dem Wert der Siedetemperatur Ti . Zustands-änderungen bei konstantemDruck nennt man isobare Zustandsänderungen, dieWasser-verdampfung ist also gleichzeitig eine isobare und eine isotherme Zustandsänderung.

Die Änderung 3 → 4 erfolgt bei konstanter Systementropie, ist also eine adiabatischeZustandsänderung. Dabei vergrößert sich das Dampfvolumen weiter, aber die Temperaturverringert sich von Ti auf Tf und ein Teil des Wasserdampfs kondensiert zu Wasser.

Der restlichen Phasenübergang gasförmig→ flüssig vollzieht sich während der Ände-rung 4 → 1 durch die Abfuhr von Wärme. Dies ist gleichzeitig eine isotherme Zustands-änderung bei der Temperatur Tf und eine isobare Zustandsänderung bei dem unterenDampfdruck PD,f . Ist der Zustand 1 erreicht, ist der gesamte Dampf wieder inWasser ver-wandelt und das Volumen zurückgegangen auf das Wasservolumen.

Abgesehen von der Änderung 1→ 2, die isochor erfolgt, sind alle anderen Zustandsän-derungen identisch mit denen des Carnot’schenKreisprozesses.Wir können daher für denWirkungsgrad einer Dampfmaschine ansetzen

η ≈ ηCarnot = −Tf

Ti. (2.39)

Die obere Temperatur ist auf einen Wert Ti ≈ K beschränkt, der errechnete Wirkungs-grad beträgt daher

η ≈ −= ,

und ist damit geringer als der eines Otto-Motors. Man kann den Wirkungsgrad ei-ner Dampfmaschine geringfügig vergrößern, indem man den Dampf in einer weiterenisobaren Zustandsänderung → ′ überhitzt, und anschließend die adiabatische Zu-standsänderung ′ → ′ auf die Taulinie des Phasenübergangsgebiets durchführt, sieheAbb. 2.5b.

Allgemein haben Dampfmaschinen einen technisch realisierten Wirkungsgrad von η ≈,. Deswegen werden sie heute nicht mehr in den Maßen benutzt, wie das früher der Fall

Page 41: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.3 Die Wirkungsgrade der Energiewandlung 31

war. Man verwendet heute Hochdruckdampfturbinen, die einen mindestens doppelt sogroßen Wirkungsgrad besitzen.

Die BeleuchtungUm unsere Umgebung zu sehen, besitzen wir die Augen, die eigentlich ein Empfänger fürelektromagnetische Wellen sind. Der Empfindlichkeitsbereich des menschlichen Augesliegt zwischen den Lichtwellenlängen < λ < nm. Um Gegenstände wahrzuneh-men, müssen diese daher Licht mit diesen Wellenlängen emittieren oder das Licht reflek-tieren, das von einer anderen Lichtquelle mit diesen Wellenlängen emittiert wurde.

Die einfachste Lichtquelle ist der schwarzeKörper, der ein ganzes Spektrum von Licht-wellenlängen emittiert, wenn er auf eine Temperatur T erhitzt wird. Die Wellenlängenver-teilung der Strahlung eines schwarzen Körpers ist gegeben durch das Planck’sche Strah-lungsgesetz . Dieses Gesetz ist auch historisch von besonderem Interesse, weil Max Planckim Jahr 1900 anhand dieses Gesetzes zum ersten Mal zeigte, dass die Energie des Lichtsgequantelt ist. Die Energiequanten werden als Photonen bezeichnet, ihre Energie ist um-gekehrt proportional zur Wellenlänge des Lichts

WPhoton =h cλ. (2.40)

Die Naturkonstante c ist die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum (c = ⋅ m ⋅ s−), h =, ⋅ − J ⋅ s ist das Planck’scheWirkungsquantum und ebenfalls eine Naturkonstante.

In logarithmischer Darstellung ist die spektrale Verteilung der Strahlung für verschie-dene Temperaturen des schwarzen Körpers in Abb. 2.6 gezeigt. Das dazu gehörendePlanck’sche Strahlungsgesetz lautet, wobei k = , ⋅ − J ⋅ K− die Boltzmann-Kon-stante ist

dI =π h c

λ(eWPhoton/kT

− )−

dλ. (2.41)

Die Größe dI bezeichnet die Strahlungsintensität des schwarzen Körpers, die dieser bei derWellenlänge λ in das Wellenlängenintervall dλ und in alle Richtungen von seiner Oberflä-che emittiert. Gleichzeitig ist in Abb. 2.6 der Intensitätsbereich

ΔI(T) = nm

nm

dI

als schattierte Fläche markiert, für den das Auge empfindlich ist. Dieser Bereich im Ver-hältnis zu der totalen Strahlungsintensität

I(T) =∞

dI = , ⋅ − T in W ⋅m− ⋅K− (2.42)

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32 2 Der Energiebegriff

1

10 2

10 4

10 6

0 500 1000 1500 2000

5

4

3

2

1

Wellenlänge (nm)

Inte

nsi

tät

(w.E

.)

Abb. 2.6 Die spektrale Verteilung der Intensität eines schwarzen Körpers in Abhängigkeit von derTemperatur 5: T = K, 4: T = K, 3: T = K, 2: T = K, 1: T = K. Derschattierte Bereich zeigt den sichtbarenWellenlängenbereich

ergibt den Wirkungsgrad, mit dem die Strahlung des schwarzen Körpers für die Beleuch-tung genutzt werden kann:

ηStr(T) =ΔI(T)I(T)

. (2.43)

Bei einer Temperatur von T = K beträgt dieser Wirkungsgrad etwa ηStr() ≈ ,,bei T = K aber nur noch ηStr() ≈ ,. Es ist daher ganz offensichtlich, dassein schwarzer Körper eine möglichst hohe Temperatur besitzen sollte, um seinen Wir-kungsgrad zu optimieren. Ein optimaler Wirkungsgrad wird erreicht, wenn dieWellenlän-ge λmax, für die dI einen maximalen Wert besitzt, gerade in den Empfindlichkeitsbereichdes menschlichen Auges fällt. Zwischen λmax und der erforderlichen Temperatur bestehtdie Beziehung (Wien’sches Verschiebungsgesetz)

λmax T = , ⋅ − in m ⋅K. (2.44)

Für λmax = nm ist daher eineTemperaturT ≈ Knötig, die zwar auf derOberflächeder Sonneherrscht, aber von einer gebräuchlichenWolframfaden-Glühbirnenicht erreichtwird. Beide Strahlungen, die von der Sonne wie auch die einer Glühbirne, werden sehr gutdurch das Planck’sche Strahlungsgesetz (2.41) beschrieben.

Die Temperatur einer Glühbirne beträgt T ≈ K und sie wird erreicht durch dieUmwandlung von elektrischer Energie in thermische Energie. Dieser Wandlungsprozess

Page 43: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.4 Der Nutzungsgrad und der Versorgungsgrad 33

besitzt im Prinzip einen maximalenWirkungsgrad ηmax ≈ (siehe (2.24)). Jedoch wird einTeil der thermischen Energie nicht in Form vonWärmestrahlung abgegeben, sondern gehtdurch Wärmeleitung und Wärmekonvektion an die Umgebung verloren. Der erzielbareWirkungsgrad beträgt daher nur

ηel ≈ ,

und daraus folgt für den Gesamtwirkungsgrad einer Glühbirne

η = ηStr ηel ≈ , ⋅ , = ,.

Dieser geringe Wirkungsgrad reduziert sich noch weiter, wenn man die Temperatur mit-hilfe chemischer Reaktionen erzeugt, wie es bei einer Kerze geschieht. Wegen der geringenTemperatur und der größeren Verluste bei der Wandlung von chemischer in thermischeEnergie besitzt eine Kerze für Beleuchtungszwecke nur einen Wirkungsgrad

η = ηStr ηel ≈ , ⋅ , = ,.

Entscheidend höherer Wirkungsgrade für die Beleuchtung lassen sich nur erzielen, wenndie primäre Energie nicht in eine breite Strahlungsverteilung gewandelt wird, sondern se-lektiv in die Strahlung mit einer oder nur wenigen Wellenlängen, die im Empfindlich-keitsbereich des menschlichen Auges liegen. Dies ist das Prinzip der Leuchtstoffröhren.Mithilfe elektrischer Energie werden schnelle Elektronen in einem Gasvolumen erzeugt,deren kinetische Energie durch Stöße mit den Gasatomen diese zur Emission von elek-tromagnetischer Strahlungsenergie veranlassen. Vorteilhaft ist es, wenn die Wellenlängendieser Strahlung im oder unterhalb (also im Ultravioletten) des Sehbereichs liegen. Durcheine Fluoreszenzbeschichtung der Glaswand des Gasvolumens kann auch die ultravioletteStrahlung in den sichtbaren Bereich verschoben werden. Wegen des Gesetzes der Energie-erhaltung (siehe (2.40)) funktioniert diese Methode jedoch nicht mit Wellenlängen ober-halb des sichtbaren Wellenlängenbereichs. Mit derartigen Leuchtstoffröhren werden Wir-kungsgrade

η ≈ ,

erreicht. Im Handel findet man sie unter der Bezeichnung „Energiesparlampe“.

2.4 Der Nutzungsgrad und der Versorgungsgrad

Wir haben uns bisher mit den physikalischen Grundlagen der Energiewandlung beschäf-tigt. Sie bilden das Fundament, auf dem unsere Energieversorgung aufgebaut ist. DieVersorgung mit Energie setzt sich zusammen aus einer langen und vielgliedrigen Versor-gungskette, die bei der Primärenergie beginnt und bei der Nutzenergie endet. Dazwischenliegen viele Wandlungs- und auch andere Prozesse, von denen jeder im Allgemeinen den

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34 2 Der Energiebegriff

Einsatz von Energie verlangt und die alle nur mit einem für sie charakteristischen Wir-kungsgrad die Energie von der einen in die andere Form wandeln. Es existiert eine derartgroße Anzahl von Versorgungsketten für jedes unserer Bedürfnisse, dass es zu aufwändigund oft auch unmöglich ist, für jede den physikalischen Wirkungsgrad zu berechnen.Zumal auch die exakten Umstände der Wandlung oft nicht mit der erforderlichen Ge-nauigkeit bekannt sind. In solchen Fällen hat sich das Verfahren durchgesetzt, komplexeWandlungstechnologien mithilfe eines Nutzungsgrads ζ zu kennzeichnen, der das empi-risch bestimmte Verhältnis zwischen der von uns gewünschten Nutzenergie und der dazuerforderlichen Primärenergie angibt. Betrachten wir zur Verdeutlichung eine spezielleVersorgungskette, die unsere Mobilität mithilfe eines PKW sicher stellt.

1. Förderung des Erdöls (PrimärenergieW)Dabei entsteht Energiebedarf durch folgende Prozesse:• Bau der Erdölförderanlage• Betrieb der Förderanlage• Bau der Anlage zum Erdöltransport (Rohrleitung oder Tankschiff)• Betrieb der Transportanlage

2. Raffenierung des Erdöls (SekundärenergieW)Dabei entsteht Energiebedarf durch folgende Prozesse:• Bau der Erdölraffenerie• Betrieb der Raffenerie (Wandlung chemische Energie→ chemische Energie)• Bau der Speicheranlage für den Kraftstoff• Bau der Anlage zum Kraftstofftransport (Tankwagen)• Betrieb der Transportanlage

3. Verteilung des Kraftstoffs (EndenergieW)Dabei entsteht Energiebedarf durch folgende Prozesse:• Bau der Kraftstoffverteilungsanlage (Tankstelle)• Betrieb der Verteilungsanlage• Zufahrt des PKW zur Verteilungsanlage

4. Mobilität durch den PKW (NutzenergieW)Dabei entsteht Energiebedarf durch folgende Prozesse:• Bau des PKW• Auslieferung des PKW• Transport des Kraftstoffs im PKW• Mobilität (Wandlung chemische Energie → thermische Energie → kinetische Ener-

gie)

Direkt sichtbar sind Energiewandlungsprozesse nur in den Gliedern 2 und 4 der totalenVersorgungskette. Indirekt erfordern aber auch alle anderen Teilprozesse die Wandlungvon Energie und tragen durch ihren Energiebedarf ebenfalls zum Nutzungsgrad der ge-samten Versorgungskette bei, dessenWert am einfachsten empirisch bestimmt wird.

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2.4 Der Nutzungsgrad und der Versorgungsgrad 35

Die Einteilung

Primärenergie → Sekundärenergie→ Endenergie → Nutzenergie

lässt sich für eine Vielzahl vonVersorgungsketten durchführen. Allgemein lassen sich dieseFormen der Energie folgendermaßen definieren:

1. Primärenergie – Als Primärenergie bezeichnen wir die Energieträger, die direkt derNatur entnommen werden. Dies sind bisher überwiegend fossile Brennstoffe (Kohle,Erdöl, Erdgas) oder fossileMineralien (Uranerz). In der Zukunftwerden dann in größe-rem Umfang auch erneuerbare Energieträger zu unserer Energieversorgung beitragenmüssen.

2. Sekundärenergie –Die Sekundärenergie entsteht durch Energieumwandlung in einemersten Schritt aus der Primärenergie. Dieser Schritt ist meist notwendig, um die Energiein eine Form zu bringen, in der sie leicht gespeichert und verteilt werden kann. DieserSchritt erübrigt sich, wenn nach derWandlung die neue Energieform direkt zum Ener-gieabnehmer transportiert werden kann, wie zum Beispiel die elektrische Energie auseinem Kraftwerk auf Kohlebasis.

3. Endenergie – Unter der Endenergie verstehen wir die Energieform, die der Energieab-nehmer direkt bezieht. Das ist in den privaten Haushalten meistens elektrische Energieoder chemische Energie in Form von Heizgas oder Heizöl.

4. Nutzenergie – Die Nutzenergie ist die Energieform, die der Energieabnehmer für diegestellte Aufgabe letztendlich benötigt, zumBeispiel zur Beleuchtung oderHeizung vonRäumen. Dies beinhaltet immer einen letztenWandlungsprozess, bei dem die Endener-gie in die Nutzenergie umgewandelt wird.

Für jeden einzelnen Schritt vom Glied i zum Glied j in der Versorgungskette lässt sichein mittlerer Nutzungsgrad ζi , j angeben, der totale Nutzungsgrad der allgemeinen Versor-gungskette ergibt sich nach der Produktregel (2.33) dann zu

ζ =∏

i=ζi ,i+ . (2.45)

InAbb. 2.7 ist gezeigt, wiewir uns denAufbau einerVersorgungskette schematisch verdeut-lichen können. Zur jetzigen Zeit, wo unsere Energieversorgung noch fast ausschließlich aufden fossilen Energiereserven basiert, ergeben sich für die einzelnen Nutzungsgrade undden gesamten Nutzungsgrad weltweit etwa folgende Werte

ζ, ≈ ,ζ, ≈ ,ζ, ≈ ,→ ζ ≈ ,.

(2.46)

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36 2 Der Energiebegriff

Primärenergie

Sekundärenergie

Wandlungsverluste

TransportverlusteBetriebsverluste

Endenergie

WandlungsverlusteVerluste beim

Abnehmer Nutzenergie

1,2

2,3

3,4

1,3

TransportverlusteBetriebsverluste

Wandlungsverluste

TransportverlusteBetriebsverluste

Wandlungsverluste

Abb. 2.7 Flussdiagramm einer typischen Versorgungskette von der Primärenergie zur Nutzenergiemit dem für jedes Glied der Kette charakteristischen Nutzungsgrad ζi , j. Bei speziellen Versorgungs-ketten können Glieder übersprungen werden (siehe Text)

Das bedeutet, wir benötigen etwa 3mal so viel Primärenergie wie unser Bedarf an Nutz-energie ausmacht.

Die Umwandlung der Primärenergie in die vom Abnehmer verlangte Nutzenergievollzieht sich heute in einer Versorgungskette, die hauptsächlich auf den fossilenEnergieträgern basiert und einen mittleren Nutzungsgrad ζ ≈ , besitzt.

Dieser empirischeWert veranlasstmanche Leute, die Ineffizienz unserer heutigen Ener-gieversorgung zu beklagen, denn immerhin stehen ca. 70% der primär eingesetzten Ener-gie nicht einerNutzung zurVerfügung.DieseKlage lässt völlig außer acht, dass jederWand-lungsprozess (und jeder andere Prozess in derVersorgungskette) einen physikalischenWir-kungsgrad besitzt, dessen maximaler Wert in einer Vielzahl von Fällen kleiner als 0,5 ist.In Anbetracht dieser Tatsache mag es eher verwundern, dass bei der Komplexität der Ver-sorgungsketten immer noch ein empirisch ermittelter Wert des Nutzungsgrads von 0,3gefunden wird. Grund dafür ist wahrscheinlich, dass ein beträchtlicher Anteil der Primär-energie für Heizzwecke benötigt wird (siehe Abschn. 3.3) und dieser Wandlungsprozesssich durch einen sehr großen maximalen Wirkungsgrad auszeichnet (siehe (2.30)).

Der Vorrat an fossilen Energieträgern wird in absehbarer Zeit aufgebraucht sein undmuss dann durch alternative Energieträger ersetzt werden. In diesem Buch werden als al-ternativ alle Energieträger bezeichnet, die nicht konventionellen Ursprungs sind, also nichtfossil biogen (Kohle, Erdöl, Erdgas) oder fossilmineralisch (Uran) sind. Von den alterna-tiven Energieträgern sind heute besonders die „erneuerbaren“ Energieträger im Gespräch.Diese lassen sich allgemein so definieren, dass als ihre ursprüngliche Energiequelle dieSonnenstrahlung, also die Solarenergie, fungiert. Unter diesemGesichtspunkt müsste man

Page 47: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.4 Der Nutzungsgrad und der Versorgungsgrad 37

auch die fossil biogenen Energieträger als „erneuerbar“ bezeichnen, denn sie stellen nichtsweiter dar als gespeicherte Biomasse, also chemische Energie4, welche den wesentlichenBestandteil der heutigen Primärenergie W(foss) ausmacht. Aber der wichtige Unterschiedzu den eigentlich erneuerbaren EnergienW(ernb) ist, dass diese eben nicht in gespeicherterForm vorliegen und trotzdem unsere jetzige Form der Primärenergie ersetzen sollen.

Die Speicherung erneuerbarer Energien ist daher ein entscheidendes Problem einerzukünftigen Energieversorgung. Die Bedeutung dieses Problems hängt von dem Versor-gungsgrad δ ab, mit dem erneuerbare Energien als Primärenergie unsere Energieversor-gung übernehmen müssen. Es ist absehbar (siehe Abschn. 2.4.1), dass die Notwendigkeitder Energiespeicherung denNutzungsgrad der Versorgungskette von einem heutigenWertζ ≈ , auf einen zukünftig kleineren Wert reduzieren wird. Das bedeutet, der Primär-energiebedarf wird steigen, selbst wenn sich der Nutzenergiebedarf nicht verändert. DasAusmaß der Steigerung hängt vom Versorgungsgrad ≤ δ ≤ ab, für dessen Einfluss aufden Nutzungsgrad ζ ein linearer Ansatz gemacht wird

ζ = ( − δ) ζ(foss) + δ ζ(ernb) . (2.47)

Der empirisch bestimmte Wert ist ζ(foss) ≈ ,, dagegen liegen für den Wert von ζ(ernb)

keine empirischen Daten vor, da zur Zeit das Speicherproblem noch ohne Bedeutung ist.Im Abschn. 2.4.1 wird anhand eines Beispiels demonstriert, dass ζ(ernb) ≈ , ζ(foss) , undKap. 8 ergibt ein ähnliches Ergebnis. Diese Analysen erzwingen folgende Schlussfolgerung:

Falls die Energieversorgung vollständig von fossilen auf erneuerbare Energien um-gestellt wird, reduziert sich ihr mittlerer Nutzungsgrad um bis zur Hälfte seinesursprünglichen Werts. Das bedeutet, zukünftig wird im Extremfall etwa doppelt soviel Primärenergie benötigt, um einen unveränderten Nutzenergiebedarf nur mithil-fe erneuerbarer Energien zu decken.

Dies sind nur Hinweise auf die Probleme einer zukünftigen Energieversorgung ohnefossile Energieträger. Die eigentliche Ursache aber liegt in der Natur erneuerbarer Energi-en – dasThema des Kap. 6.

2.4.1 P-Ebene: Nutzungsgrad und Versorgungsgrad

Zur Definition des NutzungsgradsDer global gültige Wirkungsgrad η ist eine charakteristische Größe jedes Wandlungspro-zesses, deren Wert im Prinzip berechnet werden kann, falls alle Einzelheiten der Wand-

4 Daraus wird auch die besondere Bedeutung der chemischen Energie offensichtlich: Sie lässt sichrelativ leicht speichern und überweite Strecken transportieren, ganz imGegensatz von, zumBeispiel,elektrischer Energie.

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38 2 Der Energiebegriff

lungstechnologie bekannt sind. Bei langen Prozessketten ist das selten der Fall und η wirddurch den empirisch bestimmten Nutzungsgrad ζ ersetzt. Aber auch einzelne Prozess-schritte lassen sich manchmal, insbesondere bei der Wandlung in erneuerbarer Energien,nicht durch denWirkungsgrad η vollständig charakterisieren. Der Grund ist, dass die Ver-fügbarkeit der Wandlungsanlage (wegen Ausfalls oder Reparatur) oder der Energiequelle(weil die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht bläst) nicht gewährleistet ist. In solchenFällen muss man unterscheiden zwischen der installierten Leistung P der Wandlungsan-lage – das ist die Wandlungsleistung unter optimalen Bedingungen5 und bei ununterbro-chenem Betrieb der Anlage (oft auch als Kapazität bezeichnet) – und der tatsächlich ge-wandelten Leistung Pf , so dass Pf = κ P mit κ < . Da laut Definition P = η Pi gilt, ergibtsich dann der nur empirisch zu bestimmende Nutzungsgrad der Anlage zu

Pf = κ η Pi = ζ Pi �⇒ ζ = κ η mit dem Kapazitätsfaktorκ =PfP, (2.48)

wobei η der ideale und daher berechenbare Wirkungsgrad der Anlage ist.Man sollte daher im Normalfall immer den Nutzungsgrad verwenden, welcher für eine

gegebene Wandlungstechnologie auch Standort abhängig sein kann. Die Angabe des Wir-kungsgrads ist meist nur dann sinnvoll, wenn Vergleiche zwischen verschiedenen Wand-lungstechnologien angestellt werden, also mit wie viel Entropie unsere Umwelt zusätzlichbelastet wird.

Erneuerbare Energien als PrimärenergieDer Ersatz von W(foss) durch W(ernb) stellt Wissenschaftler und Techniker vor ein, nachheutigem Kenntnisstand, fast unlösbares Problem. Denn die erneuerbaren Energien müs-sen zunächst aus den Eingangsenergien, also hauptsächlich der Solarenergie, mit demWir-kungsgrad ηWd gewandelt werden, um diese als Primärenergieäquivalent zu erhalten. ImKap. 6 wird gezeigt, dass dieWerte von ηWd in vielen Fällen sehr klein sind. Noch wichtigerist jedoch, dass das Angebot an erneuerbaren Energien sehr gering ist, was im Wesentli-chen auf die viel zu kleine Energiedichte der Solarenergie zurückzuführen ist. Um es aufeinen sehr einfachen Sachverhalt zu bringen: Unsere fossile Energieversorgung beruht auf„erneuerbarer“ Energie, die seit Millionen von Jahren auf der Erde in chemische Energiegewandelt und gespeichertwurde.Wir verlangen jetzt nach einer Technologie, welche dieseMillionen von Jahren auf die Zeitdauer von wenigen Jahren reduziert. Versuche zu dieserReduktion haben wahrscheinlich zur Folge, dass das Angebot an Primärenergie künftigzurückgehen wird. Das Speicherproblem stellt eine zusätzliche Herausforderung dar, dieanhand eines Beispiels verdeutlicht werden soll.

Die Speichernotwendigkeit von erneuerbaren EnergienIn einer Fotovoltaikzellewird die Strahlungsenergie der Sonne in elektrischeEnergie umge-wandelt. Die physikalischenGrundlagen dieses Prozesses werden inAbschn. 6.3 behandelt.

5 Die optimale Bedingung für Solarenergie ist zum Beispiel die Solarkonstante I⊥, siehe (4.32).

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2.4 Der Nutzungsgrad und der Versorgungsgrad 39

Falls in einer Fotovoltaikzelle die Ladungsmenge q = C bei einer elektrischen SpannungΔϕ = V getrennt worden ist, dann beträgt die elektrische Energie nach der Wandlung(siehe (2.11))

Wel = qΔϕ = J. (2.49)

Diese Energie muss der Fotovoltaikzelle entnommen und gespeichert werden. Als Speicherfür elektrische Energie kommt der Kondensator in Frage, der bei einer Spannung Δϕ dieLadungsmenge q = C Δϕ speichern kann. Die Größe C nennt man die (Ladungs-)Kapazi-tät des Kondensators.

Ist der Kondensator aufgeladen, so ist in ihm die elektrische Energie

W∗el =

qΔϕ =

Wel (2.50)

gespeichert. Ganz offensichtlich ist bei dem Speicherprozess die Hälfte der von einer Foto-voltaikzelle gelieferten Energie in eine andere Energieform als in gespeicherte elektrischeEnergie umgewandelt worden. Es ist leicht nachzuweisen, dass dieser Verlust an elektri-scher Energie verursacht wird durch die thermische Energie, die aufgrund des Ohm’schenWiderstands R bei der Elektrizitätsleitung auftritt. Die gewandelte thermische Energiebeträgt

Q =∞

R I dt , (2.51)

wobei der Ladestrom I des Kondensators mit der Zeit exponentiell abfällt:

I =ΔϕR

e−t/(CR) . (2.52)

Falls während des Ladevorgangs die Spannung Δϕ konstant bleibt, ergibt sich aus demIntegral (2.51)

Q =(Δϕ)

R

e−t/(CR) dt

=

(Δϕ)

RC R=

C (Δϕ) =

qΔϕ.

(2.53)

Man kann den Speicherverlust durch einen Wirkungsgrad ηSp charakterisieren. In diesemBeispiel ist

ηSp =W∗

el

Wel=

Wel − QWel

= ,. (2.54)

Es ist wichtig sich darüber klar zu werden, dass dieser Speicherwirkungsgrad ηSp < durch die Elektrizitätsleitung bei konstanter Spannung Δϕ verursacht wird, also nicht di-rektmit der Energiespeicherung imKondensator selbst zusammenhängt. DerartigeVerlus-te werden generell alsOhm’sche Verluste bezeichnet. Bei einem anderen Speicherprozess,zum Beispiel mithilfe chemischer Energie (Wasserstoffspeicherung), treten ähnliche Lei-tungsverluste auf und zusätzlich noch der Wirkungsgrad der Wandlung von elektrischerin chemische Energie.

Page 50: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

40 2 Der Energiebegriff

0

0.1

0.2

0.3

0 0.5

erneuerbareEnergie

0 0.5 1

Versorgungsgrad

erneuerbare +fossile Energie

= 1,0

= 0,5

= 2,0

Nu

tzu

ng

sgra

d

Abb. 2.8 Die Abhängigkeit des Nutzungsgrads vom Versorgungsgrad. Links für die erneuerbareEnergie allein bei verschiedenen Speicherwirkungsgraden (siehe Text), rechts für den Versorgungs-mix aus fossiler und erneuerbarer Energie

Der Mix aus fossilen und erneuerbaren EnergienIn Abschn. 2.4.1 ist kurz dargelegt worden, welche Konsequenzen erneuerbare Energienfür das Angebot an Primärenergie haben können. In diesem Kapitel werden wir uns kurzmit den Konsequenzen für den Bedarf an Primärenergie beschäftigen.

Die heutigen Formen von Primärenergie werden mit demNutzungsgrad ζ(foss) ≈ , inNutzenergie gewandelt. Unter der Annahme, dass die Umstellung auf erneuerbare Energi-en keine größeren Einflüsse auf die Wandlungskette ausübt, verringert sich der Nutzungs-grad allein durch die Speicheranforderung, das heißt um den Speicherwirkungsgrad ηSp.Für diesen hatten wir anhand eines Beispiels gerade den mittleren Wert ⟨ηSp⟩ ≈ , ermit-telt. Daraus ergibt sich die Abschätzung

ζ(ernb) = ζ(foss) ⟨ηSp⟩ ≈ ,. (2.55)

Hier könnte eingewendet werden, dass die Notwendigkeit der Speicherung nicht auf-tritt, wenn derVersorgungsgrad δ nur sehr klein ist und erneuerbare Energien nur dann zurVersorgung beitragen, wenn sie sich wirklich wandeln lassen (also zum Beispiel Fotovol-taik nicht zu den Zeiten, zu denen die Sonne nicht scheint, aber der Bedarf an elektrischerEnergie besonders hoch ist). Die Grundlast der Energieversorgung müsste dann von denrestlichen, fossilen Energieträgern übernommenwerden, wobei natürlich zu klären ist, wielange diese überhaupt noch zur Verfügung stehen. Ebenso zu klären ist, um wie viel sichderWirkungsgrad eines konventionellenKraftwerks reduziert, wenn dieses immerwiederan- und abgeschaltet wird oder seine Energie gespeichert werden muss. Man kann solchenEinwänden aber auch Rechnung tragen, indemman den Speicherwirkungsgrad für erneu-

Page 51: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

2.5 Fragen zur Energieversorgung 41

erbarer Energien selbst vom Versorgungsgrad δ abhängig macht, etwa in dem Ansatz

ζ(ernb) = ζ(foss) ( + (⟨ηSp⟩ − ) δα ) , (2.56)

wobei für den Exponenten gilt α > . Ist α < , so trägt die Notwendigkeit der Energiespei-cherung überproportional zum Nutzungsgrad bei, für α > ist ihr Beitrag unterpropor-tional. In Abb. 2.8 sind die δ-Abhängigkeiten von ζ(ernb) und des Gesamtnutzungsgrads ζnach (2.47) für ein Versorgungsmix aus fossilen und erneuerbaren Energien für die Werteα = , , 1 und 2 dargestellt. Daraus ergibt sich, dass in dem Versorgungsmix die Abwei-chungen vom linearen Verhalten (α = ) so gering sind, dass der tatsächliche Wert von αnicht entscheidend dafür ist, ob erneuerbare Energien unsere zukünftige Energieversor-gung übernehmen können oder nicht. In Abschn. 8.1 werden wir ein besser begründetesModell für den Nutzungsgrad erneuerbarer Energien entwickeln.

In diesem Kapitel geht es zunächst nur um grundsätzliche Überlegungen, welche unsjetzt gestatten, die wichtigen und richtigen Fragen zu stellen, um die Zukunft unserer Ener-gieversorgung zu untersuchen. Eine Folgerung aus diesen Überlegungen ergibt sich aberohne jeden Zweifel:

Um den Verlust der fossilen Energien durch erneuerbare Energien zu ersetzen, müs-sen sowohl auf der Angebotsseite, wie auch der Bedarfsseite, enorme technischeProbleme überwunden werden. Ungewiss ist, ob dies in der Kürze der verbleiben-den Zeit gelingt.

2.5 Fragen zur Energieversorgung

In den vorausgegangenen Kapiteln haben wir die physikalischen Grundlagen des Energie-begriffs gelegt und die Eigenschaften diskutiert, welche die Energie und ihre verschiedenenErscheinungsformen aufgrundphysikalischerGesetze besitzenmüssen.DieseGesetze sindbestimmend dafür, ob sich eine Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien inZukunft aufbauen lässt. Viele der für eine Voraussage wichtigen Parameter sind zur Zeitnur unzureichend bekannt. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass erneuerbare Energi-en zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine untergeordnete Rolle spielen und daher empirischeDaten, die für eine Voraussage verwendet werden könnten, nicht mit der erforderlichenGenauigkeit vorliegen. Auf der anderen Seite sind die physikalischen Grundlagen der vor-geschlagenenWandlungsprozesse so gut bekannt, dass sich die Wirkungsgrade dieser Pro-zesse berechnen lassen und die empirischen Nutzungsgrade ersetzen können.

Es sollte aus unseren Diskussionen klar geworden sein, dass wir uns in den weiterenKapiteln mit vier wesentlichen Fragen beschäftigen müssen:

Page 52: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

42 2 Der Energiebegriff

1. Wie groß wird der Energiebedarf in Zukunft sein? – Dies hängt natürlich primär von derGröße der Weltbevölkerung ab, deren zukünftige Entwicklung anhand von Modellenprognostiziert werdenmuss. Von gleicher Bedeutung ist auch der Lebensstandard, dendie zukünftige Weltbevölkerung besitzen wird. Daneben ist von Bedeutung aber auchdie Frage, wie viele fossile Energieträger uns in Zukunft noch als Primärenergie zurVerfügung stehen werden und wie viele durch erneuerbare Energien ersetzt werdenmüssen.

2. Wann sind die fossilen Energien erschöpft? – Steht der zukünftige Energiebedarf derWeltbevölkerung fest, lassen sich über den Zeitpunkt, zu dem die fossilen Reservenausgebeutet sein werden, recht genaue Voraussagen treffen. Denn die Größe dieser Re-serven ist bekannt und es ist auch nicht damit zu rechnen, dass bisher unbekannteund ausreichend große Reserven an fossiler Energie noch gefunden werden. Es sollteaber nicht unerwähnt bleiben, dass noch Reserven an „unkonventionellen“ Energienexistieren (z. B. Teersände oder Öl-/Gasschiefer, siehe Abschn. 5.1), mit deren Abbaubegonnen wurde. Der Abbau belastet verstärkt unsere Umwelt und dass er jetzt erfolgt,kann als Zeichen der Krise für eine globale Energieversorgung gedeutet werden. Es istauch nicht ausgeschlossen, dass andere unkonventionelle Reserven, wie das Methan-hydrat genutzt werden, obwohl sie ein noch höheres Umweltrisiko darstellen.

3. Welche Rolle können erneuerbare Energien in einer zukünftigen Energieversorgung über-nehmen? – Das Angebot an Primärenergie aus erneuerbaren Energien ergibt sich ausden physikalischen Gesetzmäßigkeiten, welche die Wandlung von der Eingangsenergiebis zur Primärenergie bestimmen. Diese Gesetzmäßigkeiten sind bekannt, sie müssenzur Bestimmung des Primärenergieangebots nur konsequent angewendet werden. Zubefürchten ist, dass mit Einführung erneuerbarer Energien eine bis jetzt unbekannteLücke zwischen dem Angebot von und dem Bedarf nach Primärenergie auftritt.

4. Gibt es andere alternative Energieträger? – Dies ist eine wichtige Frage, die aus physika-lischer Sicht bejaht werden muss. Aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften mussals einzig verfügbare Alternative die Kernenergie angesehen werden und wir werdenuns mit deren Eigenschaften ausführlich in den Abschn. 5.2 bis 5.6 beschäftigen. Dasbedeutet nicht, dass der Autor dieses Buchs ein unbedingter Verfechter dieser Ener-gieform wäre. Aber es wäre ebenso unsinnig, ihr Potenzial nicht zu berücksichtigen.Allerdings ist es ein ganz anderes Problem, physikalische Erkenntnisse über die Ener-gieformen in technische Anwendungen umzusetzen. Ob dies möglich ist, muss genauso untersucht werden wie die Frage, ob die Gesellschaft bereit ist, die dafür benötigtenRessourcen bereitzustellen und die Risiken neuer Techniken in Kauf zu nehmen.

Page 53: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3Der Bedarf an Primärenergie

3.1 Empirische Daten

Eigentlich besteht auf der Welt ein Bedarf an Endenergie, die jeder von uns nach seinenBedürfnissen in Nutzenergie umwandelt. Trotzdem ist es üblich, den Energiebedarf mit-hilfe derPrimärenergie zumessen, denn dieMessung der Primärenergie ist relativ einfach:Sie ergibt sich zum Beispiel aus der Menge des geförderten Erdöls oder der Menge der ab-gebauten Kohle. Im Fall fossiler Energie besteht mengenmäßig kein größerer Unterschiedzwischen Primärenergie und Endenergie (siehe (2.46)), wohl aber im Fall erneuerbarerEnergien (siehe (2.55)).

Wieviel Energie benötigt also ein Mensch? Darauf lassen sich 2 Antworten geben:

1. Wir benötigen die Energie zum Leben.Um zu leben, benötigen wir chemische Energie(Nahrungsmittel). Aus thermodynami-scher Sicht ist der Grund offensichtlich: Der Körper ist ein hochorganisiertes Systemmit großer Ordnung, also geringer Entropie. Um den Entropiewert klein zu halten,muss ständig Entropie an die Umgebung abgegeben werden. Ist die Abgabe unmöglich,etwa weil die Umgebungstemperatur zu groß ist, wird Leben unmöglich. Zur Entropie-abgabe ist Energie notwendig. Dieser Grundumsatz hängt davon ab, welche Arbeit einMensch zusätzlich verrichtet. Ohne Arbeit zu verrichten, beträgt der Grundumsatz imMittel pro Kopf und Jahr (n gibt die Bevölkerungszahl an)

Pn= , ⋅ kWh ⋅ a− . (3.1)

Verglichen mit dem tatsächlichen Energiebedarf einesMenschen ist dieserWert zu ver-nachlässigen. Denn der eigentliche Grund für den viel größeren Energiebedarf ist:

43D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_3,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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44 3 Der Bedarf an Primärenergie

Lebens-

standard

Lagegeogr.

Technisierung

Wirtschaft

Produktivität

Bodenschätze

Industriestruktur

Energiepreise

Verbraucherverhalten

Klima

Umweltschutz

Konjunktur

Importabhängigkeit

Abb. 3.1 Der Kreislauf aus Bruttoinlandprodukt (gestrichelt) und Primärenergiebedarf (ausgezo-gen), deren Korrelation den Lebensstandard eines Lands ergibt. Ebenfalls gezeigt sind einige derbestimmenden Faktoren für den Wert des Bruttoinlandprodukt und den des Primärenergiebedarfs

2. Wir benötigen die Energie für ein angenehmes Leben.Die Frage, wann ein Leben als angenehm zu bezeichnen ist, wird sicherlich von jedemMenschen anders beantwortet werden. Im Allgemeinen wird aber die Mehrzahl derWeltbewohner darin übereinstimmen, dass das Leben umso angenehmer ist, je höherder Lebensstandard eines Lands ist. Die Höhe des Lebensstandards ist eine empirischbestimmbare Größe, denn der Lebensstandard ist definierbar mithilfe der Korrelationzwischen zwei anderen messbaren Größen,• dem Primärenergiebedarf PEB eines Lands,• dem Bruttoinlandprodukt BIP eines Lands.Das Bruttoinlandprodukt ist eine ökonomische Größe, sie definiert alle in einem Landhergestellten Güter und erbrachten Dienstleistungen innerhalb eines Jahrs. Um ver-schiedene Länder vergleichen zu können, wird dieser Wert in USD ⋅ a− angegeben,wobei die unterschiedlichen Währungskurse und die Inflationsrate in den USA zu be-rücksichtigen sind. In Abb. 3.1 ist dargestellt, welche Faktoren das Bruttoinlandprodukteines Lands bestimmen (gestrichelter Halbkreis) und welche Faktoren den Primärener-giebedarf (ausgezogener Halbkreis). Diese Liste der Faktoren ist keineswegs vollstän-dig, sondern die Abb. 3.1 zeigt nur beispielhaft einige der Faktoren, deren Gesamtheitund deren Wechselwirkungen untereinander bestimmend für den Lebensstandard ei-nes Lands sind. Einige Faktoren kann ein Land beeinflussen, wie zum Beispiel das Ver-braucherverhalten, andere sind nicht beeinflussbar, wie zum Beispiel die geografischeLage eines Lands.

Page 55: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.1 Empirische Daten 45

An

der

un

g in

%..

1970

200

100

150

5019901980 2000

Jahr

Primärenergiebedarf PEBBruttoinlandprodukt BIP

Verhältnis PEB/BIP

N Amerika

Russland

West Europa

S AmerikaAfrika

O Asien

500

100

1000

200019901980Jahr

Pro

zen

tual

e V

erän

der

un

g

PE

B/B

IP

a b

Abb. 3.2 aDie prozentualen Änderungen von Bruttoinlandprodukt, Primärenergiebedarf und demVerhältnis PEB/BIP in Deutschland zwischen den Jahren 1970 und 2001. b Logarithmische Darstel-lung der prozentualenVeränderungder PEB/BIB-Verhältnissevon verschiedenenWeltregionen. DieDaten sind auf den Wert 100% für das PEB/BIB-Verhältnis in Deutschland im Jahr 1970 bezogen

Aus der Messung des Primärenergiebedarfs wissen wir:

Am Anfang des 21. Jahrhunderts bestand ein weltweiter Primärenergiebedarf vonetwa ⋅ kWh ⋅ a−. Daraus ergibt sich bei einerWeltbevölkerung von n = ⋅

Menschen ein mittlerer Pro-Kopf-Bedarf von

PEB()n

≈ ⋅ kWh ⋅ a− . (3.2)

Aber der Pro-Kopf-Bedarf verändert sich mit der Zeit, wie am Beispiel Deutschlands inAbb. 3.2 zu erkennen ist.

In der Abb. 3.2 sind die prozentualen Veränderungen des Bruttoinlandprodukts und desPrimärenergiebedarfs zwischen den Jahren 1970 und 2000 dargestellt. Vor 1990 beziehensich diese Daten allein auf die BRD, da entsprechende Daten für die ehemalige DDR nichtveröffentlicht wurden. Im Jahr 1990 wurde ein stetiger Anschluss zwischen den Daten derBRD und denen von Deutschland insgesamt vorgenommen. Aus der zeitlichen Entwick-lung ergibt sich, dass es innerhalb von 30 Jahren in Deutschland gelungen ist, mit einemnur leicht gestiegenen Primärenergiebedarf eine Zunahme des Bruttoinlandprodukts umfast 100% zu erreichen.

Vergleicht man diese Entwicklung mit der Entwicklung in anderen Regionen der Welt,so sind dort in derMehrzahl der Fälle die Reduktionen der PEB/BIP-Verhältnisse seit 1980nicht so stark. Die prozentualen Veränderungen sind in logarithmischer Darstellung in

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46 3 Der Bedarf an Primärenergie

Abb. 3.2 gezeigt. Diese Darstellung ist auf einen Sollwert 100% für das PEB/BIP-Verhält-nis inDeutschland normiert. Ganz offensichtlich treten recht großeUnterschiede zwischenden einzelnen Regionen auf: Russland besitzt ein extrem großes PEB/BIP-Verhältnis, be-nötigt also besonders viel Primärenergie pro erwirtschaftetem Bruttoinlandprodukt. Diesist sicherlich nicht allein auf die zurückgebliebene Industrialisierung zurückzuführen, son-dern auch durch die Größe dieser Region und durch ihre geografische Lage mit extremenKlimaunterschieden bedingt.Dies trifft ähnlich auch fürNordamerika (USA,Kanada,Me-xiko) zu. Allerdings besitzt diese Region eine moderne Industrialisierung und daher ein6fach besseres PEB/BIP-Verhältnis. Außerdem ist diese Region die einzige der betrachte-ten Regionen, in der sich das Verhältnis innerhalb des betrachteten Zeitraums noch stärkerverbessert hat als in Deutschland. In den anderen Regionen, in denen überwiegend Ent-wicklungsländer liegen, ist das normierte Verhältnis dagegen angestiegen. InWest-Europahat sich eine Entwicklung, ähnlich der in Deutschland, vollzogen. Allerdings wird inWest-Europa ohne Deutschland etwa 10% mehr Primärenergie benötigt, um das gleiche Brut-toinlandprodukt wie in Deutschland zu erwirtschaften.

Das inverse PEB/BIP-Verhältnis wird als Energieeffizienz e_e bezeichnet, i.e. e_e =BIP/PEBmit der Einheit [e_e] = USD ⋅ kWh−. Die Energieeffizienz beantwortet die ein-fache Frage:

Wie viel Primärenergie wird benötigt, um einen vorgegebenen Lebensstandard zuerreichen?

Die Energieeffizienz ist ein essentieller Parameter und der einzige in diesem Buch, wel-cher Aussagen der Physik mit denen der Ökonomie verknüpft1. Diese Verknüpfung istessentiell, so lange der Lebensstandard als Synonym des Bruttoinlandprodukts gilt. Daherverwechsele man insbesondere auch die Energieeffizienz – eine Größe mit Einheit – nichtmit demWirkungsgrad (Abschn. 2.3) oder dem Energiesparen (Kap. 10) – beides Größenohne Einheit. Es ist durchaus vorstellbar, dass Verbesserungen bei diesen beiden so teuersind, dass sie die Energieeffizienz insgesamt verschlechtern.

Die Beantwortung der oben gestellten Frage ist schwierig und mir ist kein Versuch be-kannt, eine theoretische Antwort zu geben. Vielmehr ist man gezwungen, heuristisch vor-zugehen und die Antwort in den Daten zu finden, wie es im Abschn. 3.1.1 versucht wird.

Betrachtet man nämlich nicht Länderkategorien, sonder einzelne Länder, so ist der Pri-märenergiebedarf pro KopfPEB = PEB/n (normierter Primärenergiebedarf) keineswegsder gleiche in jedem Land, sondern kann von Land zu Land sehr verschieden sein. Aber esexistiert eine Korrelation zwischen dem normierten Primärenergiebedarf PEB und demBruttoinlandprodukt pro Kopf BIP = BIP/n (normiertes Bruttoinlandprodukt):

1 Es gibt mindestens einen weiteren, nämlich den Energiepreis, der in Abschn. 3.1.1 kurz betrachtetwird.

Page 57: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.1 Empirische Daten 47

Je größer der Primärenergiebedarf in einem Land ist, um so höher ist in der Regelauch das Bruttoinlandprodukt dieses Lands.Die Länder, in denen beideGrößen hoheWerte erreichen, besitzen einen hohen Lebensstandard.

Man kann diese Korrelation zwischenPEB und BIP anhand der Abb. 3.3a und 3.3b de-monstrieren, welche, nach Ländern aufgeschlüsselt, diese Größen für die Jahre 1970 und2000 darstellen. Es lohnt sich, diese beiden Übersichten genau zu betrachten und ihre Aus-sagen zu analysieren.

Vom Jahr 1970 bis zum Jahr 2000 hat sich der normierte Primärenergiebedarf nur un-wesentlich verändert. Dagegen ist das normierte Bruttoinlandprodukt besonders in denLändern, in denen es bereits 1970 hohe Werte besaß, in den folgenden 30 Jahren nocheinmal um etwa das Vierfache gestiegen. Im Mittel hat daher die Energieeffizienz im Lau-fe dieser Zeit zugenommen. Heute wird mit dem gleichen Einsatz von Primärenergie einhöheres Bruttoinlandprodukt erzeugt, als es noch 1970 der Fall war. Dabei hat die Ver-besserung keineswegs in allen Ländern einheitlich stattgefunden. Sondern es gibt Länder,und dabei handelt es sich überwiegend um hoch-industrialisierte Länder, mit einer über-durchschnittlichenZunahme ihrer Energieeffizienz. In derAbb. 3.4a und 3.4bwerden dieseDaten für die Jahre 1970 und 2000 miteinander verglichen. Während 1970 die Energieef-fizienz noch in fast allen Ländern mit Ausnahme der Schweiz unterhalb einer Grenze von0,3 USD pro kWh lag, überschritten im Jahr 2000 viele Länder diese Grenze.

Bei anderen, wie zum Beispiel Indien, hat sich während dieses Zeitraums an den Ener-gieeffizienzen nur wenig geändert. Aber für die Gesamtentwicklung auf der Welt ist vonBedeutung, dass diese Länder auch die Ländermit den höchsten Bevölkerungszahlen sind.Zum Beispiel lebten Anfang des 21. Jahrhunderts in China ca. 1275 Millionen Menschenund in Indien ca. 1002 Millionen Menschen. Diese Menschen zusammen machen bereitsfast 40% der Weltbevölkerung aus.

Es ist aber davon auszugehen, dass in Zukunft auch diese Länder große Anstrengungenunternehmen werden, um ihre Energieeffizienzen zu verbessern. Und dass eine Verbesse-rung möglich ist, ist von den hoch-industrialisierten Ländern demonstriert worden. Aufder P-Ebene werden wir uns mit diesem Problem weiter auseinandersetzen und für dieKorrelation zwischen Bruttoinlandprodukt und Primärenergiebedarf sowie deren zukünf-tige Entwicklung eine mathematische Beschreibung finden. Die statistischen Daten lassenauf jeden Fall erwarten, dass die einzusetzende Energiemenge, um ein angestrebtes Brut-toinlandprodukt zu erreichen, in Zukunft langsam abnehmen, die Energieeffizienz alsosteigen wird. Die in diesem Buch gemachten Prognosen werden diese Veränderung be-rücksichtigen. Das bedeutet aber noch nicht, dass deshalb auch der Primärenergiebedarfder Welt in Zukunft abnehmen wird, sondern nur, dass der Anstieg des Bedarfs länderab-hängig etwas weniger stark erfolgt.

Das Fazit dieser Diskussion lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

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48 3 Der Bedarf an Primärenergie

2

3

4

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10

10

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USA

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SudafrikaZypern

Panama Iran

Portugal

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Schweden

AustralienNiederlande

BelgienDeutschland

IrlandVenezuela

Jugoslawien

Kolumbien

PakistanIndien

Indonesien

Schweiz

Frankreich

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Grossbritanien

Griechenland

Israel

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Algerien

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Marokko

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Bolivien

Peru

2

3

4

10 10013(10 kWh/a)

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10

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Primärenergiebedarf pro Kopf

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Ungarn

Argentinien

Gabun

RumanienIran

Kanada

SudafrikaRussland

JugoslawienMarokko

Indonesien

Indien

Pakistan

Nigeria

AustralienBelgien

Korea

Neuseeland

FinnlandSchweden

AlgerienAgypten

China

SchweizJapanIrland

GrossbritanienNiederlande

ItalienIsrael

SpanienGriechenland

Portugal

Mexiko

BrasilienTurkei

Kolumbien

Philippinen

SimbabweAngola

Vietnam

Deutschland

KuweitFrankreich

a

b

Abb. 3.3 Die Korrelation zwischenBruttoinlandprodukt und Primärenergiebedarf im Jahr 1970 (a)und im Jahr 2000 (b)

Page 59: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.1 Empirische Daten 49

0,6

0,3

0,2

0,1

0,5

0,4..

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Abb. 3.4 Die Energieeffizienz in Abhängigkeit vom Bruttoinlandprodukt pro Kopf im Jahr 1970 (a)und im Jahr 2000 (b)

Page 60: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

50 3 Der Bedarf an Primärenergie

• Die Energieeffizienz hat in den meisten Ländern seit 1970 zugenommen• In einigen Ländern allerdings hat sie sich praktisch nicht verändert und dies sind Län-

der, welche schon 1970 eine geringe Energieeffizienz aufwiesen.• Es ist bisher keinem Land gelungen, seine Energieeffizienz auf einen Wert

e_e ≥ USD ⋅ kWh− zu steigern, dies scheint eine obere Grenze zu sein.

3.1.1 P-Ebene: Korrelation zwischen Bruttoinlandprodukt undPrimärenergiebedarf

Wir wollen jetzt ein mathematisches Modell für die Korrelation zwischen Bruttoinland-produkt und Primärenergiebedarf angeben.

Die EnergieeffizienzMit dem Begriff Energieeffizienz verbinden wir denWert des BIP/PEB-Verhältnisses, alsoden Bedarf an Primärenergie PEB, die zur Erlangung eines bestimmten Bruttoinlandpro-dukts BIP benötigt wird2. Damit besitzt die Energieeffizienz eine klare Definition, die sichvon der Definition des Energiewirkungsgrads (siehe Abschn. 2.3) eindeutig unterscheidet.Verschiedene Länder undRegionen derWelt wirtschaften bis heutemit verschiedenen Stu-fen der Energieeffizienz. In den hoch-industrialisierten Ländern (hauptsächlich in Europa)ist die Energieeffizienz sehr hoch, in den wenig industrialisierten Ländern (wie zum Bei-spiel Afrika) ist die Energieeffizienz noch sehr gering. Wir können aber annehmen, dassdie Energieeffizienz in allen Ländern mit der Zeit steigen wird, also die Industrialisierungzunehmen wird.

Die Abb. 3.3 gibt direkt einen Hinweis, wie sich die Energieeffizienz und ihre zeitli-che Entwicklung mathematisch behandeln lassen. Die Abb. 3.3 ist eine doppelt logarithmi-sche Darstellung, daher gehorcht jede Gerade in dieser Darstellung (wie auch die in denAbb. 3.3a und unten gezeigten Geraden) der Funktion

BIPBIP

= (

PEBPEB

)

α, (3.3)

wobei der Exponent α selbst eine Funktion der Zeit ist.3 Die Anpassung von (3.3) an diein den Abb. 3.3a und 3.3b gezeigten Geraden ergibt für die auftretenden Parameter die

2 Das BIP/PEB-Verhältnis wird in der Literatur auch öfters mit dem Begriff „Energieintensität“ ver-sehen. Die Intensität ist eine wohldefinierte physikalische Messgröße, sie besitzt die Einheit vonEnergie-mal-Geschwindigkeit-pro-Volumen oder Leistung-pro-Fläche. Sie ist daher identisch zurEnergiestromdichte oder Leistungsflächendichte. Der Begriff „Energieintensität“ ist physikalischsinnlos.3 Die Energieeffizienz ergibt sich als Lösung des Systems von 2 Differentialgleichungen (dPEB/dt ∝PEB und dBIP/dt ∝ BIP, siehe Abschn. 3.4.1), aus welchen die physikalische Größe t entfernt wird.Auf die Schwierigkeiten, welche die ökonomische Größe BIP bereitet, ist in Abschn. 2.1.1 hingewie-sen worden.

Page 61: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.1 Empirische Daten 51

folgenden Werte:BIP/n = USD ⋅ a−

PEB/n = kWh ⋅ a−

α = im Jahr 1970,α = , im Jahr 2000.

(3.4)

Nehmen wir an, dass sich α linear mit der Anzahl der Jahre seit 1970 vergrößert, dannbesitzt α die Form

α = + , (y − ) mit der Einheit [y] = a. (3.5)

Die Energieeffizienz eines Lands ist in diesem Modell gegeben durch

BIPPEB

=

(

PEB/n

)

α−

in USD pro kWh. (3.6)

Dies ist eine nichtlineare Gleichung PEB = f (BIP, n, t), die mithilfe der Energieeffizienznäherungsweise gelöst wird:

PEB(t) =BIP(t)e_e(t)

mit e_e = ,(PEB(t − Δt) n(t)

)

α−

.

Daraus ergibt sich, dass die Energieeffizienz mit wachsendem PEB zunimmt, mit wachsen-der Bevölkerungszahl n aber abnimmt, so lange α(t) > ist. Allerdings wird die Zeitab-hängigkeit, die in demExponenten α(t) steckt, allein bestimmt durch dasVerhalten einigerweniger Länder, die im Jahr 2000 bereits eine Energieeffizienz von über ,USD ⋅ kWh−

erzielten (sieheAbb. 3.4b). Betrachtenwir andere Länder, und zudenen zählen die bevölke-rungsreichsten Länder wie Indien und China, so hat sich deren Energieeffizienz zwischenden Jahren 1970 und 2000 praktisch nicht verändert und beträgt konstant

BIPPEB

=

= ,USD ⋅ kWh− . (3.7)

Erst in der Zukunft wird sich erweisen, ob es auch diesen Ländern gelingt, ihre Energieef-fizienz mit der Zeit zu steigern.

Es sollte aber jedermann klar sein, dass es sich bei diesen Schlussfolgerungen um dieAussagen eines Modells handelt, dass auf den empirische Daten für die Jahre 1970 und2000 basiert, also auf Daten aus einem kleinen Zeitraum. Derartige Schlussfolgerungenmüssen mit Skepsis betrachtet werden. Um aber zukünftige Entwicklungen zu prognos-tizieren, sind Modelle notwendig. Wir werden daher das eben eingeführte Modell (3.3)verwenden, das immerhin eine optimistische und vielleicht sogar zu optimistische Aussa-ge über zukünftige Entwicklungen macht.

Page 62: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

52 3 Der Bedarf an Primärenergie

Abb. 3.5 Die Verknüpfun-gen zwischen Primärenergieund Lebensstandard über dieEnergieeffizienz und den Ener-giepreis

Energie

Energiepreis

Energieeffizienz

standardLebens−

Der EnergiepreisEbenso wie die Energieeffizienz ist der Energiepreis ein essentieller Parameter, der angibt,wie viel unseres Lebensstandards geopfert werdenmuss, um eine gesicherte Energieversor-gung zu erlangen. In diesem Buch wird dem Energiepreis allerdings nicht die Bedeutunggegeben, die ihm eigentlich zusteht, weil seine Entwicklung nicht mit der Sicherheit vor-hergesagt werden kann, die man für Prognosen benötigt. Der wesentliche Grund ist, dasssich der Energiepreis manipulieren lässt, und zwar von

• Regierungen: Die bekanntesten Beispiele sind das deutsche „Erneuerbare-Energien-Gesetz“ und die staatlichen Subventionen für die chinesische Produktion von Foto-dioden.

• Spekulanten: Lange Liegezeiten von beladenen Öltankern ebenso, wie der Handel mitEnergieoptionen, täuschen eine nichtreale Energieverknappung vor, die den Energie-preis hochtreibt.

Was sich allerdingsmit Sicherheit vorhersagen lässt, ist, dass der Energiepreis in Zukunftweiter steigen muss, weil die Reserven an fossilen Energieträgern abnehmen werden. Aberwo liegt die Grenze des Preisanstiegs, ab der eine Volkswirtschaft nicht mehr, wie bisher,funktionieren wird?

Es ist sicherlich kein Zufall, dass der Energiepreis e_p und die Energieeffizienz e_edieselbe Einheit USD ⋅ kWh− besitzen4. Beide fungieren als Parameter innerhalb der Ver-knüpfung zwischen Primärenergie PEB und Lebensstandard BIP, wie sie in der Abb. 3.5dargestellt ist: Mithilfe von e_e wächst der Lebensstandard, aufgrund von e_p nimmt erab. Pro Zeiteinheit dt gilt (man beachte, dass dPEB/dt < ist):

dBIP(+)

dt= −e_e

dPEBdt

dBIP(−)

dt= +e_p

dPEBdt

Die Summe aus Zuwachs und Abnahme beträgt:

dBIPdt

= (e_p − e_e)dPEBdt

4 Das macht das Verhältnis von beiden auch unabhängig von ökonomischen Veränderungen, wiez. B. der Inflation.

Page 63: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.2 Die ve- und we-Länder 53

Damit der Lebensstandard insgesamt zunimmt, dBIP/dt > , muss die Energieeffizienzgrößer sein als der Energiepreis.

Dies ist nur eine notwendige Bedingung, hinreichend wird sie erst, wenn das Verhältnise_e/e_p bekannt ist. In dem Begleitmanuskript „Energie4“ wird die untere Grenze zu

(e_e/e_p)lim ≈

abgeschätzt. Für die Zukunft unserer Energieversorgung wäre es aber von großer Bedeu-tung, wenn diese Grenze besser bekannt wäre. Denn das e_e/e_p-Verhältnis legt eine öko-nomische Bedingung fest, während das eigentlicheThema dieses Buchs die physikalischenBedingungen sind, die eine gesicherte Energieversorgung ermöglichen.

3.2 Die ve- undwe-Länder

Die Abb. 3.3 und 3.4 machen deutlich, dass sich Länder sehr stark in ihrem normiertenBruttoinlandprodukt unterscheiden. Für unsere weiteren Diskussionen ist es vorteilhaft,diesen Unterschied auch dadurch zu berücksichtigen, dass wir alle Länder in 2 Klassen ein-ordnen, wobei beide Klassen durch eine Grenze des Bruttoinlandprodukts von USD ⋅a− pro Kopf im Jahr 2000 getrennt sind. Diese Grenzemarkiert imWesentlichen den Gradder industriellen Entwicklung, den ein Land zu diesem Zeitpunkt entweder schon über-schritten oder noch nicht erreicht hat.

Länder, die ein höheres Bruttoinlandprodukt erwirtschaften, bezeichnenwir als ve-Län-der. Diese Abkürzung steht für „voll entwickelt“ oder „viel Energie“, denn diese Länderhaben in der Regel auch einen großen Bedarf an Primärenergie. Länder und Regionen inder Klasse der ve-Länder mit Einwohnerzahlen von über sind zum Beispiel

Einwohnerzahl BIP(USD ⋅ a−) PEB(kWh ⋅ a−)Japan , ⋅ , ⋅ , ⋅

Nordamerika , ⋅ , ⋅ , ⋅

Europa(OECD) , ⋅ , ⋅ , ⋅

Länder, die ein geringeres Bruttoinlandprodukt erwirtschaften, bezeichnenwir alswe-Län-der. DieseAbkürzung steht für „wenig entwickelt“ oder „wenig Energie“, denn diese Länderbesitzen in der Regel einen kleineren Primärenergiebedarf als die ve-Länder. Eine promi-nente Ausnahme von dieser Regel stellt Russland dar. Die Regionen der Welt, die zu derKlasse der we-Länder gehören, sind zum Beispiel

Einwohnerzahl BIP(USD ⋅ a−) PEB(kWh ⋅ a−)Südamerika , ⋅ , ⋅ , ⋅

Afrika , ⋅ , ⋅ , ⋅

Asien (ohne Japan, GUS-Staaten und Westasien)

, ⋅ , ⋅ , ⋅

Page 64: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

54 3 Der Bedarf an Primärenergie

Nicht erfasst in diesen beiden Zusammenstellungen sind die Regionen Mittelamerika undKaribik, Westasien (vorderer Orient), Ozeanien (mit Australien und Neuseeland als größ-ten Ländern) und die GUS-Staaten (mit Russland als größtem Land). In diesen Ländernleben fast 10% der Weltbevölkerung, ihre Zuordnung zu einer der beiden Länderklassenmacht jedoch Schwierigkeiten. Soll zum Beispiel Russland der Klasse der we-Länder zu-geordnet werden, wohin es nach dem Zuordnungskriterium eigentlich gehört, obwohl es,verglichen mit der Republik Kongo, sicherlich einen viel höheren Grad der Industriali-sierung besitzt? Und in welche Klasse sollen die Erdölförderländer im vorderen Orienteingeordnet werden, die sich sowohl durch einen großen Primärenergiebedarf wie auchdurch ein hohes Bruttoinlandprodukt (aus den Erdöleinnahmen) auszeichnen?Hiermachtsich bemerkbar, dass das Bruttoinlandprodukt und der Primärenergiebedarf eines Landsauch von Faktoren abhängen, die sich nur wenig beeinflussen lassen und deren Entwick-lung daher nicht dem allgemeinen Trend folgen muss.

Trotz dieser Schwierigkeiten ergibt sich etwa die folgende Ausgangssituation:

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts betrug der globale Primärenergiebedarf

PEB ≈ ⋅ kWh ⋅ a− ,

der gleich groß war wie das Primärenergieangebot PEA aus fossilen Energien

PEB = PEA = PEA(foss) .

Energie und Wohlstand waren verteilt auf

• Die ve-LänderEinwohnerzahl: n = , ⋅ MenschenPrimärenergiebedarf pro Kopf: PEB/n = ⋅ kWh ⋅ a−

Bruttoinlandprodukt pro Kopf: BIP/n = ⋅ USD ⋅ a−

• Die we-LänderEinwohnerzahl: n = , ⋅ MenschenPrimärenergiebedarf pro Kopf: PEB/n = ⋅ kWh ⋅ a−

Bruttoinlandprodukt pro Kopf: BIP/n = ⋅ USD ⋅ a−

In dieser Einteilung kommen die wichtigsten Tatsachen über die damaligen Lebensver-hältnisse der Weltbevölkerung zum Ausdruck:

Etwa 25% der Weltbevölkerung lebten in Ländern mit einem gehobenen Lebensstan-dard und 75% derWeltbevölkerung besaßen nur einen sehr geringen Lebensstandard, derwohl oft nur das Überleben gestattete und manchmal auch das nicht.

Page 65: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.3 Bedarfssektoren für Endenergie 55

Der Primärenergiebedarf pro Kopf war in den ve-Ländern etwa 10mal größer als in denwe-Ländern. Aber mit diesem höheren Energiebedarf wurde ein 20mal höheres Bruttoin-landprodukt pro Kopf der Bevölkerung erzeugt. Dies war eine Folge der größeren Ener-gieeffizienz in den ve-Ländern, die auf einer fortgeschrittenen Industrialisierung in diesenLändern beruhte.

3.3 Bedarfssektoren für Endenergie

Man kann die Primärenergie als die Rohform der Energie betrachten, die durch Energie-wandlungen zur Endenergie veredelt und damit nutzbar gemacht wird. An diesem Prinzipwird sich auch in Zukunft nichts ändern: Die Strahlungsenergie der Sonne ist als solchenicht nutzbar, sondern erst die aus der Sonnenenergie gewandelte Endenergie. Um denBedarf an Endenergie zu spezifizieren, führen wir die Bedarfssektoren ein. Darin werdenzum einen die Abnehmer der Endenergie zusammengefasst, zum anderen die Aufgaben,die mithilfe der Endenergie bewältigt werden müssen. Die Definition der Bedarfssektorenund ihr jeweiliger Bedarf an Endenergie geschieht anhand der Situation in den ve-Ländernzu Beginn des 21. Jahrhunderts. Daher kann sich diese Einteilung in Zukunft ändern,wenndie fossilen Energieträger durch erneuerbare oder alternative Energieträger ersetzt werdenmüssen. Dieser Wandel gewinnt zusätzliche Bedeutung dadurch, dass die fossilen Energie-träger nicht nur die heute dominante Form der Primärenergie darstellen, sondern auch dieBasis für die Petrochemie bilden. Zur Zeit werden etwa 7% der fossilen Energieträger alsRohstoff in der chemischen Industrie verwendet. Sind diese in absehbarer Zeit nicht mehrvorhanden, so wird diese Industrie auch ihrer Grundlage beraubt: Die Kohlenwasserstoffemüssten aus der vorhandenen Biomasse synthetisiert werden, deren Verfügbarkeit durchden natürlichen Kohlenstoffzyklus gegeben ist. Mit diesem Zyklus werden wir uns im Ab-schn. 6.2.1 beschäftigen.

Für die Endenergie, die aus den fossilen Energieträgern imReferenzjahr gewandelt wur-de, ergeben die folgenden Bedarfssektoren:

AbnehmerIndustrieVerkehr

Private HaushalteKleinabnehmer

AufgabeMobilität

RaumwärmeProzessenergieElektrizität

Unter den Kleinabnehmern versteht man imAllgemeinen die Einrichtungen, die eine ähn-liche Form des Endenergiebedarfs besitzen wie die privaten Haushalte, aber diesem Sektornicht zugerechnet werden können. Dazu gehören zum Beispiel öffentliche Dienste, Mi-litär, Handel und Gewerbe. Die Prozessenergie ist das, „was die Maschinen zum Laufenbringt“. In dem Sektor „Prozessenergie“ ist als Teil auch die Prozesswärme enthalten. DerUnterschied zwischen der Raumwärme und der Prozesswärme besteht in der Tempera-

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56 3 Der Bedarf an Primärenergie

30%

25%

30%

15%Industrie

Verkehr

PrivateHaushalte

Kleinabn.

34%

35%

29%

2%

Mobilität

Raum-wärme

Prozess-energie

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a b

Abb. 3.6 Die Größe der Sektoren für die Abnehmer (a) und für die Aufgaben (b) der Endenergie.Die roten Flächen stellen den Anteil der elektrischen Energie in jedem der Sektoren dar. Die angege-benen Zahlen sind Richtwerte und illustrieren, bei Fortschreibung des Zustands in den ve-Ländern,auch die zukünftige Entwicklung auf der Erde

tur: Raumwärme ist Niedertemperaturwärme (T ist kleiner als die Körpertemperatur),Prozesswärme istHochtemperaturwärme (T ist größer als die Körpertemperatur). In denprivaten Haushalten dient Prozesswärme zum Beispiel zum Kochen.

Die Größe der Sektoren sowohl für die Abnehmer, wie auch die Aufgaben, ist sicherheute noch abhängig davon, ob sich ein Land in der Klasse der ve- oder we-Länder befin-det. Wir gehen aber davon aus, dass diese Unterschiede im Laufe der Zeit kleiner werdenund im Wesentlichen an die Verteilung angleichen werden, die heute schon für die ve-Länder repräsentativ ist. Bezüglich der Abnehmer ist diese Verteilung in der Abb. 3.6agezeigt, bezüglich der Aufgaben in 3.6b. Jeder der Abnehmer wird die bezogene Endener-gie für eine etwas andere Verteilung von zu bewältigenden Aufgaben einsetzen. Dabei ist,auch in Hinblick auf die Zukunft, von besonderem Interesse, welcher Anteil dieser Auf-gaben mithilfe elektrischer Energie als einer besonderen Form der Endenergie zu Beginndes 21. Jahrhunderts bewältigt wurde5. In der Tab. 3.1 ist eine prozentuale Übersicht zu-sammengestellt, wobei die Prozentzahlen in den Klammern angeben, wie groß der Anteilelektrischer Energie an dem Gesamtbedarf ist. Aus dieser Zusammenstellung lassen sichdie folgenden Schlussfolgerungen ziehen:

• Es wird ca. 20% der Endenergie als elektrische Energie an die Abnehmer geliefert, derRest der Endenergie besteht zum größten Teil aus chemischer Energie.

• Der größte Teil der Endenergie wird in den ve-Ländern für dieMobilität benötigt, wobeidie Anforderungen im Sektor „Verkehr“ besonders hoch sind. Der Beitrag der elektri-schen Energie zur Bewältigung dieser Aufgabe ist relativ gering.

• Die Bereitstellung von Raumwärme und von Prozessenergie beanspruchen einen etwagleich großen Anteil der Endenergie, nämlich für jede der beiden Aufgaben ca. 30%.

5 Gehtman von einemallgemein gültigenWert desNutzungsgrads ζ, aus, so entspricht dieser Anteilauch dem Primärenergieäquivalent der elektrischen Energie.

Page 67: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.4 Die Energieprognosen 57

Tab. 3.1 Die prozentualen Bedarfsanteile der Endenergie in den verschiedenenSektorenderAbneh-mer und derAufgaben im Jahr 2000.Die Zahlen in denKlammern zeigen denBeitrag, den elektrischeEnergie bei der Versorgung mit Endenergie stellt, die letzte Spalte zeigt den Gesamtbeitrag

Mobilität 35% Raumwärme 34% Prozessenergie 29% Elektrizität 20%Industrie 25% 1% (1%) 3% 21% (10%) 11%Verkehr 30% 30% (1%) 1%Priv. Haushalte 30% 23% (1%) 7% (3%) 5%Kleinabnehmer 15% 4% 9% (1%) 2% (1%) 3%

Davon ist wegen ihrer geringen Temperatur die Umwandlung der Endenergie in Raum-wärme mit den heute üblichen Techniken (Öl- oder Gasheizung) besonders ineffizient,denn dieser Umwandlungsprozess besitzt einen extrem kleinen ExergiewirkungsgradηE.

Man beachte, dass sich die prozentualen Anteile nur in den Sektoren für die Abnehmer zueinem Gesamtanteil von 100% addieren. In den Sektoren für die Aufgaben ist die Summegrößer als 100%, weil die elektrische Energie in mehr als nur einem Sektor vertreten ist(siehe auch Abb. 3.6).

3.4 Die Energieprognosen

Wir haben jetzt genügend empirisches Material gesammelt und ausführlich die physika-lischen Grundlagen der Energiewandlung diskutiert, so dass wir uns nun mit Prognosenzur weiteren Entwicklung des Energiebedarfs im 21. Jahrhundert beschäftigen können.

Eine Prognose ist immer eine Extrapolation der vergangenen Entwicklung und der au-genblicklichen Situation in die Zukunft.Mathematisch ist dies ein Standardverfahren: Exis-tierende Datenpunkte werden benutzt, um eine Funktion (meistens eine Reihenentwick-lung) zu erzeugen, deren Verlauf in den Bereich nicht-existierender Datenpunkte verfolgtwird. Das bedeutet, man bestimmt anhand vorhandener Informationen über die Größe Xden Zusammenhang

X = X(t)

zu den Zeiten t ≤ und untersucht das Verhalten von X(t) für t > .Die Schwäche dieses Verfahrens ist offensichtlich: Das Verhalten von X(t) für t ≫

wird davon abhängen, welche Form die Funktion X(t) besitzt, also welche Formwir als re-präsentativ für die zukünftige Entwicklung angenommenhaben.Dieser Einwand ist jedochnicht so schlagend, wie es zunächst erscheint. Die zeitliche Veränderung einer Größe, dasbedeutet derDifferentialquotient dX(t)/dt, wird in derNatur sehr oft durch denWert derGröße X = X(t) selbst bestimmt. Dieser Zusammenhang legt die Form der Funktion X(t)fest, mit der zukünftige Entwicklungen beschrieben werden müssen. Das beste Beispiel fürein derartiges Verhalten ist die Anzahl der Kinder, also die Zunahme der Bevölkerung,die selbst von der Größe der Bevölkerung abhängt. Ist die Anzahl der Menschen klein,

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58 3 Der Bedarf an Primärenergie

wird auch die Anzahl ihrer Kinder klein sein. Diese Aussage ist natürlich nur im Prin-zip richtig. Man könnte sofort einwänden, dass keine Kinder mehr geboren werden, wenndie Bevölkerung zum Beispiel nur männlich ist, und zwar unabhängig davon, wie großdie Bevölkerungszahl wirklich ist. Einwände solcher Art müssen in den funktionalen Zu-sammenhang zwischen dX(t)/dt und X(t) natürlich berücksichtigt werden, wodurch einProblem sehr kompliziert werden kann. Irgendwann wird ein Problem dann so kompli-ziert, dass es mit einfachen Methoden nicht mehr gelöst werden kann. Prognosen müssendannmit vereinfachenden Annahmen erstellt werden, was für diese Prognose ein gewissesMaß an Unsicherheit in ihren Vorhersagen bedeutet. Die Beispiele für derartige Zusam-menhänge werden uns später noch begegnen.

Die Art und Weise, wie wir die Prognose über die Entwicklung des Primärenergie-bedarfs erstellen werden, basiert auf der Folge zwischen Ursache und Wirkung in denwichtigsten Parametern der Zukunft:

Bevölkerungszahl→ Lebensstandard→ Primärenergiebedarf

Die Entwicklung der Bevölkerungszahl kann mithilfe der mathematischen Methoden un-tersucht werden, die wir gerade beschrieben haben. Ebenso kennen wir den empirischenZusammenhang zwischen dem Lebensstandard eines Lands, ausgedrückt durch sein Brut-toinlandprodukt, und seinem Bedarf an Primärenergie. Wir wissen auch anhand der em-pirischen Daten, wie sich dieser Zusammenhang zeitlich verändert. Wesentlich unklarerist, welche Entwicklung das Bruttoinlandprodukt in den einzelnen Ländern, also denender Klasse der ve- bzw. we-Länder, nehmen wird. Am Anfang des 21. Jahrhunderts be-stand zwischen diesen beiden Länderklassen noch ein Unterschied von einem Faktor 20in ihrem normierten Bruttoinlandprodukt. In der Zukunft, in der die Globalisierung derVolkswirtschaften weiter fortschreiten wird, muss sich dieser Unterschied ausgleichen.Das bedeutet, die we-Länder werden ihr Bruttoinlandprodukt schneller steigern, als dasin den ve-Ländern der Fall ist. Unsicher ist, wie groß diese Steigerungsraten sein werden.

In den Prognosen besitzt daher die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts die größtenUnsicherheiten.Wir werden verschiedene Annahmenüber die Entwicklungsraten machenund untersuchen, wie diese Raten die Entwicklung des Primärenergiebedarfs beeinflussen.

3.4.1 P-Ebene: Die Grundlagen von Prognosen

Differentialgleichungen und elementare FunktionenPrognosen tragen oft den Makel, ohne ein ausreichend gesichertes Fundament erstellt zuwerden. Mathematisch gesehen sollte das Fundament einer Prognose immer eineDifferen-tialgleichung vom Typ

dnX(t)dtn

= f (X , t) (3.8)

Page 69: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

3.4 Die Energieprognosen 59

sein, welche die zukünftige Entwicklung der Größe X(t) an die Werte f (X , t) zur Zeitt = t koppelt. Viele Naturgesetze besitzen die Form einer Differentialgleichung, das be-kannteste Beispiel ist vielleicht das 2. Newton’sche Gesetz, welches die Abhängigkeit derBewegung x(t) einer Massem von der Kraft F beschreibt:

dx(t)dt

=

Fm.

Aber auch elementare Vorgänge in der Natur werden ähnlich beschrieben. Ist zum Bei-spiel die zeitliche Veränderung der Größe n(t) (Bevölkerungszahl) proportional zu dieserGröße selbst, so gehorcht n(t) der Differentialgleichung

dn(t)dt

∝ n(t), (3.9)

was als einzig mögliche Lösung n(t) ∝ exp(t/τ) ergibt, also den exponentiellen Anstiegoder Abfall, je nach dem Vorzeichen von τ. Ein ähnlich elementarer Vorgang ist auch diezeitliche Entwicklung der Größe n(t) zwischen der unteren Grenze nmin und der oberenGrenze nmax, welche als einzige Lösung die „Wachstumsfunktion“ zulässt, die wir in Ab-schn. 5.6.1 behandeln.

So lange daher Prognosen ein derartiges Fundament besitzen, besitzen sie auch einerelativ gesicherte Aussagekraft.

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4DasWachstum und seine Grenzen

In diesem Kapitel werden wir uns mit drei Entwicklungen beschäftigen, nämlich der

• Entwicklung derWeltbevölkerung,• Entwicklung des Bruttoinlandprodukts,• Entwicklung des Primärenergiebedarfs.

Entwicklungsprognosen werden bis in die Mitte oder das Ende des 22. Jahrhunderts er-stellt. Manchenmag dieser Zeitraum viel zu groß erscheinen, denn gesicherte Vorhersagenüber zukünftige Entwicklungen sind normalerweise nur für die folgenden 20 bis 30 Jahremöglich. Es ist jedoch ein Missverständnis anzunehmen, dass eine Prognose immer tat-sächlich eintretende Entwicklungen fehlerfrei vorhersagenmuss. Vielmehr ist es auch Sinneiner Prognose aufzuzeigen, dass sich unter den und den Voraussetzungen die und dieEntwicklungen in der Zukunft vollziehen werden. Stoßen diese Entwicklungen an die vonder Natur gesetzten – und durch physikalische Gesetze beschriebenen – Grenzen, so kannman ganz sicher sein, dass sie nicht stattfinden werden. In diesem Sinn ist auch ein Pro-gnosezeitraum von 150 Jahren nicht sinnlos, sondern kann im Gegenteil sehr instruktivsein.

4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung

Ausgangspunkt für unsere Prognosen ist die zukünftige Entwicklung der Weltbevölke-rung. Man kann annehmen, dass die Bevölkerungszahl auf der Erde in der Vergangenheitüber lange Zeiträume hinweg zwar stetig, aber nur langsam zugenommen hat. Diese gerin-ge Zunahme warmehr oderminder gleichmäßig über die Erde verteilt. An dieser Situationhat sich mit dem Einsetzen der Industrialisierung in der Mitte des 19. Jahrhunderts einschlagartiger Wandel vollzogen. Und zwar zunächst in den ve-Ländern aufgrund der fort-schreitenden Technisierung und den damit verbundenen Verbesserungen in der medizi-

61D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_4,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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62 4 Das Wachstum und seine Grenzen

20001000 30000

3

6

9

Jahr

..W

eltb

evo

lker

un

gsz

ahl

(x 1

0 )9 (3)

(2)

(1)

Abb. 4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung in den letzten 1500 Jahren (ausgezogene Kurve).Die zukünftige Entwicklung (gestrichelte Kurven) setzen den exponentiellen Anstieg fort (1), oder dieBevölkerungszahl nimmt wieder exponentiell ab (2), oder sie pendelt um einen mittleren Wert (3)

nischen Versorgung. Später hat dieser Wandel dann auch auf die we-Länder übergegriffen,so dass heute die Bevölkerungszahlen in den we-Ländern viel schneller zunehmen als inden ve-Ländern, wo sie praktisch seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stagnieren.

Die Gesamtanzahl der Menschen auf der Erde betrug am Anfang des 21. Jahrhundertsca. 6 Milliarden, von denen lebten ca. 1,5 Milliarden Menschen in den ve-Ländern undca. 4,5 Milliarden Menschen in den we-Ländern. Über einen langen Zeitraum betrachtetist dieWeltbevölkerungszunahme ein singuläres Ereignis, wie es in der Abb. 4.1 dargestelltist.

Die zeitliche Entwicklung derWeltbevölkerung wird bestimmt durch dieGeburtenrateund die Sterberate1. Diese beiden Größen lassen sich angeben mithilfe von zwei Koeffi-zienten, dem Geburtenkoeffizient γ und dem Sterbekoeffizient σ . Gewöhnlich werdenin Statistiken allerdings die Geburtenrate durch die mittlere Anzahl der LebendgeburtennG pro Paar (Mann und Frau) und die Sterberate durch dasmittlere Lebensalter YS einesMenschen bestimmt. Diese statistischen Größen sind für die letzten 40 Jahre des 20. Jahr-hunderts in der Abb. 4.2 dargestellt.

Zwischen der Anzahl der Lebendgeburten bzw. dem Lebensalter und den entsprechen-den Koeffizienten bestehen die folgenden Beziehungen:

γ =nG

YS, σ =

YS

mit den Einheiten [γ] = [σ] = a− . (4.1)

Auf der P-Ebene werden wir untersuchen, wie der Geburtenkoeffizient und der Sterbe-koeffizient das zeitliche Verhalten der Bevölkerungszahl beeinflussen. Zur Vereinfachungführen wir diese Untersuchungen zunächst unter folgenden Annahmen durch:

• Der Geburtenkoeffizient ist zeitunabhängig, was auch mit einschließt, dass er unabhän-gig vom Lebensalter ist.

1 Unter dem Begriff „Rate“ verstehenwir die zeitliche Veränderung einer Größe dX pro Zeitintervalldt.

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4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung 63

Leb

ensa

lter

(a)

Jahr1960 1980 2000

80

60

40

−Länderve

−Länder

Welt

we

Geb

urt

enza

hlp

ro P

aar

01960 1980 2000

1

2

3

Jahr

Welt

we −Länder

−Länderve

a b

Abb. 4.2 Die mittlere Anzahl der Lebendgeburten pro Paar (a) und das mittlere Lebensalter einesMenschen (b) während der letzten 40 Jahre des 20. Jahrhunderts. Gezeigt sind die Daten für die ve-und we-Länder und die gesamte Welt

• Auch der Sterbekoeffizient ist zeit- und altersunabhängig.• Die Anzahl der Frauen in der Welt ist gleich der Anzahl der Männer in der Welt.• Je eine Frau und je ein Mann bilden zusammen ein Paar.

Falls diese Annahmen zutreffen, dann lässt die Entwicklungsgleichung der Weltbevölke-rung folgende Aussagen zu:

Die Bevölkerungszahl steigt mit der Zeit exponentiell an, wenn γ > σ ist.Die Bevölkerungszahl nimmt mit der Zeit exponentiell ab, wenn γ < σ ist.Die Bevölkerungszahl verändert sich nicht, wenn γ = σ ist.

Diese Alternativen sind in der Abb. 4.1 als die Fälle (1), (2) und (3) gezeigt.Die bekannten Daten über die Entwicklung der Weltbevölkerung in den vergangenen

200 Jahren lassen den Schluss zu, dass die Annahmen eines zeitunabhängigen Geburten-und Sterbekoeffizienten nicht besonders gut sind: Die Anzahl der Erdbewohner ist schnel-ler gestiegen als es die Entwicklungsgleichungen zulassen. Dies bedeutet sehr wahrschein-lich, dass der Sterbekoeffizient in diesem Zeitraum abgenommen hat, und zwar stärkerabgenommen hat als sich der Geburtenkoeffizient verändert hat (dieser kann entwederzu- oder auch abnehmen). Im Mittel betrug der Geburtenkoeffizient während der letz-ten 200 Jahre

γ = , a− (4.2)

und der Sterbekoeffizientσ = , a− . (4.3)

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64 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Abb. 4.3 Prognosen der UNfür die Bevölkerungsentwick-lung der Welt bis zum Jahr2050. Die Prognosen (1), (2)und (3) unterscheiden sich inder Stärke, mit der die Gebur-ten- und Sterbekoeffizientenauf die steigenden Bevölke-rungszahlen reagieren 1950 2000 2050

2

6

10 (1)

(3)

(2)

Wel

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olk

eru

ng

szah

l.. (x

10

)9

Jahr

Das bedeutet, es ist γ > σ , dieWeltbevölkerung hat also exponentiell zugenommen. Und sowird es in Zukunft weiter gehen, es gilt also der Fall (1) in Abb. 4.1, wenn sich Geburten-und Sterbekoeffizient nicht drastisch verändern.

Bei exponentieller Entwicklung erreicht die Bevölkerungszahl den Wert n = ∞ spä-testens zur Zeit t → ∞, unter Umständen aber auch schon früher, siehe Abschn. 4.1.1.Allerdings ist einsichtig, dass sich dieser Anstieg irgendwann, und wahrscheinlich sogarin nicht allzu ferner Zukunft, abschwächen muss. Der Grund ist, dass die Erde nur ei-ne begrenzte Anzahl von Menschen versorgen kann. Diese optimale Anzahl bezeichnenwir mit nE. Nähert sich die Bevölkerungszahl dieser Grenze, so wird sich der Geburten-koeffizient abschwächen und der Sterbekoeffizient erhöhen, so dass entweder γ = σ (Fall(3) in Abb. 4.1) oder γ < σ (Fall (2) in Abb. 4.1) gilt. Die Veränderungen von γ und σwerden an die Bevölkerungszahlen gekoppelt sein. Dadurch entsteht ein rückgekoppeltesSystem, das zeitlich Schwankungen um die optimale Bevölkerungszahl nE ausführt, sieheAbschn. 4.1.1.

Auch von den Vereinten Nationen (UN) werden laufend Modellrechnungen zur Ent-wicklung der Weltbevölkerung durchgeführt, die bis zum Jahr 2050 reichen. Das Ergebniseiner solchenModellrechnung ist in Abb. 4.3 dargestellt. Dabei wurden Geburten und Ster-bekoeffizienten angenommen, die sich während des betrachteten Zeitraums verändern.

In der Prognose (1) finden nur geringe Veränderungen statt und die Weltbevölkerungsteigt in den nächsten 50 Jahren linear bis auf ca. 12 Milliarden Menschen an.

Bei einer etwas stärkerenÄnderung, in Prognose (2) gezeigt, schwächt sich der Bevölke-rungsanstieg langsamab, hat aber selbst im Jahr 2050 dasMaximumvonüber 10MilliardenMenschen noch nicht erreicht.

Erst bei sehr starken Änderungen, wie in Prognose (3), erreicht die Weltbevölkerungetwa um das Jahr 2050 einen maximalen Wert von 8 Milliarden Menschen (und nimmtanschließend langsam ab).

Diese Prognosen sind sehr ähnlich zu denen, die wir im Abschn. 4.1.1 untersuchenwerden, wobei die Mechanismen, die dieses Verhalten der Bevölkerungszahl verursachen,klar werden. Allerdings ist es eher unwahrscheinlich, dass die UN-Prognose (3) eintritt.Denn sie würde in Zukunft zu großen sozialen Problemen führen, da sich das Verhältnisvon Menschen im Rentenalter zu den Menschen im arbeitsfähigen Alter stark erhöhenwürde. Die Alternative, dass sich die Sterberate von Menschen im Rentenalter bis zum

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4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung 65

2

6

10

2000 2100

ve −LänderBev

ölk

eru

ng

szah

l9

(x 1

0 )

Jahr

Welt

we −Länder

Abb. 4.4 Die Entwicklung der Weltbevölkerung bis zum Jahr 2150 nach den in diesem Kapitel dis-kutierten Modellrechnungen. Der Bevölkerungsanstieg ist in den heutigen we-Ländern wesentlichstärker als in den heutigen ve-Ländern, wobei für letztere die Einwanderung aus den we-Länderneine große Rolle spielt

Jahr 2050 dramatisch erhöht, erscheint bei den Fortschritten in der Medizin wenig wahr-scheinlich. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, ist eine zu schnelleVerlangsamung desBevölkerungsanstiegs gar nicht wünschenswert, obwohl man dies unter dem Aspekt derzukünftigen Energieversorgung wünschen würde.

Anhand unserer eigenen Modellrechnungen (beschrieben in den folgenden Abschnit-ten dieses Kapitels) gehen wir davon aus, dass die maximale Anzahl der Weltbevölkerungbei etwa 10 Milliarden Menschen liegen wird und dass dieses Maximum in der zweitenHälfte des 21. Jahrhunderts erreicht wird. Dabei wird ein deutlicher Unterschied in denBevölkerungszunahmen der ve- und we-Länder beobachtet:

Nur in den we-Ländern werden die Bevölkerungszahlen bis zum Jahr 2050 weiteransteigen, während sie sich in den ve-Ländern nur wenig verändern. Für den Be-völkerungsanstieg auf ca. 10 Milliarden Menschen zum Ende des 21. Jahrhundertssind daher imWesentlichen die we-Länder verantwortlich.

Diese Entwicklung der Bevölkerungszahlen ist in Abb. 4.4 gezeigt. Bei diesen Überlegun-gen ist berücksichtigt, dass es eine Bevölkerungswanderung von denwe-Ländern in die ve-Länder geben wird, die überwiegend von den unterschiedlichen ökonomischen Verhält-nissen in diesen Ländern angetrieben wird. Auf der anderen Seite wird dieGlobalisierungderVolkswirtschaft auf längere Sicht zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse in allenLändern führen und die Bevölkerungswanderung unterdrücken. Diese Entwicklung kannheute schon im Ansatz in den bevölkerungsreichsten Ländern China und Indien beobach-tet werden (siehe Tab. 4.1).

Und schließlich werden an der Einwanderung aus den we- in die ve-Länder bevorzugtMenschen im arbeitsfähigen Alter teilnehmen. Dadurch werden auch die sozialen Proble-me gemildert, die durch die Überalterung der Bevölkerung in den ve-Ländern eintreten

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66 4 Das Wachstum und seine Grenzen

können. Ähnliche Probleme in den we-Ländern werden dadurch aber nicht neu geschaf-fen, da diese ein viel stärkeres Bevölkerungswachstumbesitzen. In demAbschn. 4.1.1 gehenwir auf jeden Fall von der Annahme aus, dass sich die Alterspyramiden in den ve- und we-Ländern ab der Mitte des 21. Jahrhunderts nicht wesentlich unterscheiden werden. DieserTrend ist in der Abb. 4.10 erkennbar.

4.1.1 P-Ebene: Die zeitliche Veränderung der Bevölkerungszahlen

Wir werden jetzt verschiedene Ansätze diskutieren, um die zukünftige Größe der Weltbe-völkerung zu berechnen.

Das Bevölkerungsmodell 1Wir wollen zunächst ein sehr einfaches Modell untersuchen, das zu einer Entwicklungs-gleichung führt, die sich leicht lösen lässt. Solche Modelle sind, trotz ihrer Vereinfachun-gen, sehr nützlich, denn sie lassen die Bedeutung der Modellparameter erkennen undzeigen einen Weg, wie diese Parameter zu modifizieren sind, um sichere Prognosen zuerzielen.

Die zeitliche Veränderung der Anzahl n(t) von Erdbewohnern wird bestimmt durchdie (eigentlich vom Lebensalter abhängigen, hier aber als vom Lebensalter unabhängig an-genommenen) Geburtenraten Gm(t) ,Gw(t) von Männern (m) und Frauen (w), und vonden entsprechenden Sterberaten Sm(t) , Sw(t). Wir vereinfachen das Problem nun ganzentscheidend, indem wir annehmen, dass die Anzahl von Männern und Frauen gleich ist

nm(t) = nw(t) =n(t)

, nm(t) + nw(t) = n(t) (4.4)

und dass dasselbe auch für die Geburten- und Sterberaten gilt

Gm(t) = Gw(t) = G(t)

Sm(t) = Sw(t) = S(t).(4.5)

Die Sterberaten zur Zeit t sind proportional zu den Zahlen der zu diesem Zeitpunkt aufder Erde lebenden Männer und Frauen, also

Sm(t) = σ nm(t) , Sw(t) = σ nw(t). (4.6)

Für die Geburtenrate liegt es nahe anzunehmen, dass diese proportional zu dem Produktnm(t) nw(t) ist. Grundlagen für diese Annahme sind, dass keine Kinder mehr geborenwerden, wenn entweder nm(t) = oder nw(t) = gilt, dass aber die Anzahl der Kindermaximal wird, wenn nm(t) = nw(t) gilt. Das Produkt, also die Parabelfunktion X(x) =x (x−x), ist die einfachste Funktion, die diese drei Bedingungen erfüllt. Wir setzen daher

Page 76: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung 67

anGm(t) = Gw(t) = γ

nm(t) nw(t)n/

, (4.7)

wobei die Geburtenraten auf den Wert der Weltbevölkerung n = ⋅ Menschen imJahr 2000 (t = ) normiert sind. Die Einführung dieser Normierung ist angebracht, damitder Sterbekoeffizient σ und der Geburtenkoeffizient γ dieselbe Einheit besitzen, nämlich[γ] = [σ] = a− . Die zeitlicheVeränderung in derAnzahl derMänner bzw. der Frauen ergibtsich aus der Differenz zwischen den entsprechenden Geburten- und Sterberaten, also

dnm(t)dt

= Gm(t) − Sm(t) = γnm(t) nw(t)

n/− σ nm(t)

dnw(t)dt

= Gw(t) − Sw(t) = γnm(t) nw(t)

n/− σ nw(t).

(4.8)

In der Mathematik nennt man dies ein System von gekoppelten Differentialgleichungen,das sich allerdings leicht durch die Addition der beiden Gleichungen in (4.8) in eine einzigeDifferentialgleichung für das zeitlicheVerhalten der gesamtenWeltbevölkerung umformenlässt:

dn(t)dt

= γn(t)n

− σ n(t). (4.9)

Differentialgleichungen sind die natürliche mathematische Form, um zeitliche Verände-rungen einer Größe X(t) = n(t) zu beschreiben. Die Form der Differentialgleichung legtdie Form der Lösung samt ihrer Eigenschaften fest, wobei die freien Parameter (in unseremFall σ und γ) durch die Daten von n(t) in der Vergangenheit t < festgelegt werden.

Die Differentialgleichung (4.9) hat die Lösung

n(t) = nσ

γ + (σ − γ) exp(σ t), (4.10)

wobei exp(σ t) eine Exponentialfunktion in tmit dem Anstiegskoeffizienten σ beschreibt.Bevor wir die Werte von σ und γ festlegen, wollen wir die Eigenschaften dieser Lösungdiskutieren.

• Für die Vergangenheit (t → −∞) erreicht die Lösung (4.10) den Wert

n(−∞) = nσγ> ,

solange σ > und γ > gilt. Das bedeutet, die Entwicklung der Menschheit hat miteiner endlichen Anzahl von Menschen begonnen, was sicherlich nicht stimmt.

• Auf der anderen Seite divergiert die Lösung (4.10) zu der Zeit t∞, zu der

γ + (σ − γ) exp(σ t∞) =

Page 77: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

68 4 Das Wachstum und seine Grenzen

ist. Die Zeit der Bevölkerungsdivergenz ergibt sich aus dieser Bedingung zu

t∞ =σln

γγ − σ

.

Daher ereignet sich diese Divergenz nur zu einer reellen Zeit, wenn γ > σ ist. Für γ =, a− und σ = , a− (dies sind unsereAbschätzungen für dieWerte vonGeburten-und Sterbekoeffizient in den letzten 200 Jahren) ergibt sich eine Divergenzzeit

t∞ = a.

Das heißt, dieseModellrechnung sagt voraus, dass umdas Jahr 2050 dieGröße derWelt-bevölkerung über alle Grenzenwachsen wird. Auch dies kann sicherlich nicht stimmen.

• Die Lösung (4.10) sagt allerdings auch voraus, dass n(t) = n für alle Zeiten, wennσ = γ ist. Und dies ist eine vernünftigeVoraussage, da Geburtenrate und Sterberate danngleich groß sind. Allerdings ist sehr die Frage, ob und wann sich diese vollkommeneKompensation von zwei Raten wirklich einstellen wird.

Obwohl dieses Modell auf plausiblen Annahmen basiert, führt es zu unwahrscheinli-chen Voraussagen. Wir haben es trotzdem diskutiert um zu erkennen, wo eigentlich derFehler in den Annahmen steckt. Der Fehler liegt in dem Produktansatz (4.7), der nur dannrichtig ist, wenn jeder Mann mit jeder Frau Kinder zeugt. Im Normalfall wird aber einMann nur mit einer Frau Kinder zeugen, weil Paare im Regelfall monogam sind. Das giltnicht so für einige, auf engem Raum lebende Tierpopulationen, die sich in der Tat explo-sionsartig vermehren können, wenn der Populationsanstieg nicht durch andere Faktoren(wie zum Beispiel ein begrenztes Nahrungsangebot) begrenzt wird.

Für die Menschheit ist es sicherlich viel realistischer, die Geburtenrate proportional zurAnzahl der Paare n(t)/ anzunehmen, das heißt (4.7) zu ersetzen durch

Gm(t) = Gw(t) = γn(t)= γ nm(t) = γ nw(t). (4.11)

Dies führt anstelle von (4.9) zu der Differentialgleichung

dn(t)dt

= γ n(t) − σ n(t) = (γ − σ) n(t), (4.12)

die eine einfache exponentielle Lösung besitzt:

n(t) = n exp ((γ − σ) t) . (4.13)

In der Abb. 4.5 werden die beiden Lösungen (4.10) und (4.13) verglichen mit den Da-ten zur Bevölkerungsentwicklung während der letzten 200 Jahre. Diese Entwicklung lässt

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4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung 69

Abb. 4.5 Die Entwicklung derWeltbevölkerung in den letzten200 Jahren und der Fit an dieseDaten mit der Lösung (4.10)(gestrichelte Kurve) und mitder Lösung (4.13) (ausgezogeneLinie) unter Verwendung derangegebenen Werte für denGeburtenkoeffizienten γ undden Sterbekoeffizienten σ

1

10

1800 2000 2200Jahr

= 0.031 = 0.02B

evo

lker

un

gsz

ahl

¨(x

109 )

sich durch die Lösung (4.13) recht gut beschreiben, wenn man für den Sterbe- bzw. denGeburtenkoeffizienten Werte von σ = , ± , a− bzw. γ = , ± , a− verwen-det. Die angegebenen Fehler beziehen sich allein auf die statistischen Unsicherheiten derBevölkerungszahlen, sie erlauben keineAussage darüber, wie gut die Lösung (4.13) die Ent-wicklung der Bevölkerungszahlenwirklich beschreibt. DieAbb. 4.5 lässt allerdings deutlicherkennen, dass diese Lösung viel näher an der Entwicklung liegt als die Lösung (4.10), dietotal daneben liegt. Man kann versuchen, die Qualität der mathematischen Anpassung andie Daten dadurch zu erhöhen, dass als Anpassungsfunktion die „Wachstumsfunktion“verwendet wird. Mit den Eigenschaften der Wachstumsfunktion werden wir uns in Ab-schn. 5.6.1 beschäftigen. Es erscheint mir aus prinzipiellen Gründen aber nicht angebracht,dieWachstumsfunktion zur Beschreibung der Bevölkerungsentwicklung zu verwenden, dasie die Entwicklung eines Systems zwischen zwei festen und vom System selbst unabhängi-gen Grenzen beschreibt. Die Menschheit entspricht dagegen einem sich selbst reproduzie-renden System, dessen Entwicklung nicht durch feste Grenzen beschränkt ist, sondern dassich seine Grenzen selbst sucht. Solche Systeme entsprechen rückgekoppelten Systemenund wir werden ein derartiges System in dem nächsten Abschnitt untersuchen.

Die oben angegebenen Werte von σ und γ sind Mittelwerte, die mit den Bevölkerungs-zahlen selbst gewichtet sind. In der Abb. 4.2 entsprechen dieseWerte etwa dem Lebensalterund der Anzahl der Lebendgeburten für das Jahr 1950. Das bedeutet, im Mittel habenüber einen Jahreszeitraum von 1800 bis 2000 etwa 6 Milliarden Paare je Paar 3,1 Kinderzu erwachsenen Menschen erzogen und jedes der Paare hatte eine Lebenserwartung von50 Jahren.

Das Bevölkerungsmodell 2Mit einem sehr einfachenModell kann man daher mathematisch zeigen, dass die Weltbe-völkerung exponentiell zunehmen sollte, ihre Anzahl also immer weiter ansteigt, ohne dassje eine obere Grenze erreicht wird. Aber allein schon die Tatsache, dass die Landfläche derErde begrenzt ist, zeigt, dass dieses Modell ab einer gewissen Größe nE der Weltbevölke-rung nicht mehr realistisch sein kann.Wie groß derWert dieser optimalenBevölkerungs-zahl auf der Erde ist, das kann zur Zeit nur geschätzt werden. Übersteigt die tatsächlicheBevölkerungszahl n den Wert nE, dann werden in dem abgeschlossenen System Erde Me-

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70 4 Das Wachstum und seine Grenzen

chanismen einsetzen, die einen weiteren Anstieg der Weltbevölkerung verhindern. DieseMechanismen müssen auf den Geburtenkoeffizient und den Sterbekoeffizient wirken, γwird sich also verkleinern und/oder σ vergrößern. Unter den heutigen gesellschaftlichenBedingungen und bei der fortschreitenden Entwicklung in der Medizin ist davon auszu-gehen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der erste Fall eintreten wird: Es wird mehr undmehr der Anreiz fehlen, neue Kinder zu zeugen, wenn dies gleich bedeutend mit einerVerringerung des Lebensstandards ist. Dieser Trend ist bereits heute in den ve-Ländernbeobachtbar. Er wird auch in den we-Ländern einsetzen, wenn bei zu großer Bevölke-rungsdichte die Lebensbedingungen unerträglich und bei entsprechendem Bildungsstanddie Gründe dafür offensichtlich werden.

Durch diesenMechanismus wird der Geburtenkoeffizient abhängig vomBevölkerungs-überschuss n − nE und wir setzen an

γ = ( − rn − nE

nE) g , (4.14)

während wir einen weiterhin von der Bevölkerungszahl unabhängigen Sterbekoeffizientenvoraussetzen:

σ = s = konst. (4.15)

Der Parameter g in (4.14) gibt denWert des Geburtenkoeffizienten an, der Parameter r legtfest, wie stark der Einfluss des Bevölkerungsüberschusses auf den Geburtenkoeffizientenist. Da die Stärke des Einflusses nicht bekannt ist, werden wir drei Fälle untersuchen:

1. Ist r = , so ist kein Einfluss vorhanden.2. Ist r = ,, so ist der Einfluss vorhanden, aber er ist nur schwach.3. Ist r = , so ist der Einfluss auf den Geburtenkoeffizienten sehr stark.

Bei den Gleichungen (4.14) und (4.15) wird weiterhin angenommen, das Geburten- undSterbekoeffizient unabhängig vom Lebensalter sind. Von dieser Annahme wollen wir unsjetzt trennen und zulassen, dass beide Koeffizienten auch vom Lebensalter eines Men-schen abhängen. Denn im Regelfall werden Kinder nur von jungen Menschen geborenund der Tod trifft überwiegend alte Menschen. Durch das Lebensalter wird eine zweiteZeitskala τ (das Menschenalter) in das mathematische Modell zur Bevölkerungsentwick-lung eingeführt, die vom Bevölkerungsalter (bisher durch die Variable t gekennzeichnet)zu unterscheiden ist. Außerdem werden die zu (4.12) äquivalenten Differentialgleichun-gen in den Variablen t und τ so kompliziert, dass sie nicht mehr allgemein lösbar sind,sondern numerisch gelöst werden müssen. Numerische Verfahren erfordern immer eineDigitalisierung der Variablen. Das bedeutet, aus der Größe X, die von den kontinuierlichveränderlichen Variablen t und τ abhängt, werden die diskreten Größen Xi und Xj bzw.Xk , wobei der Index i die Zeit t und die Indizes j bzw. k die Zeit τ zu zwei verschiedenenZeitpunkten spezifizieren. In der digitalisierten Form lauten (4.14) und (4.15) zum Beispiel

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4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung 71

Abb. 4.6 Die Abhängigkeitdes Geburtenkoeffizienten gjund des Sterbekoeffizienten sjvom Lebensalter, das in Deka-den j digitalisiert ist

00.10.20.30.40.50.60.70.80.9

1

20 40 60 80 100

Lebensalter(a)

gj sjGeb

urte

nkoe

ffizi

ent g

j

Ste

rbek

oeffi

zien

t sj

für den Geburtenkoeffizient

γi , j = ( − rni − nE

nE) g j , (4.16)

und für den Sterbekoeffizientenσj = s j . (4.17)

Die Gesamtbevölkerungszahl ni ergibt sich aus der Summe über alle Lebensalter

ni = ∑jni , j . (4.18)

Für die Entwicklung derWeltbevölkerung inAbhängigkeit von der Zeit und demLebensal-ter ergeben sich die numerischen Entwicklungsgleichungen

ni+, j+ = ( − σj) ni , j

ni+, = ∑jγi , j ∑

kn(i)j,k mit n(i)j,k =min (ni , j , ni ,k) .

(4.19)

Die obere Hälfte des Gleichungssystems (4.19) beschreibt die Abnahme der Bevölkerungs-zahl durch die Sterbefälle, die untere Hälfte die Zunahme durch die Geburten. Da dieGeburten ein Elternpaar erfordern, muss für jedes Lebensalter j die Anzahl der möglichenEhepartner gesucht werden.

Für die vom Lebensalter abhängigen Geburten- und Sterbekoeffizienten nehmen wirVerteilungen g j und s j an, die in Abb. 4.6 gezeigt sind. Für die Digitalisierung j und auchi benutzen wir eine Zeitskala, die in Dekaden (= 10 Jahre) eingeteilt ist. Die Verteilungg j ist so konstruiert, dass in Zukunft alle Elternpaare auf der Welt im Mittel 2,5 Kinderzwischen dem 15. und 45. Lebensjahr zeugen. Die Verteilung s j entspricht einemmittlerenLebensalter jedes Ehepartners von 77 Jahren, wobei die untere Lebensgrenze bei 55 unddie obere Lebensgrenze bei 105 Jahren liegt. Aus diesen Zahlen lässt sich berechnen, dassfür die mittleren Geburten- und Sterbekoeffizienten gilt

⟨γ⟩ > ⟨σ⟩ .

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72 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Abb. 4.7 Die Entwicklung derWeltbevölkerung bis zum Jahr2200 ohne Einfluss durch dieBevölkerungszahl (1), beimschwachem Einfluss durch dieBevölkerungszahl (2) und beistarkem Einfluss durch dieBevölkerungszahl (3). Die Dar-stellung ist halblogarithmisch,die Gerade (1) entspricht dahereinem exponentiellen Anstiegder Weltbevölkerungszahl

6789

10

20

5 10 15 20

(1)

(2)

(3)

DekadeJahr 2000 2100 2200

Wel

tbev

olk

eru

ng

szah

l¨ (x

109 )

Das bedeutet, auch in diesem Modell würde die Zahl der Weltbevölkerung exponenti-ell ansteigen und über alle Grenzen wachsen, wenn nicht die Gegenkopplung durch dieBevölkerungszahl in (4.16), ausgedrückt durch den Gegenkopplungsparameter r, dies ver-hinderte.

Um die Entwicklungsgleichungen (4.19) zu lösen, muss für die 1. Dekade i = die Be-völkerungspyramide n, j vorgegeben werden und es muss die optimale BevölkerungszahlnE festgelegt werden. Wir gehen von einer Zahl nE = ⋅ (7 Milliarden Menschen) ausund beginnen die Berechnung im Jahr 2010 mit einer dreiecksförmigen Bevölkerungspy-ramide, wie sie in Abb. 4.8 für das Jahr 2010 gezeigt ist. Diese Pyramide repräsentiert diegesamte Weltbevölkerung mit einer Mehrzahl von jungen Menschen und mit einer glei-chen Anzahl von Frauen undMännern. Daher ist die Form der Bevölkerungspyramide zuallen Zeiten symmetrisch um die Bevölkerungszahl ni , j = .

In der Abb. 4.7 ist zunächst gezeigt, wie sich nach diesem Modell die Weltbevölkerungin den nächsten 200 Jahren entwickeln wird. Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse, wieerwartet, von der Stärke der Gegenkopplung. Ist diese nicht vorhanden (Fall (1): r = ),steigt die Weltbevölkerung exponentiell und erreicht im Jahr 2200 eine Größe von über20 Milliarden Menschen. Der Fall (1) wird, so ist anzunehmen, nicht eintreten.

Bei einer schwachen Gegenkopplung (Fall (2): r = ,) steigt die Weltbevölkerung zu-nächst bis in die 2. Hälfte des 21. Jahrhunderts etwa exponentiell an und erreicht in derMitte des 22. Jahrhunderts eine maximale Größe von ca. 11 Milliarden Menschen. Vondann an würde die Größe der Weltbevölkerung langsam wieder abnehmen. Der Wech-sel von einer Bevölkerungszunahme zu einer Bevölkerungsabnahme setzt bei der starkenGegenkopplung (Fall (3): r = ) viel früher ein und zwar bereits kurz nach der Mittedes 21. Jahrhunderts. Von dann ab oszilliert die Bevölkerungszahl mit einer Periode vonca. 150 Jahren um ihren optimalen Wert nE. Solche Oszillationen bilden das typische Ver-halten von gegengekoppelten Systemen, allerdings erscheint die Periode von 150 Jahrenviel zu kurz. Wahrscheinlich wird daher der Gegenkopplungsparameter in dem Wertebe-reich , < r < liegen. Daraus folgt, dass die Weltbevölkerung gegen Ende des 21. Jahr-hunderts einen maximalen Wert von etwa 10 Milliarden Menschen erreichen wird, umanschließend langsam wieder abzunehmen.

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4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung 73

2010100 100 100 100

50 50 50 50

0 0 0 00–0.2 0.2 0–0.2 0.2 0–0.2 0.2 0–0.2 0.2

100 100 100 100

50 50 50 50

0 0 0 00–0.2 0.2 0–0.2 0.2 0–0.2 0.2 0–0.2 0.2

100 100 100 100

50 50 50 50

0 0 0 00–0.2 0.2 0–0.2 0.2 0–0.2 0.2 0–0.2 0.2

2070 2130 2190

(1)

(2)

(3)

Abb. 4.8 Die nach (4.19) berechneten Bevölkerungspyramiden in den Jahren 2010, 2070, 2130 und2190. Die Rechnungen wurden für den Koeffizienten der Gegenkopplung r = (1), r = , (2) undr = (3) durchgeführt. Da die Anzahlen der Frauen und der Männer gleich sind, sind die Bevölke-rungspyramiden symmetrisch zur vertikalen Achse. Man beachte, dass bei der starken Kopplung (3)die Alterspyramiden zu bestimmten Zeiten ausgeprägte „Bäuche“ zeigen. Deren Entstehung ist un-vermeidbar, wenn die Bevölkerungszahl noch im Laufe des 21. Jahrhunderts wieder abnehmen soll

Die Abb. 4.7 macht auch deutlich, dass der Übergang von der exponentiellen Entwick-lung (in dem wir uns heute noch befinden) in eine begrenzte Entwicklung nach (4.19)keineswegs sofort einsetzt, sondern mit einer Zeitverzögerung von ca. 75 Jahren erfolgt.Dies entspricht der mittleren Lebenserwartung von 77 Jahren. Die zeitlichen Verzögerun-gen sind durchaus verständlich, da die Anzahl der Geburten in einem bestimmten Jahrdie Bevölkerungszahlen für die nächsten 77 Jahre bestimmt. Natürliche Veränderungen inder Bevölkerungsentwicklung werden immer erst mit dieser Verzögerung wirksam. DieRigidität der Bevölkerungszahlen gegen natürliche Einflüsse wird oft übersehen. Aber esist so, dass die heutige Bevölkerungsstruktur die Bevölkerungsentwicklung bis in die Mittedes 21. Jahrhunderts praktisch festlegt. Man kann dies auch anhand der Bevölkerungspy-ramiden erkennen, die für die drei betrachteten Fälle der Gegenkopplung in Abständenvon je 60 Jahren in Abb. 4.8 gezeigt sind. Diese Pyramiden sind so normiert, dass die Ge-samtanzahl der Frauen bzw. der Männer immer 1 beträgt. ImWesentlichen unterscheidensich die Pyramiden im Jahr 2070 durch die Anzahl junger Menschen, denn allein die Ge-

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74 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Abb. 4.9 Die Entwicklungder jährlichen Geburten (a)und des Verhältnisses zwischenMenschen im Berufsalter zudenen im Rentenalter (b).Im Fall (1) geschehen dieseEntwicklungen ohne Einflussdurch die Bevölkerungszahl,im Fall (2) bei schwachemEinfluss durch die Bevölke-rungszahl und im Fall (3) beistarkem Einfluss durch dieBevölkerungszahl

(1)

(2)

(3)

DekadeJahr 2000 2100 2200

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5 10 15 20

0.51

1.52

2.53

3.5

a

b

burtenrate wird von der Gegenkopplung an die Bevölkerungszahl beeinflusst. Daher ist inder oberen Hälfte der Abb. 4.9 die Gesamtzahl der jährlichen Geburten bis zum Jahr 2200für jeden der drei Werte des Kopplungsparameters r gezeigt. Die Geburtenzahlen verhal-ten sich ähnlich wie die Bevölkerungszahlen in Abb. 4.7: Sie oszillieren um einenmittlerenWert, wenn der Geburtenkoeffizient an die Bevölkerungszahl gekoppelt ist. Man beachteaber, dass zwischen beiden Oszillationen eine Phasenverschiebung von etwa der Hälfte desmittleren Lebensalters auftritt.

Für das Entstehen sozialer Probleme aufgrund der Bevölkerungsentwicklung ist ent-scheidend, wie groß das Verhältnis von Menschen im arbeitsfähigen Alter zu denen imRentenalter ist. Wir nehmen an, dass alle Menschen im Alter zwischen 30 und 60 Jah-ren einen Beruf ausüben, ältere Menschen dagegen eine Rente beziehen. Diese muss dannvon den berufsfähigen Menschen aufgebracht werden. Die zeitliche Entwicklung diesesVerhältnisses unter Berücksichtigung der angenommenen Kopplungen an die Bevölke-rungszahlen ist in der unteren Hälfte der Abb. 4.9 gezeigt. Nur wenn die Kopplung nichtvorhanden ist, die Bevölkerungszahl also exponentiell anwächst, ist dieses Verhältnis kon-stant und liegt in unserem Modell bei 2,5: Von den in einem Beruf Tätigen müssen je2,5Menschen einen Rentner unterstützen2 . Soll die Bevölkerungszahl in Zukunft nicht ex-ponentiell zunehmen, ist also die Kopplung an die Bevölkerungszahl vorhanden, so mussdieses Verhältnis im Laufe des 21. Jahrhunderts stetig abnehmen. Es erreicht bei einer star-ken Kopplung amEnde des 21. Jahrhunderts einenWert 1,5 , was sicherlich zu großen Pro-

2 Man beachte, dass angenommen wurde, dass alleMenschen im berufsfähigen Alter auch wirklicharbeiten.

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4.1 Die Entwicklung der Weltbevölkerung 75

blemen in der Versorgung alter Menschen führen wird. Auch aus diesem Grund scheint esuns wenig wahrscheinlich, dass der Fall (3) eine realistische Beschreibung der zukünftigenEntwicklungen darstellt. Aber selbst bei unserer Annahme, dass die Anzahl der Menschenbis zum Ende des 21. Jahrhunderts eine Größe von ⋅ erreicht hat, zeigen unsere Mo-dellrechnungen, dass dieVersorgung der Über-60-jährigen eine gewaltige Aufgabe ist, diewahrscheinlich nur durch eine Erhöhung der Altersgrenze für die Berufsfähigkeit zu lösensein wird.3

Die BevölkerungswanderungDie Bevölkerungswanderung von den we- in die ve-Länder existiert, die wichtige Frageist aber, ob diese Wanderbewegung solche Ausmaße annehmen wird, dass sie die in derAbb. 4.4 gezeigten Prognosen über die zukünftige Entwicklung derWeltbevölkerungzahlenentscheidend verändern. Wir glauben dies nicht, und zwar aus mehreren Gründen:

• Die ve-Länder, die überwiegend demokratischeVerfassungen besitzen, werden ihre Ein-wanderungspolitik restriktiv handhaben.Dies erhöht für eineRegierung dieChance, beider nächsten Wahl wiedergewählt zu werden.

• Die stärkste Kraft, die die Wanderbewegung antreibt, wird verursacht durch die unter-schiedlichen Lebensbedingungen in den we- und ve-Ländern. Wir gehen aber davonaus, dass dieser Unterschied in Zukunft immer geringer wird und damit auch das Motiventfällt, in die ve-Länder einzuwandern.

• Und schließlich weisen die Daten und ihre Extrapolation in die Zukunft darauf hin,dass die Migration zwischen we- und ve-Länder abnehmen wird. Damit wollen wir unsnäher befassen.

Zur Vereinfachung benutzen wir als Ausgangspunkt das Bevölkerungsmodell 1 (Ab-schn. 4.1.1), das durch einen Term erweitert werden muss, der die Migration beschreibt.Da die Migration zwischen den we- und ve-Ländern stattfindet, muss die Entwicklungs-gleichung (4.12) für beide Länderklassen separat aufgestellt werden:

dnve(t)dt

= (γve − σve) nve(t) +M(...)

dnwe(t)dt

= (γwe − σwe) nwe(t) −M(...).(4.20)

DerMigrationstermM(...) verkoppelt diese beiden Differentialgleichungen. Dabei bedeu-ten die Punkte inM(...), dass der Migrationsterm von vielen Größen abhängen kann, von

3 Dabei wird übersehen, dass auch die Basis der Alterspyramide, also die Jugend, alimentiert werdenmuss. Fasst man beide Gruppen, die Basis und die Spitze der Alterspyramide zusammen, so verän-dert sich das Verhältnis zwischen nicht-arbeitenden und arbeitenden Bevölkerungsgruppen auch inZukunft nur wenig. Der Unterschied ist aber, dass die Alimentation der Basis im Wesentlichen alsprivate Aufgabe angesehen wird, die Alimentation der Spitze aber als staatliche Aufgabe. Im Prinzipspräche nichts dagegen, diese Aufgabenstellungen zu vertauschen und die Probleme der Alimentati-on wären ganz anders.

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76 4 Das Wachstum und seine Grenzen

-0.01

0

0.01

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1960 1980 2000 2020Jahr

Wac

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Weltve-Lander¨we-Lander¨

Abb. 4.10 Die zeitliche Veränderung des Entwicklungsparameters w seit dem Jahr 1960 in den ve-Ländern, den we-Ländern und der Welt insgesamt. Die Kurven entsprechen exponentiellen Anpas-sungen an die Datenpunkte, sie besitzen einen gemeinsamen Schnittpunkt in der Nähe des Jahrs2020, von dem ab die weitere Entwicklung einheitlich erfolgen sollte

denen einige wichtig und andere weniger wichtig sind. Wir werden uns mit diesem Pro-blem gleich weiter beschäftigen.

Zunächst einmal zeigt die Struktur von (4.20), dass sich diese entkoppeln lassen, wenn

wve = (γve − σve) = (γwe − σwe) = wwe (4.21)

gilt. Die Entwicklungsparameterwve undwwe müssen in beiden Länderklassen also gleichsein, damit (4.20) die Entwicklung der Weltbevölkerung n(t) = nve(t) + nwe(t) ∝ nve(t)beschreiben und zwar unabhängig davon, wie stark die Migration wirklich ist. Zur Zeitbesteht zwischen den Entwicklungsparametern in den ve- undwe-Ländern ein großer Un-terschied, wie in Abb. 4.10 gezeigt. Aber ihre zeitliche Veränderung ist so, dass ihre Extra-polation in die Zukunft voraussagt, dass sich die Entwicklungsparameter um das Jahr 2020angeglichen haben. Interessant ist, dass zu diesem Zeitpunkt die Entwicklungsparametereinen schwach negativenWert besitzen. Das wäre so zu interpretieren, dass das AnwachsenderWeltbevölkerung von dann ab geringer wird. Aber eine wirkliche Abnahme der AnzahlvonMenschen findet erst nach der Verzögerungszeit von ca. 75 Jahren statt, also zum Endedes 21. Jahrhunderts, wie wir es schon immer angenommen hatten.

Welche Form wird der Migrationsterm M(...) haben, von welchen Parametern wird erabhängen? Die einfachste und naheliegendste Annahme ist die, dass er von dem Bevölke-rungsunterschied (nwe − nve) abhängt, also

M(we, ve) = μ (nwe − nve) (4.22)

gilt. Da bereits heute das Verhältnis der Population nwe/nve ≈ ist, ohne dass es zu einermerklichen Bevölkerungswanderung gekommen ist, muss der Proportionalitätsfaktor μ

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4.2 Die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts 77

entsprechend klein sein. Daher kann angenommen werden, dass auch in Zukunft die star-ken Unterschiede in den Bevölkerungszahlen zwischen we- und ve-Ländern nicht durchdie Migration reduziert werden.

Gegen diese Argumentation kann Folgendes eingewendet werden:

• DieMigration setzt erst dann stark ein, wenn der Unterschied (nwe−nve) einen Schwel-lenwert überschreitet, der bis heute noch nicht erreicht wurde. Dies ist jedoch reineSpekulation, die von keinen gesicherten Tatsachen unterstützt wird.

• Die unterschiedlichen Lebensbedingen in den ve- und we-Ländern sind hauptsächlichverantwortlich für die Migration und dies wird in dem Ansatz (4.22) nicht berücksich-tigt. Dazumüssten dieser Term und die Differentialgleichungen (4.20) mit den Parame-tern BIPwe und BIPve erweitert werden, was dieses einfache Modell unverhältnismäßigkompliziert. Wir beschäftigen uns ohnehin im nächsten Kapitel mit den Entwicklungender Bruttoinlandprodukte mit der Hoffnung, dass sie sich angleichen werden und damitals Grund für die Migration an Bedeutung verlieren.

• Auch die Migration ist abhängig vom Lebensalter: Es werden überwiegend junge Men-schen im arbeitsfähigen Alter von den we- in die ve-Länder einwandern. Dieser Effektist jedoch erwünscht, da er hilft, die Probleme der ve-Länder zu lösen, ohne diewe-Län-der unangemessen zu belasten. Wir nehmen an, dass diese Migration in der zeitlichenEntwicklung der Bevölkerungszahlen, wie sie in Abb. 4.4 dargestellt ist, berücksichtigtwurde.

Die in dieser Abbildung gezeigten Entwicklungen bilden die Grundlage für die Berech-nung des zukünftigen Energiebedarfs in der Welt. Trotz der aufgezeigten Mängel ist dieseGrundlage hinreichend plausibel, zumal der nächste Schritt, nämlich die Voraussage überdie Entwicklung der Bruttoinlandprodukte, mehr Unsicherheiten aufweist.

4.2 Die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts

Das normierte BruttoinlandproduktBIP, also das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der Be-völkerung, ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Lands. Ziel einesjeden Lands ist es, seine wirtschaftliche LeistungsfähigkeitBIP zu steigern, also ein positi-ves wirtschaftlichesWachstum δBIP zu erzielen. Es gilt die Definition: DasWachstum δXeiner Größe X bezeichnet deren relative Änderung, i.e. δX = ΔX/X.

Im Abschn. 3.2 haben wir gesehen, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts die nor-mierten Bruttoinlandprodukte von ve- und we-Ländern noch um einen Faktor 20 unter-schieden. Für die zukünftige Entwicklung der Menschheit ist dieser gewaltige Unterschiednicht hinnehmbar: Er verursacht Konflikte, unter denen nicht nur die we-Länder, sondernauch die ve-Länder leiden werden. Daher muss eine Angleichung stattfinden. Die Frage isteher, ob diese Angleichung mit der verfügbaren Primärenergie möglich ist und wie schnellsie erfolgen kann.

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78 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Abb. 4.11 Die wirtschaftlicheEntwicklung in Deutschland(schwarz) und den USA (rot)zu Zeiten der Depression, derRezession und der Finanzkrise

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Jahr

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der

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g d

es B

IP (

%)

Es ist sinnvoll sich anzuschauen, welche Auswirkung das tatsächliche Wachstum desBruttoinlandprodukts in der Vergangenheit auf die Gesamtentwicklung eines Lands hatte.Dazu betrachten wir in der Abb. 4.11 das wirtschaftliche Wachstum in den USA und inDeutschland zu zwei wirtschaftlich kritischen Zeiten. Einmal zur Zeit derDepression von1928 bis 1934, unddann zuZeiten nach 1999, die von einerRezession undder Finanzkrisegeprägt waren. In der Zeit der Depression folgten 3 bzw. 4 Jahre aufeinander, in denendas Wachstum in Deutschland bzw. den USA negativ war. Diese Jahre waren verbundenmit einem Heer von Arbeitslosen und einem allgemeinen Rückgang der wirtschaftlichenTätigkeiten, die inDeutschland wenigstens zumTeil auch dafür verantwortlich waren, dassdas „3. Reich“ entstehen konnte. Es ist sicherlich nicht vermessen zu fordern, dass sichderartige Entwicklungen in Zukunft nicht wiederholen dürfen.

Aber auch der Beginn des 21. Jahrhunderts war, wirtschaftlich gesehen, eine schwierigeZeit. Insbesondere die Finanzkrise, während der das Wachstum in Deutschland und denUSA wiederum negative Werte erreichte, hatte starke Auswirkungen auf die Wirtschaft inden ve-Ländern bis in das Jahr 2012 hinein.DieUSA haben versucht,mit fiskalischenMaß-nahmen gegenzusteuern, ohne viel Erfolg. Denn positivesWachstum lässt sich, anstelle vonbilligem Geld, besser erreichen mit einem besseren Angebot von Primärenergie – wie wirbald erkennen werden.

Betrachten wir jetzt das Wachstum in den bevölkerungsreichsten we-Ländern, Chinaund Indien, das in der Tab. 4.1 gezeigt ist. Die angegebenen Werte sind Mittelwerte vonδBIP über jeweils 5 konsekutive Jahre. Angemessen wäre eigentlich, die Werte von δBIPanzugeben, denn während der betrachteten Zeit, und im Gegensatz zu den ve-Ländern,haben die Bevölkerungszahlen n in China und Indien zugenommen. Für kleine δBIP undδn gilt näherungsweise:

δBIP = δBIP − δn.

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4.2 Die Entwicklung des Bruttoinlandprodukts 79

Tab. 4.1 Das Wachstum der Bruttoinlandprodukte von China und Indien seit 1985, gemittelt überje eine halbe Dekade in der Dekade seit 1992

1985 1990 1995 2000 2005 2010China 12,0% 8,5% 11,5% 8,2% 11,7% 9,3%Indien 5,0% 5,5% 6,1% 5,5% 8,8% 6,5%

Das bedeutet, dass ein positives δBIP bei starkem Bevölkerungswachstum δn u. U. in einnegatives δBIP verwandelt wird und die Wirtschaftsleistung in beiden we-Ländern tat-sächlich gesunken ist.

Dieser Trend ist auch in der Abb. 4.11 erkennbar und insbesondere aus den Daten derWeltbank für die Weltwirtschaft ergibt sich, dass das globale δBIP seit 1960 langsam ab-genommen hat, und zwar jährlich um d(δBIP)/dt = −, a−. Wird dieser Trendlinear in die Zukunft extrapoliert, so würde die Weltwirtschaft um das Jahr 2090 Null-wachstum erreichen. Dies ist natürlich nur eine Hypothese, denn es könnte auch gelingen,den Abwärtstrend zu stoppen. Die Unsicherheit ist der Anlass, die zukünftige Wirtschaft-sentwicklung in alternativen Szenarien zu untersuchen.

Dies sind die Prämissen für 3 verschiedenePrognosen, in deren Rahmen dasWachstumδBIP von ve- und we-Länder berechnet wird:

• Zu Beginn des 21. Jahrhunderts betrugen δBIPve = . und δBIPwe = .. Sie neh-men seitdem linear ab mit dem Ziel, Nullwachstum um das Jahr 2090.

• Prognose 1 (optimistische Annahme):Die Wachstumswerte δBIPve und δBIPwe bleiben nach dem Jahr 2020 konstant undgarantieren ein wirtschaftliches Wachstum, wie es die Welt im 20. Jahrhundert erlebthat.

• Prognose 2 (realistische Annahme):DieWachstumswerte δBIPve und δBIPwe nehmen linear ab, werden aber niemals nega-tiv. Damit erreicht dieWeltwirtschaft einNullwachstum zuBeginn des 22. Jahrhunderts,ähnlich zu der Zeit der Rezession in Abb. 4.11.

• Prognose 2 (pessimistische Annahme):Die Wachstumswerte δBIPve und δBIPwe nehmen linear ab und erreichen zu Beginndes 22. Jahrhunderts negativeWerte. Von dann ab sinkt dieWirtschaftsleistung, ähnlichzu der Zeit der Depression in Abb. 4.11.

Die Ergebnisse der Berechnungen sind inAbb. 4.12 dargestellt. In allen Prognosen steigtdas BruttoinlandproduktBIP der we-Länder schneller als das der ve-Länder. Die Anglei-chung erfolgt aber nur in Prognose 1 zurMitte des 22. Jahrhunderts. Auf der anderen Seitegelingt es in Prognosen 2 und 3 den we-Ländern zu keinem Zeitpunkt bis hinein in das22. Jahrhunderts, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der ve-Länder zu erreichen. Zwarvermindert sich in Prognose 2 der anfängliche Abstand von einem Faktor 20 auf einenFaktor 3 am Ende des 21. Jahrhunderts, aber ist die Bevölkerung in den we-Ländern da-

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80 4 Das Wachstum und seine Grenzen

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ve-Länder

we-Länder

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Jahr

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ve-Länder

we-Länder

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JahrB

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03 US

$ a-1

)

Abb. 4.12 Die Entwicklung der Bruttoinlandprodukte in den ve- undwe-Ländern bis zum Jahr 2150im Rahmen der Prognose 1 (a), Prognose 2 (b) und Prognose 3 (c). Man beachte die unterschiedli-chen Skalen

mit zufrieden? Und sicherlich nicht zufrieden wird sie, undmit ihr die Bevölkerung in denve-Länder, sein mit dem Abgleiten in die wirtschaftlicheDepression, falls sich Prognose 3erfüllen sollte.

Die Zufriedenheit einer Bevölkerung ist allerdings kein Kriterium dafür, ob eine pro-gnostizierte Entwicklung auch tatsächlich stattfindet. Entscheidend ist vielmehr, ob diebenötigte Primärenergie vorhanden ist, denn die Entwicklung der Wirtschaft ist gekop-pelt an die Entwicklung des Primärenergieangebots. Die orthodoxeÖkonomie geht davonaus, dass sich immer ein energetisches Gleichgewicht zwischen Angebot und Bedarf überden Energiepreis erreichen lässt. „Energie“ ist aber kein Handelsgut innerhalb einer Wirt-schaft, sondern eine (nur beschränkt vorhandene) Voraussetzung für Wirtschaft. Es istdaher durchaus vorstellbar, dass das Angebot an Primärenergie PEA nicht mehr demBedarf PEB folgen kann. Die Differenz wird Energielücke genannt. Aber so lange dieseEnergielücke nicht auftritt, stehen Bedarf und Angebot im Gleichgewicht, beide werdendann mit PEB bezeichnet.

4.3 Die Entwicklung des Primärenergiebedarfs

Die Entwicklung des Primärenergiebedarfs bis zum Jahr 2150 folgt der Entwicklung desBruttoinlandprodukts. Für die ve-Länder nehmen wir an, dass der Zusammenhang zwi-schen normiertemPrimärenergiebedarf und normiertemBruttoinlandprodukt durch (3.6)gegeben ist, die einen Anstieg der Energieeffizienz in diesen Ländern beschreibt. Die-se Annahme geht auch davon aus, dass die Entwicklung der Energieeffizienz keine obe-re Grenze besitzt, eine Annahme, die durch Daten bisher nicht verifiziert ist (siehe Ab-schn. 3.1). Noch schwieriger liegt der Fall bei den we-Ländern, deren Energieeffizienz inden Jahren von 1970 bis 2000 im Wesentlich konstant geblieben ist und daher durch (3.7)beschrieben wird. Allerdings gehen wir davon aus, dass die Energieeffizienz auch in diesen

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4.3 Die Entwicklung des Primärenergiebedarfs 81

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ve-Länder

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Abb. 4.13 Die Entwicklung des Primärenergiebedarfs in den ve- undwe-Ländern bis zum Jahr 2150im Rahmen der Prognose 1 (a), Prognose 2 (b) und Prognose 3 (c)

Ländern bei einer positiven Wirtschaftsentwicklung, und daher mit zunehmendem Brut-toinlandprodukt, zunehmen wird. Es ist nicht klar, zu welcher Zeit sich der Übergang voneinemVerhalten nach (3.7) zu einemVerhalten nach (3.6) vollziehenwird. In Ermangelungeines besseren Ansatzes nehmen wir an, dass sich die Energieeffizienz in den we-Ländernso ändernwird, wie es durch denMittelwert aus (3.7) und (3.6) beschriebenwird. Die einzi-ge Rechtfertigung für diesen Ansatz ist, dass dann die Energieeffizienz mit der Zeit auch indenwe-Ländern zunimmt, und dass dieWahrscheinlichkeit, diese Zunahme zu überschät-zen, genau so groß ist wie die Wahrscheinlichkeit, die Zunahme zu unterschätzen. Um dieUnsicherheiten auch in den Prognosen zu berücksichtigen, behaften wir die berechnetenEnergieeffizienzen mit einem prozentualen Fehler von ±%.

Die Entwicklung des Primärenergiebedarfs unter diesen Annahmen und im Rahmender Prognosen 1, 2 und 3 ist in der Abb. 4.13 dargestellt. Sie ist im wesentlichen geprägtvon der optimistischen Annahme über die Steigerung der Energieeffizienz sowohl in denve-, wie auch den we-Ländern. Und trotz all dieser Unsicherheiten werden anhand derAbb. 4.13 Tendenzen sichtbar, die auch dann Gültigkeit behalten, wenn die Energieeffizi-enzen und ihr zeitliches Verhalten grob falsch angenommen wären und sich außerhalb derFehlergrenzen entwickeln würden:

Der Primärenergiebedarf in den ve-Ländern wird bis in die Mitte des 21. Jahrhun-derts im Wesentlich konstant bei ca. ⋅ kWh ⋅ a− bleiben und danach vielleichtsogar leicht abnehmen, wenn sich die Energieeffizienz in diesen Ländern gemäß (3.6)verändert.

Dass der Primärenergiebedarf der ve-Länder in Zukunft nicht wesentlich zunehmenwird, obwohl ihr Bruttoinlandprodukt weiter ansteigt, wird verursacht durch die konstan-ten Bevölkerungszahlen und die steigende Energieeffizienz in diesen Ländern.

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82 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Der Primärenergiebedarf in den we-Ländern, der am Anfang des 21. Jahrhundertsnoch ca. ⋅ kWh ⋅a− betrug, wird in Zukunft dramatisch zunehmen und den derve-Länder bereits in der 1. Hälfte des 21. Jahrhunderts überholen.

Diese Zunahme des Primärenergiebedarfs ist eine Folge der zunehmenden Bevölke-rungszahlen in den we-Ländern und der Zunahme ihrer Bruttoinlandprodukte. Wie großer dann im22. Jahrhundertwirklich seinwird, hängt von denAnnahmen ab.Aber selbst beiden sehr restriktiven Annahmen, welche die Grundlage für die Prognosen 2 und 3 bilden,erreicht der Primärenergiebedarf der we-Länder dann einenWert von ca. ⋅ kWh ⋅a−

in der 2. Hälfte des 21. Jahrhunderts, hat sich also gegenüber dem Wert des Referenzjahrsetwa vervierfacht. Nochwesentlich stärker ist der Anstieg imRahmen der Prognose 1, wel-che ein Leben im gewohnten Standard garantiert.

Sind derartige Steigerungsraten imBedarf an Primärenergie überhaupt realisierbar?Mitdieser Frage wollen wir uns im nächsten Kapitel befassen. In diesem Kapitel wird auchuntersucht, wie der Primärenergiebedarf zunehmen würde, falls die Energieeffizienz tat-sächlich eine obere Grenze e_e < USD ⋅ kWh− besitzt.

4.4 Die Grenzen desWachstums

Die Energie ist, wie wir in Abschn. 1.1.1 gelernt haben, eine Erhaltungsgröße. Dahermussder Bedarf an Primärenergie aus dem Vorrat der auf der Erde vorhandenen Energien ge-deckt werden. Zur Zeit befriedigen wir unseren Energiebedarf noch im Wesentlichen ausdemVorrat an gespeicherten fossilenEnergien. Dieser Vorratmuss irgend wann erschöpftsein, er steht dann als Primärenergie nicht mehr zur Verfügung. Wann dies der Fall seinwird, mit dieser Frage beschäftigen wir uns in Abschn. 5.1.

Sind die gespeicherten Energievorräte erschöpft, so sind als Alternative noch andereEnergieträger vorhanden, die an ihre Stelle treten könnten. Ob diese alternativen Energienwirklich mächtig genug sind, um unseren zukünftigen Bedarf an Energie zu befriedigen,mit dieser Frage beschäftigen wir uns in Kap. 7.

Es wird immer angenommen, dass die wichtigste Alternative die Solarenergie seinkönnte, die in der Tat fast unerschöpflich ist. Dabei wird übersehen, dass gerade die Solar-energie auch andere wichtige Funktionen besitzt, die von ebenso großer Bedeutung sindwie die, als Grundlage einer zukünftigen Energieversorgung zu dienen. Die Solarenergiesteuert z. B. den Mechanismus, mit dessen Hilfe sich das Klima auf unserer Erde einstelltund damit die Erde erst bewohnbar macht. Aber auch dies ist nur ein Teilaspekt der vielfundamentaleren Erkenntnis: Die Prozesskette

Sonneneinstrahlung→ Energiewandlung→ Erdabstrahlung

Page 92: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.4 Die Grenzen des Wachstums 83

20

40

60

80

100

120

140

160

180

200

2000 2050 2100 2150

a

0.1% Solareinstrahlung

Jahr

Pri

mär

ener

gie

bed

arf

(10

13 k

Wh

a-1

)

20

40

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2000 2050 2100 2150

b

0.1% Solareinstrahlung

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c

0.1% Solareinstrahlung

Jahr

Pri

mär

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arf

(1013

kW

h a

-1)

Abb. 4.14 Die Entwicklung des totalen Primärenergiebedarfs bis zum Jahr 2150 im Rahmen derPrognosen 1 (a), Prognose 2 (b) und Prognose 3 (c), die gestrichelten Kurven ergeben sich, wenne_e < USD ⋅kWh− . ZumVergleich ist als rote Linie die Energie eingezeichnet, die 0,1% der jährlicheingestrahlten Solarenergie entspricht. Die roten Datenpunkte links unten zeigen die tatsächlicheEntwicklung von 2000 bis 2010

bildet die Existenzgrundlage unserer natürlichen Umwelt mit allen darin ablaufenden Pro-zessen, und diese steuern auch die belebte und unbelebte Natur. Jeder Eingriff des Men-schen in diese Prozesskette sollte möglichst vermieden werden. Unsere Erfahrungen mitdem Erdklima (Abschn. 4.5) lassen vermuten, dass die Toleranzgrenze für einen Eingriffbei unter Γ⊕ ≈ , liegt.

Die in einem Jahr von der Sonne auf die Erde eingestrahlte Solarenergie entsprichteiner Leistung von P⊕ = , ⋅ kWh ⋅ a−. Dies erscheint zunächst ein sehr hoher Wertzu sein, wenn wir ihn mit unserem prognostizierten maximalen Bedarf von Pmax ≈ , ⋅ kWh ⋅ a− vergleichen, siehe Abb. 4.14. Es ist aber vollkommen unrealistisch, wenn an-genommenwird, dass die gesamte Sonnenleistung P⊕ zurDeckung unseres Energiebedarfsverwendet werden könnte. Realistisch ist viel eher, dass nur etwa 0,1% dieser Leistung, alsoPlim = Γ⊕P⊕ ≈ , ⋅ kWh ⋅ a−, zur Verfügung stehen, wenn sich die Lebensbedingun-gen auf der Erde nicht grundlegend verändern sollen. Und dann sieht unsere zukünftigeSituation viel bedrohlicher aus. Denn der Wert von Pmax wurde berechnet unter der An-nahmen, dass die Energieeffizienz unbeschränkt wachsen kann. Ist sie aber beschränkt aufe_e < USD ⋅kWh− , würde der Primärenergiebedarf laut Prognose 1 dramatisch anwach-sen und zum Jahr 2150 die natürliche Grenze Plim erreichen, wie ebenfalls in Abb. 4.14gezeigt.

Allein die Prognosen 2 oder 3 lassen vermuten, dass u. U. ein genügend großes An-gebot an Primärenergie zur Verfügung stehen könnte.4 Diese beiden Prognosen basierenaber auf einem stagnierenden bzw. negativen Wirtschaftswachstum. Dies dominiert dieEntwicklung des Primärenergiebedarfs, die Entwicklung der Energieeffizienz ist dagegennachrangig. Daran wird deutlich, in welcher schwierigen Lage sich die Menschheit dannbefindet – ist das der Weg, auf dem sie sich entwickeln wird? Der in Prognose 1 gezeigte

4 Diese Aussage ist so vorsichtig formuliert, weil andere Parameter, wie z. B. der Energiepreis, eben-falls entscheiden, ob vorhandene Energiereserven zu einem Energieangebot führen.

Page 93: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

84 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Weg ist sicherlich angenehmer, aber stößt an dieGrenzen desWachstums. Und diese wer-den nicht bestimmt durch die vorhandenenEnergiereserven und technische Innovationen,sondern es handelt sich um prinzipielle Grenzen, die durch die Physik der Erde und ihrerAtmosphäre bestimmt werden und die im nächsten Abschn. 4.5 behandelt werden.

Für den Zeitraum bis 2050 unterscheiden sich die Aussagen aller drei Prognosen al-lerdings nur wenig. Die realistische Prognose 2 bildet daher die Grundlage aller weiterenUntersuchungen.

4.5 Der Energiehaushalt der Erde

Die Energie, welche die Erde im jährlichen Mittel von der Sonne empfängt, beträgt

P⊕ = , ⋅ kWh ⋅ a− . (4.23)

Wie bereits die Maßeinheit erkennen lässt, handelt es sich bei dieser Größe eigentlich umeine Leistung. Aber wir folgen hier dem allgemeinen Sprachgebrauch und werden von derSolarenergie reden, wenn eigentlich die Sonnenleistung gemeint ist (siehe dazu auch Ab-schn. 2.1). Auf der P-Ebene in Abschn. 4.5.1 werden wir lernen, welche physikalischenGesetze für diesen Wert von P⊕ verantwortlich sind.

Die Solarenergie wird nicht vollständig von der Erde absorbiert, sondern ein nicht un-erheblicher Teil von 34% wird sofort wieder durch Reflexion in den Weltraum zurückge-strahlt. Sowohl die Erdatmosphäremit 30%wie auch die Erdoberflächemit den restlichen4% sind an der Reflexion beteiligt. Dabei hängt das Reflexionsvermögen an der Erdober-fläche sehr stark von deren Oberflächenbeschaffenheit ab. Für einige typische Oberflächensind die Reflexionsvermögen für das Sonnenlicht in Tab. 4.2 angegeben. An glatten Ober-flächen (Wasser) hängt das Reflexionsvermögen vomEinfallswinkel des Lichts ab, dagegenergibt sich nur eine geringe Winkelabhängigkeit bei der Reflexion an körnigen Oberflä-chen (z. B. Erdboden). Bei senkrechtem Einfall besitzen Wüsten und Eisflächen ein relativhohes Reflexionsvermögen von ca. 30%, das allerdings von dem an Schneeflächen nochübertroffen wird. Verringert sich die Größe dieser Oberflächen auf der Erde, sinkt auch derAnteil des reflektierten Sonnenlichts und der Anteil des absorbierten Sonnenlichts steigt.Das muss Folgen für das Erdklima haben: Durch die erhöhte Energieabsorption wird mitgroßer Wahrscheinlichkeit die mittlere Erdtemperatur ansteigen.

Unter den heutigen Bedingungen werden 66% der Solarenergie von der Erde absor-biert, und zwar 16% von der Erdatmosphäreund 50% von der Erdoberfläche. Ein großerTeil der absorbierten Energie wird direkt in thermische Energie verwandelt (ca. 43%), einanderer großer Teil (ca. 23 %)wird zunächst als latenteWärme zwischengespeichert. Dabeihandelt es sich um den Phasenübergang desWassers aus dem flüssigen in den gasförmigenAggregatzustand, für den Energie benötigt wird. Kondensiert der Wasserdampf wieder inflüssiges Wasser, wird diese Energie in thermische Energie zurückgewandelt.

Page 94: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.5 Der Energiehaushalt der Erde 85

Tab. 4.2 Die Reflexionsvermögen an verschiedenen Strukturen der Erdoberfläche

Oberfläche ReflexionsvermögenErdboden (Ackerland) 10%Erdboden (Wüste) 30%Meer (senkrechter Einfall) 4%Meer (streifender Einfall) 90%Eis 35%Schnee 90%

solare Einstrahlung 100% Wärmestrahlung 66%

0.007%

thermischeEnergie

WasserdampfSpeicherung in

Wind,WellenStrömungen

Pflanzen

Gezeiten

Erde−MondSystem

Wärmeleitung(Erdkruste)

Konvektion(Vulkane)

(heisse Quellen)0.018%

reflektierte

34%

Verdampfung23%

1%

Fotosynthese0.023%

direkte Wärme−erzeugung 42%

Zerfall

Tiere

0.0017%

Sonnenstrahlung

..Erdwarme

menschlicherEnergiebedarf

fossile Brennstoffe Kernenergie

0.007% 0.00004%..

Erdoberflache

Abb. 4.15 Der Energiekreislauf der Erde. Bis auf einen geringen Überschuss von weniger als 0,02%sind eingestrahlte und zurückgestrahlte Energie gleich

Nur ein sehr geringer Anteil der Solarenergie (ca. 1%) wird zur Erzeugung von Wind,Wellen und Strömungen verwendet, und ein noch geringerer Anteil (ca. 0,023%)wirdmit-tels Fotosynthese in den Pflanzen in chemische Energie umgewandelt. Diese Anteile sindzwar gering, sie sind aber immer noch wesentlich größer als der Anteil, der zur Deckungdes menschlichen Primärenergiebedarfs am Anfang des 21. Jahrhunderts benötigt wur-de. Dieser Anteil betrug nur 0,007%, wennman ihnmit der eingestrahlten Solarenergie P⊕vergleicht. Auch andere Beiträge zum globalen Energiehaushalt der Erde sind von ähnlichgeringem Umfang. Eine Übersicht über die wichtigsten Energieströme in dem globalenHaushalt ist in Abb. 4.15 gezeigt.

Das Erdklima reagiert sehr empfindlich auf jede Veränderung dieser Energieströme.Wir haben bereits diskutiert, dass der menschliche Eintrag von heutigen 0,007% nicht auf

Page 95: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

86 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Tab. 4.3 Anzahl der Groß- undMegastädte auf der Erde in den letzten 100 Jahren des 20. Jahrhun-derts. Eine Vorhersage der UN über die zukünftige Entwicklung der Großstädte ist in Abb. 4.16 zufinden

1900 1950 1970 1990 2000Großstädte 13 72 156 275 357Megastädte 0 2 10 20 28

Abb. 4.16 Die Vorhersageder UN über die zukünftigeEntwicklung der Großstädte

VorhersagederUN

01900 1970 2040

800

600

200

400

Anz

ahl M

illio

nens

tädt

eJahr

über 0,1% steigen sollte. Dabei ist es eigentlich unerheblich, ob diese Steigerung durchdirekte Entnahme aus der eingestrahlten Solarenergie erfolgt oder mithilfe der anderenEnergiequellen (fossile Brennstoffe, Kernenergie, Erdwärme) erfolgt. Weiter unten werdenwir uns noch detaillierter mit dem Erdklima beschäftigen. Von großer Bedeutung ist auch,dass die zu erwartendeVergrößerung desmenschlichen Energieeintrags keineswegs gleich-mäßig verteilt über die gesamte Erdoberfläche erfolgt, sondern schwerpunktmäßig auf dieFlächenmit hoherBevölkerungsdichte konzentriert ist. In diesenBallungszentren der Be-völkerung wird schon heute die Grenze Plim um ein Vielfaches überschritten. Wie kommtes dazu?

Die Erdoberfläche besitzt eine Größe von A⊕ = ⋅ m. Selbst wenn wir davonausgehen, dass die gesamte Solarenergie die Erdoberfläche erreichte (eigentlich sind es nur54%), entspricht dies einer Leistungsflächendichte von5

P⊕A⊕= ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m− , woraus folgt

PlimA⊕= , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m− . (4.24)

Die Ballungszentren der Bevölkerung liegen in den Großstädtenmit mehr als ⋅ Ein-wohnern und denMegastädtenmit mehr als ⋅ Einwohnern. Die Anzahl dieser Städtehat im 20. Jahrhundert ständig zugenommen (siehe Tab. 4.3) und die UN prognostizierteine weitere Zunahme. Die meisten der Ballungszentren liegen in denwe-Ländern, dort istauch die prognostizierte Zunahme am größten, verbunden mit einem besonders starkenAnstieg des zukünftigen Primärenergiebedarfs. Die um das Jahr 2000 größte Megastadtwar wohl Mexiko City mit einer Einwohnerzahl von ⋅ und einer Bevölkerungsdichte

5 Siehe Fußnote 2 im Abschn. 1.1.1.

Page 96: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.5 Der Energiehaushalt der Erde 87

Tab. 4.4 Bei der Verbrennung entstehendeCO- undHO-Emissionen von einigen Kohlenwasser-stoffen, bezogen auf den spezifischenHeizwert Hm

Brennstoff Symbol Heizwert(kWh ⋅ kg−)

CO-Emission(kg ⋅ kWh−)

HO-Emission(kg ⋅ kWh−)

Wasserstoff H 33,64 0 0,27Kohlenstoff C 9,17 0,40 0Methan (Erdgas) CH 13,89 0,20 0,16Methanol (Alkohol) CHOH 5,56 0,25 0,20

von n/A = ,m−. Im Mittel besaß jeder Einwohner bereits damals einen Energiebe-darf von P/n = ⋅ kWh ⋅ a−. Das heißt, schon zu dieser Zeit betrug die geforderteLeistungsflächendichte

PA= , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m− , (4.25)

sie war damit um einen Faktor 100 größer als der Toleranzwert. Eine Steigerung auf einenFaktor 1000 ist voraussehbar,wenn sich die Bruttoinlandprodukte vonwe- und ve-Ländernangleichen sollen. Damit würde der menschliche Energieeintrag in den Ballungszentrenden der eingestrahlten Solarenergie erreichen, mit nicht vorhersehbaren Folgen für unsereUmwelt.

Heute schon verändert sich das Erdklima, obwohl der globale Energiebedarf noch kei-nesfalls die kritische Grenze Plim erreicht hat. Die Veränderungen werden, darauf deutendie Anzeichen hin, durch die Umwandlung der fossil biogenen Brennstoffe (Kohle, Erdöl,Erdgas) in andere Energieformen bewirkt. Dabei findet im Wesentlichen die Oxidation(Verbrennung) von Kohlenstoff und Wasserstoff statt, die sich allgemein wie folgt schrei-ben lässt:

CxHyOz + (x +y− z) O → xCO +

yHO. (4.26)

Als Endprodukte der Oxidation ergeben sich daher die Gase Kohlendioxid (CO) undWasser (HO). Als Beispiel betrachten wir die Oxidation vonMethanol (x = , y = , z = )

CHOH +O → CO + HO. (4.27)

Von den beiden Gasen sind sowohl CO wie auch HO klimaschädlich, mit den Grün-den werden wir uns auf der P-Ebene in Abschn. 4.5.1 befassen. Allerdings kondensiert derWasserdampf in der Erdatmosphäre und regnet wieder ab, so dass sich derWassergehalt inder Atmosphäre nur wenig verändert. Dagegen nimmt der CO-Gehalt in der Atmosphäreseit Beginn der Industrialisierung laufend zu, wie in Abb. 4.17 gezeigt. Dabei ist die Stärkedes CO-Eintrags abhängig von der Brennstoffart, die verbrannt wird. In Tab. 4.4 sind für 4Kohlenwasserstoffverbindungen die Mengen an CO und HO zusammengestellt, die prokWh gewandelter Energie erzeugt werden.

Es ist natürlich nicht überraschend, dass bei der Verbrennung von reiner Kohle dasmeiste CO freigesetzt wird. Werden Methan oder Methanol verbrannt, verringert sich

Page 97: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

88 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Abb. 4.17 Die Korrelationzwischen dem CO-Gehalt inder Erdatmosphäre und ihremTemperaturanstieg von 1880bis 2010. Die linke Skala giltfür die Temperatur, die rechtefür die Konzentration

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

300

320

340

360

380

Temperatur

Konzentration

Jahr1880 1920 1960 2000

Tem

per

atu

ran

stie

g (

oC

)

CO

2 K

on

zen

trat

ion

(p

pm

)

die CO-Menge auf etwa die Hälfte. Und ganz frei von CO-Emissionen ist die Verbren-nung vonWasserstoff . Allerdings findet sich reinerWasserstoff nicht auf der Erde, er musserst mithilfe des Einsatzes von Energie in technisch aufwändigen Verfahren erzeugt wer-den. Daher bildet die Wasserstoffverbrennung erst dann eine wirkliche Alternative, wennProzesse zur effizienten und CO-freien Wasserstofferzeugung entwickelt sind. Methan istdagegen auf der Erde in der Form von Erdgas vorhanden und spielt als Energieträger eineimmer bedeutendere Rolle.

AmAnfang des 21. Jahrhunderts bestand ein weltweiter Primärenergiebedarf von ca. ⋅ kWh ⋅a−, der fast ausschließlich aus fossil biogenen Quellen gedeckt wurde. Wenn wirannehmen, dass bei der Verbrennung dieser Brennstoffe eine mittlere CO-Emission von, kg ⋅kWh− entstand, dann betrug zu diesem Zeitpunkt der jährliche Eintrag durch denMenschen in die Atmosphäre

dm(CO)

dt= , ⋅ kg ⋅ a− , (4.28)

wasmit Daten gut übereinstimmt. Da der Primärenergiebedarf weiter ansteigt (Abb. 4.14),werden auch die CO-Emissionenweiter steigen: 2010 lagen sie bereits bei einemWert von, ⋅ kg ⋅ a−. Da CO nur langsam wieder abgebaut wird, muss die CO-Konzentrati-on in der Atmosphäre steigen, wie in Abb. 4.17 gezeigt. Man mache sich aber klar, dass beieinerCO-Konzentrationsänderung von ca. 20% zwischen 1880 und 2010, sich die Zusam-mensetzung der Erdatmosphäre insgesamt nur um einen relativen Anteil δΓA ≈ ,verändert hat, siehe Tab. 6.3. Dies ist eine extrem kleine Veränderung6, aber sie ist kor-reliert mit dem Anstieg der mittleren Erdtemperatur von ca. 1 K während des gleichenZeitraums. In Abb. 4.17 ist die Korrelation zwischen Temperatur- und CO-Anstieg ge-zeigt, vermutlich ist letzterer die Ursache für ersteren. Physikalisch lässt sich dies damitbegründen, dass sowohl CO wie auch HO zu den Treibhausgasen zählen, die mithilfedesTreibhauseffekts verantwortlich für die Einstellung der Erdtemperatur sind.Mit einem

6 Sie lässt auch befürchten, dass die Toleranzgrenze Γ⊕ = , viel zu hoch angesetzt ist.

Page 98: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.5 Der Energiehaushalt der Erde 89

ErdgasKohle

Erdöl

Biomasse

CO2

O3

CH4

NOx

VerkehrKlein-

abnehmer

Privat-haushalte

Industrie

Agrar-wirtschaft

a b c

Abb. 4.18 Die Quellen (a), Verursacher (b) und relativen Bestandteile (c) der globalen Treibhaus-gasemissionen im Jahr 2010

einfachen Klimamodell, aus dem diese Zusammenhänge ersichtlich werden, beschäftigenwir uns auf der P-Ebene in Abschn. 4.5.1.

Man kann aus diesen Beobachtungen folgern, ohne dass diese damit tatsächlich Beweis-kraft besäßen, dass das Erdklima folgender Gesetzmäßigkeit folgt:

Bei einer menschlich verursachten Abgabe von kg ⋅ a−CO in die Erdatmo-sphäre erhöht sich diemittlere Oberflächentemperatur der Erde umdurchschnittlich0,005K pro Jahr.

Dies zeigt noch einmal, wie empfindlich die Gleichgewichte im Energiehaushalt derErde sind, welche die lebensnotwendigen Umweltbedingungen garantieren. Insbesonde-re sollte berücksichtigt werden, dass es weitere Treibhausgase gibt. In der Reihenfolge ihresVorkommens in der Erdatmosphäre zählen dazu:Wasser (HO), Kohlendioxid (CO),Ozon (O), Stickoxide (NOx),Methan (CH).

Für das Jahr 2010 zeigt die Abb. 4.18, aus welchen Quellen die Treibhausgase emittiertwurden, wer dafür verantwortlich und wie hoch ihr relativer Anteil an den Gesamtemis-sionen war. Erstaunlich ist, wie hoch der Beitrag war, der nicht durch Verbrennung fossilbiogener Brennstoffe entstand. Der Sektor „Biomasse“ umfasst die Abfallwirtschaft und dieAgrarwirtschaft, insbesondere die Tierhaltung und die Bodenbearbeitung. Diese Quellensind überwiegend verantwortlich für die CH-Emissionen. DasMethan ist das wirksamsteTreibhausgas, dessen Anteil in der Atmosphäre zur Zeit noch sehr gering ist. DasMethan-hydrat ist aber eine der unkonventionellen Energieressourcen der Erde, es ist auf demTiefseeboden gelagert und seine Mächtigkeit wird auf größer als die aller anderen Ener-gieträger geschätzt. Es kann nicht übersehen werden, dass der Abbau des Methanhydrats,falls er in Zukunft technisch möglich sein sollte, eine schwer abschätzbare Gefahr für dasErdklima darstellt.

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90 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Nicht erstaunlich ist dagegen, dass die Industrie der größte Verursacher von Treibhaus-gasemissionen ist. Denn dieser Sektor enthält auch die Energieversorger mit einem Anteilvon 13%.

4.5.1 P-Ebene: Zur Physik des Erdklimas

In den beiden folgenden Abschnitten werden wir auf der P-Ebene die Physik der Sonneund ihren Einfluss auf die Erde diskutieren, und wir werden ein einfaches Klimamodellentwickeln, das es uns gestattet, die wichtigen Prozesse für unser Klima zu erkennen.

Die Sonne und die Erde als „schwarze Körper“Aus der spektralen Verteilung dW/dλ des auf die Erde einfallenden Sonnenlichts lassensich die folgenden wichtigen Schlüsse über die Eigenschaften der Sonne ziehen (mit λ istdie Wellenlänge des Lichts gekennzeichnet):

1. Die Sonne verhält sich wie ein schwarzerKörper, für ihre Emission von elektromagne-tischer Strahlungsenergie gelten daher dieGesetzmäßigkeiten eines schwarzenKörpers.

2. Aufgrund des Planck’schen Strahlungsgesetzes lässt sich aus der spektralenVerteilungfolgern, dass die Sonne auf ihrer Oberfläche eine Temperatur von etwa 5800K besitzt.

Die Temperatur bestimmt bei einem schwarzen Körper dessen Strahlungsintensität. Mitder Strahlungsintensität ISK bezeichnen wir die Energie, die ein schwarzer Körper pro ZeitundOberfläche abstrahlt, sie ist also identisch mit seiner Leistungsflächendichte7. Für dieIntensität oder die Leistungsflächendichte gilt das Gesetz von Stefan-Boltzmann:

ISK = κ T . (4.29)

Die Stefan-Boltzmann-Konstante κ hat einen Wert κ = , ⋅ W ⋅ m− ⋅ K−. Für dasWeitere sind folgende geometrischen Größen von Bedeutung:

• Die Sonne besitzt einen Radius r⊙ = ⋅ m.• Die Erde besitzt einen Radius r⊕ = , ⋅ m.• Der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt im Jahresmittel d = , ⋅ m.

Aus der Kenntnis des Sonnenradius ergibt sich die Oberfläche der Sonne zu A⊙ = π r⊙ =, ⋅ m, und damit beträgt die Strahlungsleistung der Sonne nach (4.29) mit I⊙ = ISK:

P⊙ = I⊙ A⊙ = ⋅ W. (4.30)

Diese Leistungsabgabe ist extrem hoch, aber sie erfolgt in alle Richtungen des Weltraums.Daher erreicht die Erde nur ein geringer Bruchteil, nämlich

P⊕ =π r⊕π d P⊙ = , ⋅

W. (4.31)

7 Siehe Fußnote 2 in Kap. 3.

Page 100: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.5 Der Energiehaushalt der Erde 91

Bezieht man diese Leistung auf die bestrahlte Fläche (das ist nicht die Oberfläche der Erde),so erhält man die Solarkonstante

I� =

π r⊕P⊕ = , kW ⋅m− . (4.32)

Die Solarkonstante ergibt daher die Sonnenintensität, welche die Erde bei senkrechtemEinfall des Sonnenlichts erhält. Aber die Erde ist keine Scheibe sondern eine Kugel, undaußerdem dreht sie sich um eine Achse durch ihren Mittelpunkt, die leicht geneigt aufder Kreisbahnebene um die Sonne steht. Daraus folgt, dass die Sonnenleistung, welche dieErdoberfläche tatsächlich erreicht, von der geografischen Breite und der Tageszeit abhängt.In geometrischen und zeitlichen Mittel verringert sich daher die Sonnenleistung pro Erd-oberfläche, verglichen mit (4.32), um genau den Faktor 1/4. Und weiterhin werden 34%der Sonnenleistung sofort wieder in den Weltraum zurückreflektiert, also nicht von derErde absorbiert. Fassen wir die in der Atmosphäre und auf der Oberfläche absorbiertenLeistungen zusammen, so beträgt die von der Erde absorbierte Sonnenintensität

I⊕ =,

I� = W ⋅m− . (4.33)

Diese absorbierte Leistung würde bereits nach relativ kurzer Zeit die thermische Energieauf der Erde und damit die Erdtemperatur derart erhöhen, dass ein Leben unmöglich wäre.Die Erde wird erst dadurch geeignet für das organische Leben, dass die gesamte absor-bierte Leistung I⊕ auch wieder in den Weltraum zurückgestrahlt wird. Man kann davonausgehen, dass auch die Rückstrahlung den Gesetzen des schwarzenKörpers gehorcht, al-so insbesondere demGesetz von Stefan-Boltzmann.Mit dessenHilfe lässt sich diemittlereErdtemperatur berechnen:

T = (I⊕κ)

/= K = − ○C. (4.34)

Diese Temperatur ist allerdings viel geringer als die tatsächliche mittlere Erdtemperaturvon T⊕ ≈ ○C, sie würde ein Leben auf der Erde unmöglich machen. Der Grund fürdie lebenserhaltende Abweichung liegt in der Erdatmosphäre, die für einen gewissen Teilder terrestrischen Strahlung praktisch undurchlässig ist und damit die Abstrahlung in denWeltraum so stark verringert, dass sich die höhere Temperatur T⊕ einstellt. Man nenntdiesen Effekt den „Treibhauseffekt“, mit seinen physikalischen Grundlagen befassen wiruns im nächsten Abschnitt.

Ein einfaches KlimamodellBei der Einstellung der Erdtemperatur spielt die Erdatmosphäre eine wichtige Rolle. DieDichte der Erdatmosphäre nimmt etwa exponentiell mit der Höhe h über dem Erdbodenab, das entsprechende Abnahmegesetz bezeichnet man als die barometrische Höhenfor-mel. Für unser einfaches Klimamodell genügt es aber anzunehmen, dass die Dichte der

Page 101: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

92 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Abb. 4.19 Die spektraleVerteilung der terrestrischenAbstrahlung (a) und die Wel-lenlängenabhängigkeit derAbsorptionskoeffizientenβ von Kohlendioxid (CO)undWasserdampf (HO) (b).Das Maximum der spektra-len Verteilung liegt in demWellenlängenbereich, wo dieAbsorptionskoeffizienten mini-mal sind. Dies führt zu einemmittleren Absorptionskoeffizi-enten ⟨β⟩ = ,

m)(Wellenlänge ln

−3−2

−1

−4−5

10

20

30

0

10 20 300

0

spek

tral

e In

t. (

wE

)

CO 2

H O2

< >

a

b

Atmosphäre konstant und gleich der Dichte direkt über der Erdoberfläche ist. Damit beidieser Annahme die Gesamtmasse der Atmosphäre endlich bleibt, ist die Atmosphären-dichte konstant nur bis zu einer Höhe h = m, die man mittlere Schichtdicke derErdatmosphäre nennt. In den Höhen h > h besitzt die Erde keine Atmosphäre mehr.

Innerhalb der homogenen Schicht ≤ h ≤ h wird die Intensität der terrestrischenStrahlung (das ist die thermische Leistung, welche von der Erdoberfläche in denWeltraumzurückgestrahlt wird), aufgrund der Absorption durch die Erdatmosphäre immer geringer.Die Leistungsabnahme folgt einem Exponentialgesetz

P = P exp(−βhh) mit β = β(CO) + β(HO). (4.35)

Die Absorptionskoeffizienten β(CO) und β(HO) sind ein Maß für die Stärke dieserAbsorption durch die atmosphärischen Treibhausgase CO und HO. Die Absorptions-koeffizienten hängen sehr stark von der Wellenlänge λ der terrestrischen Strahlung ab, wiein Abb. 4.19 gezeigt. Glücklicherweise besitzen beide Treibhausgase in demWellenlängen-bereich μm < λ < μm ein Minimum in ihrem Absorptionsvermögen. Gleichzeitig liegtin diesem Wellenlängenbereich das Maximun der spektralen Verteilung dI⊕/dλ der ter-restrischen Abstrahlung (siehe ebenfalls Abb. 4.19), so dass diese zum überwiegenden Teiltatsächlich in denWeltraum gelangen kann.Wie groß diese abgestrahlte Leistung ist, hängtdemnach von der Konzentration c der Treibhausgase CO und HO (und anderer) ab.

Heute ist diese Konzentration noch so gering, dass sie sich gemittelt über alleWellenlän-gen und für beide Treibhausgase mithilfe des durchschnittlichen Absorptionskoeffizienten

⟨β⟩ = , (4.36)

Page 102: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.5 Der Energiehaushalt der Erde 93

repräsentieren lässt. Durch die Leistungsabsorption erwärmt sich die Erdatmosphäre unddie Frage ist, welche mittlere Erdtemperatur T⊕ sich einstellt. In unserem einfachen Kli-mamodell wird dies geregelt durch eine Ratengleichung

dQdt= I′⊕ A⊕ − (Pnonrad + Prad) . (4.37)

Wir erinnern uns: Q ist das Symbol für die thermische Energie, welche die Erde nach ih-remDurchgang durch die Atmosphäre tatsächlich verlässt. Auf der rechten Seite von (4.37)befinden sich 2 Terme. Der mit positivem Vorzeichen I′⊕ A⊕ ist der „Gewinnterm“, er be-schreibt die Leistung, die von der Erdoberfläche in die Atmosphäre gelangt. Der Termmitnegativem Vorzeichen −(Pnonrad + Prad) ist der „Verlustterm“, er beschreibt die Leistung,die von der Atmosphäre absorbiert wird. Die Intensität I′⊕ ist etwas geringer als die gesamteabsorbierte Sonnenintensität I⊕, denn sie bezieht sich nur auf die Erdoberfläche. Es gilt

I′⊕ =,,

I⊕ = W ⋅m− . (4.38)

Der Verlustterm enthält zwei Bestandteile, den nichtradiativen Verlust Pnonrad und denradiativenVerlust Prad. Ersterer charakterisiert die Umwandlung der terrestrischen Strah-lung in latente Wärme, die für die Phasenumwandlung von flüssigemWasser (Wolken) ingasförmiges Wasser benötigt wird. Er macht etwa 46% der Gesamtabsorption aus. Derradiative Verlust beschreibt die direkte Umwandlung der terrestrischen Strahlung in ther-mische Energie der Atmosphäre. Soll sich für diese Energie ein Gleichgewichtszustandeinstellen, so muss

dQdt= (4.39)

gelten. Damit ergibt sich für ein stabiles Klima die Gleichgewichtsbedingung

Prad = Prad, ( − exp(−,)) = I′⊕ A⊕ − Pnonrad = , I′⊕ A⊕ . (4.40)

Mithilfe des Gesetzes von Stefan-Boltzmann Prad,/A⊕ = κ T lässt sich so die Temperatur

T berechnen, welche die Atmosphäre direkt über der Erdoberfläche besitzt. Diese ergibtsich zu

T = (,, κ

I′⊕)/= K = ○C. (4.41)

Wir definieren jetzt diese Temperatur als die Erdtemperatur T⊕, deren Definition bishersehr ungenauwar, denn imAllgemeinen ist die Oberflächentemperatur des Erdbodens ver-schieden von der Atmosphärentemperatur direkt über dem Erdboden. Dass unsere Rech-nung tatsächlich eine Erdtemperatur von 15 °C ergeben hat, wie sie auch beobachtet wird,ist allerdings eher ein Zufall. Unser Klimamodell ist nämlich viel zu einfach konzipiert, dieVorgänge in der Atmosphäre und die Einwirkungen der Atmosphäre auf die Erdoberflächesind so kompliziert, dass ihre Berücksichtigung in einem Klimamodell den Einsatz großer

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94 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Rechneranlagen erfordert. Wie weit wir daneben liegen, darüber kann man eine Vorstel-lung gewinnen indemwir uns überlegen, umwieviel sich die Erdtemperatur nach unseremModell verändern müsste, wenn sich die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäreum einen relativen Betrag Δc/c verändert.

Aus (4.41), das sich allgemein wie folgt schreiben lässt

T = (X

− exp(−β))

/

, (4.42)

folgern wir, dass eine Veränderung von X und β folgende Temperaturveränderung zur Fol-ge hat:

ΔT =T

(

ΔXX+

Δβ − exp(β)

) . (4.43)

Wir machen jetzt die Annahme, dass kleine relative Änderungen der CO-Konzentrationeine lineare relative Veränderung der Intensität und des Asorptionskoeffizienten nach sichziehen. Das heißt, es soll gelten

ΔXX=

Δββ=

Δcc

(4.44)

und wir erhalten

ΔT =T

( +

β − exp(β)

)

Δcc. (4.45)

Für die tatsächlich zu beobachtende Konzentrationssteigerung Δc/c = , ergibt sich eineTemperaturerhöhung

ΔT =( − ,) , = ,K, (4.46)

also eine Temperatursteigerung, die etwa 2mal stärker ausfällt als gemessen. Dies ist auchnicht verwunderlich. Denn erstens ist das Modell zu einfach und zweitens ist der Ansatz(4.44) sehr fragwürdig. Unsere Überlegungen hatten im Wesentlichen auch nur den Sinn,uns darüber klar zu werden, welche wichtigen Prozesse für unser Klima verantwortlichsind. Und unter diesem Aspekt haben wir gelernt, dass drei Prozesse besonders wichtigsind und wir uns hüten sollten, in diese ohne Rücksicht einzugreifen. Wichtig sind:

• Die Absorption der eingestrahlten Solarenergie durch die Erdoberfläche.Dieser Prozess kann dadurch gestört werden, dass sich die Oberflächenstruktur der Er-de verändert. Dies geschieht zum Beispiel durch eine Ausweitung oder Verminderunggroßer Wüstenflächen oder durch das Abschmelzen großer Eis- und Schneeflächen.

• Die nichtradiative Leistungsabgabe Pnonrad in die Atmosphäre.Dieser Prozess kann sich verändern, wenn sich der Wasserkreislauf der Erde verändert,also weniger oder mehr Wolken gebildet werden.

Page 104: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.5 Der Energiehaushalt der Erde 95

Abb. 4.20 Die Zeiten, zu de-nen Eis- undWarmzeiten aufder Erde auftraten. Die angege-benen Namen charakterisierendie Eiszeiten, die Temperaturenbeziehen sich auf das Eis in derArktis. Demnach leben wir zurZeit in einer Warmzeit T

emp

erat

ur

( C

)o

200400600 0Jahrtausend vor a.d. (a)

−30

−35

−40

WürmRissMindelGünzDonauBiber

• Die radiative Leistungsabgabe Prad in die Atmosphäre.Dieser Prozess reagiert empfindlich darauf, mit welche Stärke die gasförmigenBestand-teile in der Erdatmosphäre vertreten sind. Insbesondere der Anteil der Treibhausgase,die ein besonders großes Absorptionsvermögen im Bereich der Wellenlängen der ter-restrischen Abstrahlung besitzen, ist für diesen Prozess von Bedeutung.

Vollständig außer Acht gelassen in diesen Überlegungen ist der Austausch zwischen derErdoberfläche und der Erdatmosphäre, der besonders stark über den Meeresflächen ist,die den größten Teil der Erde bedecken. Die Meere binden zum Teil das atmosphärischeKohlendioxid, aber sicherlich ist dieser Prozess nicht hinreichend gut verstanden,wie über-haupt die Temperatureinstellung nicht vollständig verstanden zu sein scheint. Denn es hatim Verlauf der Erdgeschichte immer wieder Perioden gegeben, in denen die Tempera-tur entweder kleiner (Eiszeiten) oder größer (Warmzeiten) als die mittlere Temperaturwar. Wir haben sehr gute Messungen darüber, wann diese Perioden aufgetreten sind (sie-he Abb. 4.20), aber keine eindeutige Meinung über die Gründe, die dazu führten. Gehtman noch weiter zurück, so gab es immer wieder Perioden in der Erdgeschichte, in de-nen die Erdtemperatur um ca. 6 °C anstieg mit der Folge, dass ein Großteil der Lebewesenverschwand. Die bekanntesten Perioden sind:

1) Um ca. 50Ma AC am Ende des Paläozäns, als ca. 50% der Lebewesen ausstarben.2) Um ca. 250Ma AC am Beginn der Trias, als ca. 80% der Lebewesen ausstarben. In

diese Periode fällt auch die Entstehung der fossilen Energieträger, mit denen wir unsim Kap. 5 beschäftigen.

Als Grund für die Erwärmung wird angenommen, dass zu diesen Zeiten die CO- undbesonders CH-Konzentrationen in der Erdatmosphäre stark zugenommen hatten. Einesist aber sicher: Der verstärkte CO-Eintrag durch Menschen konnte nicht verantwortlichsein. Aber wir haben ja gesehen, dass noch sehr viele andere Mechanismen existieren, dieeinen Klimawandel verursachen können.

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96 4 Das Wachstum und seine Grenzen

4.6 Das Flächenangebot der Erde

Das Bevölkerungswachstum, und damit indirekt auch das Wirtschaftswachstum, muss aneine weitere Grenze stoßen: Die endliche Oberfläche der Erde. Die Erde besitzt fast Ku-gelgestalt, daher ergibt sich ihre Oberfläche aus der Größe des Erdradius zu

A⊕ = ⋅ m. (4.47)

Die gesamte Oberfläche A⊕ kann allerdings nicht für die menschliche Besiedlung verwen-det werden. Zunächst einmal bilden den größten Teil von A⊕ die Meeresoberflächen, siehaben eine Größe von

AMeer = ⋅ m. (4.48)

Der Rest ist Landfläche mitALand = ⋅ m. (4.49)

Aber auch die Landfläche lässt sich weiter aufteilen in solche Flächen, die im Prinzip ohneSchwierigkeiten besiedelbar sind und daher genutzt werden können, und in solche Flä-chen, die ungenutzt sind, weil ihre Eigenschaften eine Nutzung im Allgemeinen nichtzulassen. In Tab. 4.5 sind die entsprechenden Flächen aufgeführt, wie sie zum Beginn des21. Jahrhunderts existierten.

Falls sich die gegenwärtige Entwicklung auch in der Zukunft fortsetzt, dann lässt sichvoraussagen, dass die Größe der nicht-nutzbaren Flächen stetig auf Kosten der nutzbarenFlächen zunehmen wird. Heute nehmen zum Beispiel die Größen der Wüstenfläche unddie des Siedlungsraums um ca. 0,5% pro Jahr zu, weil Grün- undWeideland in den Äqua-torialgebieten der Erde durch Erosion veröden und weil für die wachsende Bevölkerungimmer mehr Siedlungsraum benötigt wird. Obwohl die Abnahme der nutzbaren Flächensicherlich ein zusätzliches Problem darstellt, wollen wir in den folgenden Überlegungendas Flächenangebot zugrunde legen, dass in der Tab. 4.5 angegeben ist.

Prinzipiell müssen mit diesem Flächenangebot folgende Aufgaben bewältigt werden:

• Die Bereitstellung des Grundenergiebedarfs der Weltbevölkerung.• Die Bereitstellung des Primärenergiebedarfs der Weltbevölkerung.

Den sogenannten Grundumsatz eines Menschen haben wir in dem Abschn. 3.1 definiert.Dabei handelt es sich um die jährliche Energie, die allein zum Leben erforderlich ist. Siebeträgt

Pn= , ⋅ kWh ⋅ a− . (4.50)

Berechnen wir daraus die Grundenergie der Weltbevölkerung von ca. n = MilliardenMenschen, die für die Mitte des 21. Jahrhunderts prognostiziert werden, so ergibt sich ein

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4.6 Das Flächenangebot der Erde 97

Tab. 4.5 Die Größe der ausgewiesenen Landflächen am Beginn des 21. Jahrhunderts (in m und %der gesamten Landfläche)

Genutzte Flächen Ungenutzte FlächenSiedlungs-raum

Ackerland Grün-/Weideflächen

Waldland Wüsten,Gebirge

Flüsse,Seen

Eisgebiete

⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅ ⋅

6,7% 27,5% 20,8% 9,4% 23,5% 2,0% 10,1%

minimaler Bedarf8 vonP = , ⋅ kWh ⋅ a− . (4.51)

Dieser Grundenergiebedarf muss durch die Landwirtschaft zur Verfügung gestellt werden.Die Frage ist, ob das auf den angebotenen Flächen überhaupt möglich ist. Dazu einige Tat-sachen.

Am Beginn des 21. Jahrhunderts hatte die Welt noch eine Bevölkerungszahl von 6 Mil-liarden Menschen. Zu dieser Zeit wurden auf einer Fläche von ⋅ m (dabei handeltes sich um Acker- undWeideland) ein Nahrungsmittelüberschuss von 113% produziert.Dabei verteilen sich die Überschüsse ganz unterschiedlich auf die ve- und we-Länder. Esergaben sich Überschüsse von

% in den ve-Ländern,

% in den we-Ländern.

Bei den we-Ländern sind klare Unterschiede zwischen einzelnen Regionen zu erkennen,wobei eine Nahrungsmittelunterproduktion besonders in Afrika auftrat. Aufgeteilt nachdiesen Regionen ergaben sich folgende Produktionen

Afrika %,Mittel-/Südamerika %,

Westasien %,Ostasien (ohne China) %,China %.

Größere Hungersnöte traten besonders in Afrika und seltener in Ostasien auf. Eigent-lich wurden zu dieser Zeit genügend Nahrungsmittel produziert, und Hungersnöte sindeher ein Verteilungsproblem, denn ein Produktionsproblem. Bei einer Überproduktionvon 113% sollte man eigentlich erwarten, dass ausreichend Lebensmittel auf der Weltvorhanden sind, um die Weltbevölkerung zu ernähren. Und die Versorgung sollte auch

8 Bei der Berechnung dieses Bedarfs gehen wir von einem passiven Menschen aus, der keinerlei Ar-beit verrichtet.

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98 4 Das Wachstum und seine Grenzen

dann ausreichen, wenn der tatsächliche Pro-Kopf-Bedarf etwa doppelt so hoch ist wieder Grundumsatz, weil zusätzliche Energie für die menschlichen Arbeitsverrichtungenbenötigt wird. Daher beträgt der Energiebedarf eines aktiven Menschen (im Gegensatz zueinem passiven Menschen) schätzungsweise

Pn= , ⋅ kWh ⋅ a− (4.52)

Demnach wurden zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf einer Fläche von ⋅ m mithilfeder Landwirtschaft die Energie der Sonne, die auf dieser Fläche von der Größe

P′⊕ = , ⋅ kWh ⋅ a− (4.53)

ist, in chemische Energie von der Größe

P = , ⋅ kWh ⋅ a− (4.54)

zur Ernährung von 6Milliarden Menschen umgewandelt. Daraus resultiert einNutzungs-grad der Energiewandlung durch die Agrarwirtschaft von

ζAgrar =, ⋅

, ⋅ = ,. (4.55)

Dieser Nutzungsgrad ist extrem gering, wenn man ihn zum Beispiel mit dem idealenWirkungsgrad ηCarnot = , des Carnot’schen Kreisprozesses vergleicht (siehe Ab-schn. 2.3.1). Dafür gibt es aber Gründe:

1. Der Nutzungsgrad der Energiewandlung durch Pflanzen beträgt typisch ζ = , undist daher von vornherein sehr klein.

2. Ein Teil der Nahrung besteht aus tierischen Produkten, die wiederum von Tieren durchpflanzliche Nahrungsaufnahme erzeugt wurden. Nach der Produktregel (2.45) wird da-durch der Gesamtnutzungsgrad drastisch reduziert.

3. Die Agrartechnik ist in verschiedenen Ländern verschieden weit fortgeschritten. Be-sonders in vielen Ländern Afrikas lassen sich wohl Verbesserungen in der Landbe-wirtschaftung durchführen,wenn das Bruttoinlandprodukt dieser Länder entsprechendgesteigert werden kann.

Aufgrund dieser Tatsachen erscheint es nicht unplausibel anzunehmen, dass ein Bevölke-rungszuwachs von ca. 70% auf den zur Verfügung stehenden Flächen auch weiterhin mitausreichenden Nahrungsmitteln versorgt werden kann. Dazu ist schon eine Steigerung deslandwirtschaftlichen Nutzungsgrads auf einen Wert ζAgrar = , ausreichend. Durcheine fortschrittliche Agrartechnik in allen Ländern kann das erreicht werden. Dann aller-dings muss Abschied genommen werden von der Vorstellung, eine Landwirtschaft ließesich ohne den Einsatz moderner technischer Methoden betreiben.

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4.6 Das Flächenangebot der Erde 99

Tab. 4.6 Flächen, die zur Umwandlung in ⋅ kWh ⋅a− Primärenergie mit verschiedenenTech-niken erforderlich sind

Energiequelle Technik Intensität(kWh ⋅ a− ⋅m−)

Energie-nutzungsgrad

Flächenbedarf(m)

Solarenergie Agrartechnik , ⋅ 0,004 ⋅

Solarenergie Fotovoltaik , ⋅ 0,15 , ⋅

Fossile Brennstoffe Kraftwerk ⋅ 0,5 , ⋅

Ähnliche Überlegungen, jetzt aber angewandt auf den zukünftigen Primärenergiebe-darf der Menschheit, führen zu einem ganz anderen Ergebnis. Nach unseren Prognosenwird dieser Energiebedarf auch unter restriktiven Annahmen bei

Pmax = ⋅ kWh ⋅ a− (4.56)

liegen. Verglichenmit (4.54) ist das etwa 30malmehr als dermenschliche Grundenergiebe-darf und erfordert eine entsprechend größere Fläche zur Bereitstellung. Umdie Flächenan-forderungen genauer zu quantifizieren, wollen wir in Tab. 4.6 drei verschiedene Technikender Bereitstellung vergleichen. Im Falle der Solarenergie gibt Intensität die Leistung an, dievon 1m der Erdoberfläche tatsächlich absorbiert wird. Die Intensität eines Kraftwerksergibt sich aus der Kraftwerksleistung und den zum Bau und zur Versorgung notwendi-gen Flächen. Die angeführten Werte für die einzelnen Nutzungsgrade werden wir nochausführlich in späteren Kapiteln behandeln. Bei den angegebenen Werten handelt es sichkeineswegs um untere Grenzwerte, sondern dieser Werte sind optimistisch geschätzt. Sieenthalten zum Beispiel noch nicht die Reduktion des Nutzungsgrads, die bei dem Zwangzur Energiespeicherung und zum Energietransport auftreten wird.

Selbst wenn wir davon ausgehen, dass die Werte in der Tab. 4.6 nur grobe Schätzwertesind, dann sind trotzdem einige Folgerungen aus dieser Tabelle unausweichlich:

Es wird nicht gelingen, den zukünftigen Energiebedarf in irgendeinerWeise mithilfeder „natürlichen Methode“, nämlich der Fotosynthese zu decken.

Die erforderliche Fläche übersteigt 60% der gesamten auf der Erde nutzbaren Landflä-che. Bioprodukte (Biogas, Biomethanol, Biodiesel, etc) werden daher bei der Versorgungmit Primärenergie immer nur ein Nischendasein fristen.

Es ist im Prinzip möglich, den zukünftigen Primärenergiebedarf der Welt mithilfeeiner „technischen Methode“ (Fotovoltaik) aus der Solarenergie zu decken.

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100 4 Das Wachstum und seine Grenzen

Dazu werden aber sehr große Flächen benötigt, die in stark besiedelten Ländern nichtzur Verfügung stehen. Aus vielen Gründen wären dieWüstengebiete geeignet, von denendann ca. 6% zur Energiewandlung genutzt werden müsste. Aber derartige Vorschläge las-sen außer Acht, welche Gefahr die geänderte Flächennutzung für unser Klima auf der Erdebedeuten kann.

Allein vom Flächenbedarf gesehen, stellt die Verbrennung fossiler Energieträger dasbevorzugte Verfahren zur Deckung unseres Primärenergiebedarfs dar.

Aber die Verbrennung erhöht die CO-Zusammensetzung der Erdatmosphäre. Und au-ßerdem sind fossile Energieträger nicht ersetzbar, ihr Vorrat wird in nicht allzu fernerZukunft erschöpft sein. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, damit beschäftigen wir uns imnächsten Kapitel.

Und was dann? Das ist eine Frage, die sich auf jeden Fall nicht ohne eine ausführlicheAnalyse aller bestehendenMöglichkeiten für eine zukünftige Energieversorgung beantwor-ten lässt. Diese Analyse muss vorurteilsfrei geführt werden und ohne dass ein populäresWunschdenken den Blick verengt.

4.7 Deutschland, ein Sonderfall?

Unsere Überlegungen beschäftigten sich bisher fast ausschließlich mit der Situation, in dersich die Welt insgesamt befindet und in Zukunft befinden wird. Werden die Probleme inDeutschland lösbar sein? Der Eindruck, dass es möglich sei, drängt sich auf, wenn manden Berichten deutscher Medien glaubt. Aber Glauben ist keine Grundlage für eine gesi-cherte Energieversorgung. Denn die Probleme, denen sich Deutschland gegenüber sieht,sind gravierender. Wir wollen uns das anhand der vorhandenen und der benötigten Flä-chen überlegen.

Deutschland gehört zu den ve-Ländern. Daher kannman davon ausgehen, dass sich sei-ne Bevölkerungszahl und sein Primärenergiebedarf in Zukunft nicht wesentlich verändernwerden, weil die Einwanderung aus den we-Ländern zwar zunehmen, aber auch die Ener-gieeffizienz steigen wird. Die entsprechenden Zahlen amAnfang des 21. Jahrhunderts sindrepräsentativ für das gesamte Jahrhundert.

Die Gesamtfläche Deutschlands beträgt

AD = , ⋅ m. (4.57)

Davon sind ca. 7% als Siedlungsfläche und ca. 5% als Verkehrsfläche ausgewiesen. DieWaldfläche in Deutschland beträgt ca. 30%, aber selbst diese Fläche ist nicht ungenutzt,sondern dient größtenteils der Forstwirtschaft und der Erholung. Praktisch gibt es in

Page 110: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

4.7 Deutschland, ein Sonderfall? 101

Tab. 4.7 Flächen, die zur Befriedigung des deutschen Primärenergiebedarfs von , ⋅ kWh ⋅a−

erforderlich sind

Energiequelle Technik Intensität(kWh ⋅ a− ⋅m−)

Energie-nutzungsgrad

Flächenbedarf(m)

Solarenergie Agrartechnik ⋅ 0,004 ⋅

Solarenergie Fotovoltaik ⋅ 0,15 , ⋅

Fossile Brennstoffe Kraftwerk ⋅ 0,5 ⋅

Deutschland keine ungenutzten Flächen. Wie groß ist aber der Flächenbedarf, der sich füreine autarke Versorgung mit Primärenergie ergäbe?

Anfang des 21. Jahrhunderts hatte Deutschland einen Primärenergiebedarf von

PD = , ⋅ kWh ⋅ a− . (4.58)

Die zur Befriedigung dieses Bedarfs erforderlichen Flächen ergeben sich aus Tab. 4.7. Diefür die Solarenergie angesetzte Intensität ist geringer als die, die wir in Tab. 4.6 benutzthaben. Der Grund ist, dass sich Deutschland geografisch in einem für die Nutzung derSolarenergie ungünstigen Gebiet befindet.

Aus der Tab. 4.7 lassen sich fast identische Schlussfolgerungen ziehen, wie wir sie vorherfür die Welt insgesamt gezogen haben. Aber sie gelten nicht erst zum Ende des 22. Jahr-hunderts, sondern sie sind schon jetzt gültig. Daher sind sie eigentlich noch erschrecken-der, denn um unseren Primärenergiebedarf zukünftig mithilfe der Solarenergie zu decken,müsste etwa ein Viertel der Wälder abgeholzt und durch Fotodioden ersetzt werden. Dasist sicherlich kein realistisches Vorhaben. Als Ausweg wird dann vorgeschlagen, die freiverfügbarenDachflächen als Standflächen für Fotodioden zu benutzen. Es wird geschätzt,dass Deutschland eine nutzbare Dachfläche von ca. ⋅ m aufweist. Das sind geradeeinmal 4% der erforderlichen Fläche und bietet sicher auch keine Lösung. Daher wirdDeutschland auch in Zukunft auf den Import von Primärenergie angewiesen sein, wie dasbereits heute der Fall ist. Und daher werden die deutschen Möglichkeiten auch davon ab-hängen, welcher Weg für die zukünftige Versorgung der Welt mit Primärenergie gewähltwird, falls eine Wahlmöglichkeit überhaupt existiert.

Page 111: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5DieWeltenergievorräte

Welche Energievorräte besitzt dieWelt, die zur Versorgungmit Primärenergie genutzt wer-den könnten?Wir werden uns mit dieser Frage in den folgenden Abschnitten beschäftigenund anschließend überlegen, wie lange die Vorräte aus diesen Quellen noch reichen, wennder prognostizierte Energiebedarf zugrunde gelegt wird.

Im Prinzip sind alle Energieträger entstanden durch die Umwandlung von zwei fun-damentalen Energieformen in andere Energieformen. Die fundamentale Energieform mitder größten Bedeutung ist die

• Kernenergie.

Von wesentlich geringerer Bedeutung ist die

• Gravitationsenergie.

Es mag überraschen, dass die Kernenergie die eigentliche Urformdes größten Teils der vonuns genutzten Energiequellen ist. Das liegt daran, dass Kernreaktionen für die Sternent-wicklung verantwortlich sind und damit auch für die, von unserer Sonne emittierten undvon der Erde empfangenen elektromagnetischen Strahlung. Die Solarenergie wiederum istüber die Fotosynthese verantwortlich für den Aufbau der fossil biogenen Lagerstätten, indenen die Energie in Form chemischer Energie gespeichert ist und die wir über lange Zei-ten genutzt haben.

Ganz allgemein kann man diese Zusammenhänge in der Abb. 5.1 verdeutlichen. Dienichterneuerbaren Energiequellen sind in dieser Abbildung in roter Schrift gezeigt, dieerneuerbaren in schwarzer Schrift auf schraffiertem Untergrund. Eine Energiequelle unddie dazu gehörige Energie bezeichnen wir dann als nicht-erneuerbar, wenn ihr Vorrat nurendlich ist und dieser Vorrat auch nicht in absehbarer Zeit neu angelegt werden kann. Dieerneuerbaren Energiequellen oder Energien sind dagegen im Prinzip unerschöpflich, dasheißt, ihr Vorrat ist so ungeheuer groß, dass er über den uns interessierenden Zeitraum

103D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_5,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

Page 112: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

104 5 Die Weltenergievorräte

Wärme

Gezeiten

Wasserstoff (Fusion)stätten

Erdlager−

energie

Erdwärme

bewegungPlaneten−

UranThorium

(Spaltung)

ErdölErdgas

Kohlefossil

biogen

fossilmineralisch

Vergangenheit

Gegenwart

Ker

nen

erg

ieG

rav.

ener

gie

Solar−

Strömungen

WellenWind

Niederschlag

Wärmestrahlung

Abb. 5.1 Die prinzipiellen Energiequellen der Erde. In rot sind die nichterneuerbaren Quellen ge-zeigt, in schwarz auf schraffiertem Untergrund die erneuerbaren Quellen

hinausreicht. Zum Beispiel wird die Solarenergie solange zur Verfügung stehen, solangeihre Ursache, nämlich die in der Sonne ablaufenden Kernreaktionen, weiter besteht.

Zuerst wollen wir uns mit den nichterneuerbaren Energieträgern beschäftigen, das sind

• die fossil biogenen Energieträger,• die fossil mineralischen Energieträger.

Letzteren stehen viele Menschen, besonders in Deutschland, ablehnend gegenüber, viel-leicht auch deswegen, weil das notwendige Basiswissen zum Verständnis ihrer Eigenschaf-ten fehlt. In den Abschn. 5.2.1 bis 5.5 wird dieses Wissen vermittelt. Nicht-interessierteLeser können diese Kapitel auch überspringen.

5.1 Die fossil biogenen Energien

Zu den fossil biogenen Energieträgern zählen wir

• Kohle,• Erdöl,• Erdgas.• Unkonventionelle Energieträger.

Mit dem Begriff „unkonventionelle Energieträger“ werden Kohlenwasserstoffe bezeich-net, deren Lagerstätten entweder schwer zugänglich sind (Methanhydrat), oder deren Ab-

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5.1 Die fossil biogenen Energien 105

bau schwierig ist (Teersände, Ölschiefer, Gasschiefer). Alle haben gemeinsam, dass ihrAbbau selbst viel Energie erfordert und ein erhebliches Umweltrisiko darstellt.

DasMethanhydrat ist ein CH-Molekül, an das sich bei tiefer Temperatur (T < ○C)und hohemDruck (P > bar) bis Wassermoleküle HO angelagert haben. Es entstehteine schneeähnliche Substanz, in der pro m Volumen etwa m Methangas unter Nor-malbedingungen von Temperatur und Druck gespeichert sind. Es wird vermutet, dass sichderartige Lagerstätten ausMethanhydrat im Laufe vonMillionen von Jahren auf dem Tief-seeboden der Ozeane gebildet haben. Und zwar durch die baktereologische Zersetzung desPlankton, das von derWasseroberfläche auf den Meeresboden abgesunken ist. Bekannt ist,dass sich große Lagerstätten von Methanhydrat auf den Festlandssockeln der Kontinen-te befinden. Wie groß die Lagerstätten insgesamt sind, ist unbekannt. Schätzungen gehendavon aus, dass sie an Mächtigkeit alle bekannten Erdöl, Erdgas und Kohle Vorkommenübertreffen. Der Abbau des Methanhydrats wird aber außerordentlich schwierig sein undwahrscheinlich mehr Energie erfordern als abgebaut wird. Neben der großen Tiefe der La-gerstätten ist der Hauptgrund, dass sie über den gesamten Meeresboden verteilt und dahernicht konzentriert sind, wiewir das bei allen anderen Lagerstättenmit fossil biogenen Ener-gieträgern vorfinden. Und außerdem: CH ist einTreibhausgas, das etwa 22mal wirksamerist als CO.

Teersände enthalten Kohlenwasserstoffe (Bitumen) mit einem geringeren H ∶ C Ver-hältnis (Wasserstoff zu Kohlenstoff) als Erdöl. Daher muss das Bitumen aus dem Teersandzunächst einmal hydriert werden, bevor man es mit den gleichen Techniken wie beim Erd-öl verarbeiten und dann nutzen kann. Die größten Lagerstätten für Teersände befindensich in Kanada, den USA, Russland und Venezuela. Nur in Kanada werden Teersände ingrößeremUmfang abgebaut, verarbeitet und in dieUSA exportiert. ZurGewinnung des Bi-tumens aus dem Gestein werden mit der heutigen Technik große Mengen an Wasser undWasserdampf benötigt. Etwa 1/3 der gewonnenen Primärenergie muss allein für den Ab-bau aufgewendet werden. Bezüglich desWasserswerden zurGewinnung von m BitumeneineMenge von 4 bis m Frischwasser benötigt. Die gleich große Abwassermenge ist starkmit Schweröl verunreinigt undwird in großen Speicherseen aufgefangen und gelagert. Diesstellt natürlich ein gravierendes Umweltproblem dar.

Bei dem Gas- und Ölschiefer handelt es sich um Gesteinsformationen, in denen nor-males Erdgas bzw. Erdöl eingelagert ist, also nicht gespeichert in Kavernen, wie es sonst derFall ist. Um das Gas oder Öl zu fördern, müssen die Schieferschichten zunächst aufgewei-tet werden, was mit einem Wasser-Chemikalien-Gemisch unter hohem Druck geschieht(genannt fracking). Auch hier ist das zurückbleibende Wasser das eigentliche Umweltpro-blem. Bei dem fracking-Prozess kann aber auch CH aus den Bohrlöchern entweichen undden Treibhauseffekt verstärken.

Insbesondere in den USA hat die Nutzung unkonventioneller Energieträger, trotz derRisiken, seit dem Jahr 2008 enorm anBedeutung gewonnen.1 Leider werden diese Energie-reserven in Statistiken einfach addiert zu den Energiereserven der konventionellen Ener-

1 Wahrscheinlich hat das geholfen, die Finanzkrise (Abschn. 4.2) in den USA zu überwinden.

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106 5 Die Weltenergievorräte

gieträger, obwohl letztere weniger Förderaufwand erfordern und daher, im Prinzip, einengeringeren Energiepreis gestatten. Die Angabe von Energiereserven oder Energievorrä-ten geschieht i.A. unter der Prämisse, dass sie mit „akzeptablen finanziellen Mitteln“ er-schlossen werden können, also auch zu einem akzeptablen Energiepreis führen. WelcherEnergiepreis akzeptabel ist, ist eine interessante Frage, die in diesem Buch nur kurz imAbschn. 3.1.1 behandelt wird. Auch im Begleitmanuskript „Energie4“ findet man einigeÜberlegungen dazu.

Die fossil biogenen Energieträger sind aus der Solarenergie mithilfe der Fotosynthese inPflanzen entstanden. Der Prozess der Kohlebildung begann vor ca. 300 Millionen Jahren,Erdöl und Erdgas entstanden vor ca. 200 Millionen Jahren. Diese enormen Zeiträume sindder Grund dafür, dass trotz des sehr kleinen Nutzungsgrads der Fotosynthese im Laufevon Millionen Jahren sehr große Lagerstätten entstehen konnten. Der darin gespeicherteEnergievorrat beträgt etwa ⋅ kWh, von denen bis zum Jahr 2000 etwa ⋅ kWhals Primärenenergie von der Menschheit verwendet wurden.

Diese Zahlen erlauben uns, wiederum eine Abschätzung für den beim Aufbau der La-gerstätten erzielten Nutzungsgrad durchzuführen. Falls der Aufbau während einer Zeit-periode von t ≈ a stattfand und sich auf einer Fläche A ≈ ,A⊕ ≈ ⋅ m vollzog,dann betrug die absorbierte Solarenergie

W = I′⊕ A t = , ⋅ kWh. (5.1)

Verglichen mit derMächtigkeit der Lagerstätten ergibt sich daraus ein Nutzungsgrad fürihren Aufbau von

ζ = ⋅

, ⋅ = ,. (5.2)

Man sollte dieser Zahl nicht größereBedeutung zumessen als ihr zukommt: Sie verdeutlichtnur unsere schon gewonnene Erkenntnis, dass die Energiewandlung mithilfe der Foto-synthese einen nur geringen Nutzungsgrad besitzt, und welche Probleme die instantaneNutzung der Solarenergie bereiten wird.

Für die zukünftige Versorgung mit Primärenergie sind die in Tab. 5.1 aufgeführten Re-serven noch vorhanden. Allerdings sind diese nicht gleichmäßig über die Erde verteilt.Aufgeteilt nach den verschiedenen Regionen der Erde ergeben sich die prozentualen An-teile in Tab. 5.2. Die Weltvorräte an Erdöl und Erdgas liegen hauptsächlich in Westasien,allerdings besitzt auch die frühere Sowjetunion einen großen Vorrat an Erdgas. Die abbau-baren Kohlelagerstätten liegen hauptsächlich in Nordamerika (USA und Kanada), in Ost-

Tab. 5.1 Die verbleibenden Vorräte an fossil biogenen Energieträgern nach 2000

Kohle Erdöl ErdgasDurchschnittlicher Heizwert(kWh ⋅ kg−) oder (kWh ⋅m−)

7,1 10,3 10,5

Vorräte (kWh) , ⋅ , ⋅ , ⋅

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5.1 Die fossil biogenen Energien 107

Tab. 5.2 Die Anteile verschiedener Regionen an den fossil biogenen Energieträgern

Westasien Afrika Nord-amerika

Süd-amerika

Ostasien/Ozeanien

FrühereSU

Europa

Kohle 3,8% 28,5% 1,5% 30,9% 30,2% 5,1%Erdöl 48,4% 7,8% 13,2% 19,7% 2,5% 8,0% 0,4%Erdgas 43,0% 7,7% 5,8% 4,1% 8,2% 29,2% 2,0%

2

4

6

8

10

12

14

16

18

20

2000 2050 2100 2150

Prognose 1

Prognose 2

Prognose 3

Erdöl

+ Erdgas

Kohle

Jahr

Ku

mu

liert

er P

EB

(10

15 k

Wh

)

Abb. 5.2 Die Entwicklung des kumulierten Primärenergiebedarfs nach den Prognosen (1), (2) und(3) imVergleich zuden vorhandenenVorräten an fossil biogenenEnergieträgern.Die nach links obenschraffierten Fläche zeigt die Vorräte an Erdöl und Erdgas, die nach rechts oben schraffierte Flächedie Vorräte an Kohle. Unabhängig von der Prognose sind alle Vorräte zur Mitte des 21. Jahrhundertserschöpft

asien/Ozeanien (China und Australien) und in der früheren Sowjetunion. Europa besitztvon den Energiereserven der Welt herzlich wenig. Am mächtigsten sind noch die Koh-lelager in Polen, Deutschland und Großbritannien (Reihenfolge nach ihrer Bedeutung).Deutschland hat sich aber wegen der hohen Kosten entschlossen, seinen Steinkohleabbaueinzustellen und lieber die billigere Braunkohle und Importkohle zu verwenden.

Wir gehen davon aus, dass die in Tab. 5.1 aufgeführten Energiereserven weltweit zu-gänglich sind und nicht nur von den Ländern genutzt werden können, in denen sich diejeweiligen Lagerstätten befinden. Unter dieser Annahme ist leicht auszurechnen, zu wel-cher Zeit alle verfügbaren fossil biogenen Energieträger verschwunden sein werden, wennsich der Primärenergiebedarf der Welt, wie in Abschn. 4.3 prognostiziert, entwickelt undwenn unsere Energieversorgung, wie bisher, fast ausschließlich diese Energieträger ver-wendet. Zu diesem Zweck muss der jährliche Energiebedarf sukzessive aufaddiert werdenzum kumulierten Energiebedarf , wie es in Abb. 5.2 geschehen ist. Der kumulierte Ener-giebedarf kann direkt mit den vorhandenen Reserven an Erdöl, Erdgas und Kohle vergli-chen werden. Auch dies wird in Abb. 5.2 durchgeführt. Aus diesem Vergleich ergibt sich,

Page 116: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

108 5 Die Weltenergievorräte

dass die Reserven kurz nach Mitte des 21. Jahrhunderts erschöpft sein werden und zwarziemlich unabhängig davon, nach welcher der untersuchten Prognosen sich die Weltwirt-schaft entwickelt.

Falls unsere Energieversorgung fast ausschließlich auf den fossil biogenen Energie-trägern Erdöl, Erdgas, Kohle aufbaut, dann werden die weltweiten Vorräte an diesenEnergieträgern bis zur Mitte des 21. Jahrhunderts abgebaut sein.

Es ist daher eigentlich nicht nötig, dass wir uns Sorgen um die Energieversorgung im22. Jahrhundert machen. Unser Schicksal entscheidet sich in der ersten Hälfte des 21. Jahr-hunderts. Ein Zeitraum von nur 40 Jahren ist sehr klein, um auf die mit der Energiever-knappung einhergehenden Herausforderungen zu reagieren. Zumal die Vorstellung, dassdie heute schon lebende Generation mit dieser Aufgabe konfrontiert sein wird, offensicht-lich noch nicht ihren Weg in das Bewusstsein vieler Menschen gefunden hat. Ein „Weiterwie bisher“ wird es nicht geben, denn einfache Auswege aus der voraussehbaren Energie-krise sind nicht erkennbar. Menschen klammern sich an Hoffnungen, selbst wenn dieseunrealistisch sind, und dazu gehören:

• Es existieren andere Energieträger.

Hier werden, besonders in Deutschland, die erneuerbaren Energien genannt. Ob diese tat-sächlich in der Lage sind, die sich auftuende Energielücke zu füllen, damit werden wir unsin Kap. 7 beschäftigen. Aber allein schon die Zusammenstellungen in den Tab. 4.6 und 4.7lassen daran zweifeln, dass dieser Vorschlag einen wirklichen Ausweg eröffnet.

• Es gibt viel mehr Reserven als in Tab. 5.1 aufgeführt.

Dies ist ein Wunschdenken, auf dem sich keine verantwortungsvolle Energieplanung auf-bauen lässt.Manmuss davon ausgehen, dass alle größeren Lagerstätten mit fossilen Brenn-stoffen bekannt sind, selbst wenn diese zur Zeit noch nicht ausgebeutet werden. Dies wirdauch daran erkennbar, dass sich seit der 1. Auflage dieses Buches die bekannten Energiere-serven nur unwesentlich von , ⋅ kWh auf , ⋅ kWh vergrößert haben. Dadurchwird die Frist bis zur Erschöpfung der Energiereserven um nicht einmal fünf Jahre verlän-gert. Was sich verändert hat, ist eine geringe Erhöhung der Erdölreserven auf Kosten derKohlereserven.

5.2 Die fossil mineralischen Energien 1: Kernspaltung

Zu den fossil mineralischen Energieträgern zählen wir einmal die Elemente Uran (U)undThorium (Th), die alsMineralien in geringer Konzentration in der Erdkruste zu findensind, und dann aber auch denWasserstoff (H), der an Sauerstoff (O) gebunden dasWasser

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5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 109

(HO) bildet und praktisch unbegrenzt in der Natur vorhanden ist. Uran- und Thorium-lagerstätten mit einer Konzentration c > ,% (1 kg Mineral pro 1 t Gestein) werden zurZeit als abbauwürdig angesehen. Es gibt einen gezielten Uranabbau, Thorium wird dage-gen mehr als Beiprodukt beim Abbau der Lanthaniden gewonnen. Unter den Lanthanidenversteht man alle Elemente mit denOrdnungszahlen zwischen denen des Lanthan (Z = )und des Luthetium (Z = ).

Die eigentliche Energie im Uran und Thorium ist die Kernenergie, genauer die Bin-dungsenergie der Nukleonen im Atomkern. Damit unterscheidet sich diese Energieformgrundlegend von der chemischen Energie der fossil biogenen Energieträger: Letztere ent-spricht der Bindungsenergie der Elektronen in der Atomhülle.

Bereits am Anfang dieses Kapitels wurde darauf hingewiesen, dass die Kernenergie an-gesehen werden kann als Ausgangs- oder Fundamentalform fast aller auf der Erde vorhan-denen Energiereserven. Ausgangsenergie deswegen, weil die Solarenergie ihren Ursprungin den Kernreaktionen der Sonne hat. Dass bei den Kernreaktionen Energie frei wird, liegtdaran, dass dieBindungsenergiedes Nukleons einenminimalenWert von−,MeV (sie-he Tab. 2.2 und 2.3) besitzt, wenn die Nukleonen zu einem Kern in der Nachbarschaft desEisenkerns (Z = ) gebunden sind. Werden daher zwei leichte Kerne zu einem leichterenKern als demEisenkern vereinigt, so wird ein Überschuss an Bindungsenergie frei, der sichin thermische Energie umwandelt. Diesen Prozess bezeichnet man als Fusion. Die Fusionvon vier Protonen zu einem Heliumkern (He) ist der Prozess, der in der Sonne abläuftund der Sonne eine Oberflächentemperatur von 5800K beschert.

Auf der anderen Seite kann auch ein sehr schwerer Atomkern in zwei leichtere Atom-kerne zerlegt werden, von denen jeder aber schwerer als der Eisenkern sein muss. Auch beidiesem Prozess wird Bindungsenergie frei, man bezeichnet diesen Prozess als Spaltung.Aus Gründen, auf die wir erst auf der P-Ebene eingehen werden, ist die Spaltung tech-nisch nur durchführbar mit den Kernen U, U (Uran) und Pu (Plutonium). Auchdie Wasserstofffusion kann auf der Erde nicht mit der gleichen Reaktion wie in der Son-ne durchgeführt werden, sondern erfordert dieWasserstoffisotopeDeuterium (d oder H)undTritium (t oder H).Während Deuterium, gebunden imWasser, auf der Erde vorhan-den ist, muss Tritium erst aus Li (Lithium) erzeugt werden. Die Physik der Kernfusionund der mit ihr verbundenen Kernreaktionen werden wir später besprechen. Wir wollenzunächst die Kernspaltung genauer diskutieren und uns dann im Abschn. 5.4 der Kernfu-sion zuwenden.

Von den spaltfähigen2 Atomkernen ist nur das U in der Natur vorhanden, und zwarals geringe Beimischung mit einem Anteil von 0,7% im natürlichen Uranerz. Bei den rest-lichen 99,3% handelt es sich um das U, das nicht spaltfähig ist. Die beiden anderenspaltfähigen Kerne U und Pu müssen zunächst durch Brutreaktionen mithilfe von

2 Spaltfähig heißt, dass der Kern erst nach Einfang von thermischen Neutronen spaltet.

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110 5 Die Weltenergievorräte

Neutronen (n) erzeugt werden. Die dazu notwendigen Kernreaktionen lassen sich, ohneBerücksichtigung des gleichfalls auftretenden Betazerfalls, wie folgt schreiben

Th + n→ UU + n→ Pu.

(5.3)

Die Ausgangskerne Th und U sind radioaktivmit einer Lebensdauer τ = ⋅ a fürdas Th und τ = , ⋅ a für das U. Diese Lebensdauern sind so ungeheuer groß, dassdie Anzahl dieser Kerne seit Entstehung der Erde vor ca. , ⋅ a nur wenig abgenommenhat und daher Uran undThorium immer noch in der Natur vorkommen.

Die Kernspaltung selbst wird ebenfalls durch ein Neutron ausgelöst, wobei im Allge-meinen folgende Reaktion abläuft

spaltfähiger Kern + n → Spaltfragmente + . . . n + MeV. (5.4)

Jede Spaltreaktion erzeugt neben den zwei Spaltfragmenten auch eine gewisse Anzahl vonNeutronen, die wiederum eine neue Spaltreaktion auslösen können. Es entsteht eine Ket-tenreaktion, die nutzbare Energie beträgt also 200MeV pro Spaltung. Dieser Wert ist sehrgroß, wenn man bedenkt, dass mit 1 kg spaltfähigem Material etwa , ⋅ Spaltungendurchgeführt werden können. Dies ergibt ein Energie-zu-Masse-Verhältnis (spezifischeEnergie) bzw. ein Energie-zu-Volumen-Verhältnis (Energiedichte) von

WSpaltung

m= , ⋅ kWh ⋅ kg− bzw. w =

WSpaltung

V= , ⋅ kWh ⋅m− . (5.5)

Allerdings steht diese volle Energie nur dann zur Verfügung, wenn z. B. das U vor-her durch eine Brutreaktion in Pu verwandelt wurde. Sind diese Brutreaktionen, auswelchen Gründen auch immer, nicht durchführbar, so verringern sich die VerhältnisseWSpaltung/m bzw. WSpaltung/V um den Faktor, mit dem U im natürlichen Uran vorhan-den ist. Das ergibt

WSpaltung

m= , ⋅ kWh ⋅ kg− bzw. w =

WSpaltung

V= , ⋅ kWh ⋅m− (5.6)

und bedeutet, dass dann einer der vorhandenen Energievorräte nicht genutzt wird.Welche zur Zeit abbauwürdigen Vorräte an Uran und Thorium befinden sich auf der

Erde? Bei einem Förderpreis von weniger als USD ⋅ kg− betragen die Weltvorräte anUran , ⋅ kg. Thorium kommt in der Erdkruste seltener vor, seine Vorräte werden aufinsgesamt , ⋅ kg geschätzt. Ausgedrückt mithilfe von (5.5) ergibt das die in Tab. 5.3aufgeführten Energievorräte. Verglichen mit den Angaben in Tab. 5.1 für die fossil bio-genen Energieträger, stellt die Spaltung von U allein keine wirkliche Vergrößerung derEnergievorräte dar.

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5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 111

Tab. 5.3 Die vorhandenen Vorräte an spaltfähigen Energieträgern (siehe Tab. 5.1)U Pu U

Spez. Heizwert (kWh ⋅ kg−) , ⋅ , ⋅ , ⋅

Vorräte (kWh) , ⋅ ⋅ ⋅

radioaktive Lebensdauer (a) , ⋅ , ⋅ , ⋅

Tab. 5.4 Die Verteilung von Uran undThorium auf der Welt (siehe Tab. 5.1)

Westasien Afrika Nord-amerika

Süd-amerika

Ostasien/Ozeanien

FrühereSU

Europa

Uran – 16% 14% 6% 27% 34% 3%Thorium 13% 5% 18% 24% 30% 3% 7%

Die Lagerstätten für Uran und Thorium zeigt die Tab. 5.4. Beide sind also viel gleich-mäßiger über die Erde verteilt als die Lagerstätten der fossil biogenen Energieträger. FürErstere besteht daher auch nicht so sehr die Gefahr, dass ein Land seine Monopolstellungauf Kosten aller anderen Länder ausnutzt. Weiterhin findet man Uran in einer sehr ge-ringen Massenkonzentration3 c = ⋅ − im Meerwasser. Obwohl dies zunächst wie einunerschöpflicher Vorrat von Uran erscheint, lässt sich damit keine Anlage zur Urangewin-nung aufbauen. Um den Bedarf an Primärenergie von ⋅ kWh ⋅ a− zu decken, müssteeine Wassermenge von ⋅ kg ⋅ a− aufgearbeitet werden, also ein Wasservolumen von ⋅ m

⋅ a−. Um uns eine Vorstellung von der Größe dieses Volumens zu machen: Beieiner mittleren Wassertiefe von 200m hat das erforderliche „Meer“ eine Oberfläche von × km. Dies entspricht etwa der Oberfläche der Ostsee, die dann in einem Jahrdurch die Urangewinnungsanlage gepumpt werden müsste.

Beschränkt man kernenergetische Anlagen auf die Spaltung von U, so zeigt Tab. 5.3,dass die zur Zeit abbauwürdigen Uranvorräte nicht ausreichen, um den Zeitpunkt derEnergieverknappung um mehr als 1 Jahr hinauszuschieben. Erst wenn Pu aus Uund noch besser U aus Th erbrütet werden, dann wird dieser Zeitpunkt um mehr als100 Jahre in das 22. Jahrhundert verlegt, was wohl eine genügend große Zeitspanne ist, umdie Energieversorgung der Welt auf andere Techniken umzustellen.

Die Kernenergie, die bei der Kernspaltung freigesetzt wird, kann nur dann einenwesentlichenBeitrag zurVersorgung derWeltmit Primärenergie leisten, wennnebender Spaltung von U auch die Spaltung von U und Pu in kerntechnischenAnlagen verwirklicht wird.

3 Die Massenkonzentration c ist das Verhältnis einer Teilmasse Δm zur Gesamtmasse m, also c =Δm/m.

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112 5 Die Weltenergievorräte

Abb. 5.3 Die Abhängigkeitder Bindungsenergie eines Nu-kleons im Atomkern von derMassenzahl dieses Kerns. BeiA ≈ besitzt diese Abhängig-keit ein Minimum, das heißt,bei dieser Massenzahl sind dieNukleonen besonders starkgebunden

−8

−6

−4

−2

0

0 100 200Massenzahl A

Bin

du

ng

sen

erg

ie p

ro N

ukl

eon

(M

eV)

5.2.1 P-Ebene: Die physikalischen Grundlagen der Kernspaltung

Da die Kernspaltung immerhin eine der Möglichkeiten bietet, die Weltenergieversorgungauch in der Zukunft zu garantieren, werden wir uns jetzt auf der P-Ebene mit den physi-kalischen Grundlagen dieser Technik beschäftigen.

Die Kernspaltung durch thermische NeutronenDass bei der Kernspaltung Energie freigesetzt wird, ergibt sich aus der Tatsache, dass dieBindungsenergie eines Nukleons im Atomkern von der Massenzahl A = Z + N diesesKerns abhängt. Die Massenzahl ist gleich der Gesamtanzahl Z von Protonen (p) und derGesamtanzahl N vonNeutronen (n) in demKern. Die A-Abhängigkeit der Bindungsener-gie ist in Abb. 5.3 gezeigt. Demnach erreicht diese Bindungsenergie ihren minimalen Wertbei einem Atomkern mit der Massenzahl Amin ≈ , also für Kerne in der Nachbarschaftdes Eisenkerns.

In der Kernspaltung wird ein sehr schwerer Kern K in zwei leichte Kerne X und Y zer-legt, wobei die Massenzahlen AX,AY > Amin sein müssen. Natürlich erhebt sich sofort dieFrage, warum Spaltreaktionen K → X + Y nicht spontan in der Natur ablaufen und unse-re gesamte Materie nicht aus Kernen mit der Massenzahl Amin aufgebaut ist. Der Grundist, dass zur Auslösung der Spaltreaktion eine Spaltbarriere überwunden werden muss, diedurch die Kernladung, also die Z positiv geladenen Protonen imKern verursacht wird. DieVerhältnisse sind in der Abb. 5.4 dargestellt.

• Zur Auslösung einer Kernspaltung muss dem Kern K eine Energie von mindestens derGröße der Spaltbarriere BS zugeführt werden. Dies geschieht durch Absorption vonungeladenen Neutronen im Kern K’. Die bei der Kernspaltung entstehenden Spaltfrag-mente X und Y besitzen eine kinetische Energie Wkin(X, Y) = BC, die durch die Größeihrer gegenseitigen Abstoßung aufgrund ihrer positiven Kernladungen ZX und ZY ge-geben ist.

Zusätzlich zur Entstehung der Spaltfragmente X und Y wird bei der Spaltung eine Anzahlx von Neutronen emittiert. Die Spaltreaktion läuft also nach folgendem Schema ab:

K′ + n→ K→ X + Y + x n +Wkin(X, Y). (5.7)

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5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 113

Abstand

En

erg

ie

BB

SC

verbotenes Gebiet

Abb. 5.4 Die Abhängigkeit der Spaltenergie vomAbstand der beiden Spaltfragmente. Sinddie Frag-mente imKern gebunden,muss ihnen die Energie BS zugeführt werden, damit der Kern spalten kann.Nach der Spaltung besitzen beide Fragmente in großem Abstand voneinander die Energie BC

Die Energiebilanz für die Produktion des Zwischenkerns K lautet, wenn Bn die Bindungs-energie des Neutrons im Ausgangskern K’ und Wkin(n) die kinetische Energie des Neu-trons ist:

BS = Bn +Wkin(n). (5.8)

Sobald Bn ≥ BS ist, wird die Spaltung ausgelöst, selbst wenn Wkin(n) = ist. Betrachtenwir einige mögliche Spaltreaktionen unter diesem Gesichtspunkt:

1. U + n→ U, BS = ,MeV, Bn = ,MeV, daherWkin(n) ≈ MeV.2. U + n→ U, BS = ,MeV, Bn = ,MeV, daherWkin(n) ≈ ,MeV.3. Pu + n→ Pu, BS = ,MeV, Bn = ,MeV, daherWkin(n) ≈ MeV.

Diese Beispiele zeigen, dass nur im 1. und 3. Fall die Spaltreaktionen von Neutro-nen ausgelöst werden, die praktisch keine kinetische Energie Wkin(n) besitzen. SolcheNeutronen bezeichnet man als thermische Neutronen, denn ihre Geschwindigkeit v =√

Wkin(n)/m ist von der gleichen Größenordnung wie die der Luftmoleküle unter Nor-malbedingungen. Im 2. Fall müssen die Neutronen eine kinetische Energie von mehrals 1,5MeV besitzen. Solche Neutronen werden schnelle Neutronen genannt, ihre Ge-schwindigkeit ist wesentlich höher als die der thermischenNeutronen. Technisch sind nursolche Spaltreaktionen von Bedeutung, die von thermischen Neutronen ausgelöst werden.Warum?

Der Grund ist, dass die Spaltwahrscheinlichkeit umso größer wird, je geringer die Neu-tronenenergie, oder genauer die Neutronengeschwindigkeit ist. Für dieAbsorptionswahr-scheinlichkeit der Neutronen ergibt sich

Prob(x)abs = − exp(−σabs ρ x). (5.9)

Dabei ist x derWeg, den ein Neutron in dem spaltfähigen Material zurückgelegt hat, ohnedie Spaltung ausgelöst zu haben. Die Dichte des Materials ist mit ρ = n/V gekennzeich-net. Gleichung 5.9 ist so zu interpretieren, dass die Wahrscheinlichkeit der Absorption

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114 5 Die Weltenergievorräte

Resonanz−bereich

Neutronenenergie (eV)

10

10

10

Ab

sorp

tio

nsq

uer

sch

nit

t (b

arn

)

3

2

1

100

10 10 10−2 2 6

U

U

235

238

Abb. 5.5 Der Absorptionsquerschnitt für Neutronen in U in Abhängigkeit von ihrer Energie.Während bis zu ca. 1MeVdermittlereQuerschnitt umgekehrt proportional zurNeutronengeschwin-digkeit ist, schwankt der Querschnitt stark im Resonanzbereich. Der Absorptionsquerschnitt fürNeutronen in U besitzt bei 1,5MeV eine untere Schwelle

W (n)

W (n) n

f

i

K

Abb. 5.6 Der elastische Stoß eines Neutrons n mit einem Kern K, der die Masse A besitzt. Bei demStoß verliert das Neutron die Energie ΔW =Wi(n) −Wf(n) und wird um den Winkel ϑ abgelenkt

zunimmt, je größer der Exponent σabs ρ x wird. Daher ist für die Absorption eines Neu-trons besonders wichtig derAbsorptionsquerschnitt σabs, der die Dimension einer Flächebesitzt und der in Einheiten ⋅ − m

= barn gemessen wird. Der Absorptionsquer-schnitt ist umgekehrt proportional zur Neutronengeschwindigkeit (σabs ∝ /

Wkin(n),wie angenähert in der Abb. 5.5 gezeigt. Diese Proportionalität gilt nur für das mittlereVerhalten des Absorptionsquerschnitts, denn es gibt einen Bereich bei Neutronenenergi-en um 100 eV, den „Resonanzbereich“, in dem der Absorptionsquerschnitt sehr stark vonder Energie abhängt. Neutronen, die mit einer dieser Energien von dem Kern K′ absor-biert werden, führen sehr oft nicht zur Spaltung, sondern zu einer anderen Kernreaktion,sie sind für die Energiefreisetzung verloren. Schnelle Neutronen müssen daher möglichstschnell so stark abgebremst werden, dass sie thermisch werden und bei der Absorption zurSpaltung führen. Zur Abbremsung enthält ein Reaktor neben dem spaltfähigen Materialauch immer einenModerator für die Neutronenabbremsung.

Im Moderator verlieren die Neutronen ihre kinetische Energie durch elastische Stößemit den Atomkernen des Moderators. Solche Stöße kann man sich anschaulich vorstellen,denn sie gehorchen denselben Gesetzen wie zum Beispiel der Stoß von zwei Stahlkugeln.Dieser ist in Abb. 5.6 dargestellt. Das Neutron mit Massenzahl An = und kinetischer

Page 123: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 115

Tab. 5.5 Die Eigenschaften einiger Materialien zur Moderation schneller Neutronen

Moderator n ⟨ξ⟩ βH (leichtes Wasser) 18 1 75H (schweres Wasser) 25 0,725 9300He (Helium) 43 0,425 83Li (Lithium) 67 0,268Be (Beryllium) 86 0,209 142C (Graphit) 114 0,158 265O (Sauerstoff) 150 0,120

EnergieWi(n) stößt auf einen ruhenden Kern Kmit der MassenzahlA. Bei dem Stoß wirddasNeutron umdenWinkel ϑ aus seiner ursprünglichen Richtung abgelenkt und überträgtdabei einen Teil seiner Energie ΔW = Wi(n) −Wf(n) auf den Kern. Das Neutron selbstbehält die kinetische EnergieWf(n). Der Energieverlust ΔW hängt vom Streuwinkel ϑ ab.Es ist ΔWmin = , wenn ϑ = ○ (Vorwärtsstreuung) und es ist ΔWmax = AWi(n)/(A+ ),wenn ϑ = ○ (Rückwärtsstreuung). Bei der Auswahl eines Moderators sind die beidenfolgenden Fragen von besonderer Bedeutung:

• Wieviele Stöße muss das Neutron im Moderator ausführen, um auf eine mittlere ther-mische Energie ⟨Wf(n)⟩ abgebremst zu werden?Die mittlere thermische Energie des Neutrons ist gegeben durch

⟨Wf(n)⟩ =Wi(n) exp(−n ⟨ξ⟩) mit ⟨ξ⟩ = +(A− )

Aln

A− A+

. (5.10)

Dabei ist n die Anzahl der Stöße und ⟨ξ⟩ der mittlere relative Energieverlust, den dasNeutron bei jedem Stoß erleidet.

• Wieviele Neutronen gehen bei dem Abbremsprozess verloren, weil sie von den Atom-kernen nicht gestreut, sondern absorbiert werden?Dies wirdmithilfe desAbbremsvermögens β desModerators ausgedrückt, das definiertist durch dasVerhältnis des Streuquerschnitts σstreu zumAbsorptionsquerschnitt σabs.Es gilt

β = ⟨ξ⟩σstreuσabs

. (5.11)

Ein guter Moderator sollte daher einen kleinen Wert für n, aber einen großen Wert fürβ aufweisen. In der Tab. 5.5 sind dieWerte für einige Moderatormaterialien angegeben, diefür Neutronen mit einer AnfangsenergieWi(n) ≈ MeV gelten.

Aus dieser Tabelle wird ersichtlich, dass nur leichte Elemente mit ⟨ξ⟩ > , als Mode-ratoren in Frage kommen, und von denen ist das Deuterium in der Form des schwerenWassers besonders geeignet. Für Lithium und Sauerstoff ist das Abbremsvermögen nichtangegeben, weil beide zu stark die Neutronen absorbieren unddaher alsModeratoren nicht

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116 5 Die Weltenergievorräte

in Frage kommen. Flüssige und gasförmigeModeratoren haben den weiteren Vorteil, dasssie gleichzeitig zur Kühlung des Reaktors benutzt werden können.

Es ist wichtig, dass bei jeder Spaltung nach (5.7) auch eine gewisse Anzahl von Neu-tronen emittiert werden, von denen jedes im Mittel eine kinetische Energie von ca. 2MeVbesitzt. Ein Spaltprozess, der durch ein Neutron der Generation i ausgelöst wurde, erzeugtx neueNeutronen derGeneration i+. Dadurch können die Spaltprozesse in einemReaktoraufrecht erhalten werden, sie hören erst dann auf, wenn das gesamte spaltfähige Materialverbraucht ist. Damit dabei nicht eine unkontrollierte Kettenreaktion wie in einer Atom-bombe entsteht, darf dieGesamtanzahl ni derNeutronen in jederGeneration nicht zu starkanwachsen. Man bezeichnet das Verhältnis

k =ni+

ni≥ (5.12)

als die Kritikalität. Der maximale Wert, den k besitzen kann, ist k = x = . . . . Aber die-serWert ist viel zu hoch, der Reaktor wäre überkritisch. Durch verschiedene Maßnahmen,die wir hier nicht im Detail besprechen wollen, lässt sich derWert der Kritikalität in einemReaktor auf k ≈ absenken. Von Bedeutung ist dabei, wie rein das spaltfähige Materialist, wie groß seine Oberfläche und seine Masse sind. Je reiner das Material ist und je klei-ner seine Oberfläche (bei gegebener Masse hat die Kugel die geringste Oberfläche), umsogeringer muss die Masse sein, damit gerade ein Wert k = erreicht wird. Man bezeichnetdieseMasse als die kritischeMassemkrit. Für eine Kugel aus spaltfähigemMaterial beträgtsie zum Beispiel

U(%) mkrit = kg,Pu(%) mkrit = ,kg.

Von ebenso großer Bedeutung ist, dass sich in einem Reaktor die Kritikalität regeln lässt.Dies ist deswegen möglich,

• weil esMaterialien mit einem sehr großenAbsorptionsquerschnitt fürNeutronen gibt,wie zum Beispiel Bor (B) oder Cadmium (Cd),

• weil ein kleiner Teil der Neutronen bei der Kernspaltung verzögert emittiert werden.

Die Anzahlen der prompten und der verzögertenNeutronen für die uns bekannten Spalt-prozesse sind in Tab. 5.6 zusammen gestellt. Nur die Existenz dieser verzögertenNeutronengewährleistet, dass die Reaktionszeit zur Steuerung des Reaktors in der Größenordnungvon 10 s liegt und damit ausreicht, um zum Beispiel einen Neutronenabsorber in den Re-aktorkern zu fahren und die Kettenreaktion zu stoppen.

Spaltreaktoren: Konventionelle TechnikDer prinzipielle Aufbau eines Spaltreaktors und das Schaltbild der gesamten kerntechni-schenAnlage sind in Abb. 5.7 gezeigt. Bei diesem Schaltbild handelt es sich um eine Anlagemit einem Primär- und einem Sekundärkühlkreislauf, wie sie bei einemDruckwasserreak-tor verwendet werden. Bei der Konstruktion eines Reaktors sind für seine Funktion undseine Sicherheit zwei Punkte von Bedeutung:

Page 125: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 117

Tab. 5.6 Die Anzahlen prompter und verzögerter Neutronen, die bei der von einem Neutron mitder Energie Wkin (n) ausgelösten Spaltung emittiert werden

Spaltfähiger Kern Wkin (n) σabs (barn) x (prompt) x (verzögert)U 1MeV

0,025MeV2,0527

02,5

00,01

U 1MeV0,025MeV

1,3582

2,82,4

00,02

Pu 1MeV0,025MeV

1,8746

3,12,9

0,0070,007

ein

aus

Druck−

Reaktorkern

aus

ein

hlu

ng

hlu

ng

Regelstäbe 2 3

47

1

5

6

4

1 Druckwasserreaktor

2 Dampfturbine

3 Generator

4 Wasserkreislaufpumpe

6 Sekundärwärmetauscher

5 Primärwärmetauscher

7 Vorwärmer

a b

behälter

Abb. 5.7 Schema eines Druckwasserreaktors mit Reaktorkern und Druckwasserbehälter (a). Prin-zipschaltbild einer Kernkraftanlage mit Druckwasserreaktor und zwei Kühlkreisläufen (b)

1. Die Kritikalität des Reaktors muss einen negativen Temperaturkoeffizienten besitzen.

Darunter ist zu verstehen, dass bei Erhöhung der Reaktortemperatur der Reaktor au-tomatisch, das heißt ohne Eingreifen von außen, unterkritisch wird. Diese Bedingung istrelativ leicht zu erfüllen, da bei Vergrößerung der Neutronentemperatur, also ihrer Ener-gie, der Absorptionsquerschnitt nach Abb. 5.5 abnimmt. Sind außerdem Moderator undKühlmittel identisch, so fehlt beim Ausfall des primären Kühlmittelkreislaufs die Neutro-nenmoderation und die Kettenreaktion erlischt. Ein Reaktor ist daher bei richtiger Kon-struktion prinzipiell gegen ein unkontrolliertes Anwachsen der Kettenreaktion, wie sie beider Atombombe auftritt, geschützt.

2. Die Wahl des Moderators bestimmt die Menge des spaltfähigen Materials, die für dasAufrechterhalten der Kettenreaktion benötigt wird.

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118 5 Die Weltenergievorräte

Da der Moderator zum Teil auch selbst Neutronen absorbiert, muss bei abnehmendenAbbremsvermögen β des Moderators die Menge des spaltfähigen Materials erhöht wer-den. Leichtes Wasser als Moderator hat ein relativ geringes Abbremsvermögen und dahergenügt natürliches Uranmit einem U-Anteil von 0,7%nicht, umden Reaktor kritisch zumachen. Natürliches Uran muss auf einen U-Anteil von mindestens 3% angereichertwerden. Wird dagegen schweres Wasser als Moderator und Kühlmittel verwendet, danngenügt Uran mit dem natürlichen U-Anteil von 0,7%, um die Kettenreaktion aufrechtzu erhalten.

Ein Reaktortyp mit schwerem Wasser als Moderator wurde um 1960 in Kanada entwi-ckelt, er ist in Fachkreisen unter dem Namen CANDU bekannt. Sein Nachteil ist, dass dieerforderlichen Mengen an schwerem Wasser nicht einfach zu beschaffen sind und die Be-schaffung daher teuer ist. Auf jeden Fall wurden nur 33 Reaktoren des CANDU-Typs aufder Welt errichtet, 25 davon in Kanada, mit, wie berichtet wird, erheblichen Problemen inihrem Betrieb.

Die meisten Reaktoren verwenden leichtes Wasser als Moderator, ihr Brennstoff mussdaher mit U angereichert sein. Wie lässt sich natürliches Uran anreichern?

Chemische Verfahren scheiden aus, da sich U und U chemisch ganz gleich ver-halten. Es bleiben nur physikalische Verfahren, die auf dem Unterschieden zwischen denKernen der beiden Uranisotope (Masse und Spin) basieren. Zu diesen Verfahren zählen:

• DieMassendiffusion durch eine poröseWand.Das schwere U diffundiert langsamer als das leichtere U. Der Unterschied der Dif-fusionsgeschwindigkeiten ist allerdings sehr gering und beträgt bei einer Temperaturvon T = K ( ○C) nur

Δvv= ,. (5.13)

Um einer Anreicherung von 0,7% auf 3% zu erreichen, sind etwa 1200Diffusionsstufennotwendig. Das Diffusionsverfahren ist daher sehr aufwändig und wird heute praktischnicht mehr eingesetzt. Aber es war das erste Verfahren, mit dem die Massenanreiche-rung großtechnisch in den USA gelang.

• Die Massentrennung in einer Ultrazentrifuge.Die physikalische Grundlage dieses Anreicherungsverfahrens ist die RotationsenergieWrot, die ein Atomkern mit Massenzahl A besitzt, welcher sich in einem Abstand r mitder Winkelgeschwindigkeit ω um die Achse einer Zentrifuge bewegt:

Wrot(A) ∝ Arω. (5.14)

Bei gleicher Geschwindigkeit v = rω besitzen daher verschiedene Massen verschiedeneEnergien. Diese Abhängigkeit bewirkt, dass sich in einemMassengemisch eine vomAb-stand r abhängige Massenverteilung in der Zentrifuge einstellt. Die Anzahl der Kerne

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5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 119

mit Massenzahl A ist bei der Temperatur T proportional zu

n(A) ∝√

A exp( fArω

T) , (5.15)

wobei f eine Konstante mit demWert f = , ⋅ − kg ⋅K ⋅ J− ist. Das Verhältnis derKerne U und U ergibt sich daraus zu

n()n()

≈ exp(, ⋅ −rω

T) . (5.16)

Dieses Verhältnis ist offensichtlich um so größer, je größer v und je kleiner T ist: Uwird sich im Randbereich der Zentrifuge sammeln, U bleibt im Inneren der Zen-trifuge zurück. Zum Beispiel ergibt sich bei einer Geschwindigkeit v = m ⋅ s−

(das ist fast der Wert der Schallgeschwindigkeit in Luft) und bei einer Temperatur T =K(− ○C) ein Isotopenverhältnis im Zentrifugeninneren von

n()n()

= ,. (5.17)

Das ist eine Steigerung um 16% gegenüber dem ursprünglichen Verhältnis von 0,007.Nach 10 weiteren Zentrifugenstufen ist die Anreicherung auf 0,03 erreicht. Verglichenmit demDiffusionsverfahren ist das Zentrifugenverfahren weniger aufwändig, es ist dasheute fast ausschließlich eingesetzte Verfahren.

• Die Massentrennung durch Ionisation.Obwohl sich U und U chemisch gleich verhalten, sind ihre inneren Elektronen-zustände in der Atomhülle etwas verschieden. Dieser sehr geringe Unterschied wirdverursacht durch den Spin I = / des U-Kerns, während U keinen Kernspin be-sitzt. Man bezeichnet diesen Effekt als die Hyperfeinstruktur, er bewirkt eine geringeVerschiebung der Frequenz des Lichts, das benötigt wird, um Uranatome zu ionisie-ren. Mit einem sehr präzisen Laser kann die Lichtfrequenz so eingestellt werden, dassbei sehr tiefen Temperaturen nur eines der beiden Uranisotope ionisiert wird. Mithil-fe eines elektrischen Felds lassen sich die ionisierten Atome von den nichtionisiertenAtomen trennen. Dieses Verfahren ist sehr elegant, es befindet sich aber noch im Ver-suchsstadium und wird technisch bisher nicht eingesetzt.

Die meisten Reaktoren, die sich heute im Betrieb befinden, arbeiten mit angereichertemUran. Sie lassen sich im Wesentlichen in drei Grundtypen einteilen:

• Der Druckwasserreaktor (DWR).Bei diesemReaktortyp wird leichtes Wasser sowohl alsModerator wie auch als Kühlmit-tel verwendet. Der Brennstoff ist Uran mit einem Anreicherungsgrad von 3% U. DasUran wird in Form von Uranoxid (UO) in 4m lange Zirkonrohre (Zr) gepresst, die

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120 5 Die Weltenergievorräte

einen Innendurchmesser von 0,01m haben. Für die Auswahl dieser Materialien sindfolgende Gesichtspunkte entscheidend:1. UO besitzt einen wesentlich kleineren Temperaturausdehnungskoeffizienten als

reines U.2. Zr besitzt einen kleinen Absorptionsquerschnitt für Neutronen, ist thermisch stabil

und korrosionsbeständig gegenüber hohen Neutronenflüssen.Etwa 200 gefüllte Zirkonrohre bilden ein Brennelement, und etwa 200 Brennelementebilden den Kern des Reaktors. Dazu kommen noch einmal 50 verschiedene Stäbe auseinem stark Neutronen absorbierenden Material (Cd), die den Neutronenfluss in demReaktor regeln. Im Primärkühlmittelkreislauf wird leichtes Wasser bei einemDruck vonca. 160 bar durch den Reaktorkern gepresst und erreicht dabei eine Temperatur vonca. 580K.4 Die so aufgenommene thermische Energie wird in einem Wärmetauscheran das Wasser des Sekundärkühlkreislaufs übertragen, das dabei verdampft und einenDampfdruck von ca. 70 bar erreicht. Die thermische Energie wird anschließend in ei-nerDampfturbinemit angeschlossenemGenerator in elektrische Energie umgewandelt.Der Energiewirkungsgrad der gesamten Anlage beträgt

η ≈ ,. (5.18)

Die Leistungsdichte in einemDruckwasserreaktor ist hoch, sie beträgt etwa ⋅ kWh⋅a− ⋅m−. Die thermische Gesamtleistung des Reaktorkerns in einem Leistungsreaktorist etwa , ⋅ kWh ⋅ a−, das heißt der Reaktorkern hat ein Volumen von ca. 38m.

• Der Siedewasserreaktor (SWR).Bei einem Siedewasserreaktor fehlt der Primärkühlkreislauf, das heißt, der Kühlwasser-druck beträgt nur ca. 70 bar und das Kühlwasser wird direkt im Reaktorkern verdampft.NachWasserabscheidung und Dampftrocknung wird der Wasserdampf mit einer Tem-peratur von 560K zur Dampfturbine geleitet, die den Generator treibt. Das ist tech-nisch einfach, ergibt aber auch die Nachteile, die ein Siedewasserreaktor gegenüber demDruckwasserreaktor besitzt:1. Der die Turbine treibende Wasserdampf ist radioaktiv verunreinigt.2. Die Steuerung der Kettenreaktion ist kompliziert, weil der Moderator im Reaktor-

kern verdampft.In allen anderenAspekten ist der Siedewassereaktor demDruckwasserreaktor sehr ähn-lich. Das Volumen des Reaktorkerns ist allerdings doppelt so groß, weil die Leistungs-dichte in einem Siedewasserreaktor nur den Wert , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m− erreicht. DerEnergiewirkungsgrad in einem Siedewasserreaktor unterscheidet sich nur geringfügigvon dem des Druckwasserreaktors, er beträgt

η ≈ ,. (5.19)

• Der Graphit-moderierteReaktor (RBMK).Dieser Reaktortyp hat nur in der ehemaligen Sowjetunion große Verbreitung gefun-den, auch der Unglücksreaktor von Tschernobyl gehörte zu diesem Typ.Wir werden auf

4 Die Siedetemperatur von Wasser bei einem Druck von 160 bar beträgt 620 K.

Page 129: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 121

den Tschernobyl-Reaktor noch in einem gesonderten Abschnitt eingehen. Bei einemGraphit-moderierten Reaktor werden die Brennelemente in senkrecht angeordnetenDruckröhren gelagert, durch die das Kühlwasser gepresst wird, das in den Röhren ver-dampft. Insofern unterscheidet sich der RBMKnicht von einemSiedewasserreaktor.Dergroße und entscheidende Unterschied besteht aber in der Neutronenmoderation, die inGraphitblöcken zwischen denDruckröhren erfolgt. Es wird also die Neutronenmodera-tion von der Kühlung getrennt bei Hinnahme des damit verbundenen Risikos, dass derTemperaturkoeffizient der Kritikalität unter gewissen Bedingungen positiv wird (was jaauch geschehen ist). Diese Bedingungen treten auf, wenn bei Kühlmittelverlust (Leicht-wassermit Abbremsvermögen β = ) dieNeutronenweiter moderiert werden (Graphitmit Abbremsvermögen β = ), die Neutronenabsorption durch das Wasser aber ver-loren geht. Dadurch wächst die Anzahl der Neutronen schlagartig, der Reaktor wirdüberkritisch. Gleichwohl besitzt dieser Reaktortyp im Normalfall nur eine geringe Leis-tungsdichte von ca. , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m−. Um also einen Leistungsreaktor mit , ⋅ kWh ⋅ a− zu bauen, muss der Reaktorkern ein Volumen von ca. 1000m besitzen.

• Der Brutreaktor (SBR).Dieser Reaktortyp wird auch „schneller Brüter“ genannt. Ein schneller Brüter arbeitetmit einemGemisch aus Pu und U, wobei das Pu die Kettenreaktion aufrecht er-hält, das U aber benutzt wird, um mithilfe absorbierter Neutronen weiteres Pu zuerbrüten. Da dieNeutronenabsorption in U eine untere Energieschwelle von 1,5 MeVbesitzt (siehe Abb. 5.5), verwendet ein Brutreaktor vom Typ SBR schnelle Neutronen,benötigt also keinenModerator. DieLeistungsdichte ist dahermit ,⋅ kWh⋅a− ⋅m−

außerordentlich hoch. Sie ist so hoch, dass Wasser nicht zur Kühlung des Reaktorkernsverwendet werden kann, sondern dieser mithilfe von flüssigem Natrium (Na) gekühltwerden muss. Natrium reagiert mit Sauerstoff und Wasser, deswegen ist die Na-Küh-lung technisch wesentlich aufwändiger als eine Kühlung mit Wasser. Darüber hinaus istauch die Reaktorsteuerung viel komplizierter, weil die Anzahl verzögerter Neutronenbei der Pu-Spaltung geringer ist, siehe Tab. 5.6. Diese Probleme haben dazu geführt,dass Deutschlands schneller Brüter in Kalkar nicht fertig gestellt wurde. Weltweit sindnur wenige ähnliche Anlagen in Betrieb, zum Beispiel in Frankreich der Versuchsre-aktor Phenix und in Japan ein Brutreaktor bei Manjun. Weitere Anlagen sollen sich inRussland und Kasachstan befinden.

Zur Zeit befinden sich etwa 434 konventionelle Reaktoren auf der Welt in Betrieb. Die-se erzeugen pro Jahr eine elektrische Energie von ca. , ⋅ kWh ⋅ a−. Weiterhin sindca. 70 neue Kraftwerke mit einer Leistung von etwa , ⋅ kWh ⋅ a− im Bau und wei-tere 173 Anlagen befinden sich in Planung, allein 59 davon China. Dabei handelt es sichmeistens um Reaktoren eines neuen Typs, den wir im nächsten Abschnitt behandeln. Die-se Zahlen machen deutlich, dass andere Länder in der Tat auf die Kernenergie setzen, weilsie eine der aussichtsreichsten Technologien für eine zukünftige Energieversorgung ist. InDeutschland wird der entgegengesetzte Weg beschritten, Kernkraftwerke werden still ge-legt. In Deutschland wurden insgesamt 21 Kernkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von

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122 5 Die Weltenergievorräte

Tab. 5.7 In Betrieb befindliche Kernkraftwerke in Deutschland

Baube-ginn

Betriebs-beginn

Standort Reaktortyp Elektrische Leistung( kWh ⋅ a−)

Restlauf-zeit bis

1973 1981 Grafenrheinfeld DWR 11,39 20151974 1984 Gundremmingen B SWR 11,39 20171974 1984 Gundremmingen C SWR 11,46 20211975 1985 Phillipsburg 2 DWR 11,82 20191975 1987 Brokdorf DWR 12,22 20211975 1984 Grohnde DWR 12,21 20211975 1988 Neckarwestheim 2 DWR 11,53 20221982 1988 Emsland DWR 11,75 20221982 1988 Ohu 2 DWR 12,18 2022

,⋅ kWh⋅a− gebaut, davon sind z. Z. nur noch 9 in Betrieb, die in Tab. 5.7 aufgeführtsind. Bis spätestens zum Jahr 2022 soll gemäß des Atomausstiegsgesetzes diese Zahl aufnull zurückgegangen sein, ohne dass eigentlich klar ist, wie die dann fehlende elektrischeLeistung ersetzt werden soll.

Spaltreaktoren: Neue TechnikDer Zwang zu einer neuen Reaktortechnologie resultiert aus zwei Fakten:

1. Die Vorräte an U sind eng begrenzt und daher muss auf ein anderes spaltfähigesMaterial ausgewichen werden.

2. Die Neufassung des deutschen Atomgesetzes von 1994 verlangt:a) Bei Störfällen dürfen keine nennenswerte Schäden durch Radioaktivität außerhalb

der Reaktoranlage auftreten.b) Das Eintreten auch von schwersten Störfällen, wie zum Beispiel eine Kernschmelze,

muss in vollem Umfang beherrscht werden, so dass Evakuierungs- und Umsied-lungsmaßnahmen für die Bevölkerung nicht notwendig sind. Die radioaktive Belas-tung der Umgebung muss unterhalb der Grenze bleiben, die ihre uneingeschränkteNutzung garantiert.

c) Diese Forderungen gelten unabhängig davon, ob innere oder äußere Ursachen fürden Störfall verantwortlich sind.

Äußere Ursachen sind zum Beispiel der Absturz eines Flugzeugs oder ein Erdbeben.Außerdem gelten diese Forderungen für den Abbau der Anlage und die Entsorgung desAbfalls, unter dem auch abgebrannte Brennelemente zu verstehen sind. Es ist davon aus-zugehen, dass Neuanlagen in Zukunft überall auf der Welt diesem Forderungskatalog ge-nügen müssen. Neuanlagen basieren entweder auf einerWeiterentwicklung der bisherigenTechnologie, oder sie benutzen eine ganz neue Technologie. Im letzten Fall ist verständlich,dass sich die Neuanlagen erst im Planungs- oder Versuchsstadium befinden und nur vondiesen Plänen berichtet werden kann.

Page 131: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 123

Die Weiterentwicklung des weltweit eingeführten Leichtwasserreaktors wird von derFirma Areva in Frankreich vorangetrieben. Sie verfolgt das Konzept des EPR-Reaktors(European PressurizedWater Reactor), es handelt sich also um einen Druckwasserreaktor.Die wesentlichen Merkmale des EPR-Reaktors sind:

1. Ein Auffangbecken für die Kernschmelze (siehe Abschn. 5.5), so dass diese den Sicher-heitsmantel des Reaktors nicht durchdringen kann, sollte es je zu einem derartigenUnfall kommen.

2. Redundante Kühleinrichtungen, die den Totalausfall der Kühlanlage ausschließen.3. Vermeidung der Bildung von freiem Wasserstoff bei Überhitzung des Kühlwassers.4. Ausführung des Reaktorgebäudes in doppelschaliger Bauweise mit Berstschutz bei äu-

ßeren Einwirkungen und Dichtheit gegen Gasaustritt.

Durch diese Maßnahmen soll der EPR-Reaktor 5mal sicherer werden als der deutscheDWR-Reaktor vom Typ Biblis B. Bekannt sind Pläne in Frankreich, Finnland und China,Kernkraftanlagen mit dem EPR-Reaktor zu errichten.

Mehrere Reaktorkonzepte außerhalb Europas basieren auf der Brütertechnologie, nurzwei von ihnen sollen vorgestellt werden.

• Der He-gekühlte Hochtemperaturreaktor (HTR)Dieses Konzept ist nicht wirklich neu, denn es wurde in den Jahren 1960–1980 vonder KFA-Jülich entwickelt. Der erste Prototyp eines HTR-Reaktors in Hamm-Uen-trop nahm 1983 seinen Betrieb auf. Er wurde nach 5 Jahren wieder abgeschaltet, ohnedass während des Betriebs entscheidende technische Mängel auftraten. Seitdem wirdan der Fortentwicklung des HTR-Konzepts in vielen Ländern gearbeitet, besondersin den USA, aber auch in Japan und China. Man kann davon ausgehen, dass dieserReaktortyp die Mehrzahl der in diesen Ländern zu errichtenden Kernreaktoren bildet,denn er ist wohl der einzige Typ, bei dem eine Kernschmelze und die Freisetzung vonRadioaktivität in die Umgebung prinzipiell ausgeschlossen sind.Das Bauprinzip eines HTR unterscheidet sich von dem eines Leichtwasserreaktors inmehreren Aspekten:1. Die Brennelemente sind Kugeln aus Graphit (C) mit einem Durchmesser von 60

mm. Diese Kugeln sind mit einer Schicht aus Siliziumkarbid (SiC) überzogen, inihrem Inneren enthalten sie etwa 20.000 kugelförmige Brennstoffteilchen mit ei-nem Durchmesser von 1 mm, siehe Abb. 5.8. Jedes Brennstoffteilchen besteht ausdrei Kugelschalen, die den Kugelkern aus Kernbrennstoff (meistens UO mit ei-nem Anreicherungsgrad von mehr als 10% U) umgeben. Von innen nach außenbestehen diese Schalen aus Pyrokohlenstoff (C), Siliziumkarbid (SiC) und wiederPyrokohlenstoff (C). Die Verwendung dieser Werkstoffe garantiert, dass die Brenn-elemente bis zu Temperaturen von 2100 °C thermisch, chemisch und mechanischstabil bleiben und praktisch keine Spaltprodukte in die Umgebung gelangen. Der ho-he Anreicherungsgrad von U in den Brennstoffteilchen, der durch die Bauweise

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124 5 Die Weltenergievorräte

Graphitmatrix 60

mm

Pyrokohlenstoff

PyrokohlenstoffSiliziumkarbid

Brennstoff 1

mm

a b

Abb. 5.8 a: Schematischer Schnitt durch ein Brennelement mit ca. 2000 Brennstoffteilchen(schwarz). b: Schematischer Schnitt durch ein Brennstoffteilchen, das nur in seinem Inneren denBrennstoff aus angereichertem Uran enthält

des HTR vorgeschrieben ist, bildet sicherlich einen Nachteil. Auf der anderen Sei-te ist die Gefahr der Proliferation, das heißt der unerlaubten Verwendung diesesBrennmaterials zur Herstellung einer Atombombe, äußerst gering: Um 10 kg waf-fenfähiges Spaltmaterial zu erhalten, müssen ca. Brennelemente mit insgesamt ⋅ Brennstoffteilchen aufgearbeitet werden, ein unmögliches Unterfangen au-ßerhalb von kontrollierten Anlagen.

2. Die Brennelemente können kontinuierlich durch eine obereÖffnung in denReaktor-kern gegeben werden und ihn nach demAbbrand wieder durch eine untere Öffnungverlassen, siehe Abb. 5.9a. Der Reaktorkern ist umgeben von einem Reflektor ausGraphit (C), durch den die Neutronen, die den Kern verlassen haben, zu einem ge-wissen Teil wieder in den Reaktorkern zurückgestreut werden. Zur Abschirmungund Steuerung des Reaktors werden Absorberstäbe in den Reflektor gefahren, wel-che die Neutronen absorbieren und dadurch den Neutronenfluss im Reaktorkernverringern.

3. Der Reaktorkern wird gekühlt mit Helium (He), das von oben mit einem Druckvon 60 bar und einer Temperatur von 250 °C in den Reaktor strömt und ihn untenmit einer Temperatur von 700 °C wieder verlässt. Die Temperatur der Brennele-mente bleibt dabei unter 900 °C und der He-Strom enthält keinerlei Radioaktivität.Man könnte ihn deswegen direkt zum Betrieb einer Heißgasturbine verwenden. Indem mehr konventionellen Konzept wird die thermische Energie des Gasstroms ineinem Wärmetauscher an das Wasser des Sekundärkühlkreislaufs abgegeben, dasverdampft und eine normale Dampfturbine treibt. Wegen der hohen Temperatu-ren scheinen Energiewirkungsgrade von η ≈ , für die Wandlung in elektrischeEnergie erreichbar. Um die inhärente Sicherheit des HTR-Reaktor zu garantieren,muss seine Leistung auf einen Wert unter , ⋅ kWh ⋅ a− beschränkt bleiben.Das bedeutet: Um einen Druckwasserreaktor zu ersetzen, müssen zehn Hochtem-peraturreaktoren gebaut werden. Sicherlich ist es eines der Ziele augenblicklicherPlanungen, diesen Kostenfaktor zu reduzieren.

Wichtig für den Sicherheitsaspekt ist, wie sich der HTR-Reaktor bei einem Totalausfallder He-Kühlung verhält. Helium hat, verglichen mit leichtem Wasser, ein besseres Ab-

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5.2 Die fossil mineralischenEnergien 1: Kernspaltung 125

Reflektor (Absorberposition)

Reaktordruckbehälter

Reaktorkern

1600

1200

800

400

00 40 80 120 160 200

Zeit nach der Abschaltung (h)

Tem

per

atu

r (

C)

o

Ref

lekt

or

Ref

lekt

or

Heein

Heein

Heaus

Heaus

Rea

kto

rdru

ckb

ehäl

ter

Rea

kto

rdru

ckb

ehäl

ter

Regelstäbe Regelstäbe

a b

Abb. 5.9 Schnitt durch einen Hochtemperaturreaktor, der von oben mit Brennelementen beladenwird, die nach Abbrand unten wieder entnommen werden (a). Der Temperaturverlauf in verschie-denen Komponenten des Hochtemperaturreaktors nach dem Abschalten (b)

bremsvermögen.Daher bleibt der Temperaturkoeffizient derKritikalität negativ undderHTR-Reaktor schaltet sich, im Gegensatz zum RBMK-Reaktor, beim Kühlmittelverlustautomatisch ab. Bei dem folgenden Temperaturanstieg wegen der Nachwärme (sieheAbschn. 5.5) bleibt die Reaktortemperatur immer unterhalb einer Grenze von 1600 °C,wie in Abb. 5.9b aufgrund von Messungen gezeigt. Zur passiven Kühlung ist der Reak-tor mit einem Oberflächenkühler umgeben, der die Wärme radiativ an die Umgebungabstrahlt und den Reaktor langsam abkühlt.Darüber hinaus besitzt der HTR-Typ die Eigenschaft, dass das aus dem U in denBrennelementen entstandene Pu zu 99% weiter als Kernbrennstoff verwendet wer-den kann, ohne dass die Brennelemente aufgearbeitet werden müssen: Sie werden vonneuem durch die obere Öffnung in den Reaktor gefüllt. Daher enthalten die abgebrann-ten Brennelemente fast kein spaltfähiges Material mehr, das für andere Zwecke als derEnergiewandlung verwendetwerden könnte.Ganz analog kann durch eineBeimengungvon Brennstoffteilchen mit Th der HTR zusätzlichen Brennstoff erbrüten. Er ist da-her nicht mehr so abhängig von der begrenzten Menge an verwendbarem U, wie esdie konventionellen Reaktortypen sind.

• Der Beschleuniger-getriebene HybridreaktorAls Kernbrennstoff für denHybridreaktor bietet sich besonders Than, das selbst zwarnicht spaltfähig ist, aber durch Neutroneneinfang in das spaltfähige U verwandeltwerden kann. Dahermuss in diesem Reaktortyp ein ausreichender Neutronenfluss mit-hilfe eines Beschleunigers erzeugt werden.Die Vorteile dieses Th/U-Zyklus sind:

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126 5 Die Weltenergievorräte

NpUAmW

Pb

0 1 2 3 4Protonenenergie (GeV)

50

60

30

40

20

10

0

Neu

tro

nza

hl p

ro P

roto

n

Spallationstarget

Heein

Heein

Heaus

Heaus

Ref

lekt

or

Ref

lekt

or

kern

Reaktor Beschleuniger

a b

Abb. 5.10 Die Anzahl der Spallationsneutronen pro Protonen in Abhängigkeit von der Protonen-energie und des Spallationstargets. Es sind Pb = Blei, W = Wolfram, Am = Americium, U = Uran,Np = Neptunium (a). Schnitt durch einen Hybridreaktor mit Beschleuniger, Spallationstarget undReaktorkern. Die Maßstäbe in dieser Abbildung sind sehr verzerrt: Der Beschleuniger ist wesentlichgrößer als der eigentliche Reaktor (b)

1. Es werden wesentlich weniger langlebige und hochtoxische Transurane erzeugt alsin einem konventionellen Reaktor, der mit U arbeitet. Der Grund liegt in der ge-ringeren Anzahl von Neutronen in dem U-Kern.

2. Der Vorrat an Th ist etwa 140mal höher als der von U.3. Die Kettenreaktion in einem Hybridreaktor erlischt in dem Augenblick, in dem der

Beschleuniger abgeschaltet wird. Der Hybridreaktor ist daher immer unterkritisch.Es gibt aber auch Nachteile, insbesondere:Die technische Beherrschung desTh/U-Zyklus von der Herstellung der Brennelementebis zu ihrer Entsorgung ist praktisch nicht erprobt und Schwierigkeiten sind vorher-sehbar. Eine ist, einen Beschleuniger zu bauen, der ohne den Einsatz von U einengenügend hohen Neutronenfluss erzeugt und dafür nicht mehr Energie benötigt, alsder Hybridreaktor selbst aus der Kernenergie umwandelt.Ein Vorschlag kommt von C. Rubbia vom Europäischen Kernforschungszentrum inGenf. Hohe Neutronenflüsse entstehen bei der Spallation (Zertrümmerung) vonschweren Atomkernen mithilfe hochenergetischer Protonen (Wasserstoffkerne). DieAnzahl der erzeugten Neutronen hängt von der Massenzahl des Atomkerns und derProtonenenergie ab, wie in Abb. 5.10b dargestellt. Die erforderlichen Protonenenergienkönnen nur mithilfe eines Hochenergiebeschleunigers erreicht werden.Das Konzept eines Hybridreaktors ähnelt dem des HTR, es ist in Abb. 5.10a gezeigt. Diebeschleunigten Protonen treffen auf das Spallationstarget, Blei (Pb) oder Wolfram (W),das von dem Reaktorkern umgeben ist. Der Reaktorkern enthält sowohl Th wie auchdas erbrütete U und die Moderatorkugeln aus Graphit (C). Der Reaktorkern wird,wie beim HTR, durch einen He-Strom gekühlt.Ob sich dieses Konzept verwirklichen lässt, muss die Zukunft erweisen. Die Bedingungfür eine positive Energiebilanz ist bekannt, sie lautet:

WProt ≤ ηWFissnSpalnFissk

− k. (5.20)

Page 135: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.3 Die Entsorgung des nuklearen Abfalls 127

Dabei sind

WProt (Energie des Protons) = MeV,

WFiss (bei der Spaltung freiwerdende Energie) = MeV,η (Wirkungsgrad elektrische Energie → Protonenenergie) = ,,nSpal (Anzahl der Spallationsneutronen) = ,nFiss (Anzahl der Spaltungsneutronen) = ,

k (Kritikalität des Reaktorkerns) .

Werden die oben angegebenen Zahlen eingesetzt, so folgt, dass ein Hybridreaktor danneine positive Energiebilanz besitzt, wenn seineKritikalität einenWert k > , erreicht.Soll der Hybridreaktor zum Beispiel das doppelte der Energie liefern, die zur Beschleu-nigung der Protonen benötigt wird, muss die Kritikalität bereits auf den Wert k = ,steigen. Ob sich das erreichen lässt, hängt von der Konstruktion des Reaktorkerns ab,in dem nicht allzu viele Neutronen verloren gehen dürfen.Weitere offene Fragen betreffen die Auslegung des Spallationstargets, in dem die Proto-nen ihre volle kinetische Energie in thermische Energie umwandeln. Nehmen wir an,der Protonenstrom betrage 0,1 A, dann entsteht bei den oben genannten Eigenschaftendes Beschleunigers in dem Spallationstarget eine Leistungsdichte von , ⋅ kWh⋅a− ⋅m−, die fast 10mal größer ist als die in einemDruckwasserreaktor. Es ist sehr die Frage,ob das Target und der Reaktorkern unter diesen Bedingungen mechanisch und ther-misch stabil bleiben. Auf die Probleme eines Hybridreaktors werden wir im nächstenAbschnittwieder zurückkommen, der sichmit der nuklearenAbfallentsorgung beschäf-tigt.

5.3 Die Entsorgung des nuklearen Abfalls

Bei allen Reaktoren, die auf der Basis der Kernspaltung arbeiten, entsteht das Problem, dassTeile der Anlage und natürlich insbesondere der Reaktorkern mit seinen Brennelemen-ten radioaktiv verunreinigt werden. Die Entsorgung dieses Abfalls ist der entscheidendeNachteil dieser Technologie. Warum das so ist, damit werden wir uns jetzt befassen.

Mit dem Begriff „radioaktive Verunreinigung“ sind Beimischungen von instabilenAtomkernen in einem sonst normalen Material gemeint. Solche Beimischungen kommenüberall in der Natur vor, wie wir in Abschn. 5.5 lernen werden. Aber in einem Reaktortreten sie gehäuft und in nicht-natürlicher Zusammensetzung auf.

Instabile Atomkerne zerfallen und bei dem radioaktiven Zerfall werden Strahlenemittiert, die unter dem Sammelbegriff „radioaktive Strahlung“ zusammengefasst sind.Warum ist die radioaktive Strahlung für den lebenden Organismus gefährlich? Der Grundist, das radioaktive Strahlen andere Atome ionisieren können und die Ionisation sehr oft

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128 5 Die Weltenergievorräte

die Molekülstruktur verändert, die aus diesen Atomen aufgebaut ist. Die ionisierendeWir-kung der radioaktiven Strahlung ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt, sie wird ineinem Spezialgebiet der Physik behandelt, der Dosimetrie.

Ausgangspunkt der Dosimetrie ist das radioaktive Zerfallsgesetz, welches aussagt, wiesich die zeitliche Abnahme −dn/dt einer Menge n von instabilen Atomkernen vollzieht.Man nennt das Verhältnis −dn/dt auch die Aktivität Ak(t) der radioaktiven Quelle, fürsie gilt

Ak(t) = Ake−t/τ mit der Einheit [Ak] = Bq ,,Becquerel“, (5.21)

wobei Ak die Anfangsaktivität zur Zeit t = und τ die Lebensdauer des instabilen Atom-kerns ist. Die Aktivität wird in der Einheit [Ak] = Bq = s− angegeben. Eine Mengeradioaktiven Materials hat also die Aktivität 1 Bq, wenn 1 instabiler Kern pro Sekundezerfällt. Dies ist eine sehr geringe Aktivität, wenn man bedenkt, dass zum Beispiel 238 gUranerz etwa ⋅ Kerne enthält, von denen dann gerade einer pro Sekunde zerfallenwürde.

Die ionisierende Wirkung, die radioaktive Strahlen im Gewebe erzielen, ist abhängigvon der Energie, die diese Strahlen dort deponieren. Und zwar ist die Wirkung umso grö-ßer, je mehr EnergieWabs pro Massem des Gewebes absorbiert wird. Man definiert daherdie Energiedosis der radioaktiven Strahlung:

DW =Wabs

mmit der Einheit [DW] = J ⋅ kg− = Gy ,,Gray“. (5.22)

Nehmen wir an, die kinetische Energie der Strahlen betrageWkin = MeV = , ⋅ − J, diein m = g Gewebe absorbiert werde. Nehmen wir weiter an, dass diese Strahlen von einerradioaktiven Quelle mit einer Lebensdauer von τ = s emittiert werde. Dann müsste dieseQuelle eine Anfangsaktivität von

Ak =DW

Wkin

mτ=

, ⋅ −≈ ⋅ Bq (5.23)

direkt in diesem Gewebe besitzen, um dort eine Energiedosis von 1Gy zu deponieren. Be-findet sich die Quelle außerhalb des Gewebes, müsste die Aktivität mit dem Quadrat desAbstands zunehmen, siehe (4.31).

Es gibt verschiedene Arten von radioaktiven Strahlen, die natürlich vorkommendensind:

• Die γ-Strahlen (elektromagnetische Wellen wie das Licht),• die β-Strahlen (negativ und positiv geladene Elektronen),• die α-Strahlen (2fach positiv geladene Heliumkerne).

Atomkerne, welche diese Strahlen emittieren, werden Radionuklide genannt. Abgesehenvon den γ-Strahlern (z. B. U) sind Radionuklide für denMenschen nur gefährlich, wenn

Page 137: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.3 Die Entsorgung des nuklearen Abfalls 129

Abb. 5.11 Die Energieabhän-gigkeit der Qualitätsfaktorenverschiedener radioaktiverStrahlen. Die γ-, β- und α-Strahlen gehören zur der na-türlichen Strahlung, die p- undn-Strahlen zu der künstlichenStrahlung 0.10.01 1 10 100

p

n

20

15

10

5

Energie (MeV)

Qu

alit

atsf

akto

r Q

F..

,

sie inkorporiert, alsomit derNahrung oder Atemluft aufgenommenwerden. In diesemFallsind die α-Strahler besonders gefährlich (z. B. Pu).

Darüber hinaus gibt es auch künstlich radioaktive Strahlen, die besonders in einem Re-aktor auftreten. Dazu zählen

• die Protonen p,• die Neutronen n.

Selbst wenn diese Strahlen, jede für sich, eine Energiedosis von 1Gy im Gewebe depo-nieren, hängt die Schädigung des Gewebes davon ab, umwelche Strahlenart es sich handeltund welche Energie diese Strahlenart besitzt. Man spezifiziert diese Abhängigkeit durcheinenQualitätsfaktor QF, der in Abb. 5.11 gezeigt ist. Gleichzeitig wird mithilfe des Qua-litätsfaktors eine neue Dosis, die Äquivalenzdosis, definiert

DQ = QF ⋅ DW mit der Einheit [DQ] = J ⋅ kg− = Sv ,,Sievert“. (5.24)

Die Äquivalenzdosis ist das eigentliche Maß für das Schädigungspotenzial einer radioakti-ven Strahlung, für das oft auch dasWort „Toxizität“ verwendet wird. Die ToxizitätTx einerradioaktiven Verseuchung lässt sich nach Gleichung 5.23 folgendermaßen abschätzen:

Tx = Akτ , ⋅ − Sv,

wenn die Strahlungsenergie in der Einheit MeV und die Lebensdauer in s angegeben wer-den und die mittlere Masse eines Menschen 80 kg beträgt.

Diese Definitionen sollen uns helfen, die Gefahren besser zu verstehen, die bei der Ent-sorgung des radioaktiven Abfalls eines Reaktors auftreten können. Der Reaktorkern einesLeichtwasserreaktorsmit einer thermischen Leistung von ca. ,⋅ kWh⋅a− wird einmalim Jahr mit 30 t angereicherten Brennelementen beladen und 30 t abgebrannte Brennele-mente werden dem Reaktorkern entnommen. Diese Brennelemente enthalten, nach Mas-senprozenten aufgeschlüsselt, das in Tab. 5.8 genannte radioaktive Inventar.

Die Transurane, zu denen auch das Pu gehört, entstehen während der Kettenreakti-on aus dem U durch ein- undmehrfacheNeutronenabsorption. Das Pu ist in Tab. 5.8gesondert aufgeführt, weil es eine besonders große Spaltwahrscheinlichkeit nach erfolgter

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130 5 Die Weltenergievorräte

Tab. 5.8 Das radioaktive Inventar eines abgebrannten Brennelements in Massenprozenten

Material U U Pu Transurane SpaltfragmenteAnteil 0,9 % 95% 0,9% 0,06% 3,3%

Neutronenabsorption besitzt. Es sind etwa 30% des erzeugten Pu durch die Spaltungwieder verloren gegangen, bevor der Rest mit dem abgebrannten Brennelement dem Re-aktorkern entnommen wurde.

Das Uran und alle anderen verbleibenden Abbrandstoffe müssen in einem Aufberei-tungsprozess von einander getrennt werden, um

• das spaltfähige U mit dem nicht-spaltfähigen U zurückzugewinnen und erneutanzureichern,

• die radioaktiven Transurane und die Spaltfragmente für die Endlagerung vorzubereiten.

Im Prinzip könnte auch das spaltfähige Pu verwendet und dem U beigemischt wer-den. Für diese MOX(Mischoxid)-Technik wurde von der Firma Siemens in Hanau eineAnlage gebaut, die nach zahlreichen Einsprüchen allerdings nie in Betrieb gegangen ist.

Nach einer 10-jährigen Abklingzeit, während der die abgebrannten Brennelemente imKernkraftwerk zwischengelagert und gekühlt werden, besteht ihr radioaktives Inventar ausden in Tab. 5.9 aufgeführten Isotopen, wobei nur diejenigen berücksichtigt wurden, dieumweltrelevant sind und eine Lebensdauer von mehr als 10 a besitzen. Die Toxizität derabgebrannten Brennelemente wird daher nicht durch die Spaltfragmente, sondern imWe-sentlichen durch die Transurane verursacht, die durch Neutroneneinfang entstanden sind.

Nach der Zusammenstellung in Tab. 5.9 und unter Berücksichtigung der dort nichtaufgeführten Spaltfragmente besitzt der nach einer einjährigen Betriebs- und 10-jährigenAbklingzeit noch vorhandene radioaktive Abfall eine Masse von ca. 500 kg und eine Akti-vität von ca. ⋅ Bq. Dieser Abfall muss entsorgt werden und beim heutigen Stand derTechnik kommt nur eine Endlagerung in Frage. Für die Endlagerung wird der radioaktiveAbfall nach 3 Klassen getrennt:

• Hochradioaktiver Abfallmit einer Aktivität > ,⋅ Bq⋅m−. Zur Lagerung wird dieserAbfall in Borsilikatglas verfestigt und in Edelstahlbehälter eingeschweißt. Die andau-ernden radioaktiven Zerfälle erzeugen eine thermische Energie von ca. ⋅ kWh ⋅ a−

pro Behälter, die Oberflächentemperatur beträgt bei passiver Kühlung etwa 300 °C. DieBehälter sind wegen der Kühlnotwendigkeit nicht beliebig stapelbar. Das gesamte ra-dioaktive Inventar eines abgebrannten Brennelements gehört zu dieser Klasse.

• Mittelradioaktiver Abfall mit einer Aktivität > , ⋅ Bq ⋅ m−. Zur Lagerung wirddieser Abfall in Beton verfestigt und in Transportfässer verfüllt, die beliebig stapelbarsind. Diese Abfälle entstehen aus demHüllmaterial der Brennelemente und den Stoffen,die im Aufbereitungsprozess verwendet wurden.

• Schwachradioaktiver Abfallmit einer Aktivität < , ⋅ Bq ⋅m−.

Page 139: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.3 Die Entsorgung des nuklearen Abfalls 131

Tab. 5.9 Die wichtigsten radioaktiven Spaltfragmente und Transurane, die nach einer 10-jährigenAbklingzeit noch in den Brennelementen enthalten sind

Isotop Lebensdauer(a)

Menge (kg) Aktivität (Bq) Dosis (Sv)

Spaltfragmente Tc , ⋅ 24,7 , ⋅ , ⋅ I , ⋅ 5,8 , ⋅ , ⋅ Cs , ⋅ 9,4 , ⋅ , ⋅

Total 39,9 , ⋅ , ⋅

Transurane Np , ⋅ 14,5 , ⋅ , ⋅ Pu , ⋅ 166,0 , ⋅ , ⋅ Pu , ⋅ 76,7 , ⋅ , ⋅ Pu , ⋅ 25,4 , ⋅ , ⋅ Am , ⋅ 16,6 , ⋅ , ⋅ Am , ⋅ 3,0 , ⋅ , ⋅ Cm , ⋅ 0,6 , ⋅ , ⋅

Total 302,8 , ⋅ , ⋅

In Europa existieren zur Zeit nur zwei Anlagen, eine in Frankreich bei La Hague und ei-ne in England bei Sellafield, in denen dieAufbereitung abgebrannter Brennelemente durch-geführt werden kann. Daher müssen abgebrannte Brennelemente aus Deutschland nachder Abklingzeit auf dem Kernkraftgelände dorthin transportiert und anschließend wiederzurückgebracht werden. Der deutsche Standort für eine Endlagerung ist bisher nicht be-stimmt worden, vorgesehen war der Salzstock bei Gorleben. Das Endlager muss folgendenKriterien genügen:

1. Tektonische Stabilität über lange Zeiträume wegen der langen Lebensdauer des radio-aktiven Abfalls.

2. Thermische Stabilität des Gesteins wegen der beim radioaktiven Zerfall auftretendenNachwärme. Dies ist ein Problem nur für die ersten 100 Jahre nach der Endlagerung.Danach hat sich die Nachwärme um einen Faktor 1000 reduziert.

3. Ausschluss von Wassereinbrüchen in das Endlager, durch welche die Radioaktivität inden menschlichen Lebensraum gelangen könnte.

Es ist prinzipiell unmöglich, die Erfüllung dieser Forderungen über einen Zeitraumvon mehr als Jahren zu garantieren. Daher werden Entsorgungsstandorte bisher nurals Zwischenlager deklariert. Es existiert bis jetzt wohl nur ein Standort, der ausdrück-lich als Endlager vorgesehen ist, und zwar das WIPP in New Mexico/USA. Der ebenfallsvorgesehene Standort in den Yucca Mountain in Nevada/USA wurde inzwischen von deramerikanischen Regierung fallen gelassen. Dabei nimmt die Menge des radioaktiven Ab-falls in der Welt jedes Jahr zu. Die Schätzungen der Abfallmenge bis zum Jahr 2010, die

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132 5 Die Weltenergievorräte

Tab. 5.10 Mengenschätzung des radioaktiven Abfalls der OECD-Länder bis zum Jahr 2010

OECD( kg)

Europa( kg)

USA( kg)

Japan( kg)

Transurane Np 389 129 133 44Pu (total) 1700 565 585 191Am (total) 69 23 24 8

Spaltfragmente Tc 154 51 53 17I 42 14 14 5Cs 59 20 20 7

Total Ca. 2400

sich allein in den OECD-Ländern angesammelt haben wird, wo die Reaktoranlagen derKontrolle unterliegen, führen zu den Ergebnissen der Tab. 5.10.

Auf der anderen Seite sollte man nicht übersehen, dass diese Mengen keineswegs so gi-gantisch sind, wennman sie mit denMengen vergleicht, die bei der Versorgungmit biogenfossilen Energieträgern bewegt werden müssen. Zum Beispiel hat ein moderner ÖltankereineWasserverdrängung von 200.000 BRT. Selbst wenn wir den Beitrag der Nicht-OECD-Länder mitberücksichtigen, beträgt die Menge des radioaktiven Abfalls im Jahr 2010 nochnicht einmal 5% der Ölmenge, die dieser Tanker bei einer Fahrt über die Ozeane transpor-tiert.

5.3.1 P-Ebene: Moderne Techniken der Entsorgung

Die Tab. 5.10 zeigt, dass das endzulagernde Inventar hauptsächlich die Transurane Npund verschiedene Isotope des Plutoniums (Pu) und des Americiums (Am) enthält. Trans-mutation bedeutet, diese Transurane in weniger gefährliche Spaltfragmente umzuwan-deln.

Die TransmutationViele der Transurane enden durch radioaktiven Zerfall in dem langlebigen Np. Ein Bei-spiel ist in Abb. 5.12 gezeigt. Das Np ist ein α-Strahler, um es in ein anders spaltfähigesNp-Isotop zu verwandeln, muss es mindestens ein Neutron absorbieren können und dazusind hohe Neutronenflüsse notwendig. Aus Abb. 5.12 wird erkennbar, dass die Absorptioneines Neutrons zunächst das radioaktive Np entstehen lässt. Ist derNeutronenfluss nurvon der Größenordnung m− ⋅s−, so folgt das Np seinem natürlichen Schicksal undwird durch einen β-Zerfall in Pu verwandelt, gerät also in die Pu-Kette, die schließlichzum spaltfähigen Pu führt. Will man diesenWeg in die Pu-Aufbereitung vermeiden, somuss derNeutronenfluss auf einenWert vonmehr als m− ⋅s− gesteigert werden. Dannentsteht aus dem spaltfähigen Np durch Einfang eines weiteren Neutrons das Np, dasbei seiner Spaltung mehr Neutronen erzeugt als zu seiner Erzeugung aus Np benötigt

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5.3 Die Entsorgung des nuklearen Abfalls 133

Abb. 5.12 Zerfälle undNeutroneneinfänge vonTransuranen in einer Trans-mutationsanlage, die entwedermit einem schwachen Neutro-nenfluss von m− ⋅ s− odereinem starken Neutronenflussvon > m− ⋅ s− arbeitet

= 3 d

238 NpNp237

Pu238 Pu239

241Am

= 625 a

n

n n

bei schwachem Neutronenfluss

bei starkem Neutronenfluss

n

wurden. Ohne weitere Neutronenverluste wäre dies ein sich selbst erhaltender Transmuta-tionsprozess.

In einem konventionellen Leichtwasserreaktor beträgt der Neutronenfluss nur etwa m− ⋅ s−, er reicht also nicht zur Transmutation, sondern vergrößert nur den Pu-Anteil im nuklearen Abfall. Eine Steigerung des Neutronenflusses um eine Faktor 50 lässtsich nur mithilfe der Spallation erzielen, die wir bereits in Abschn. 5.2.1 (siehe Abb. 5.10)behandelt haben. Das bedeutet, eine Transmutationsanlage wäre einem Beschleuniger-getriebenen Hybridreaktor sehr ähnlich. Und damit entstünden für diese Anlage auchähnliche Probleme. Zu den schwierigsten zählt die Auslegung des Spallationstargets unddes Reaktorkerns, aber auch die Konstruktion eines Protonenbeschleunigers, der Protonenbei einem Strom von 0,1 A auf eine Energie von 1 GeV beschleunigt, verlangt den Einsatzaufwändiger Beschleunigertechnologie, aber scheint prinzipiell möglich.

Die Herstellung kugelförmiger Brennelemente aus dem nuklearen Abfall ist wohl nichtmöglich und andere feste Brennelemente müssten wegen des hohenNeutronenflusses nachspätestens einem Tag ausgetauscht werden. Daher ist geplant, ein flüssiges Brennelement5

aus einer LiF-BeF-Salzschmelze zu verwenden, welchem der nukleare Abfall und alsBrutstoff Th zugemischt sind. Dieses Brennelement soll durch den Reaktorkern zirku-lieren und eine Temperatur von nicht mehr als 700 °C erreichen, weil es durch schweresWasser gekühlt wird. Die Verwendung von schweremWasser als Kühlmittel und Modera-tor scheint unausweichlich, um den hohen Neutronenfluss aufrecht zu erhalten: SchweresWasser besitzt das beste Abbremsvermögen aller mögliche Moderatoren.

Eine derartige Transmutationsanlage verwandelt nicht nur die Transurane in Spaltfrag-mente, sondern sie soll auch genügend Energie liefern, um den Beschleuniger zu betreiben.Die Anlage wäre also mindestens Energie-autark. Aber man darf nicht die ungeheurentechnischen Anforderungen vergessen, die bei der Konstruktion, dem Bau und dem Be-trieb einer derartigen Anlage entstehen, Die erforderlichen Entwicklungsarbeiten werdenJahrzehnte dauern und ihr Erfolg ist nicht garantiert.

5 Die Technologie flüssiger Brennelemente ist nicht neu: Von 1964 bis 1969 war in Oak Ridge/USAein Reaktor (MSR)mit flüssigemBrennstoff in Betrieb, dessenKonzept ähnlich zu dem desHTRwar.

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134 5 Die Weltenergievorräte

5.4 Die fossil mineralischen Energien 2: Kernfusion

Die Kernenergie kann ebenfalls in eine andere Energieform umgewandelt werden, wennzwei leichte Kerne X und Y zu einem schweren Kern K mit A < vereinigt werden. DasHindernis, das sich dieser Vereinigung in den Weg stellt, ist die Coulombbarriere

BC ∝ZXZY

r. (5.25)

Diese Zusammenhänge sind in Abb. 5.4 dargestellt, wobei der Abstand zwischen denAtomkernen X und Y durch die Variable r gekennzeichnet ist. Diese Kerne müssen ei-ne genügend große kinetische Energie Wkin ≥ BC besitzen, um die Coulombbarriere zuüberwinden. Gleichung 5.25 zeigt, dass die Coulombbarriere umso kleiner ist, je kleinerdie positiven Ladungen Z der Kerne sind. Am günstigsten wäre ZX = ZY = , das heißtdie Vereinigung von zwei Neutronen. Aber es gibt keinen gebundenen Di-Neutron-Zu-stand, also bei dieser Reaktion ist immer BS ≫ BC. Die erste günstige Vereinigung, für dieBS ≪ BC ist und gleichzeitig ZX = ZY = gilt, tritt auf bei der Vereinigung von Deuteriumund Tritium zu Helium, also bei der Reaktion

d + t→ He + n + ,MeV. (5.26)

Man bezeichnet dieseReaktion als Fusionsreaktion oder einfach alsFusion. Gleichung 5.26besagt, dass pro kg der Wasserstoffisotope Deuterium (d) und Tritium (t) im Mischungs-verhältnis ∶ eine Energie von , ⋅ kWh ⋅ kg− freigesetzt wird.

Allerdings kann diese Fusionsreaktion nicht ohne weiteres technisch realisiert werden,weil Tritium radioaktiv ist und in der Natur nicht vorkommt. Es muss daher zunächsterzeugt werden. Das bei der Fusionsreaktion (5.26) ebenfalls entstehendeNeutron (n) wirddafür genutzt, und zwar mithilfe einer weiteren Kernreaktion

n + Li→ He + t + ,MeV. (5.27)

Auch bei dieser Reaktion wird Energie freigesetzt, zusammen mit der Fusionsreaktion(5.26) sind es

Wm= , ⋅ MeV ⋅ kg− . (5.28)

Diese Energie kann jedoch nicht vollständig in eine beliebige andere Energieform um-gewandelt werden, denn ein Teil wird benötigt, um die Fusionspartner Deuterium undTritium auf der erforderliche Energie Wkin zu beschleunigen. Im nächsten Abschnitt wer-den wir lernen, dass Wkin ≈ ,MeV sein muss. Daher hat nach der Produktregel (2.45)einer der Teilwirkungsgrade den Wert

η =, − ,

,= ,. (5.29)

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5.4 Die fossil mineralischenEnergien 2: Kernfusion 135

Erst danach könnte die restliche Energie in eine beliebige andere Energieform umge-wandelt werden. Wie dies geschieht, hängt von der Konstruktion des Fusionsreaktorsab, in dem die Fusion von Deuterium mit Tritium bei gleichzeitiger Erbrütung des Tri-tiums durchgeführt wird. Der erreichbare Wirkungsgrad der Energiewandlung ist abersicherlich nicht größer als der eines konventionellen Spaltreaktors, er wird eher kleinersein:

η ≈ ,. (5.30)

Wichtig ist aber, dass Deuterium im Wasser mit einem Anteil von 0,01% vorhanden ist,und dass auch Li in ausreichendem Maß in der Erdkruste vorkommt, zum Beispiel alsSpodumen LiAlSiO. Daher ist die Kernenergie, die bei der Kernfusion freigesetzt wird,unbeschränkt vorhanden.

Die Kernenergie, die bei der Kernfusion freigesetzt wird, kann im Prinzip den ge-samten zukünftigen Primärenergiebedarf derWelt für einen unbegrenzten Zeitraumdecken.

Es gibt für den Fusionsreaktor mehrere Konzepte, mit diesen werden wir uns im nächs-ten Abschnitt auf der P-Ebene beschäftigen. Allerdings ist es bisher nicht gelungen, dieseKonzepte zu einer großtechnischen Anlage zu entwickeln, die mehr Energie zur Verfügungstellt als sie selbst für ihren Betrieb benötigt.

5.4.1 P-Ebene: Der Fusionsreaktor

Fast alle ve-Länder (Europa, USA, Russland, Japan) arbeiten an der Entwicklung eines Fu-sionsreaktors, und zwar nicht erst seit heute, sondern schon seit mehreren Jahrzehnten.Mit diesen Entwicklungsarbeiten befassen wir uns im nächsten Abschnitt.

Die physikalischen Grundlagen eines FusionsreaktorsIn der Fusionsforschung werden Energien nicht in den Einheiten J oder eV angegeben,sondern in der Einheit der Temperatur [T] = K. Dazu muss man wissen, dass

W = eV einer Temperatur von T = K entspricht. (5.31)

Welche „Temperatur“ müssen also Deuterium und Tritium besitzen, um ihre Coulomb-barriere BC zu überwinden?

Für BC gilt

BC = , ⋅ −ZX ZY

reV ⋅m, (5.32)

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136 5 Die Weltenergievorräte

Abb. 5.13 Die Abhängigkeitdes mittleren Faktors ⟨vσfus⟩von der PlasmatemperaturT . Die mittlere Fusionswahr-scheinlichkeit ⟨Probfus⟩ istproportional zu diesem Faktor

10−26

10−24

10−22

107 108 109 1010

<v

> (

m

s )

fus

3−1

d+t

d+d

p+ Be

p+ Li

3

11

d+ He

6

Temperatur (K)

wobei sich Deuterium und Tritium bis auf einen Abstand r ≈ ⋅ − m annähernmüssen.Wird dieser Wert von r in (5.32) eingesetzt, ergibt sich als erforderliche Energie dieserFusionspartner

Wkin = , ⋅ eV, das entspricht T = , ⋅ K. (5.33)

Ein Gasgemisch aus Deuterium und Tritium bildet bei Temperaturen von über hundert-tausend () °C ein Plasma, das heißt, alle Deuterium- und Tritium-Atome sind ionisiert,also einfach positiv geladen. Ein Plasmawürde explosionsartig expandieren, wenn es nichtauf irgendeine Art eingeschlossen wäre. In einem eingeschlossenen Deuterium-Tritium-Plasma finden bei einer Temperatur von , ⋅ K demnach Fusionsreaktionen gemäß(5.26) statt, es wird in diesem Plasma Energie freigesetzt. Natürlich treten diese Reaktionennurmit einer gewissenWahrscheinlichkeit Probfus ein, die proportional zumFusionsquer-schnitt σfus und umgekehrt proportional zu der Geschwindigkeit v ist, mit der Deuteriumund Tritium auf einander treffen:

Probfus ∝ v− σfus . (5.34)

Auch für andere mögliche Fusionsreaktionen gelten diese Überlegungen, allerdings sinddie zur Fusion benötigten Temperaturen viel höher und auch die Wirkungsgrade nach(5.29) geringer, ganz abgesehen von der Frage, ob sich solche hohen Temperaturen über-haupt in einem Plasma erzielen lassen. In der Abb. 5.13 findet sich eine Zusammenstellungmöglicher Fusionsreaktionen und wie sich ihre Fusionswahrscheinlichkeiten mit der Plas-matemperatur verändern.

Es ist äußerst schwierig, ein Plasma mit den nach Abb. 5.13 erforderlichen Temperatu-ren T zu erzeugen, und es ist noch schwieriger, den Plasmazustandunter diesen Bedingun-gen für eine längere Zeit aufrecht zu erhalten. Dies liegt daran, dass ein schwarzer Körperbei der Temperatur T gemäß (4.29) Energie abstrahlt, sich also abkühlt, wenn nicht genü-gend Energie Wtherm nachgeführt wird. Daher vollzieht sich in einem Fusionsreaktor einWettlauf zwischen dem Energiegewinn Wfus durch Fusionsreaktionen und dem Energie-verlust durch Abstrahlung. In der Sonnewird dieserWettlauf offensichtlich immer von den

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5.4 Die fossil mineralischenEnergien 2: Kernfusion 137

Tab. 5.11 Die zwei grundlegenden Techniken, die zum Erreichen des Plasmazustands mit Tempe-ratur T = ⋅ K in einem Fusionsreaktor verwendet werden

Methode n/V(m−) tfus(s)Magnetischer Einschluss 3Trägheitseinschluss ⋅ −

Fusionsreaktionen gewonnen, aber in einem irdischen Fusionsreaktor kann er nur für einesehr kurze Zeit tfus gewonnen werden. Wie groß der Gewinn ist, wird ausgedrückt durchden Gütefaktor G = Wfus/Wtherm, der das Verhältnis angibt zwischen der Fusionsenergieund der zum Erreichen der Fusion erforderlichen Energie. Natürlich muss für einen funk-tionierenden Fusionsreaktor G > gelten, das heißt, er muss eine positive Energiebilanzaufweisen.

Die Bedingung G > lässt sich nur verwirklichen, wenn

• die Temperatur T hoch genug ist,• die Plasmalebensdauer tfus lang genug ist,• die Plasmadichte n/V groß genug ist.

Aus diesen Parametern leitet sich das Lawson-Kriterium ab,

nVtfusT > ⋅ K ⋅ s ⋅m− , (5.35)

das erfüllt seinmuss, damit der Fusionsreaktor eine positive Energiebilanz aufweist. In demLawson-Kriterium ist die Temperatur T imWesentlichen gegeben durch die Coulombbar-riere BC der Fusionsreaktion, aber die Werte von n/V und tfus in Tab. 5.11 definieren dieMethode, mit deren Hilfe der Plasmazustand in einem Fusionsreaktor erzeugt wird.

Unter Normalbedingungen beträgt die Anzahldichte des Wasserstoffgases n/V = , ⋅ m−. Beimmagnetischen Einschluss ist daher die Plasmadichte relativ gering, dafürmuss die Einschlusszeit entsprechend lang sein. Gerade umgekehrt ist es beim Trägheits-einschluss: Die Plasmadichte ist übernormal groß, aber das Plasma existiert nur für einesehr kurze Zeit. Wie die technische Realisierung der beiden Methoden geschieht, werdenwir in den nächsten beiden Abschnitten behandeln.

Alle bisherigen Planungen gehen von der Realisierung der Fusions- und Brutreaktion(5.26), (5.27) aus, denn die erforderliche Temperatur ist nach Abb. 5.13 die geringste al-ler Plasmatemperaturen. Dabei ist die (d + t)-Fusion unter einem anderen Gesichtspunktnicht sehr vorteilhaft, denn Tritium ist radioaktiv und es entstehen Neutronen bei der Fu-sionsreaktion (5.26). Viel sauberer wären die Fusionsreaktionen

p + Li→ He + He + ,MeVp + B→ He + ,MeV.

(5.36)

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138 5 Die Weltenergievorräte

Abb. 5.14 Schematisches Bildeines TOKAMAK-Fusions-reaktors mir den toroidalenMagnetfeldspulen zur Erzeu-gung des Ringfelds und denInduktionsspulen zur Erzeu-gung des Plasmastroms Plasma spulenTorus

Induktionsspule

Induktionsspule

Symmetrieachse

Magnetfeldlinien

Diese setzen zwar weniger Bindungsenergie pro Reaktion frei, aber es entstehen auch keineNeutronen und radioaktive Kerne. Leider erfordern sie eine Temperatur von über ⋅ K,und das ist mit heutigen Mitteln nicht realisierbar.

Der Fusionsreaktor: Magnetischer EinschlussBei dieser Methode geschieht der Einschluss des Plasmas mithilfe eines Magnetfelds, dasvon supraleitenden Spulen erzeugt wird6. Die positiv geladenenDeuterium- undTritium-Kerne und die negativ geladenen Elektronen bewegen sich in dem Plasma auf Spiralbah-nen um die Magnetfeldlinien. Sind diese Magnetfeldlinien kreisförmig geschlossen (soge-nannte Toruskonfiguration), so könnten diese Teilchen das Plasma niemals verlassen, dasPlasmawäre eingeschlossen. Voraussetzungdafür ist, dass das toroidaleMagnetfeld überalldie gleiche Stärke besitzt, das heißt im Volumen des Plasmas ortsunabhängig ist. Tatsäch-lich ist aber das Magnetfeld eines Toroids sehr wohl ortsabhängig: Es ist in der Nähe derSymmetrieachse stärker als weit entfernt von dieser Achse, siehe Abb. 5.14. Damit dieseOrtsabhängigkeit keinen Einfluss auf die Bahnen der Plasmateilchen hat, müssen die ge-schlossenen Magnetfeldlinien so verdrillt werden, dass sie an manchen Stellen nahe derSymmetrieachse verlaufen, an anderen dagegen weit entfernt. Für die Magnetfeldverdril-lung existieren zwei Methoden:

• Das TOKAMAK-Prinzip.In dem Plasma wird durch ein weiteres veränderliches Magnetfeld ein ringförmigerPlasmastrom erzeugt, dessen Magnetfeld nun durch Überlagerung mit den Magnet-feldlinien des Toroids diese in der gewünschten Weise verdrillen, so dass sie weiterhingeschlossen bleiben. Dies ist in der Abb. 5.14 schematisch dargestellt. Der Effekt derÜberlagerung von zwei Magnetfeldern ist, dass die sich auf geschlossenen Spiralbahnenbewegenden Plasmateilchen imMittel ein ringförmigesMagnetfeld von überall gleicherStärke sehen: Sie und damit das Plasma werden durch dieses Überlagerungsfeld einge-schlossen.

6 Zur Zeit müssen die Spulen noch mit flüssigem Helium gekühlt werden, um den supraleitendenZustand zu erreichen. Aber es besteht die Hoffnung, dass die Entwicklung der Hochtemperatur-Su-praleiter so erfolgreich fortschreitet, dass sie in einem Fusionsreaktor eingesetzt werden können.

Page 147: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

5.4 Die fossil mineralischenEnergien 2: Kernfusion 139

Das Plasma ist also stabil aber gepulst, denn es existiert nur während der Zeit, währendder sich ein Plasmastrom induzieren lässt. Die Dauer der Strominduktion durch die In-duktionsspulen ist nur von der Größenordnung eine Sekunde. Die Wiederholfrequenzfür den Induktionspuls und damit den Plasmastrom ist sehr gering, denn der Aufbaueines genügend großen Induktionspulses erfordert Zeit. Man hat daher auch versucht,Plasmaströmemithilfe von Hochfrequenzfeldern zu erzeugen, aber offensichtlich ohneErfolg.Der große Vorteil des TOKAMAK-Prinzips ist auf der anderen Seite, dass infolge desinduzierten Plasmastroms dieser einen inneren Heizmechanismus besitzt, der von demOhm’schen Widerstand verursacht wird. Dies hat zu einem deutlichen Entwicklungs-vorsprung gegenüber konkurrierenden Prinzipien geführt, obwohl die Ohm’sche Hei-zung allein wohl nicht ausreicht, um die erforderliche Zündtemperatur für die Fusion zuerreichen. Selbst bei Plasmaströmen von ⋅ A sind bisher nur Temperaturen kleinerals K erreicht worden. Zusätzliche Heizquellen sind erforderlich und dafür bietensich die während der Fusion erzeugte α-Teilchen oder ungeladene Atome (Neutralteil-chen) an, die mit der erforderlichen Energie in das Plasma geschossen werden.Die Planungen für das erste wirklich einsatzfähige Fusionskraftwerk basieren auf demTOKAMAK-Prinzip.

• Das STELLARATOR-Prinzip.Beim STELLARATOR wird die Verdrillung der Magnetfeldlinien ohne die Induktioneines Plasmastroms, sondern mithilfe einer speziellen Formgebung der toriodalen Ma-gnetfeldspulen erreicht. Die Entwicklung derartiger Spulen, die im Prinzip eine sehrlange Einschlusszeit des Plasmas gestatten, hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen,sie wurde wesentlich im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik vorangetrieben. Da dieNotwendigkeit für einen Induktionspuls entfällt, kann in einem STELLARATOR dasPlasma kontinuierlich brennen, wenn einmal die Zündtemperatur von über K er-reicht ist. Zur Zündung bietet sich, wie beim TOKAMAK, als Heizquelle der Einschussvon Neutralteilchen an. Dies ist allerdings leichter gesagt als getan. Zwar müssen Neu-tralteilchen nur eine kinetische Energie von etwa 10 keV besitzen, aber der Teilchen-strommuss äquivalent zu einem elektrischen Strom von A sein. Diese Anforderun-gen erfordern die Entwicklung ganz neuer Methoden in der Beschleunigertechnologie.

In beiden Konzepten, TOKAMAK und STELLARATOR, gibt es Probleme, die dafürsorgen, dass auch morgen noch nicht damit zu rechnen ist, dass wir eine unerschöpfli-che Quelle für unserer Versorgung mit Primärenergie besitzen. Diese Probleme entstehenhauptsächlich durch die Instabilitäten des Plasmas, die seine Lebensdauer tfus begrenzenund für die es viele Ursachen gibt. Einige sind zum Beispiel:

1. In dem Plasma befindet sich nicht nur als Brennstoff das Deuterium-Tritium-Gemisch,sondern auch vielfache Verunreinigungen, welche die Dichte des Plasmas verringernund es schwieriger machen, das Lawson-Kriterium zu erfüllen.

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140 5 Die Weltenergievorräte

4Plasmalebensdauer (s)

0 1 2 3 5 6

JET(1997)

Fu

sio

nsl

eist

un

g (

MW

)

10

15

5

0

JET(1997)

3,8 kWh

5,8 kWh

1028

1024

1020

*JET

n/V

t

T (

K s

m

)

Jahr (a)

Lawson−Kriterium

−3fu

s.

.

1960 1970 1980 1990 ?

ITER

a b

Abb. 5.15 a Die im Fusionsreaktor JET erzielten Plasmalebensdauern mit den während dieser Zei-ten erreichten Fusionsleistungen. Je länger die Lebensdauer, um so geringer ist das Maximum derFusionsleistung, aber die frei gesetzten Fusionsenergien sind in beiden Fällen ungefähr gleich groß.bDer zeitliche Fortschritt in der Erfüllung des Lawson-Kriteriums. Obwohl die Extrapolation erwar-ten lässt, dass die technischen Probleme des Fusionsreaktors bis Anfang des 21. Jahrhunderts gelöstsind, ist das bis zum Jahr 2004 noch nicht der Fall

2. Eine natürliche Verunreinigung sind die α-Teilchen, die durch die Fusion entstehen.Aber auch die Neutralteilchen, die zur Heizung in das Plasma geschossen werden, sindVerunreinigungen, beide erzeugen Plasmainstabilitäten aufgrund der starken lokalenAufheizung.

3. SchwereVerunreinigungen sind nur teilweise ionisiert, sie können daher durch Elektro-nenanregungen dem Plasma Energie entziehen und die Plasmatemperatur reduzieren.Ein ähnlicher Mechanismus, die Bremsstrahlung freier Elektronen, sorgt dafür, dassder Reaktor zu einer Quelle harter γ-Strahlung wird mit der entsprechenden Wirkungauf die Umgebung des Plasmas.

4. Die nächste Umgebung des Plasmas ist der Plasmabehälter, der aus einer Stahllegie-rung gefertigt ist. Das Problem, dieWechselwirkung zwischen dem Plasma und seinemBehälter so gering zu halten, dass dieser auch über längere Zeiten mechanisch und ther-misch stabil bleibt, ist nicht gelöst.

5. Und schließlich sollte man nicht die ungeheuren Kräfte vernachlässigen, denen dieStruktur des Reaktors ausgesetzt ist und die durch die starken Magnetfelder verursachtwerden.

Trotz dieser Schwierigkeiten hat man sich in den vergangenen Jahren mit TOKAMAK-Anlagen in Culham/England (JET) und in Princeton/USA (TFTR) immer näher an dieErfüllung des Lawson-Kriteriums herangearbeitet. Es wurden Plasmalebensdauern von biszu 5 s mit einer totalen Energie aus der Fusion von fast 6 kWh erreicht, wie in Abb. 5.15gezeigt. Dies ist sehr wenig! Selbst wenn diese Energie wirklich zur Verfügung stünde, ließesich damit auch bei einemTastverhältnis von ∶ nur 0,0001%des zukünftigen deutschen

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5.4 Die fossil mineralischenEnergien 2: Kernfusion 141

Primärenergiebedarfs decken. Eine wesentliche Steigerung der Energiewandlung ist alsonotwendig.

Der nächste große Schritt soll der Bau des ITER (International Thermonuclear Ex-perimental Reactor) sein, mit dem zum ersten Mal ein selbständig brennendes Plasmaverwirklicht werden soll. Das ITER-Projekt wurde 1988 gestartet, an ihm beteiligen sichdie EU, die USA, Russland, Indien, China und Japan. Die Teilnehmer haben sich 2005 dar-auf einigt, den Reaktor in Cadarache/Frankreich zu bauen. Die ist ein mehrere MilliardenEuro teures Projekt, von dem nicht sicher ist, ob es die Investitionen je erwirtschaften wird.

Der Fusionsreaktor: TrägheitseinschlussOhne voreingenommen zu sein, kann man wohl behaupten, dass der Trägheitseinschlusseines Deuterium-Tritium-Plasmas sich nicht aus dem Planungs- und frühemVersuchssta-dium heraus entwickelt hat. Dabei ist das dahinter stehende Konzept auf den ersten Blickverblüffend einfach.

Wird anstelle eines gasförmigen ein flüssiges Deuterium-Tritium-Gemisch verwendet,so enthält ein Kügelchen mit einem Radius r = ,mm etwa

n ≈ ⋅ (5.37)

Deuterium-Tritium-Paare. Ein derartiges Kügelchen wird Pellet genannt. Fusionieren allein einem Pellet vorhandenen Deuterium-Tritium-Paare, so wird eine Energie von

WPellet ≈ kWh (5.38)

pro Pellet freigesetzt. Und falls schließlich jede Sekunde ein derartiger Fusionsprozessdurchgeführt wird, dann besitzt ein entsprechender Fusionsreaktor eine Leistung von

Pfus ≈ , ⋅ kWh ⋅ a− . (5.39)

Selbst bei dieser sehr optimistischen Abschätzung ist das noch nicht die thermische Leis-tung, die ein heute im Betrieb befindlicher Druckwasserreaktor erreicht und die etwa , ⋅ kWh ⋅ a− beträgt. Aber das eigentliche Problem ist, die Deuterium-Tritium-Paare indem Pellet zur Fusion zu zwingen.

Um zu fusionieren, müssen die Deuterium-Tritium-Paare auf eine Energie von , ⋅ eV beschleunigt werden. Bei dem Trägheitseinschluss ist diese Beschleunigung gerich-tet, also nicht chaotisch wie beim magnetischen Einschluss, wo sie durch Temperatur-erhöhung des Plasmas geschieht. Man erzielt ein gerichtete Beschleunigung, wenn mandas Pellet mit einer Kugelschale aus einem schweren Material umgibt, das schlagartig ver-dampftwird. Die physikalischen Erhaltungssätze von Impuls und Energie garantieren, dassfast die gesamte Energie, die zur Verdampfung der äußeren Schale des Pellets dieser zu-geführt wurde, auf die Deuterium-Tritium-Paare übertragen wird. Anschaulich ist dieserVerdampfungsprozess in derAbb. 5.16 dargestellt. Damit aber dieDeuterium-Tritium-Paa-re genügend Energie erhalten, muss der Verdampfungspuls entsprechend groß sein und die

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142 5 Die Weltenergievorräte

Abb. 5.16 SchematischerSchnitt durch ein Pellet. DieEnergiepulse verdampfen dieäußere Schale, dabei wird derBrennstoff nach innen be-schleunigt und komprimiert

Energiepulse

Energiepulse

Brennstoff

Verdampf.

schale

in ihm vorhandene Energie muss vollständig von der Verdampfungsschale des Pellets ab-sorbiert werden. Da die Beschleunigung der Paare nach innen gerichtet ist, wird auch eineVerdichtung des Deuterium-Tritium-Gemischs von n/V = ⋅ m− auf n/V >

erreicht, und damit ist das Lawson-Kriterium erfüllt.Die Energie, die der Verdampfungspuls für eine Zeit von ⋅− s besitzen muss, beträgt

ca. 6,4 kWh ≈ 25MJ. Er muss räumlich so begrenzt sein, dass er das Pellet von weniger als10mm Durchmesser vollständig trifft und in der äußeren Schale aus Blei und einer Blei-Lithium-Legierung vollständig absorbiert wird. Ein Fusionszyklus sieht dann folgender-maßen aus:

(1) Ein Energiepuls mit ca. 25MJ und zeitlicher Dauer ⋅− s trifft das Pellet mit Radiusr < mm.Dadurchwird die äußere Schale des Pellets von ca. 2mmDicke extrem starkaufgeheizt und verdampft instantan.

(2) Durch die Verdampfung wird der Brennstoff, ein flüssiges Deuterium-Tritium-Ge-misch, nach innen beschleunigt. Dabei erhöht sich die Dichte auf Werte von n/V > m− und die Deuterium-Tritium-Paare erreichen eine Energie Wkin > ,MeV.

(3) DasDeuterium-Tritium-Gemisch zündet, die bei der Fusion entstehenden α-Teilchenheizen das expandierende Plasmaweiter auf, bis der gesamte Brennstoff fusioniert hat.

Dieser Fusions-Zyklus entspricht der Explosion einer Mini-Wasserstoffbombe. Fallser so ideal funktionieren würde, besäße der Zyklus einen Gütefaktor G ≈ . Einer techni-schen Realisierung stellen sich aber enorme Probleme in den Weg.

• Wie erzeugt man die Energiepulse von 25MJ über eine Zeitspanne von 0,3 ns?Dafür gibt es zwei Vorschläge,(a) die Lichtpulse eines Hochleistungslasers,(b) die Teilchenimpulse eines Schwerionenbeschleunigers.Die Schwierigkeit besteht darin, dass beide Energiequellen eine Leistung von mehr als W besitzen müssen.

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5.5 Die Risiken der Kernenergie 143

(a) Der bekannte Hochleistungslaser NIF (National Ignition Facility) in den USA hateine Leistung von ca. W. Es kann spekuliert werden, ob nicht im Rahmenvon Militärprogrammen noch leistungsstärkere Laser entwickelt wurden, die un-bekannt sind. Für eine technische Anwendung ist zu berücksichtigen, dass Lasereinen sehr geringen Wirkungsgrad η ≈ , für die Wandlung in Strahlungsener-gie besitzen. Daher muss der Fusionsreaktor eine Güte G > erreichen, umdiesen Nachteil auszugleichen. Unter diesen Bedingungen viel Aufwand in dieLaserentwicklung zu stecken, lohnt sich offensichtlich nicht.

(b) Die Beschleunigerentwicklung hat in den letzten Jahren so große Forschritte ge-macht, dass es nicht aussichtslos erscheint, die Option einer Beschleunigeranlagenäher zu untersuchen. Diese müsste bei einer Beschleunigerenergie von 3 GeV ei-ne kurzzeitigen Strom von ⋅ A liefern. Dies erscheint unmöglich zu sein, selbstwenn viele Beschleuniger parallel geschaltet werden. Möglich erscheint ein Stromvon ca. A, was natürlich bedeutet, dass die Leistung eines Fusionskraftwerks umden entsprechenden Faktor nach (5.39) zurückgeht.

• Wie konstruiert man das Pellet?Um ein Pellet zu bauen, dass bei der Verdampfung seiner äußeren Schale den Brennstoffauf das 50fache komprimiert, muss dieses Pellet und die Bestrahlungsanordnung per-fekte Kugelsymmetrie besitzen. Das Pellet muss eine Temperatur von weniger als 20K(− °C) haben, damit die Wasserstoffisotope im flüssigen Zustand vorliegen. BeideBedingungen sind technisch sehr schwierig zu realisieren. Es hat wohl nur Compu-tersimulationen gegeben, um die prinzipielle Machbarkeit zu demonstrieren und diePelletkonstruktion festzulegen.Die einstmals existierenden Programme zur Untersuchung der Trägheitsfusion schei-nen, bis auf das NIF-Programm in den USA, alle eingestellt worden zu sein.

5.5 Die Risiken der Kernenergie

Eine Diskussion der fossil mineralischen Energieträger ist nicht möglich, ohne gleichfallsauf die Risiken einzugehen, die diese Energieträger darstellen. Dies ist umso notwendiger,weil die Kernenergie wegen ihrer enorm großen Energiedichte die einzige Energiequelleist, die uns ein Leben gemäß der vertrauten Art und Weise nach dem Verlust der fossilbiogenen Energiequellen ermöglichen würde. Dafür ist die bisherige Kernenergietechnik(konventionelle Kernreaktoren) nicht ausreichend, denn auch der Vorrat an Uwird überkurz oder lang erschöpft sein. Sondern esmüssen neueTechniken zurNutzbarmachung derKernenergie entwickelt werden, und die Menschheit sollte sich klar werden, ob sie diesenWeg, bei Kenntnis seiner Risiken, gehen möchte.

Das „Risiko“ ist ein bestimmender Faktor für das menschliche Handeln: Ist das Risikohoch, das bei einem bestimmten Handeln entsteht, so unternimmt man besser nichts. Ist

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144 5 Die Weltenergievorräte

Tab. 5.12 Die wichtigsten radioaktiven Quellenmit ihrer Toxizität, denen derMensch in einem Jahrausgesetzt ist

Radioaktive Quelle Toxizität (mSv)Natürliche Quellen Kosmische Strahlung in Meereshöhe 0,3

Terrestrische Strahlung bei Aufenthalt im Freien 0,4Terrestrische Strahlung bei Aufenthalt in Gebäuden 1,0Durch Nahrung aufgenommene Strahlung 0,3Total 2,0

Antropogene Quellen Medizin 2,0Industrieprozesse (z. B. Kohlekraftwerke) 0,01Strahlung in näherer Umgebung von Kernkraftwerken 0,01Total 4,0

es dagegen klein, so werden die meisten Menschen ohne Zaudern handeln. Dabei ist dasMaß eines Risikos vollständig subjektiv und unterliegt keiner objektiven Definition, wie siezum Beispiel für alle physikalischen Maßeinheiten existieren. Dafür ein allseits bekanntesBeispiel:

Jedes Jahr sterben von den 80Millionen Einwohnern in Deutschland etwa 2000Menschenim Straßenverkehr. Das Risiko, das bei der Teilnahme am Straßenverkehr entsteht, ist alsohoch. Trotzdem wird das Verkehrsrisiko subjektiv als gering empfunden und fast jeder nimmtohne Zögern am Straßenverkehr teil.

Die Anzahl der Menschen in Deutschland, die aufgrund von radioaktiven Emissionenaus Kernkraftwerken gestorben sind, ist faktisch null. Durch den Bau eines Kernkraftwerksentsteht daher nur ein geringes Risiko. Trotzdem empfinden die Mehrzahl der Menschen einKernkraftwerk in ihrer Umgebung als großes Risiko für ihr Leben.

Es ist daher sinnlos, dem Risikogefühl jedes Einzelnen mit rationalen Argumenten zubegegnen. Ein subjektiv empfundenes Risiko wird nur dann akzeptiert, wenn dadurch einnoch viel größeres Risiko vermieden wird. Und dieser Mechanismus kann durchaus wirk-sam werden, wenn es um die Fragen nach unserer zukünftigen Energieversorgung geht.Es ist daher nicht der Sinn dieses Abschnitts, den Leser von der Gültigkeit dieser oder jenerArgumente zu überzeugen, sondern es sollen die Fakten dargestellt werden, anhand dererder Leser dann seine individuelle Entscheidung zu treffen hat. Das Risiko, das durch dieNutzung der Kernenergie entsteht, resultiert aus der Produktion radioaktiver Atomkerne.Wie sich die Wirkung der Radioaktivität darstellen und messen lässt, haben wir in Kapi-tel 5.3 unter dem Stichwort „Dosimetrie“ behandelt. Das Leben mit der Radioaktivität istfür den Menschen eine von der Natur gegebene Notwendigkeit. Wir sind umgeben von ra-dioaktiven Quellen und die Tab. 5.12 enthält die natürlichen, wie auch die vomMenschenselbst verursachten Quellen samt ihrerToxizität für die Bevölkerung inDeutschland. Grobgeschätzt sindwir imMittel jährlich einer Strahlenexposition von 4 mSv ausgesetzt, von derdie eineHälfte natürlich, die andereHälfte antropogen bedingt ist. DieseWerte können sich

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5.5 Die Risiken der Kernenergie 145

mit demStandort umFaktoren verkleinern oder vergrößern. Insbesondere in derNähe vonUranlagerstätten (zum Beispiel Menzenschwandt im Schwarzwald) ist die Exposition hö-her. Ein extremer Fall existiert offenbar in Ramsar/Iran, wo die jährliche Strahlenexpositionder dort lebenden Menschen den Wert 200mSv erreicht, ohne dass sich ihr Lebensrisikostatistisch signifikant von dem anderer, im Iran lebender Menschen unterscheidet.

Bei diesen Betrachtungen ist von nicht geringer Bedeutung die Dosisleistung, also dieToxizität pro Zeit, die ein Mensch empfängt. Zum Beispiel kann einer jährlichen Toxizitätvon 200mSv eine Dosisleistung von , ⋅ − Sv ⋅ s− entsprechen, wenn die Expositiongleichmäßig über das Jahr erfolgt, wie es bei der natürlichen Radioaktivität der Fall ist.Eine jährliche Toxizität von 2mSv kann aber auch eine Dosisleistung von ⋅ − Sv ⋅ s−

bedeuten, wenn die Dosis innerhalb von nur 1 Sekunde verabreicht wurde, wie es zumBeispiel bei medizinischen Anwendungen oft der Fall ist. Bei gleicher jährlicher Toxizitätkönnen also die Dosisleistungen sehr verschieden sein und je größer die Dosisleistung ist,umso größer ist die Gefahr.

Die Gefahren durch die Radioaktivität entstehen im Wesentlichen durch zwei Schä-digungen:

1. Körperliche Früh- und Spätschäden (das sind Krebserkrankungen mit einer Zeitverzöge-rung von Jahren bis Jahrzehnten).InDeutschland sterben jährlich etwa 185.000 Menschen durch Krebs, von denen manannimmt, dass sich die Mehrzahl ihre Erkrankung auf „natürliche“ Weise zugezogenhat (Alterskrebs) und nur ca. 0,5% aufgrund der natürlichen radioaktiven Exposition.Diese Unterscheidung ist allerdings ziemlich willkürlich, denn sie kann experimentellnicht nachgewiesen werden.

2. Genetische Schäden durch Mutationen in den Keimzellen.Die Rate der spontan in denmännlichenKeimzellen auftretendenMutationen ist relativhoch. Sie beträgt etwa 14%, das heißt, etwa jede 7. Keimzelle wird mutieren. Verglichendamit ist die Mutationsrate gering, die durch die natürliche Radioaktivität ausgelöstwird. Sie ist von gleicher Größenordnung wie die der körperlichen Früh- und Spät-schäden und beträgt ca. 0,5%.Problematisch ist es, von diesen Werten auf die Risiken zu extrapolieren, die bei einerviel höheren Strahlenexposition zu erwarten sind. Denn das Risiko hängt sicherlichnicht linear von der Toxizität ab. Wenn wir mit dem Risiko die Mortalitätswahrschein-lichkeit ProbM meinen, dann muss gelten

ProbM = R(DQ)DQ, (5.40)

wobei der Risikofaktor R(DQ) selbst eine Funktion der Toxizität DQ ist. Ziemlich si-cher ist, dass eine kurzzeitige Bestrahlung mit Dosen oberhalb von 10 Sv innerhalb von5 Tagen mit der Wahrscheinlichkeit ProbM = zum Tode führt. Zwischen dieser obe-ren Grenze und der natürlichen Belastung ist die Abhängigkeit des Risikofaktors vonder Toxizität näherungsweise logarithmisch, denn der Körper ist in der Lage, weniger

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146 5 Die Weltenergievorräte

0.05

Ris

iko

fakt

or

(Sv

)

Toxität (Sv)1 10 1000.1

0.1

0−1

Abb. 5.17 Die Abhängigkeit des Risikofaktors R von der Toxizität einer kurzfristigen radioaktivenBelastung. Wegen der Definition in (5.40) muss der Risikofaktor für starke Toxizitäten gegen nullgehen, denn die Mortalitätswahrscheinlichkeit kann nicht größer als 1 werden. Demnach erreichtder Risikofaktor seinen maximalen Wert von 0,1 Sv− bei einer Toxizität von ca. 10 Sv

schwere Schäden mit der Zeit wieder auszuheilen. In der Abb. 5.17 ist gezeigt, wie sichder Risikofaktor wahrscheinlich mit der Toxizität verändern wird. Dabei sind Informa-tionen auch über den Reaktorunfall in Tschernobyl und den Atombombenabwurf überHiroshima herangezogen worden.

Auf jeden Fall wird bei einem nuklearen Störfall wesentlich mehr Radioaktivität frei-gesetzt als 10 Sv. Den größtmöglich anzunehmenden Unfall bezeichnet man als GAU. Erbesteht in der Schmelze des Reaktorkerns aufgrund der hohen Temperaturen, die sichaufbauen, wenn die Wärme nicht abgeführt wird. Bei einem konventionellen Reaktortypwie dem DWR oder SWR wird die Kettenreaktion bei Verlust des Kühlmittels unterbro-chen. Dass sich trotzdem die Reaktortemperatur stark erhöht, liegt an der Nachwärme,die durch den radioaktiven Zerfall der Transurane und der Spaltfragmente entsteht unddie bei Verlust des Kühlmittels nicht mehr abgeführt wird. Die Nachwärmeleistung beträgtunmittelbar nach dem Aussetzen der Kettenreaktion noch ca. 6% der normalen thermi-schen Leistung eines Reaktors, und nach 1 Stunde immer noch ca. 1%.

Im Einzelnen sieht der zeitliche Ablauf eines GAUs wie folgt aus:

1. Nach dem Totalausfall der Kühlung erhöht sich die Temperatur des Reaktorkerns in-nerhalb von einer Stunde auf ca. 2000 bis 3000 °C.

2. Dann beginnt das Material des Reaktorkerns zu schmelzen: Zirkon, Stahl, UO und dieSpaltfragmente sowie Transurane bilden ein flüssiges Gemischmit derMasse von bis zu300 t, das durch den Einschlussbehälter des Reaktors in das Reaktorgebäude gelangenkann.

3. Außerdem reagiert das Restwasser, das sich noch im Reaktorkern befindet, mit demZirkon und erzeugt freien Wasserstoff, der sich mit dem Sauerstoff explosionsartig ver-bindet und das Reaktorgebäude zerstört. Dadurch gelangt etwa 5% des radioaktivenInventars in die Umgebung des Kernkraftwerks.

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5.5 Die Risiken der Kernenergie 147

Tab. 5.13 Die Abnahme der Toxizität einer radioaktiven Quelle mit demAbstand von dieser Quelle,wenn die Radioaktivität gleichmäßig im Halbraum verteilt wird

Abstand (m) 1 10 100 1000 10.000Toxizität (Sv) , ⋅ , ⋅ , ⋅ 1,5 , ⋅ −

Nach der Neufassung des deutschen Atomgesetzes vom 28.7.1994 dürfen radioaktiveStoffe nicht aus dem Reaktorgebäude in die Umgebung gelangen unabhängig davon, wel-che Gründe dazu führen könnten. Die durch das Gesetz festgelegten Richtlinien sind sostringent, dass sie den Neubau von Kernkraftwerken mit einem konventionellen Reaktorin Deutschland verhindert und die Entwicklung des EPR-Reaktors initiiert haben. Auf deranderen Seite hat es Unfälle mit Kernkraftanlagen gegeben, bei denen große Mengen anRadioaktivität in die Umgebung gelangten. Trotz der starken Belastung haben diese Unfäl-le nicht zu den dramatischen Folgen geführt, die man nachAbb. 5.17 erwarten würde. Diesliegt an einem Verdünnungseffekt, der besonders bei gasförmigen Radionukliden wirksamist und dafür sorgt, dass die Toxizität innerhalb kurzer Zeit auf tolerable Werte absinkt.Als Beispiel wird in der Tab. 5.13 der Fall behandelt, dass der gesamte jährliche radioaktiveAbfall eines Kernkraftwerks frei gesetzt wird, der in einem Behälter mit 3m Inhalt einge-schlossen war. In 10 km Abstand von dem Behälter erreicht die Toxizität durch den Unfalletwa denWert, der durch die natürliche Exposition mit Radioaktivität hervorgerufen wird.

Dieser Verdünnungseffekt ist sicherlich auch dafür verantwortlich, dass bei den 3 be-kannten großen Unfällen mit Kernkraftanlagen die Anzahl der Sterbefälle relativ geringwar, wenn man sie mit anderen Risiken vergleicht wie zum Beispiel dem, das durch denStraßenverkehr verursacht wird. Die bekannten großen Unfälle sind:

1. 1979: InHarrisburg/USA ereignete sich bei einem Druckwasserreaktor ein Störfall imSekundärkühlkreislauf, der den Reaktor abschaltete. Die Nachwärme konnte durch dasNotkühlsystem nicht ausreichend abgeführt werden, so dass der Reaktorkern teilweiseschmolz und der Druckbehälter des Reaktors zerstört wurde. Durch die Entlüftungs-anlagen gelangten etwa ⋅ Bq an radioaktiven Gasen (Xe und Kr) mit einerToxizität von Sv in die Umgebung. Es wurden keine Todesfälle aufgrund dieser Ra-dioaktivität beobachtet.

2. 1986: Verursacht durch menschliches Fehlverhalten gerät einer der RBMK-Reaktoren(Block 4) der Kernkraftanlage in Tschernobyl/Ukraine in Brand. Der Reaktorbehälterund das Reaktorgebäude werden zerstört, ca. 30% des Brennstoffs aus dem Reaktor-kern werden herausgeschleudert. Dabei gelangen etwa 4% des gesamtem radioaktivenInventars mit Bq und einer Toxizität von Sv in die Umgebung. Dies ist der größ-te bisher aufgetretene Reaktorunfall, auf den weiter unten eingegangen wird.

3. 2011: Ein Tsunami war Auslöser des Reaktorunfalls von Fukushima/Japan. Dabei ver-sagte das Kühlwassersystem und es kam in 3 von 4 Reaktorblöcken zu einer Kern-schmelze.DieReaktordruckbehälterwurden zerstört, ca. ⋅ Bq an I und ca. Bqan Csmit einer Toxizität von ca. ⋅ Svwurden freigesetzt und verseuchten das um-

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148 5 Die Weltenergievorräte

Tab. 5.14 Die Frühfolgen für die Personen, die durch den Reaktorunfall in Tschernobyl besondersstark mit Radioaktivität kontaminiert wurden

Exposition Gruppenstärke Verstorben30–80 Sv 22 Personen 21 Personen20–30 Sv 23 Personen 7 Personen10–20 Sv 53 Personen 1 Person4–10 Sv 105 Personen 0 Person

liegende Land und dasMeer. Etwa 300.000 Bewohner derUmgebungmussten evakuiertwerden, aber es ist bisher kein Todesfall bekannt, der sich auf diesen Unfall zurückfüh-ren ließe.

Bei dem Reaktorunfall von Tschernobylmussten ca. 130.000Menschen aus einemKreismit 30 kmRadius um das Kernkraftwerk die Gegend verlassen.Diese Sperrzone besteht bisheute, sie wird inzwischen wieder von 400 bis 800 Menschen bewohnt und wurde kürzlichsogar für den Tourismus geöffnet. In der Ukraine werden ca. 2000 km, in Weißrusslandca. 3500 km Fläche mit einer jährlichen Toxizitätsflächendichte von mSv ⋅m− radio-aktiv belastet. In diesem Gebiet befinden sich auch Großstädte, wie zum Beispiel Gomel.Nach Aussagen deutscher Ärzte hat sich dort die Häufigkeit von Brustkrebs verdoppelt. Esgibt jedoch keine Aussagen,dass sich die Lebenserwartung der Bevölkerung verringert hat.

Bei den Löschversuchen waren 203 Personen beteiligt, für die Informationen über dieerhaltenen Frühschäden vorliegen, siehe Tab. 5.14.

Die Spätschäden in der betroffenen Bevölkerung werden international überwacht. Manrechnet mit 1600 Krebserkrankungen zusätzlich zu den 15.000 Personen, die dort jährlichaufgrund einer „natürlichen“ Ursache an Krebs erkranken. Dies würde dem 15fachen derKrebserkrankungen aufgrund der natürlich radioaktiven Belastung entsprechen. Bisherist eine statistisch signifikante Erhöhung des Schilddrüsenkrebses bei Kindern beobach-tet worden.

Betrachtet man die Auswirkungen des Unfalls insgesamt, so scheinen diese mehr in denVeränderungen der Sozial- und Industriestruktur der betroffenen Regionen zu liegen alsin einer gravierenden Erhöhung der Mortalitätswahrscheinlichkeit der betroffenen Bevöl-kerung. Aber bleiben Sozial- und Industriestruktur unverändert, wenn eine gravierendeEnergieverknappung in der Welt einsetzt?

Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Reaktorunfall wie der in Tschernobylwiederholt? Offensichtlich nicht Null, denn nur 25 Jahre später ereignete sich der Unfallvon Fukushima, wenngleich er viel glimpflicher ablief. Und aus jedem der oben genann-ten Unfälle hat man gelernt, wie die Sicherheit eines Kernkraftwerks verbessert werdenmuss. In Deutschland mit seinen 9 noch im Betrieb befindlichen Kernkraftanlagen ist seitihrer Inbetriebnahme kein gravierender Unfall aufgetreten. Falls alle 434 Reaktoranlagenauf der Welt den deutschen Sicherheitsstandards genügten, dann könnte nach Berech-nungen in einer dieser Anlage alle 76 Jahre ein GAU auftreten. Die Betriebsdauer eines

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5.6 Das Ende der fossilen Energieträger 149

Kernkraftwerks beträgt allgemein etwa 40 Jahre. Nach den gleichen Berechnungen würdesich die Zeit bis zum GAU auf über 380 Jahre vergrößern, wenn alle 434 Reaktoren be-reits vom EPR-Typ wären. Unter diesem Aspekt böte auch ein zukünftiger Fusionsreaktornichtmehr Sicherheit. Denn auch ein Fusionsreaktor erzeugt Radioaktivität, allerdings kei-ne langlebigen Transurane. Dafür ist Tritium radioaktiv und besonders gefährlich, weil esleicht flüchtig ist und eingeatmet werden kann.

5.6 Das Ende der fossilen Energieträger

Die Abb. 5.2 macht deutlich, dass die fossil biogenen Energieträger um die Mitte des21. Jahrhunderts erschöpft sein werden. Danach müsste die Versorgung der Welt mitPrimärenergie von anderen Energieträgern übernommen werden. Dafür kommen, nachMeinung der meisten Deutschen, nur erneuerbare Energien in Frage, denn auch der Bei-trag, den die Kernenergie heute noch leistet, wird bald verschwunden sein, wenn schonnicht per Gesetz, dann wegen des beschränkten Vorrats an U. Können erneuerbareEnergien die fossilen Energieträger ersetzen?

Um diese Frage wirklichkeitsnah zu beantworten, muss man berücksichtigen, wie sichdie zeitliche Entwicklung eines Energieträgers tatsächlich vollzieht. Es ist nicht so, dassein Energieträger einen anderen zu einem bestimmten Zeitpunkt vollständig ersetzt, wiees noch die Abb. 5.2 suggeriert, sondern der Abbau eines Energieträgers beginnt zu einerbestimmten Zeit, erreicht zur Zeit tmax seinen maximalen Wert und nimmt danach wie-der ab, wie am Beispiel der Nordseeölförderung in Abb. 5.18 dargestellt. Dieses Verhaltenlässt sich mithilfe der Funktion P(t) = dW(t)/dt modellieren, wobei W(t) die Wachs-tumsfunktion genanntwird. ZurDefinition:Mithilfe einerWachstumsfunktion X(t) kanndas Wachstum δX = (X(t + Δt) − X(t))/X(t) berechnet werden, siehe Abschn. 4.2. DieFunktion X(t) ist eine der elementaren Funktionen in der Physik, dort ist sie allerdingsbekannter unter demNamen „Fermi-Funktion“, denn sie beschreibt das Quantenverhaltenvon Teilchen mit halbzahligem Spin, den „Fermionen“. Aber ebenso beschreibt sie auch diezeitliche Entwicklung einer Epidemie und deshalb findet man sie auch unter dem Namen„epidemic-growth-function“. Im Beispiel des Nordseeöls beschreibt dieWachstumsfunkti-onW(t) den kumulierten Abbau eines Energieträgers, bis seine obere GrenzeW∞ erreichtist, dieMächtigkeit genannt wird. In der Modellierung geschieht der Abbau symmetrischum tmax. Diese Symmetrie kann in derWirklichkeit verletzt sein, die wesentlichen Gründesind:

• Die Mächtigkeit nimmt mit der Zeit zu, weil neue Lagerstätten entdeckt werden.• Existieren mehr als nur ein Energieträger, kann sich ihr Abbau gegenseitig beeinflussen,

z. B. über den Energiepreis.

Dies führt zu Schwankungen im Abbau, wie sie auch in der Abb. 5.18 zu erkennen sind.Das ändert aber nichts an der generellen Aussage, dass jeder fossile Energieträger zu einer

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150 5 Die Weltenergievorräte

Abb. 5.18 Der Abbau desNordseeöls (Punkte) und sei-ne Modellierung mithilfe derFunktion P(t), welche diezeitliche Veränderung derWachstumsfunktion W(t)darstellt. Die linke Skala giltfür P(t), die rechte fürW(t).Gezeigt sind auch die Zeittmax des maximalen Abbausund seine Reichweite τ , sowiedie Mächtigkeit des Lagers anNordseeöl

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

1980 2000 2020

20

40

60

80

100

120

140

1980 2000 2020

P(t)

2 tmax

Jahr

W(t)

Mächtigkeit

Erd

ölf

örd

eru

ng

(10

12 k

Wh

a-1

)

kum

ulie

rte

rder

un

g (

1012

kW

h)

gewissen Zeit fast vollständig abgebaut sein wird, die durch seine Reichweite τ bestimmtist. Auf der P-Ebene werden wir uns detaillierter mit den Eigenschaften der Wachstums-funktion beschäftigen.

DieWachstumsfunktion bildet die Basis für die Berechnungen zur Entwicklung des Pri-märenergieangebots PEA. Die Frage, ob das Angebot dem Bedarf folgen kann, wird imRahmen von 2 Optionen untersucht. Die erste Option belastet die Umwelt, denn alle fos-silen Energieträger, auch Kohle und die Kernenergie, sind zugelassen. Die zweite Optionist umweltschonend, es werden nur Erdöl und Erdgas für die Primärenergieversorgungverwendet.

In der Abb. 5.19 ist gezeigt, wie sich die verfügbaren Energieträger bis zum Jahr 2050entwickeln müssen, um den Primärenergiebedarf der Welt gemäß Prognose 2 zu decken.

Zur Mitte des 21. Jahrhunderts beträgt der globale Primärenergiebedarf

PEB ≈ , ⋅ kWh ⋅ a−

Das Primärenergieangebot aus fossilen Energien beträgt aber nur noch

PEA(foss) ≈ ,PEB = , ⋅ kWh ⋅ a− .

Dieses Ergebnis sollte uns nicht überraschen. In der Option 1 stehen im Jahr 2050 nurnoch die Kohle und Restmengen von Erdöl, Erdgas und U zur Verfügung. Zur Deckungdes globalen Primärenergiebedarfsmüssen daher die erneuerbaren Energien einenVersor-gungsgrad δ ≈ , erreichen. Noch schlimmer sieht es mit der Option 2 aus, denn danachmüssten im Jahr 2050 die erneuerbaren Energien für 80% des gesamten Primärenergiebe-darfs derWelt aufkommen, weil Erdöl und Erdgas fast nicht mehr vorhanden sind. Gelingtdiese Umstellung auf erneuerbare Energien nicht, und vieles spricht dafür, so wird im Jahr

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5.6 Das Ende der fossilen Energieträger 151

..Erdol

2020 2030 2040 20502010

13,8 16,0 18,5 20,8 22,6

Jahr

Erneuerb. En.

Kohle

KernenergieErdgas

Primärenergiebedarf (10 kWh/a)13

Abb. 5.19 Die zeitliche Entwicklung verschiedener Energieträger nach der Prognose 2 in den nächs-ten 50 Jahren. a sind für jedes Jahr die prozentualen Anteile nach Option 1, b nach Option 2 gezeigt

2050 die Kohle den größten Beitrag zur Versorgung der Welt mit Primärenergie überneh-men müssen mit voraussehbaren Auswirkungen auf den CO-Gehalt in der Atmosphäre.

Können die erneuerbaren Energien die zu erwartende Lücke zwischen Energiebedarfund Energieangebot füllen und den erforderlichen Beitrag leisten? Zu Anfang des 21. Jahr-hunderts machte ihr Anteil etwa 7% der Versorgung mit Primärenergie aus, das sind alsoca. , ⋅ kWh ⋅ a−. Davon entfallen die eine Hälfte auf Wasserkraftanlagen und dieandere Hälfte auf die Holzwirtschaft, die besonders in den we-Ländern von Bedeutungist. Dagegen spielten alle anderen erneuerbaren Energien, wie zum Beispiel Sonnen- undWind-Kraftanlagen, mit insgesamt etwa 0,2% nur eine untergeordnete Rolle. Die Was-serkraft und die Holzwirtschaft sind nicht wesentlich ausbaufähig: Schon jetzt regt sichbei der betroffenen Bevölkerung erheblicher Widerstand gegen den Neubau von großenWasserkraftanlagen und der Holzeinschlag müsste eigentlich reduziert werden, um dasErdklima zu stabilisieren. Davon abgesehen werden die restlichen Mengen an erneuerba-ren Energien in Zukunft steigen, aber das Fazit der Untersuchungen in Kap. 6 ist, dass dergesamte Anteil bis 2050 nicht mehr als 15% des Primärenergiebedarfs ausmachen dürf-te. Diese Entwicklung der erneuerbaren Energien ist in Abb. 5.20 als rote Fläche gezeigt.Der tatsächliche Bedarf, dargestellt als schwarze Kurven, wächst aber viel schneller, undzwar mit ca. , ⋅ kWh ⋅ a− etwa 6mal so schnell, wie das Angebot an erneuerbarenEnergien vermutlich wachsen wird. Die sich dann entwickelnde Energielücke ist in derAbb. 5.20 deutlich zu erkennen: Nur bis zum Jahr 2020 wäre noch eine ausreichende Men-ge an Energieträgern, fossilenwie erneuerbaren, vorhanden und alle fossilen, einschließlichder Kernenergie, müssten auch genutzt werden. Die Abb. 5.20 weist sehr klar darauf hin,dass wir praktisch einen linearen Anstieg in der Nutzung erneuerbarer Energien erreichenmüssen, der auch bei derOption 2 nicht anders ausfällt, aber schon um2005 hätte einsetzenmüssen.

Unter den heutigen Bedingungen wird sich daher ab dem Jahr 2020 ein immer größerwerdendes Ungleichgewicht zwischen Energienbedarf und Energieangebot auftun, weil er-neuerbare Energien nicht in genügender Menge zur Verfügung stehen werden.

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152 5 Die Weltenergievorräte

02468

101214161820

2000 2020 2040

Option 2

Option 1

erneuerb. En.prognostiziert

Jahr

En

erg

ieb

edar

f (1

013 k

Wh

a-1

)

Abb. 5.20 Die Kurven zeigen die Zunahmen bei der Nutzung erneuerbarer Energien, die erreichtwerden müssten, um den erwarteten Primärenergiebedarf bis zum Jahr 2050 zu decken. Die gestri-chelten Geraden sind die linearen Anpassungen an diese Zuwächse, die für Option 1 und 2 sehrähnlich sind und sich eigentlich nur um den Zeitpunkt unterscheiden, ab dem erneuerbare EnergieneinenwesentlichenBeitrag leistenmüssen.Die rot getönte Fläche entspricht dem jährlichenZuwachsin der Versorgung mit erneuerbaren Energien, den man bei äußerst optimistischen Annahmen viel-leicht erwarten kann, siehe Kap. 6

5.6.1 P-Ebene: Die zukünftige Entwicklung der fossilen Energieträger

Die Basis für die Berechnung dieser Entwicklung bildet die Wachstumsfunktion, mit de-ren Eigenschaften wir uns jetzt auseinandersetzen wollen.

DieWachstumsfunktionMan nennt diese Funktion auch die „epidemic-growth-function“ und dieser Name machtdeutlich, welche Form der Entwicklung von dieser Funktion beschrieben wird: Die epide-mische Ausbreitung einer Krankheit innerhalb einer Gemeinschaft von n∞Menschen. DieGesetzmäßigkeiten der Ausbreitung lassen sich durch sehr plausible Annahmen beschrei-ben.

• Am Beginn der Krankheit ist die zeitliche Veränderung dn/dt der angesteckten Perso-nen proportional zu der Anzahl n vonPersonen, die sich bereits angesteckt haben.Dennsie übertragen die Krankheit auf die noch gesunden Personen.

• Am Ende der Krankheit ist die zeitliche Veränderung dn/dt der angesteckten Personenproportional zu der Anzahl n∞−n von Personen, die sich noch nicht angesteckt haben.Denn die bereits angesteckten Personen können sich nicht mehr anstecken.

Diese Annahmen führen zu einerDifferentialgleichung, welche die zeitliche Entwicklungder Epidemie beschreibt und welche die Form

dndt=

nn∞

n∞ − nτ

(5.41)

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5.6 Das Ende der fossilen Energieträger 153

0

5

10

15

20

2000 2050 2100

Option 2

Bedarf

Angebot

ErdölErdgas

Jahr

kum

ulie

rter

PE

B (

1015

kW

h)

0

5

10

15

20

2000 2050 2100

Option 1

BedarfAngebot

ErdölErdgasKohle

Kernenergie

Jahr

kum

ulie

rter

PE

B (

1015

kW

h)

a b

Abb. 5.21 Die Entwicklung des kumulierten Primärenergiebedarfs derWelt seit dem Jahr 2000 nachPrognose 2. Die Kurven zeigen die Anteile der fossilen Energieträger, die gestrichelte Fläche denAnteil, den erneuerbare Energien zu leisten hätten. a zeigt die Ergebnisse der Option 1 gezeigt, b dieder Option 2. Man vergleiche mit der Abb. 5.2

besitzt. Dabei ist τ eine Zeitkonstante, welche die Schnelligkeit der Ausbreitung angibt.Betrachten wir anstelle der Epidemie die zeitliche Entwicklung im Abbau eines Energie-trägers und übertragen wir auf diesen die Rahmenbedingungen, die hinter den obigenAnnahmen stehen, so lautet die entsprechende Entwicklungsgleichung

dWdt=

WW∞

W∞ −Wτ

(5.42)

und τ wird jetzt die Reichweite des Energieträgers genannt. Entsprechend ist W∞ jetztdieMächtigkeit des Energieträgers auf der Erde.

(5.42) ist eine Differentialgleichung 1. Ordnung, für die eine Anfangsbedingung festge-legt werden muss, damit sich eine eindeutige Lösung ergibt. Als Anfangsbedingung legenwir fest, wie groß die bereits abgebaute Menge W der Energie zur Zeit t = a, alsoam Beginn des 21. Jahrhunderts, war. Dann ergibt sich als Lösung von (5.42)

W(t) =W

R + ( − R) exp(( − t)/τ), (5.43)

wobei R = W/W∞ das Verhältnis der bereits abgebauten Energie zur Mächtigkeit die-ser Energie ist. Für unsere Berechnungen haben wir die in Tab. 5.15 angegebenen Wertezugrunde gelegt.

Die Ergebnisse sind in Abb. 5.21 dargestellt. Die Bilder zeigen, wie der Abbau aller fos-silen Energieträger innerhalb des 21. Jahrhunderts den maximal möglichen Wert erreicht,das heißt, es sind die kumulierten Energien dargestellt, wie in der Abb. 5.2. Die Rate, mit

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154 5 Die Weltenergievorräte

Tab. 5.15 Die Eingabedaten zur Berechnung der zeitlichen Entwicklung des Abbaus fossiler Ener-gien nach der Wachstumsfunktion

Erdöl Erdgas Kohle Kernenergie ErneuerbareEnergie

R 0,41 0,21 0,26 0,05 0,07Reichweite τ (a)

Option 1 23 26 40 10Option 2 13 18 – –

Verbleibende Zeit (a)Option 1 56 87 125 50Option 2 26 61 – –

der die einzelnen fossilen Energieträger abgebaut werden, ergibt sich aus der zeitlichen Ab-leitung der Funktion (5.43). Diese Ableitung lautet:

dWdt= P(t) =

− Rτ

W(t)

Wexp(( − t)/τ). (5.44)

(5.44) beschreibt eineGlockenkurve, wiewir es erwartet haben. Die Breite der Glockenkur-ve und der Zeitpunkt tmax, zu dem sie ihr Maximum erreicht, erlauben eine Abschätzungder Zeit Δt, die ab dem Jahr 2000 noch vorhanden ist, bis dieser Energieträger auf 10%seiner Mächtigkeit abgebaut sein wird:

Δt = tmax + ,τ. (5.45)

Diese Zeitabschätzungen sind in der Tab. 5.15 in der Zeile „Verbleibende Zeit“ angegeben.Man erkennt aus denDaten in dieser Zeile, dass auf jeden Fall die Reserven anErdöl, Erdgasund Kernenergie im Laufe des 21. Jahrhunderts erschöpft sein werden. Allein die Koh-le verfügt aufgrund ihrer viel größeren Mächtigkeit über eine längere Reichweite, wobeider Abbau der Kohlevorräte aber mit dem wachsenden Energiebedarf nicht Schritt haltenkann.

Wie sicher sind diese Prognosen, wie genau geben sie die tatsächliche Entwicklung desEnergiebedarfs und seiner Deckung im 21. Jahrhundert wieder? Da sie auf elementarenFunktionen basieren, welchewiederumdie Lösungen von häufig in derNatur vorkommen-denDifferentialgleichungen sind, ist ihrmathematisches Fundament sehr sicher. Unsicher-heiten entstehen im wesentlichen nur durch Funktionsparameter, welche an die Gegeben-heiten in der Welt angepasst werden müssen. Es ist zu hoffen, dass diese Anpassung zurZeit des Referenzjahrs 2000 wirklichkeitstreu erfolgte. Immerhin sind seit dieser Zeit fast10 Jahre vergangen, welche einen Vergleich zwischen der prognostizierten und der tatsäch-lichen Entwicklung gestatten. Dieser Vergleich wird in dem Begleitmanuskript „Energie3“vorgenommen, er sollte in Zukunft auch jährlich anhand neuer Daten wiederholt werden.

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5.6 Das Ende der fossilen Energieträger 155

Daraus ergibt sich für uns die entscheidende Frage: Besitzen erneuerbare Energien ausphysikalischer Sicht das erforderliche Potenzial, um unsere zukünftige Energieversorgungzu garantieren?

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6Die erneuerbaren Energien

In diesemKapitel werdenwir die Fähigkeit der erneuerbarenEnergien untersuchen, einenwesentlichen, wenn nicht gar den dominanten Beitrag zur zukünftigen Energieversorgungder Welt zu leisten. Unter erneuerbaren Energien verstehen wir alle Energieressourcen,derenMächtigkeit praktisch unerschöpflich ist, für die also im PrinzipW∞ = ∞ gilt. Damitist allerdings noch keine Aussage gemacht über denWert oder das Potenzial, den oder daseine EnergieressourceW für unsere Versorgungmit Energie besitzt. DennW∞ = ∞ ist nureine hinreichende Bedingung, notwendige Bedingungen sind aber:

1. Die Energie muss eine genügend große Energiedichte besitzen.2. Die Energie muss leicht und zu jeder Zeit verfügbar sein.3. Die Energiemussmit einemhohenWirkungsgrad in andere Energieformenwandelbar

sein.

Unglücklicherweise verlangen die Untersuchungen, ob der Energieträger W diese Bedin-gungen erfüllt, auf beiden Ebenen ein naturwissenschaftliches und insbesondere physi-kalisches Wissen, das vielleicht nicht alle Leser besitzen werden. Es wird versucht, diesesWissen auf der P-Ebene zu ergänzen oder zu vermitteln. Diese Ebene bildet daher einenwichtigen Teil des Kap. 6 wie auch der Kap. 8 und 9.

Beginnen wir mit der Zusammenstellung in Abb. 6.1, die alle uns zugänglichen erneu-erbaren Energieressourcen zeigt. Auf der linken Seite dieses Bilds sehen wir die Eingangs-energien Wi , auf der rechten Seite die erneuerbaren Energien W(ernb), in welche erstereüber viele Prozesse gewandelt werden. Die meisten dieser Prozesse besitzen als Eingangs-energie die Sonnenstrahlung (Solarenergie). Dies ist auch die Energieressource, an diewir zu allererst denken, wenn wir von erneuerbaren Energien sprechen. Aber auch diethermischeEnergie des Erdinneren (Erdwärme) stellt eine praktisch unerschöpflicheEner-gieressource dar, wie auch die Bewegung des Monds um die Erde (Gravitationsenergie).

157D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_6,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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158 6 Die erneuerbaren Energien

Meereswärme−kraftanlage

Bio−masse

Bio−gas

thermischeEnergie

elektrischeEnergie

Meeresströmungs−kraftanlage

kraftanlageGezeiten−

kraftanlageWellen−

kraftanlageWind−

Wasser−kraftanlage

Solarzelle

Fotovoltaik

VerdunstungNiederschlag

Wind

Wasser−wellen

Meeres−stromung

..

Fotosynthese

GezeitenGravitations−energie

Erdoberflache..Atmosphäre

Erwärmung

Solarenergie

Erdwärme

thermischeKraftanlage

thermischeHeizung

solareKraftanlage

Warmepumpe..

Sonnenstrahlung

chemischeEnergie

Ern

euer

bar

e E

ner

gie

n W

(ern

b)

Ein

gan

gse

ner

gie

n W

i

Abb. 6.1 Die Wege erneuerbarer Energien von ihren Eingangsformen (links) bis zu ihren Endfor-men (rechts). Chemische Energie ist heute die dominante Form der Primärenergie

Die Sonnenstrahlung ist eine besondere Energieform, denn von allen anderen Ener-gieformen zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie eigentlich eine Energieströmung ist1.Daher wird die Solarenergie durch die Energiestromdichte I charakterisiert, für die wir inAbschn. 4.5.1 auch das Wort „Intensität“ benutzt hatten, und die verschieden ist von derEnergie- oder Leistungsdichte, mit deren Hilfe wir in Abschn. 5.2.1 die Spaltreaktoren ge-kennzeichnet hatten. Zwischen der Energiestromdichte I und der Energiedichtew bestehtdie Beziehung

I = v w , (6.1)

wobei v die Strömungsgeschwindigkeit der Energie ist, also die Lichtgeschwindigkeit c = ⋅ m ⋅ s− im Fall der Solarenergie. Daraus ergibt sich sofort, dass die Energiedichteder Solarenergie extrem gering ist, wenn man sie mit der Energiedichte der Kernenergievergleicht. Sie beträgt für den von der Erde absorbierten Anteil nach (4.33) nur

w⊕ =I⊕c= , ⋅ − kWh ⋅m− . (6.2)

1 Siehe Fußnote 2 in Abschn. 1.1.1.

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6 Die erneuerbaren Energien 159

Tab. 6.1 Die prozentualen Anteile erneuerbarer Energien (Elektrizität) am gesamten Primärener-giebedarf einzelner Länder (alphabetisch gemäß internationaler Kennung) im Jahr 2010

Land AT DE DK ES GB IS NO SE WeltWasserkraft 8,5% 0,5% − 2,3% 0,1% 20,8% 21,3% 10,1% 2,27%Windkraft 0,5% 0,9% 3,2% 2,4% 0,4% − 0,2% 0,1% 0,23%Solarenergie − 0,1% − 0,4% − − − − 0,08%Erdwärme − − − − − 7,4% − − 0,04%Total 9,1% 1,5% 3,2% 5,1% 0,5% 28,2% 21,5% 10,6% 2,56%

Die thermische Energie, die pro Jahr von einem Druckwasserreaktor aus der Kern-energie gewandelt wird, ist größer als das Millionenfache der Solarenergie, die unteridealen Bedingungen in die gleiche Fläche eingestrahlt wird.

Dies ist ein gewaltiger Unterschied, der zur Folge hat, dass für die Nutzung der Solar-energie sehr viel größere Flächen oder Zeiten benötigtwerden.Die sehr viel längerenZeitenstanden zur Verfügung, als die Solarenergie vorMillionen von Jahrenmittels Fotosynthesein fossil biogene Energieträger umgewandelt wurde, die wir heute noch abbauen. Stehendiese Zeiten nicht mehr zur Verfügung, weil die fossil biogenen Energieträger abgebautsind, dann müssen sie durch die entsprechend größeren Flächen ersetzt werden. Und diesist das eigentliche Problem der Solarenergie, das sich nicht mit Gesetzen und Subventionenaus der Welt schaffen lässt, weil seine Ursache die Natur selbst ist, in diesem besonderenFall beschrieben durch die Physik des schwarzen Körpers und der Energieströmungen.

DasAngebot an erneuerbaren Energien ist keineswegs gleichmäßig über die Erde ver-teilt, sondern es gibt Länder, die besitzen einen besonders leichten Zugang zu erneuerbarenEnergien, wobei es sich meistens umWasserkraftwerke handelt. Einen besonderen Statusnimmt Island ein, das über große und leicht zugängliche Reserven an Erdwärme verfügt.Betrachten wir nur die Gegebenheiten in Europa , so sind in Tab. 6.1 die Länder mit einembesonders hohen Anteil von erneuerbaren Energien am gesamten Primärenergiebedarfaufgezählt2. Zum Vergleich kann man dieser Tabelle auch die Situation entnehmen, in dersich Deutschland befindet.

Island kann daher 28% seines Primärenergiebedarfs aus erneuerbaren Energien de-cken, fürDeutschland ergaben sich im Referenzjahr 2010 gerade einmal 1,5% (ohne Bei-träge aus der Biomasse). In all diesen Fällen spielt die direkte Umwandlung der Sonnen-strahlung in elektrische Energie (Fotovoltaik) keine Rolle, dieser Anteil ist vernachlässig-bar klein.

Die Abb. 6.1 zeigt aber, dass es sehr viel mehr Wandlungsmöglichkeiten in erneuer-bare Energien gibt. Mit einigen dieser Möglichkeiten wollen wir uns in den folgenden

2 Daten von der „Energy Information Administration“ (EIA).

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160 6 Die erneuerbaren Energien

Abschnitten ausführlich beschäftigen. Da es sich hierbei um den Vergleich verschiede-ner Wandlungstechnologien handelt, ist der entscheidende Parameter der global gültigeWirkungsgrad ηWd, mit dem sich Solarenergie, Gravitationsenergie und Erdwärme in dieerneuerbaren Energien W(ernb) wandeln lassen. Die erst genannten Eingangsenergien Wi

lassen sich nicht unmittelbar mit der heute dominanten Form der Primärenergie W(foss)

vergleichen, sondern erst nach der Wandlung W(ernb)= ηWd Wi . Dies ist eine allgemein

übliche und akzeptierte Methode, sie verlangt:

Um das Primärenergieäquivalent W(ernb) der Eingangsenergien Wi zu berechnen,wird in diesem Buch dieWirkungsgradmethode verwendet:

W(ernb)= ηWd Wi

Um das tatsächliche Versorgungspotenzial erneuerbarer Energien zu bestimmen, istdagegen nicht der Wirkungsgrad ηWd entscheidend, sondern der Standort abhängige Nut-zungsgrad ζWd, wie es in Abschn. 2.4.1 beschrieben ist.

Nicht alle Prozesse in Abb. 6.1 sind bis zu einer technischen Anwendung entwickeltworden, wahrscheinlich wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten und des geringenWirkungsgrads. Wir werden die Prozesse behandeln, über die bereits Erfahrungen bei ih-rem praktischen Einsatz vorliegen.

6.1 Die Solarenergie: Verfügbarkeit

Die Sonne versorgt unsmit Solarenergie, und zwarmithilfe der elektromagnetischen Strah-lung (Sonnenstrahlung), die jeder Körper bei einer Temperatur T aussendet. Dies habenwir in Abschn. 4.5.1 besprochen. Die Sonne verhält sich wie ein schwarzer Körper, dahergelten für sie auch die physikalischen Emissionsgesetze eines derartigen Körpers. Die spek-trale Intensitätsverteilung SSK(λ, T) ist durch das Plank’sche Strahlungsgesetz gegeben,siehe (2.41)

SSK(λ,T) =dISK

dλ=

π hc

λ(eWPhoton/kT

− )−. (6.3)

Das auf der Erdoberfläche empfangene Intensitätsspektrum hat allerdings nur noch wenigÄhnlichkeit mit dieser theoretischen Form, siehe Abb. 6.2. Dafür gibt es zwei Gründe:

• Die Absorption der Sonnenstrahlung in der Sonnenatmosphäre. Dieser Prozess ist füruns von geringer Bedeutung.

• Die Absorption der Sonnenstrahlung in der Erdatmosphäre. Dieser Prozess ist für unsvon sehr großer Bedeutung.

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6.1 Die Solarenergie: Verfügbarkeit 161

Wellenlänge ( m)

Sp

ektr

. In

ten

sita

t (1

0 W

m

m

)−1

−23

..

O32H O

H O2

H O2

H O2H O2 H O2

ultraviolett

2H O

nahes infrarot

fernes infrarot

3.20.4 0.8 1.2 2.42.01.6 2.8

0.5

1.0

1.5

2.0

2.5

00

sichtbar

Abb. 6.2 Die rot ausgezogene Kurve zeigt die von der Sonne emittierte spektrale Intensitäts-verteilung, die hellrote Fläche die auf der Erdoberfläche empfangene Verteilung. Grund für dieVeränderungen sind Moleküle (O und HO) mit ihren Absorptionsbanden, deren Lage ebenfallseingezeichnet ist

Die Erdatmosphäre enthält Gase, die die Sonnenstrahlung in bestimmten Spektralbe-reichen besonders stark absorbieren. Die wichtigsten Gase sind Ozon (O), das im ultra-violetten Spektralbereich von λ = , μm bis λ = , μm absorbiert, und derWasserdampf(HO), der ausgeprägte Absorptionsbanden bei den Wellenlängen λ = ,, ,, ,, ,und 1,85 μm besitzt. Der mit unserem Auge sichtbare Spektralbereich erstreckt sich etwavon λ = , μm bis λ = , μm. Wir haben über die Wirkung der Strahlungsabsorptiondurch die Erdatmosphäre bereits in Abschn. 4.5.1 gesprochen, sie bewirkt eine Verringe-rung der von der Erdoberfläche empfangenen Sonnenintensität auf einen Wert

I′⊕ = W ⋅m− . (6.4)

Dieser Wert stellt einen räumlichen und zeitlichen Mittelwert dar, denn tatsächlich ist dieempfangene Sonnenintensität stark abhängig von dem Breitengrad auf der Erde und vonder Tages- und Jahreszeit. Die Gründe dafür sind:

1. Die Bewegung der Erde im Raum.Die Erde dreht sich einmal pro Tag um eine Achse durch den Erdmittelpunkt.Die Erde bewegt sich auf einer planaren Ellipsenbahn einmal im Jahr um die Sonne.

2. Die Orientierung der Erde im Raum.Die Erdachse bildet einen festen Winkel von 23,5° gegen ihre Bahnnormale (Ekliptik).

Die Folge ist, dass jeweils nur eine Hälfte der Erde von der Sonne beleuchtet wird unddass sich die beleuchtete Fläche im Laufe eines Jahrs von Norden nach Süden und wiederzurück von Süden nachNorden verschiebt. Wir haben also einenWinter auf der Nordhalb-

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162 6 Die erneuerbaren Energien

S

N

Polarkreis

Wendekr. d. Krebses

Polarkreis

Aquator

..

60 3030 0ooo o o60Geografische Breite

0

(10

kW

h a

m

)

3

Ab

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. In

ten

sita

t..

−1−2

2

1

3SommerSommer

WinterWinter

S

N

Polarkreis

Wendekr. d. Krebses

Polarkreis

Aquator

..

a b c

Abb. 6.3 a zeigt die Stellung der Erde bei Sommer auf der Nordhalbkugel, c bei Winter. b zeigtdie Abhängigkeit der empfangenen Sonnenintensität von der geografischen Breite, die schwarz aus-gezogene Kurve gilt für die Nordhalbkugel, die schwarz gestrichelte Kurve für die Südhalbkugel. Dierot ausgezogene Kurve zeigt den zeitlichen Mittelwert der Intensität, die Gerade den zeitlichen undräumlichen Mittelwert

kugel, wenn es Sommer auf der Südhalbkugel ist, und umgekehrt. Und außerdem empfan-genwir, wie uns allen geläufig ist, während derNachtzeit überhaupt keine Sonnenintensität.

Die Abhängigkeiten von dem Breitengrad und der Jahreszeit sind in Abb. 6.3 darge-stellt. Um die Breitenabhängigkeit allein zu quantifizieren, wird im Allgemeinen der überein Jahr gemittelte Wert der empfangenen Sonnenintensität angegeben. Diese zeitlichenMittelwerte betragen zum Beispiel

• für Deutschland: ⟨I⟩ ≈ kWh ⋅ a− ⋅m−,• für die Sahara: ⟨I⟩ ≈ kWh ⋅ a− ⋅m−.

Hierbei sind nicht nur die oben erläuterten Eigenschaften der Erde im Raum von Bedeu-tung, sondern auch die Absorption durch die unterschiedlichen Bewölkungen und anderelokale Effekte.

Die lokalen Effekte beziehen sich auf das Phänomen, dass das Sonnenlicht in der At-mosphäre nicht nur absorbiert, sondern auch gestreut wird. Bei der Streuung handelt essich um eine diffuse Reflexion. Mit beiden Phänomenen, der Absorption und der Reflexi-on von Sonnenlicht, werden wir uns auf der P-Ebene im nächsten Abschnitt eingehenderbeschäftigen. Verantwortlich für die Lichtstreuung sind die Luftmoleküle, aber auch Ae-rosol- und Staubteilchen in der Atmosphäre. Auf die Erdoberfläche gelangt daher nichtnur die direkte Strahlung von der Sonne, das ist die ungestreute Komponente der Son-nenstrahlung, sondern auch diffuses Sonnenlicht. Das ist die gestreute Komponente derSonnenstrahlung und sie ist weniger wertvoll als die direkte Komponente.3 Die Anteilezwischen direkter und diffuser Strahlungskomponente verändern sich imLaufe eines Jahrs,wie es zum Beispiel für einen Standort im Süden von Deutschland in Abb. 6.4 gezeigt ist.

3 Bei der diffusen Streuung sinkt die „Lichttemperatur“ von 5800K auf ca. 1100K, also wird ein Teilder Exergie in Anergie verwandelt.

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6.1 Die Solarenergie: Verfügbarkeit 163

Inte

nsi

tat

(kW

m

)..

−2

0 246 1812

0.20

0.15

0.10

0.05

Tageszeit (h)

Inte

nsi

tat

(kW

h m

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m )

..−2

−1

100

200

0

Ap

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Sep

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Mär

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n

Okt

a b

Abb. 6.4 aDiemonatliche Veränderung der diffusen (dunkelrot) und der direkten (hellrot) Kompo-nente der Sonnenstrahlung an einem Standort im Süden Deutschlands. b Für den gleichen Standortdie tägliche Veränderung der empfangenen Strahlung im Dezember (rot gestrichelt), März (schwarzgestrichelt), Juni (schwarz) und September (rot)

Die Eigenrotation der Erdeum ihre Achse verursacht natürlich die stärksten zeitlichenSchwankungen, wie ebenfalls in Abb. 6.4 gezeigt. In den Zeiten um Mitternacht empfan-gen wir überhaupt keine Sonnenintensität, in der Mittagszeit erreicht diese dagegen ihregrößte Stärke, der Wert hängt aber ab von der Jahreszeit. Diese ausführliche Beschreibungder Verfügbarkeit von Solarenergie soll uns bewusstmachen, dass wir ein Energiespeicher-problem erhalten, wenn unsere Energieversorgung allein auf der Solarenergie aufbaut, wiraber zu jeder Zeit mit Energie versorgt sein wollen. Daraus ergibt sich:

Falls die demVerbraucher gelieferte Endenergie allein aus Solarenergie umgewandeltwird, dann muss innerhalb der Versorgungskette die Umwandlung in eine speicher-fähige Energieform stehen.

Mit dem Problem der Energiespeicherungwerden wir uns in einem eigenen Kap. 8 be-schäftigen. Zunächst wollen wir jetzt das entscheidend wichtige Problem untersuchen, mitwelchen Methoden die auf die Erdoberfläche eingestrahlte Solarenergie in andere Energie-formen umgewandelt werden kann.

6.1.1 P-Ebene: Die Umwandlung der Solarenergie

Bei allenMethoden ist es notwendig, dass die Solarenergie vonMaterie absorbiertwird.Diephysikalischen Gesetze der Lichtabsorption bilden also die Grundlage aller Wandlungs-

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164 6 Die erneuerbaren Energien

techniken, diese Gesetze wollen wir im nächsten Abschnitt kennen lernen, soweit sie fürdas Verständnis einer Wandlungstechnik erforderlich sind.

Die Absorption von Licht in MaterieDie Luft, in der sich das Licht ausbreitet, und dieMaterie, in der das Licht absorbiertwerdensoll, bilden eine Grenzfläche, durch die das Licht von der Luft in die Materie eintritt. Wirwollen annehmen, dass dieseGrenzfläche ideal ist, das heißt, sie ist vollkommen glatt. BeimEintritt in die Grenzfläche kann Folgendes geschehen:

Das Licht wird an der Grenzfläche reflektiertWir charakterisieren die Reflexion durch das Reflexionsvermögen

R =IrIe, (6.5)

wobei Ie die einfallende Lichtintensität ist und Ir die reflektierte Lichtintensität. Da dieGrenzfläche ideal ist, nennen wir diesen Typ der Reflexion „direkt“. Das Phänomen der„diffusen“ Reflexion kann an einer idealen Grenzfläche nicht auftreten. Beide Typen tretenaber in der Natur auf und sind uns in der Tab. 4.2 schon begegnet: Die Reflexion des Lichtsan einer Wasseroberfläche ist direkt, die Reflexion an einer Schneeoberfläche ist diffus. Imersten Fall kann man sein Spiegelbild bei der Reflexion erkennen, im zweiten nicht.

Das Licht wird in der Materie teilweise absorbiertWir charakterisieren die Absorption des Lichts in der Materie durch das Absorptionsver-mögen

A =IaIe. (6.6)

Dabei ist Ia die von der Materie absorbierte Lichtintensität. Wir wissen aber, dass es nocheine dritte Möglichkeit gibt.

Das Licht wird durch die Materie teilweise hindurchgelassenWir charakterisieren die Durchlässigkeit der Materie für das Licht durch das Transmissi-onsvermögen

T =ItIe. (6.7)

Dabei ist It die von der Materie transmittierte Lichtintensität.Alle die eben definierten Größen sind abhängig von derWellenlänge4 λ. Und sie müs-

sen wegen der Energieerhaltung der Bedingung

R(λ) + A(λ) + T(λ) = (6.8)

4 Gemeint ist dieWellenlänge des einfallenden Lichts, denn in derMaterie besitzt dasselbe Licht einekleinere Wellenlänge.

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6.1 Die Solarenergie: Verfügbarkeit 165

genügen. Wie groß jede dieser Größen ist, hängt, wie schon gesagt, von der Wellenlängeund den Eigenschaften der Materie ab. Zu diesen Eigenschaften zählt zum Beispiel auchdie Schichtdicke der Materie. Denn die absorbierte Lichtintensität nimmt mit wachsenderSchichtdicke l zu nach dem Absorptionsgesetz

Ia = It, ( − e−γ l) , (6.9)

wobei It, die in die Schicht eintretende Intensität und γ der Absorptionskoeffizient ist.Damit die Lichtintensitätmöglichst vollständig in derMaterieschicht absorbiert wird,mussgelten l ≫ /γ.Man kann daher folgende Fragen stellen, wobei λ auf den sichtbaren Bereichdes Lichts beschränkt sein soll:

1. Gibt es den vollkommenen Lichtabsorbermit A(λ) = ?Ja, den gibt es. Und zwar ist nicht, wie man zunächst vermuten könnte, jede Materiebei genügend großer Schichtdicke der perfekte Absorber, denn sie erfüllt nicht die Be-dingung R(λ) = . Sondern der perfekte Absorber ist der schwarze Körper, der dasLicht weder reflektiert noch transmittiert. Dass ein schwarzer Körper bei der Tempe-ratur T auch Licht emittiert, hat damit nichts zu tun, denn die Lichtemmission ist zuunterscheiden von der Lichtreflexion.

2. Gibt es den vollkommenen Lichtreflektormit R(λ) = ?Ja, auch den gibt es. Und zwar sind alle elektrischen Leiter fast vollkommene Licht-reflektoren. Wir kennen das von dem Spiegel, der in unserem praktischen Leben fastimmer eine ideale Aluminiumoberfläche ist.

3. Gibt es den vollkommenen Lichttransmittermit T(λ) = ?Nein, den gibt es nicht. Und das liegt daran, dass das Licht beim Eintritt in Materiesprunghaft seine Ausbreitungsgeschwindigkeit c (und seine Wellenlänge λ) verändert,sie werden kleiner nach dem Brechungsgesetz

cn =cn, (6.10)

wobei n > die Brechzahl ist, die durch die elektronische Struktur der Materie gegebenist. An der Grenzfläche wird daher die Brechzahl von ihrem Wert in Luft n = aufeinen Wert n > in Materie verändert. Und das hat immer zur Folge, dass ein Teil deseinfallenden Lichts an der Grenzfläche reflektiert wird.Wie groß dieser Anteil ist, hängtvon n und demWinkel Θ ab, unter dem das Licht auf die Materie einfällt.

Wir wollen zwei Fälle der Transmission und der Absorption genauer untersuchen, diespäter noch von Bedeutung sein werden und deren Behandlung einigen mathematischenAufwand erfordert.

Das Transmission des Lichts durch eine oder mehrere PlattenWir betrachten den in der Abb. 6.5 dargestellten Fall: Licht trifft unter dem Winkel Θ aufeine plan-parallele Platte und wird von dieser sowohl reflektiert wie auch absorbiert und

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166 6 Die erneuerbaren Energien

I0

I1 I2 I3

l

Abb. 6.5 DerWeg eines Lichtstrahls in einer plan-parallelen Platte. Das Licht fällt unter demWinkelΘ auf die Platte und es wird sowohl an der oberenwie der unterenGrenzfläche reflektiert. Die gesamtetransmittierte Intensität ist It = I + I + I + . . .

transmittiert. Der Weg des Lichts in der Platte ist aber kompliziert, weil die Platte zweiGrenzflächen besitzt, nämlich die Ober- und die Unterseite. Berechnen wir die transmit-tierte Lichtintensität, wenn der Lichtstrahl zum 1.Mal durch die Platte geht und sowohl ander Ober- wie auch Unterseite reflektiert wird. Diese Intensität ist

I = Ie( − R(λ))e−γ l , (6.11)

wobei Ie die einfallende Lichtintensität und e−γ l der relative Anteil der Lichtintensität ist,der die Unterseite noch erreicht.

Nachdem der Lichtstrahl die Platte 3mal durchquert hat, beträgt der Beitrag diesesLichtstrahls zur transmittierten Intensität

I = Ie( − R(λ))R(λ)e−γ l , (6.12)

wobei der zusätzliche Faktor R(λ) darauf zurückzuführen ist, dass das Licht zweimal an

den Grenzflächen reflektiert werden muss, um die Unterseite der Platte wieder zu errei-chen. Dieses Gesetz lässt sich auf j − Lichtdurchgänge verallgemeinern und ergibt fürden Teilbeitrag zur transmittierten Intensität

I j = Ie( − R(λ))R( j−)(λ)e−( j−)γ l . (6.13)

Daraus folgt für die gesamte transmittierte Intensität

It =j

i=Ii = Ie( − R(λ))e−γ l

j

i=(R(λ)e−γ l)

i. (6.14)

Für j → ∞ hat diese Summe aus Potenzen einen Grenzwert, falls jeder der Summanden< ist. Dies können wir voraussetzen, falls die Platte das einfallenden Licht nur wenigreflektiert (R(λ) ≪ ) und wenig absorbiert (γl ≈ ). Dann ergibt sich aus (6.14) wegene−γ l ≈ der Grenzwert

It = Ie( − R(λ))e−γ l

− R(λ)e−γ l

≈ Ie − R(λ) + R(λ)

e−γ l . (6.15)

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6.1 Die Solarenergie: Verfügbarkeit 167

Abb. 6.6 Die Winkelabhän-gigkeit des Transmissions-vermögens von k = 1, 2, 3und 4 plan-parallelen Platten,die eine Brechzahl n = ,wie Glas besitzen. Fällt dasLicht streifend auf die Platten(Θ ≈ °), so wird praktischkeine Lichtintensität transmit-tiert

43 2

1

0 30 6Einfallswinkel ( )

0.5

1

0

Tra

nsm

issi

on

sver

mo

gen

..

o00 9

Wir benötigen diese Intensität, umdas Transmissionsvermögen für eine oder auchmehrereplan-parallele Platten angeben zu können. Ist die Anzahl der Platten k, so finden wir

Tk(λ) = ( − R(λ) + R(λ)

)

k

e−kγ l . (6.16)

Das Transmissionsvermögen ist also immer kleiner als eins, weil R(λ) niemals null seinkann.5 DerWert von R(λ) hängt vom Einfallswinkel des Lichts und von der Brechzahl derPlatte ab. In Abb. 6.6 ist gezeigt, wie sich Tk(λ) des Sonnenlichts für verschiedene Plat-tenzahlen ≤ k ≤ bei einer Brechzahl n = , und γl = , mit dem Einfallswinkelverändert.

Hinter den Transmissionsplatten befindet sich in einerWandlungsanlage für Solarener-gie dann der Lichtabsorber und wir wollen diesen Fall als nächsten behandeln.

• Die Absorption des Lichts nach Transmission durch eine Deckplatte.

In Abb. 6.7 ist dieser Fall schematisch dargestellt. Wir haben dabei einige Vereinfachungenvorgenommen:

1. In dem Absorber soll das Licht nicht transmittiert werden können (T(λ) = ). Dahergilt nach (6.8) für den Absorber R(λ) = − A(λ).

2. Nur das Licht, das an der Unterseite der Deckplatte reflektiert wird, soll auf den Ab-sorber zurückfallen. Unter diesen Annahmen beträgt die Intensität der absorbiertenLichtstrahlen 1 bis j

I = ItA(λ)I = ItA(λ) ( − A(λ))R(λ)

. . .

I j = ItA(λ) (( − A(λ))R(λ))j− .

(6.17)

5 Diese Aussage sollte auf das unpolarisierte Licht beschränkt werden, das wir von der Sonne emp-fangen.

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168 6 Die erneuerbaren Energien

I1 I2

It

Ab

sorp

tio

nsv

erm

og

en..

0.5

1

0

o )Einfallswinkel ( 00 90 60 3

a b

Abb. 6.7 a Der Fall, dass das Licht zwischen der Deckplatte und dem Absorber her- und hinreflek-tiert wird. Die gesamte absorbierte Lichtintensität beträgt Ia = I + I + . . . . b Die Abhängigkeit desAbsorptionsvermögens eines Absorbers von dem Einfallswinkel des Lichts, wenn der Absorber voneiner einzelnen Deckplatte abgedeckt ist

Man beachte, dass sich A(λ) auf den Absorber bezieht, R(λ) aber auf die Deckplatte.Die gesamte absorbierte Lichtintensität ergibt sich aus dem Grenzfall j →∞ zu

Ia = ItA(λ)∞

i=(( − A(λ))R(λ))i = It

A(λ) − ( − A(λ))R(λ)

�⇒ Absorptionsvermögen A(λ) =IaIt=

A(λ) − ( − A(λ))R(λ)

.(6.18)

Dabei ist vorausgesetzt, dass (−A(λ))R(λ) < ist. Davon kannman ausgehen, da für denAbsorber immerA(λ) ≈ gelten wird. Insofern ist auch Ia ≈ It und dieWinkelabhängigkeitder absorbierten Lichtintensität folgt imWesentlichen der Winkelabhängigkeit von It, wiein Abb. 6.7 dargestellt. Es ist nicht notwendig, dass Deckplatte und Absorber durch eineLuftschicht voneinander getrennt sind. (6.18) gilt auch, wenn die Deckplatte direkt auf demAbsorber liegt.

Aus Abb. 6.7 erkennen wir, dass der Einfallswinkel des Sonnenlichts auf den Absorbernicht größer als 75° sein sollte. DieAnzahl der Stunden, in denen diese Bedingungwährendeines Tags erfüllt ist, hängt ab von

• der geografischen Breite Φ des Absorberstandorts,• der Deklination der Sonne, die sich im Laufe eines Jahrs von δ = −,° nach δ =+,° und zurück verschiebt,

• der Ausrichtung α der Absorbernormalen relativ zur Normalen auf die Erdoberfläche.

In allen Fällen muss die Absorbernormale in der Süd-Nord-Ebene der Erde liegen, be-züglich ihrer Ausrichtung lassen sich die folgenden besonderen Situationen definieren:

1. α = °: Absorber- und Erdoberfläche liegen parallel zueinander.2. α = Φ: Die Absorberfläche steht senkrecht auf der Äquatorebene der Erde.3. α = °: Absorber- und Erdoberfläche stehen senkrecht aufeinander.

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6.1 Die Solarenergie: Verfügbarkeit 169

Abb. 6.8 a Die 3 Möglich-keiten einer Ausrichtung derAbsorbernormalen bezüglichder Normalen der Erdober-fläche. In allen Fällen liegt dieAbsorbernormale in der Süd-Nord-Ebene der Erde. b DieAnzahl der Stunden, in de-nen die direkte Komponentedes Sonnenlichts bei obigenAusrichtungen auf dem Brei-tengrad Φ = ° absorbiertwerden kann

o 0o

1

1

2 3

2

3

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 120

5

10

Stu

nd

en (

h)

Monat (mon)

0 9

a

b

Diese Ausrichtungen sind in der Abb. 6.8 skizziert. Für Φ = °, das ist etwa die geo-grafische Breite vonDeutschland, ergibt sich dann eine Anzahl von verfügbaren Stunden,wie es für ein Jahr ebenfalls in Abb. 6.8 gezeigt ist. Soll der Absorber besonders viel direktesSonnenlicht während der Sommermonate empfangen, dann sollte er nach 1 (Flachdach)ausgerichtet sein. Sollte der Empfang möglichst wenig während eines Jahrs schwanken,dann ist die Ausrichtung 2 (Steildach) vorzuziehen. Ineffektiv ist die Ausrichtung 3 (senk-rechte Wand), weil dann der Empfang für die Wintermonate optimiert wird, also zu einerZeit, während der in Deutschland die Sonne meistens hinter Wolken verschwunden ist.

Wie bereits gesagt, gelten diese Überlegungen für die direkte Komponente des Son-nenlichts. Die diffuse Komponente besitzt eine richtungsunabhängige Intensität, daher istzum optimalen Empfang dieser Komponente die Ausrichtung 1 des Absorbers die besteLösung.

Soll die Solarenergie mithilfe eines Absorbers auf der Erdoberfläche mit größtmög-lichemWirkungsgrad in eine andere Energieform umgewandelt werden, dann mussder Absorber so ausgerichtet sein, dass sein Absorptionsvermögen während des ge-wünschten Zeitraums am größten ist.

Darüber hinaus ist es natürlich vorteilhaft, für den Absorber einen vollkommenen Ab-sorbermitA(λ) = zuwählen. Es ist jedoch nichtmöglich, einen perfekt schwarzenKörpertechnisch zu realisieren. Normalerweise werden geschwärzte Platten oder Röhren als Ab-sorber verwendet, die immer noch einen kleinen Bruchteil des einfallenden Lichts an ihrer

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170 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.9 SchematischeDar-stellung der Lichtabsorption ineinem metallischen Leiter (a)und in einem Halbleiter (b).Nur im Halbleiter müssen dieElektronen die Bandlücke ΔWüberwinden

W W

LeitungsbandLeitungsband

Valenzband Valenzband

a b

Oberfläche reflektieren. Und außerdem wandelt ein schwarzer Körper die elektromagne-tische Energie der Lichtstrahlung in thermische Energie um, wobei in den meisten Fällenein Verlust an Exergie auftritt. Lässt sich ein besserer Umwandlungsprozess finden?

In der Natur wird die Energie der Lichtstrahlung mithilfe der Fotosynthese in chemi-sche Energie umgewandelt. Im nächsten Abschnitt werden wir uns damit beschäftigen. Esgibt aber bisher kein großtechnisches Verfahren, das diesen natürlichen Prozess nachahmt.Dagegen gibt es ein technisches Verfahren, die Energie der Lichtstrahlung in elektrischeEnergie umzuwandeln, das man nun ähnlich in der Natur nicht findet. Dieses Verfahrenbenutzt die elektronische Struktur von Festkörpern und wir wollen uns am Ende diesesAbschnitts noch kurz mit den Eigenschaften von Festkörpern befassen.

Ein Festkörper wird gebildet, wenn sich seine Atome regelmäßig zu einem Gitterzusammenlagern. Aufgrund dieser regelmäßigen Atomanordnung verwandeln sich dieelektronischen Zustände eines freien Atoms in die eines Festkörpers. Die Elektronen, dieam schwächsten an den Atomkern gebunden sind, besetzen im Festkörper Zustände, dieenergetisch sehr nahe beieinander liegen, und die man deswegen als die Zustände einesEnergiebands bezeichnet. Innerhalb eines Energiebands können sich die Elektronen fastfrei bewegen, was zur elektrischen Leitung führt. Dieses Energieband wird daher auch„Leitungsband“ genannt. Energetisch etwas tiefer und durch eine Bandlücke ΔW vomLeitungsband getrennt, befindet sich das „Valenzband“. Die Anzahl der Elektronen imLeitungsband bestimmt die elektronischen Eigenschaften eines Festkörpers.

• Ist das Leitungsband vollständig mit Elektronen gefüllt, so ist der Festkörper ein elek-trischer Nichtleiter.

• Ist das Leitungsband zur Hälfte mit Elektronen gefüllt, so ist der Festkörper ein elektri-scher Leiter.

• Ein Sonderfall tritt ein, wenn das Leitungsband bei der Temperatur T = K keine Elek-tronen enthält. Bei einer kleinen Bandlücke ΔW reicht dann oft die thermische Energiebei Temperatur T > K, damit Elektronen einen Übergang vomValenzband in das Lei-tungsband machen können. Festkörper, bei denen dieses möglich ist, bezeichnet manalsHalbleiter.

Die Halbleiter sind die Festkörper, die es erlauben, die Energie der Sonnenstrahlung di-rekt in elektrische Energie umzuwandeln, wie es in der Abb. 6.9 schematisch dargestellt ist.

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6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle 171

Abb. 6.10 Der Absorpti-onskoeffizient γ für Licht inverschiedenen Halbleitern inAbhängigkeit von der Wellen-länge des Lichts. Bei großenWellenlängen wird Licht nichtmehr absorbiert (γ → ), weildie Photonen die BandlückeΔW nicht überwinden können

Cu S2

0.4 0.6 0.8 1.0 1.210

10

10

10

10

CdS CdSe

Si

CdTe

GaAs

InP

Ab

sorp

tio

nsk

oef

fizi

ent

(m

)

−1

0

1

2

3

Wellenlänge ( m)

−1

Denn durch den Transfer eines Elektrons vom Valenz- in das Leitungsband wird in demHalbleiter ein elektrischer Strom erzeugt, der einer elektrischen Energie entspricht. Not-wendig ist natürlich, dass die Energie der Lichtstrahlung ausreicht, damit das Elektron dieBandlücke ΔW überwinden kann.Wir wissen heute, dass die Energie des Lichts gequanteltist, jedes Lichtquant (Photon) besitzt die Energie

WPhoton =hcλ, (6.19)

wobei h = , ⋅ − eV ⋅ s− das Planck’scheWirkungsquantum ist. (6.19) bedeutet, dassnur solche Photonen einen Strom in dem Halbleiter erzeugen können, deren Wellenlänge

λ <hcΔW

(6.20)

ist. Je größer die Bandlücke ist, um so kleiner muss dieWellenlänge der Photonen sein undumsoweniger dieser Photonen befinden sich in der spektralenVerteilung des Sonnenlichts,siehe Abb. 6.2.

Entscheidend für den Wirkungsgrad, mit dem in einem Halbleiter die Solarenergie inelektrische Energie umgewandelt werden kann, ist also die Größe der Bandlücke zwischenValenz- und Leitungsband. Die Größe von ΔW ist von Halbleiter zu Halbleiter verschie-den und daher ändern sich auch die Wellenlängen, die das Licht besitzen muss, um denStrom im Halbleiter zu erzeugen. In Abb. 6.10 sind die Wellenlängenbereiche gezeigt, mitdenen in verschiedenenHalbleitern die Umwandlung von Solarenergie in elektrische Ener-gie möglich ist. Bei der Besprechung der Fotovoltaik werden wir auf diese Eigenschaft derHalbleiter zurückkommen.

6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle

Biomasse und Abfälle gehören energetisch zusammen, sie sind beide die Träger dersel-ben Energieform, der chemischen Energie. Ihre Quelle sind entweder die Fotosynthese

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172 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.11 Die Fotosynthe-seraten in Abhängigkeit vondem Kohlendioxidgehalt derErdatmosphäre (a) und vonder Lichtintensität (b). DieFotosyntheserate lässt sich er-höhen, wenn das Licht nichtkontinuierlich, sondern gepulsteingestrahlt wird F

oto

syn

thes

erat

e

kontinuierlich

gepulst

Lichtintensität

Fo

tosy

nth

eser

ate

CO −Gehalt2

a b

oder das Erdöl, wobei letzteres durch ersteres ersetzt werden muss, wenn die Erdölquellenin Zukunft versiegen werden. In diesem Sinn verstehen wir unter den Abfällen alle orga-nischen und anorganischen Reststoffe, die am Ende einer Versorgungskette entstehen, anderem Anfang die Biomasse oder Produkte der Petrochemie standen. Zu letzteren zählenz.B. Kunststoffe, die ebenfalls Träger von chemischer Energie sind.

Zunächst aber wollen wir uns die physikalischen Grundlagen der Fotosynthese an-schauen. Mithilfe der Fotosynthese wird die Solarenergie in chemische Energie umgewan-delt, die in der Biomasse gespeichert ist. Dieser Prozess ist auch verantwortlich für dieSchaffung der fossil biogenenEnergieträger, die nichts anderes sind als die überMillionenvon Jahren gespeicherte Biomasse. Die Fotosynthese war und ist für uns immer noch derwichtigste Energiewandlungsprozess überhaupt. Trotzdem sind bis heute nicht alle Einzel-heiten dieses Prozesses, der in den Pflanzen abläuft, verstanden.

Prinzipiell werden zur Fotosynthese die Moleküle Wasser (HO) und Kohlendioxid(CO) benötigt, die sich unter dem Einfluss des Lichts in Kohlenwasserstoffe und Sauer-stoffmoleküle verwandeln. Dabei wirkt das Chlorophyll in den Pflanzen als Katalysator,der auch dafür verantwortlich ist, dass die Anzahl n der Kohlenstoffatome in den Kohlen-wasserstoffen größer als eins wird:

nHO + nCO + xWPhoton → (CHO)n + nO. (6.21)

Zum Beispiel entsteht für n = die Glukose CHO und gleichzeitig werden 6 Sauer-stoffmoleküle (O) von der Pflanze freigesetzt. Die Energie des Lichts ist gequantelt,

WPhoton = hν =hcλ, (6.22)

wobei ν die Frequenz des Lichts ist. Dass damit nicht alle Bedingungen für die Erzeugungvon Biomasse genannt sind, erkennt man schon daran, dass Pflanzen zur Durchführungder Fotosynthese auch Phosphor (P) und Stickstoff (N) benötigen, die ihnen im Düngerzugeführt werden.

Nach (6.21) sieht es so aus, als ob Pflanzen beliebige Mengen des Kohlendioxids in Koh-lenwasserstoffe und Sauerstoff verwandeln könnten. Sie wären dann ideal geeignet, um

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6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle 173

den Kohlendioxidgehalt der Erdatmosphäre zu reduzieren und Klimaveränderungen zuverhindern. Diese Eigenschaften besitzen die Pflanzen leider nicht, wie Untersuchungengezeigt haben, deren Ergebnisse in Abb. 6.11 gezeigt sind. Mit wachsendem CO-Gehalterreicht die Fotosyntheserate einen Sättigungswert, das heißt, die Anzahl der Reaktionennach (6.21) wird konstant. Die Fotosyntheserate wird experimentell bestimmt durch dieMenge des bei der Fotosynthese produzierten Sauerstoffs. Auch eine erhöhte Zufuhr vonPhotonen mit der Energie von 1,8 eV führt nicht zu einer Erhöhung der Fotosynthesera-te, wie ebenfalls in Abb. 6.11 gezeigt ist. Dabei ist sehr interessant, dass der erreichbareSättigungswert der Fotosyntheserate davon abhängt, wie die Photonen zugeführt werden:Ist die Zufuhr kontinuierlich, ist der Sättigungswert klein, erfolgt die Zufuhr aber gepulst,also in kurzen Intervallen, dann lässt sich der Sättigungswert vergrößern. Dies wird da-mit erklärt, dass sich bei den komplizierten Reaktionen, die durch (6.21) nur symbolisiertwerden, auch solche befinden, die nur im Dunklen ohne Licht stattfinden können.

DasMolekül CHO stellt den eigentlichen Speicher für die chemische Energie dar, dennseine chemische Bindungsenergie beträgt

WBind = , eV. (6.23)

Um dieses Molekül aus HO und CO zu bilden, werden x = Photonen mit einer Wel-lenlänge λ = , μm benötigt. Diesen Photonen entspricht daher eine Exergie6 von

EPhoton = hcλ= (, eV) = , eV. (6.24)

Damit diese Exergie von den Pflanzen absorbiert werden kann, besitzt das in ihren Blätterneingelagerte Chlorophyll ausgeprägte Absorptionsbanden in den Wellenlängenbereichenvon 0,65–0,7 μm und von 0,4–0,5 μm, siehe Abb. 6.12. Im Wellenlängenbereich von 0,5–0,65 μm wird das Licht von den Blättern fast vollständig reflektiert und deswegen sind dieBlätter grün.

Mithilfe dieser Fakten lassen sich die bei der Fotosynthese zu erzielendenWirkungsgra-de berechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Fotosynthese überwiegend nichtim direkten Sonnenlicht, sondern im diffusen Streulicht des Himmels vollzieht, das durcheine „Lichttemperatur“ von 1100K gekennzeichnet ist. Nach dem Carnot-Prozess ist derdabei maximal erreichbare Energiewirkungsgrad

ηCarnot = −T

T= −

= ,, (6.25)

während der zur Bildung von CHO berechnete Exergiewirkungsgrad nur

ηE =WBind

EPhoton=

,,

= , (6.26)

6 Lichtmit einer festenWellenlänge besitzt keine „Temperatur“, die Photonenenergie hat daher einenExergiegehalt εPhoton = und lässt sich vollständig in andere Energieformen umwandeln, wie es zumBeispiel beim Fotoeffekt beobachtet wird.

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174 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.12 Die Wellen-längenabhängigkeit desAbsorptionsvermögens vonChlorophyll. Das Sonnenlicht(gelb) wird in der Natur absor-biert, das Kunstlicht (violett) inGewächshäusern

Wellenlänge ( m)μ

Ab

sorp

tio

nsv

erm

ög

en

0.4 0.5 0.6 0.7

1.0

0.5

0

Kunst−licht

Sonnen−licht

beträgt. Das Verhältnis von End- zur Anfangsexergie bei der Fotosynthese ist daher

εfεi=

ηEηCarnot

=

,,

= , (6.27)

und damit wesentlich kleiner als eins. Das lässt den Schluss zu, dass bei der Fotosynthesenicht nur die Umwandlung in chemische Energie (Exergie) stattfindet, sondern auch eingroßer Teil der anfänglich vorhandenen Exergie in Anergie verwandelt wird. Das ist auchverständlich.

Die Pflanze ist ein Lebewesen, das seinenGrundumsatz an Solarenergie überwiegendzur Lebenserhaltung verwendet.

Die bei diesem Prozess gewandelte Anergie wird als latente Wärme imWasserdampf andie Umgebung abgegeben. Dafür muss mindestens doppelt so viel Wasser von der Pflanzeverdunstet werden, als sie für die eigentliche Fotosynthese benötigt. Diese energetischenVerhältnisse bei den Pflanzen existieren ganz ähnlich auch für den Menschen, auch unserGrundumsatz wird überwiegend als Anergie wieder an die Umgebung zurückgegeben, dieGründe haben wir in Abschn. 3.1 besprochen.

Da die in der Biomasse gespeicherte Energie weiter gewandelt werden muss, ist der fürdie Erzeugung der Biomasse maßgebliche Wert gegeben in (6.26). Der tatsächlich erreich-bare Wert ist allerdings wesentlich kleiner. Dafür sind mehrere Gründe verantwortlich:

1. Pflanzen nutzen nur einen Teil (λ = , μm) des gesamten Sonnenspektrums:

η = ,.

2. Die Pflanzenblätter reflektieren auch einen Teil des nutzbaren Lichts:

η = ,.

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6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle 175

3. Die Fotosynthesewird ineffizient wegenmangelnder Versorgung der Pflanzen oder weilsie ihren Sättigungswert erreicht:

η = ,.

4. Etwa die Hälfte des Sonnenlichts wird zur Wasserverdunstung durch die Blätter ver-wendet:

η = ,.

5. Ein großer Teil der Blätter befindet sich im Schatten der anderen Blätter und die Blätterwerden im Herbst abgeworfen:

η = ,.

Aufgrund der Produktregel (2.33) ist der Gesamtwirkungsgrad

ηWd = ηE∏

i=ηi ≈ ,. (6.28)

DieserWert stimmt überein mit demWirkungsgrad, denman zumBeispiel bei einer Ana-lyse der Waldnutzung erhält. Dazu ein Beispiel, das charakteristisch für die Verhältnissein Deutschland ist:

Der Holzertrag in einemWald beträgt: , kg ⋅ a− ⋅m− Trockenmasse.

Der spezifische Heizwert der Trockenmasse ist: kWh ⋅ kg− .Die Sonneneinstrahlung beträgt: kWh ⋅ a− ⋅m− .

Daraus ergibt sich für die Wandlung der Solarenergie in Biomasse ein Wirkungsgrad von7

ηWd = ,

= ,. (6.29)

Dies ist ein typischer Wert, den wir auch in den Tab. 4.6 und 4.7 verwendet haben. FürDeutschland allerdings ist dieser Wert zu groß, denn:

Der Kapazitätsfaktor des Biomasseanbaus in Deutschland beträgt κ ≈ ,, so dasssich hier der Nutzungsgrad dieser Form der erneuerbaren Energien zu ζWd ≈ ,ergibt.

Trotz dieses geringen Nutzungsgrads hatten die Biomasse und Abfälle mit fast 67% imJahr 2010 den Löwenanteil an der Nutzung erneuerbarer Energien in Deutschland. Dies istnicht erstaunlich, denn beide haben zwei große Vorteile gegenüber anderen Formen dererneuerbaren Energien:

7 Hierbei sind nicht die Energien berücksichtigt, die zur BewirtschaftungdesWalds benötigt werden.Der eigentliche Nutzungsgrad ist noch geringer.

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176 6 Die erneuerbaren Energien

Tab. 6.2 Der Anteil von Biokraftstoffen (Bioethanol und Biodiesel) am Primärenergiebedarf einzel-ner Länder (alphabetisch gemäß internationaler Kennung) im Jahr 2010

Land BR CN DE ES FR GB IN US WeltEthanol 5,00% 0,04% 0,11% 0,15% 0,19% 0,07% 0,03% 1,03% 0,35%Diesel 0,71% 0,01% 0,68% 0,50% 0,65% 0,09% 0,02% 0,04% 0,13%

Tab. 6.3 Die erreichten Wirkungsgrade für die Wandlung der Solarenergie in Biomasse mit ver-schiedenen Anbautechniken

Ökosystem WirkungsgradIntensive Landwirtschaft (zum Beispiel Zuckerrohr) 0,01–0,025Landwirtschaft, feuchte Wiesen undWälder, seichte Seen 0,003–0,01Tiefsee (Algen) 0,001Trockengebiete 0,0005

• Sie können relativ leicht gespeichert und transportiert werden.• Sie sind, imPrinzip, eine Formder chemischen Energie und lassen sich als einzige relativ

leicht in flüssige Kraftstoffe wandeln.

Die Wandlung in Biokraftstoffe ist daher die bevorzugte Methode und die Tab. 6.2 zeigt,wie groß ihr prozentualer Anteil am gesamten Primärenergiebedarf in einigen Ländern,einschließlich der bevölkerungsreichsten China und Indien, im Jahr 2010 war.

Dies ist sicherlich nicht ausreichend und steht außerdem in Konkurrenz zur Nahrungs-mittelproduktion. Mit anderenAnbaumethoden lassen sich aber in ausgesuchten Gebietengrößere Wirkungsgrade erzielen, wie in Tab. 6.3 zusammengestellt. Oft lohnt sich die Er-zeugung von Biomasse zum Zweck der Energiewandlung nur mit einer intensiven Land-wirtschaft, die oft auch unter dem Schlagwort „Energieplantage“ geführt wird. Einige Be-merkungen dazu.

Bei hohen Lichtintensitäten können einige Pflanzen in der Fotosynthese auch Koh-lenwasserstoffe bilden, die einen größeren Kohlenstoffanteil besitzen, als das bei den inDeutschland vorkommenden Feld- und Waldpflanzen der Fall ist. Diese Pflanzen be-zeichnet man als C-Pflanzen, das bekannteste Beispiel für eine derartige Pflanze istZuckerrohr. In unserem Klima wichtiger ist Mais oder das schnell wachsende Riesen-Chinaschilf (Miscanthus). Mit ihm lassen sich die hohen Wirkungsgrade erreichen, dieschon in Tab. 6.3 berücksichtigt sind. In Feldversuchen hat man gefunden, dass sich mitMiscanthus etwa kg ⋅ a− ⋅m− Biomasse produzieren lassen, die einen spezifischen Heiz-wert von kWh ⋅ kg− besitzt. Daraus errechnet man einen Wirkungsgrad von ηWd = ,,der also fünfmal größer ist als der, der mit dem Holz aus Wäldern erreicht wird. Diezum Anbau von C-Pflanzen erforderlichen Energieplantagen besitzen aber ökologischeund ökonomische Nachteile, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob solche Plantagen jerealisiert werden. Die Nachteile sind:

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6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle 177

• Sie benötigen Böden sehr guter Qualität und stehen damit in direkter Konkurrenz zurNahrungsmittelproduktion für eine wachsende Weltbevölkerung.

• Sie benötigen für das Pflanzenwachstum große Mengen anWasser undMineraldünger,sowie Pestizide und Fungizide zur Abwehr von Schädlingen und Krankheiten, die beimIntensivlandbau gehäuft auftreten. Dadurch entstehen Probleme mit den Böden unddem Grundwasser.

• Der Boden einer Energieplantage ist nach einigen Jahren vollständig ausgelaugt und fürjede andere landwirtschaftliche Nutzung verdorben. Energieplantagen müssen daherregelmäßig ihre Standorte wechseln und hinterlassen landwirtschaftliche Brachflächen.

Da Acker- undWeideflächen auch in Zukunft, wie schon jetzt, der Nahrungsmittelversor-gung vorbehalten bleiben sollten, stehen nur die Waldgebiete der Erde zur Verfügung, umdort Biomasse zu „ernten“. Wie groß könnten dieses Gebiete sein, die sich dafür verwen-den ließen? Auf der P-Ebene werden wir uns mit dem natürlichen Kohlenstoffkreislaufder Erde beschäftigen und verstehen, dass dieser viel zu langsam abläuft, um auf natür-liche Weise einen merklichen Beitrag zu unserer Energieversorgung leisten zu können.Durch Waldwirtschaft muss dieser Kreislauf beschleunigt werden. Eine realistische An-nahme geht davon aus, dass bei vollständiger Waldbewirtschaftung nicht mehr als 2% desgesamtem Waldgebiets auf der Erde genutzt werden kann, also jedes Jahr 2% des Waldsabgeholzt und als Biomasse verwendet wird8. Diese Holzmenge könnte folgenden Beitragzur Primärenergieversorgung der Welt liefern:

PWald = ,(, ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m−) ( ⋅ m)

≈ ⋅ kWh ⋅ a− .(6.30)

Dies sind weniger als 1% des prognostizierten Primärenergiebedarfs für das Jahr 2050, istalso ein sehr geringer Beitrag. Etwa noch einmal die Hälfte (ca. 0,5%) kommt hinzu, fallsauch das Abfallholz aus den Wäldern und der Holz-verarbeitenden Industrie zusammenmit ihren Abnehmern berücksichtigt wird. Auf jeden Fall ist es bereits sehr optimistisch,den maximal möglichen Beitrag der Biomasse zur Energieversorgung mit ca. 2% anzu-setzen.

Neben den Abfällen aus der Biomasse können auch andere Abfälle als Energieträgerherangezogen werden. Wir trennen diese Abfälle nach organischen und anorganischenAbfällen.

Organische AbfälleDarunter verstehen wir Abfälle aus der Landwirtschaft (Gülle, Kot, etc) und den priva-ten Haushalten sowie den Kleinverbrauchern (Exkremente, Nahrungsreste, etc), die ent-weder am Entstehungsort oder in Deponien gelagert werden. Meistens sind dies Abfälleaus der tierischen/menschlichen Verwertung der Biomasse, ihr Nutzungsgrad für die Um-wandlung von Solarenergie in andere Energieformen ist notwendigerweise geringer als der,

8 Diese Annahme geht davon aus, dass das mittlere Lebensalter eines Baums 50 a beträgt.

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178 6 Die erneuerbaren Energien

welcher für die Fotosynthese charakteristisch ist, denn die Versorgungskette ist länger ge-worden. Dass Abfallstoffe überhaupt in diesem Zusammenhang von Bedeutung sind, liegtdaran, dass Abfallstoffe immer anfallen, gesammelt und deponiert werden müssen. Aller-dings sollte unser Ziel eher sein, die Menge der Abfälle jeglicher Art zu vermindern!

Das bei der Vergärung in einem Faulturm oder in einer Deponie entstehende Biogasoder Deponiegas enthält Methan (CH) mit einem Anteil von 60%, der Rest ist CO undHO. Um zu berechnen, welche Beiträge zur Energieversorgung sich damit erreichen las-sen, ist die folgende Information von Bedeutung:

1 Stück Großvieh (Rind oder Milchkuh) produziert: m⋅ d−CH.

Bei einer Heizwertdichte von kWh ⋅ m− für CH errechnet sich daraus ein jährlicherPrimärenergiebeitrag von kWh ⋅ a−. Das ist nicht sehr viel. Um die Größenordnungzu verdeutlichen: Soll der Primärenergiebedarf der Welt in der Mitte des 21. Jahrhundertsallein durch Biogas gedeckt werden, dannmüsste jeder der dann lebendenMenschenmin-destens 6 Stück Großvieh besitzen. Das anzunehmen, ist vollkommen unrealistisch.

InDeutschland leben zur Zeit 8MillionenRinder undMilchkühe, 25Millionen Schwei-ne und 90 Millionen Stück Kleinvieh, meistens Hühner. Diesen Mengen entsprechen , ⋅ Großvieheinheiten, also „besitzt“ jeder Deutsche imMittel 0,13 Stück Großvieh. DerenAbfälle könnte etwa zur Hälfte energiewirtschaftlich verwertet werden, die andere Hälftedient der Düngung oder wird nicht deponiert, weil die Betriebe zu klein sind. Man könntemit dem verwertbaren Abfall ein Energieaufkommen von , ⋅ kWh ⋅ a− erzielen, alsoca. 0,5% des jetzigen deutschen Primärenergiebedarfs decken. Tatsächlich ist das Auf-kommen 10mal geringer.

DerGrundumsatz von einemStückGroßvieh beträgt etwa ,⋅ kWh⋅a− , der Grund-umsatz ist 10mal größer als der eines Menschen, da er mit der Masse skaliert. Man kannalso das Energieaufkommen eines Großviehs auch auf seinenGrundumsatz beziehen: Etwa12% des Grundumsatzes lassen sich energetisch weiter verwenden. Deutsche Verhältnissevorausgesetzt, werden in der Mitte des 21. Jahrhunderts etwa , ⋅ Stück Großvieh aufder Erde leben, die ein Energiepotenzial von etwa , ⋅ kWh ⋅ a− darstellen. Das ist nurwenig mehr als 1% des prognostizierten Energiebedarf von , ⋅ kWh ⋅ a−. Etwa diegleiche Energiemenge besitzen die organische Abfälle der dann lebendenMenschen, orga-nische Abfälle imsgesamt könnten also mit 2–3% zur Primärenergieversorgung beitragen.

Anorganische AbfälleDarunter ist im Wesentlichen die Müllverbrennung zu verstehen. Die Bereitstellungvon Energie aus der Müllberbrennung ist eigentlich nur ein „Abfallprodukt“ der thermi-schen Müllbehandlung, sie ist bisher nicht ihr Hauptzweck. Seit dem 1.11.1986 dürfenin Deutschland nur noch solche Müllabfälle deponiert werden, die sich weder vermeidennoch wiederverwenden (rezykeln) noch verbrennen lassen. Verbrannt werden in Deutsch-land etwa 30% des Hausmülls, im Durchschnitt sind es 20% in der EU, es gibt aber auchLänder wie Schweden (40%) oder die Schweiz (80%), in denen ist der Anteil der Müllver-

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6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle 179

2.5%Deponie

Abfuhr3.0%

0.5%Mülltonne

15.0%Deponiegas

Hausmüll

sammeln

transportieren

deponieren

85.0%Deponierung

100%

97,5%

95,5%

94,0%41.1%

Heizwärme

verwerten

deponieren

Deponierung3.6% 55.3%

Verwertung

Deponie0.4%

verbrennen

Verbrennungsanlage 1.7%

Verwertungsanlage 4.2%

sammeln

Hausmüll

Abfuhr2.8%

0.5%Mülltonne

transportieren

90,5%

91,0%

93,8%

42,7% 51,1%

a b

Abb. 6.13 Die Energieflussdiagramme für den Hausmüll bei Entsorgung in einer Deponie (a) undbei Entsorgung in einer Müllverbrennungsanlage (b)

brennung größer. Vom energetischen Standpunkt aus betrachtet, ist es allemal günstiger,den Hausmüll zu verbrennen, als ihn zu deponieren. Die entsprechenden Energieflüs-se sind in der Abb. 6.13 gezeigt. Aber auch vom Standpunkt der Umwelt betrachtet istdie Müllverbrennung vorzuziehen, denn die festen Verbrennungsrückstände lassen sichleichter entsorgen (zum Beispiel im Straßenbau) und wegen der vom Gesetz gefordertenFilteranlagen werden die gasförmigen Rückstände fast vollständig zurückgehalten.

Der spezifische Heizwert von Hausmüll beträgt etwa , kWh ⋅ kg−, mit einem jähr-lichen Hausmüllaufkommen von ⋅ kg ⋅ a− lässt sich demnach in Deutschland einPrimärenergiebeitrag von ⋅ kWh ⋅ a− erreichen, das sind etwa 1% des deutschen Pri-märenergiebedarfs. Dies ließe sich noch steigern, wenn mehr Hausmüll verbrannt würde.Gegen einen Ausbau der Müllverbrennungsanlagen wenden sich immer noch Umweltini-tiativen, obwohl die Umwelt durch solche Anlagen gerade entlastet wird. Der Hausmüllrepresentiert ein attraktives und sicheres Energiepotenzial, denn er ist bereits in einer fürdie Energieumwandlung geeigneten Form vorhanden. Er könnte, wie die organischen Ab-fälle, mit 2 bis 3% zur Energieversorgung in der Mitte des 21. Jahrhunderts beitragen.

Die Biomasse und Reststoffe, das sind organische und anorganischeAbfälle, besitzendas Potenzial, zurMitte des 21. Jahrhunderts etwa 5 bis 6%des Primärenergiebedarfszu decken.

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180 6 Die erneuerbaren Energien

Tab. 6.4 Die gasförmigen Bestandteile der Luft nach pronzentualen und absoluten Mengen

Stoff Anteil (%) Menge n (mol)Stickstoff (N) 78,08 , ⋅

Sauerstoff (O) 20,95 , ⋅

Wasserdampf (HO) 1,70 , ⋅

Argon (Ar) 0,934 , ⋅

Kohlendioxid (CO) 0,035 , ⋅

Methan (CH) 0,00017 , ⋅

Wasserstoff (H) 0,00005 , ⋅

Dies ist, verglichen mit dem relativ geringen Wirkungsgrad der Energiewandlung ausSolarenergie, ein angemessener Beitrag.

6.2.1 P-Ebene: Die Kohlenstofffixierung durch Fotosynthese

Wichtig für die Größe des Beitrags, den Biomasse zur Energieversorgung liefern kann, istdas Vorhandensein von Kohlenstoff. Die Mengen des verfügbaren Kohlenstoffs werden ge-regelt durch den natürlichen Kohlenstoffkreislauf.

Der natürliche KohlenstoffkreislaufDie Produktion von Biomasse wird gesteuert von Transportvorgängen, welche die für dasLeben wichtigsten Elemente Wasserstoff (H), Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) be-treffen. Diese Elemente treten allein oder zu verschiedenen Molekülen vereint in der At-mosphäre und der Biosphäre auf. Unter der Biosphäre versteht man den mit organischemLeben angefüllten Raum, also die Erdoberfläche samt ihrer Humusschicht unddie Oberflä-chenwasser, also imWesentlichen die oberflächlichen Wasserschichten der Ozeane. In derBiosphäre sind die oben genannten Elemente in charakteristischen Mengen vorhanden.

Wir werden im Folgenden die Stoffmengen mit der physikalischen Basismessgröße nangeben, deren Einheit das mol ist. Die Menge n = mol enthält ⋅ Bestandteile, dabeikann es sich um Atome oder Moleküle handeln, je nachdem, ob Atome zu Molekülen ge-bunden sind oder nicht. Gleiche oder ungleiche Atome können sich zu Molekülen binden,zu der ersten Klasse gehört das O, zu der zweiten Klasse das CO.

Die Zusammensetzung der Luft mit ihren prozentualen Mengen sind in der Tab. 6.4.gezeigt.

Aus der Tab. 6.4 ergeben sich die folgenden Tatsachen:

• Die Menge des Sauerstoffs in der Luft ist so riesig, dass sie durch das Geschehen in derBiosphäre, auch wenn es anthropogen verursacht ist (zum Beispiel durch Verbrennungder fossil biogenen Energieträger), praktisch nicht verändert wird.

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6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle 181

C+O2

..Atmosphare

2

Biosphare

CO

Zer

setz

un

g

..

Fo

tosyn

these

Abb. 6.14 Der natürliche Kohlenstoffkreislauf zwischen Biosphäre und Atmosphäre. In der Bio-sphärewird derKohlenstoff fixiert zu denKohlenwasserstoffen, in derAtmosphäre ist derKohlenstofffrei als Kohlendioxid. Wichtig ist:Wieviel Kohlenstoff ist in der Biosphäre, wieviel in der Atmosphä-re, und wie groß sind die Flüsse zwischen diesen Lokalitäten

• Der Anteil des Wasserdampfs in der Luft ist gegeben durch den Sättigungsdampfdruckdes Wassers bei einer Temperatur von T ≈ °C. Dieser Anteil wird durch ständigeVerdunstung und Niederschlag praktisch konstant gehalten.

• Der Anteil des Kohlendioxids ist aber so gering, dass er durch das Geschehen in derBiosphäre verändert werden kann. Zwar lässt der natürliche Lebenszyklus der Pflanzendiesen Anteil bis auf kurzfristige Schwankungen konstant, aber der Mensch hat durchdie Verbrennung der fossil biogenen Energieträger für einen Anstieg des CO-Anteilsgesorgt. Wird der natürliche Kohlenstoffzyklus beschleunigt, wird auch dies zu einemAnstieg führen.

• Der Methananteil (und auch der Wasserstoffanteil) ist so winzig, dass er bis jetzt ohneEinfluss auf den Kohlenstoffzyklus zwischen Atmosphäre und Biosphäre ist. Das wirdsich unter Umständen ändern, wennMethan vermehrt in die Luft gelangt, zum Beispieldurch den Abbau vonMethanhydrat.

Bei dem natürlichen Kohlenstoffkreislauf handelt es sich um den kurzzeitigen Aus-tausch von Kohlenstoff zwischen der Biosphäre und der Atmosphäre. Kurzzeitig ist sozu verstehen, dass das einmalige Durchlaufen des Kreislaufs eine nicht wesentlich längereZeit als ca. 100 Jahre verlangt und für viele Prozesse sogar innerhalb einer Zeitspanne vonweniger als 10 Jahren stattfindet. Schematisch lässt sich dieser Kreislauf so darstellen, wiees in Abb. 6.14 gezeigt wird. Das CO der Atmosphäre wird durch die Fotosynthese zu Cumgewandelt und in den Pflanzen fixiert, wobei gleichzeitig freies O entsteht, das in dieAtmosphäre gelangt. Bei der Zersetzung der Pflanzen verbindet sich das atmosphärischeO wieder mit dem C zu freiem CO. Dieser Kreislauf ist mengenneutral und sorgt füreinen konstanten CO-Gehalt der Atmosphäre, wobei immer eine bestimmte Menge desKohlenstoffs in der Biosphäre fixiert bleibt. Das augenblickliche Gleichgewicht zwischenfixiertem und freiem Kohlenstoff, das auf der natürlichen Zersetzung beruht, wird gestört,wenn der Mensch Kohlenstoff aus dem Inventar der Biosphäre verbrennt.

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182 6 Die erneuerbaren Energien

Tab. 6.5 Das Kohlenstoffinventar in der Biosphäre

Lokalität Biomasse Humus OberflächenwasserMenge n (mol) , ⋅ , ⋅ , ⋅

Wie groß ist das Kohlenstoffinventar der Biosphäre? Dazu die Angaben in Tab. 6.5.Daraus ergibt sich, dass in der Biomasse, die zu 80% aus dem Holz der Wälder besteht,und in dem Oberflächenwasser etwa gleich große Mengen von Kohlenstoff fixiert sind. Indem Humus befindet sich dagegen die etwa doppelte Menge wie in jeder dieser beidenLokalitäten.

Wichtig für die Einschätzung, in welchen Maßen der Mensch zum Zwecke seiner Ener-gieversorgung an diesemKreislauf partizipieren kann, sind nicht die Inventare, sondern dieFlüsse zwischen den Lokalitäten, insbesondere der Fluss zwischen Atmosphäre, Biomasseund Humus. Von der Biomasse werden durch die Fotosynthese jedes Jahr ca. ⋅ mol ⋅a− Kohlenstoff gebunden, von denen durch die Pflanzenatmung wieder , ⋅ mol ⋅ a−

direkt in die Atmosphäre zurück gelangen. Die restliche Menge von , ⋅ mol ⋅a− Koh-lenstoff findet ihren Weg in den Humus und wird dort deponiert, bevor auch sie infolgeder natürlichen Zersetzung zurück in die Atmosphäre gelangt. Bei diesem Prozess ist eswichtig, zwischen den Grünpflanzen, in denen sich die Fotosynthese vollzieht, und demStammholz der Wälder zu unterscheiden. Letzteres nimmt nur mit einem Anteil von 1%an dem Kohlenstofffluss teil. Das heißt, Stammholz verlangt eine viel längere Zeit für sei-nen Aufbau und bleibt auch für eine längere Zeit im Humus fixiert. Das ist in der Tat einTeil unserer praktischen Erfahrung: Bäume leben, verglichen mit Grünpflanzen, sehr langeund es dauert sehr lange, bis sie sich im Boden zersetzt haben und ein abgestorbener Baumauf natürliche Weise durch einen neuen Baum ersetzt ist.

Der Kohlenstofffluss auf seinem Weg durch das Stammholz der Wälder beträgt dahernur

jWald ≈ ⋅ mol ⋅ a− (6.31)

und dem entspricht nach Tab. 2.5 eine Energiemenge pro Jahr von

PWald ≈ ⋅ kWh ⋅ a− . (6.32)

Auf natürliche Weise könnten sämtliche Wälder theoretisch etwa 2% des Energiebedarfsder Welt zur Mitte des 21. Jahrhunderts decken.

Soll dieser Beitrag zur Primärenergieversorgung der Welt praktisch realisiert und sogarvergrößert werden, gibt es prinzipiell zwei Wege:

1. Man kann die Geschwindigkeit des Kohlenstoffkreislaufs erhöhen, indemWaldgebietedurch Energieplantagen ersetzt werden. Auf die ökologischen Nachteile dieses Wegssind wir in Abschn. 6.2 eingegangen.

2. Man kann durch eine intensive Waldwirtschaft die Verweildauer des Kohlenstoffs imHumus verkürzen. Das bedeutet aber, dass durch die energetische Verwertung derWäl-

Page 190: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.2 Die Solarenergie: Biomasse und Abfälle 183

der der Anteil des fixierten Kohlenstoffs im Humus verkleinert wird zugunsten derCO-Gehalts in der Atmosphäre.

Noch schlimmer, heute besteht dieWaldwirtschaft, insbesondere in den we-Ländern, ineiner Vernichtung der Wälder durch Rodung und Verbrennung. Etwa , ⋅ mol ⋅ a− anCO werden auf diese Art pro Jahr in die Atmosphäre entlassen und das sind immerhinfast 30% des CO-Eintrags, der augenblicklich durch die Verbrennung der fossilen Ener-gieträger verursacht wird.

Bei einer intensiven Waldbewirtschaftung, selbst wenn sie nachhaltig ist, sollten daherfolgende Punkte berücksichtigt werden:

• Durch die höhereKreislaufgeschwindigkeit wird derGehalt an unfixiertemKohlenstoff,also das CO, in der Atmosphäre vergrößert und der Gehalt an fixiertem Kohlenstoff imHumus verkleinert, weil die mittlere Verweilzeit eines Baums in der Biossphäre verrin-gert wird.

• Die Wälder spielen eine weitere wichtige Rolle in unserer Umwelt: Sie entziehen dentieferen Bodenschichten das Wasser und transportieren es durch die Blätter per Ver-dunstung in die Atmosphäre. Die dabei umgesetzten Mengen anWasser und Verduns-tungswärme sind ganz erstaunlich. Etwa die Hälfte der eingestrahlten Solarenergie wirddafür benötigt und etwa 70% des sich in der Atmosphäre befindenden Wasserdampfsentstehen auf diese Weise, wenn wir eine Pflanzendichte wie in Europa voraussetzen.Eine verringerte mittlere Lebenszeit des Baumbestands in den Wäldern würde diesenWasserkreislauf empfindlich stören, selbst wenn der Wald immer wieder aufgeforstetwird.

Ein einfaches KreislaufmodellWir wollen mithilfe eines einfachenModells berechnen, umwieviel sich die Kohlenstoffin-ventare von Atmosphäre und Biosphäre verändern, wenn die Wälder bei einer nachhalti-gen Bewirtschaftung dazu benutzt werden, um den gesamten Primärenergiebedarf derWelt im Jahr 2050 zu decken. Nachhaltig bedeutet, dass das Kohlenstoffinventar des Waldsvon nB ≈ ⋅ mol nicht verändert wird, ebenso bleibt das gesamte Kohlenstoffinventarvon n = nA+ nB+ nH ≈ ⋅ mol unverändert, weil es einem strengen Erhaltungsgesetzunterliegt. Unter Normalbedingungen betragen dann die Kohlenstoffinventare der Atmo-sphäre nA ≈ ⋅ mol und des Humus nH ≈ ⋅ mol. Ein Schaubild der zwischendiesen Inventaren bestehenden Flüsse ist in der Abb. 6.15 gezeigt.

Die in dieser Abb. 6.15 auftretenden Kohlenstoffflüsse haben die Größen:

jA>B ≈ , ⋅ mol ⋅ a−

jB>A = jB>H = jH>A ≈ , ⋅ mol ⋅ a− .(6.33)

Ein Fluss jX>Y aus dem Inventar nX ist proportional zur Größe dieses Inventars:

jX>Y = fX>Y nX (6.34)

Page 191: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

184 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.15 Die Kohlenstoff-inventare der AtmosphärenA, der Waldgebiete nB, desHumus nH und die Koh-lenstoffflüsse jX>Y, die vomInventar nX in das Inventar nY

führen

nA

jB>A

jB>H

jH>AjA>B

nHnB~

~

~

mit der Flusskonstanten fX>Y, welche die Einheit [ fX>Y] = a− besitzt und charakteristischfür den Fluss von nX nach nY ist.

Die zeitlichen Veränderungen in den Inventaren ergeben sich aus den Differentialglei-chungen

dnA

dt= jB>A + jH>A − jA>B

dnB

dt= jA>B − jB>A − jB>H

dnH

dt= jB>H − jH>A.

(6.35)

ImZustand desGleichgewichts, wenn sich die Inventare nichtmehr verändern,muss gelten

dnA

dt=

dnB

dt=

dnH

dt= . (6.36)

Mithilfe dieser Gleichung und der Gleichungen (6.34), (6.35) ergibt sich für das variableKohlenstoffinventar des Humus

nH =jH>AfH>A

=

jB>HfH>A

=

jA>BfH>A

( −jB>AjA>B) (6.37)

und für das variable Kohlenstoffinventar der Atmosphäre

nA = n − nB −jA>BfH>A

( −jB>AjA>B) . (6.38)

In den Gleichungen (6.37), (6.38) sind alle Größen bekannt mit Ausnahme der Flusskon-stanten vom Humus in die Atmosphäre, die sich aber mithilfe von (6.34) berechnen lässt:

fH>A =jH>AnH

=

, ⋅

⋅ = , a− . (6.39)

Wird der Fluss jB>A auf Kosten des Flusses jB>H auf einen Wert

jB>A = , ⋅ mol ⋅ a− (6.40)

Page 192: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.3 Die Solarenergie: Fotovoltaik 185

erhöht, um den Primärenergiebedarf von ⋅ kWh ⋅ a− insgesamt zu decken, so erhöhtsich das Kohlenstoffinventar der Atmosphäre auf einen Wert

nA = ( − −

,( −

,)) ⋅ = ⋅ mol, (6.41)

das heißt, es wird 67% mehr Kohlendioxid in der Atmosphäre sein, als es heute der Fallist, und der Kohlenstoffgehalt des Humus wird um 36% zurückgegangen sein.

Dies ist natürlich der Extremfall und er stellt wegen der nachhaltigenWaldbewirtschaf-tung einen neuen Gleichgewichtszustand zwischen Atmosphäre und Biosphäre her. Dar-in unterscheidet sich die Waldbewirtschaftung von der Verbrennung der fossil biogenenEnergieträger, die den CO-Gehalt der Atmosphäre so lange ansteigen lässt, bis alle Ener-gieträger verbrannt sind.

6.3 Die Solarenergie: Fotovoltaik

Die direkte Umwandlung der Solarenergie in elektrische Energie findet in der Natur nichtstatt. DieserWandlungsmechanismus ist vomMenschen entdecktworden.Die Entdeckungbasiert auf der Existenz von Halbleitern, die Wandlungstechnik benutzt die Eigenschaftender Halbleiter. Halbleiter sind die Elemente in der 4. Hauptgruppe des periodischen Sys-tems, die bekanntesten sind Silizium (Si) und Germanium (Ge). Darüberhinaus kannmanauch Mischhalbleiter aus Elementen der 3. und 5. Hauptgruppe herstellen, ein Beispiel istdas Galliumarsenid (GaAs). In dem Abschn. 6.1.1 haben wir die Eigenschaften von Halb-leitern kurz beschrieben. Wichtige Eigenschaften sind:

• Durch Lichtabsorption wird ein Elektron aus dem Valenzband in das Leitungsbandtransportiert.

• Durch den Elektronentransport bleibt ein Elektrondefizit (Elektronloch) in dem Va-lenzband zurück.

• Das Elektron ist im Leitungsband, das Elektronloch ist im Valenzband frei beweglich.

Aufgrund ihrer Beweglichkeit würden Elektron und Loch nach kurzer Zeit rekombinie-ren und das vorher absorbierte Photon wieder emittieren. Damit aus den Elektronen undden Löchern elektrische Ströme entstehen können, muss ihre Rekombination verhindertwerden. Und das geschieht mithilfe eines elektrischen Felds, das durch den Halbleiter indem Halbleiter erzeugt wird. Dazu werden zwei Halbleiter mit Fremdatomen dotiert, undzwar der eine Halbleiter mit Atomen, die Elektronen aufnehmen (zum Beispiel Bor (B):p-Dotierung), der andere Halbleiter mit Atomen, die Elektronen abgeben (zum BeispielPhosphor (P): n-Dotierung). Bringt man die so dotierten Halbleiter in elektrischen Kon-takt, so wandern Elektronen aus dem n-dotierten in das p-dotierte Material und es entstehteine Zone mit wenig frei beweglichen Ladungsträgern, die Sperrzone. In der Sperrzone

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186 6 Die erneuerbaren Energien

Sperr−

zone

E

E

n−d

oti

erte

sG

run

dm

ater

ial+

+++++++++++++

Gru

nd

material

p−d

otiertes

−−−

−−−

−−−

−−

Abb. 6.16 Der schematische Schnitt durch eine Fotodiode. Links befindet sich das p-dotierteGrundmaterial, rechts das n-dotierte, zwischen beiden die Sperrzone mit ihrem elektrischen FeldE. Wird durch Lichtabsorption in der Sperrzone ein Elektron-Loch-Paar erzeugt, wandert wegendes elektrischen Felds das Elektron in das n-dotierte Material, das Loch in das p-dotierte Material

sorgen die unbeweglichen, aber geladenen Rumpfatome des Halbleiters für denAufbau desgewünschten elektrischen Felds.Werden frei bewegliche Elektronen und Löcher innerhalbder Sperrzonen durch Lichtabsorption erzeugt, so werden sie durch das elektrische Feld derSperrzone sofort getrennt, wie es in Abb. 6.16 schematisch gezeigt ist. Einen elektrischenKontakt zwischen einem p- und n-dotierten Halbleiter nennt man eine Halbleiterdiode,wird diese zur Erzeugung eines elektrischen Stromsmittels Lichtabsorption benutzt, nenntman sie eine Fotodiode.

Legt man eine Spannung9 U an eine Halbleiterdiode, so fließt durch die Diode ein elek-trischer Strom I, wenn sich der positive Pol der Spannung an der p-dotierten Seite undder negative Pol an der n-dotierten Seite der Halbleiterdiode befindet (Durchlassrichtung).Vertauscht man die Polaritäten, fließt kein Strom (Sperrrichtung). Auf der P-Ebene wer-den wir uns detaillierter mit dieser Eigenschaft einer Halbleiterdiode beschäftigen. In einerFotodiode tritt zusätzlich folgendes Phänomen auf: Werden Elektron-Loch-Paare in derSperrzone erzeugt, fließt auch in Sperrrichtung ein Strom, der Fotostrom IF, dessen Stärkeden maximalen Wert IF, bei der Spannung UF = erreicht (Kurzschlussstrom) und denminimalen Wert IF = für die Spannung UF = UF, (Leerlaufspannung). Die vollständi-ge Strom-Spannungs-Kennlinie einer Fotodiode ist in Abb. 6.17 gezeigt, sie gehorcht derGleichung

I = I ( − exp (−eUkT)) + IF, . (6.42)

Dabei ist e = −, ⋅ − C die Ladung eines Elektrons. Die Leerlaufspannung einer Foto-diode hat daher den Wert

UF, ≈ −kTe

ln(IF,I) , (6.43)

9 Der Konvention folgend, verwenden wir für die elektrische Spannung nicht mehr das Symbol derPotentialdifferenz Δϕ, sondern das geläufigere Symbol U .

Page 194: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.3 Die Solarenergie: Fotovoltaik 187

I

U

IF,0

UF,0

UF

IF

Abb. 6.17 Die Strom-Spannungs-Kennlinie einer Fotodiode, die mit Licht bestrahlt wird. Die Fo-todiode liefert einen negativen Strom IF bei positiver Spannung UF in dem dunkel gefärbten Bereich.Der hell gefärbte Bereich entspricht der maximal möglichen LeistungUF, IF, bei rechteckiger Kenn-linie

wobei I < und IF, ≪ I ist. Im Arbeitsbereich einer Fotodiode entsteht bei negati-vem Strom IF eine positive Spannung UF an der Diode, ohne dass eine äußere SpannungU angelegt werden muss. Die maximale elektrische Leistung, die eine Fotodiode aus derSolarenergie umwandeln kann, ergibt sich zu

Pel = −UFIF = −cfUF,IF, , (6.44)

wobei cf = (UFIF)/(UF,IF,) der Füllfaktor ist. Der Füllfaktor sollte einenWert nahe einsbesitzen, dazu müsste die Strom-Spannungs-Kennlinie der Fotodiode in ihrem Arbeitsbe-reich eine Form haben, die einem rechten Winkel möglichst nahe kommt. Dies lässt sichnicht erreichen, daher besitzen Fotodioden typische Füllfaktoren cf ≈ ,.

Wie groß sind Kurzschlussstrom IF, und Leerlaufspannung UF,? Beide sollten mög-lichst groß sein, aber es ist unmöglich, beide Größen gleichzeitig zumaximieren. Denn IF,wird umso größer, je kleiner die Bandlücke ΔW desHalbleiters ist, undUF, wird umso grö-ßer, je größer ΔW ist. Also muss ein Kompromiss für den Wert von ΔW gefunden werden,und dieser optimale Wert ΔWoptimum hängt von der spektralen Intensitätsverteilung desSonnenlichts ab, siehe Abb. 6.2.

Was bedeuten diese Gegebenheiten für den Wirkungsgrad einer Fotodiode? Die Son-nenleistung, die eine Fotodiode in elektrische Leistung umwandelt, beträgt bei einer Sperr-zone mit der bestrahlten Oberfläche AF nach (4.30)

P′⊕ = I′⊕AF (6.45)

und daraus ergibt sich einWirkungsgrad

ηF =PelP′⊕= −cf

UF,IF,I′⊕AF

. (6.46)

Da auch der Fotostrom IF, proportional zu AF ist, ist (6.46) unabhängig von AF, aber ab-hängig von der Größe der Bandlücke ΔW . Diese Abhängigkeit ist in Abb. 6.18 gezeigt, η

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188 6 Die erneuerbaren Energien

gelbrot

0.6 1.0 1.4 1.8

0.3

0.1

0.2

c−S

i

InP

GaA

sC

dT

e

Cu

GaS

e a−S

i

Wir

kun

gsg

rad

F

grün

Cu

InS

e 2

Cu

InS

2

Bandlucke W(eV)..

Abb. 6.18 Die Abhängigkeit des theoretischenWirkungsgrads einer Fotodiode von der BandlückeΔW des Halbleitermaterials. Die Größe der Bandlücke für einige Halbleiter ist ebenfalls gezeigt (c-Si= kristallines Silizium, a-Si = amorphes Silizium).Oben rechts ist ungefähr die Lage des sichtbarenSpektralbereichs gezeigt, das Maximum des Wirkungsgrad liegt also im Infraroten

erreicht seinen maximalen Wert von ηF ≈ , für ΔW = ΔWoptimium. Der maximal mögli-che Wirkungsgrad ist im Wesentlichen bestimmt durch den Füllfaktor, aber er ist kleinerals cf aus folgenden Gründen:

1. Die Dicke l der Sperrzone ist zu klein, so dass nicht alle auf AF einfallenden Photonenin dieser Zone absorbiert werden, siehe (6.9).

2. Die Photonenenergie ist zu klein, h ν < ΔW , so dass keine Elektron-Loch-Paare erzeugtwerden, sondern die Fotodiode nur erwärmt wird.

3. Die Photonenenergie ist zu groß, h ν > ΔW , so dass die Elektron-Loch-Paare ihreüberschüssige kinetische Energie in thermische Energie umsetzen: Die Fotodiode wirderwärmt.

4. Die Elektron-Loch-Paare rekombinieren, bevor sie durch das elektrische Feld voneinan-der getrennt sind. Dieser Verlustmechanismus hängt von den Halbleitereigenschaftenab, auch er führt zur Erwärmung der Fotodiode.

5. Die Erwärmung der Fotodiode reduziert die maximal mögliche Fotospannung UF, =

−ΔW/e, siehe Abschn. 6.3.1.

Diese Phänomene sind dafür verantwortlich, dass der in Abb. 6.18 gezeigte Wirkungs-grad nur etwa halb so groß ist, wie Bandlücke und Füllfaktor allein erwarten ließen, näm-lich ηWd ≈ ,. Deutschland allerdings ist bei der Nutzung der Fotovoltaik benachteiligt,denn:

Der Kapazitätsfaktor für die Fotovoltaik inDeutschland beträgt κ ≈ ,, so dass sichhier der Nutzungsgrad dieser Formder erneuerbaren Energien zu ζWd ≈ , ergibt,welche im Jahr 2010 nur 0,1% des Primärenergiebedarfs lieferte.

Page 196: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.3 Die Solarenergie: Fotovoltaik 189

Abgesehen von den ungünstigen Wetterbedingungen über Deutschland sind noch an-dere Mechanismen dafür verantwortlich. Zum Beispiel reflektiert die Oberfläche der Foto-diode das einfallende Licht zu einemgewissenTeil, der auch abhängig von derAusrichtungist. Fast alle Fotodioden besitzen in der Praxis eine feste Ausrichtung gegen die Erdoberflä-che, die oft noch nicht einmal so optimal ist, wie es in Abschn. 6.1.1 diskutiert wurde. DieAusrichtung der Fotodioden der Stellung der Sonne nachzuführen, ist zu aufwändig undmit hohen Kosten verbunden. Der technische Aufwand, den praktischen Nutzungsgradvon Fotodioden zu vergrößern, steht meistens in keinem Verhältnis zu den Kosten, die da-mit verbunden sind. In letzter Zeit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, mehr Mühen indie Reduktion ihre Produktionskosten zu stecken als in die Vergrößerung ihrer Nutzungs-grade, um so Fotodioden billiger und damit konkurrenzfähig zu machen. Beide Ziele sindjedoch nicht wirkliche Alternativen: Die Vergrößerung des Nutzungsgrads verringert dieerforderlichen Flächen, die mit Fotodioden belegt werden müssten, um Sonnenleistung ineine vorgegebene elektrische Leistung zu wandeln. Kostenreduktionen tun das nicht.

Es ist daher davon auszugehen, dass die Fotovoltaik auf absehbare Zeit nur eine Ni-schentechnik ist, wenn es um ihren Beitrag zu einer zukünftigen Energieversorgung derWelt geht. Weltweit trug der Anteil der Fotovoltaik im Jahr 2010 nur ca. 0,02% der Versor-gung mit Primärenergie. Dieser Beitrag ließe sich im Prinzip vergrößern, wenn die dafürbenötigten Flächen zur Verfügung stünden, wie es aus den Tabellen 4.6 und 4.7 ersichtlichist. Solche Flächen sind zwar vorhanden, zum Beispiel in den Wüstengebieten der Erde,ihre Nutzung verlangt aber, neben der Beschäftigung mit den vielen technischen Proble-men der Energiespeicherung und des Energietransports, auch die politische Einsicht füreine globale Lösung, die an Staatsgrenzen nicht haltmacht. Bis zum Jahr 2050 werden sol-che Lösungen wohl nicht zu erreichen sein. Und außerdem reicht die verbleibende Zeitnicht, um technische Anlagen der geforderten Größe aufzubauen. Es bleibt daher nur dieSchlussfolgerung:

In der Mitte des 21. Jahrhunderts wird die Fotovoltaik mit weniger als 1% zur De-ckung des dann vorhandenen Primärenergiebedarfs beitragen, sie stellt damit keineLösung für unsere zukünftigen Probleme bei der Energieversorgung dar.

Diese Schlussfolgerungmacht auch den Unterschied zwischen dem natürlichen Verfah-ren „Fotosynthese“ und dem technischen Verfahren „Fotovoltaik“ deutlich. Beide besitzennur einen geringenWirkungsgrad für die Energiewandlung, aber: Für ersteres sind die Flä-chen bereits von der Natur angelegt, für letzteres müssen sie erst vomMenschen entwickeltwerden.

Page 197: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

190 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.19 Die Spannungspo-lung an einer Halbleiterdiodein Sperrrichtung (a) und inDurchlassrichtung (b). InSperrrichtung fließt nur derminimale Dunkelstrom I, des-sen Stärke temperaturabhängigist

−+

DurchlassrichtungSperrrichtungU > 0U < 0

− +

n−dotiert

p−dotiert

0

n−dotiert

p−dotiert

a b

6.3.1 P-Ebene: Die Eigenschaften einer Fotodiode

Grundlage für die Fotovoltaik ist die mit Licht bestrahlte Halbleiterdiode. Auf ihre physi-kalischen Eigenschaften wollen wir kurz eingehen.

Die Halbleiterdiode als FotodiodeDieHalbleiterdiode hat die Eigenschaft, dass im Prinzip ein elektrischer Strom nur fließt,wenn die SpannungU mit der richtigen Polarität, das heißtU > , an die Diode gelegt wird,siehe Abb. 6.19. Der Grund ist offensichtlich: Ist die Spannung an der Diode in Durchlass-richtung gepolt, so werden die aus dem n-dotierten Material in das p-dotierte Materialdriftenden Elektronen kontinuierlich aus dem negativen Pol der Spannungsquelle ersetztund von dem positiven Pol der Spannungsquelle entfernt. Bei Vertauschung der Polari-tät ist das nicht möglich: Nachdem einige Elektronen vom n-dotierten in den p-dotiertenBereich gedriftet sind, wird der Stromfluss unterbrochen, weil die aus dem n-dotierten Be-reich abgewanderten Elektronen nicht ersetzt werden.

Natürlich fließt auch für U < ein sehr kleiner Strom, der Sperrstrom I, durch dieDiode, der von Elektron-Loch-Paaren stammt, die in der Sperrzone bei der Temperatur Tthermisch erzeugt werden. Der Sperrstrom ist daher temperaturabhängig

I = I,max exp(−ΔWkT) . (6.47)

Obwohl I sehr klein ist, ist I,max sehr groß, denn der exponentielle Faktor ist für ΔW = eV bei Zimmertemperatur T von der Größenordnung

exp(−ΔWkT) ≈ − . (6.48)

Die Anzahl der in der Sperrzone gebildeten Elektron-Loch-Paare wird aber dramatischerhöht, wenn die Sperrzone beleuchtet wird und die Paare durch die Absorption des Lichtsentstehen.

Die Strom-Spannungs-Kennlinie einer Halbleiterdiode ohne und mit Beleuchtungsieht schematisch so aus, wie es in der Abb. 6.20 gezeigt ist. Dabei ist die Kennlinie bewusst

Page 198: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.3 Die Solarenergie: Fotovoltaik 191

Abb. 6.20 Die Strom-Spannungs-Kennlinie einerHalbleiterdiode (gestri-chelt) und einer Fotodiode(ausgezogen). Der Wert desDunkelstroms I ist sehr starkübertrieben

U

I

II + F,0

I

0

0

verzerrt worden, denn der Sperrstrom I ist im Vergleich zum Fotostrom IF, eigentlichviel kleiner als dargestellt. Die Diodenkennlinie folgt dem Gesetz

I = I ( − exp(−eUkT)) + IF, , (6.49)

wobei I < und IF, ≪ I nur dann, wenn die Halbleiterdiode beleuchtet wird. Betrach-tet man für diesen Fall die Kennlinie bei positiven Spannungen, so lässt sich die maximalerreichbare Fotospannung, die Leerlaufspannung UF,, abschätzen. Für den LeerlauffallI = gilt nämlich

UF, = −kTe

ln(IF,I+ ) ≈ −

kTe

lnIF,I

. (6.50)

Wenn wir (6.47) für I einsetzen, ergibt sich daraus

UF, =∣e∣(ΔW − kT ln

I,max

IF,) . (6.51)

Daraus folgt:

• Für T = K ist UF, = ΔW/∣e∣, das heißt, die Fotospannung ist gegeben durch dieBandlücke zwischen Valenzband und Leitungsband.

• Für T > K ist die praktisch erreichbare Fotospannung immer kleiner als die maximalmögliche Fotospannung, da ∣I,max∣ > ∣IF,∣.

ZumBeispiel besitzt eine Si-Fotodiode eineBandlücke ΔW = , eV, bei Zimmertemperaturbeträgt ihre Leerlaufspannung aber nur UF, ≈ ,V. Für grobe Abschätzungen kann mandaher die Beziehung

UF, ≈ΔW∣e∣

(6.52)

verwenden. Die von einer Fotodiode gelieferte Gleichspannung ist also sehr gering. Um dieSpannung und auch den Strom zu vergrößern, müssen viele Fotodioden in einer kombi-nierten Parallel- undReihenschaltung zusammengeschaltet werden, wie es in Abb. 6.21mit12 Fotodioden gezeigt ist. Um noch größere Spannungen zu erreichen, werden daher viele

Page 199: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

192 6 Die erneuerbaren Energien

0

IF

0.5 1.0 1.5UF

UF

(a.u.)

(V)

− Kontakt

+ Kontakt

Antireflexschicht

n−leitend

p−

a b

Abb. 6.21 a Schnitt durch eine Fotodiode mit dem −-Kontakt (Kathode) und dem +-Kontakt (An-ode). b Parallel- und Reihenschaltung von 12 Si-Fotodioden zur Vergrößerung von Strom undSpannung. Die Strom-Spannungs-Kennlinie dieser Schaltung ist auch gezeigt: Wird die Fotodiodemit einem zu großen Strom belastet, bricht die Spannung von 1,8V auf 0V zusammen

Fotodioden zu einemModul vereint und die von diesemModul gelieferte Gleichspannungwird mithilfe eines Wechselrichters in eine Wechselspannung mit einer Frequenz von 50Hz umgewandelt. Diese kann dann mit einem Transformator auf beliebige andere Wech-selspannungswerte transformiert und in dasNetz eingespeist werden. Diese elektronischenSchaltungen führen zu weiteren Verlusten in der Größenordnung von 3 bis 5%.

Wie ist eine Fotodiode mechanisch aufgebaut? Das Konstruktionsprinzip ist in derAbb. 6.21 gezeigt. Das Sonnenlicht muss durch die Deckschicht, die sich aus dem Ka-thodengitter und dem n-dotierten Halbleitermaterial zusammensetzt, in die Sperrzoneeindringen. Insbesondere die Kathode, aber auch die Reflexionen an der Halbleiterschicht,tragen zu denWirkungsgradverlusten bei. Daher ist die Halbleiterschicht sonnenseitigmiteiner Antireflexschicht versehen, die das Reflexionsvermögen der Fotodiode herabsetzt.Weiterhin werden die Kontakte des Kathodengitters so dünn als möglich ausgebildet,wobei die Ohm’schen Verluste in den Kontakten eine untere Grenze festlegen.

6.4 Die Solarenergie: Lichtkonzentratoren

Wir haben am Beginn des Kap. 6 gelernt, dass Sonnenlicht eine außerordentlich geringeEnergiedichte w⊕ = , ⋅ − kWh ⋅ a− besitzt. Man kann die Energiedichte vergrößern,indem man das Licht, das auf eine große Fläche Ae eingestrahlt wird, auf eine viel kleine-re Fläche Aa konzentriert. Durch einen Lichtkonzentrator wird also nicht die Fläche Ae

verkleinert, die zum Empfang der Solarenergie auf der Erde bereit gestellt werden muss,aber es kann die Fläche Aa verkleinert werden, die der Absorber besitzen muss, welcherdie Solarenergie in eine andere Energieform umwandelt. Das hat folgende Vorteile:

• Da der Absorber kleiner wird, kann er im Prinzip kostengünstiger hergestellt werden.

Page 200: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.4 Die Solarenergie: Lichtkonzentratoren 193

• Da die Energiedichte imAbsorber größer wird, werden dort auch höhere Temperaturenerzielt. Damit steigt nach (2.31) dermaximalmöglicheWirkungsgrad der Energiewand-lung.

Als Lichtkonzentratoren kommen Spiegel oder Linsen in Betracht. Mit den physikalischenGrundlagen dieser optischen Instrumente werden wir uns auf der P-Ebene beschäftigen.Prinzipiell wird durch einen Lichtkonzentrator die Sonne auf eine kleine, stationäre Flä-che abgebildet. Und daraus ergibt sich unmittelbar für die Lichtkonzentratoren folgendeEinschränkung:

Lichtkonzentratoren konzentrieren nur die direkte Komponente der Solarenergie.Ihr Anwendungsbereich ist daher auf den Sonnengürtel der Erde vom südlichen 35.bis zum nördlichen 35. Breitengrad beschränkt.

Deutschland und Europa, mit Ausnahme des südlichen Spaniens, gehören nicht dazu.Dort, wo derartige Anlage errichtet wurden, liegt ihr Kapazitätsfaktor zwischen , < κ <,.

Da die Sonne im Laufe eines Tags ihre Position kontinuierlich verändert, muss die Aus-richtung der Lichtkonzentratoren diesen Positionsänderungen folgen, um große Kapa-zitätsfaktoren zu erzielen. Das bedeutet, die optischen Instrumente müssen so aufgebautwerden, dass sie um zwei Achsen beweglich sind. Diese Bedingung macht die Anlagen zurLichtkonzentration technisch aufwändig undmehr als kompensiert dieKostenvorteile, diesich unter Umständen durch den kleineren Absorber erreichen lassen. Zur Kostenreduk-tion wurden daher auch Anlagen entworfen, bei denen die Ausrichtung nach dem Standder Sonne nur um eine Achse möglich ist. Dies ist aber immer mit einer Reduktion dermaximal möglichen Konzentration c verbunden, wie es in Abschnitt (6.4.1) erklärt wird.

Sowohl sphärischeGlaslinsen wie auch Parabolspiegel lassen sich zur Lichtkonzentrati-on verwenden, aber in der Praxis haben sich weitgehend die Spiegelkonzentratoren durch-gesetzt. Wir wollen jetzt die am häufigsten verwendeten Konstruktionsprinzipien für der-artige Konzentratoren vorstellen.

1. DerHeliostat.Beim Heliostaten wir das Sonnenlicht mithilfe einer Vielzahl von beweglichen, pla-naren Spiegeln auf einen stationären Turmabsorber konzentriert, wie es schematischin der Abb. 6.22 gezeigt ist. Die Lichtintensität am Absorber beträgt typischerweisekW ⋅m−, das heißt die Solarenergie wird, verglichen mit (4.32), auf etwa c ≈ konzentriert. Mit dieser konzentrierten Solarenergie werden im Absorber Temperatu-ren von etwa 1000K (Gebrauchsanlage) bis zu 4000K (Versuchsanlage) erreicht. Vonden bis 2010 errichteten und ins Netz intergrierten Anlagen befinden sich je 3 in Spa-nien und in China, 1 in den USA. Bei weiteren Anlagen in Europa (z. B. in Frankreich)

Page 201: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

194 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.22 Der prinzipiel-le Aufbau eines Heliostaten,bei dem mithilfe einer Viel-zahl planarer Spiegel, die um2 Achsen beweglich sind, dasSonnenlicht auf einen sta-tionären Absorber an derTurmspitze konzentriert wird

handelt es sich umVersuchsanlagen,mit derenHilfe verschiedene technischeProbleme,wie zumBeispiel dieKonstruktion einesHochtemperaturabsorbers, untersucht werden.Als die Wärme aufnehmendes Medium im Absorber wird in vielen Fällen Wasser oderThermoöl verwendet. Aber auch Nitratsalze, die im Bereich zwischen 350K und 550Kschmelzen, sind benutzt worden. Als besonders interessantes Verfahren bietet sich diethermische Zersetzung von gasförmigen Molekülen an, die sich erst bei sehr hohenTemperaturen im Absorber vollzieht. Dafür kommen etwa die folgenden Reaktionenin Frage:

CH +HO→ CO + H

NH → N + H

HO→ O + H

(6.53)

Auf die Eigenschaften der dritten Reaktion in der obigen Liste, der thermischen Zerset-zung vonWasser, kommenwir imAbschn. 8.2.1 zurück. Die Verfahren, die auf der Um-setzung der Reaktionen (6.53) basieren, sind deswegen so attraktiv, weil die Solarenergiedirekt in chemische Energie umgewandelt wird, die sich speichern und transportie-ren lässt. Damit sind die Standortnachteile von Heliostaten nicht so gravierend wiein den Fällen, in denen die Solarenergie zunächst in elektrische Energie umgewandeltwird, wobei die Umwandlung in einem den Heliostaten angeschlossenem Kraftwerkgeschieht. Erst weitere Entwicklungsarbeiten werden zeigen, ob sich die vorgeschlage-nen Verfahren zur direkten Wandlung in chemische Energie auch technisch realisierenlassen.

2. Der Parabolschüsselkonzentrator.Dieser Spiegelkonzentrator besteht aus einem einzigen Parabolspiegel mit kreisförmi-gen Umfang, wie er in Abb. 6.23 dargestellt ist. Im Brennpunkt dieses Spiegels befindetsich der Absorber. Dadurch werden im Absorber sehr hohe Temperaturen erzielt, dieauf Wasserstoff- oder Heliumgas übertragen werden. Die heißen Gase mit einer Tem-peratur von ca. 900K treiben sehr oft einen Stirling-Motor (Heißluftmotor) an, der aneinen elektrischen Generator gekoppelt ist. Wegen der hohen Temperaturen erreichteine derartige Anlage einen Wirkungsgrad ηWd ≈ , bei der Wandlung in elektri-sche Energie. Bei einem Spiegeldurchmesser dL = m lassen sich damit elektrischeLeistungen von bis zu ⋅ kWh ⋅ a− erzielen, und das ist etwa doppelt so viel wiesich unter sonst gleichen Bedingungen (senkrechter Sonneneinfall) mithilfe der Foto-

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6.4 Die Solarenergie: Lichtkonzentratoren 195

Abb. 6.23 Der prinzipielleAufbau eines Parabolschüssel-konzentrators, der aus einemausrichtbaren Parabolspie-gel und einem Absorber imBrennpunkt dieses Spiegelsbesteht

voltaik erzielen ließe. Allerdings ist die Technik, mit welcher der Spiegel immer zurSonne ausgerichtet wird, auch viel komplizierter und wartungsbedürftiger. MöglicheAnwendungen ergeben sich in sonnenreichen Gegenden, die ohne Anschluss an einelektrisches Netz sind, aber über genügend Infrastruktur zur Bewältigung der tech-nischen Anforderungen verfügen. Ansonsten sind ähnliche, aber technisch nicht soaufwändige Anlagen auch als Kochstellen in den sonnenreichen Ländern vorgeschla-gen worden, in denen ein akuter Mangel an Feuerholz besteht.

3. Der Parabelrinnenkonzentrator.Der Parabelrinnenkonzentrator konzentriert das Sonnenlicht in nur eine Richtung undbesitzt daher eine wesentlich geringere Konzentration als die beiden davor behandeltenKonzentratortypen. Dementsprechend besitzt der Spiegel nicht mehr einen kreisförmi-gen Umfang, sondern hat die Form einer langgestreckten Rinne mit parabelförmigenQuerschnitt, wie in Abb. 6.24 dargestellt. Der Vorteil dieser Konstruktion ist, dass dieAusrichtung des Spiegels nur in eine Richtung erfolgen muss. Dann wandert das Bildder Sonne auf der Brenngeraden parallel zur Rinnenoberfläche, wenn die andere Achseder Rinne auf den Sonnenzenith fest ausgerichtet wurde. Der Absorber besteht daheraus einem Rohr in der Brenngeraden des Rinnenspiegels. In dem Absorber wird einThermoöl auf Temperaturen von bis zu 600K erhitzt. Die thermische Energie wird mitdem Öl über einen Wärmetauscher an Wasserdampf übertragen und dann in einemKraftwerk in elektrische Energie umgewandelt.Die meisten Anlagen befindet sich in den USA und Spanien, ihre installierte elektri-sche Leistung betrugen 2011 jeweils ca. ⋅ kWh ⋅ a−. Nehmen wir als Beispiel diespanische Anlage „Andasol“: Sie erzeugt auf einer Fläche von ca. , ⋅ m eine elek-trische Leistung von ca. , ⋅ kWh ⋅ a−, was einem Nutzungsgrad ζWd ≈ , undeinem Wirkungsgrad ηWd ≈ , entspricht. Diese Anlage ist seit 2009 in Betrieb,sie besitzt einen thermischen Energiespeicher (siehe Abschn. 8.2.1 zum Tag-/Nacht-ausgleich), und speist seither ihre Energie in das spanische Elektrizitätsnetz ein. DieGesamtfläche der Anlage ist allerdings 4mal größer als die Spiegelfläche. Insgesamt ge-

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196 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.24 Der prinzipielleAufbau eines Parabelrinnen-konzentrators, der aus einerparabelförmigen Spiegelrinnebesteht, die sich nur um eineAchse parallel zur Erdober-fläche ausrichten lässt. DerAbsorber befindet sich auf derBrenngeraden des Spiegels

Tab. 6.6 Die wichtigen Parameter von Lichtkonzentratoren

TypischeTemperaturT (K)

TypischeKonzentrationc

GeschätzterNutzungsgradζWd

Standorte

Heliostat 1000–4000 1000 0,2 Spanien, USA,China

Parabolschüssel-konzentrator

900 2000 0,1 sonnenreicheRegionen

Parabelrinnen-konzentrator

600 100 0,2 Spanien, USA

sehen ist dies aber ein Verfahren, das sich praktisch bewährt hat und einen wesentlichhöheren Wirkungsgrad besitzt als die Fotovoltaik. Der Nachteil ist, das es nur in Län-dern mit einem hohen Anteil an direkter Sonnenstrahlung eingesetzt werden kann underst dann einen merklichen Beitrag zur Energieversorgung der Welt leisten wird, wenndie Probleme der Energiespeicherung, auch über längere Zeiten, und des Energietrans-ports gelöst sind.

Aus diesen Gründen ist es auch nur schwer möglich, die Größe des Beitrags zurEnergieversorgung zu prognostizieren, der von Lichtkonzentratoren in derMitte des21. Jahrhunderts kommen kann. Er wird wahrscheinlich nicht größer sein als der,den man von der Fotovoltaik erwarten darf.

Diese, unsere Einschätzung resultiert aus der bereits erwähnten Bedingung, dass dieAufstellung und der Betrieb von großen Anlagen mit Lichtkonzentratoren die Existenzeiner technischen Infrastruktur voraussetzt, die in vielen Ländern, in denen sich die Auf-stellung lohnte, nicht vorhanden ist.

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6.4 Die Solarenergie: Lichtkonzentratoren 197

Die wichtigsten Parameter10 der behandelten Lichtkonzentratoren sind noch einmal inder Tab. 6.6 zusammengestellt. Der Heliostat ist erst dann interessant, wenn sich die hohenTemperaturen im Absorber erreichen lassen und damit Solarenergie direkt in chemischeEnergie umgewandelt werden kann, wie es auch in der Fotosynthese geschieht, allerdingsmit sehr viel kleineremNutzungsgrad. Neben der Konstruktion des Absorbers, der bei denerforderlichen Temperaturen thermisch und mechanisch stabil bleiben muss, ist die Aus-legung der Spiegelelemente von großer Bedeutung.

6.4.1 P-Ebene: Die optischen Eigenschaften von Linsen und Spiegeln

Das entscheidende Element in einem Lichtkonzentrator ist der Spiegel oder die Linse, mitderen Abbildungseigenschaften wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen wollen.

Spiegel und Linse als LichtkonzentratorWir werden zunächst den theoretischen, maximal möglichen Grenzwert c()max der Licht-konzentration eines Flächenkonzentrators berechnen. Dieser ergibt sich aus der Energie-erhaltung, wenn die Strahlungsintensität der Sonnemit derOberflächeA⊙ = π r⊙ auf eineim Sonnenmittelpunkt zentrierte Kugelfläche mit Abstand d fällt. Ist d > r⊙, so wird dieIntensität reduziert auf einen Wert Id = I⊙ (r⊙/d). Ein Flächenkonzentrator kann dieseReduktion im günstigsten Fall rückgängig machen, das heißt für die maximale Lichtkon-zentration ergibt sich

c()max = (dr⊙)

. (6.54)

Das konzentrierte Licht fällt auf einen Absorber, der imGrenzfall ein thermisches Gleich-gewichtmit der Sonne erreicht.Das bedeutet, er verhält sichwie ein schwarzerKörper, derdie gleiche Energiemenge, die er von der Sonne erhält, auch an diesewieder zurückgibt unddessen Temperatur daher gleich der Sonnentemperatur ist: Ta = T⊙. Die Beziehung 6.54gilt für einen Flächenkonzentrator, bei dem die Konzentration in 2 Dimensionen erfolgt.Erfolgt dieKonzentration nur in einerDimensionmithilfe eines Linienkonzentrators, danngilt entsprechend

c()max =

c()max =dr⊙

. (6.55)

Wir nehmen jetzt an, dass sich die Erde im Abstand d vom Sonnenmittelpunkt befindet.Aus der Geometrie des Erde-Sonne-Systems, wie es in Abb. 6.25 dargestellt ist, ergibt sich

dr⊙=

sin Φ⊙

. (6.56)

10 In Abschn. 6.5 lernen wir, dass wegen der Leistungsverluste derWirkungsgrad mit steigender Ab-sorbertemperatur abnimmt und relativ um so weniger Leistung dem Absorber entnommen werdenkann, je höher seine Temperatur ist.

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198 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.25 Die geometrischenVerhältnisse bei der Betrach-tung der Sonne von der Erdeaus d ErdeSonne

.r.

DerWinkel Φ⊙ = ,° ist derWinkel, unter dem wir die Sonnenscheibe von der Erde aussehen. Daher erhalten wir

c()max = , c()max = .. (6.57)

Dies sind die maximalen Lichtkonzentrationen, die ein Linienkonzentrator bzw. ein Flä-chenkonzentrator auf der Erde erreichen können.

Aber natürlich erreicht ein technischer Flächenkonzentrator diesenWert nur in den sel-tensten Fällen, seine Konzentration ist meistens geringer. Sie ergibt sich aus der Oberflächedes Konzentrators Ae und der Oberfläche des Absorbers Aa zu

c() =Ae

Aa= xc()max mit x ≤ . (6.58)

Für einen Linienkonzentrator gilt entsprechend

c() = xc()max. (6.59)

Wie groß ist die Verringerung der maximal möglichen Konzentration aufgrund des Vor-faktors x?

Der Wert des Vorfaktors x ergibt sich aus den Eigenschaften der optischen Abb. 6.26,die wir mithilfe des Schnitts durch eine bikonvexe Linse diskutieren wollen. Das Ergeb-nis dieser Diskussion gilt aber auch für die Abbildung mithilfe eines Parabolspiegels. Diewichtigen Parameter einer bikonvexen Linse sind ihre Brennweite f und ihr DurchmesserdL. Diese beiden Linsengrößen definieren die Blendenzahl

z =fdL

. (6.60)

Ein Gegenstand, zum Beispiel die Sonne, mit Abstand d ≈ ∞ von der Linse wird in dieBrennebene der Linse abgebildet. Dabei ergibt sich die Bildgröße B in dieser Ebene zu

B ≈ f sin Φ⊙, (6.61)

wie ersichtlich ist aus der Abb. 6.26. Die Fläche des Empfängers, also der Linse, beträgtAe = (π d

L)/, die des Absorbers, also des Bilds, Aa = (πB)/. Daraus ergibt sich eine

tatsächlich erzielte Konzentration von

c() = (dLB)

= (

z)

c()max also x =

z

. (6.62)

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6.4 Die Solarenergie: Lichtkonzentratoren 199

Abb. 6.26 Der Strahlengangvon Parallelstrahlen durch einebikonvexe Linse. Das Bild Bdes Gegenstands befindet sichin der Brennebene der Linse f

B dL..

Die gleiche Beziehung gilt auch dann, wenn wir anstelle der Linse einen Parabolspiegelbetrachten. Ummöglichst hohe Temperaturen im Absorber zu erreichen, darf dessen Aus-dehnung nicht viel größer als B ≈ , f sein, auch dies ist eine schwer zu erfüllendeBedingung.

Das Ergebnis (6.62) besagt, dass c() = c()max nur dann, wenn z = , ist, also die Brenn-weite der Linse oder des Spiegels halb so groß ist wie der Durchmesser von Linse oderSpiegel. Das ist meistens nicht der Fall und daher ist die Lichtkonzentration geringer alstheoretisch möglich. Zum Beispiel sind in der Abb. 6.27 zwei Fälle gezeigt, in denen z ≈ ist. Dies würde eine Konzentration c() ≈ . ergeben. Allerdings müssen dafür dieoptischen Instrumente ohne Abbildungsfehler sein, was praktisch nie der Fall ist: Es istschwierig, einen vollkommenen Parabolspiegelmit einemDurchmesser von dL = mher-zustellen. Insbesondere ist es schwierig, die Bedingung z = , mit einem Heliostaten zuerfüllen, bei dem der Parabolspiegel durch viele kleine planare Spiegel ersetzt wird. Dahersind die erreichbaren Konzentrationen immer kleiner als durch (6.62) gegeben, sie errei-chen nur die typischen Werte in der Tab. 6.6.

Ist die Blendenöffnung des Spiegels dL von ähnlicher Größe wie seine Brennweite f ,kann der Parabolspiegel durch einen leichter zu fertigenden sphärischen Spiegel ersetztwerden, ohne dass die Abbildungsfehler übermäßig ins Gewicht fallen. Die geometrischenVerhältnisse für eine sphärische Linse und einen sphärischen Spiegel sind in der Abb. 6.27dargestellt. Die Brennweite der bikonvexen Linse ergibt sich aus dem Krümmungsradius

r

rn

ndL

f

r

r

dL

f

a b

Abb. 6.27 a Schnitt durch einen Linsenkonzentrator mit der Brennweite f = r/((n − )), wobei ndie Brechzahl des Linsenmaterials ist. b Schnitt durch einen Spiegelkonzentrator mit der Brennweitef = r/

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200 6 Die erneuerbaren Energien

r der Linsenoberfläche zuf =

r(n − )

, (6.63)

wobei n die Brechzahl des Linsenmaterials ist. Ein sphärischer Spiegel hat die Brennweite

f =r, (6.64)

wenn die Spiegeloberfläche den Krümmungsradius r besitzt.

6.5 Die Solarenergie: Thermische Solarzellen

In der thermischen Solarzelle wird die Solarenergie ohne Lichtkonzentration in Wärme-energie umgewandelt und daher sind solche Zellen technisch wesentlich einfacher: Siebestehen eigentlich nur aus dem Absorber. Aber auch thermische Solarzellen sind, wie dieLichtkonzentratoren, auf die direkte Komponente der Sonnenstrahlung angewiesen. Da-her bietet die Installation thermischer Solarzellen nur in den Gegenden einen Vorteil, indenen die Sonne sehr oft scheint, wie zum Beispiel in Israel, wo thermische Solarzellen fastauf jedem Haus anzutreffen sind.

Da der Lichtkonzentrator fehlt, muss die thermische Solarzelle eine entsprechend großeFläche Aa = Ae besitzen. Dies hat zur Folge, dass die Temperaturen im Absorber nur Wer-te um Ta ≈ K erreichen. Der Grund ist, dass eine große Absorberfläche nach (6.74)auch verantwortlich ist für einen weitaus höheren Leistungsverlust als wir ihn bei denLichtkonzentratoren finden. Diese Leistungsverluste bewirken auch, dass der Wirkungs-grad thermischer Solarzellen mit wachsender Absorbertemperatur Ta immer kleiner wirdund bei einer bestimmten Temperatur Ta,max den Wert ηWd = erreicht. Auf der P-Ebenewerden wir die physikalischen Grundlagen für dieses Verhalten untersuchen.

Damit die Absorbertemperatur überhaupt Werte Ta > T erreicht, wobei T die Um-gebungstemperatur ist, müssen die Leistungsverluste soweit als möglich reduziert werden.Man verwendet dazu ein Verfahren, das auch die Erde verwendet, um die Umgebungs-temperatur auf einen mittleren Wert T ≈ °C (288K) einzustellen, und das unter demNamen „Treibhauseffekt“ bekannt ist. Der Treibhauseffekt ist wirksam, wenn thermischeSolarzellen die folgenden zwei Bedingungen erfüllen:

• Die Solarenergie wird mithilfe eines Absorbers in Wärmeenergie umgewandelt, der dieEigenschaften eines schwarzen Körpers besitzt.

• Die vom Absorber emittierte Wärmestrahlung muss mithilfe selektiv beschichteterDeckplatten wieder auf den Absorber zurück reflektiert werden.

Selektiv beschichtet bedeutet hier, dass dieDeckplatte für die Sonnenstrahlung imWel-lenlängenbereich λ⊙ transparent ist, das heißt, ein Transmissionsvermögen T(λ⊙) = besitzt. Die Wärmestrahlung vomAbsorber imWellenlängenbereich λa muss aber von der

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6.5 Die Solarenergie: Thermische Solarzellen 201

Ver

gen

A,R

sichtbar infrarot

Absorber (T( ) = 0)

Ver

gen

R,T

sichtbar infrarot

Deckplatte

A( ) R( ) T( ) R( )

(A( ) = 0)

a b

Abb. 6.28 Das ideale Absorptions-, Reflexions- und Transmissionsvermögen für den Absorber (a)und dieDeckplatte (b) einer thermischen Solarzelle. DerWellenlängenbereich λ⊙ ist „sichtbar“,Wel-lenlängenbereich λa ist „infrarot“

Deckplatte vollständig reflektiert werden, das heißt, die Deckplatte muss für diese Wel-lenlängen ein Reflexionsvermögen R(λa) = besitzen. Damit der Absorber in diesemWellenlängenbereich erst gar keine Strahlung emittiert, sollte er sich für λa nicht wie einschwarzer Körper verhalten. Dies ist dann gewährleistet, wenn sein ReflektionsvermögenR(λa) = beträgt.

Deckplatte und Absorber müssen daher mit ihren Eigenschaften aufeinander angepasstsein. Diese Eigenschaften müssen sich für λ⊙ und λa so verhalten, wie es für den Idealfallin der Abb. 6.28 dargestellt ist. Dabei muss für jeden der Wellenlängenbereiche die funda-mentale Beziehung (6.8) erfüllt sein, das heißt, es muss gelten

R(λ) + A(λ) + T(λ) = . (6.65)

Gibt esMaterialien für denAbsorber unddieDeckplatte, die dieseAnforderungen erfüllen?In der Tab. 6.7 sind die gängigsten Materialien aufgeführt, die in thermischen Solarzellenverwendet werden. Offensichtlich existieren die idealen Materialien nicht, alle Materialienbesitzen ein Absorptionsvermögen A(λ), ein Transmissionsvermögen T(λ) und ein Re-flexionsvermögen R(λ), welche die idealen Werte nur genähert erreichen. Insbesondereerkennen wir, dass Fensterglas kein besonders geeignetes Material für die Deckplatte ist,obwohl es häufig verwendet wird, zum Beispiel in Gewächshäusern.

Der prinzipielle Aufbau einer thermischen Solarzelle ergibt sich aus der Forderung, denTreibhauseffekt zu nutzen. Dieser Aufbau ist in der Abb. 6.29 gezeigt. Er besteht aus demflachen Absorber und k Deckplatten, die sich sonnenseitig parallel vor dem Absorber be-finden und die das Sonnenlicht mit dem durch (6.16) gegebenen TransmissionsvermögenTk(λ⊙) hindurchlassen. In dem Absorber wird die restliche Solarenergie mit dem durch(6.18) gegebenen Absorptionsvermögen A(λ⊙) inWärme umgewandelt. Da das Sonnen-licht nur von der Vorderseite auf den Absorber fällt, muss die Rückseite des Absorbersgegen den Leistungsverlust PV an die Umgebung geschützt sein. Dieser Leistungsverluststellt eine der Ursachen für die Temperaturabhängigkeit des Wirkungsgrads einer thermi-schen Solarzelle dar.

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202 6 Die erneuerbaren Energien

Tab. 6.7 Eigenschaften der gängigen Materialien für den Absorber und die Deckplatte von thermi-schen Solarzellen

Material Sichtbar InfrarotA(λ) T(λ) R(λ) A(λ) T(λ) R(λ)

AbsorberSchwarznickel 0,88 0 0,12 0,07 0 0,93Schwarzchrom 0,87 0 0,13 0,09 0 0,91Aluminiumgitter 0,70 0 0,30 0,07 0 0,93TiON 0,95 0 0,05 0,05 0 0,95DeckplatteGlas (InO) 0,10 0,85 0,05 0,15 0 0,85Glas (ZnO) 0,20 0,79 0,01 0,16 0 0,84Fensterglas 0,02 0,97 0,01 0,94 0 0,06

DeckplatteDeckplatte

..Kuhlmittel

Absorber

Isolation

Sonnenlicht

Abb. 6.29 Der prinzipielle Aufbau einer thermischen Solarzelle. Das Sonnenlicht fällt von obendurch zwei Deckplatten auf den Absorber, wo es in thermische Energie umgewandelt und vomKühl-mittel wegtransportiert wird. Damit die Leistungsverluste gering sind, ist der Absorber thermischgegen seine Umgebung isoliert

Betrachten wir zunächst den Idealfall PV = . Es wird eine vom Breitengrad des Stand-orts abhängigemaximale Sonnenintensität Imax eingestrahlt, die einer von der thermischenSolarzelle empfangenen Leistung Pmax = Aa Imax entspricht. Der Absorber kann diese Leis-tung mit einem maximalenWirkungsgrad

ηmax =P

Pmax(6.66)

inWärmeleistung P umwandeln. Im Idealfall wird der Leistungsverlust ausschließlich ver-ursacht durch das Transmissionsvermögen Tk(λ⊙) der Deckplatten und das Absorptions-vermögen A(λ⊙) des Absorbers:

ηmax = Tk(λ⊙)A(λ⊙). (6.67)

Page 210: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.5 Die Solarenergie: Thermische Solarzellen 203

Abb. 6.30 Die Temperaturab-hängigkeit des Wirkungsgradseiner thermischen Solarzelle,die von drei verschiedenenSonnenintensitäten Imaxbestrahlt wird. Die Tempe-raturdifferenz besteht zwischender Absorbertemperatur T undder Umgebungstemperatur T Temperaturdifferenz T−T ( C)o

0

maxI = 1300 kWh a m−1 −2

I = 6500 kWh a mmax−1 −2

maxI = 3250 kWh a m−1 −2

30

0.8

0.6

0.4

0.2

60 90 120

Wir

kun

gsg

rad

W

d

Ein Blick auf Tab. 6.7 lehrt uns, dass ηmax in jedem Fall nicht größere Werte als ηmax = ,erreicht. Mit steigender Absorbertemperatur wird der tatsächliche Wirkungsgrad wegender zusätzlichen Leistungsverluste immer kleiner. Das heißt, die tatsächlich im Absorbergewandelte Wärmeleistung beträgt

P = ηmaxPmax − PV, (6.68)

oder der tatsächliche Wirkungsgrad beträgt

ηWd =P

Pmax= ηmax −

PVAaImax

. (6.69)

Wie stark der Leistungsverlust auf den Wirkungsgrad ηWd einer thermischen Solarzellewirkt, das hängt also von der Sonnenintensität ab, die sich mit dem Standort der Zelleverändert, siehe Abb. 6.3. Diese und die Abhängigkeit von der Absorbertemperatur sind inder Abb. 6.30 dargestellt. InDeutschland könnenwir während der Sonnenscheindauermiteiner Sonnenintensität von Imax ≈ kWh ⋅a− ⋅m− rechnen. Das bedeutet, in einfachenthermischen Solarzellen erreicht der Absorber keine größeren Temperaturdifferenzen zurUmgebung als Ta,max − T ≈ °C (30K). Dies lässt sich natürlich verbessern und aufwelche Weise diese Verbesserung erreicht wird, darauf werden wir im nächsten Abschnitteingehen.

Obwohl thermische Solarzellen nur den Bedarf an thermischer Energie decken, sollteihre Bedeutung nicht unterschätzt werden. Denn laut Abb. 3.6 wird etwa 34% der demAbnehmer gelieferten Endenergie in Raumwärme umgewandelt. Die Bereitstellung vonRaumwärme geschieht heute noch fast ausschließlich aus Primärenergie und dies ist,darauf ist in Abschn. 2.3 hingewiesen worden, ein sehr verschwenderischer Umgang mitPrimärenergie. Thermische Solarzellen könnten diese Aufgabe übernehmen und damitca. 30% des zukünftigen Primärenergiebedarfs decken. Allerdings nur unter der Voraus-setzung, dass ein genügend großer Wärmespeicher zur Verfügung steht. Denn das ist daseigentliche Problem: Thermische Solarzellen wandeln Solarenergie in Wärme nur zu Zei-ten und an Orten mit direkter Sonneneinstrahlung, wo diese Energieform am wenigstenbenötigt wird. Daher ist es offensichtlich effizienter, den Bedarf an Raumwärme durchentsprechende Gebäudekonstruktionen zu reduzieren, also den Energiebedarf in diesemSektor möglichst einzusparen, siehe Abschn. 10.1.

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204 6 Die erneuerbaren Energien

Der Einsatz thermische Solarzellen beschränkt sich auf den Sonnengürtel der Erdeund erfordert große Wärmespeicher. Ihr Anteil an einer zukünftigen Energieversor-gung ist als eher gering einzuschätzen, da geeignete Energiesparmaßnahmen einebessere Alternative bieten.

6.5.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen thermischer Solarzellen

Thermische Solarzellen besitzen nur einen beschränkten Anwendungsbereich, der durchihre einfache Konstruktion bedingt ist. Die Gründe dafür wollen wir uns jetzt klar machen.

DerWirkungsgrad thermischer SolarzellenEin Körper, zum Beispiel der Absorber einer thermischen Solarzelle, mit der TemperaturT > T verliert thermische Energie an seine Umgebung. Für diesen Wärmeverlust sindfolgende Prozesse verantwortlich:

1. Wärmestrahlung,2. Wärmeleitung,3. Wärmekonvektion.

Der dritte Prozess ist immer mit einem Massetransport verbunden. Er wird benutzt, ummithilfe des Kühlmittels die Wärme aus dem Absorber zum Abnehmer zu transportieren.Auf diesem Prozess basiert daher das Funktionsprinzip einer thermischen Solarzelle, wäh-rend die beiden anderen Prozesse nur einen Leistungverlust PV der Zelle bewirken undmöglichst klein gehalten werden sollten. Wie kann das geschehen?

Der Leistungsverlust durch Wärmestrahlung ist gegeben durch die spektrale Intensi-tätsverteilung SK(λ,T), die ein beliebiger Körper mit Temperatur T abstrahlt. Für dieseIntensitätsverteilung gilt das Kirchhoff’sche Gesetz

SK(λ,T) = A(λ)SSK(λ,T), (6.70)

das SK(λ,T) mit der spektralen Intensitätsverteilung SSK(λ,T) eines schwarzen Körpers(siehe (6.3)) verknüpft. Mit A(λ) wird das Absorptionsvermögen des beliebigen Körperscharakterisiert, das heißt, dieser Körper bleibt dann ohne Leistungsverlust durch Abstrah-lung, wenn

A(λ) ≡ (6.71)

ist. Eine hinreichende Bedingung dafür ist ein Reflexionsvermögen R(λ) ≡ , denn für alleKörper muss stets die Gleichung

A(λ) + T(λ) + R(λ) = (6.72)

Page 212: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.5 Die Solarenergie: Thermische Solarzellen 205

Abb. 6.31 Die Abhängig-keiten des Wirkungsgradsthermischer Solarzellen vonder Temperaturdifferenz T −T

und der Sonnenintensität Imaxbei einer Deckplatte (voll), beimehreren Deckplatten (gestri-chelt) und beim Vakuumeinbau(gepunktet) 1

0.8

0.6

0.4

0.2

0.015 0.03 0.045

0 max(T−T )/I (K a m kWh )

Wir

kun

gsg

rad

W

d

2 −

erfüllt sein. Ist in einem gewissen Wellenlängenbereich R(λ) ≡ , so ist in demselbenWellenlängenbereich A(λ) = T(λ) ≡ , das heißt, bei diesen Wellenlängen emittiert derKörper keine Wärmestrahlung. Er verhält sich also nicht wie ein schwarzer Körper. DerAbsorber einer thermischen Solarzelle sollte imWellenlängenbereich λa diese Eigenschaftbesitzen.

Der Leistungsverlust durchWärmeleitung beruht auf der Eigenschaft aller Körper,mehroder minder gut die Wärme von einem Ort hoher Temperatur T zu einem Ort niedrigererTemperatur T zu leiten. Diese Eigenschaft wird gekennzeichnet durch den Wärmever-lustkoeffizienten kV, der wiederum von derWärmeleitfähigkeit Λ und der Schichtdicked des Materials abhängt, durch das die Wärmeleitung erfolgt:

kV =Λd. (6.73)

Der Leistungsverlust, den dadurch der Absorber einer thermischen Solarzelle erleidet, er-gibt sich zu

PV = kVAa(T − T), (6.74)

wobei Aa die effektive Oberfläche des Absorbers ist, durch welche die Wärme am stärks-ten abgeleitet wird. Zwischen dem Absorber und den Deckplatten befinden sich in vielenZellen eine Luftschicht und Luft besitzt nur eine geringeWärmeleitfähigkeit. Auf der Rück-seite des Absorbers befindet sich eine Isolationsschicht, deren Wärmeleitfähigkeit durchdie richtige Materialwahl noch stärker reduziert werden kann. Man darf annehmen, dassin einer normalen thermischen Solarzelle mit nur einer Deckplatte der Wärmeverlustko-effizient von der Größe

kV ≈ W ⋅K− ⋅m− (6.75)

ist. Dann ergibt sich nach den Gleichungen (6.69) und (6.74) derWirkungsgrad einer ther-mischen Solarzelle zu

ηWd = ηmax − kVT − T

Imax. (6.76)

Die Abhängigkeiten von T − T und von Imax sind in der Abb. 6.31 dargestellt, sie zeigenuns, dass sich thermische Solarzellen auf den Breitengraden nur beschränkt verwenden

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206 6 Die erneuerbaren Energien

Tab. 6.8 Die wichtigsten Parameter verschiedener Typen von thermischen Solarzellen, ihr Herstel-lungsaufwand und ihr Anwendungsgebiet

ηmax kV(W ⋅K− ⋅m−)

T − T(°C)

Aufwand derHerstellung

TypischeAnwendung

Einfachabsorber 0,92 12–17 0–30 Klein Freibad1 Deckplatte 0,80–0,85 5–7 20–80 Mittel Warmwasser2 Deckplatten 0,65–0,70 4–6 20–80 Mittel Warmwasser3 Deckplatten 0,75–0,81 3,3–4,0 20–80 Mittel Warmwasser,

RaumheizungVakuum-Flachab-sorber

0,72–0,80 2,4–2,8 50–120 Groß Warmwasser,Raumheizung

Vakuum-Röhren-absorber

0,64–0,80 1,5–2,0 50–120 Sehr groß Warmwasser,Raumheizung

lassen, auf denen Deutschland liegt, weil hier der Wirkungsgrad sehr rasch mit der Tem-peraturdifferenz T − T abnimmt.

Höhere Wirkungsgrade unter sonst gleichen örtlichen Gegebenheiten sind möglich,wenn der Wärmeverlustfaktor kV verringert wird. Dafür gibt es prinzipiell zwei Möglich-keiten:

• Vergrößerung der Anzahl k vonDeckplatten.Dadurch wird aber das Transmissionsvermögen Tk(λ⊙) verringert und damit der ma-ximale Wirkungsgrad ηmax.

• Verringerung der Wärmeleitfähigkeit der Isolation durch Vakuumeinbau.Hierbei muss in der Regel die Dicke der oberen Deckplatte vergrößert werden, weil siejetzt dem Luftdruck standhalten muss. Auch dies hat wiederum eine noch größere Re-duktion des Transmissionsvermögens und damit von ηmax zur Folge. Außerdem ist derVakuumeinbau aufwändig und entsprechend teuer. Die mit diesen beiden Maßnahmenzu erzielenden Verbesserungen im Wirkungsgrad ηWd sind in Abb. 6.31 gezeigt. Wei-terhin befindet sich in Tab. 6.8 eine Zusammenfassung über die wichtigsten Parameterund die Einsatzgebiete von thermischen Solarzellen inDeutschland. Verglichenmit derFotovoltaik ist der maximal erreichbare Wirkungsgrad ηmax groß, was thermische So-larzellen sehr attraktiv macht. Auf die Nachteile, die bei der praktischen Anwendungdieser Zellen auftreten, haben wir bereits im vorigen Abschnitt hingewiesen, sie betref-fen die Notwendigkeit eines Wärmespeichers.

6.6 Die Strömungsenergie: Verfügbarkeit

Nach Abb. 4.15 wird etwa 1% der auf die Erde eingestrahlten Solarenergie in Strömungs-energie umgesetzt. Diese Energiemenge ist, verglichen mit dem prognostizierten Primär-

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6.6 Die Strömungsenergie: Verfügbarkeit 207

energiebedarf des Jahrs 2050 von P() ≈ ⋅ kWh ⋅ a− immer noch gewaltig, dennsie beträgt

P = , ⋅ kWh ⋅ a− ≈ P(). (6.77)

Allerdings lässt sich nur ein ganz geringer Bruchteil von P für unsere Versorgung mit Pri-märenergie verwenden. Warum das so ist, das ist das Thema der folgenden Abschnitte.

Die aus der Solarenergie gewandelte Strömungsenergie auf der Erde steckt in Wesentli-chen in den

• Luftströmungen,• Meeresströmungen,• Meereswellen.

Dabei handelt es sich in allen Fällen um kinetische Energie, das heißt, durch die Strömungwird Masse bewegt. Meeresströmungen an der Oberfläche und Meereswellen entstehendurch die Wechselwirkung von Luftströmungen mit der Meeresoberfläche, sie sind alsosekundärer Natur. Tiefe Meereströmungen haben eine andere Ursache, da sie aber für eineEnergieversorgung nicht zur Verfügung stehen, werden wir uns mit diesen Ursachen nichtweiter beschäftigen. Die in von (6.77) angegebene Strömungsenergie ist daher primär inden Luftströmungen zu finden.

Darüber hinaus existieren aber eine Reihe von weiteren Wasserströmungen, deren Ur-sache nicht die Wechselwirkung mit den Luftströmungen ist. Die eigentliche Ursache fürihre Existenz ist dieGravitationskraft zwischen Massen. Da sind zum einen die Fließwas-ser, die durch Unterschiede in der potenziellen Energie das Wassers entstehen. Dadurchwerden Flüsse, Bäche, etc gebildet, oder es werden Fallrohre gebaut, in denen das Wasserunter dem Einfluss der Gravitationskraft von einem höheren zu einem tieferen Standortströmt. Mit der Strömung erreicht dasWasser die Strömungsgeschwindigkeit v , welche dieEnergiedichte wkin bestimmt, die in der Strömung enthalten ist:

wkin = ρmv

, (6.78)

wobei ρm = Δm/ΔV dieMassendichte der strömenden Masse Δm mit dem Volumen ΔVist. Luft- und Wasserströmungen unterscheiden sich sowohl durch die Werte von ρm wieauch von v .

Betrachten wir zum Beispiel eine Meeresströmung in flachem Wasser, also in küste-nahen Regionen, in denen Anlagen zur Energiewandlung aufgebaut werden könnten. Füreine derartige Wasserströmung gilt:

ρm = ⋅ kg ⋅m− v ≈ ⋅ − m ⋅ s−

ergibt Energiedichte wkin ≈ , ⋅ − kWh ⋅m− .(6.79)

Page 215: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

208 6 Die erneuerbaren Energien

Sud..

Winter Winter

60 3030 0oo o60Geografische Breite

960

970

980

990

950

Lu

ftd

ruck

(m

bar

)

Sommer SommerNord

o o

Abb. 6.32 Die Werte des mittleren Luftdrucks auf der Nord- und Südhalbkugel der Erde zur Som-merzeit und zurWinterzeit. Die Angabe der Jahreszeit bezieht sich auf die entsprechendeHalbkugel,wenn also auf der Nordhalbkugel Sommer ist, dann ist auf der Südhalbkugel Winter

Dagegen müssen Luftströmungen, damit sie in andere Energieformen gewandelt werdenkönnen, folgende Anforderungen erfüllen:

ρm = , kg ⋅m− v = m ⋅ s−

ergibt Energiedichte wkin = , ⋅ − kWh ⋅m− .(6.80)

Da die Energiedichte der Meeresströmung im Flachwasser etwa 1000mal geringer ist alsdie der Luftströmung, kommen erstere wegen ihrer geringen Strömungsgeschwindigkeitennicht für eine Energieversorgung in Betracht. Die Strömungsgeschwindigkeit im Fließwas-ser ist dagegenmeist sehr viel höher unddasmacht sie geeignet für eine Energieversorgung.Aber auch im küstenahen Meer existieren Strömungen mit hohen Geschwindigkeiten, dieGezeiten, deren Ursache ebenfalls die Gravitationskraft ist. Auf die Möglichkeit, die Ge-zeitenströmungen für eine Energieversorgung zu nutzen, kommen wir in Abschn. 6.10zurück.

Bei den Meereswellen handelt es sich, obwohl der Beobachter eine Strömung zu erken-nen glaubt, nicht um eine lineare Strömung, sondern um eine phasenverschobene Was-serzirkulation, mit der wir uns in Abschn. 6.9 beschäftigen. Tatsächlich ist die Zirkulati-onsgeschwindigkeit etwa um zwei Größenordnungen stärker, als in (6.79) angegeben, unddaher können auch Meereswellen im Prinzip für eine Energieversorgung genutzt werden.Meereswellen, wie auch Meeresströmungen, haben ihre Ursache in den Luftströmungenund daher wollen wir uns zunächst mit diesen, das heißt, mit der Entstehung vonWinden,befassen.

Winde entstehen durch regionale Unterschiede im Luftdruck. Der Luftdruck P ist ge-koppelt an die Atmosphärentemperatur T , es gilt nach dem Gesetz über das Verhaltenidealer Gase P ∝ T . Dieser Zusammenhang zwischen Luftdruck und Lufttemperatur istuns sehr geläufig: Aus Erfahrung verbinden wir die Zeiten tiefen Luftdrucks mit kühlenPerioden, also tiefen Temperaturen. Umgekehrt signalisiert uns ein hoher Luftdruck, dasswir warme Zeiten mit hohen Temperaturen erwarten dürfen. Daher bewirkt jeder Tempe-raturunterschied ΔT in der Erdatmosphäre, wie er zum Beispiel zwischen der Nord- und

Page 216: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.6 Die Strömungsenergie: Verfügbarkeit 209

Abb. 6.33 Die vorherr-schendenWindrichtungenauf der Erde. Vom 0. bis zum30. Breitengrad wehen die Pas-satwinde, vom 30. bis zum60. Breitengrad sindWest-winde dominant. Diese Zonewird allerdings häufig vonwandernden Tief- und Hoch-druckgebieten gestört

60

30

Aquator..

30

60

o

o

o

o

Südhalbkugel zu verschiedenen Jahreszeiten vorhanden ist, einen Druckunterschied ΔP.Dieses Verhalten des Luftdrucks ist in Abb. 6.32 dargestellt. Druckdifferenzen in der Atmo-sphäre sind nicht stabil, sondern sie versuchen sich auszugleichen. Der Ausgleich zwischenRegionen verschiedenen Luftdrucks führt zur Entstehung vonWinden.

Wind entsteht, wenn eineKraft auf die Luftmoleküle wirkt, derenUrsache derDruckun-terschied ist. Ändert sich der Luftdruck im Volumen ΔV längs einer Richtung Δx um denWert ΔP, so wird in diesem Volumen eine Kraft

ΔFΔV=

ΔPΔx

(6.81)

auf die Luftmoleküle erzeugt, die den in diesem Volumen vorhandenen Luftmolekülen Δneine gerichtet Geschwindigkeit v gibt und so in diesem Volumen die Energiedichte

wkin =ΔnΔV

Wkin (6.82)

erzeugt, wobei jedes Luftmolekül die kinetischeEnergieWkin besitzt.Man könnte aufgrundvon (6.81) vermuten, dass Luftströmungen immer senkrecht zu den Orten gleichen Luft-drucks, den Isobaren, verlaufen, weil dies die Richtung von ΔP/Δx ist. Dies ist jedoch nichtder Fall. Wegen der Eigenrotation der Erde um ihreMittelpunktachse werden die Luftströ-mungen aus dieser Richtung abgelenkt und folgen den Isobaren, das heißt, sie können denDruckunterschied so nicht ausgleichen. Dabei werden die vorherrschendenWindrichtun-gen durch folgende Regeln festgelegt:

• Auf der Nordhalbkugel liegen– Tiefdruckgebiete links von der Windrichtung,– Hochdruckgebiete rechts von der Windrichtung.

• Auf der Südhalbkugel liegen– Hochdruckgebiete links von der Windrichtung,– Tiefdruckgebiete rechts von der Windrichtung.

Aufgrunddieser Regeln stellt sich ein globalesWindmuster ein, das in derAbb. 6.33 sehrschematisch dargestellt ist. In der Nähe der 30. Breitengrade findet man ein ausgeprägtes

Page 217: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

210 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.34 Die schemati-sche Darstellung der Liniengleicher Windgeschwindig-keiten (in m ⋅ s−) in einemunebenen Gelände. In derküstenahen Region sind dieWindgeschwindigkeiten 2 undm ⋅ s− so bodennah, dass sienicht eingezeichnet wurden

1086

1242

Hochdruckgebiet (subtropischer Hochdruckgürtel), das durch häufige Windstillen ge-kennzeichnet ist (Rossbreiten). In den Breiten von 0° bis zu 30° finden wir eine relativkonstante Luftströmung, die Passatwinde, die auf der Nordhalbkugel aus Nordost, auf derSüdhalbkugel aus Südost kommen. Zu größeren Breiten hin ergeben sich zwei Gebiete,je eines auf der Nord- und Südhalbkugel, mit vorherrschender Windrichtung aus Westen(Westwinddrift). Allerdings wird in diesen Gebieten die dominante Windrichtung durchwandernde Tief- und Hochdruckgebiete oft gestört, die unter Umständen zur Ausbildungvon Stürmen oder Orkanen führen.

Erst durch dieWechselwirkung der Luftströmungenmit der Erdoberfläche, insbesonde-re durch dieReibungmit demErdboden, entsteht eine erdnahe Strömungskomponente vondem Hochdruckgebiet in das Tiefdruckgebiet, die den Druckunterschied zwischen diesenGebieten versucht auszugleichen. Generell ist von Bedeutung, dass wegen der Bodenrei-bung die Windgeschwindigkeit mit der Höhe über dem Boden zunimmt. Und zwar wirdbei einer bestimmten Höhe die Windgeschwindigkeit um so geringer, je größer die Rei-bungsverluste aufgrund der Bodenhindernisse vorher waren. Daher sind im Inland diemittleren Geschwindigkeiten von abländisch gerichteten Winden kleiner als an der Küste,wo die glatte Meeresoberfläche nur zu geringen Reibungsverlusten geführt hat. Eine sche-matische Darstellung dieses Sachverhalts findet sich in der Abb. 6.34.

Für die Entscheidung, ob an einem ausgesuchten Ort und in welcher Höhe eine Wind-kraftanlage errichtet werden kann, sind die Geschwindigkeitsprofile des Winds an diesenOrt ausschlaggebend. Die Windverhältnisse lassen sich durch die Summenhäufigkeitendarstellen. Darunter versteht man die Häufigkeit, mit der die Windgeschwindigkeit in derHöhe h unterhalb eines vorgegebenen Werts v liegt. In der Abb. 6.35 sind die Summen-häufigkeiten für zwei Standorte in Deutschland gezeigt. Die Darstellung links gehört zueinem inländischen Standort, die Darstellung rechts zu einem küstenahen Standort. Wiebereits erwähnt, muss die Windgeschwindigkeit mindestens einen Wert vmin = m ⋅ s−

besitzen, damit sich die Aufstellung einer Windkraftanlage lohnt. Gehen wir von einerHöhe h = m für die Anlage aus, so kann man für einem küstenahen Standort damitrechnen, dass die Windgeschwindigkeit mit 75% Häufigkeit höhere Werte als vmin errei-chen wird. Bei dem ausgesuchten Standort im Inland beträgt diese Häufigkeit nur ca. 25%.Der Bau einer Windkraftanlage mit einer Höhe von 40m würde sich an diesem Standortnicht lohnen. Die Küsteregionen der Erde sind daher besonders geeignet zur Aufstellung

Page 218: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.7 Die Strömungsenergie: Windkraftanlagen 211

Su

mm

enh

aufi

gke

it (

%)

..

20

200..

m Hohe130

8040

4 8 12 16 20

25

50

75

100

Windgeschwindigkeit (m s )−1Windgeschwindigkeit (m s )−1Su

mm

enh

aufi

gke

it (

%)

.. 8040

130m Hohe

..200

20

4 8 12 16 20

25

50

75

100

a b

Abb. 6.35 Die Summenhäufigkeiten der Windgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Höhe füreinen inländischen Standort (a) und einen küstenahen Standort (b) in Deutschland

vonWindkraftanlagen. Im Inland lohnt sich die Aufstellung nur, wenn dafür Standorte aufgrößeren Höhen, also zum Beispiel auf Bergen, zur Verfügung stehen, oder manmuss eineWindkraftanlage mit der entsprechend großen Höhe im Flachland aufstellen.

6.7 Die Strömungsenergie: Windkraftanlagen

EineWindkraftanlage besteht im Prinzip aus einem Turm, der möglichst hoch sein sollte,und einem in der Turmspitze installierten Rotormit einem oder mehreren Flügelblättern,deren Länge r möglichst groß sein sollte. Ist r groß, dann ist auch die Fläche A = π r groß,die der Rotor bei seiner Drehung mit seinen Flägelblättern überstreicht. Die Fläche A isteiner der Parameter, welcher die Leistung bestimmen, die eine Windkraftanlage aus derkinetischen Energie des Winds in andere Energieformen umwandeln kann.

Nach (6.1) ergibt sich die Windintensität bei einer Windgeschwindigkeit v zu

Ikin = v wkin =ρm

v (6.83)

und daraus die Windleistung auf einer Fläche A zu

Pkin = AIkin = Aρm

v . (6.84)

Die Windkraftanlage wandelt diese Leistung mit dem Wirkungsgrad η in die LeistungPWKA um, die anschließend auf einen Generator übertragen und in elektrische Leistung Pumgewandelt wird:

P = ηWd Pkin . (6.85)

Wichtig ist, dass die Leistung PWKA des Rotors allein linear von der Fläche A abhängt undmit der 3. Potenz derWindgeschwindigkeit zunimmt. Die Errichtung einerWindkraftanla-ge lohnt, wegen der starkenAbhängigkeit von v , erst dann, wenn dieWindgeschwindigkeit

Page 219: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

212 6 Die erneuerbaren Energien

0W

irku

ng

sgra

d

0.2

0.4

0.6

Schnelllaufzahl171272

Dreiblattrotor

EinblattrotorZweiblattrotor

physikalische Grenze

Windmuhle..

Abb. 6.36 Die Abhängigkeit des Wirkungsgrads η einer Windkraftanlage von der Schnellaufzahl.Die Windmühle erreicht den maximalen Wirkungsgrad bei einer relativ geringen Umlaufgeschwin-digkeit des Rotors, moderne Windräder drehen sich bei gegebener Windgeschwindigkeit um soschneller, je weniger Flügelblätter der Rotor besitzt

einen minimalen Wert vmin = m ⋅ s− übersteigt. Mit steigender Windgeschwindigkeitnimmt die gewandelte Leistung dann sehr schnell zu und kann bei v > m ⋅ s− so hoheWerte erreichen, dass die Anlage abgeschaltet werden muss, weil sie anderenfalls zerstörtwürde. Aber schon bei Windgeschwindigkeiten ab v ≈ m ⋅ s− wird der Umwandlungs-prozess so gesteuert, dass PWKA den maximal zulässigen Wert nicht übersteigt.

Auf der P-Ebene werden wir berechnen, dass der Wirkungsgrad einer Windkraftanlageaufgrund der Strömungsphysik nicht größer als

ηmax = , (6.86)

sein kann. Die tatsächlich erreichbaren Werte sind immer kleiner, sie hängen über dieSchnelllaufzahl s von der Windgeschwindigkeit und der Anzahl der Flügelblätter des Ro-tors ab, wie es inAbb. 6.36 gezeigt ist. Unter der Schnelllaufzahl verstehtman dasVerhältnisvon der maximalen Umlaufgeschwindigkeit vU des Rotors und der Windgeschwindigkeitv :

s =vUv. (6.87)

Je größer die Schnelllaufzahl, um soweniger Flügelblätter besitzt der Rotor einerWind-kraftanlage.DasMaximumdesWirkungsgrads, dermit einemgegebenenRotortyp erreichtwerden kann, liegt bei

η ≈ ,. (6.88)

DiesermaximaleWirkungsgradwird durch zusätzlicheAnlagekomponenten reduziert, diefür den Betrieb der Anlage und die Umwandlung in elektrische Energie benötigt werden.

Page 220: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.7 Die Strömungsenergie: Windkraftanlagen 213

Diese Komponenten und die durch sie verursachten Leistungsverluste sind:

Die Rotorausrichtung nachWindrichtung undWindstärke: Verlust ca. 4%→ η = ,

Das Rotorgetriebe: Verlust ca. 4%→ η = ,Der elektrische Generator: Verlust ca. 8%→ η = ,Der elektrische Transformator: Verlust ca. 2%→ η = ,

Daraus ergibt sich der Gesamtwirkungsgrad der Anlage zu

ηWd = ηηηηη = ,. (6.89)

Dies ist der berechnete Wirkungsgrad, mit dem eineWindkraftanlage unter optimalen Be-dingungen die kinetische Energie des Winds in elektrische Energie umwandelt. Er ist etwa3-mal so hochwie derWirkungsgrad der Fotovoltaik, die Solarenergie direkt in elektrischeEnergie umwandelt.

Bei der Untersuchung, welchen Beitrag Windkraftanlagen für die zukünftige Energie-versorgung der Welt leisten können, ist wiederum die Frage nach den benötigten und denzur Verfügung stehenden Flächen von ausschlaggebender Bedeutung. Sicherlich sind vieleKüsteregionen der Erde und auch inländische Standorte mit häufigen Windgeschwindig-keiten v > vmin geeignet. Die Größe dieser Regionen kann auf 10% der gesamten Land-fläche, also auf insgesamt , ⋅ m abgeschätzt werden. Darin sind auch die Gebieteim Flachwasser von Küsteregionen enthalten, die sogenannten „off-shore“ Gebiete. Abernur etwa 2% all dieser Gebiete lassen sich für die Aufstellung vonWindkraftanlagen wirk-lich verwenden, weil diese Gebiete eine wesentliche Bedingung für die Aufstellung erfüllenmüssen:

Windkraftanlagen müssen in wenig besiedelten Gebieten, aber in der Nähe von In-dustrie- und Bevölkerungszentren errichtet werden.

Diese Bedingung berücksichtigt, dass die elektrische Energie in vorhandene oder nochzu errichtende Netze eingespeist werden muss. Zum Beispiel ist ganz Grönland mit einerFläche von ca. ⋅ m hervorragend für die Aufstellung vonWindkraftanlagen geeignet.Trotzdem käme niemand auf die Idee, sie dort zu errichten, denn dort existiert fast keinBedarf an elektrischer Energie. Die Bedingung, die elektrische Energie auch in ein Netzeinspeisen zu können, reduziert die vorhandenen Flächen auf Atot = ⋅ m, die sichfür die Errichtung von Windkraftanlagen wirklich eignen. Wieviel Energie ließe sich mitdiesen Anlagen in elektrische Energie umwandeln?

Page 221: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

214 6 Die erneuerbaren Energien

Der Flächenbedarf AWKA einer Windkraftanlage richtet sich nach der Fläche A, dieder Rotor mit seinen Flügelblättern bei der Drehung überstreicht. Windkraftanlagen dür-fen nicht zu eng aufgestellt werden, sonst behindern sie sich gegenseitig bei der Energie-wandlung, denn „der Wind muss sich immer wieder erholen können“. Selbst bei dichterAufstellung gilt die Forderung

AWKA = A. (6.90)

Die Anzahl der möglichen Windkraftanlagen ist daher

nWKA =Atot

AWKA=

Atot

A(6.91)

und mit diesen ließe sich eine Gesamtleistung

Ptot = nWKA P = ηWdAtot

ρm⟨v⟩ (6.92)

wandeln.Wir gehen von einermittlerenWindgeschwindigkeit ⟨v⟩ = m⋅s− = , km ⋅h−

aus. Dies ist der Wert, mit dem der Wind ohne Unterbrechung über die gesamte FlächeAtot wehenwürde. Bei dieserWindgeschwindigkeit ergibt (6.92) eineGesamtleistung allerWindkraftanlagen von

Ptot = , ⋅ , = , ⋅ W = , ⋅ kWh ⋅ a− (6.93)

und dies ist, verglichen mit dem prognostizierten Energiebedarf für das Jahr 2050, nichtsehr viel. Trotzdem ist er größer als der, welcher von der Fotovoltaik erwartet werden darf.Diese Einschätzung entspricht im Übrigen auch den Verhältnissen im Jahr 2010. Auf derWelt wurden zu dieser Zeit etwa 0,3% des Primärenergiebedarfs mithilfe derWindenergiegedeckt.

In Deutschland stellte die Windkraft im Jahr 2010 einen Beitrag von 0,9% desPrimärenergiebedarfs, der Kapazitätsfaktor betrug κ ≈ ,, woraus sich ein Nut-zungsgrad von ζWd ≈ , ergibt.

Die Windenergie hat in Deutschland zur Zeit eine Bedeutung, die etwa 10mal so großist wie die der Fotovoltaik. Die Gründe dafür sind leicht erkennbar:

• Windkraftanlagen besitzen einen höherenWirkungsgrad der Energiewandlung als dieFotovoltaik.

• InDeutschland gibt esmehrGebiete, die sich für dieAufstellung vonWindkraftanlageneignen, als Gebiete, die für die Fotovoltaik geeignet sind.

Page 222: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.7 Die Strömungsenergie: Windkraftanlagen 215

v2

v1 0P

P2

0P

P1v

nach dem Rotorvor dem Rotor

P

vor dem Rotor nach dem Rotor

a b

Abb. 6.37 Die örtlichen Veränderungen der Windgeschwindigkeit v vor und nach der Rotorfläche(a) und die dazu gehörende Veränderung des Luftdrucks P (b)

Diese Gegebenheit gilt übrigens auch für die Welt insgesamt. Denn die Industriezentrenbefinden sich meistens in Regionen mit moderater Sonneneinstrahlung, ihre nähere Um-gebung ist besser geeignet für Windkraftanlagen als für die Fotovoltaik. Trotzdem wächstder Widerstand der betroffenen Bevölkerung gegen die Errichtung von weiteren Wind-kraftanlagen in ihrer Nachbarschaft, und zwar wegen der folgenden Argumente:

• Windkraftanlagen stören das Landschaftsbild.• Windkraftanlagen sind geräuschvoll und der drehende Rotor erzeugt bei Sonnenschein

einen kontinuierlich wiederkehrenden Schatten.

Beide Argumente behindern insbesonders die Entwicklung des Tourismus in der Nähevon Bevölkerungszentren. Daher wird der Aufbau von neuen Windkraftanlagen auf demLand zurückgehen, dagegen wird ihre Errichtung in den „off-shore“ Gebieten gefördert.Windkraftanlagen auf dem Land werden aber unter Umständen dann wieder akzeptabler,wenn im Laufe des 21. Jahrhunderts eine wirkliche Verknappung der fossilen Energiere-serven einsetzt. Unter heutigen Bedingungen aber gilt:

In derMitte des 21. Jahrhunderts könntenWindkraftanlagen etwa 3 %des erwartetenPrimärenergiebedarfs der Welt decken.

6.7.1 P-Ebene: Die Energiewandlungmithilfe einer Windkraftanlage

Auch bei Windkraftanlagen ist der erreichbare Wirkungsgrad der Energiewandlung einentscheidender Faktor, mit dem wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen wollen.

Page 223: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

216 6 Die erneuerbaren Energien

DerWirkungsgrad vonWindkraftanlagenEine Windkraftanlage wandelt zunächst die kinetische Energie der Luftströmung Wkin indie Rotationsenergie Wrot = (J/)ω des Rotors um, die ebenfalls eine besondere Formder kinetischen Energie ist. Das Trägheitsmoment des Rotors ist durch J gegeben, seineWinkelgeschwindigkeit durch ω. Damit der Rotor einen Zuwachs an kinetischer Energieerhält, muss die Strömungsenergie geringer werden. Das heißt, die Windgeschwindigkeitnimmt von ihrem Wert v vor dem Rotor auf einen Wert v < v nach dem Rotor ab. Diesgeschieht dadurch, dass der Wind durch die Rotorfläche A = π r hindurchläuft. In derRotorfläche selbst hat der Wind die mittlere Geschwindigkeit v = (v + v)/, die örtlicheVeränderung derWindgeschwindigkeit ist in der Abb. 6.37 dargestellt.

Mit der Windgeschwindigkeit verändert sich nach dem Bernouille’schen Gesetz auchderLuftdruck beimDurchlaufen der RotorflächeA. Beträgt der normale Luftdruck11 P, soerreicht er kurz vor der Rotorfläche denmaximalenWert P und kurz nach der Rotorflächeden minimalen Wert P. Die Veränderung des Luftdrucks ist ebenfalls in der Abb. 6.37dargestellt. Nach dem Bernouille’schen Gesetz gilt

ΔP = P − P =ρm(v

− v ) (6.94)

und diese Druckdifferenz erzeugt eine Kraft

F = AΔP (6.95)

auf den Rotor, die ihn in Rotation versetzt. Die dabei von dem Wind auf den Rotor über-tragene Leistung ergibt sich nach (6.84) zu

P = Fv = ηAρm

v . (6.96)

Dabei ist η derWirkungsgrad, mit der die Windenergie in die Rotationsenergie des Rotorsumgewandelt wird. Es handelt sich also um den Wirkungsgrad einer idealen Anlage, erentspricht zum Beispiel demWirkungsgrad η in der Abb. 6.36.

Aus (6.96) lässt sich ableiten

Fv = AΔPv = Aρm(v

− v )

v + v

= Aρm

v ( −

v

v )( +

vv)

.

(6.97)

Das bedeutet, eine ideale Windkraftanlage hat den Wirkungsgrad

η =( −

v

v )( +

vv) . (6.98)

11 Man verwechsle im Folgenden nicht denDruck Pmit der Leistung P, beide werden unglücklicher-weise mit demselben Buchstaben gekennzeichnet.

Page 224: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.7 Die Strömungsenergie: Windkraftanlagen 217

Abb. 6.38 Die Abhängigkeitdes Wirkungsgrads einer idea-len Windkraftanlage von demVerhältnis der Windgeschwin-digkeiten nach (v) und vor(v) der Rotorfläche

v10.2 0.8 1.0

0.2

0.4

0.6

0.4 0.6

v2

Dieses ist eine Funktion des Verhältnisses v/v , sie ist in der Abb. 6.38 dargestellt undbesitzt einen maximalen Wert

ηmax = , fürvv=

. (6.99)

Der berechnete maximaleWirkungsgrad hängt daher allein von demVerhältnis derWind-geschwindigkeiten nach und vor dem Rotor ab, er ist zum Beispiel unabhängig davon, mitwelcher Winkelgeschwindigkeit ω sich der Rotor dreht. In der Praxis allerdings ist dieSchnelllaufzahl des Rotors s = vU/v = rω/v für die Größe des Wirkungsgrads von Be-deutung, wie auch die Form und Anzahl seiner Flügelblätter. Die Gründe dafür ergebensich aus den physikalischen Gesetzen der Aerodynamik eines Flügels, auf die wir hier nurkurz eingehen wollen.

Voraussetzung für die Existenz vonAuftriebskräften an einem angeströmten Flügel ist,dass der Flügel ein asymmetrisches Profil besitzt, wie es in Abb. 6.39 dargestellt ist. Dadurchwird beim Anströmen die Luftgeschwindigkeit v > v auf der Flügeloberseite größer alsdie Luftgeschwindigkeit v < v auf der Unterseite. Die Folge ist, dass auf der Oberseiteein Unterdruck P entsteht, auf der Unterseite aber ein Überdruck P. Die DruckdifferenzΔP = P − P ergibt die Auftriebskraft

FA = ΔPA =ρm(v

− v )A, (6.100)

wobei die Flügelfläche A bestimmt wird durch die Flügellänge r und die mittlere Flügel-breite b. Der Unterschied in den Geschwindigkeiten v und v ist aber nicht allein gegebendurch das asymmetrische Profil des Flügels, sondern es wird maßgeblich bestimmt durchdie Zirkulation Γ =

∮vds ∝ vb, die sich bei dem geschlossenen Umlauf s um das Flü-

gelprofil bildet. Diese Zirkulation entsteht am Beginn des Anströmens, wenn sich an derFlügelhinterkante ein Wirbel ablöst, der Drehimpuls mit sich fortträgt. Dieser Anfahrwir-bel ist beobachtbar beim Start eines Flugzeugs, seine Existenz erzwingt, dass zwischenaufeinander folgenden Starts immer genügend Zeit vergeht, bis der Wirbel abgewandertist.

Wegen der Drehimpulserhaltung muss sich ein entgegengesetzt rotierender Wirbel, dieZirkulation, um den Flügel ausbilden, der die Strömungsgeschwindigkeit auf der Flügelo-

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218 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.39 (Oben): DieGeschwindgkeits- undDruckverhältnisse an einemangeströmten Flügel, die zurAuftriebskraft FA und zur Wi-derstandskraft FW führen.(Unten): Die Strömungslinienum einen Flügel, die den An-fahrwirbel hinter den Flügelund die Zirkulation um denFlügel zeigen

v1

v2p2

p1

Fw

FA

berkante verstärkt und auf der Flügelunterkante vermindert, wie es in der Abb. 6.39 darge-stellt ist. Bei Berücksichtigung der Zirkulation ergibt sich bei einer Anströmgeschwindig-keit v der Luft die Auftriebskraft

FA = Γρmv r mit Γ =cA

vb. (6.101)

Dabei ist cA der Auftriebbeiwert, dessenGröße von der Flügelform und demAnstellwinkelγ des Flügels gegen die Anströmrichtung abhängt.Wegen A = br ergibt sich aus (6.101) dieBeziehung für die Auftriebskraft

FA = cAρm

v A. (6.102)

Neben der Auftriebskraft wirkt auf den Flügel auch dieWiderstandskraft

FW = cWρm

v A. (6.103)

mit demWiderstandbeiwert cW, der ebenfalls von der Flügelform und dem Anstellwinkelγ des Flügels gegen die Anströmrichtung abhängt. Daher werden für eine gegebene Flü-gelform cA und cW als Funktionen von γ in einem Diagramm dargestellt, wie es in derAbb. 6.40 geschehen ist. Dieses Diagramm wurde von Otto Lilienthal zum ersten Mal be-nutzt, um die Strömungsverhältnisse an einem Tragflügel darzustellen.

Bei einerWindkraftanlage haben wir es allerdings nicht mit einem starren Tragflügel zutun, sondern die Flügel eines Rotors rotieren im Luftstrom wie ein Propeller um die Sym-metrieachse des Rotors. Daher ändern sich auch die Auftriebs- und Widerstandskräfte andiesem Flügel. Man beschreibt die neue Situation am besten nicht in dem Koordinatensys-tem, in dem der Wind mit der Windgeschwindigkeit v weht und sich der Rotor mit derWinkelgeschwindigkeit ω dreht, sondern in einem Koordinatensystem, in dem der Rotorruht: Man führt eine Koordinatentransformation von dem Ruhesystem der Windkraftan-lage in das Ruhesystem des Rotors durch. Dadurch erhält die Windgeschwindigkeit einezusätzliche Komponente −vl = −ωl , die proportional zum Abstand ≤ l ≤ r eines Punkts

Page 226: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.7 Die Strömungsenergie: Windkraftanlagen 219

Abb. 6.40 Die Abhängigkei-ten des Auftriebbeiwerts cAund des WiderstandbeiwertscW von dem Anstellwinkel γdes Flügelblatts gegen die Luft-strömung bei einer gegebenenFlügelform

oo

o

o

o

o

−6

−12

0

6

12 18

1.0

0.5

0

−0.5

1.5

0.1 0.2

c

c

A

W

Anstellwinkel

auf demFlügel von der Rotorachse ist und die senkrecht gerichtet ist zurWindgeschwindig-keit v . In der Abb. 6.41 sind die geometrischen Verhältnisse schematisch dargestellt, dieseAbbildung zeigt auch die Kraftkomponenten FA,l und FW,l, welche für die Rotation desRotors um seine Achse allein verantwortlich sind. Die dazu senkrechten Kraftkomponen-ten müssen von dem Lager des Rotors und dem Turm derWindkraftanlage aufgenommenwerden. Diese müssen entsprechend belastbar ausgeführt sein.

Aus der Abb. 6.41 ergibt sich für die wirksamen Kraftkomponenten

FA,l = FAcos α FW,l = −FWsin α , (6.104)

wobei der Winkel α definiert ist durch tan α = vl /v = (ω/v)l und sich daher mit demAbstand l verändert. Und zwar ist für l = die Geschwindigkeitskomponente vl = unddaher α = . Auf der anderen Seite ist für l = r dieGeschwindigkeitskomponente vl = vU ≫v und daher α ≈ °. Die gesamte Kraft auf den Drehflügel in Drehrichtung ist gegebendurch

Fl = (cAcos α − cWsin α)ρm

v A (6.105)

FA

FW

v

vl− FA,l

FW,l

a b

Abb. 6.41 a Die Geschwindigkeitskomponenten des Winds und die Komponenten der durch ihnerzeugten Drehkräfte auf einen Rotor in dem System, in dem der Rotor ruht. Der Index A kenn-zeichnet die Auftriebskräfte, der IndexW die Widerstandskräfte. Die Komponente FA,l verstärkt dieRotation, die Komponente FW,l behindert die Rotation, denn sie ist entgegengesetzt gerichtet. b Dasoptimale Profil eines rotierenden Flügels. Die gezeigten Flügelquerschnitte ergeben sich, wenn manauf den Flügel von rechts schaut und der Wind von vorne auf den Flügel bläst

Page 227: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

220 6 Die erneuerbaren Energien

und verändert sich längs des Flügels mit dem Abstand l . Die Kunst, einen möglichst effizi-enten Drehflügel zu bauen, besteht nun darin, den Faktor (cAcos α − cWsin α) in (6.105)so zu optimieren, dass für die verschiedenen Werte von α der Auftriebbeiwert cA so großwie möglich, dagegen der Widerstandbeiwert cW so klein wie möglich ist. Betrachten wirdie Grenzfälle:

• Ist α = °, so dominiert der Auftrieb und der Anstellwinkel des Flügels gegen v solltenach Abb. 6.40 in der Nähe von γ ≈ ° liegen.

• Ist α ≈ °, so dominiert der Widerstand und der Anstellwinkel des Flügels gegen vUsollte nachAbb. 6.40 in der Nähe von γ ≈ ° liegen, so dass noch ein Auftrieb vorhandenist.

Daraus ergibt sich ein längs der Flügellänge verdrilltes Flügelprofil, wie es so charakteris-tisch für die Flügelblätter vonWindkraftanlagen ist undwie es schematisch in der Abb. 6.41gezeigt ist.

6.8 Die Strömungsenergie: Wasserkraftwerke

Neben dem Kohlenstoffkreislauf, den wir in Abschn. 6.2.1 behandelt haben, besitzt dieErde auch einen Wasserkreislauf, der von der Verdunstung des Wassers auf der Erdober-fläche und der Kondensation des Wasserdampfs in der Erdatmosphäre angetrieben wird.Die Verdunstung, wie auch die Kondensation bezeichnen Phasenübergänge zwischen demflüssigen und gasförmigen Aggregatzustand des Wassers. Für ersteren wird thermischeEnergie ΔQD benötigt, die bei der Kondensation in der Atmosphäre wieder an diese zu-rückgegeben wird und mitverantwortlich ist für die Einstellung der Lufttemperatur. DieKondensation führt zum Niederschlag, das Wasser erreicht als Regen aus der Erdatmo-sphäre wieder die Erdoberfläche.

Verdunstung und Niederschlag spielen sich sowohl auf und über den Landflächen wieauch auf und über den Meeresflächen der Erde ab. Allerdings überwiegt die Verdunstungauf denMeeresoberflächen, während der Niederschlag über den Landflächen größer ist alsdie Verdunstung auf der Landoberfläche. Das hat zur Folge, dass Wasser aus den Meerenüber die Atmosphäre zu den Landflächen transportiert wird, von wo es entweder durchVerdunstung wieder in die Atmosphäre gelangt oder unter dem Einfluss der Gravitations-kraft in Flüssen, Bächen und anderenWasserläufenwieder in dasMeer zurückfließt. DieserWasserkreislauf führt dazu, dass sich ein globales Verteilungsmuster von Verdunstungs-und Niederschlagsgebieten auf der Erde einstellt, das in der Abb. 6.42 gezeigt ist. Beson-ders häufige und starke Niederschläge finden wir daher in den Tropenregionen der Erdeund in der Zone des Westwinddrifts, zu der auch Europa gehört. Dagegen ist die Zone derPassatwinde ein ausgesprochenes Trockengebiet, zu ihr gehört zum Beispiel die Sahara.

Fragt man, wo sich dasWasser bzw. derWasserdampf befinden und wieviel von beiden,dann ergibt sich die Zusammenstellung in Tab. 6.9. Auch in dieser Tabelle haben wir, wie

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6.8 Die Strömungsenergie: Wasserkraftwerke 221

Abb. 6.42 (Oben): Die Ab-hängigkeiten der Verdunstung(gestrichelt) und des Nieder-schlags (ausgezogen) von dergeografischen Breite auf derErde. Die Wassermenge proJahr ist als Säulenhöhe in derEinheit m ⋅ a− angegeben

Sud..

0o30o60 6030o

Geografische Breite

0,5

1,0

1,5

2,0

0,0

Nord

−1W

asse

rmen

ge

(m a

)

o o

Tab. 6.9 DieMengen desWassers inmol und ihre relativenAnteile in%, die sich zu jedemZeitpunktan den verschiedenen Lokalitäten der Erde befinden

Lokalität Menge (mol) Anteil (%)Flüsse und Bäche , ⋅ 0,0001Wasserdampf in der Atmosphäre , ⋅ 0,004Süßwasserseen , ⋅ 0,009Grundwasser , ⋅ 0,61Polareis und Gletscher , ⋅ 2,15Meere und Ozeane , ⋅ 97,2

schon in den Tab. 6.4 und 6.5, dieMengen durch die vorgeschriebene SI-Einheit [n] =molangegeben, auch weil diese Angabe unabhängig von dem Aggregatzustand des Wassers ist.Im flüssigen Aggregatzustand entspricht einer Wassermenge n = mol eine Masse m = ⋅ − kg und ein Volumen V = ⋅ − m.

Aus der Tab. 6.9 erkennen wir, dass sich nur ein ganz geringer Bruchteil des Wassers alsWasserdampf in der Atmosphäre befindet. Wie bereits erwähnt, wird für den Phasenüber-gang vom flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand des Wassers thermische Energiebenötigt, die latente Wärme pro n = mol

ΔQD = , kWh ⋅mol− . (6.106)

Daher ist eine Energie von , ⋅ kWh notwendig, um die in der Tab. 6.9 angegebeneMenge anWasserdampf in der Atmosphäre zu erzeugen. Nach der Abb. 4.15 wird aber proJahr 23% der Sonnenenergie, das sind , ⋅ kWh ⋅ a−, in latente Wärme umgewandelt.Daraus ziehen wir den Schluss:

Innerhalb desWasserkreislaufs wird in einem Jahr derWasserdampf der Atmosphäre10mal vollständig ausgetauscht. Und pro Jahr fließt dann eine gesamteWassermengevon n = , ⋅ mol ⋅ a− durch die Wasserläufe von dem Land in das Meer zurück.

Page 229: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

222 6 Die erneuerbaren Energien

Tab. 6.10 Diemittleren Höhen der Landfläche auf der Erde und von einigen ausgesuchtenRegionen

Region Erde Europa Amerika AsienMittlere Höhe (m) 500 300 700 950

Diese Menge an Fließwasser, also die Menge des strömenden Wassers, ist nicht sehrgroß, wenn man sie mit der gesamten auf der Erde vorhandenenWassermenge vergleicht.Es ist daher auch nicht so überraschend, dass dieser Menge nur eine geringe Menge anStrömungsenergie entspricht.

Um ein Gefühl für die im Ablaufwasser enthaltene Energiemenge zu erhalten, vernach-lässigen wir alle Reibungskräfte, die beim Fließen des Wassers auftreten können. Dann istdie kinetische Energie der Wasserströmung gegeben durch die potenzielle Energie, welchedas Wasser am Beginn der Strömung besaß. Diese potenzielle Energie ergibt sich zu

Wpot = mgh, (6.107)

wobei m = ⋅ kg die Masse des fließenden Wassers und g ≈ m ⋅ s− die Erdbeschleu-nigung ist. Für die mittlere Höhe des Wasseroberlaufs nehmen wir einen Wert h = müber dem Meeresspiegel an. Dann macht (6.107) folgende Aussagen

Wpot = ⋅ J �⇒

Leistung P = , ⋅ kWh ⋅ a− ,(6.108)

denn in den korrekten SI-Einheiten besitzt die Wassermenge eine Durchflussmasse vonm = , ⋅ kg ⋅ s−.

Verglichen mit dem prognostizierten Primärenergiebedarf der Welt um das Jahr 2050ist die in (6.108) angegebene Leistung sehr gering. In der Tat ist die von uns angenommenemittlere Höhe h ebenfalls sehr gering. Die mittleren Höhen (über dem Meeresspiegel) derLandflächen auf der Erde und von einigen ihrer Regionen sind in der Tab. 6.10 aufgeführt.Diese Höhen sind im Mittel 5mal größer als angenommen. Die Leistung, die sich aus derStrömungsenergie des Fließwassers wandeln lässt, hängt nach (6.107) linear von der Höheab und könnte demnach auch 5mal größer sein.

Auf der anderen Seite habenwir bei der Berechnung die Reibungsverluste der Strömungund den Wirkungsgrad der Energiewandlung vollständig vernachlässigt. Auf der P-Ebenewerden wir uns davon überzeugen, dass durch die Anlageform vonWasserkraftwerken dieReibungsverluste minimiert werden können, und dass der Wirkungsgrad von der GrößeηWd ≈ , ist. Dies ist, verglichen mit den Wirkungsgraden der Wandlung aus den an-deren, bisher besprochenen Formen erneuerbarer Energien, ein extrem hoher Wert undmacht die Wasserkraft zur herausragenden Form erneuerbarer Energie. Leider gibt es an-dere Faktoren, die ihren optimalen Ausbau beschränken:

• Ökologische Gründe, wie zum Beispiel der Landschaftsschutz oder die Erhaltung einerhohen Fließgeschwindigkeit, verbieten die Anlage vonWasserkraftwerken.

Page 230: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.8 Die Strömungsenergie: Wasserkraftwerke 223

Tab. 6.11 Die 6 größten Wasserkraftwerke auf der Erde

Kraftwerk Land Baujahr Fläche( m)

Installierte Leistung( kWh ⋅ a−)

Kapazitäts-faktor κ

Yang Tse China 2003 1,085 15,9 0,53Itaipu Brasilien 1983 1,305 12,3 0,77Guri Venezuela 1986 4,250 7,8 0,52Tucurui Brasilien 1984 2,875 7,0 0,30Grand Coulee USA 1941 0,337 6,0 0,35Sajan Russland 1980 0,621 5,6 0,45

• Wasserläufe dienen der Flussschifffahrt ebenfalls als Transportmittel oder sie stellen einTrinkwasserreservoir für die Bevölkerung dar. Diese Aufgaben stehen oft im Konfliktmit der Anlage vonWasserkraftwerken.

• Flüsse überschreiten oft Staatsgrenzen und die Anliegerstaaten können sich nicht überdie Anlage und die Nutzung vonWasserkraftwerken einigen.

Im Jahr 2010 betrug der Anteil der Wasserkraftwerke an der Deckung des Primärenergie-bedarfs derWelt etwa 2,3%. DieserWert ist sehr nah zu dem Ergebnis, das in (6.108) zitiertwurde.

In Deutschland war der Anteil mit nur ca. 0,5% deutlich geringer, der Kapazitäts-faktor deutscherWasserkraftanlagenbetrug κ = ,. Der Anteil derWasserkraftwardamit nur etwa halb so groß wie der Anteil der Windkraft.

Ein Blick auf Tab. 6.10 macht verständlich, warum fast alle der größten Wasserkraft-werke (siehe Tab. 6.11) nicht in Europa liegen. Das Land in Europa mit dem stärkstenAnteil an elektrischer Energie aus Wasserkraftwerken ist Norwegen, dort beträgt die vonallen Anlagen gewandelte Leistung P ≈ ⋅ kWh ⋅ a−, also etwa so viel, wie in Chi-na allein das Yang-Tse-Kraftwerk wandelt. Der Anteil, denWasserkraftwerke insgesamt ander Energieversorgung derWelt erreichen können,wenn die notwendigen Planungen undInvestitionen umgehend vorgenommen werden, wird auf P = ⋅ kWh ⋅ a− geschätzt.Daraus folgt:

In der Mitte des 21. Jahrhunderts könnenWasserkraftwerke einen Anteil von 4% ander Versorgung der Welt mit Primärenergie übernehmen.

Page 231: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

224 6 Die erneuerbaren Energien

6.8.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen vonWasserkraftwerken

Wir wollen in diesem Abschnitt näher untersuchen, mit welchem Wirkungsgrad Wasser-kraftwerke die Strömungsenergie des Wassers in elektrische Energie umwandeln.

DerWirkungsgrad vonWasserkraftwerkenDie Wasserströmung entsteht durch die Wirkung der Gravitationskraft auf das Wasser,wenn der Anfangsort der Strömung höher liegt als der Ausgangsort, also die Höhendif-ferenz h ≠ ist. Daher lässt sich die kinetische Leistung der Strömung

Pkin =m

v i (6.109)

am Ende der Strömungsstrecke auch durch die potenzielle Leistung am Anfang aus-drücken:

Pkin = Ppot = mgh. (6.110)

Dabei ist m dieWassermasse, die pro Zeiteinheit vomAnfangsort zumAusgangsort strömt.Dabei ist weiterhin vollständig vernachlässigt, dass

• die Strömung auf ihremWeg l Reibungskräfte überwinden muss, die einem Leistungs-verlust

− PR = −cWm⟨v ⟩G (6.111)

entsprechen, wobei ⟨v⟩ die mittlere Strömungsgeschwindigkeit ist und G ein den Wegcharakterisierender Geometriefaktor,

• die kinetische Leistung Pkin nicht vollständig von demKraftwerk in elektrische LeistungP gewandelt wird, da dasWasser aus dem Kraftwerk mit der Geschwindigkeit vf strömt,der ein Verlust an Leistung

− PV = −m

v f (6.112)

entspricht.

Daher beträgt die maximal mögliche Leistung, die ein Wasserkraftwerk wandeln kann

P = mh⎛

g − cW⟨v ⟩

hG −

v f

h⎞

. (6.113)

Die beiden Verlustthermemit negativem Vorzeichen können allerdings in ihrer Bedeu-tung stark reduziert werden. Das liegt zum einem daran, dass der Reibungsverlust wegendes Geometriefaktors G umso größer ist, je größer die Länge des Strömungswegs l undje kleiner der Durchmesser d der Strömung ist. Ist die Strecke zwischen Eingangs- undAusgangsort der Strömung klein, so wird der Verlust klein. Aus diesem Grunde wird das

Page 232: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.8 Die Strömungsenergie: Wasserkraftwerke 225

Abb. 6.43 Die drei Ty-pen von Wasserturbinen,die ihren maximalen Wir-kungsgrad bei verschiedenenStrömungsgeschwindigkeitenerreichen. a die Peltonturbi-ne, b die Francisturbine und cdie Kaplanturbine. Die Pfeilelassen Eintritts- und Austritts-richtung des Wassers und dieWassergeschwindigkeit erken-nen

a b

c

0.0 0.2 0.4 0.6 0.8 1.00.0

0.2

0.4

0.6

0.8

1.0

normierter Massendurchfluss

Wir

kun

gsg

rad

Abb. 6.44 Die Abhängigkeit des Wirkungsgrads von dem normierten Massendurchfluss bei einerPeltonturbine (durchgezogen), einer Kaplanturbine (gestrichelt) und einer Francisturbine (gepunktet).Der normierteMassendurchfluss ist das Verhältnis von aktuellemDurchfluss und optimalemDurch-fluss, bei dem der Wirkungsgrad maximal ist

Fließwasser gestaut und unmittelbar hinter der Staustufe das Kraftwerk errichtet. Zum an-deren kann eineWasserturbine so konstruiert werden, dass das ausströmendeWasser einemöglichst kleine Geschwindigkeit vf besitzt. Wie eine Turbine zu konstruieren ist, hängtvon der Durchflussmasse m und der Fallhöhe h in (6.113) ab. Man kann, um eine ge-wünschte Leistung P zu wandeln, zwei extreme Fälle unterscheiden:

• m klein, aber h groß.Zu diesen Anlagen gehören Stausee- und Speicherseekraftwerke.

• m groß, aber h klein.Zu diesen Anlagen gehören Flusskraftwerke.

Page 233: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

226 6 Die erneuerbaren Energien

Die Fallhöhe h legt fest, wie die Wasserturbine aussehen muss, um einen möglichsthohen Wirkungsgrad η der Wandlung von kinetischer Energie des Wassers in Rotations-energie der Turbine zu erreichen. Es gilt:

• h groß→ Peltonturbine.• hmittel → Francisturbine.• h klein→ Kaplanturbine.

In der Abb. 6.43 sind die Turbinenformen schematisch dargestellt. Sie alle besitzen bei derentsprechenden Fallhöhe h oder Strömungsgeschwindigkeit vi (siehe Gleichungen (6.110)und (6.109)) einen maximalen Wirkungsgrad

ηmax ≈ ,, (6.114)

mit dem die gewünschte Leistung gewandelt wird. Ein Leistungsabfall tritt auf, wenn nach(6.113) derMassendurchfluss m abnimmt, zumBeispiel wegenWassermangels in der Stau-stufe. Dannnimmt auch derWirkungsgrad η ab, wie es in Abb. 6.44 gezeigt ist. Daher solltederWasserzufluss zu einem Kraftwerk und damit die Anzahl der eingeschalteten Turbinenso ausgelegt sein, dass der Wasserspeicher immer genügend voll ist und die optimale Was-sermenge zufließen kann.

Mit einem optimalen Wirkungsgrad ηmax und einem minimalen Leistungsverlust ηV ≈, beträgt der Wirkungsgrad eines Wasserkraftwerks

ηWd = ηmaxηV ≈ , (6.115)

und dieser Wert ist gültig über einen sehr weiten Bereich der zufließenden Wassermenge.

6.9 Die Strömungsenergie: Wellenkraftwerke

Die Möglichkeit, die Energie vonMeereswelle in elektrische Energie zu wandeln, wird seitmehr als 40 Jahren untersucht, ohne dass große Fortschritte bei der technischen Realisie-rung dieser Möglichkeit gemacht wurden. Die Untersuchungen zur Nutzung der Wellen-energie wurden besonders in Großbritannien vorangetrieben, wo zwischen den Jahren1989 bis 1999 ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm von der Regierung finanziertwurde. Nach 10 Jahren wurde dieses Programm beendet, es führte immerhin zum Baueines Wellenkraftwerks auf der Insel Islay an der Westküste Schottlands, das die Wellen-energie in eine elektrische Leistung von , ⋅ kWh ⋅ a− wandelte. Eine schematischeDarstellung des Arbeitsprinzips dieses Kraftwerks zeigt die Abb. 6.45. Durch das rhythmi-sche Auf und Ab der Welle wird die Luft in demWellenraum des Kraftwerks komprimiertund dekomprimiert, wodurch eine Luftströmung entsteht, die den Rotor einer Turbine an-treibt. Dieser wiederum ist an einen elektrischen Generator gekoppelt. Dies ist das Prinzip

Page 234: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.9 Die Strömungsenergie: Wellenkraftwerke 227

Abb. 6.45 Der schematischeAufbau des Meereswellenkraft-werks auf der schottischenInsel Islay. Die Wellenbewe-gung presst Luft durch dieFlügelblätter einer Turbine, dieeinen elektrischen Generatorantreibt

Meereswelle

undTurbine

Generator

eines Windkraftwerks, wobei hier der Wind durch die Wellenbewegung erzeugt wird undsich mit der Frequenz der Welle Windrichtung und Windgeschwindigkeit verändern. DerWirkungsgrad einesWellenkraftwerks ist daher kleiner als der einesWindkraftwerks, siehe(6.89).

Die Gründe dafür, dass nur dieses eine Wellenkraftwerk errichtet wurde, basieren aufder Erkenntnis, dass der zu erwartende Beitrag für eine zukünftige Energieversorgung derWelt in keinem vertretbaren Verhältnis steht zu den erforderlichen Arbeits- und Inves-titionskosten. Auf der P-Ebene werden wir uns überlegen, warum das so ist. Allgemeinzeigen diese Überlegungen, dass sich die Errichtung vonWellenkraftwerken nur an Stand-orten lohnt, an denen die Wellen über das Jahr hinweg eine mittlere Höhe von mehr als5m erreichen.

Die höchstenWellen findet man an denWestküsten der Landflächen zwischen dem 40.und 60. Breitengrad, sowohl auf der nördlichen wie auch der südlichen Halbkugel. DieLeistung dieser Wellen liegt zwischen 2,5 und , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅ m− . Maximale Leis-tungen von , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅ m− werden erreicht im Atlantik südwestlich von Irland,im Südlichen Ozean um die Antarktis herum und im Seegebiet um Kap Horn. Wollteman mit Wellen dieser Höhe auch nur 1% des Primärenergiebedarfs der Welt decken, wä-re eine Küstenlänge von 12.000 km notwendig, vorausgesetzt, die Wandlungsanlage hätteeinenWirkungsgrad von ηWd = ,. Dies entspricht mehr als 1/4 des Erdumfangs und ver-deutlicht, dass Meereswellen als zukünftige Träger erneuerbarer Energie wohl keine großeBedeutung haben werden.

Wellenkraftwerke werden zur Mitte des 21. Jahrhunderts einen vernachlässigbarenBeitrag zur Versorgung der Welt mit Primärenergie liefern.

Page 235: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

228 6 Die erneuerbaren Energien

/2

vW

Abb. 6.46 Die Kreisbewegungen äquivalenter Wasserpartikel längs einer Welle zur Zeit t. Diesinusförmige Welle bewegt sich nach rechts (x-Richtung) mit der Geschwindigkeit vW, die grau ge-tönten Kreissegmente stellen die momentanen Phasenverschiebungen dar

Dieses Ergebnis mag enttäuschend sein, beruht aber auf den physikalischen Gesetzen,denen die Meereswellen unterliegen, und mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen wer-den.

6.9.1 P-Ebene: Die physikalischen Grundlagen vonWellenkraftwerken

Auch hier besteht die Aufgabe darin zu berechnen, wie groß die Leistung einerMeereswelleist und von welchen Parametern diese Leistung abhängt.

Die Energie vonMeereswellenWellen entstehen durch denWind infolge der Reibungmit derWasseroberfläche. Das Sen-ken und Heben großer Wassermassen durch die Wellenbewegung bedeutet eine periodi-sche Veränderung der potenziellen Energie des Wassers, die im Prinzip in andere Ener-gieformen umgewandelt werden kann. Dies geschieht in einem Wellenkraftwerk, eine derWandlungsmöglichkeiten ist in der Abb. 6.45 dargestellt. Wir werden uns jetzt zunächstmit der Frage beschäftigen, wie groß die Veränderungen der potenziellen Energie sind,wenn sich Wasser vomWellenkamm in das Wellental und umgekehrt bewegt.

Eine Welle, die sich längs der Richtung x mit der Geschwindigkeit vW ausbreitet, lässtsich darstellen als die kreisförmigen Bewegungen der Wasserpartikel, die eine von x ab-hängig Phasenverschiebung besitzen. Dies ist in der Abb. 6.46 gezeigt, wobei die x-Abhän-gigkeit der Phasenverschiebung zu einer bestimmten Zeit t so anzusetzen ist, dass einein x und t sinusförmigeWelle entsteht. Wo sich unter dieser Prämisse die Orte äquivalen-ter Wasserpartikel zur Zeit t auf den Kreisen befinden, das ist in der Abb. 6.46 gezeigt.Obwohl sich also diese Wasserpartikel lokal auf einem Kreis bewegen, entsteht durch diePhasenverschiebung der Eindruck einer sich in x-Richtung fortbewegenden Welle.

Die Bewegung auf dem Kreis geschieht mit der Geschwindigkeit vK = πdν, wobei ν dieFrequenz ist, also die Anzahl der Kreisumläufe, welche die Wasserpartikel in 1 s durchfüh-ren. Mit der Größe d ist der Durchmesser des Kreises gemeint. Die WellengeschwindigkeitvW hat in einemWellental die gleiche Richtung wie vK, auf einemWellenkamm sind diese

Page 236: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.9 Die Strömungsenergie: Wellenkraftwerke 229

Geschwindigkeiten aber entgegengesetzt gerichtet. Daher gilt:

In einemWellental: v = vW + vK.

Auf einemWellenkamm: v = vW − vK.(6.116)

Die kinetische Energie der Wasserpartikel mit Masse m ist gegeben durch die BeziehungWkin = (m/)v , wobei v = v oder v = v ist. Daher tritt zwischen Wellental undWellen-kamm ein Verlust an kinetischer Energie ΔWkin auf, der gerade dem Zugewinn an poten-zieller Energie ΔWpot entspricht. Für den Verlust und für den Gewinn an Energie erhaltenwir:

ΔWkin =m(v

− v ) = mvWvK = πmvWdν,

ΔWpot = mgd .(6.117)

Daraus ergibt sich für die Wellengeschwindigkeit, weil ΔWkin = ΔWpot gelten muss

vW =g

πν. (6.118)

Die Wellengeschwindigkeit ist daher unabhängig von der Wellenhöhe d, sondern hängtnur ab von derWellenfrequenz ν, also der Anzahl derWellen, die innerhalb einer Sekundean einem festen Punkt vorbeilaufen. Die Wellengeschwindigkeit lässt sich auch durch dieWellenlänge λ, also denAbstand zwischen zwei benachbartenWellenkämmen ausdrücken.Denn wie für alle Wellen gilt auch für die Wasserwelle

νλ = vW �⇒ vW =

gλπ

, ν =√ g

πλ. (6.119)

Lange Wellen haben daher eine höhere Geschwindigkeit als kurze Wellen, erstere laufenden letzteren davon. Nehmen wir ein Beispiel:

λ = m �⇒ vW = m ⋅ s−

λ = m �⇒ vW = ,m ⋅ s− .

DerWind kannWellenmit sehr unterschiedlichen Wellenlängen erzeugen, überleben wer-den nur die schnellsten. Die langsamen Wellen verlieren ihre Energie, die in der Kreisbe-wegung steckt, durch turbulente Reibung an das Wasser, sie erwärmen das Wasser. Wiegroß ist die Energie der überlebenden Wellen?

Dazu müssen wir berücksichtigen, dass sich die Wasserpartikel nicht nur entweder aufdem Wellenkamm oder in dem Wellental befinden, sondern dass bei der Kreisbewegungder Wellenteilchen eine ganze „Wellenwalze“ mit dem Radius ≤ r ≤ d/ rotiert und derMittelwert der Hebung zwischen Wellental und Wellenkamm nicht d sondern yS ist, demAbstand zwischen denMassenmittelpunkten der oberen und unteren Hälfte derWalze, wie

Page 237: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

230 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.47 Die Lage yS/ derMassenmittelpunkte der obe-ren und der unteren Hälfteeiner Wellenwalze

s−y /2

sy /2

d

es in Abb. 6.47 gezeigt ist. Für diesen Abstand erhält man nach einiger Rechnung, die wirnicht im Detail vorführen wollen:

yS =dπ≈ ,d . (6.120)

Besitzt die Wellenwalze eine Breite l , so ist die totale Masse in jeder ihrer Hälften

m = ρm(HO)πd

l , (6.121)

wobei ρm(HO) die Massendichte vonWasser ist. Daher erhalten wir für die Leistung derWelle pro Breite l

Pl= mgySν = ρm(HO)g

d

ν

=

ρm(HO)√

g

πd√

λ≈ , ⋅

d√

λkWh ⋅ a− ⋅m− .

(6.122)

Die Angabe des numerischen Vorfaktors in (6.122) verlangt, dass alle Größen, also dieWellenhöhe d und die Wellenlänge λ, in SI-Einheiten angegeben werden. Nehmen wir alsBeispiel die deutsche Nordseeküste. Dort finden wir mittlere Wellenhöhen d = m undeine Wellenlänge λ = m. Dies ergibt eine Wellenleistung

Pl≈ , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m− (6.123)

und dies ist sicherlich sehr wenig.Wellen an der deutschenNordseeküste besitzen nicht ge-nügend Leistung, um einen wesentlichen Beitrag zu unserer Energieversorgung zu geben.Selbst bei Ausbau der gesamten Küste auf einer Länge von 500 km betrüge die Gesamt-leistung nur , ⋅ kWh ⋅ a−, also gerade einmal 0,04% des augenblicklichen Bedarfs.Allerdings hängt die Wellenleistung in dritter Potenz von der Wellenhöhe ab und bereitsWellenhöhen von 5m ergeben bei gleicher Wellenlänge eine Leistung von , ⋅ kWh ⋅a− ⋅m−. Dieser Wert ist in der Größenordnung der Leistungen, die im vorigen Abschnittfür einige ausgewählte Ozeangebiete angegeben wurden und in denen sich der Bau vonWellenkraftwerken lohnen könnte.

Page 238: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.10 Die Strömungsenergie: Gezeitenkraftwerke 231

6.10 Die Strömungsenergie: Gezeitenkraftwerke

Das Phänomen der Gezeiten wird verursacht durch die Bewegung des Monds um die Er-de und durch die Gravitationskraft, die zwischen dem Mond und dem Meereswasser aufder Erde existiert. Im Prinzip wirkt diese Kraft zwischen der Masse des Monds und denMassen auf der Erde insgesamt, sie ist verantwortlich dafür, dass sich der Mond mit einerfast konstanten Geschwindigkeit innerhalb von 28 d einmal um die Erde dreht. So sieht esfür uns aus, aber eigentlich drehen sich Erde und Mond zusammen um ihrenMassenmit-telpunkt S, der einen Abstand rS vom Mittelpunkt der Erde hat, wie es in der Abb. 6.48dargestellt ist.

Während die unbeweglichen Landmassen von derGravitation zwischenErde undMondnur wenig beeinflusst werden, ist der Einfluss auf die beweglichen Wassermassen durch-aus spürbar. Denn das Wasser ist flüssig und die Wassermassen können leicht verschobenwerden. Und genau das geschieht: Unter dem Einfluss der Gravitationskraft verschiebt sichdie Wassermasse zu der Seite der Erde, die demMond genau gegenüber liegt, wie es in derAbb. 6.48 stark übertrieben angedeutet ist.

Merkwürdigerweise werden die Wassermassen ebenso auf die genau entgegengesetzteSeite verschoben, so dass wir auf beiden Seite der Erde einen Überfluss anWasser erhalten,das aus den Regionen dazwischen abgeflossen ist. Während der Überfluss an der mondzu-gewendeten Seite primär durch die Gravitationskraft verursacht wird, entsteht er auf dermondabgewendeten Seite imWesentlichen durch die Zentrifugalkraft, die durch die Dre-hung von Mond und Erde um ihren Massenmittelpunkt S verursacht wird. Diese Kraft istam stärksten an dem Ort auf der Erde, die von S am weitesten entfernt ist, und das istgleichzeitig der vomMond am weitesten entfernte Ort.

Durch dieGravitationskraft unddieZentrifugalkraftwird also derMeeresspiegel in zweigegenüberliegenden Orten angehoben und in den dazwischen liegenden Orten abgesenkt.Der Unterschied in den Meereshöhen bedeutet gleichzeitig ein Unterschied in den poten-ziellen Energien der Wassermassen, der sich in andere Energieformen umwandeln lässt.Dabei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass sich die Erde zusätzlich innerhalb eines Tagsum ihre eigene Achse dreht. Dadurch dreht sich die Erde praktisch unter den verschobe-

r

rS

Erde

S

d

Mond12

Abb. 6.48 Die Erde und derMond, die sich um ihrenMassenmittelpunkt S drehen. Durch die Dre-hung und die Gravitationskraft zwischen Erde und Mond entstehen die Wasserwülste, die hellgrauund stark übertrieben eingezeichnet sind

Page 239: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

232 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.49 Die rot gezeichneten Gegenden auf der Erde, wo ein großer Tidenhub aufgrund von Re-sonanzphänomenen zu beobachten ist

nenWassermassenweg mit der Folge, dass alle 12 h 25 min ein Punkt auf demMeer einenhohen Meeresspiegel besitzt12. In den Zeiten genau dazwischen ist die Höhe des Meeres-spiegelsminimal. Das Aufeinanderfolgen von hohen und tiefenMeeresspiegeln wird durchdasWort „Gezeiten“ gekennzeichneten, dieGezeiten bestehen aus der Flut (Zeitmit hohemMeeresspiegel) und der Ebbe (Zeit mit tiefem Meeresspiegel).

Wir werden auf der P-Ebene berechnen, dass der Tidenhub, also die Differenz derMee-reshöhen bei Flut und Ebbe, imAllgemeinen so gering ist, dass er sich nicht für die Energie-versorgung benutzen lässt. An einigen Küsten auf der Erde kann der Tidenhub allerdingsHöhen von bis zu 10m und mehr erreichen. Dann lässt sich die damit verbundene Verän-derung der potenziellen Energie zur Energieversorgung nutzen. Die Küste muss an solchenOrten eine Bucht besitzen, die so beschaffen ist, dass die wegen der Gezeiten ein- und aus-strömendenWassermassen gerade ca. 6h zur Füllung und Entleerung der Bucht benötigen.Dann kommt es zu einer Resonanz zwischen der Periode der Gezeiten und der Füllung/Entleerung der Bucht und ein derartiges Resonanzphänomenmuss sich ausbilden können,damit der Tidenhub sehr große Werte erreichen kann. Die Orte auf der Erde, wo die Küs-tenformResonanzen zulässt, sind als roteRegionen auf derWeltkarte inAbb. 6.49markiert.

Die potenzielle Energie, die sich durch den Tidenhub δ ergibt und die sich in andereEnergieformen umwandeln ließe, beträgt

Wpot = ρm(HO)gAδ

. (6.124)

Dabei ist A die Oberfläche der Bucht, in die dasWasser ein- und ausströmt. Der Faktor 1/2tritt auf, weil der mittlere Tidenhub zwischen Ebbe und Flut genau δ/ beträgt.

Wie wir aus (6.124) ersehen, ist die Energie linear abhängig von A, aber quadratisch ab-hängig von δ. Daher ist es wichtiger, Buchten mit einem sehr großem Tidenhub zu finden

12 Dass dieseZeitspanne nicht genau 12 h beträgt, liegt an derDrehung von Erde undMond um ihrenMassenmittelpunkt S.

Page 240: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.10 Die Strömungsenergie: Gezeitenkraftwerke 233

Tab. 6.12 Die wichtigsten Parameter verschiedenerGezeitenkraftwerke, die entweder bereits im Be-trieb sind oder sich im Planungsstadium befinden

Standort Fläche A(km)

Tidenhub δ(m)

Dammlänge(km)

Installierte Leistung(kWh ⋅ a−)

Kapazitäts-faktor κ

Rance (Fr) 22 13 0,75 , ⋅ 0,28Chausey (Fr) 610 9 23,5 ⋅

Severn (GB) 520 7 ? ⋅

Fundy (Can) 1500 7 8 ⋅

Mezen (GUS) 2300 9 86 ⋅

als solche mit einer großen Oberfläche. Bisher ist auf der Welt nur ein großes Gezeiten-kraftwerk errichtet worden, und zwar im Mündungsdelta der Rance bei Saint-Malo inFrankreich. Das Delta ist durch einen Damm von dem Meer abgetrennt, beim Ein- undAusströmen der Gezeiten muss das Wasser durch 24 Rohre mit eingebauten Turbinen, dieeine elektrische Leistung von insgesamt , ⋅ kWh ⋅a− wandeln können. Allerdings sinddie Turbinen zu 75% der verfügbaren Zeit abgeschaltet wegen der Korrosionschäden, diedurch das salzhaltige Meerwasser hervorgerufen werden. Die Parameter dieses Gezeiten-kraftwerks und weitere Kraftwerke, die sich noch in Planung oder vielleicht auch schon imBau befinden, sind in der Tab. 6.12 zusammengefasst.

Dass der Bau dieser Kraftwerke nur langsam vorangeht, liegt an den technischenSchwierigkeiten, die ausgesuchten Buchten mithilfe des Damms vom Meer abzutren-nen und den hohen Investitionskosten, die einen längeren Volllastbetrieb verlangen, alser von dem Kraftwerk in Saint-Malo erreicht wird. Dieses sollte man eigentlich noch alsVersuchsanlage betrachten.

Es existiert neben dem Dammprinzip auch die Vorstellung, die Turbinen direkt in demMeerwasser aufzustellen und von der Gezeitenströmung antreiben zu lassen, so wie derWind die Turbine in einemWindkraftwerk antreibt. ImMeereskraftwerk sind Strömungs-geschwindigkeiten von mehr als vmin = m ⋅ s− erforderlich, die in Meerengen auftretenkönnen.Deutschland besitzt eineMeerenge am Jadebusen beiWilhelmshaven, es gibt aberkeine Planungen, dort ein Meereskraftwerk zu errichten.

Gezeiten- oder Meereskraftwerke in Deutschland werden bei der zukünftigen Ener-gieversorgung keine Rolle spielen, und ihre Bedeutung auf der Erde insgesamt istwegen der Betriebsunsicherheit und der hohen Investitionskosten als eher gering ein-zuschätzen.

Page 241: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

234 6 Die erneuerbaren Energien

6.10.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen von Gezeitenkraftwerken

Im Gegensatz zu Wind-, Wasser-13 und Wellenkraftwerken wandeln Gezeitenkraftwerkedie Energie zu festen Zeiten, sie liefern im Prinzip einen planbaren Beitrag zu einer Ener-gieversorgung. Aber wie groß ist dieser Beitrag?

Die Energie der GezeitenDie Gezeiten werden durch die Gravitationskraft und die Zentrifugalkraft verursacht.Zunächst wollen wir die Wirkung der letzteren vernachlässigen und allein die Gravitati-onskraft untersuchen. Diese wirkt zwischen zweiMassen m und m, die sich im Abstandd voneinander befinden, sie ergibt sich zu

FG = −Γmm

d . (6.125)

Das negative Vorzeichen weist darauf hin, dass die Gravitationskraft immer anziehend ist,der Vorfaktor ist die Gravitationskonstante Γ = , ⋅ − m

⋅ kg− ⋅ s−.Da wir die Zentrifugalkraft vernachlässigen, bewegt sich das Erde-Mond-System nicht,

aber der Mond hat einen festen Abstand d von der Erde, wie es in der Abb. 6.48 dargestelltist. Weiterhin betrachten wir den hypothetischen Fall, dass die gesamte Erdoberfläche mitWasser überzogen ist, diese Wassermasse ist frei beweglich. Unter dem Einfluss der Gra-vitation zwischen Mond und den Wassermassen wird sich der Wasserspiegel auf der demMond zugewandten Seite 1 um die Höhe δ′ anheben, während er auf der demMond abge-wandten Seite 2 maximal um −δ′ absinken wird. Wir wollen δ′ berechnen.

Durch das Heben derWassermassenmW auf der Seite 1 und das Absenken auf der Seite2 bildet sich ein neuer Gleichgewichtszustand, das bedeutet, die Summe aller Kräfte aufdas Wasser muss verschwinden. Auf das Wasser wirken nach seiner Verschiebung an denPunkten 1 und 2 folgende Kräfte, die durch die Erde (⊕) und den Mond (⊘) verursachtwerden:

F(⊕) = −ΓmWm⊕(r⊕ + δ′)

F(⊕) = −ΓmWm⊕(r⊕ − δ′)

F(⊘) = −ΓmWm⊘

(d − (r⊕ + δ′))F(⊘) = −Γ

mWm⊘(d + (r⊕ − δ′))

.(6.126)

Die Veränderung ΔF(⊕) = F(⊕) − F(⊕) widersetzt sich der Wasserverschiebung, die Ver-änderung ΔF(⊘) = F(⊘) − F(⊘) bewirkt sie. Tritt das neue Gleichgewicht mit dem Mondals Nachbarn ein, muss

ΔF(⊕) + ΔF(⊘) = (6.127)

13 Auch einWasserkraftwerkwandelt keine Energie mehr, wenn dasWasserwegen fehlender Nieder-schläge versiegt.

Page 242: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.10 Die Strömungsenergie: Gezeitenkraftwerke 235

gelten. Man kann diese Gleichung näherungsweise lösen, weil δ′ ≪ r⊕ < d ist. Die Lösunglautet, ohne die Rechnung im Detail auszuführen,

ΓmWm⊕r⊕

δ′ − ΓmWm⊘

d r⊕ = . (6.128)

Also ergibt sich näherungsweise für die Größe der Verschiebung

δ′ =m⊘m⊕

r⊕d . (6.129)

Für das Weitere sind folgende geometrischen Größen von Bedeutung:

• Die Erde besitzt einen Radius r⊕ = , ⋅ m.• Die Erde besitzt eineMasse m⊕ = , ⋅ kg.• Die Mond besitzt eineMasse m⊘ = , ⋅ kg.• Der Abstand zwischen Erde und Mond beträgt d = , ⋅ m.• DerMassenmittelpunkt des Erde-Mond-Systems liegt bei rS = , ⋅ m.• DieWinkelgeschwindigkeit des Erde-Mond-Systems beträgt ω = , ⋅ − s−.

Demnach würde der Tidenhub, wenn sich Erde und Mond nicht um ihren Massenmittel-punkt drehen, den Wert

δ = δ′ = ,m (6.130)

erreichen. Da sich aber die Erde um den Punkt S mit der Winkelgeschwindigkeit ω dreht,wirkt auf das Wasser auch die Zentrifugalkraft F(R) = mWrω, die in den Punkten 1 und 2die folgenden Bechleunigungen

a(R) =

F(R)

mW= (r⊕ + δ′ − rS)ω

= , ⋅ − m ⋅ s−,

a(R) = −

F(R)

mW= −(r⊕ − δ′ + rS)ω

= −, ⋅ − m ⋅ s−(6.131)

hervorruft. Die durch die Drehung der Erde verursachten Zentrifugalbeschleunigungenauf das Wasser sind entgegengesetzt gerichtet, wie es verlangt werden muss: Diese Be-schleunigungen weisen immer von der Drehachse weg. Zusätzlich wirken auf das WasserdieGravitationsbeschleunigung durch die Erde, die in den Punkten 1 und 2 fast gleich groß,aber entgegengesetzt gerichtet sind: Diese Beschleunigungen kompensieren sich. Dagegenhaben die Gravitationsbeschleunigungen durch denMond in den Punkten 1 und 2 dieselbeRichtung, sie sind auf den Mond zu gerichtet, aber sie haben etwas verschiedene Größen

a(⊘) = −

F(⊘)mW

= , ⋅ − m ⋅ s− ,

a(⊘) = −

F(⊘)

mW= , ⋅ − m ⋅ s− .

(6.132)

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236 6 Die erneuerbaren Energien

Insgesamt wirken also auf der mondzugekehrten und der mondabgekehrten Seite der Erdefolgende Beschleunigungen auf die Wassermassen

a = a(⊘) + a(R) = , ⋅ − m ⋅ s−,

a = a(⊘) + a(R) = −, ⋅ − m ⋅ s−.

(6.133)

Diese Gesamtbeschleunigungen sind fast gleich groß, aber entgegengesetzt gerichtet. Da-herwird sowohl auf dermondzugekehrtenwie auch dermondabgekehrten Seite dasWasserangehoben, wie es in der Abb. 6.48 gezeigt ist. Die mittlere Beschleunigung in den Punkten1 und 2 hat eine Größe

⟨∣a∣⟩ = , ⋅ − m ⋅ s− ≈ , ⟨a(⊘)⟩ . (6.134)

Aufgrund der Drehung des Erde-Mond-Systems

• hebt sich das Wasser auf den gegenüberliegenden Seiten der Erde,• vergrößert sich der Tidenhub auf , δ ≈ m.

Dieser berechnete Tidenhub ist von der Größe, wie wir ihn im Mittel an den deutschenKüsten antreffen. Aber dieser Tidenhub ist nach (6.124) nicht groß genug, um ihn für einGezeitenkraftwerk zu verwenden.

6.11 Die Kernenergie: Geothermie

Unter derGeothermie verstehtman dieNutzung der imErdinneren gespeichertenWärme.Der Ursprung dieser thermischen Energie ist nicht, wie man vermuten könnte, die Entste-hung der Erde aus einem heißen Gasball, sondern ihr Ursprung liegt in der Kernenergie,die einige der im Erdinneren vorhandenen Atomkerne veranlasst, spontan zu zerfallen.Man kann davon ausgehen, dass die bei der Entstehung der Erde ursprünglich vorhandeneWärme in den vergangenen , ⋅ Jahren vollkommen in denWeltraum abgestrahlt wur-de, wie ja auch die von der Sonne empfangeneWärme wieder vollständig in denWeltraumzurückgestrahlt wird, siehe Abschn. 4.5.

Heute wird das Erdinnere durch die Energie aufgeheizt, die beim Zerfall radioaktiverKerne freigesetzt wird. Von diesem Standpunkt aus betrachtet kann man das Erdinnereauch vergleichen mit einer Kernschmelze, die beim GAU einer Kernreaktoranlage auftre-ten kann, siehe Abschn. 5.5. Die wichtigsten radioaktiven Isotope, die zur Erwärmung desErdinneren führen, sind

K, Th, U, U, (6.135)

also im Wesentlichen die Atomkerne, die auch in der Reaktortechnik eine Rolle spielen.Zum Glück ist bei der Erde die Kernschmelze eingeschlossen und versiegelt durch denaußen liegenden Teil, die Erdkruste.

Die Erde lässt sich grob in drei Zonen einteilen,

Page 244: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.11 Die Kernenergie: Geothermie 237

Abb. 6.50 Der Verlauf dermittleren Erdtemperatur mitder Tiefe entlang des Erdra-dius. Der Temperaturgradientbis zu einer Tiefe von 10 kmbeträgt dT/ds = ,K ⋅m−

060

0010

0010

010

Tie

fe s

(km

)

Erdtemperatur T ( C)o10 100 1000 10000

• den Erdkernmit < r < km,(Er besteht imWesentlichen aus geschmolzenem Eisen und Nickel.)

• den Erdmantelmit km < r < km,(Er besteht imWesentlichen aus geschmolzenen Silikaten.)

• die Erdkrustemit km < r < r⊕.(Er besteht imWesentlichen aus festen Silikaten.)

Der geschmolzene Erdkern besitzt in seinem Inneren eine Temperatur von T ≈ K,nach außen nimmt diese Temperatur stetig ab und erreicht an der Erdoberfläche dieUmgebungstemperatur von T ≈ K. Der Temperaturverlauf in der Erde ist in derAbb. 6.50 doppelt-logarithmisch dargestellt.

Der Temperaturverlauf zeigt diemittlereTemperatur, diemanmessenwürde, wennmanirgendwo die Erde bis zu einer Tiefe s anbohren würde. In Tiefen bis zu 10 km beträgt dermittlere Temperaturgradient

dTds= ,K ⋅m− . (6.136)

Es gibt aber auch Regionen auf der Erde, die geothermischen Anomalien, wo bereits nurwenig unterhalb der Erdoberfläche, also in der Erdkruste, Gesteinsschichten mit Tempe-raturen von ca. 600K angetroffen werden. Die geothermischen Anomalien befinden sichhauptsächlich in den Erdbebenzonen, wo sich auch aktive Vulkane befinden, in denen diegeschmolzenen Silikate, das Magma, direkt an die Erdoberfläche treten. Erdbebenzonentreten dort auf, wo die tektonischen Platten aufeinander treffen, diese Gebiete sind in derWeltkarte Abb. 6.51 rot markiert.

Das Erdinnere stellt ein ungeheuer großes Wärmereservoir dar, die dort gespeicherteEnergie hat die Größe

Q⊕,tot = , ⋅ kWh. (6.137)

Davon befinden sich allerdings nur ein geringer Teil von

Q⊕ = , ⋅ kWh (6.138)

Page 245: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

238 6 Die erneuerbaren Energien

Abb. 6.51 Die rot gezeichnetenGegenden auf den Landflächen der Erde, wo geothermische Anoma-lien auftreten. Dies sind die Gegenden, wo die tektonischen Platten aufeinander treffen

in der Erdkruste, und davon liegen wiederum nur

Q⊕,Land = ⋅ kWh (6.139)

unter den Landflächen und kann durch Tiefbohrungen erschlossen werden. Aber selbstdiese Energiemenge ist noch so gigantisch, dass sie ausreichen würde, den Weltbedarf anPrimärenergie im Jahr 2050 für etwa die folgenden 250.000 Jahre zu decken. Allerdingsist dieser Vorrat nicht leicht zugänglich, wenn man von den Gebieten mit geothermischenAnomalien einmal absieht. Denn das Gestein der Erdkruste besitzt nur eine sehr geringeWärmeleitfähigkeit

Λ ≈ W ⋅K− ⋅m− . (6.140)

Für eineNutzung derGeothermie ist das unvorteilhaft, das werdenwir uns auf der P-Ebeneüberlegen. Auf der anderen Seite ist dieser kleine Wert von Λ dafür verantwortlich, dassdie Wärme im Inneren der Erde gespeichert bleibt und der thermische Leistungsfluss indie Atmosphäre nur ,W ⋅m− beträgt und mit nur 0,018% am Energiehaushalt derErde teilnimmt, siehe Abb. 4.15.

DieWandlung der Erdwärme in elektrische Energie ist nur dannmit einem akzeptablenWirkungsgrad möglich, wenn das Gestein eine Temperatur von über 450K besitzt undheißer Wasserdampf mit diesen Temperaturen der Erdkruste entnommen werden kann.Auf die Verfahren der Dampfentnahmen werden wir weiter unten eingehen. Sind die Ge-steinstemperaturen nicht so hoch, dann kann die Geothermie nur eingesetzt werden zurHeizung von Anlagen, beginnend bei Wohngebäuden bis zu Schwimmbädern. Wir wollendiese beiden Möglichkeiten nacheinander behandeln.

• Wandlung derHochtemperaturwärme in elektrische Energie.Bei diesem Verfahren wird die Erdwärme der Erdkruste mithilfe vonWasserdampf ent-nommen.

Page 246: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.11 Die Kernenergie: Geothermie 239

Abb. 6.52 Der schematischeAufbau eines geothermischenKraftwerks. Um die HDR-For-mation zu erreichen, müssenBohrlöcher mit bis zu 3000mTiefe und mehr gebohrt wer-den. In dem Sekundärkreislaufwird als Arbeitsmediumentweder Wasser oder eineorganische Flüssigkeit benutzt,deren Dampf die Turbine an-treibt

2 3

4

6

1 Druckpumpe2 Dampfturbine3 Generator4 Nutzkreis−

7

7 Kuhlkreislauf

5 Primärwär−

6 Sekundärwär−metauscher

metauscher

laufpumpe

15

..

HDR−Formation

In den geothermischen Anomalien finden sich oft Aquifere (das sind wasserführendeGe-steinsschichten) mit den erforderlichen hohen Temperaturen, wo der Wasserdampf vonselbst aus dem Erdboden tritt. Beispiele dafür sind die Geysire auf Island oder in denUSA.

Führen die Gesteinsschichten kein Wasser oder kann der Wasserdampf nicht an dieOberfläche treten, dannmuss mit Tiefbohrungen das Gestein erschlossen werden. Abhän-gig von der Beschaffenheit der Erdkruste sind dazu Bohrlöcher mit bis zu 3000m Tiefeoder mehr erforderlich. Durch diese Bohrlöcher wird kaltes Wasser unter hohem Druckin das heiße Gestein gepresst, das dabei permanente Spalten bildet, in denen das Wasserverdampft und der Dampf durch ein zweites Bohrloch an die Oberfläche gelangt. Manbezeichnet dieses Verfahren als das „Hot-Dry-Rock“ HDR-Verfahren, seine technischeRealisierung befindet sich zur Zeit noch in der Entwicklung. In Europa befindet sich zumBeispiel eine Versuchs-HDR-Anlage bei Soultz-sous-Forêt in französischenTeil des Rhein-grabens.

Im Allgemeinen ist derWasserdampf aus geothermischenQuellen so starkmit Minera-lien, zumBeispiel Schwefel, verunreinigt, dass er nicht direkt in die Turbine geleitet werdenkann, sondern in einem Wärmetauscher seine thermische Energie an ein sekundäres Ar-beitsmedium abgibt. Ist die Dampftemperatur des Primärkreislaufs hoch genug, kann derSekundärkreislauf ebenfalls ein Wasserkreislauf sein. Bei tieferen Temperaturen wird alsArbeitsmedium eine organische Flüssigkeit verwendet, die schon unterhalb von 373K sie-det, wie zum Beispiel Isobutan. Ein schematisches Bild der gesamten HDR-Anlage ist inder Abb. 6.52 gezeigt.

Unabhängig vom Arbeitsmedium ist der Wirkungsgrad einer geothermischen Wand-lungsanlage immer geringer als derCarnot’scheWirkungsgrad ηCarnot und beträgt bei einerDampftemperatur T = K nach der am Ende das Abschn. 2.3 gegebenen Faustregel

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240 6 Die erneuerbaren Energien

nur η ≈ ,. Der Wirkungsgrad wird weiter reduziert durch den Wärmetauscher mitη ≈ ,, wenn die Rücklauftemperatur aus demWärmetauscher höher ist als die Umge-bungstemperatur T, was imAllgemeinen der Fall ist. Daher hat unter diesen Bedingungendie Wandlungsanlage von geothermischer Energie in elektrische Energie einen typischenWirkungsgrad von

ηWd ≈ ,. (6.141)

Mit sinkender Dampftemperatur wird dieser Wirkungsgrad immer kleiner.

• Wandlung der Niedertemperaturwärme in Heizenergie.Bei diesem Verfahren wird die Erdwärme der Erdkruste im Allgemeinen in der Formvon heißemWasser entnommen.

Liegt die Gesteinstemperatur in der Nähe von 373K oder darunter, so kann die anfallendeWärme nur zu Heizungszwecken verwendet werden. Auch hier muss sehr oft ein Wärme-tauscher dazwischen geschaltet sein, um die Verunreinigungen des primären Heißwasserszurückzuhalten. Die Wirkungsgrade des Wärmetauschers liegen nur wenig unterhalb von1, so dass diese Heizungsmethode außerordentlich effizient ist und sich geradezu anbietet,wenn geothermische Quellen leicht anzubohren sind und in der Nähe von Abnehmern lie-gen. Selbst wenn die Gesteinstemperatur nur wenig oberhalb der Umgebungstemperaturliegt, so ist diese Methode der Heizung immer effizienter als die Heizung durch Verbren-nung fossiler Brennstoffe oder durch Einsatz elektrischer Energie, auch wenn die Investi-tionskosten zunächst höher liegen sollten. Im Übrigen gibt es immer die Möglichkeit, zugeringe primäre Wassertemperaturen mithilfe einerWärmepumpe zu erhöhen. Auf dieseMöglichkeit werden wir in Abschn. 10.1.1 zurückkommen.

Trotz dieser Vorteile, und weitere werden wir gleich erwähnen, ist der Beitrag geother-mischer Quellen zur Versorgung mit Primärenergie weltweit nur gering. Die Situation umdas Jahr 2010 ergibt sich aus der Tab. 6.13.

Insgesamt erreichte der Beitrag eine Größe von , ⋅ kWh ⋅a− und das waren geradeeinmal 0,13% des Primärenergiebedarfs im Jahr 2010. Geothermische Energiequellen miteiner Leistung von ca. , ⋅ kWh ⋅ a− müssten jährlich neu erschlossen werden, damitsich dieser Beitrag auf 1% im Jahr 2050 erhöht. Zur Zeit ist der jährliche Zuwachs wenigerals halb so groß, trotzdem erscheint das 1%-Ziel erreichbar.

In der Mitte des 21. Jahrhunderts könnte die Geothermie etwa 1% des Primärener-giebedarfs der Welt decken.

Voraussetzung ist, dass sich das HDR-Verfahren technisch und global durchsetzt.Deutschland zum Beispiel verfügt über keine geothermischen Anomalien, aber es exis-tieren heiße Gesteinszonen in geringer Tiefe im norddeutschen Becken, in der Molasse

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6.11 Die Kernenergie: Geothermie 241

Tab. 6.13 Die jeweils 5 Länder mit der größten installierten Leistung aus Geothermieanlagen imJahr 2010, den zugehörigen Kapazitätsfaktoren und dem prozentualen Beitrag zur Versorgung mitPrimärenergie. (Ländernamen gemäß internationaler Kennung)

Land Installierte Leistung( kWh ⋅ a−)

Kapazitätsfaktorκ

PEB%

Elektrische EnergieUS 27,10 0,61 0,058PH 16,68 0,62 2,89ID 10,49 0,92 0,54MX 8,39 0,84 0,33IT 7,39 0,75 0,25HeizungsenergieUS 110,5 0,14 0,055CN 77,95 0,27 0,071SE 39,07 0,32 1,93NO 28,91 0,24 1,28DE 21,78 0,16 0,87

Region in Süddeutschland und im Rheingraben. Denn die Geothermie besitzt gegenübervielen anderen erneuerbaren Energien zwei unschätzbare Vorteile:

• Die Nutzung der Geothermie ist zeitlich nicht gebunden, sie steht im Prinzip immer zurVerfügung.

• Die Nutzung der Geothermie benötigt keine großen Flächen.

Der Nachteil ist, dass die Erschließung geothermischer Quellen in der Vergangenheit zulokalen Erdbeben oder Bodenveränderungen geführt hat mit der Folge, dass diese Techno-logie von der betroffenen Bevölkerung abgelehnt wird. Das HDR-Verfahren verursachteErdbeben z. B. in Deutschland (Landau), der Schweiz (Basel) und in Kalifornien (SaltonSea). Aber auch allein die Suche nach Aquiferen führte zu einer Bodenhebung in Deutsch-land (Staufen).

6.11.1 P-Ebene: Das Gestein als Wärmespeicher

Aber es gibt physikalische Gesetze, welche die Entnahme der Wärme aus dem heißen Ge-stein behindern, und mit diesen wollen wir uns jetzt beschäftigen.

Die Entnahme derWärme aus der ErdkrusteObwohl die im Erdinneren gespeicherte Wärmemenge gigantisch ist, kann sie nur mitSchwierigkeiten nutzbar gemacht werden. Wir wollen uns das anhand eines Beispiels ver-

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242 6 Die erneuerbaren Energien

deutlichen, bei dem einem Gesteinsvolumen V = km= m innerhalb eines Jahrs

mittels des HDR-Verfahrens seine gesamte Energie entzogen wird. Wir nehmen an, dassdie Gesteinstemperatur T = °C = 473K betrage.

Die in dem Gestein gespeicherte und nutzbare Energiemenge14 beträgt unter diesenBedingungen

ΔQ = ρmVcm (T − T) = , ⋅ J = , ⋅ kWh. (6.142)

Um diese Wärmemenge zu berechnen, haben wir die typischen Werte für festes Gesteinbenutzt:

DieMassendichte des Gesteins ρm = , ⋅ kg ⋅m−

die spezifischeWärmekapazität des Gesteins cm = , ⋅ J ⋅ kg− ⋅K−

Entnehmen wir die Energie Q innerhalb eines Jahrs vollständig, so wäre bei einemWir-kungsgrad ηWd ≈ , etwa 3% des jährlichen deutschen Bedarfs an elektrischer Energiegedeckt. Danach ist allerdings eine weitere Energieentnahme nur in dem Maße möglich,in dem die Wärmeenergie aus der Umgebung wieder in das Gesteinsvolumen nachströmt.Diese Menge ist gegeben durch das Wärmeleitungsgesetz15

dQdt= −ΛA

dTds

. (6.143)

Dabei ist A die Oberfläche des Volumens, in das die Wärme strömt. Für einen Kubus mitder Kantenlänge von 1 km beträgt diese Fläche ⋅ m. Bei einem als konstant angenom-menen Temperaturgradienten von dT/ds = −,K ⋅m− finden wir unter Zuhilfenahmevon (6.140)

dQdt= , ⋅ W = , ⋅ kWh ⋅ a− . (6.144)

Das ist gerade einmal 0,005% der Energiemenge, die in einem Jahr entnommen wurde.Manmüsste alsomehr als 20.000 Jahre warten, bis diese Energie aus der Umgebung wiedernachgeströmt ist, und das bedeutet, dass jedes Jahr ein neues geothermisches Kraftwerk aneinem anderenOrt errichtet werdenmüsste. Eine kontinuierliche Entnahme über viele Jah-re wäre nur dannmöglich, wenn der Temperaturgradient dT/ds ≈ K ⋅m− betrüge, unddiese starken Gradienten findet man nicht in der Erdkruste, auch nicht in geothermischenAnomalien. Daher sind die Möglichkeiten geothermischer Kraftwerke begrenzt. Man gehtdavon aus, dass derartige Kraftwerke ab einer Leistung von ⋅ kWh ⋅ a− rentabel ar-beiten, also in Regionen mit einem Temperaturgradienten von dT/ds ≈ ,K ⋅m− . DieseRegionenmüssen gefunden undmit demHDR-Verfahren erschlossenwerden. Unsere Ab-schätzung über den Beitrag der Geothermie in einer zukünftigen Energieversorgung ist

14 Nach (2.13) handelt es sich bei ΔQ um die thermische Exergie, also ΔQ = Etherm. Wir werden dieÄnderungen ΔQ und dQ jedoch weiterhin mit „Energie“ oder „Wärme“ benennen, wie es üblich ist.15 Das negative Vorzeichen tritt auf, weil dieWärme immer in die Richtung fließt, in der die Tempe-ratur abnimmt.

Page 250: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

6.11 Die Kernenergie: Geothermie 243

eher zu optimistisch. Und in der Tat: Geothermische Anlagen in der Welt sind fast aus-schließlich dort zu finden, wo heiße Aquifere vorhanden sind, also z. B. in den USA, denPhillipinen oder auf Island.

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7Eine Zukunft ohne Energie?

Dies ist natürlich keine Option, denn ohne Energiewandlung bzw. Entropieproduktion ge-schieht in der Natur nichts. Eher sollte die Frage lauten:

Eine Zukunft mit weniger Energie?

Wobei „weniger“ sich bezieht auf den prognostizierten Primärenergiebedarf PEB ≈ , ⋅ kWh ⋅ a− zur Mitte des 21. Jahrhunderts. Mit dieser Frage befasst sich das Kap. 9, indiesem Kapitel geht es noch einmal um die Gründe, warum erneuerbare Energien die Er-wartung nicht erfüllen können, die zukünftige Energieversorgung derWelt zu übernehmenund die geforderten PEA(ernb) ≈ ,PEB zu liefern. Und diese Gründe sind nicht nur phy-sikalischen Ursprungs (sie werden noch einmal zusammengefasst), sondern ergeben sichauch aus sozio-ökonomischen Anforderungen, auf die kurz hingewiesen werden soll.

Die Urform der meisten erneuerbaren Energien ist die Solarenergie mit ihrer extremkleinen Energiedichte von nur

w⊕ = , ⋅ − kWh ⋅m− . (7.1)

Die Solarenergie selbst stellt keine Primärenergie dar, siemuss erst noch in die gewünschtenPrimärenergieäquivalente (chemische, elektrische, thermische) mit dem WirkungsgradηWd gewandelt werden. Um das tatsächliche Potenzial der erneuerbaren Energien abzu-schätzen, ist es allerdings realistischer, nicht den Wirkungsgrad, sondern den Nutzungs-grad ζWd zu verwenden. Die Unterschiede zwischen beiden können gewaltig sein. ZumBeispiel findet man für den StandortDeutschland:

Fotovoltaikanlagen: ζWd = , ηWd = ,Windkraftanlagen: ζWd = , ηWd = ,

Verglichen mit den Nutzungsgraden, die charakteristisch für die Nutzung fossiler Ener-gien sind, sind diese Werte extrem klein. Und sie reduzieren sich weiter, wenn auch dieSpeichernotwendigkeit für erneuerbare Energien berücksichtigt wird. Und man beachte:

245D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_7,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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246 7 Eine Zukunft ohne Energie?

Tab. 7.1 Die erneuerbaren Energien mit ihren prozentualen Anteilen an der Energieversorgung inder Mitte des 21. Jahrhunderts und den dafür benötigten Anteilen an der Nutzfläche der Erde. Vor-ausgesetzt werden deutsche Verhältnisse mit Ausnahme der Solarthermie, deren Nutzung nur inWüstengebieten sinnvoll erscheint

Energieform Bio-masse

Wasser-kraft

Geo-thermie

Foto-voltaik

Solar-thermie

Wind-kraft

Beitrag zurEnergieversorgung

5% 4% 1% 1% 1% 3%

Erforderlicher Anteilder Nutzfläche

5,8% 0,3% – 0,2% – 0,2%

Je kleiner der Nutzungsgrad, um so höher der Flächenbedarf .

In der Tab. 7.1 wird noch einmal eine Zusammenstellung gezeigt, wie hoch die für 2050zu erwartenden Leistungen aus erneuerbaren Energien relativ zum gesamten Weltenergie-bedarf seinwerden undwelche Flächen zurWandlung dieser Leistung bereitgestellt werdenmüssen.Der Flächenbedarf ist bezogen auf die gesamteNutzfläche der ErdeA = ⋅ m.In dieser Liste sind dieBiomasse,WasserkraftundGeothermie an erster Stelle aufgeführt,weil diese Formen der Energie im Prinzip keine zeitlichen Fluktuationen aufweisen undauch zu den Zeiten zur Verfügung stehen, zu denen der Energiebedarf relativ hoch ist, alsoin kalten und sonnenarmen Jahreszeiten – diese erneuerbaren Energien erzeugen keinenSpeicherbedarf.

Auf der anderen Seite ist die Nutzung der Biomasse gekennzeichnet durch einen be-sonders hohenNutzflächenbedarf. Ist geplant, Biomasse nur durch eine nachhaltige Wald-bewirtschaftung zu erzeugen, müsste nach (6.30) das mittlere Lebensalter eines Baumsauf 8,3 Jahre verkürzt werden – das ist erfahrungsgemäß unmöglich. Denn z. Z. werdengroße Waldflächen, besonders in den subtropischen Regionen, nicht bewirtschaftet, son-dern durch Abholzung vernichtet. Es erscheint daher zweifelhaft, ob die erforderlichenWaldflächen im Jahr 2050 überhaupt noch zur Verfügung stünden. Sollten aber für dieBiomasseproduktion allein Landwirtschaftsflächen genutzt werden, so entstünde ein zu-sätzlicher Bedarf von 19% auf diesen Flächen. Das kollidiert natürlich mit der Aufgabe,den Lebensmittelbedarf von etwa 10 Mrd. Menschen auch in der Mitte des 21. Jahrhun-derts sichern zu müssen.

Der Flächenbedarf der Wasserkraft wurde berechnet mithilfe der Tab. 6.11, er istca. 15mal geringer als der der Biomasse und spiegelt die heutige Situation wieder: DieWasserkraft ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts die bedeutendste Form aller erneuerbarenEnergien.

In den letzten 3 Spalten der Tab. 7.1 sind die Energieträger Fotovoltaik, Solarkon-zentratoren undWindenergie zu finden, welche alle durch starke zeitliche Fluktuationengekennzeichnet sind. Ihr Anteil an der zukünftigen Energieversorgung derWelt macht da-

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7 Eine Zukunft ohne Energie? 247

her nur etwa 1/3 des Gesamtanteils aus, ist aber gleichwohl deutlich höher im Vergleichzum jetzigenZustand.Umdiese Steigerung zu erreichen, sind erhebliche Fortschritte in derTechnologie der Energiespeicherung und des Energietransports bis zum Jahr 2050 notwen-dig. Denn diese Energieträger haben den Vorteil, dass ihr Nutzflächenbedarf relativ geringist. Nur die Fotovoltaik, von der angenommenwird, dass ihre Standorte sich hauptsächlichin der Nähe von Bevölkerungszentren mit nur geringer direkter Sonneneinstrahlung befin-den, verursacht einen merklichen Bedarf an Nutzfläche. Die Solarkonzentratoren werden,wegen des wesentlich höheren Nutzungsgrads, überwiegend in heute noch ungenutztenWüstenflächenmit einemhohenAnteil an direkter Sonneneinstrahlung aufgestellt werden.Und Windkraftwerke besitzen zwar einen erheblichen Flächenbedarf, aber diese Flächenkönnen weiterhin land- und forstwirtschaftlich genutzt werden, oder sie befinden sich inflachen Küstengewässern. Unter diesem Aspekt besitzen Windkraftanlagen eigentlich nurdenNachteil, dass sie das Landschaftsbild „verschandeln“, was sich ebenso von Fotovoltaik-anlagen sagen ließe. Und es ist vielleicht nicht uninteressant zu erwähnen, dass die Pläneder deutschen Regierung, den Anteil der erneuerbaren Energien am deutschen Primär-energiebedarf von derzeit etwa 11,6% innerhalb von nur 38 Jahren bis zum Jahr 2050 auf50% zu steigern, nur gelingen wird, wenn sich gleichzeitig der deutsche Primärenergiebe-darf um die Hälfte verringert1. Damit wäre es Deutschland gelungen, die prognostizierteEnergielücke zu füllen. Aber anzunehmen, dass dies auch in einer Welt gelingen könnte,deren Primärenergiebedarf kontinuierlich zunimmt, ist reine Illusion.

Die Tab. 7.1macht vielmehr deutlich, dass wir nicht erwarten können, dass erneuerbareEnergien viel mehr als 15% des Energiebedarfs der Welt in 38 Jahren werden decken kön-nen. Und dies ist viel zu wenig, wenn sich die weniger entwickelten Länder der Welt nachWunsch entwickeln sollen und wenn aus Gründen des Klimaschutzes der Anteil der Koh-le an der Energieversorgung zurückgehen soll. Aber dem aufmerksamen Leser ist wahr-scheinlich aufgefallen, dass diese Schlussfolgerungen auf einem immanentenWiderspruchgegründet sind:

Der Primärenergiebedarf kann bis 2050 nicht zunehmen, wenn das Angebot der er-neuerbaren Energien dann nur PEA(ernb) = , ⋅ kWh ⋅ a− beträgt. Ist dieseAngebot aus prinzipiellen Gründen begrenzt, sind die Voraussetzungen für die indiesem Buch gemachten Prognosen nicht vorhanden und die Ergebnisse dieser Pro-gnosen werden nicht dem tatsächlichen Geschehen entsprechen.

Dieser, mit dem System wesenhaft verbundene Widerspruch, weist auf eine essentielleSystemkrise, also eine Krise unserer Energieversorgung hin. Im Rahmen dieses Buchsbesteht der einzige Weg aus der Krise in einer Fortentwicklung der Kernenergie. Welche

1 Dies sind die Vorgaben des deutschen Energiekonzepts, bekannter unter dem Namen„Energiewende“.

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248 7 Eine Zukunft ohne Energie?

Folgen dies für die weitere Entwicklung der Menschheit haben könnte, ist nicht Themadieses Buchs. Aber es ist schon erschreckend, wenn Auswege innerhalb einer Frist von nur38 Jahren gefunden und verwirklicht werden müssen. Die internationale Öffentlichkeit istsich dieses Problems durchaus bewusst, in englischsprachigen Internetforen wird es mitsteigender Dringlichkeit diskutiert.

Die deutsche Öffentlichkeit wird aber wohl menschlichen Gewohnheiten folgen undzunächst die Existenz einer Krise überhaupt leugnen, so lange ihre Auswirkungen nichtunmittelbar zu spüren sind. Das bedeutet, die Gültigkeit der in diesem Buch durchgeführ-ten Analysen wird angezweifelt, zumal sie physikalische Gesetze zur Grundlage haben,deren Aussagekraft nicht überall verstanden und akzeptiert wird. Diese Aussagen bildenjedoch nur die erste und fundamentale Ebene, in welcher sich Planungen für eine globaleVersorgungmit Energie bewegenmüssen. Es gibtweitereKriterien, welche von gleicher Be-deutung sind undwelche dieAussagen der Tab. 7.1 keineswegswiderlegen. InAbschn. 3.1.1wurde bereits auf die prinzipielle Bedeutung der Energiepreise und ihrer Beziehung zurEnergieeffizienz hingewiesen. Auf andere Kriterien wird im Folgenden nur kurz eingegan-gen, sie werden nicht mit derselben Ausführlichkeit untersucht, wie das bisher geschah.Stattdessen werden zur Erläuterung die Daten aus veröffentlichten Analysen verwendet.

Mit ihren Stichworten charakterisiert, handelt es sich um folgende Bewertungskriterien:

1. Herstellungs- und Unterhaltungskosten.EineWandlungstechnik wird sich nur dann erfolgreich einsetzen lassen, wenn sie auchfinanzierbar ist. Dabei sollte die Finanzierbarkeit nicht einfachmithilfe eines Geldwertsentschieden werden, denn für diesen gibt es, wie in Abschn. 2.1.1 dargelegt, keine ein-deutig definierte Maßeinheit. Vielmehr muss die Finanzierbarkeit immer relativ zumBIP derWelt geprüft werden. Dieses beträgt zur Zeit etwa ⋅ USD ⋅ a−.

2. Energiepreis.Der Energiepreis wird bestimmt durch dieKosten, welche demBetreiber einer Energie-wandlungsanlage pro Jahr entstehen. Wie die Preise sich in Zukunft verändern werden,ist schwer vorherzusagen. Eines scheint sicher: Die Energiepreise werden steigen. Dasliegt nicht nur an der Verknappung der fossilen Energiereserven, sondern auch dar-an, dass zunächst immer die Energiereserven erschlossen werden, die leicht zugänglichsind und daher auch zu niedrigen Preisen führen sollten2. Zum Beispiel verlagert sichdie Erdölförderung auf dem Land erst jetzt immer mehr in die Tiefsee, obwohl die Vor-kommen dort schon länger bekannt sind und viel früher hätten erschlossen werdenkönnen. Durch die Verlagerung der Förderanlagen in problematische Gebiete vergrö-ßern sich die Herstellungs- und Unterhaltungskosten K, welche den Preis bestimmen.Aber dieser hängt auch ab von der Lebensdauer (L = L a) der Anlage und den jährlichauf dem Kapitalmarkt zu zahlenden Zinsen (Z = Z%). Unter der Annahme, dass

2 Durch Manipulation, wie in Abschn. 3.1.1 beschrieben, muss dies nicht immer der Fall sein.

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7 Eine Zukunft ohne Energie? 249

Kreditlaufzeit und Lebensdauer gleich groß sind, berechnet sich der Energiepreis P zu

P = ZK( + Z)L

( + Z)L − (7.2)

und kann sehr hoch werden, wenn L klein ist. Bei Wind- und Fotovoltaikanlagen, wel-che die meiste Zeit nicht wandeln (ersichtlich aus ihren Kapazitätsfaktoren κ < ,),ist gewöhnlich die Lebensdauer geringer als die Kreditlaufzeit und der Energiepreisdeutlich höher als durch Gleichung 7.2 angegeben. Auf der anderen Seite, ist die Kre-ditlaufzeit kleiner als die Lebensdauer, wie z. B. beiWasserkraftanlagen, könnte sich derEnergiepreis auch wieder verringern.

3. Materialbedarf.Darunter versteht man die Menge an Rohstoffen, insbesondere von Eisen (Fe), Kupfer(Cu), Aluminium (Al) und Zement, die zur Herstellung und zum Betrieb einer Wand-lungsanlage benötigt werden. Übersteigen die jährlich benötigten Mengen die jährlicheWeltproduktion, dann lässt sich diese Technik aus Mangel an Ressourcen nicht ein-setzen. Da die Förderung und Bereitstellung von Rohstoffen auch Energie erfordert,besteht ein Zusammenhang mit der Höhe des Energiebedarfs.

4. Energierückholzeit.Damit ist die Zeit gemeint, während der eine Anlage allein die Energiemenge wan-delt, die zu ihrer Herstellung benötigt wurde. Es ist ganz klar: Ist diese Zeit gleich derLebensdauer der Anlage, lohnt es sich erst gar nicht, diese Anlage zu errichten. DieEnergierückholzeit ist eng verbunden mit dem EROEI-Faktor (energy-returned-over-energy-invested), welcher in der englischsprachigen Literatur verwendet wird. Der Un-terschied besteht darin, dass der EROEI-Faktor keinen Unterschied in der Art der in-vestierten Energie macht (es kann sich also auch um die Energie aus fossilen Quellenhandeln), während sich die Energierückholzeit immer auf die von der Anlage gewan-delte Energie bezieht.

5. Schadstoffemissionen.Dieser Punkt berücksichtigt zunächst nur Einflüsse, welche dieHerstellung, der Betriebund der Abbau einer Wandlungsanlage auf das Klima und unsere Umwelt haben. Wer-den dafür fossile Energie benötigt, entstehen dadurch Schadstoffe. Bei den flüchtigenSchadstoffen handelt es sich überwiegend um die Gase Kohlendioxid (CO), Schwe-feldioxid (SO) und Stickoxide (NOx ). Die Emissionen dieser Gase in die Atmosphäresind, wenigstens teilweise, die Ursache für den Klimawandel und Umweltschäden. Aufder anderen Seite können auch die erneuerbaren Energien dafür verantwortlich sein,wie in Abschn. 4.5 diskutiert. Deren Auswirkungen sind nicht so einfach messbar wieSchadstoffkonzentrationen in der Atmosphäre. Aber sie bewirken z. B. einen Rückgangder Artenvielfalt durch die Zunahme der Flächennutzung. Sicher ist, dass die Zunah-me des Primärenergiebedarfs in jedem Fall zu einer Vergrößerung der Umweltschädenführt.

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250 7 Eine Zukunft ohne Energie?

Abb. 7.1 Der schematischeAufbau eines Gas-und-Dampf-Kombikaftwerks, dessen totalerWirkungsgrad noch dadurchgesteigert wird, dass die Ab-wärme für die Fernheizungverwendet wird (siehe Kap. 10) 7 Primärwär−

metauscher..

8 Speise−wasser

1

2

23 45 5

65 Generator6 Abhitzekessel

4 Dampfturbine3 Gasturbine2 Brenner1 Verdichter

10 Heizungskreis−

9 Wasserkreis−laufpumpe

laufpumpe7

8

9

10

Wie schon gesagt, geht eine detaillierteAnalyse dieser 5Kriterien über das Ziel dieses Buchshinaus. Um sie trotzdem mit Substanz zu füllen, greifen wir auf Informationen zurück, diein dem Buch „Erneuerbare Energie“ von M. Kaltschmidt & A. Wiese publiziert wurden,siehe den Hinweis im Vorwort. Und zwar verwenden wir für diese Beurteilung den Ver-gleich mit einem konventionellen Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk (GuD).

In der Abb. 7.1 ist ein Schema dieser Kraftwerksanlage gezeigt. Das GuD-Kraftwerkarbeitet mit Erdgas als fossilemBrennstoff.Die von einemVerdichter angesaugte und kom-primierte Luft wird in einem Brenner mit dem Erdgas verbrannt, die sehr heißen Verbren-nungsgase treiben die Gasturbine. Die Abgase haben immer noch eine Temperatur vonca. 600 °C, und diese Temperatur ist ausreichend, um in dem Abhitzekessel dasWasser desSekundärkreislaufs in Wasserdampf zu verwandeln, der eine Dampfturbine antreibt. Fürdie Deckung von Leistungsspitzen kann die Dampfmenge durch Zusatzfeuerung im Ab-hitzekessel noch vergrößert werden. Schließlich wird in demWärmetauscher demWasser-dampf die Restwärme entzogen, die für Heizungszwecke verwendet werden kann. DiesesAnlageprinzip hat den Vorteil, dass es sehr flexibel an den jeweiligen Bedarf angepasst wer-den kann, und es erreicht einen relativ großen Gesamtwirkungsgrad von η ≈ ,, wennalle Möglichkeiten genutzt werden. Das GuD-Kraftwerk, dass wir zum Vergleich mit denerneuerbaren Energien benutzt haben, besitzt folgende Anlagedaten:

Elektrische Nennleistung: 660MWElektrischer Wirkungsgrad: 0,55Volllaststunden: h ⋅ a−

Elektrische Leistungsabgabe: , ⋅ kWh ⋅ a−

Herstellungskosten: ⋅ EuroJährliche Gesamtbetriebskosten: ⋅ Euro ⋅ a−

In der Abb. 7.2 werden die Daten des GuD-Kraftwerks verglichen mit den äquivalentenDaten verschiedener Anlagetypen zurWandlung erneuerbarer Energien. Dabei verzichtenwir, wegen der großen Unsicherheiten, auf Zahlenangaben, sondern kodieren den Ver-

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7 Eine Zukunft ohne Energie? 251

gleichswert mithilfe vonGrautönen: Je heller der Grauton, um somehr spricht das Verhält-nis R zwischen erneuerbarer Energie und GuD-Kraftwerk zu Gunsten der erneuerbarenEnergie. Die Grautonabstufungen folgen einer logarithmischen Skala von ≤ i ≤ aufder Basis 2. Einige Bemerkungen zu den Anlagetypen, die in der Abb. 7.2 erscheinen.

Fotovoltaik: Unterschieden wird zwischen Kleinanlagen, die im Allgemeinen auf Dä-chern in Wohngebieten errichtet werden, und Großanlagen, die sich außerhalb vonWohngebieten auf speziell dafür ausgewiesenen Flächen befinden. Im zweiten Fall müssendie Fotodioden geständert und nach der Sonne ausgerichtet werden, was höhere Kostenund einen größeren Materialbedarf bedeuten. Allgemein zeichnen sich Fotovoltaikanla-gen dadurch aus, dass sie von allen erneuerbaren Energien, die hier betrachtet werden,die längsten Energierückholzeiten benötigen. Bezogen auf eine Anlagelebensdauer von25 Jahren und der während dieser Zeit gewandelten elektrischen Energie, beträgt dieEnergierückholzeit unter europäischen Rahmenbedingungen etwa 30%. Das heißt, unterdiesen Bedingungen wandelt die Anlage während der ersten 8 Jahre gerade die Energie,die für ihren Aufbau benötigt wurde.

Solarthermische Anlage: Die dezentralen Anlagen dienen der Wärmebereitstellung ein-zelner Gebäude und sollten in Zukunft durch Modernisierung, d. h. der Wärmedämmungvon Gebäuden, ersetzt werden. Die Konzentratoranlagen werden errichtet zur Wandlungvon thermischer in elektrische Energie. Sie müssen durch einen thermischen Speicher er-gänzt werden, falls die Energie ununterbrochen verfügbar sein muss. Die Energierückhol-zeiten von solarthermischen Anlagen sind wesentlich günstiger als die von Fotovoltaikan-lagen. Sie schwanken zwischen 4–8%abhängig davon, ob in derAnlage einWärmespeicherintegriert ist oder nicht.

Windkraftanlage: Die Anlagedaten hängen nur wenig von denmittleren Windgeschwin-digkeiten ab. Natürlich steigt bei gleicher Anlage die gewandelte Leistung mit derWindge-schwindigkeit und daher verringern sich die Energierückholzeiten mit wachsenderWind-geschwindigkeit. Bei einer mittleren Windgeschwindigkeit von , m ⋅ s− liegen sie beietwa 5,5%. Wegen der logarithmischen Skala macht sich die Abhängigkeit von der Wind-geschwindigkeit in den Grautönen nur wenig bemerkbar.

Wasserkraftwerk: Wir haben zwischen kleinen Wasserkraftwerken, wie sie überwiegendin Deutschland vorkommen, und großen Kraftwerken, von denen einige in der Tab. 6.10aufgezählt werden, unterschieden. Auch hier ist die Energierückholzeit für große Anla-gen etwas geringer. Wasserkraftwerke besitzen im Mittel mit ca. 2% die günstigsten Ener-gierückholzeiten, was natürlich auch mit ihrem sehr hohen Wirkungsgrad zusammen-hängt. In ihrem Materialbedarf und den anderen Parametern unterscheiden sich kleineund große Anlagen nicht wesentlich voneinander.

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252 7 Eine Zukunft ohne Energie?

solarthermischeAnlage kraftwerk

Wasser−geotherm.Kraftwerk

KraftwerkGUD−

Herst. Kosten(Euro/kWh/a)

En. Preis(Euro/kWh)

Energierück−holzeit (a)

dezentral Konztr. +Speicherabs.

0,036

rel. Dach− Gross−anlage

Fotovoltaik

4,5 m/s kleinanlage 6,5 m/s5,5 m/s gross

Windkraftwerk

0,04

Fe

Cu

Al

327

10

10

71

0,23

0,49

423

0,15

CO

SO

NO

2

x

2

Emissionen (kg/MWh)

Zement

Material (kg/GWh/a)

Abb. 7.2 Ein Vergleich zwischen erneuerbaren Energien und einem konventionellen GuD-Kraft-werk mit Erdgasfeuerung. Je schwärzer die Farbe, um so schlechter schneiden die erneuerbarenEnergien bei diesem Vergleich ab

Geothermisches Kraftwerk: Da sich das HDR-Verfahren noch im Versuchsstadium be-findet, sind die Angaben zu diesemAnlagetyp sehr unsicher.Währenddas Kraftwerk selbsteinem konventionellen Kraftwerk sehr ähnlich ist, können die Aufwendungen für die Tief-bohrungen und die Erschließung des heißen Gesteins nur grob abgeschätzt werden.

Biomasse ist in der Tab. 7.1 außen vorgelassen, weil es sich dabei imWesentlichen nur umdie Umwidmung einer etablierten Technologie handelt: Nahrungspflanzen werden durchEnergiepflanzen ersetzt. Der begrenzende Parameter ist hier der extrem große Nutzflä-chenbedarf und diese Tatsache wurde schon öfters diskutiert.

Die Aufgabe der Abb. 7.2 ist, uns auf die Punkte hinzuweisen, wo der Einsatz erneuer-barer Energien große Vorteile bietet, unsere Aufmerksamkeit aber auch auf die Punkte zulenken, wo wir mit großen Nachteilen rechnen müssen. Es ist unbestritten, dass erneuer-bare Energien weniger Schadstoffe emittieren als die fossilen Energien. Es gibt aber auchviel fundamentalere Aspekte, die erneuerbare Energien keineswegs so umweltschonend er-scheinen lassen, wie allgemein angenommen wird. Auf diese Aspekte ist an verschiedenenStellen in diesem Buch bereits hingewiesen worden undwir werden darauf noch einmal imKap. 11 eingehen. Auf der anderen Seite erfordern von den erneuerbaren Energien insbe-sondere die Solar- undWindenergie einen viel höherenMaterialbedarf, als wir das von denfossilen Energien gewohnt sind. Dies hängt natürlich mit der geringen Energiedichte die-ser Energieträger zusammen, welcher charakteristisch für sie ist. Damit verkoppelt ist dieErkenntnis, dass die Einführung erneuerbarer Energien sehr große Investitionsmittel er-

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7 Eine Zukunft ohne Energie? 253

Tab. 7.2 Der jährliche Finanzierungs- undMaterialbedarf für den weltweiten Aufbau erneuerbarerEnergien bis zum Jahr 2050

Energieform Bio-masse

Wasser-kraft

Geo-thermie

Foto-voltiak

Solar-thermie

Wind-kraft

total

Beitrag zur Ener-gieversorgung

4% 4% 3% 6% 13% 20% 50%

Kapazität (GW) 28 28 21 147 319 393 936Jährliche Investitionskosten (% BIP)

0,13 0,16 0,12 1,68 1,75 1,44 ≈ 5,3 (7,9)a

Jährlicher Materialbedarf ( kg ⋅ a−)Fe 22,0 2,8 402,5 8,5 103,3 ≈ 540 (927)b

Cu 0,3 – 7,0 – 2,3 ≈ 10 (16)b

Al – 0,1 0,5 5,5 1,3 ≈ 7 (3)b

Zement 82,5 8,8 42,5 54,0 51,8 ≈ 240 (260)b

a Bei Berücksichtigung der Kosten des Wirtschaftstrukturwandels;b Augenblickliche Jahresproduktion

fordert. Die Höhe der Investitionenwurde kürzlich in einer Untersuchung3 berechnet, dieErgebnisse werden im Folgenden auf die Prognose 2 (Abschn. 5.6) übertragen. FolgendeAnforderungen müssen zusätzlich berücksichtigt werden:

• Wegen der zeitlichen Fluktuation erneuerbarer Energien müssen die in weniger als40 Jahren zu errichtenden Kapazitäten um den Faktor 1,3 größer sein als der progno-stizierte Primärenergiebedarf. Dies entspricht einer jährlich zu errichtenden Kapazitätvon , ⋅ kWh ⋅ a− an erneuerbaren Energien.

• Der Investitionsmittelbedarf erhöht sich um einen Faktor 1,5, weil die globalen Wirt-schaftsstrukturen von der derzeit dominierenden Form (chemische Energie) auf diezur Mitte des 21. Jahrhunderts vorherrschende Form (elektrische Energie) umgestelltwerden müssen. Ein besonders gravierendes Problem stellt der Ersatz der, unsere Le-bensgewohnheiten heute noch bestimmenden Petrochemie dar.

• Für die Finanzierung wurde ein Zinssatz von 5% und eine Kreditlaufzeit von 20 Jahrenangenommen.

Mit diesen Erweiterungen ergibt sich der jährlicheBedarf an Investitionen undMaterialien,wie er in Tab. 7.2 angegeben ist.

Dabeiwurden die entsprechendenAnteile der Träger erneuerbarer Energien anhandderderzeitigen vorhandenen und zukünftig möglichen Wirtschaftsstrukturen ermittelt. Nachder Aeldric-Studie, erweitert auf Prognose 2, müssten etwa 5,3% des Welt-BIP jedes Jahraufgewendetwerden, umerneuerbare Energien in erforderlichemAusmaß in dieWeltener-

3 Hier als Aeldric-Studie bezeichnet, siehe http://www.theoildrum/com/node/5490.

Page 260: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

254 7 Eine Zukunft ohne Energie?

gieversorgung einzuführen. Dies ist praktisch unmöglich. Betrachten wir die deutschenVerhältnisse:

Deutschland hat im Jahr 2008 einen Anteil von 0,56% seines BIP von , ⋅ USD ⋅a−

aufgewendet, um seine Kapazitäten an erneuerbaren Energien um , ⋅ kWh ⋅ a− zuvergrößern. Dies ergibt einen Steigerungsfaktor von

, ⋅ kWh ⋅ a− erneuerbare Energien (installiert) pro % BIP.

Rechnet man dies um auf den weltweit erforderlichen Zuwachs, so wären dafür, gemessenan deutschen Verhältnissen und ohne Berücksichtigung der Kosten für die Wirtschafts-strukturumstellung, etwa 8% desWelt-BIP erforderlich. Dies ist mehr als das Ergebnis derAeldric-Studie, die offensichtlich von noch zu optimistischen Voraussetzungen ausgeht.Aber das Problem wird deutlich: Selbst unter optimistischen Annahmen kann ein reichesund hochindustrialisiertes Land, wie Deutschland, nur etwa 1/10 der erforderlichen Inves-titionsmittel für den Aufbau einer ausreichenden Energieversorgung bereitstellen.

Bei der Analyse des erforderlichenMaterialbedarfs kommtman zu ähnlichen Ergebnis-sen. Die Jahresproduktionen von Fe, Cu und Zement würden fast vollständig benötigt zurInstallation der Wandlungsanlagen für erneuerbare Energien. Dagegen würde der Bedarfan Al die heutige Weltjahresproduktion um ein Vielfaches übersteigen. Es ist sogar so, dassdie gesamten Weltreserven an Al in Höhe von ⋅ kg nicht ausreichen würden, umdie wichtigsten Wandlungstechnologien Fotovoltaik, Solarthermie und Windkraft in einezukünftige Energieversorgung so zu integrieren, dass diese den weltweiten Energiebedarfdecken könnte.

Neben den prinzipiellen Grenzen, welche die Verwendung erneuerbarer Energieneinschränken, würde ihre angemessene Einführung in die weltweite Energieversor-gung bis zum Jahr 2050 auch an dem dafür erforderlichen Bedarf von Investitions-mitteln und Rohstoffen scheitern.

Eine Zukunft ohne Energie? Nicht vollständig, denn als Teil derNatur kann derMensch,auch nach dem Ende der fossil biogenen Energieträger, erwarten, dass ihm wenigstens dieEnergie zur Verfügung steht, welche ihm von derNatur zugewiesen ist. Aber auch nicht vielmehr. Dabei wäre das „viel mehr“ die Voraussetzung dafür, dass die Menschheit und ihrWohlstand sich in dem Umfang weiter entwickeln können, wie er durch die Entdeckungder fossilen Energieträger im 18. Jahrhundert ermöglicht wurde.

Dies ist kein ausschließlich pessimistischer Blick in die Zukunft.Was hier dargelegt wur-de ist nur, dass die erneuerbaren Energien alleinnicht in der Lage sind, unseren gewohntenLebensstandard bei einer wachsenden Weltbevölkerung zu gewährleisten. Es wäre schonviel gewonnen, wenn die Menschheit diesen realistischen Blick auf ihre Möglichkeiten ak-zeptieren könnte und nicht imWunschdenken verharrte. Denn die einzig richtige Schluss-

Page 261: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

7 Eine Zukunft ohne Energie? 255

flogerung aus dieser Erkenntnis wäre dann, die anderen, noch vorhandenen Energieop-tionen zu untersuchen und auf ihren Nutzen zu prüfen. Sicherlich stellt die Kernenergieeine der Optionen dar, die sich anbietet. Sie ohne Prüfung von vornherein auszuschließen,heißt nur, denWeg in eine Zukunft ohne (ausreichend) Energie zu gehen. Noch ist der Zeit-punkt nicht erreicht, zu dem die Menschheit eine Entscheidung treffen muss. Aber dieserZeitpunkt wird noch vor der Mitte des 21. Jahrhunderts erreicht sein.

Sollte entschieden werden, die Option „Kernenergie“ nicht zu verfolgen und allein aufdieOption „erneuerbare Energien“ zu setzen, dannmüssen innerhalbe der nächsten 40 Jah-re folgende Probleme gelöst werden, die Themen der folgenden Kapitel sind:

• EnergiespeicherungWegen der zeitlichen Fluktuation im Angebot erneuerbarer Energien muss die Mög-lichkeit bestehen, Energie in Zeiten zu speichern, in denen das Angebot groß ist, umdie Energieversorgung zu garantieren in Zeiten, in denen das Angebot klein ist.

• EnergietransportFalls es gelänge, die Energieversorgung global zu organisieren, könnte der Zwang zurEnergiespeicherung auch teilweise ersetzt werden durch den Energietransport von Ge-bieten mit einem großen Angebot in Gebiete mit nur geringem Angebot.

• EnergiesparenDas Energieangebot wird in diesem Fall zurückgehen und diesemWeg muss der Ener-giebedarf folgen – es muss Energie gespart werden. Aber was bedeutet das und wie solles gesteuert werden, so dass die Auswirkungen nicht unerträglich werden?

Page 262: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8Die Energiespeicherung

Wir haben uns daran gewöhnt, dass die für unser tägliches Leben notwendige Endenergieimmer und ohne Beschränkungen zur Verfügung steht, also zu jedem Zeitpunkt und inder Menge vorhanden ist, die wir benötigen. Dass dem so ist, liegt daran, dass die fossilenEnergieträger, auf denen unsere Energieversorgung jetzt noch basiert, einen enorm großenEnergiespeicher bilden, einen Speicher für chemische Energie. Ist dieser Energiespeicherin wenigen Jahrzehnten geleert, muss er durch andere Formen von speicherbarer Energieersetzt werden. Für Viele sind die erneuerbaren Energien, die wir in den beiden letztenKapiteln behandelt haben, die erwünschte Alternative. Aber erneuerbare Energien stehennicht immer und ohne Beschränkung zur Verfügung, wenigstens die Solarenergie und dieWindenergie unterliegen starken Fluktuationen im Angebot. Unser Anspruch auf einekontinuierliche Energieversorgung erfordert darum, dass für alle Formen der erneuerbarenEnergien die notwendigen Speicher entwickelt werden, welche die fossilen Energiespei-cher ersetzen können. Und weiterhin: Wegen des großen Flächenbedarfs von Solar- undWindenergie kann die Wandlung in Endenergie nicht nur in der Nähe von Industrie- undBevölkerungszentren durchgeführt werden, sondern die gewandelte Energie muss übergroße Distanzen transportiert werden. Der Energietransport kann übrigens auch das Spei-cherproblem teilweise lösen, wie wir es z. B. vom Erdöl gewohnt sind, das per Schiff oderRohrleitung über Distanzen vonmehr als 10.000 km transportiert wird. Daraus wird deut-lich, dass die Probleme der Energiespeicherung und des Energietransports eng verknüpft,aber für die erneuerbaren Energien bisher nicht gelöst sind. Warum ist das so und welcheLösungen bieten sich an?

8.1 Die Versorgungmit erneuerbarer Energie

Wennwir in die Zukunft blicken, ist die naheliegende Frage, wie viel Energie überhaupt ge-speichert werden muss. Und schon diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, da es keineeinfache Antwort auf die viel näher liegende Frage gibt, wie denn ein zukünftiger Energie-

257D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_8,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

Page 263: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

258 8 Die Energiespeicherung

bedarf von , ⋅ kWh ⋅ a− gedeckt werden soll. Ein Ergebnis des letzten Kapitels war,dass dies mit erneuerbaren Energien allein nicht möglich ist. Aber im Prinzip muss diesesProblem natürlich nicht gelöst sein, wichtig ist allein die Tatsache, dass eine Energieversor-gung auf der Basis erneuerbarer Energien den Angebotsschwankungen Rechnung tragenmuss, wie es auch in der Aeldric-Studie geschah, siehe Kap. 7.

Diese zeitlichen Fluktuationen sind kurzfristig (Tag/Nacht Zyklus) und langfristig(Sommer/Winter Zyklus). Die erforderliche Größe eines Energiespeichers wird bestimmtdurch die langfristigen Fluktuationen. Ein Beispiel für eine langfristige Fluktuation ist diemonatlicheVeränderung der Sonnenintensität, die in Abb. 6.4 dargestellt ist. Eine derartigeFluktuation kann beschrieben werden durch die Funktion

P = P ( − σcos (πt)) mit ≤ t ≤ und Periode T = mon (8.1)

und ist in Abb. 8.1 gezeigt. Die Zeit t in (8.1) wird in der Einheit [t] = mon (Monat)gemessen, die Schwankung σ mit dem Wertebereich ≤ σ ≤ bestimmt die Stärke derFluktuation umden zeitlichenMittelwert P . Der zeitlicheVerlauf der Energie, wie er durch(8.1) gegeben ist, lässt sich aufspalten in einen zeitunabhängigen Anteil, die Grundlast

PG = P( − σ) (8.2)

und in einen zeitabhängigen Anteil, die Schwankungslast

PS = σP ( − cos (πt)) . (8.3)

Die Energiespeicherung muss die zeitabhängige Schwankungslast PS ausgleichen, indemsie den während der Monate < t ≤ auftretenden Energieüberschuss in die Zeiten <t ≤ , < t ≤ des Energiedefizits verschiebt. Diese Zusammenhänge deuten auf zweigravierende Nachteile der Energiespeicherung hin:

• Die zu errichtenden Wandlungskapazitäten sind größer als es der Energiebedarf P er-fordert. Maximal muss eine Energie P( + σ) gewandelt werden können, daher mussdie Wandlungskapazität um den Faktor + σ vergrößert werden.

• Die zu speichernde Schwankungslast vergrößert sich umdenKehrwert des Gesamtspei-cherwirkungsgrads: ΔW = ΔW∗

/ηSp (siehe (2.55), ΔW∗ ist der durch den Speicher zudeckendeEnergiebedarf, ΔW ist die demSpeicher zuzuführendeEnergie). DerGesamt-wirkungsgrad des Speichers setzt sich aus zwei Faktoren zusammen, die das Füllen (i)und das Entleeren (f) des Speichers kennzeichnen:

ηSp = η(i)Sp η

(f)Sp . (8.4)

Beide Punkte bedeuten, dass wegen der Schwankungslast die Energiekosten und die zurWandlung benötigten Flächen steigen. Um den Kosten- und Flächenanstieg berechnen zu

Page 264: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8.1 Die Versorgungmit erneuerbarer Energie 259

Abb. 8.1 Die Funktion (8.1),die den zeitlichen Verlauf derSonnenintensität währendeines Jahrs beschreibt. DamitEnergie ununterbrochen zurVerfügung steht, muss mit demEnergieüberschuss (+) dasEnergiedefizit (−) aufgefülltwerden. Dabei muss, wegendes Wirkungsgrads ηSp, fürden Speicher mehr Energiebereitgestellt werden, als ihmspäter wieder entnommen wird

+

Monat (mon)

So

nn

enin

ten

sitä

t (a

.u.)

PG

PS

0

20

40

60

80

100

120

140

160

0 2 4 6 8 10 12

- -

können, muss die Menge der zu speichernden Energie in einem quantitativen Beispiel be-rechnet werden, was jetzt geschehen soll.

Die zu speichernde Energiemenge beträgt1

ΔW =ηSp

(PS − σP)dt =σηSp

Pπ(sin

π− sin

π) =

σηSpπ

P . (8.5)

Die Speichermenge ist also proportional zur Schwankung σ und umgekehrt proportionalzum Speicherwirkungsgrad ηSp. Sie muss die während der Wintermonate nicht vorhande-ne Energie

ΔW =

(σP − PS)dt = −σπP (8.6)

ersetzen. Weiterhin erhöht sich die insgesamt zu wandelnde Energiemenge auf einen Wert

P = P + ΔW + ΔW = P ( +σπ(

ηSp− )) , (8.7)

sie ist also größer als der eigentliche Energiebedarf P, da ein Teil, nämlich die Schwan-kungslast, zwischengespeichert werden muss. Vergleichen wir das Ergebnis (8.7) mit demAnsatz (2.56), so beträgt der Nutzungsgrad erneuerbarer Energien

ζ(ernb) = ζ(foss) ( + (ηSp− )

σπ)

, (8.8)

was sich in der Tat von dem Ansatz (2.56) unterscheidet, da wir jetzt ein definiertes Modellfür die Schwankungslast entwickelt haben. Aber dieser Unterschied ist nicht sehr groß:

1 Bei der Berechnung des Integralsmuss berücksichtigtwerden, dass wir immer den jährlichen Ener-giebedarf P angeben, die Integration aber über die Monate 3 bis 9 durchgeführt wird.

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260 8 Die Energiespeicherung

Verwenden wir die Parameter aus dem obigen Beispiel und die Daten aus Abschn. 2.4.1, sobeträgt der Nutzungsgrad erneuerbarer Energie nach (8.8)

ζ(ernb) = ζ(foss) ( + ( − ),π)

−= , ζ(foss) (8.9)

und nach dem Ansatz (2.56) mit α = und δ = σ würde sich ergeben

ζ(ernb) = ζ(foss) ( + (, − ),) = , ζ(foss) . (8.10)

Diese Gleichheit ist mehr zufällig, von größerer Bedeutung ist, dass der Vergleich von(8.8) mit (2.56) drauf hinweist, dass die inverse Schwankung /σ äquivalent ist zum Ver-sorgungsgrad δ. Folglich sollte der Anteil, den erneuerbare Energien in der Versorgungübernehmen, dann möglichst klein sein, wenn ihre zeitlichen Fluktuationen besondersstark sind. Diese Zusammenhänge helfen mit, die Daten der Tab. 7.1 zu verstehen.

Gleichung 8.8 bildet die Basis, anhand derer die physikalischen Eigenschaften der Ener-giespeicherung untersuchtwerdenmüssen. In (8.8) tritt die PeriodeT der Fluktuation nichtexplizit auf, sie gilt daher sowohl für kurzfristige Fluktuationen (Tag/Nacht Zyklus), wie fürlangfristige Fluktuationen (Sommer/Winter Zyklus). Daraus folgt:

• Die relative Vergrößerung des Primärenergiebedarfs durch zeitlich fluktuierende Ener-giequellen ist unabhängig von der Periodendauer der Fluktuation.Betrachten wir den Tag/Nacht Zyklus mit σ = und setzen wir einen Energiespeichermit Wirkungsgrad ηSp = , voraus, so erhöht sich der Primärenergiebedarf PEB(ernb)

relativ zu dem bei ausschließlicher Verwendung von fossilen Energien PEB(foss) um

PEB(ernb) = γPEB(foss) mit dem γ-Faktor γ =ζ(foss)

ζ(ernb)= ,. (8.11)

Dies bedeutet eine Steigerung um fast einen Faktor 1 1/3 und ist daher in exzellenterÜbereinstimmung mit der Aeldric-Studie. Natürlich ist dieses Ergebnis nicht realis-tisch, weil unberücksichtigt bleibt, dass zurMitte des 21. Jahrhunderts noch ca. 50%desPrimärenergiebedarfs von fossilen Energien gedeckt werden können2. Dies muss mit-hilfe des linearen Ansatzes (2.47) berücksichtigt werden, was in Abschn. 10.4 geschehenwird.Dagegen ist die Periodendauer der Fluktuation bestimmend dafür, wie groß die zu spei-chernde Energiemenge absolut sein muss. Das bedeutet:

• Die benötigte Kapazität des Energiespeichers ist vorgegeben durch die Periodendauerder Fluktuation.

2 Die Aeldric-Studie nimmt in der Tat an, dass um 2050 der Vorrat an fossilen Energien vollständigverschwunden ist.

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 261

Für langfristige Fluktuationen (Sommer/Winter Zyklus) muss die Kapazität des Spei-chers

ΔW =σ

ηSpπPEB(foss) = ⋅ kWh ⋅ a−

betragen. Für kurzfristige Fluktuationen (Tag/Nacht Zyklus) reduziert sich die notwen-dige Speicherkapazität um den Faktor 1/365 und beträgt nur noch

ΔW = ⋅ kWh ⋅ a− .

Es ist offensichtlich, dass es aussichtslos ist, genügend Speicherkapazität für langfris-tige Fluktuationen zu errichten. Unter den gewählten Bedingungen ist die Speicher-anforderung etwa halb so hoch wie der gesamte Primärenergiebedarf zu Beginn des21. Jahrhunderts. Aber es ist sicherlich auch nicht ausreichend, nur die Speicherkapa-zitäten für kurzfristige Fluktuationen zu errichten. Längerfristige Unterbrechungen imWandlungsprozessmüssen in dieKalkulation einbezogenwerden.Wir gehen davon aus,dass der Energiespeicher eine Kapazität von ⋅ kWh ⋅ a− besitzen muss, was einerPeriodendauer von etwa 10 Tagen entspricht. Dies schafft Reserven für den Ausfall vonAnlagen und für eine weitere Erhöhung des Primärenergiebedarfs.

8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien

In den folgenden Abschnitten werden wir untersuchen, ob Speicher für erneuerbare Ener-gien existieren, die eine Energiemenge von ca. ⋅ kWh ⋅ a− speichern können. Für einrealistisches Konzept muss der Speicher 3 Mindestanforderungen erfüllen:

• Das Speichermedium muss in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen und die Er-richtung des Speichers darf keine Extrakosten (finanziell oder energetisch) verursachen.

• Das Speichervolumen darf eine problemabhängige Größe nicht übersteigen. Wie großdas Volumen V eines Energiespeichers ist, wird bestimmt durch seine Energiedichtew = W/V und die Menge W der zu speichernden Energie. Die Werte sind durch dasProblem vorgegeben: Zum Beispiel ist für einen mobilen Energiespeicher (im Sektor„Mobilität“) ein Speicher mit hoher Energiedichte erforderlich, während für einen sta-tionären Speicher (im Sektor „Prozessenergie“) ein kleinerer Wert von w akzeptabel ist,wenn alle anderen Anforderungen optimal erfüllt werden.

• Der Speicherwirkungsgrad sollte möglichst groß sein (ηSp > ,), damit sich durch dieEnergiespeicherung nicht der Energiebedarf wesentlich erhöht. Für die erneuerbarenEnergien ist diese Forderung besonders wichtig, weil hier schon von vornherein eineLücke zwischen Energiebedarf und Energieangebot besteht.

Gibt es Speicher, welche diese Anforderung erfüllen, insbesondere bei der Speicherungelektrischer Energie, der dominanten Form erneuerbarer Energien? Wir werden gleich

Page 267: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

262 8 Die Energiespeicherung

Tab. 8.1 Die Eigenschaften ausgesuchter Dielektrika und die Energiedichten, die sich mit diesenDielektrika erreichen lassen

Dielektrikum ε a Emax(V ⋅m−)

Energiedichte(− kWh ⋅m−)

Luft 1 ⋅ 0,01imprägniertes Papier 2,23 , ⋅ 40Glimmer 3 , ⋅ 90Ba-Sr-Titanat 1800 ⋅ 222Polysteren 2,56 ⋅ 284Luzit 3 ⋅ 591

a Unter dar Annahme, dass ε unabhängig von E ist.

lernen, dass dieser Speicher nicht existiert, sondern das elektrische Energie zunächst ineine andere, speicherfähige Energieform umgewandelt werden muss, was den Speicher-wirkungsgrad aufgrundder Produktregel 2.33 verringert. Aber dies sind schwierige Fragen,deren Behandlung ein gutes Verständnis der zu Grunde liegenden physikalischen Geset-ze voraussetzt. Es ist daher kein Wunder, dass diese Behandlung allein auf der P-Ebenedurchgeführt werden kann.

8.2.1 P-Ebene: Physikalische Grundlagen von Energiespeichern

Erneuerbare Energien mit langen zeitlichen Fluktuationen werden überwiegend in elektri-sche oder thermische Energie gewandelt. Wir beginnen daher mit den Speichermöglich-keiten für diese Formen der Endenergie.

Die Speicherung elektrischer EnergieAls direkter Speicher für elektrische Energie kommen nur das elektrische Feld und dasmagnetische Feld in Betracht. Auf die Möglichkeit, elektrische Energie mithilfe des elek-trischen Felds zu speichern, wurde bereits im Abschn. 2.4.1 hingewiesen.

Das elektrische Feld entsteht zwischen den Elektroden eines Kondensators, wenn dieseaufgeladen werden. Wir betrachten zur Vereinfachung einen Plattenkondensator, dessenElektroden mit der Oberfläche A sich im Abstand d gegenüber stehen. Zwischen den Plat-ten befindet sich ein Dielektrikummit der Dielektrizitätskonstanten ε.Werden die Elektro-denmit konstanter Spannung Δϕ aufgeladen, so beträgt dieMenge der auf den Elektrodengespeicherten Ladung

q = CΔϕ mit der Kapazität C = εεAd. (8.12)

Die elektrische Feldkonstante hat die Größe ε = , ⋅ − C⋅N− ⋅m−.

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 263

Die maximale Ladespannung Δϕmax > Δϕ an dem Kondensator ist gegeben durch dieDurchbruchfeldstärke Emax, die von der Art des Dielektrikums zwischen den Elektrodenabhängt, also von der Dielektrizitätskonstanten ε. Es gilt

Δϕmax = Emaxd (8.13)

und die relevanten Parameter für verschiedene Dielektrika sind in der Tab. 8.1 zusammen-gefasst. Anhand der Daten in Tab. 8.1 lässt sich die Dichte der in einem Kondensator mitdem Volumen V = Ad gespeicherten Energie berechnen. Sie ergibt sich nach (2.50) zu

w =W∗

el

V=

qΔϕmax

V=

CAd

Δϕmax

= εε

Emax

. (8.14)

Das heißt, die Energiedichte in einem Kondensator ist von der Größenordnung w ≈

, kWh ⋅m−, wenn als Dielektrikum Polysteren gewählt wird. Das Kondensatorvolumenmuss von der Größe V ≈ ⋅ m sein, um die Speicheranforderungen einer zukünftigenEnergieversorgung zu erfüllen. Um sich eine Vorstellung von diesemVolumen zu machen:Falls wir die gesamte Fläche Deutschlands, das sind A = , ⋅ m, mit Kondensatorenbelegen, dannwürde dieser Stapel einenHöhe d ≈ m erreichen. Und bei dieser Abschät-zung ist der Raumbedarf der Elektroden, der Zuleitungen und der gesamten Infrastrukturnicht berücksichtigt!

Die Kondensatoraufladung mit konstanter Spannung ergibt einen Speicherwirkungs-grad ηSp = , unabhängig von der Spannung. Außerdem dauert die vollständige Aufla-dung unendlich lang (siehe (2.52)), Was natürlich unerwünscht ist, wenn nur kurzfristi-ge Fluktuation ausgeglichen werden sollen. Für solche Aufgaben muss ein Kondensatorschnell aufgeladen sein und dies gelingt mithilfe eines konstanten Gleichstroms I überden Ohm’schen Widerstand R.3 Diese Aufladetechnik erfordert allerdings, dass die Lade-spannung jetzt exponentiell ansteigt:

Δϕ = Δϕet/RC mit Δϕ = RI. (8.15)

Der Aufladevorgang muss unterbrochen werden, wenn Δϕ = Δϕmax, und dies geschiehtnach der endlichen Zeit

tmax = RC ln(Δϕmax

Δϕ+ ) . (8.16)

Der Speicherwirkungsgrad des Kondensators mit dieser Aufladetechnik ergibt sich zu

ηSp = −tmax

RC(

Δϕ

Δϕmax)

(8.17)

3 Der Vorteil der Gleichstromaufladung ist, dass die Ohm’schen Verluste RI konstant bleiben undsich nicht während des Ladevorgangs verändern.

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264 8 Die Energiespeicherung

und kann daher bei geeigneter Dimensionierung der Speicheranlage die Größe ηSp ≈ erreichen. Das ändert aber natürlich nichts an der nur geringen Energiedichte, die ein Cha-rakteristikum des elektrischen Kondensators ist.

Günstiger sieht es aus, wenn anstelle des elektrischen Felds E ein magnetisches Feld Bals Speichermedium verwendet wird. Äquivalent zu (8.13) beträgt die Energiedichte einesmagnetischen Felds

w =μ

Bmax

, (8.18)

wobei die elektrische Feldkonstante ε durch denKehrwert dermagnetischen Feldkonstan-te μ = ,⋅− V⋅s⋅A− ⋅m− ersetzt ist. Dasmagnetische Feldwird von einem durch eineSpule fließenden elektrischen Strom erzeugt, maximale Feldstärken von Bmax ≈ T sindohne Probleme erreichbar. Dies bedeutet eine Energiedichte vonw ≈ kWh ⋅m− in demmagnetischen Feld und diese Energiedichte ist mehr als 30mal größer als die maximaleEnergiedichte eines elektrischen Felds.

Allerdings gibt es auch jetzt ein Problem: Der Strom in einer Spule würde aufgrundder Ohm’schen Verluste sehr schnell abnehmen, die elektrische Energie verwandelt sichin thermische Energie. Dieser Totalverlust lässt sich nur vermeiden, wenn der Leitungswi-derstand verschwindet. In Supraleitern ist das der Fall, die Spulemüsste aus supraleitendenMaterial gewickelt sein. Da normale Leiter erst bei Temperaturen T ≈ K supraleitend wer-den, ist dieses Speicherverfahren, in großem Maßstab angewendet, extrem teuer. Aber dieEntwicklung von Hochtemperatur-Supraleitern hat in den letzten Jahren so große Fort-schritte gemacht, dass Hoffnung besteht, diese Technik in den kommenden 40 Jahren biszur Anwendungsreife zu entwickeln. Da in einem Supraleiter keine Umwandlung der elek-trischen in thermische Energie auftritt, besitzt ein derartiger Speicher einen sehr hohenSpeicherwirkungsgrad von ηSp ≈ .

Als Langzeitspeicher für elektrische Energie lassen sich Kondensatoren trotz desmöglichen hohen Speicherwirkungsgrads nicht verwenden. Auch Speicher auf derBasis der Supraleitung stehen z. Z. nicht zur Verfügung.

Das bedeutet: Die elektrische Energie muss vor der Speicherung in eine andere Ener-gieform umgewandelt werden, die sich speichern lässt.

Die Speicherung thermischer EnergieNach dem 1. Hauptsatz derThermodynamik, siehe (2.14), gilt in einem offenen System fürdie Änderung der thermischen Energie4

ΔQ = ΔU + ΔW . (8.19)

4 Siehe Fußnote 15 in Abschn. 6.11.1.

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 265

Diese Gleichung bedeutet: Wird dem System die thermische Energie ΔQ > zugeführt, somuss sich die innere Energie U des Systems um den Betrag ΔU > oder die mechanischeEnergie W um den Betrag ΔW > vergrößern. Gleichung 8.19 weist auf zwei Speicher-möglichkeiten für thermische Energie hin. Man kann Q speichern durch

1. Erhöhung der inneren Energie des Speichermediums ΔU = nCVΔT ,2. Umwandlung inmechanische Energie ΔW = VΔP.

Im ersten Fall wird die Temperatur T des Speichermediums vergrößert, wobei sein Volu-men V konstant bleibt. Darauf weist der IndexV an dermolarenWärmekapazitätCV desMediums hin. Im zweiten Fall wird bei konstantem Speichervolumen der Druck P in demMedium erhöht. Diesen Fall, bei dem es sich eigentlich um die Speicherung von mechani-scher Energie handelt, werden wir erst im nächsten Abschnitt besprechen.

Thermische Energie kann also in innere Energie des Speichermediums umgewandeltwerden nach der Gleichung

ΔQ = nCVΔT , (8.20)

wobei n die Anzahl der Mole in dem Speicher angibt und ΔT die Temperaturerhöhung desSpeichermediums. Daher erscheint es zunächst so, als könne man zwischen unterschiedli-chen Speicherverfahren wählen:

• Die Speicherung vonHochtemperaturwärmemit ΔT groß und n klein.• Die Speicherung vonNiedertemperaturwärmemit ΔT klein und n groß.

Der ersten Möglichkeit sind aber Grenzen gesetzt, da bei der Speicherung die Exergie desabgeschlossenen Systems nach Abschn. 2.2 nicht zunehmen darf. Also kann die Endtem-peratur Tf des Speichermediums nicht größer werden als die Temperatur T der Wärme,die gespeichert wird. Die Hochtemperaturspeicherung eignet sich nur, wenn T selbst sehrhoch ist. Hochtemperaturwärme lässt sich aber mit gutem Wirkungsgrad auch in andereEnergieformen umwandeln. Die Hochtemperaturspeicherung ist daher von geringer Be-deutung, wir werden auf sie am Ende diese Abschnitts nur kurz eingehen.

Die Niedertemperaturspeicherung verlangt einMedium, das einemöglichst großeWär-mekapazität CV besitzt und das sein Volumen bei der Temperaturerhöhung möglichstnicht verändert, für das also CV = C gilt. Es kommen als Speichermedium deswegen nurfeste Körper und Flüssigkeiten in Frage. Deren molare Wärmekapazität wird sehr oft auchersetzt durch die spezifischeWärmekapazität

cm =C

mMol, wobei mMol die Molmasse des Mediums ist. (8.21)

Nach dem Dulong-Petit’schen Gesetz besitzt jeder ideale Festkörper die molare Wärme-kapazität

C = R = J ⋅K− ⋅mol− = , ⋅ − kWh ⋅K− ⋅mol− . (8.22)

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266 8 Die Energiespeicherung

CaF2

−1−1

3002001000 4000

5

10

15

20

25

Temperatur T (K)

C

Pb

Cu

Be

C (

J K

m

ol

)

Q (MJ/kg)

Q = 2.26 MJ/kgD

Tem

per

atu

r T

( C

)o

Q = 0.335 MJ/kgS

−50

0

50

100

150

zugeführte Wärme 1 2 3 4

a b

Abb. 8.2 a zeigt die Temperaturabhängigkeit der molaren Wärmekapazitäten CV verschiedenerFestkörper. b zeigt die Wassertemperatur in Abhängigkeit von der zugeführten Wärme. Erreicht dieWassertemperatur bestimmte Werte, finden die Phasenübergänge fest → flüssig und flüssig→ gas-förmig statt, bei denen sich die Temperatur nicht ändert, obwohl weiter Wärme zugeführt wird

Von diesem idealen Verhalten treten bei realen Festkörpern erhebliche Abweichungen auf:

• Die molareWärmekapazität ist temperaturabhängig. Für T → beobachtet man C → ,wie in der Abb. 8.2 dargestellt.

• Die zugeführte Wärme erhöht nicht nur die Temperatur des Festkörpers, sondern führtbei einer bestimmten Temperatur TS zur einem Phasenübergang von dem festen in denflüssigen Zustand des Speichermediums, wie es für Wasser in Abb. 8.2 dargestellt ist.

Der Übergang vom festen in den flüssigen Aggregatzustand stellt einen Phasenübergangerster Ordnung dar, bei dem sich die Entropie S des Systems um ΔS vergrößert. Zur Entro-pieerhöhung ist die Zufuhr von Wärme notwendig, ohne dass sich die Temperatur TS desSystems während des Phasenübergangs erhöht. Die für den Übergang notwendige WärmeΔQS wird latenteWärme genannt, es besteht zwischen diesenGrößen der Zusammenhang

ΔQS =ΔSTS

. (8.23)

Erfolgt der Phasenübergang in umgekehrter Richtung, also vom flüssigen in den festenAggregatzustand, wird die Wärme ΔQS wieder an das System zurückgegeben.

Ein äquivalentes Verhalten beobachtet man auch für den Phasenübergang erster Ord-nung von dem flüssigen in den gasförmigen Aggregatzustand, für den entsprechend zu(8.24) gilt

ΔQD =ΔSTD

, (8.24)

wobei ΔS, TD und ΔQD andereWerte besitzen, wie in Abb. 8.2 fürWasser gezeigt. Phasen-übergänge können daher zur Wärmespeicherung benutzt werden. Zum Beispiel basiertedie heute veralteteDampfheizung auf diesem Prinzip. Sie ist veraltet, weil dieWärme ΔQD

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 267

Tab. 8.2 DieWärmekapazitäten pro Masse und pro Volumen für acht verschiedene Festkörper undzwei verschiedene Flüssigkeiten bei einer Temperatur T = °C

Speichermedium Molmasse(kg ⋅ kmol−)

SpezifischeWärmekapazität(− kWh ⋅ kg− ⋅K−)

Wärmekapazitätsdichte(kWh ⋅m− ⋅ K−)

Na 23 0,34 0,33Al 27 0,25 0,67Si 28 0,19 0,44Fe 56 0,12 0,94Cu 63,5 0,11 1,0Ag 108 0,066 0,7Pb 207 0,04 0,46SiO 59 0,22 0,33Hg 199 0,038 0,5HO 18 1,16 1,16

bei einer Temperatur TD = °C an den Raum zurückgegeben wird und diese Temperaturist als Zimmertemperatur viel zu hoch. Daher besitzt diese Art der Raumheizung, wie inAbschn. 2.3 gezeigt, eine schlechte Bewertung. Auf der anderen Seite eignen sich Phasen-übergänge zur Hochtemperaturspeicherung, siehe das Ende dieses Abschnitts.

Betrachten wir die spezifischen Wärmekapazitäten von einigen Festkörpern und Flüs-sigkeiten bei einer Temperatur T = K, die in Tab. 8.2 zusammengestellt sind.

Um Wärme ΔQ mit einer Temperaturdifferenz ΔT = TD − T = °C im Wasser zuspeichern, benötigt man ein Volumen

V ≈ΔQ

m⋅ kWh− .

Wasser speichert thermische Energie mit einer maximalen Energiedichte

w ≈ kWh ⋅m− (8.25)

und das ist die größte Energiedichte aller der in Tab. 8.2 aufgeführten Speichermedien.Wasser ist ein ausgezeichnetes Speichermedium für thermische Energie, sein Einsatz istallein dadurch beschränkt, dass TD = °C ist und es sich daher nur für die Niedertem-peraturspeicherung einsetzen lässt. Im Abschn. 10.1.1 werden wir ausführlich ein Beispielbehandeln, wo die Vorteile dieses Einsatzes aufgezeigt werden.

Niedertemperaturspeicher besitzen den weiteren Vorteil, dass ihre Leistungsverluste

PV = kVA(T − T) (8.26)

relativ gering sind,weil ΔT = T−T klein ist. DieseVerluste spielten bereits inAbschn. 6.5.1eine bedeutende Rolle, sie begrenzen denWirkungsgrad von thermischen Solarzellen. Ent-scheidend ist, wie klein derWärmeverlustkoeffizient kV = Λ/d ist, wie gut also der Speicher

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268 8 Die Energiespeicherung

thermisch isoliert ist. Die Güte der Isolation hängt von der Wärmeleitfähigkeit Λ und derDicke d der Isolationsschicht ab.

Und da liegt es nahe, die Eigenschaften des Erdbodens als Wärmespeicher zu untersu-chen, denn seineWärmeleitfähigkeit ist gering und die Isolationsdicke kann beliebig großgemacht werden. Insbesondere kann man hoffen, die Wärme der Sommerzeit mithilfe desErdbodens in die kalte Winterzeit zu retten. Ist dies möglich und wie hoch ist die Tempe-ratur des Erdbodens in der Winterzeit?

Analog zu (8.1) schwankt die Temperatur der Luft über dem Erdboden gemäß derFunktion

T = T − ΔTcos (ωt), (8.27)

wobei der Mittelwert der Temperatur T = °C beträgt und der Temperaturhub ΔT = °C. Mit ω ist die Frequenz der Temperaturschwankung gegeben, sie beträgt

ω =π

d− , (8.28)

wenn die Zeit t in der Einheit [t] = d (Tag) gemessen wird. Mit der Temperatur verändertsich die thermische Energie der Luft, die Energieschwankungen werden in den Erdbodenübertragen. Die Übertragung wird beschrieben durch das Wärmeleitungsgesetz (6.143)

AdQdt= −Λ

dTds

, (8.29)

wobei dT/ds der Temperaturgradient senkrecht zur Erdoberfläche ist. Gleichung 8.29 kannmithilfe der Beziehung

− dQ = nCdT (8.30)

auch in eine Differentialgleichung für die Temperatur des Erdbodens umformuliert wer-den. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir an der Temperaturverteilung längs des Wegs sim Volumenelement dV = Ads interessiert sind. Wir definieren die molare Dichte

ρ =Adnds=

dndV

und erhalten aus (8.29) die Gleichung

ρCdTdt= Λ

dTds

3→

dTds=

κdTdt

mit κ =ΛρC

, (8.31)

wobei κ die Temperaturleitfähigkeit des Erdbodens ist. Zur Lösung von (8.31) benutzenwir die Randbedingung für die Temperatur an der Erdoberfläche s =

dTdt= −ωΔTsin (ωt)

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 269

Sommer Winter Sommer

1

2

3

4

Tem

per

atu

r T

(oC

)

0

10

20

30

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1Temperatur T (oC)

123 4B

od

enti

efe

s (m

)

-10

-8

-6

-4

-2

0

0 10 20 30

a b

Abb. 8.3 a zeigt die Temperaturprofile des Erdbodens im Sommer (1), Herbst (2), Winter (3) undFrühling (4). Die b zeigt die Temperaturschwankungen des Erdbodens in der Tiefe 0m (1), 2,5m (2),5m (3) und 7,5m (4)

und mit dieser Randbedingung ergibt sich als Lösung

T(s, t) = T − ΔTe−kscos (ks − ωt). (8.32)

Diese Funktion von s und t beschreibt eine exponentiell gedämpfte Temperaturwelle, diesich senkrecht von der Erdoberfläche aus in den Erdboden hinein ausbreitet, sieheAbb. 8.3.

Dass dieseWelle exponentiell gedämpft ist, ist nicht verwunderlich: Aufgrund der Ener-gieerhaltung muss die Energiedichte und damit die Temperatur eines VolumenelementsdV um so geringer werden, je größer das Gesamtvolumen des Erdbodens ist, in das sichdie Welle ausgebreitet hat. Die Dämpfungskonstante beträgt

k =√ ω

κ. (8.33)

Daraus lässt sich folgern:

• Die mittlere Eindringtiefe der Wärme in den Erdboden beträgt

d =

κω. (8.34)

• Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wärme in den Erdboden beträgt

v =ωk=

κω. (8.35)

Der Erdboden besitzt eine Wärmeleitfähigkeit κ ≈ ,m⋅d− , und daraus errechnet sich

d ≈ m, v ≈ ,m ⋅ d− . (8.36)

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270 8 Die Energiespeicherung

Tab. 8.3 SchmelztemperaturTS und latente Schmelzwärme ΔQS von einigen elementaren Speicher-medien

Speichermedium Pb Al CuTS (K) 600 933 1356ΔQS (kWh ⋅ kg−) 0,0064 0,109 0,557

Obwohl also die mittlere Eindringtiefe nur 3m beträgt, erreicht die Sommerwärme nachder Hälfte eines Jahrs, also zur Winterzeit, bereits eine Tiefe von etwa 9m. Dieser Un-terschied zwischen der mittleren Eindringtiefe und der tatsächlich erreichten Tiefe wirddadurch erklärbar, dass der größte Teil der Wärme auf dem Weg in die tiefen Erdboden-schichten schon in oberen Schichten gespeichert wurde. Diese Speichervolumina dV wer-den früher erreicht, ihre Temperaturen folgen daher noch stärker den Temperaturschwan-kungen an der Erdoberfläche.

Die Temperaturprofile des Erdbodens zu verschiedenen Jahreszeiten und die Schwan-kungen der Erdbodentemperatur in verschiedenen Tiefen sind in der Abb. 8.3 gezeigt. Abetwa 5m Tiefe besitzt der Erdboden eine von der Jahreszeit unabhängige, fast konstan-te Temperatur von 15 °C. Diese Temperatur ist zu gering, um sie für Heizungszwecke zubenutzen. Sie lässt sich aber mittels einer Wärmepumpe auf eine für Heizungszwecke ge-nügend hohe Temperatur transformieren und diese Methode der Raumheizung ist wegendes Wirkungsgrads η > einer Wärmepumpe allemal günstiger als die mithilfe der Ver-brennung fossiler Brennstoffe. Mit dem Prinzip einer Wärmepumpe beschäftigen wir unsin Abschn. 10.1.1.

Die Möglichkeit, auch Hochtemperaturwärme speichern zu können, kann in Zukunftsehr wichtig werden, wenn thermische Solarkraftwerke in der Energieversorgung eine im-mer bedeutendere Rolle spielen sollten, siehe Abschn. 6.4. Dieser Typ von Kraftwerk stehtüberwiegend im Sonnengürtel der Erde, die Periodendauer der Energieschwankungen be-trägt i.A. nur T = d und damit wird das Speicherproblem wesentlich vereinfacht. Aufder anderen Seite wird es mit steigender Temperatur T immer schwieriger, eine geeigne-te thermische Isolation zur Vermeidung von Leistungsverlusten PV zu entwickeln. EinengewissenAusweg bildet dieMöglichkeit, dieWärme als latenteWärmebei der Schmelztem-peratur des Speichermediums zu speichern. Im Allgemeinen ist es so, dass mit Zunahmeder latenten Wärme ΔQS auch die Schmelztemperatur TS ansteigt. In der Tab. 8.3 sind ei-nige Beispiele für dieses Verhalten gezeigt. Aus diese Tabelle wird auch ersichtlich, dass dieSchmelztemperaturen von reinen Elementen so hoch liegen, dass die thermische Isolationein fast unüberwindbares Hindernis für die Wärmespeicherung darstellt.

Etwas anders sieht es aus, wennman als Speichermedium Elementmischungen verwen-det, wie sie in Tab. 8.4 zusammengefasst sind. Durch das Mischungsverhältnis lässt sichdie Schmelztemperatur verändern, in der Tab. 8.4 sind die Mischungsverhältnisse angege-ben, bei denen TS minimal ist. Besonders geeignet für dieWärmespeicherung scheinen dieeutektischen Mischungen zu sein, bei denen es sich um Mischungen von Chlorid- oderFluorid-Salzen handelt. Ihr Nachteil besteht darin, dass sie ihre Dichte beim Phasenüber-

Page 276: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 271

Tab. 8.4 Schmelztemperatur TS, latente Schmelzwärme ΔQS und die Massendichten im festen undflüssigem Aggregatzustand von gemischten Speichermedien

Speichermedium TS (K) ΔQS (kWh ⋅ kg−) ρm (kg ⋅m−)Fest Flüssig

75NaF + 25MgF 1105 0,18 2690 219067 LiF + 33MgF 1019 0,255 2630 230560 LiF + 40NaF 925 0,225 2500 193046 LiF + 44NaF + 10MgF 905 0,245 2610 210544 LiF + 12NaF + 4MgF + 40KF 722 0,199NaSO + 91HO 305 0,07 1450 133020KF + 80HO 291 0,09

gang fest↔ flüssig sehr stark verändern, wie für einige von ihnen ebenfalls in der Tab. 8.4angegeben ist. Dieses Verhalten stellt besondere Anforderungen an die mechanische Kon-struktion des Speichers, die der Volumenänderung folgen muss, ohne seine thermischeIsolation zu verlieren. Denn sinkt die Temperatur des Speichers unter den Wert von TS,dann ist auch die gesamte gespeicherte latenteWärme an dieUmgebung verloren gegangen.Diese Gefahr ist relativ gering bei den zwei letzten Speichermedien, die in Tab. 8.4 aufge-führt sind. Es handelt sich um Niedertemperaturspeicher mit einer Energiedichte wie dervonWasser, nämlich von ca. kWh ⋅m−. Die latente Wärme kann aber diesen Speichernschon bei einer Temperatur TS ≈ °C wieder entnommen werden.

Für die Niedertemperaturspeicherung im Temperaturbereich 50 °C < T < °Cist Wasser mit einer maximalen Energiedichte von kWh ⋅m− und einem Spei-cherwirkungsgrad von ηSp ≈ , ein besonders geeignetes Speichermedium. Fürdie Hochtemperaturspeicherung eignen sich besonders die eutektischen Mischun-gen mit einer Energiedichte von bis zu kWh ⋅ m−. Diese Speichertechnologieerfordert jedoch einen besonders hohen technischen Aufwand und eine gute thermi-sche Isolation, damit die Schmelztemperatur derMischungwährend der Speicherzeitnie unterschritten wird.

Die Speicherung mechanischer EnergieAls Methoden für die Speicherung von mechanischer Energie kommen eigentlich nur inFrage:

• Die Speicherung von potenzieller Energie, wie sie in einem Speicherkraftwerk verwirk-licht ist.

• Die Speicherung von kinetischer Energie, diemithilfe einesDruckluftspeichers realisiertwerden kann.

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272 8 Die Energiespeicherung

Abb. 8.4 Die prinzipielle An-lage eines Speicherkraftwerksmit einemWasserspeicher zwi-schen den Höhen h und hrelativ zur Höhe h des Was-serkraftwerks

Kra

ftw

erk

1h

2h

h0

Speichersee

Andere Methoden, wie zum Beispiel die Speicherung von Rotationsenergie in einemschnelllaufenden Drehkörper, erzielen eine so geringe Energiedichte, dass sie sich alleinschon deshalb nicht zur Speicherung der Schwankungslast von erneuerbaren Energienverwenden lassen. Auch die Energiespeicherung mithilfe eines Speicherkraftwerks besitzt,wie wir gleich lernen werden, nur eine geringe Energiedichte. Speicherkraftwerke befin-den sich aber schon heute im Gebrauch, weshalb wir ihre physikalischen Grundlagen hierbehandeln wollen. Dagegen finden reine Druckluftspeicher bisher keine Verwendung,nur in Verbindung mit einem Gasturbinenkraftwerk wurden sie vereinzelt eingesetzt. Siebilden aber eine Speichermöglichkeit für die Zukunft, da bei der Förderung von fossilenEnergieträgern Kavernen entstehen, deren große Volumina sich unter Umständen zurSpeicherung von Druckluft verwenden lassen.

Das SpeicherkraftwerkDas Prinzip eines Speicherkraftwerks ist uns bereits im Abschn. 6.8.1 bei der Behandlungder Wasserkraftwerke begegnet. Durch das Anheben der Wassermassem = ρmV mit derMassendichte ρm = kg ⋅ m− auf die Höhe Δh = h − h gewinnt das Wasser diepotenzielle Energie

ΔWpot = mgΔh. (8.37)

Dabei ist g ≈ m ⋅ s− die Erdbeschleunigung. Das Anheben des Wassers auf die Hö-he h geschieht durch elektrische Pumpen, es wird also elektrische Energie in potenzielleEnergie umgewandelt. Beim Abfließen des Wassers zurück auf die Höhe h kann die po-tenzielle Energie mithilfe einer Wasserturbine und angeschlossenem Generator wieder inelektrische Energie umgewandelt werden. Im Allgemeinen wird die angehobene Wasser-masse in einem Speicherbecken aufgefangen, dessen Sohle sich auf der Höhe h befindetund das bis zum Wasserspiegel h gefüllt wird, wie es in der Abb. 8.4 dargestellt ist. Dieeffektive Höhe der gespeicherten Wassermasse beträgt

Δh =h + h

− h. (8.38)

Die Energiedichte eines Speicherkraftwerks ist dann gegeben durch

w =mgΔhV

= ρmgΔh, (8.39)

Page 278: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 273

hängt also linear von der effektive Höhe Δh ab. Nehmen wir an, diese betrage Δh = m,so ergibt sich

w = J ⋅m− ≈ , kWh ⋅m− . (8.40)

Dies ist sehr gering, etwa von der gleichen Größenordnung wie die Energiedichte, die sichin einem Kondensator für die elektrische Energie erzielen lässt. Auf der anderen Seite be-sitzt ein Speicherkraftwerk einen relativ großen Speicherwirkungsgrad. Er ergibt sich ausdemWirkungsgrad eines Wasserkraftwerks, siehe (6.115), zu

ηSp = (η) ≈ ,. (8.41)

Dieser Wert entspricht den Bedingungen, die wir an einen Energiespeicher gestellt ha-ben. Aber die geringe Energiedichte von Wasserspeichern verlangt die Bereitstellung ent-sprechend großer Flächen, wie wir das bereits bei der Speicherung elektrischer Energiediskutiert haben. Es ist unrealistische anzunehmen, das solche Flächen, welche die Anfor-derungen für die Speicherung potenzieller Energie erfüllen, zur Verfügung stehen.

Speicherkraftwerke sind aufgrund ihres großen Speicherwirkungsgrads sehr gutgeeignet, um kurzfristige Schwankungen im Bedarf nach elektrischer Energie aus-zugleichen. Sie eignen sich aber wegen ihrer geringen Energiedichte nicht, dielangfristige Schwankungslast von erneuerbaren Energien zu speichern.

DerDruckluftspeicherEs mag zunächst verwundern, dass ein Druckluftspeicher die kinetische Energie speichert.Aber nach der kinetischen Gastheorie wird der Druck P hervorgerufen durch die chaoti-sche Bewegung der Gasteilchen, die diesen eine kinetische Energie gibt, die wiederum eineFunktion der Gastemperatur T ist. Nach der kinetischen Gastheorie gilt für ein ideales Gasim Volumen V die Zustandsgleichung

PV = nRT , (8.42)

wobei R = , J ⋅ K− ⋅ mol− die Gaskonstante ist. Nach dieser Gleichung lässt sichder Gasdruck von dem Atmosphärendruck P auf den Speicherdruck Pi dadurch vergrö-ßern, dass man das Gasvolumen V außerhalb des Speichers auf das SpeichervolumenV verkleinert. Die Volumenverkleinerung oder Druckerhöhung geschieht mittels einerKompressionspumpe. Bei der Kompression muss die Gastemperatur nicht unveränder-lich bleiben, sie kann sich auch verändern je nachdem, wie die Kompression durchgeführtwird. Normalerweise geschieht die Gaskompression in einem abgeschlossenen System, daskeinen Energieaustausch mit seiner Umgebung zulässt. Eine derartige Zustandsänderungnennt man adiabatisch, für sie gelten zusätzlich zu der allgemeinen Zustandsgleichung

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274 8 Die Energiespeicherung

(8.42) die Beziehungen

PVγ= konst,

Pγ− = konst. (8.43)

Dabei ist γ > derAdiabatenkoeffizient, der für Luft einenWert γ ≈ , besitzt. Die Bezie-hungen (8.43) lehren uns, dassmit der adiabatischen Kompression auch die GastemperaturTi in dem Speicher größer wird als die Umgebungstemperatur T:

Ti = T (PiP)

α= Trα mit α = −

γ, (8.44)

wobei r = Pi/P die Kompression angibt. Damit ergibt sich nach (2.13) die in dem Luft-druckspeicher gespeicherte Exergie zu

E = nCV(Ti − T). (8.45)

Da jedoch Ti > T ist, wird sich das Gas durch Wärmeverlust ΔQ an das Gestein, in demsich die Kaverne befindet, langsam auf die Temperatur Tf abkühlen. Diese Abkühlung ge-schieht sehr langsam, weil die Wärmeleitfähigkeit Λ des Gesteins sehr gering ist. Bezogenauf die gespeicherte Exergie beträgt der Exergieverlust5

δ =ΔQE=

Ti − Tf

Ti − T, (8.46)

und die Gastemperatur bei der Entleerung ist von dem ursprünglichen Wert Ti auf denWert

Tf = Ti( − δ) + Tδ (8.47)

zurückgegangen.Der Exergieverlust geschieht bei konstantemVolumenV , diese Zustands-änderung nennt man isochor. Für sie gilt nach der Zustandsgleichung idealer Gase (8.42)

Pf = PiTf

Ti,

oder bezogen auf den Atmosphärendruck

Pf = P (Ti

T)

/α Tf

Ti. (8.48)

Da < α < gilt, muss der Entleerungsdruck Pf immer größer sein als der Atmosphären-druck P, selbst wenn sich das Gas in dem Speicher vollständig auf die Umgebungstempe-ratur T abkühlen sollte. Der Grund ist, dass für die Erwärmung und für die Abkühlungverschiedene Zustandsänderungen durchgeführt wurden. Daher kann auch durch die Ab-kühlung niemals die gespeicherte Exergie vollständig an die Umgebung verloren gehen, die

5 Siehe Fußnote 15 in Abschn. 6.11.1.

Page 280: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 275

restliche Exergie kann in eine andere Energieform umgewandelt werden. Diese Gegeben-heiten kommen in dem Speicherwirkungsgrad zum Ausdruck, für den sich nach einigenRechnungen, die hier nicht durchgeführt werden sollen, ergibt:

η(i)Sp =Tf − T ( − ln Ti

Tf)

Ti − T. (8.49)

Es ist der Korrekturterm T ln(Ti/Tf), der sicherstellt, dass η(i)Sp > wenn Tf = T. Dieser

minimale Speicherwirkungsgrad ergibt sich für δ = , sein Wert beträgt

η(i)Sp,min =T ln Ti

T

Ti − T, (8.50)

er hängt von der Temperatur Ti , also nach (8.44) von der Kompression r ab. Der maximaleWert des Speicherwirkungsgrads wird erreicht für δ = , er beträgt

η(i)Sp,max = (8.51)

und ist unabhängig von der Kompression.Eigentlich müsste zur Berechnung des totalen Speicherwirkungsgrads auch der der Ent-

leerung η(f)Sp berücksichtigt werden. Die Gasdekompression geschieht wiederum adiaba-tisch. Dabei kühlt sich das Gas, wenn Tf < Ti ist, auf eine Temperatur unterhalb der Um-gebungstemperatur T ab. DurchWärmeübertragung aus der Umgebung erwärmt sich dasGas wieder auf die Temperatur T. Die gespeicherte Exergie wird so wieder vergrößert, sodass bei einer vollständig reversiblen Zustandsänderung η(f)Sp = gelten sollte. Meistens ist

aber die Gaserwärmung bei der Dekompression unvollständig, so dass wir η(f)Sp ≈ anneh-men können. Der totale Speicherwirkungsgrad beträgt demnach

ηSp = η(i)Sp η

(f)Sp ≈ η

(i)Sp . (8.52)

In der Abb. 8.5 ist die Veränderung des Speicherwirkungsgrads mit der Kompression rund dem Exergieverlust δ gezeigt. Nur bei sehr hohen Kompressionen und vollständigemExergieverlust kann der Speicherwirkungsgrad etwas kleiner als 0,5 werden, aber davonabgesehen, erfüllt ein Druckluftspeicher die Anforderung ηSp ≈ ,.

Die Energiedichte eines Druckluftspeichers ergibt sich aus (8.45), sie beträgt

w = ηSpnVCV(Ti − T) = ηSp

nVCVT(rα − ). (8.53)

Um die Mengendichte ρ = n/V im komprimierten Zustand auszurechnen, benutzen wir,dass die Kompression adiabatisch durchgeführt wird und beziehen alle Größen auf die ent-sprechendenWerte unter der Normalbedingung

T● = K, V● = , ⋅ − m, P● = P = bar, n● = mol. (8.54)

Page 281: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

276 8 Die Energiespeicherung

Kompression r

Sp

eich

erw

irku

ng

sgra

d

=1

=0.8

=0.6

=0.4

=0.2

=0

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

0 50 100 150 200Kompression r

En

erg

ied

ich

te (

kWh

m-3

)

=1

=0.8

=0.6

=0.4

=0.2

=0

0

2

4

6

8

10

0 50 100 150 200

a b

Abb. 8.5 a zeigt denWirkungsgrad eines Druckluftspeichers in Abhängigkeit von der Kompressionr und dem Exergieverlust δ. b zeigt diese Abhängigkeiten für die Energiedichte eines Druckluftspei-chers

Dann ergibt sich mit ein wenig Rechnung die Beziehung

nV=

n●

V●T●

Tr−α (8.55)

und die Energiedichte der komprimierten Luft beträgt

w = ηSpn●

V●CV

T●

TTr−α (rα − ) = ηSp

T●

V●CV (r − r/γ) . (8.56)

Luft besitzt eine molare Wärmekapazität CV = , ⋅ − kWh ⋅ K− ⋅mol− und für diesenWert ist die Energiedichte eines Druckluftspeichers in Abhängigkeit von der Kompressionr und des Exergieverlusts δ in der Abb. 8.5 gezeigt. Energiedichten von über kWh ⋅m−

erscheinen durchaus möglich und dies ist eine 10mal höhere Energiedichte, als sich miteinemWasserspeicher erreichen lässt.

In geeigneten Gesteinsformationen ist es möglich, mithilfe von Druckluftspeicherndie Schwankungslast erneuerbarer Energien über einen längeren Zeitraum zu spei-chern.

Diese Technik besitzt natürlich auch den Vorteil, dass sie keine großen Landflächen aufder Erde beansprucht.

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 277

Die Speicherung chemischer EnergieDie schon jetzt am häufigsten verwendeten Energiespeicher sind solche, welche die Eigen-schaften chemischer Reaktionen ausnutzen. In der Tat, unsere heutige Energieversorgungbasiert fast ausschließlich auf einem besonderen Typ dieser Energiespeicher, den fossilbiogenen Energieträgern. Aber auch elektrische Batterien und Akkumulatoren zählen zuden chemischen Energiespeichern, obwohl sie ihre gespeicherte Energie in der Form vonelektrischer Energie zurückgeben. Die zugrunde liegenden Prozesse gehören daher in dasGebiet der Elektrochemie und man bezeichnet die ablaufenden Reaktionen als kalte Ver-brennung.

In allen Fällen beruht das Speicherprinzip auf einer chemischen Reaktion, die abläuftzwischen den Atomen/Molekülen A,B,C,D, die wir als chemische Bestandteile bezeichnenwollen:

A + B + E(i)chem ↔ C +D + E(f)chem. (8.57)

Dabei wandeln sich die chemischen Bestandteile A und B mit der chemischen ExergieE(i)chem in die chemischen Bestandteile C und D mit der chemischen Exergie E(f)chem um.Läuft diese Reaktion so beim Füllen des Speichers ab, dann kann man den Speicher durchdie rückwärts ablaufende Reaktion wieder entleeren.

Die Differenz der chemischen Exergien ist ΔE = E( f )chem − E(i)chem, und für sie gilt nach(2.17) bei der Temperatur T

ΔE = ΔH − TΔS , (8.58)

wobei ΔH denHeizwertder Reaktion angibt. Die Exergiedifferenz ΔE lässt sich vollständigin eine andere EnergieformΔW umwandeln.Das heißt,man kann (8.58) auch so schreiben:

ΔH = ΔW + TΔS = ΔW + ΔQ , (8.59)

wobei ΔQ = nC (T − T) den exergetischen Teil der Wärme Q darstellt. Bei den anderenFormen der Energie mit Exergiegehalt ε = handelt es sich zum Beispiel um elektrischeEnergie ΔW = Δ(qU) oder um mechanische Energie ΔW = Δ(P V). Diese Formen derEnergie lassen sich mithilfe chemischer Reaktionen in chemische Energie umwandeln undspeichern, indem man die chemischen Bestandteile speichert.

Zwei Beispiele für diese Art der Energiespeicherung sind die chemischen Reaktionen(die Indizes f/gmachen deutlich, dass dieser chemischeBestandteil imflüssigen/gasförmigenAggregatzustand vorliegt)

(HO)g + ΔH → H + ,O mit ΔH = kWh ⋅ kmol−

CH + (HO)g + ΔH → H + CO mit ΔH = kWh ⋅ kmol− .

In der angezeigten Reaktionsrichtung wird die Energie ΔH gespeichert, in umgekehrterRichtung wird sie wieder frei gegeben. Die obere der beiden Reaktionen hat besondereBedeutung, sie stellt die Spaltung des Wassers in seine chemischen Bestandteile Wasser-stoff und Sauerstoff dar und bildet die Grundlage der Wasserstoffwirtschaft, die unter

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278 8 Die Energiespeicherung

Tab. 8.5 Die Heizwerte verschiedener Speicherreaktionen, die als einen der Ausgangsbestandteilefreien Sauerstoff (O) ergeben, der in der 2. Zeile nicht angegeben ist

Eingangs-bestandteil

(HO)f (HO)g COHO

COHO

COHO

CO CO CO SO

Ausgangs-bestandteil

(H)g(H)f

(H)g(H)f

CH CHOH Benzin C CO C S

ΔHm

(kWh ⋅ kg−)40 34 20 8,3 12,8 2,6 2,8 9,2 2,6

ΔHV(kWh ⋅m−)

3,92700

3,32300

14 6600 9200 9100 3,5 32.200 5400

Umständen die Grundlage für eine zukünftige Energieversorgung werden kann. Das Be-sondere an dieser Reaktion ist, dass einer der chemischen Bestandteile freier Sauerstoff ist,der mit einem Anteil von 21% in der Erdatmosphäre vorhanden ist und daher nicht ge-speichert werden muss. Von ähnlichen Reaktionen gibt es noch andere, die Tab. 8.5 gibteine Zusammenstellung von einigen dieser Reaktionen, die sich im Prinzip auch tech-nisch verwenden ließen. Die angegebenen Heizwerte ΔHm und ΔHV sind bezogen aufden chemischen Bestandteil, der gespeichert werden muss, lassen also den Sauerstoff un-berücksichtigt. Die höchsten Energiedichten von allen in Tab. 8.5 aufgeführten Reaktionenbesitzen solche, derenAusgangsbestandteil entweder flüssig oder fest ist. Und von denen istdie Spaltung des Kohlenstoffdioxids (CO) in Sauerstoff und reinen Kohlenstoff (C) diegünstigste. Allerdings lässt sich diese Speicherreaktion technisch nur schwer realisieren,weil der Eingangsbestandteil CO unter Normalbedingung nur in geringen Mengen in derLuft vorhanden ist und dieser erst durch aufwändige Prozesse entnommen werden müss-te6. Diese Prozesse besitzen selbst einen Energieeigenbedarf und reduzieren damit denSpeicherwirkugsgrad. Dieser Einwand gilt auch für alle anderen der in Tab. 8.5 gezeigtenReaktionen mit Ausnahme der Wasserspaltung. Die Energiedichte dieser Speicherreaktio-nen ist aber nur dann sehr groß, wenn der entstandeneWasserstoff anschließend verflüssigtwird. Und die dafür benötigte Energie ist nicht im angegebenenWert von ΔHV berücksich-tigt.

Wasser kann sowohl thermisch wie auch elektrisch gespalten werden. Die Anteile anthermischer und elektrischer Exergie, die zur Spaltung benötigt werden, hängen von derSpaltungstemperatur ab, sie sind in der Abb. 8.6 dargestellt. Die rein thermische Spaltungwäre als technisches Verfahren sehr attraktiv, weil sie sich direkt mithilfe der Solarenergieverwirklichen ließe. Unglücklicherweise sind dafür Temperaturen von über 4000K nötig,die sich, wenn überhaupt, nur in einemHeliostaten erreichen lassen, sieheAbschn. 6.4. Un-terhalb von 4000K nimmt die Konzentration des reinenWasserstoffs in dem Gemisch derchemischen Bestandteile schnell ab. Die Konzentration lässt sich durch denWasserdampf-druck beeinflussen, wie aus Tab. 8.6 ersichtlich ist. Trotz der unvollständigen Spaltung

6 Auch fossile Kraftwerke sindCO-Quellen, aber hier geht es umdie Zukunft erneuerbarer Energien,also um Zeiten, zu denen fossile Kraftwerke keine Rolle mehr spielen sollten.

Page 284: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 279

Tab. 8.6 Die Anteile (%) der verschiedenen chemischen Bestandteile bei der thermischen Spaltungvon Wasser in Abhängigkeit von Temperatur und Druck

Temperatur T (K) 2600 2800 3000Druck P (bar) 1 0,1 0,01 1 0,1 0,01 1 0,1 0,01H 0,9 4,0 10,5 2,5 10,2 24,2 5,8 21,2 41,5H 5,8 10,9 15,2 9,4 15,7 17,6 13,5 18,1 14,0HO 87,7 73,3 55,4 78,0 54,3 29,8 64,4 32,2 10,2O 0,3 1,5 4,0 1,0 4,1 10,0 2,4 9,1 18,7OH 3,2 6,2 8,8 5,8 9,9 11,5 9,1 12,6 10,1O 2,1 4,2 6,0 3,4 5,8 7,0 4,7 6,9 5,5

Abb. 8.6 Die elektrische undthermische Exergie, die zurWasserspaltung bei verschie-denen Temperaturen benötigtwird

Exe

rgie

E (

kWh

kg

)

−1

Eel

E th

1000 2000 3000 4000Temperatur T (K)

30

10

20

40

könnte man diesem Gemisch den Wasserstoffanteil entziehen, wenn es gelänge, für die-se Temperaturen eine semipermeable Membran zu entwickeln, die allein für H und H

durchlässig ist.Eine andere Möglichkeit besteht darin, chemische Zwischenreaktionen in den Spal-

tungsprozess einzuschalten, die bereits bei geringeren Temperaturen zur Spaltung vonWasser führen. Ein Beispiel für eine derartige Katalysereaktion verläuft über Schwefeldi-oxid, ist also nicht unbedenklich in Hinblick auf dieUmwelt. Die Prozessschritte verlaufenfolgendermaßen:

Zunächst wird das erforderliche SO durch thermische Spaltung der Schwefelsäure beieiner Temperatur von ca. 1300K erzeugt.

HSO → HO + SO + ,O.

Durch Zugabe von Jod (J) und Schwefelwasserstoff (HS) entsteht als ZwischensubstanzJodwasserstoff (HJ) und die Schwefelsäure wird zurückgewonnen.

HS + SO + J → HJ +HSO.

Daraufhin wird der Jodwasserstoff bei geringer Temperatur thermisch gespalten, es wirddas eingesetzte Jod zurückgewonnen und freier Wasserstoff bleibt zurück.

HJ→ J +H.

Page 285: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

280 8 Die Energiespeicherung

2H2 O2

2H O2

+4e−

+−

−4e−

+4e−

2H O2

2H 2 O2

− +

−4e−

4H+

2O−−

H O2

O2H2

po

siti

ve E

lekt

rod

e

neg

ativ

e E

lekt

rod

e

Katalysator

Ele

ktro

lyt

H2 2O0.5

+−

H+

SO−−

H2 H2O+ SO4

a b c

Abb. 8.7 a zeigt den prinzipiellen Aufbau einer Elektrolysezellemit flüssigemElektrolyten undHOals Katalysator. In c ist eine äquivalente Zelle mit Feststoffelektrolyten (Polymermembran) undMe-tallkatalysatoren zu sehen. Inb sind die Reaktionsabläufe in einem sauren Feststoffelektrolyten (oben)und in einem basischen Feststoffelektrolyten (unten) zu sehen

Dass derartige Verfahren noch nicht in der Energieversorgung eingesetzt werden, hat vieleGründe, einer ist sicherlich, dass die chemischen Bestandteile bei den hohenTemperaturensehr aggressiv sind und spezielle Materialien für den Reaktor entwickelt werden müssen.

Falls es nicht gelingt, Wasser allein thermisch zu spalten, muss die Spaltung nachAbb. 8.6 elektrisch unterstützt werden. Grundlage dafür bildet die Wasserelektrolyse,man spricht, je nach Verfahrenstemperatur, von einer Hochtemperatur- bzw. Niedertem-peratur-Elektrolyse. Bevor wir uns den modernen Verfahren zuwenden, soll das Prinzipan einem einfachen und seit langem bekannten Beispiel erläutert werden, der Elektrolysein wässriger Schwefelsäure.

Bei diesem Elektrolyseverfahren fließt ein elektrischer Strom durch einen wässrigenElektrolyten, wobei sich an den ElektrodenWasserstoff und Sauerstoff abscheiden. In demgewählten Beispiel ist der Elektrolyt mit Schwefelsäure (HSO) angesäuertes Wasser, indas zwei Platinelektroden ragen. Der prinzipielle Aufbau und die ablaufenden Reaktionensind in Abb. 8.7 gezeigt. Schwefelsäure dissoziiert in wässeriger Lösung in die AnionenSO−− und die Kationen H+. Das Wasser fungiert als Katalysator, der aus einem ungelade-nen chemischen Bestandteil zwei geladene Ionen erzeugt. Der Strom durch den Elektroly-ten wird von den wandernden An- und Kationen erzeugt. Die Kationen neutralisieren ander Kathode zu H, die Anionen bilden an der Anode mit demWasser wiederum HSO,wobei neutraler Sauerstoff O entsteht. Im Wesentlich handelt es sich bei der Wasserelek-trolyse um die Reaktion

HO→ H+ +O−− → H + ,O. (8.60)

Bei modernen Verfahren werden meist keine flüssigen Elektrolyte mehr verwendet,sondern Feststoffelektrolyte, die je nach dem Ionentyp, für den sie leitend sind, entwe-

Page 286: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 281

Abb. 8.8 Die Strom-Spannungs-Kennlinien ver-schiedener Elektrolyte bei derWasserelektrolyse. Die Höheder Stromdichte legt fest, wieviel Wasserstoff pro Sekundean einer gegeben Katalysato-roberfläche erzeugt werdenkann Stromdichte (kA m )−2

Oxydkeramik

Polymermembran

5 10 15

1

2

0

Sp

ann

un

g (

V) Elektrolyse

H SO2 4

der als „sauer“ oder als „basisch“ bezeichnet werden. Um die Ionen zu erzeugen, müssengeeignete Katalysatoren gefunden werden. Die Edelmetalle Platin und Iridium sind geeig-net, ihreVerwendungmacht Feststoffelektrolyte aber sehr teuer.DieWasserstoffwirtschaftwird erst dann wirklich konkurrenzfähig in der Energieversorgung, wenn es der Industriegelingt, billigere Materialien für den Katalysator zu entwickeln. Daran wird zur Zeit mitgroßem Einsatz geforscht.

Ein basischer Feststoffelektrolyt ist zum Beispiel die Oxidkeramik ZrO, die bei Tem-peraturen von 850 °C bis 1000 °C für O−−-Ionen leitend wird. Bei wesentlich niedrigerenTemperaturen bilden Polymermembranen, zumBeispiel sulfoniertes Polysterol, einen sau-ren Feststoffelektrolyten, der für H+-Ionen leitend ist. Der prinzipielle Aufbau für dieWasserelektrolyse mit basischen und sauren Feststoffelektrolyten ist in Abb. 8.7 gezeigt.Die Hochtemperaturelektrolyte benötigen eine Spannung zwischen den Elektroden vonca. 0,8 V, bei den Niedertemperaturelektrolyten ist sie etwas größer und beträgt ca. 1,2 V.Der Spannungsunterschied ergibt sich dadurch, dass nach Abb. 8.6 auch ein Teil der zuge-führten Wärme zur Wasserspaltung verwendet wird.

Bevorzugt wird heute die Elektrolyse mit Polymermembranen, der schematische Auf-bau ist ebenfalls in derAbb. 8.7 gezeigt. Durch die Polymermembran können höhere Ionen-ströme geleitet werden, was erforderlich ist, wenn großeMengen vonWasser inWasserstoffund Sauerstoff gespalten werden sollen. Das elektrische Verhalten der möglichen Elektro-lyte ist in Abb. 8.8 gezeigt. Für den Wirkungsgrad der elektrolytischen Spaltung wird inder Literatur ein Wert

η(i)Sp ≈ , (8.61)

angegeben. Wasserstoff als Speichermedium ist ein leicht flüchtiges Gas, das in der Erdat-mosphäre wegen seiner geringen Masse fast nicht vorkommt, siehe Abschn. 6.2.1. Ein wei-teres Problem einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft ist daher das Konzept für einengeeigneten Speicher. Für mögliche Konzepte bieten sich, je nach der geforderten Energie-dichte w , 5 verschiedene Verfahren an:

1. Speicherung bei Normalbedingungen,2. Speicherung nach Wasserstoffkompression,3. Speicherung nach Wasserstoffverflüssigung,4. Speicherung durch Anlagerung an Metallhydride,

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282 8 Die Energiespeicherung

5. Speicherung durch Bindung zu Molekülen,

Alle Verfahren, außer dem 1., bewirken eine Vergrößerung der Energiedichte ΔHV inTab. 8.5, sie sind aber verbunden mit einer Reduktion des Speicherwirkungsgrads η(i)Sp .

Das 1. Verfahren eignet sich, wegen der geringen Energiedichte, nur für stationäre Ener-giespeicher, falls Wasserstoff unterirdisch in großen Kavernen gespeichert werden kannund falls sich die Sicherheitsprobleme befriedigend lösen lassen7. Für die Speicherungwer-den keine großen Energiemengen benötigt, da der Speicherdruck nur P● = bar beträgt.Wasserstoff „schwimmt“, wegen seiner geringenMassendichte, auf Stickstoff. In einer tech-nischen Anlage müsste der Stickstoff am unteren Ende des Speichers ab- und zugeführtwerden, während am oberen Ende Wasserstoff zu- und abgeführt wird.

Mobile Speicher, wie sie im Sektor „Mobilität“ gefordert sind, werden immer auf einemder Verfahren 2–5 basieren. Dieser Sektor hat heute einen Anteil von über 30% am Pri-märenergiebedarf. Zur Deckung dieses Bedarfs ist die Energiedichte ΔHV ≈ kWh ⋅m−

in Tab. 8.5 viel zu gering, Dieselkraftstoff besitzt zum Beispiel eine Energiedichte w =.kWh ⋅m−.

Im 2. Verfahren wird Wasserstoffmithilfe eines Kompressors verdichtet. Die Kompres-sion eines Gases von P● = bar auf P = bar haben wir bereits in Abschn. 8.2.1 bei demDruckluftspeicher besprochen. DerWirkungsgrad der Kompression ist, wenn der kompri-mierte Wasserstoff seine thermische Exergie vollständig an die Umgebung verliert (δ = ),gegeben zu

ηKomp ≈ , (8.62)

und umdiesen Faktor reduziert sich auch der Speicherwirkungsgrad. Auf der anderen Seiteerhöht sich die Energiedichte auf das 200fache. Die typischen Parameter der Speicherungmithilfe komprimierten Wasserstoffs lauten

w ≈ kWh ⋅m− η(i)Sp ≈ ,. (8.63)

Eine noch größere Energiedichte lässt sich im 3. Verfahren erreichen, wenn der Was-serstoff zusätzlich verflüssigt wird. Dazu wird das komprimierte Gas wieder adiabatischentspannt, nachdem es vorher auf eine Temperatur Tinv = K vorgekühlt wurde. DieserProzess, der mit dem Gegenstromverfahren arbeitet, verflüssigt nur einen Teil des Wasser-stoffs, während der andere Teil erneut komprimiert werdenmuss. Nehmenwir das Verhält-nis von verflüssigtem zu nicht-verflüssigtem Wasserstoff mit 0,5 an, so verringert sich derSpeicherwirkungsgrad um einen weiteren Faktor 0,5. Die typischen Parameter der Spei-cherung mithilfe flüssigen Wasserstoffs lauten

w ≈ kWh ⋅m− η(i)Sp ≈ ,. (8.64)

7 Jeder weiß, dass Wasserstoff und Sauerstoff ein hochexplosives Gemisch mit einer Selbstzündtem-peratur von 585 °C bilden.

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 283

Abb. 8.9 Das Füllen (durch-gezogene Kurve) einesHydridspeichers beim DruckP und Temperatur T unddas Entleeren (gestrichelteKurven) bei P< < P, T undP> > P, T > T

T0

T>T

T0

P>

PP<

0

H −

Dru

ck2

H −Anteil2

Damit keine weiteren Verluste auftreten, muss der Behälter für den flüssigen Wasserstoffthermisch sehr gut gegen seineUmgebung isoliert sein. Denn zwischen beiden besteht eineTemperaturdifferenz von T − T = − K (°C).

Das 4. Verfahren der Wasserstoffspeicherung mithilfe der Metallhydride benutzt dieTatsache, dass sich molekularer Wasserstoff an sehr reinen Metalloberflächen in 2 Was-serstoffatome zerlegt und die H-Atome in das Metall diffundieren. Dort werden sie imWirtsgitter des Metalls eingelagert, je nach den Metalleigenschaften geschieht die Einla-gerung unter Wärmeabgabe oder Wärmeaufnahme. Metalllegierungen können daher soeingestellt werden, dass die Wasserstoffeinlagerung in ihnen mit einer nur sehr geringeWärmeabgabe verbunden ist. Mit diesem Verfahren lassen sich heute Energiedichten rea-lisieren, die sogar etwas größer sind als die von flüssigem Wasserstoff. Und dabei ist dasVerfahren zur Füllung eines Hydridspeichers einfacher als das zur Erzeugung flüssigenWasserstoffs.

Die Einlagerung in die Metalllegierung findet statt, wenn der Wasserstoffdruck einengewissen Wert P erreicht hat. Dies geschieht bei einer Temperatur, die praktisch gleichder Umgebungstemperatur T ist. Soll derWasserstoff bei dieser Temperatur dem Speicherwieder entnommen werden, muss der Wasserstoffdruck etwas auf den Wert P< erniedrigtwerden, wie es in der Abb. 8.9 gezeigt ist. Man kann denWasserstoff auch mit einem höhe-renDruck P> > P entnehmen, dannmuss allerdings dieTemperatur des Speicher auf einenWert T > T vergrößert werden. In der Tab. 8.7 sind die wichtigsten Daten einiger Hydrid-speicher zusammengestellt. Die erste Zeile weist darauf hin, wo der eigentliche Nachteilderartiger Speicher liegt: Hydridspeicher sind sehr schwer, im mobilen Einsatz muss sehrviel „tote Masse“ mitbewegt werden, zumal die Energiedichte der Speicher noch immergering ist, verglichen mit der vonDieselkraftstoff. Davon abgesehen bieten Hybridspeicherviele Vorteile, wie sich aus ihren typischen Parametern ersehen lässt:

w ≈ kWh ⋅m− η(i)Sp ≈ ,. (8.65)

Als 5. und letztes Verfahren bietet sich an, Wasserstoff an einen anderen chemischenBestandteil so zu binden, dass das Reaktionsprodukt speicherfähig ist. Die Auswahl anchemischen Bestandteilen ist nicht sehr groß, zumal sie häufig in der Natur vorhanden seinmüssen und die Reaktion umweltschonend sein sollte. Vorgeschlagen wurden die Verbin-dung mit Stickstoff zu Ammoniak (Haber-Bosch-Prozess) und die Verbindung mit Koh-

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284 8 Die Energiespeicherung

Tab. 8.7 Die wichtigsten Parameter einiger Hydridspeicher. Die Metalle sindMagnesium (Mg), Ni-ckel (Ni), Eisen (Fe), Titan (Ti), Vanadium (V), Lanthan (La)

MgNiH MgH FeTiH VH LaNiH

H-Massenanteil (%) 3,3 7,6 0,9 2,1 1,3Anlag.-Energie (kWh ⋅ (H-kg)−) 8,9 10,7 3,9 5,6 4,2Energiedichte (kWh ⋅m−) 3000 3850 1900 3700 3000

lendioxid zuMethan/Methanol undWasser (Sabatier-Prozess), wobei letztere nur möglichist, wenn eine Quelle für Kohlendioxid existiert, siehe Fußnote 6.

Der Haber-Bosch-ProzessDieses Verfahren benutzt die Reaktion

H +N → NH,

das Speichermedium ist Ammoniak (NH). Die Reaktion benötigt Eisen als Katalysatorund vollzieht sich bei einer Temperatur von ≈ K. Ammoniak hat eine Siedetemperaturvon − °C und eine Energiedichte von w = kWh ⋅ m− bei dieser Temperatur. DerWirkungsgrad des Haber-Bosch-Prozesses wird mit η = , angegeben, so dass sich einSpeicherwirkungsgrad von η(i)Sp = , ergibt. Die Energie, die zur Kühlung auf − °C nö-tig ist, ist nicht berücksichtigt. Aber die Kühlanforderung ist gering, dieser Anteil deswegenwahrscheinlich klein.

Ammoniak als Treibstoff der heißen Verbrennung wurde im Sektor „Verkehr“ bereitsverwendet. Mir ist allerdings nicht bekannt, dass es z. Z. in diesem Sektor oder anderenSektorenVersuche gibt, denHaber-Bosch-Prozess in die Energieversorgung zu integrieren,obwohl er in der Agrarchemie das gängige Verfahren ist.

Der Sabatier-ProzessDieses Verfahren benutzt die Reaktion

H + CO → CH + HO,

das Speichermedium istMethan (CH). Die Reaktion ist exotherm (erzeugt Wärme) undbenötigt Nickel als Katalysator. Methan hat eine Siedetemperatur von − °C und eineEnergiedichte von w = kWh ⋅m− bei dieser Temperatur. Der Wirkungsgrad des Sa-batier-Prozesses wird mit η = , angegeben, so dass sich ein Speicherwirkungsgrad vonη(i)Sp = , ergibt. Die Energie, die zur Kühlung auf − °C nötig ist, ist nicht berücksich-tigt, obwohl sie wahrscheinlich wegen der tiefen Speichertemperatur nicht vernachlässig-bar ist.

Der Sabatier-Prozess als Speichertechnik wurde vorgeschlagen, weil Methan in das exis-tierende Versorgungsnetz für Erdgas eingespeist werden kann und damit die Notwendig-

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 285

keit entfiele, eine neue Infrastruktur für die Speicherung aufzubauen. Auch der Sektor„Verkehr“ würde profitieren, wenn vom Erdöl auf Erdgas als Treibstoff umgestiegen wird.

Bei einem anderen Massenverhältnis der Reaktanden führt der Sabatier-Prozess zurSynthese von Methanol:

H + CO → CHOH +HO,

das Speichermedium istMethanol (CHOH). Die Reaktion ist ebenfalls exotherm und be-nötigt einen CuO/CuO-Katalysator. Methanol ist bei Normalbedingungen flüssig und hateine Energiedichte von w = kWh ⋅m−. Der Wirkungsgrad der Synthese nach obigerReaktionsgleichung beträgt wahrscheinlich η = ,, so dass sich ein Speicherwirkungsgradvon η(i)Sp ≈ , ergäbe. Für den Sektor „Verkehr“ ist dies wohl das bevorzugte Speicher-verfahren, denn es erfordert die geringsten Änderungen der Infrastruktur (Speicherung,Verteilung und Fahrzeuge).

Nach der Speicherung ist die nächste Aufgabe, die gespeicherte chemische Energie wie-der in die gewünschte Endenergie zu wandeln. Dabei handelt es sich in den meisten Fällenum die Rückwandlung in elektrische Energie. Das geeignete Verfahren ist die kalte Ver-brennung mithilfe einer Brennstoffzelle und nur dieses Verfahren soll näher untersuchtwerden. In der Brennstoffzelle werden im einfachsten Fall Wasserstoff und Sauerstoff wie-der zu Wasser vereint und dabei wird chemische in elektrische Energie gewandelt. DieBrennstoffzelle ist daher in ihrem Aufbau ähnlich zu den modernen Elektrolysezellen inAbb. 8.7. Jedoch sind die Aufgaben verschieden: Anstelle vonWassermüssen jetzt Wasser-stoff und Sauerstoff ionisiert werden, was zu einer Reduktion des Wirkungsgrads führt:

η(f)Sp < , woraus für stationäre Speicher folgt ηSp = η(i)Sp η

(f)Sp < ,. (8.66)

Die Reaktionsgleichung der Brennstoffzelle lautet, analog zu (8.60) in umgekehrter Rich-tung:

H + ,O → H+ +O−− → HO. (8.67)

Die zwischen den Elektroden erzeugte elektrische Spannung (U = Δϕ) beträgt nach (8.58)

U =ΔH − TΔS

zF. (8.68)

Die von 1mol der Ionen transportierte Ladungsmenge ist

Δq = zF , (8.69)

wobei z die Ladungszahl des Ions ist und F = .C ⋅ mol− als Faraday-Konstantebezeichnet wird. In Tab. 8.8 sind die Werte von ΔH und ΔS für 3 wichtige Brennstoffreak-tionen angegeben. Außerdem findet sich dort der SpannungswertU bei einer Umgebungs-temperatur T = K.

Praktischen Einsatz im Sektor „Verkehr“ findet nur die erste dieser 3 Reaktionen, diekalte Verbrennung desWasserstoffs. Auch die kalte Verbrennung vonMethanol oder Am-moniak läuft über die 1. Reaktion, indem derWasserstoff zunächst durch „reforming“ oder

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286 8 Die Energiespeicherung

Tab. 8.8 Die Spannung U , die 3 wichtige Brennstoffreaktion bei Umgebungstemperatur zwischenden Elektroden einer Brennstoffzelle erzeugen

Reaktion ΔH (J ⋅mol−) ΔS (J ⋅ K− ⋅mol−) z U (V)H + 0,5O -> HO 242.000 165 2 1,0C + O -> CO 394.000 −85 4 1,1CH + 2O -> CO + 2HO 802.000 7 8 1,0

„cracking“ aus beiden Speichermedien erzeugt wird. Zwar existieren Konzepte für Brenn-stoffzellen, die ohne diese Zusatzreaktionen auskommen, aber diese Entwicklungen sindnicht einsatzreif. Die zweite Reaktion entspricht der kalten Verbrennung des Kohlenstoffs,sie besitzt einen positiven Entropiebeitrag. Das liegt daran, dass Kohlenstoff bei Umge-bungstemperatur nur im festen Zustand existiert, die Verbrennung also eine adiabtischeVolumenvergrößerung, gekoppelt mit einer Temperaturerniedrigung, verursacht. Es wirddaher Wärme der Umgebung entzogen, die zu einer geringfügigen Spannungserhöhungführt. Mit allen der aufgeführten Reaktionen lassen sich elektrische Spannungen erzielen,wie sie auch Fotodioden erreichen. Diese Koinzidenz ist nicht überraschend: Die relevan-ten äußeren Elektronen in der Atomhülle besitzen Bindungsenergien von ca. 1 eV.

Der Einsatz der Polymer-Brennstoffzellen im Sektor „Verkehr“ benutzt immer Was-serstoff, selbst wenn als Brennstoff Methanol mitgeführt wird. Um die erforderliche Ener-giedichte zu erreichen, ist Methanol als Speichermedium viel günstiger als Wasserstoff.Die Umwandlung von Methanol in Wasserstoff geschieht katalytisch in einem Wasser-dampfreformer, dieser Zusatzprozess reduziert denWirkungsgrad der Brennstoffzelle aufη(f)Sp ≈ ,. Die neben H dabei freigesetzten Gase CO und CO wirken als Gift für diePolymermembran, sie müssen durch einen Reinigungsprozess vor der Brennstoffzelle demBrenngas entzogen werden, so dass reiner Wasserstoff zurückbleibt. Das Prinzipschaltbildfür die Wandlung in elektrische Energie aus der im Methanol gespeicherten chemischenEnergie ist in Abb. 8.10 gezeigt. Der Gesamtwirkungsgrad einer derartigen Anlage beträgtaber nur ηSp = η(i)Sp η

(f)Sp ≈ , und ist damit wesentlich kleiner als die eines Otto-Motors,

siehe Abschn. 2.3.1. Daher wird z. Z. dem Mitführen von gespeichertem Wasserstoff imFahrzeug von der Industrie wieder der Vorzug gegeben.

Zum Antrieb von Fahrzeugen eignen sich aber auch Batterien und Akkumulatoren8,zur langzeitigen Speicherung der Schwankungslast aus erneuerbaren Energien kommendiese Speicher allerdings nicht in Frage. Wir wollen uns einen kurzen Überblick über ihrephysikalischen Grundlagen verschaffen.

Auch ein Akkumulator speichert elektrische Energie in der Form von chemischer Ener-gie, verwendet daher das gleiche Speicherprinzip wie dieWasserstofftechnik. Ein wichtigerUnterschied besteht darin, dass im ersten Fall alle chemischen Komponenten gespeichertwerden müssen und dass diese Komponenten in wesentlich geringeren Menge in der Na-tur vorkommen als das Wasser. Ein Akkumulator, so kann man sagen, vereint damit die

8 Der ideale Akkumulator lässt sich beliebig oft auf- und entladen, die Batterie lässt sich nur entladen.

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8.2 Die Speicherung erneuerbarer Energien 287

Abb. 8.10 Prinzipschaltbildfür die Brennstoffzellentechnikauf der Basis von Methanol.Methanol muss im Dampfre-former erst in H, CO undCO zerlegt werden, bevor H

in die Brennstoffzelle gelangt.Das Restgas H und O aus derBrennstoffzelle liefert mittelsVerbrennung die Wärme fürden Dampfreformer

CO 2

CO

Kuhlung..

Flussigkeitstanks..

CH OH3 H O2

PumpePumpe

Brennstoff−zelle

Ref

orm

er

Gasreinigung

Kompressor

Luft

Brenner

Tab. 8.9 Die Standardpotentiale einiger Redoxpaare in der elektrochemischen Spannungsreihe

Redoxpaar Li Cs Na HO S Pb H Cu C Ag Au O FStandard-poten. (V)

−3,0 −2,9 −2,7 −0,8 −0,5 −0,1 0 +0,2 +0,5 +0,8 +1,7 +1,8 +2,9

Funktionen von Elektrolysezelle und Brennstoffzelle in einem Gerät, aber Materialproble-me können jetzt von entscheidender Bedeutung werden.

Das Prinzip jeden Akkumulators basiert auf der Potentialdifferenz zwischen 2 Redox-paaren, d. h. auf ihrer Stellung in der elektrochemischen Spannungsreihe in Tab. 8.9.

Je weiter links vomWasserstoff (H) ein Redoxpaar steht, um so leichter verliert es Elek-tronen (wird reduziert zu einem positiven Ion), je weiter rechts es steht, um so leichternimmt es Elektronen auf (wird oxidiert zu einem negativen Ion). Da die Akkumulator-spannung durch die Wanderung der Ionen durch den Elektrolyten entsteht, befindet sichauf der Reduktionsseite die Kathode (negativer Pol) und auf der Oxidationsseite die Anode(positiver Pol).

Die Schwierigkeit, einen Akkumulator nach diesem Prinzip aufzubauen, besteht ein-mal in der Suche nach einer geeigneten Redox-Reaktion und dann in der Auswahl einesgeeigneten Elektrolyten, welcher in modernen Akkumulatortypen nur für eine Ionen-art elektrisch leitend ist. Darüber hinaus sind wichtige Kriterien für die Qualität einesAkkumulators natürlich seine Energiedichte und die erlaubte Anzahl von Lade- und Ent-ladezyklen. Diese Anzahl ist nicht beliebig hoch, wie jeder weiß, dessen Autoakkumulatorsich nach einigen Jahren der Benutzung nicht mehr laden ließ.

Ein Beispiel für einen Akkumulator, welcher nur die in Tab. 8.9 gelisteten Elemente be-nutzt, ist der Natrium/Schwefel-Akkumulator, dessen Einsatzfähigkeit zum Antrieb vonFahrzeugen für einige Zeit untersucht wurde. Dieser Akkumulator arbeitet nach folgenderReaktionsgleichung:

Na + S↔ NaS. (8.70)

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288 8 Die Energiespeicherung

Natrium

Schwefel

+

Abb. 8.11 Der Na/S-Akkumulator, der nach der Reaktionsgleichung (8.70) bei einer Temperaturvon ca. 300 °C arbeitet. Bei der Entladung nimmt das Natrium auf der Kathodenseite immer mehr abund die Stoffmenge auf der Anodenseite nimmt entsprechend zu. Daher muss in dem Behälter desAkkumulators genügend freier Platz sein, um den Stoffaustausch nicht zu behindern

Als Elektrolyt wird der Feststoffelektrolyt β-Aluminiumoxid (NaO⋅12AlO) verwendet,der bei einer Temperatur von ca. 300 °C für Na+-Ionen leitend wird. Bei dem Entladevor-gang nimmt der Natriumvorrat auf der Kathodenseite dauernd ab, während die Stoffmengeauf der Anodenweite wegen der Bildung von NaS dauernd zunimmt. In Abb. 8.11 ist derprinzipielle Aufbau dieses Akkumulators gezeigt. Da Schwefel ein schlechter elektrischerLeiter ist, besteht die Anode aus einem mit Schwefel getränkten Grafitgewebe. FlüssigesNatrium ist dagegen ein guter elektrischer Leiter, in den eine leitende, gegen Natrium re-sistente Elektrode, die Kathode, taucht. Die Akkumulatorspannung beträgt etwaU = , V,die spezifische EnergieW/m = , kWh⋅kg− . An diesemKonzept für den Fahrzeugantriebwird nicht länger gearbeitet, wahrscheinlich, weil geschmolzenes Na sich bei Berührungmit Luft sofort entzündet und S ein Umweltproblem verursachen kann. Stationäre Spei-cher nach diesem Konzept werden aber seit 2008 in Japan eingesetzt.

Komplizierter sind das Prinzip und die Reaktionsgleichung für den bekannten Blei-Akkumulator, der heute noch fast ausschließlich als Kurzzeitspeicher in Kraftwagen ver-wendet wird:

Pb + PbO + HSO ↔ PbSO + PbSO + HO. (8.71)

In diesem Fall besteht der Elektrolyt daher aus einer Flüssigkeit (HO und HSO), diesowohl positive H+-Ionen wie auch negative SO−− -Ionen leitet. Im entladenen Zustandsind beide Elektroden mit Bleisulfat (PbSO) bedeckt. Beim Aufladen verwandeln sie sichzurück in Blei auf der Kathode und Bleioxid auf der Anode. Die AkkumulatorspannungbeträgtU ≈ V, die spezifische Energie aber nurW/m = , kWh ⋅kg− und ist wesentlichkleiner als die des Na/S-Akkumulators.

Deswegen wird schon seit einigen Jahren in Fahrzeugen mit elektrischem Antrieb derLi-Ionen-Akkumulator eingesetzt. Dieser basiert auf folgender Reaktionsgleichung:

LixCn + Li−xMnO ↔ LiMnO + nC. (8.72)

Anstelle von MnO können auch andere Metalloxide (z. B. CoO) verwendet werden.Bei der Entladung wandern Li+-Ionen aus der Graphitmatrix (Cn) durch den Feststoff-

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8.3 Die Möglichkeiten der Energiespeicherung 289

Abb. 8.12 Die Energiedichteneiniger Akkumulatoren undals gerade Linien der Wert derLeerlaufspannung zwischenihren Elektroden. Es sind:1 = H/O; 2 = Li/C; 3 = Li/S;4 = Li/F; 5 = Na/F; 6 = Na/S;7 = Na/Cl; 8 = Cd/NiO;9 = Zn/HgO; 10 = Pb/PbO

41

35

76

8

10010 1000Elektrodenmasse (amu)

6 V3 VU = 1 V

2

9 10

spez

. En

erg

ie (

kWh

kg

)

−1

0,01

0,1

1

elektrolyten und bilden an der Anode LiMnO. Auch als Elektrolyt werden verschiedeneMaterialien verwendet, z. B. ein Polymer oder LiPF. Bei diesem Akkumulatortyp wird diePotentialdifferenz zwischen Li und C in der elektrochemischen Spannungsreihe Tab. 8.9ausgenutzt. Die Akkumulatorspannung beträgt U ≈ ,V, die maximale spezifische Ener-gie liegt beiW/m = ,kWhkg− .

Alle diese Beispiel zeigen: Einer der entscheidenden Parameter eines Akkumulators istseine spezifische Energie W/m. Bisher haben wir als Kriterium die Energiedichte w =W/V benutzt. Im Fall vonAkkumulatoren ist es besser,man bezieht die gespeicherte Ener-gie auf die Masse der Elektroden, ohne dabei die Masse des Elektrolyten und seines Behäl-ters zu berücksichtigen. Der Grund ist, dass aus dieser Darstellung ersichtlich wird, welcheMassen in der Natur vorhanden sein müssen. In der Abb. 8.12 sind die spezifischen Ener-gien einiger Akkumulatoren gezeigt, wobei die Masse in Einheiten der atomaren Masse([m] = amu) angegeben ist. Auch das H/O-System ist gezeigt, allerdings allein bezogenauf die Masse des H, da O nicht gespeichert werden muss. Akkumulatoren erreichengenerell eine Energiedichte von ca. , kWh ⋅ kg−. Daraus ergibt sich bei einer Speicher-anforderung von ⋅ kWh ein Materialbedarf von ca. ⋅ kg für die Elektroden, einenormerWert, wenn man ihn mit der Jahresproduktion von Materialien auf der Erde ver-gleicht, für die wir in Kap. 7 einige Beispiele angeführt haben. Das H/O-System ist ebenauch deswegen so gut für Speicherzwecke geeignet, weilWasser in fast unbegrenzter Mengeauf der Welt vorhanden und leicht zugänglich ist.

8.3 Die Möglichkeiten der Energiespeicherung

Es gibt, so haben wir gerade gelernt, für jede Energieform ein Speicherungsverfahren. Obsich dieses letztendlich zu einem realistischen Speicher entwickeln lässt, hängt von denSpeicheranforderungen ab, die der Tatsache Rechnung tragen müssen, dass das Angebotan erneuerbaren Energien zeitlich fluktuiert. Diese Fluktuationen in der Energieversor-gungmüssen durch Energiespeicher geglättet werden undwir gehen davon aus, dass die fürSchwankungsperioden von 10 d erforderliche Speicherkapazität eineGröße von ⋅ kWh

Page 295: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

290 8 Die Energiespeicherung

haben muss. Daneben existieren schwächere Anforderungen, verursacht z. B. durch denTag/Nacht-Zyklus oder die Bedürfnisse im Sektor „Verkehr“. Entscheidend aber für Fest-legung des Speicherkonzepts in der Energieversorgung sind immer die langfristigen Fluk-tuation. Es nützt zum Beispiel nichts, hervorragende Energiespeicher für den Ausgleichvon Bedarfsspitzen zu besitzen, wenn diese für ein langfristiges Konzept nichts taugen.Dann fehlt einfach nach kurzer Zeit die Energie, um kurzfristige Speicher wieder zu füllen.Die folgende Diskussion bezieht sich daher im Wesentlichen auf die Möglichkeiten einerlangfristigen Speicherung.

Für die Einschätzung, ob ein Speicherkonzept realistisch ist, sind 2 Parameter von we-sentlicher Bedeutung: Die Energiedichtew des Speichers und der SpeicherwirkungsgradηSp. Die beiden Parameter beschreiben unterschiedliche Eigenschaften des Speichers. DieEnergiedichte w gibt an, wie groß der Raum und damit auch die Fläche sein müssen, aufwelcher der Speicher für ⋅ kWh zu errichten ist. Die Speicherwirkungsgrad ηSp be-stimmt die Energie, die benötigt wird, um den Speicher zu füllen. Beide Parameter sindunabhängig voneinander. Ist z. B. ηSp ≈ , so kann w trotzdem so klein sein, dass für ei-ne langfristige Speicherung derartig viel Raum und Fläche benötigt wird, dass sich diesesSpeicherkonzept nicht verwirklichen lässt. Das beste Beispiel für einen derartigen Ener-giespeicher ist das Speicherkraftwerk (siehe Abschn. 8.2.1), das eine Energiedichte vonnur w ≈ , kWh ⋅ m− besitzt. Derartige Speicherkraftwerke spielen für die langfristigeEnergiespeicherung keine Rolle, obwohl sie einen hohen Speicherwirkungsgrad besitzen.Aufgrund unserer Abschätzungen sollte der Speicherwirkungsgrad mindestens ηSp ≈ ,betragen. Liegt der Wert darunter, dann steigt umgekehrt proportional die Energiemenge,die den Speicher füllen muss, und damit der Energiebedarf, den erneuerbare Energien zudecken hätten.

Betrachten wir unter diesen Aspekten in der Tab. 8.10 die Speichermöglichkeiten, wo-bei zum Vergleich auch die fossilen Energieträger aufgeführt sind, die ja eigentlich auchnur gespeicherte Energie darstellen. Die angegebenen Speicherwirkungsgrade gelten fürden Fall, dass die gespeicherte Energie in Form von elektrischer Energie dem Abnehmerzur Verfügung steht. Sie sollten verglichen werdenmit demWirkungsgrad η ≈ ,, welcherheute von einem modernen Kraftwerk erreicht wird. Die Speicherwirkungsgrade verän-dern sich natürlich, wenn als Endenergie eine andere Form der Energie gewählt wird, zumBeispiel thermische Energie, die für die Raumheizung benötigt wird. Im übrigen solltendie angegebenen Zahlenwerte nur als Richtgrößen angesehen werden, sie verdeutlichennur ungefähr dieRelationen zwischen alternativen Speichertechnologien.Aus der Tab. 8.10wird deutlich, dass die fossilen Energieträger eine Energiedichte besitzen, die um eine Grö-ßenordnung die vieler zukünftiger Speicher übersteigt. Die einzige Ausnahme bildet Erd-gas, das trotz seiner geringen Energiedichte eine ganz wichtige Rolle in unserer jetzigenEnergieversorgung spielt, weil es unterirdisch gespeichert ist und daher keine Fläche aufder Erde beansprucht. Insofern kannman davon ausgehen, dass auch zukünftige Speicher-konzepte die, von der Erdöl- Kohleförderung leer zurückgelassenen, unterirdischenRäumeausnutzen und auf der Speicherung von Druckluft oder Wasserstoffgas basieren werden.Beide Speichermöglichkeiten besitzen ähnlicheKennzahlenwie das Erdgas, allerdings lässt

Page 296: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

8.3 Die Möglichkeiten der Energiespeicherung 291

Tab. 8.10 Die kritischen Parameter der Speichermöglichkeiten auf der Basis von Erdöl undmithilfezukünftiger Konzepte. Zum Vergleich werden fossile Energieträger ebenfalls gezeigt

Speicherkonzept Energiedichte(kWh ⋅m−)

Speicher-wirkungsgrad

Bemerkung

Fossile EnergieträgerKohle 25.000 – Unterirdische LagerErdöl 10.000 – Unterirdische LagerErdgas 10 – Unterirdische LagerKernspaltung ⋅ –Kernfusion ⋅ –Heutige SpeicherDieselkraftstoff 11.000 0,4 Motor/GeneratorBenzin 9200 0,4 Motor/GeneratorZukünftige SpeicherEutekt. Mischung 500 0,8 Thermischer SpeicherDruckluft (200 bar) 5 0,5 Unterirdischer SpeicherWasserstoff (1 bar) 4 0,5 Unterirdischer SpeicherWasserstoff (200 bar) 800 0,2Wasserstoff (flüssig) 2700 0,1Metallhydride 3500 0,6 MaterialbedarfAkkumulatoren 200 . . . 500 0,8 MaterialbedarfAmmoniak 4300 0,3 Kühlung, in EntwicklungMethan 10 0,3 Vorh. Infrastruktur, CO-Quelle?,

in Entwicklung

sich nur der Wasserstoff auch in ähnlicher Weise transportieren wie das Erdgas. Daher istes natürlich verlockend, gleich die Methanwirtschaft anzustreben, d. h. Methan als Spei-chermedium zu verwenden. Es gibt aber z. Z. noch keine Methan-Brennstoffzelle ohneReformer. Noch gravierender ist das Problem, eine CO-Quelle ohne fossile Energieträgerzu finden.

Aufgrund dieser Überlegungen erscheint es ziemlich klar, dass eine zukünftige Energie-versorgung mit größter Wahrscheinlichkeit auf der Basis derWasserstofftechnik realisiertwerden wird. Das betrifft allerdings nur das Problem der Energiespeicherung und lässt völ-lig unberücksichtigt das Problem, ob überhaupt genügend erneuerbare Energie in Zukunftvorhanden sein wird, um die Energiespeicher zu füllen. Hier spielen ganz andere Gesetzedie entscheidende Rolle, wie wir es in Kap. 7 zusammenfassend diskutiert haben.

Page 297: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

9Der Energietransport

Die Energieversorgung ist heute davon abhängig, dass Energie über weite Strecken trans-portiert werden kann. Es mag uns nicht immer bewusst sein, aber der Transport von Ener-gie begann bereits mit dem Aufbau der fossil biogenen Energieträgern vor Millionen vonJahren. Diese sind durch Fotosynthese aus der Solarenergie entstanden, die mithilfe derStrahlung von der Sonne zur Erde transportiert wurde. Und heute transportieren wir diein den fossilen Energieträgern gespeicherte Energie um den ganzen Erdball, überwiegendmit Schiffen und Rohrleitungen. Dieser Transport wird dadurch erzwungen, dass fossileEnergien in konzentrierter Form nur an ausgesuchten Standorten in der Erdkruste zu fin-den sind. Wie sehr wir vom Energietransport abhängen, kann man sich ausmalen, wennwir uns zum Beispiel vorstellen, es gäbe keine Tankschiffe oder Ölleitungen, um uns mitRohöl zu beliefern.

Auch am Anfang der erneuerbaren Energien steht ein Transportprozess, derselbe, deram Anfang der fossil biogenen Energieträger stand, nämlich die Strahlung von der Sonne.ImGegensatz zu den fossilen Energieträgern sind aber die Quellen der erneuerbaren Ener-gien viel gleichmäßiger über die Erdoberfläche verteilt. Auf der anderen Seite wird sich ander Verteilung der Bevölkerungs- und Industriezentren in Zukunft wohl nichts ändern,diese werden auch weiterhin in ausgesuchten Standorten konzentriert sein. Das bedeutet,die Notwendigkeit eines Energietransports wird sich nicht verringern, die Struktur diesesTransports wird eher schwieriger. Denn in Zukunftmuss Energie von praktisch der gesam-ten Landfläche der Erde zu den Zentren des Bedarfs transportiert werden, während sichder Transport heute von den ausgezeichneten Quellen zu den ausgezeichneten Zentrenvollzieht, also auf relativ wenige Wege beschränkt ist. Könnenmit den heutigen Technikenauch neue und dichtere Transportwege aufgebaut werden?

Der Energietransportmuss, wie bereits erwähnt, über Strecken l > mmöglich sein.Über derartig lange Strecken lassen sich eigentlich nur 2 Energieformen transportieren,

• die elektrische Energie,• die chemische Energie.

293D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_9,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

Page 298: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

294 9 Der Energietransport

Wir werden uns trotzdem auch mit dem Transport

• der thermischen Energie

beschäftigen, weil er für die Energieversorgung von Bedeutung ist, obwohl die Transport-strecken nur klein sind.

ImAllgemeinen erfordert der Transport der EnergieW selbst eine Energie ΔW , oder eswird längs der Transportstrecke l die Energie ΔW in eine andere Energieform umgewan-delt, geht also verloren. Um die Güte einer Transporttechnik charakterisieren zu können,definieren wir als Parameter den Transportaufwand

χ =lΔWW

, (9.1)

der angibt, wie hoch der Energieverlust ΔW auf der Wegstrecke l ist, wenn die EnergieW über diese Wegstrecke transportiert werden soll. Ist der Transportaufwand durch einekonstante Zahl charakterisiert, das heißt unabhängig von l , so bedeutet dies, dass umsomehr Energie benötigt oder verloren geht, je länger der Transportweg ist. Dann existierteine maximale Transportstrecke lmax, über die Energie transportiert werden kann, ohnedass die für denTransport einzusetzendeEnergiemehr als 10%der transportierten Energieausmacht. Der maximal mögliche Transportweg ist dann gegeben durch

lmax =,χ. (9.2)

9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports

Um die Probleme des Energietransports unter physikalischen Aspekten behandeln zu kön-nen, ist wiederum ein physikalisches Grundwissen erforderlich. Wir behandeln daher denEnergietransport in den nächsten Abschnitten auf der P-Ebene, und erst im im Anschlussdaran werden wir die Ergebnisse im Abschn. 9.2 zusammenfassen.

9.1.1 Der Transport von elektrischer Energie

Es liegt nahe, als ersten den Transportprozess zu untersuchen, der die Energie der Sonneauf die Erde transportiert, und das ist der Strahlungstransport. Licht ist eine elektroma-gnetische Welle und mit der elektromagnetischen Strahlung wird Energie transportiert.Die Energiedichte dieser Strahlung beträgt

w =εE

mit ε = , ⋅ −C⋅N− ⋅m− , (9.3)

Page 299: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports 295

wobei E die Amplitude des elektrischen Felds ist, das sich als eine ebeneWellemit Lichtge-schwindigkeit c durch denRaumausbreitet. Die Energiedichtew⊕ der elektromagnetischenStrahlung, die uns von der Sonne erreicht, ist sehr klein. IhrWert ist in (6.2) angegeben, derGrund für diese geringe Energiedichte ist, dass die Amplitude der elektrischen Feldstärkesehr klein ist. Man kann daher die Energiedichte wesentlich erhöhen, wenn die elektrischeFeldstärke bis zum maximal möglichen Wert vergrößert wird. Mit Hochleistungslasernlassen sich heute Feldstärken bis zur Durchbruchfeldstärke in Luft erzielen, siehe Tab. 8.1.Allerdings arbeiten diese Laser nicht im Dauerbetrieb, sondern sind gepulst mit einemTastverhältnis von nicht besser als −. Die maximale Energiedichte eines Lasers liegt da-her bei

w = J ⋅m− ≈ ⋅ − kWh ⋅m− . (9.4)

Die zeitlich gemittelte Energiedichte ist aber wegen des geringen Tastverhältnisses viel klei-ner, sie beträgt nur

w = ⋅ − kWh ⋅m− ≈ ,w⊕. (9.5)

Sie ist daher viel kleiner als die Energiedichte der Sonnenstrahlung auf der Erde. Hoch-leistungslaser sind damit nicht geeignet, den Transport der erforderlichen großen Energie-mengen auf ausgesuchten Wegen um den Erdball herum durchzuführen, ganz abgesehenvon den anderen technischen Problemen, die einer Verwirklichung dieses Transportkon-zepts im Wege stehen würden.

Als bewährte Methode des Transports von elektrischer Energie verbleiben Überland-leitungen oder Seekabel, durch die ein elektrischer Strom fließt. Damit ein Strom I durcheinen elektrischen Leiter von A nach B fließt, muss zwischen den Punkten A und B einePotenzialdifferenz Δϕ = U bestehen,U bezeichnet man als die elektrische Spannung. EineLeitung zum Transport von elektrischer Energie muss daher immer aus einer ZuführungvomPunkt A und einer Rückführung zum Punkt B bestehen, wird alsomindestens 2 Leitervon der Quelle zum Empfänger aufweisen, zwischen denen eine Spannung U anliegt.

Die meisten Überlandleitungen benutzen nicht eine Gleichspannung, durch sie fließtkeinGleichstrom, sondern sie arbeitenmit einerWechselspannungU(t) und einemWech-selstrom I(t), die sich zeitlich verändern gemäß einer Sinus-Funktion

I(t) = Isin (πνt), U(t) = Usin (πνt + φ), (9.6)

wobei φ die Phasenverschiebung zwischen der Wechselspannung und demWechselstromist. Die Amplituden I und U bestimmen die Wirkleistung PW, die der Wechselstromtransportiert, sie ergibt sich zu

PW = Ueff Ieff cos φ, (9.7)

mit Ueff = U/√

und Ieff = I/√

. Allein die Wirkleistung des elektrischen Stroms lässtsich in einem an die Leitung angeschlossenen Wandler, siehe Abb. 9.1, in andere Ener-gieformen umwandeln, sei es mechanische Energie (Elektromotor), thermische Energie

Page 300: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

296 9 Der Energietransport

Tab. 9.1 Gebräuchliche metallische Leiter und ihre spezifischen Widerstände rΩ bei Umgebungs-temperatur T

Leiter Al Fe Cu Hg AgrΩ (−Ω ⋅m) 2,7 9,8 1,7 96 1,6

(Elektroherd) oder Strahlungsenergie (Elektrolampe). Neben den Amplituden von Stromund Spannung ist auch die Phasenverschiebung φwichtig, ihreGrößewird bestimmt durchden komplexen Wechselstromwiderstand Z = RZ + iIZ des Wandlers.RZ und IZ sindder Realteil und der Imaginärteil des Wechselstromwiderstands, i =

− ist die imaginäreEinheit. Die Phasenverschiebung ergibt sich aus dem Real- und Imaginärteil zu:

cos φ =RZ

(RZ) + (IZ). (9.8)

Mithilfe der Phasenverschiebung lässt sich der über die Leitung fließendenWirkstrom

IW = Ieff cos φ (9.9)

definieren, so dass für die Wirkleistung

PW = Ueff IW (9.10)

gilt. Ist cos φ < , fließt neben dem Wirkstrom auf der Leitung auch ein Blindstrom IB =Ieff sin φ, zu dem die Blindleistung

PB = Ueff IB (9.11)

gehört. Die Blindleistung kann nicht in eine andere Energieform umgewandelt werden, siebelastet aber die Transportleitung und führt auf dieser zu vermeidbaren Verlusten. Blind-ströme sollten vermieden werden und dazu muss cos φ ≈ gelten. Die Elektrizitätsversor-ger verlangen von ihren Leistungsabnehmern, dass die angeschlossenenWandler diese Be-dingung erfüllen, unter Umständen durch eine Phasenanpassung zwischen WechselstromundWechselspannung imWandler. Daher beträgt dieWirkleistung beim Energietransportüber unser Wechselstromnetz

PW = Ueff Ieff . (9.12)

Elektrische Ladungen können entweder alsWechsel- oder als Gleichstrom über große Ent-fernungen durch metallische Leiter transportiert werden. Ein metallischer Leiter wird cha-rakterisiert durch seinen spezifischen Widerstand rΩ, in der Tab. 9.1 sind für einige dergebräuchlichen metallischen Leiter die spezifischen Widerstände zusammengefasst.

Silber (Ag) undKupfer (Cu) besitzen von den festen Leitern den geringsten spezifischenWiderstand, trotzdem wird in Überlandleitungen immer Aluminium (Al) verwendet, das

Page 301: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports 297

in größeren Mengen auf der Erde vorhanden und daher kostengünstiger ist. Ein Über-landkabel aus Aluminium hat im Allgemeinen einen Durchmesser von 2 cm und einenStahldrahtkernmit 8 mmDurchmesser, der dem Kabel die mechanische Stabilität verleiht,die ein Kabel aus reinem Aluminium nicht besitzen würde.

Eine derartige Leitung besitzt auf einer Länge von l = km einen WirkwiderstandoderOhm’schenWiderstand

RZ = RK = rΩlA= Ω, (9.13)

wobei A die Querschnittsfläche des Kabels ist. Soll über diese Leitung mithilfe der Span-nung Ueff = .V eine Wirkleistung von 5 MW transportiert werden, muss über dieLeitung ein Strom Ieff = A fließen. Ein Teil dieser elektrischen Leistung wird wegendes Ohm’schenWiderstands RK im Kabel in thermische Leistung umgewandelt, dieser Teilbeträgt

ΔP = RKIeff = ,MW. (9.14)

Das bedeutet, 50% der transportierten Wirkleistung gehen verloren, diese Leitung wärefür den Transport elektrischer Energie äußerst ungeeignet. Der Transportaufwand längsdieser Leitung beträgt

χ = ⋅ − m− , (9.15)

woraus sich eine maximale Transportlänge von

lmax = ⋅ m = km (9.16)

errechnet. Für einen Energietransport über große Strecken ist die Länge von 20 km natür-lich viel zu gering.

Der Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, die Spannung Ueff auf Kosten desStroms Ieff zu erhöhen, so dass die transportierte Wirkleistung (9.12) konstant bleibt, sichaber die Verlustleistung (9.14) verringert, weil sie quadratisch mit dem Strom abnimmt.Die Spannungserhöhung ist möglich mithilfe eines Transformators. Ein Transformatorbesteht im Prinzip aus zwei Leiterspulen, der Primärspule mit derWindungsanzahl n undder Sekundärspule mit derWindungsanzahl n, die nicht leitend, aber magnetischmithilfeeines geschlossenen Eisenkerns gekoppelt sind. Primär- und Sekundärspannung stehenim Verhältnis

Ueff ,

Ueff ,=

n

n, (9.17)

die Sekundärspannung lässt sich also auf sehr hoheWerte Ueff , ≈ kV transformieren,indem n ≫ n gewählt wird. Für die zugehörigen Ströme gilt das zu (9.17) reziprokeGesetz

Ieff ,Ieff ,

=

n

n. (9.18)

Page 302: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

298 9 Der Energietransport

Abb. 9.1 Ersatzschaltbild fürdie Übertragung elektrischerEnergie mithilfe eines Wechsel-stroms

LKCK

RK

Wan

dle

r

Wir wollen nicht auf die Schwierigkeiten in der physikalischen Behandlung eingehen,die dadurch entstehen, dass für den Energietransport ein Dreiphasen-Drehstrom verwen-det wird, sondern wollen weiterhin von einer Leitung mit zwei Leitern, eine Zu- und einerRückführung ausgehen, von denen der eine derNullleitermit konstantemPotential ϕ = Vist und auf dem anderen Leiter der technische Wechselstrom Ieff fließt. Die Frequenz destechnischen Wechselstroms beträgt

ν = s− , (9.19)

weil sich bei dieser Frequenz die elektrische Energie amwirtschaftlichsten übertragen lässt.Mitbestimmend für dieWirtschaftlichkeit sind neben demWirkwiderstand (9.13) der Lei-tung auch ihre Blindwiderstände

IZC = −

πνCKund IZL = πνLK, (9.20)

wie sie im Ersatzschaltbild 9.1 der Energieübertragung dargestellt sind. Dabei ist LK dieInduktivität der Leitung und CK die Kapazität der Leitung gegenüber ihrer Umgebung.Letztere hängt von dem Leitungsaufbau ab, die stromführenden Leiter sollten sich in mög-lichst großem Abstand voneinander und anderen Leitern befinden, wie es zum Beispiel inder Abb. 9.2 gezeigt ist. Die Leiterinduktivität ist bei einem Einzelleiter mit dem Durch-messer d gegeben zu

LK ≈μπ

l lnld

mit μ = , ⋅ − V ⋅ s− ⋅m− . (9.21)

Der Blindwiderstand IZL nimmt also mit der Länge l des Leiterkabels zu, wie auch derWirkwiderstand RK nach (9.13) linear mit l zunimmt.

Wegen des Blindwiderstands fließt ein zusätzlicher Blindstrom IB über die Transportlei-tung, der zu zusätzlichen Leistungsverlusten führt undmöglichst vermieden werden sollte.Am effektivsten1 ist es natürlich, wenn man ν = wählt, also die elektrische Leistung mit-hilfe eines Gleichstroms überträgt.

Die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ist durch die Entwicklungvon leistungsfähigen Gleich- und Wechselrichtern, die auch bei höchsten Spannungeneingesetzt werden können, möglich geworden. Die Frage, ob man eine Hochspannungs-

1 Man beachte, dass gemäß der Abb. 9.1 der kapazitive Blindwiderstand IZC möglichst groß und derinduktive Blindwiderstand IZL möglichst klein sein sollte.

Page 303: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports 299

Tab. 9.2 Daten einiger der weltweit installierten und imGebrauch befindlichen Anlagen zur Hoch-spannungs-Gleichstrom-Übertragung von elektrischer Energie

Strecke Länge (km) Spannung (kV) Leistung (MW) InbetriebnahmeNorwegen-Dänemark 130 350 500 1993Deutschland-Schweden 250 450 600 1996Deutschland-Dänemark 170 400 600 1996Indien-Indien 1450 ±500 2000 2002Brasilien-Brasilien 2500 ±600 3150 2012China-China 2071 ±800 6400 2010

Abb. 9.2 Die Tragemasten derÜberlandleitungen mit ihrengeometrischen Abmessungenbei einer HWÜ-Anlage (ACDrehstrom) und einer HGÜ-Anlage (DC Gleichstrom). ImFalle AC sind die Effektivspan-nungswerte Ueff angegeben, imFalle DC die Gleichspannungs-werte U

+ 500 kV DC350 kV AC

ca. 28 mca. 28 m

ca. 8

0 m

ca. 5

5 m

ca. 46 m

750 kV AC

Wechselstrom-Übertragung (HWÜ) mit den zusätzlichen Verlusten aufgrund der Blind-widerstände oder eine HGÜ mit den zusätzlichen Kosten für Gleich- und Wechselrichterwählt, ist eine Wirtschaftlichkeitsfrage. Mit wachsender Kabellänge wird die HGÜ immerwirtschaftlicher im Vergleich zu einer HWÜ. Man geht davon aus, dass bei einer Über-landleitung letztere ab einer Länge von 1000 km unwirtschaftlich wird, bei Seekabelnbeträgt diese kritische Länge nur 30 km, da Seekabel wegen ihrer kompakteren Bauweisewesentlich höhere Blindwiderstände besitzen. Zur Zeit befinden sich weltweit mehr als200 HGÜ-Anlagen in Betrieb.

In EuropawerdenmeistensHGÜ-Seekabel genutzt, um Staaten über dasWasser energe-tisch zu verbinden. Ein Seekabel besitzt nur eine Polarität, die Rückführung geschieht überdas (salzhaltige)Wasser.Das reduziert die transportierte Leistung, wie aus den 3 Beispielenin Tab. 9.2 zu ersehen ist. Überlandkabel mit 2 Kabeln transportieren größere Leistungenüber größere Distanzen, für die ebenfalls 3 Beispiele in Tab. 9.2 gezeigt sind. Im letztenBeispiel beträgt die Spannungsdifferenz zwischen den Kabeln 1,6MV, und das kann zuProblemen führen, mit denen wir uns kurz beschäftigen wollen.

Im stationären Fall ist ein stromführendes Kabel ungeladen, die fließenden Elektronen-ladungen werden kompensiert durch die positiven Ladungen der Metallgitterionen. Daher

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300 9 Der Energietransport

Tab. 9.3 Die Leitungskonfiguration von HWÜ-Anlagen mit Dreiphasen-Drehstrom. Diese AC-Übertragungstechnik benötigt 3 Leitungen, siehe Abb. 9.2, die übertragene Leistung beträgt PW =√

Ueff IeffSpannung (kV) Strom (A) Leistung (MW) Konfiguration110 500 100 Einzelkabel ●

220 × 500 Parallelkabel ● ●

350 × 1000 Doppel-Parallelkabel ● ●

● ●

existiert um das Kabel herum kein elektrisches Feld2, das elektrische Feld existiert nur imInneren des Kabels und verursacht den elektrischen Strom.Wird allerdings der Stromflussunterbrochen, lädt sich die Kabeloberfläche schlagartig auf und es entsteht bei Spannun-gen von 1MV an der Kabeloberfläche ein elektrisches Feld, das dieDurchbruchfeldstärkeder Luft ummehrere Faktoren übersteigt. Dann brennt längs des Kabels eine Plasmaentla-dung, die das Kabel ständig entlädt, die Leistung geht dabei vollständig an die Umgebungverloren. Um solche Zustände möglichst zu vermeiden, werden mehrere Kabel zu einemLeitungsstrang zusammengefasst, wodurch der effektive Durchmesser der Leitung erhöhtund die Feldstärke an der Kabeloberfläche herabgesetzt wird. In der Tab. 9.3 sind einigeder heute üblichen Kabelkonfigurationen gezeigt und welche Leistungen damit übertragenwerden. Für die Übertragungssicherheit sehr wichtig sind auch die Masten, an denen dieKabel bei der Überlandleitung aufgehängt sind. Die Abb. 9.2 zeigt einige Konfigurationen,aus denen ersichtlich wird, dass die reinen Leitungskosten bei einer HGÜ-Anlage wegender kleineren Dimensionen viel günstiger sind.

Über welche Strecken lässt sich elektrische Energie mit einer HGÜ-Anlage transportie-ren? Der Tranportaufwand3 beträgt etwa

χ ≈ ⋅ − m− (9.22)

bei angenommenen 10% Verlust und es ließen sich Strecken von lmax ≈ km über-brücken. Mithilfe einer Kombination aus Seekabel und Überlandleitung ließe sich zumBeispiel die elektrische Energie von Nordafrika aus nach Europa transportieren. Für nochlängere Übertragungsstrecken müsste, bei gleichemMaterial, entweder eine kleinere Leis-tung übertragenwerden (d. h. der Strommuss reduziertwerden) oder die Spannungmüssteerhöht werden. Ein Vorschlag, den spezifischen Widerstand des Leiters herabzusetzen,indem zum Beispiel Supraleiter zum Transport verwendet werden, hat nur wenig Erfolgs-aussichten.

2 Daher ist die Angst vor elektrischen Feldern in der Nähe von HGÜ-Leitungen unbegründet!3 Die Transportlänge ist nur halb so groß wie die Kabellänge, weil Kabel sowohl für den Hin-, wieauch den Rücktransport benötigt werden.

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9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports 301

Tab. 9.4 Der Aufwand bei dem Energietransport mithilfe von Fahrzeugen

Fahrzeug Aufwand beim EnergietransportSchiff (200.000 BRT) χ = ⋅ − m−

Eisenbahn (1000 t) χ = ⋅ − m−

Flugzeug (Großraumjet) χ = ⋅ − m−

LKW (20 t) χ = ⋅ − m−

9.1.2 Der Transport von chemischer Energie

Wenn wir heute vom Transport chemischer Energie sprechen, dannmeinen wir eigentlichimmer den Transport von fossil biogenen Energieträgern. Denn diese sind zur Zeit für un-sere Energieversorgung die wesentlichen Träger der chemischen Energie, sie müssen vonihren Quellen, zum Beispiel Erdöl- oder Erdgasfelder, zu ihren Abnehmern, den Bevöl-kerungs- und Industriezentren, transportiert werden. Für den Transport gibt es mehrereMöglichkeiten, deren Eignung von dem Typ des Energieträgers abhängt. Feste Energieträ-ger, wie die Kohle, lassen sich mithilfe von Fahrzeugen, also auf dem Schiff, der Eisenbahnoder demAuto (LKW) transportieren. Soll Erdöl oder Erdgas transportiertwerden, kommtals Transportmittel auch eine Rohrleitung in Frage. Alle dieseMöglichkeiten unterscheidensich voneinander durch ihren Transportaufwand, den wir uns jetzt überlegen wollen.

Der Transportaufwand ist gegeben durch die Energie ΔW , die zum Transport der Ener-gieW über die Distanz l aufzubringen ist, siehe (9.1):

χ =lΔWW=

lΔW/Δm

Hm.

Im Fall der fossil biogenen Energieträger ist die Energie W gegeben durch ihren spezi-fischen Heizwert Hm, siehe Abschn. 2.2.1. Denn der Energietransport ist gekoppelt aneinenMassentransport.Dagegen ist die aufzubringende Energie in vielen Fällen wesentlichweniger abhängig von der transportierten Masse und der Transportaufwand wird um-so geringer, je mehr Masse auf einmal transportiert wird. Dieses Verhalten ist besondersoffensichtlich beim Transport mithilfe von Fahrzeugen. Die entsprechenden Transport-möglichkeiten sind durch die χ-Werte in Tab. 9.4 gekennzeichnet. Die für denAufwand an-gegebenen Zahlenwerte dienen nur für eine grobe Abschätzung. Denn natürlich hängt derTransportaufwand davon ab, was transportiert wird, also vom Heizwert des transportier-ten Guts. Vergleicht man aber die verschiedenen Möglichkeiten, dann wird offensichtlich,dass der Transport von großen Massen über Wasser die wirtschaftlichste Methode ist undüber Strecken von bis zu lmax ≈ . km durchgeführt werden kann. Will man aber Erd-gas auf diese Weise transportieren, verringert sich die Wirtschaftlichkeit erheblich. DennErdgas besitzt unter der Normalbedingung bei gleichem Volumen eine etwa 1000mal ge-ringere Masse als Kohle, es müsste für den Transport zunächst bei einer Temperatur von− °C verflüssigt werden. Wie bei der Wasserstoffverflüssigung, siehe Abschn. 8.2.1, ist

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302 9 Der Energietransport

dafür Energie erforderlich, die zwar nicht den Transportaufwand unmittelbar erhöht, aberdie Wirtschaftlichkeit des Transports verringert. Wenn möglich, kann der Transport vonErdöl und Erdgas durch Rohrleitungen mit weniger Aufwand vollzogen werden, als dasmit Fahrzeugen möglich ist.

Wir betrachten zunächst den Fall, dass eine Flüssigkeit durch die Rohrleitung strömt,wie es beim Transport von Erdöl oder Wasser geschieht. Flüssigkeiten sind, im Gegensatzzu Gasen, inkompressibel, das heißt, sie verändern längs der Transportstrecke ihre Mas-sendichte ρm nicht, es gilt also

ρm =mV= konst �⇒ V = konst. (9.23)

Damit die Flüssigkeit durch das Rohr strömt, muss der Druck P auf die Flüssigkeit amAnfang des Rohrs größer sein als am Ende des Rohrs, es besteht längs des Rohrs einDruckgradient ΔP/Δl . Die Größe des zu errichtenden Druckgradienten bestimmt auchden Transportaufwand χ. Denn für die mechanische Energie einer inkompressiblen Flüs-sigkeitsströmung gilt

ΔW = Δ(PV) = VΔP (9.24)

und für die transportierte MasseΔm = ρmV . (9.25)

Daraus folgt für den Transportaufwand über die Rohrlänge Δl

χ =Δl

ΔW/ΔmHm

=

ρmHm

ΔPΔl=

HV

ΔPΔl

. (9.26)

Die Heizwertdichte HV = ρm Hm ist eine feste, die transportierte Flüssigkeit charakteri-sierende Größe. Dagegen hängt der Druckgradient ΔP/Δl ganz wesentlich von der Art derStrömung ab. Die Flüssigkeitsströmung kann entweder laminar oder turbulent sein. DasKriterium für die Existenz einer laminaren Strömung ist derWert derReynoldzahl. Strömtdie Flüssigkeit mit einer mittleren Geschwindigkeit v durch ein Rohr mit dem Durchmes-ser d, dann ist die Reynoldzahl

Re =ρmvdξ

, (9.27)

wobei ξ die Zähigkeit oder Viskosität der Flüssigkeit kennzeichnet. Eine Strömung ist solange laminar, so lange

Re < Rekrit (9.28)

gilt. Für Strömungen durch ein Rohr ist die kritische Reynoldzahl

Rekrit = . (9.29)

Die Größe des Druckgradienten, der aufgebaut werden muss, damit eine bestimmte Flüs-sigkeitsmenge Δm/Δt pro Zeit durch das Rohr transportiert werden kann, hängt von der

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9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports 303

Abb. 9.3 Die Abhängigkeitdes Reibungskoeffizienten cWvon der Reynoldzahl im Falllaminarer und turbulenterStrömungen. Im letzten Fallist cW stark abhängig von derRauigkeit der Rohrinnenober-fläche

103 104 105 106 107 108

Reynoldzahl

Rei

bu

ng

sko

effi

zien

t c

W

0,10

0,08

0,06

0,04

0,02

0,01

lam

inar

Ub

erg

ang

sreg

ion

turb

ule

nt

glatte Rohre

raue Rohre

stei

gen

de

Rau

igke

it

..

Größe der Reynoldzahl ab. Wir können diesen Druckgradienten mithilfe von (6.103) be-stimmen, die angibt, welcheWiderstandskraft eine Strömung auf einenKörper ausübt. Jetztmuss umgekehrt die Druckkraft bestimmt werden, welche die Flüssigkeit zum Strömenbringt. Physikalisch gesehen sind beide Probleme ähnlich, ein wesentlicher Unterschiedbesteht darin, dass in (6.103) die Strömung um den Körper mit angeströmter Fläche Aher-umfließt, jetzt aber die Strömung durch ein Rohrmit angeströmter Fläche Ahindurchfließt.Dieser Unterschied in der Geometrie der Strömung wird berücksichtigt durch einen Geo-metriefaktor Δl/d. Die Druckkraft, die auf die Flüssigkeit ausgeübt werden muss, beträgt

FP = cWρm

v AΔld. (9.30)

Der Druck auf die Fläche A ist gegeben zu ΔP = FP/A, also folgt für den Druckgradientenlängs des Rohrs mit der Länge Δl

ΔPΔl= cW

ρm

v d. (9.31)

DerWiderstandsbeiwert oder Reibungskoeffizient cW ist sehr stark davon abhängig, obdie Strömung laminar oder turbulent ist. Für eine laminare Strömung durch ein Rohr lässter sich berechnen, er ergibt sich zu

cW =Re

. (9.32)

Bei einer turbulenten Strömung ist die Situation viel komplizierter, der Reibungskoeffizienthängt zum Beispiel stark davon ab, welche Rauigkeit die Innenoberfläche des Rohrs besitzt.Diese Abhängigkeit ist in der Abb. 9.3 gezeigt.

Mithilfe von (9.31) kannman zumBeispiel den Transportaufwand für eine Erdölleitungbestimmen. Er beträgt

χ = cWv

Hmd, (9.33)

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304 9 Der Energietransport

ist also, neben der Abhängigkeit vom Reibungskoeffizienten, noch abhängig von dem Ver-hältnis v

/d. Der Aufwand steigt daher quadratischmit der Erdölmenge, die pro Zeit durchdie Rohrleitung transportiert wird, und er nimmt mit dem Leitungsdurchmesser ab.

Als Beispiel betrachten wir den Erdöltransport durch die Rohrleitung in Alaska, dieAlaska-Pipeline, die Erdöl von den Bohrfeldern zum Hafen transportiert, von wo es perSchiff zu denRaffinerien inNordamerikaweiter transportiertwird.DieAlaska-Pipeline hateine Länge von l = kmund einenRohrdurchmesser von d = m, dieDurchflussmengebeträgt , ⋅ Barrel pro Tag. In den SI-Einheiten entspricht das ΔV/Δt = ,m

⋅ s−.Daraus lässt sich die Strömungsgeschwindigkeit berechnen:

v =ΔVΔt

πd = m ⋅ s

− . (9.34)

Dann ist zu entscheiden, ob die Strömung laminar oder turbulent ist. Erdöl hat eine Mas-sendichte und eine Viskosität von

ρm = kg ⋅m− , ξ = , ⋅ − N ⋅ s ⋅m− . (9.35)

Also beträgt die Reynoldzahl

Re =ρmvdξ= ⋅ , (9.36)

die Strömung ist turbulent. Aus der Abb. 9.3 entnehmen wir, dass der Reibungskoeffizientfür ideal glatte Rohre einen Wert

cW ≈ , (9.37)

besitzt. Und aus der Tab. 8.9 entnehmen wir den spezifischen Heizwert Hm = HV/ρm vonErdöl, woraus sich der Transportaufwand der Alaska-Pipeline ergibt:

χ = ,

( ⋅ )= ⋅ − m− . (9.38)

Man kann diesen χ-Wert als typisch ansehen für den Transportaufwand von Erdöllei-tungen. Dieser Aufwand ist um eine Faktor 0,1 geringer als der des Schifftransports, alsodiesem immer vorzuziehen, wenn der Bau einer Erdölleitung möglich ist. Bei der Mach-barkeitsprüfung sind natürlich auch die Investitions-/Unterhaltungskosten und Umwelt-aspekte zu berücksichtigen, auf die hier nicht eingegangen wird.

Nach dem Transport von Flüssigkeiten durch Rohrleitungenwollen wir uns überlegen,was sich ändert, wenn ein Gas auf diese Weise transportiert wird. Gase sind kompressibel,das bedeutet, Gleichung 9.23 ist nicht mehr gültig, sondern die Massendichte des Gaseskann sich längs der Transportstrecke verändern. Falls aber das Gas sich wie ein ideales Gasverhält, dann gilt längs der gesamten Transportstrecke die Zustandsgleichung (8.42) desidealen Gases. Daraus ergeben sich für den Transport die wichtigen Folgerungen:

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9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports 305

• Das Verhältnis vonDruck zurMassendichte ist konstant, falls das Gas seine Temperaturnicht ändert. Also gilt am Rohreingang (i), am Rohrausgang (f) und ganz allgemein

Piρm,i

=

Pfρm,f

=

P●

ρ●m, (9.39)

wobei das letzte Verhältnis sich auf die Normalbedingung bezieht und nur korrekt ist,wenn T = T● ist.

• Da zumTransport des Gases ein Druckgradient ΔP/Δl längs der Transportstrecke exis-tieren muss, ist

Pi > Pf �⇒ ρm,i > ρm,f . (9.40)

Die Massendichte des Gases nimmt längs der Transportstrecke ab.• Aber dieMasse, die pro Zeiteinheit in das Rohr mit Querschnittsfläche A eintritt, muss

das Rohrmit Querschnittsfläche A auch wieder verlassen, weil in dem Rohr weder Mas-se erzeugt noch vernichtet werden kann. Es muss gelten

Δmi

Δt=

Δmf

Δt. (9.41)

Da Δm/Δt = ρmAv ist, folgt aus (9.41)

ρm,ivi = ρm,fvf �⇒ vi < v f . (9.42)

Die Austrittsgeschwindigkeit des Gases ist daher größer als die Geschwindigkeit, mitder das Gas in das Rohr eingetreten ist.

Gleichung 9.33 für den Transportaufwand kann auf Gasströmungen nicht übertragenwerden, weil die Transportgeschwindigkeit v nicht konstant ist.

Für kompressible Gasströmungen ist es wesentlich schwieriger, den Druckgradientenlängs des Rohres zu berechnen, als uns das vorher mithilfe von (9.30) gelungen ist. Formalgilt natürlich

ΔPΔl=

Pi − Pfl=

Pil( −

PfPi) ,

das heißt, die Berechnung des Transportaufwands erfordert, das Verhältnis zwischen End-und Anfangsdruck des Gases in dem Rohr zu bestimmen. Die dazu notwendigen Rech-nungen werden wir nicht im Detail durchführen, sie ergeben

PfPi=

− cWv iρ●mP●

ld. (9.43)

Weil der Druck amRohrende Pf ≥ sein muss, stellt (9.43) eine Bedingung dafür, wie großdie Gasgeschwindigkeit am Rohreintritt maximal sein kann, nämlich

vi ≤ vmax =

7

8

89

cW

P●

ρ●m

dl. (9.44)

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306 9 Der Energietransport

Das Verhältnis P●/ρ●m ist eine feste Größe, die Geschwindigkeitsobergrenze hängt alleinvom Reibungskoeffizienten cW und vom Geometriefaktor l/d ab: Um hohe Gasgeschwin-digkeiten zu erreichen, müssen beide Größen so klein als möglich sein.

Betrachten wir auch hier wiederum ein Beispiel, und zwar die Gasrohrleitung „Erdgas-trasse Ural-Ukraine“ die eine Länge von 4400 km hat. Auf dieser Trasse sind 40 Verdicht-erstationen in gleichmäßigen Abständen installiert, so dass l = , ⋅ m die tatsächlicheLänge eines Leitungsabschnitts ist. Weitere Informationen lagen für diese Erdgasrohrlei-tung nicht vor. Wir wollen annehmen, dass das Rohr einen Durchmesser von d = mbesitzt, und dass die Gasströmung turbulent ist mit einem Reibungskoeffizienten cW =.. Erdgas besitzt unter der Normalbedingung eine Dichte ρ●m = , kg ⋅m− und dar-aus folgt für das feste Druck-zu-Dichte-Verhältnis

P●

ρ●m= , ⋅ m

⋅ s− (9.45)

und für die maximale Gasgeschwindigkeit

vmax = m ⋅ s− . (9.46)

Die tatsächliche Eintrittsgeschwindigkeit vi wird kleiner als dieser maximal möglicheWertsein und wir wollen davon ausgehen, sie betrage vi = m ⋅ s−. Dann ergibt (9.43) für dasVerhältnis von Austritts- zu Eintrittsdruck

PfPi=

ρm,f

ρm,i= ,, (9.47)

die Verdichterstationen müssen also die Gasdichte verdoppeln. Unter diesen Bedingungenwird das Erdgas mit einem Transportaufwand

χ =

Hm

P●

ρ●m l( −

PfPi) =

HV

P●

l( −

PfPi) = , ⋅ − m− (9.48)

durch die Rohrleitung transportiert. Dieser Wert ist etwa 10mal größer als der, welcherfür den Erdöltransport durch eine Pipeline charakteristisch ist. Der Unterschied hat seineUrsachen imWesentlich in denUnterschieden zwischen Flüssigkeits- undGasströmungen.

9.1.3 Der Transport von thermischer Energie

Der Transport von thermischer Energie, zum Beispiel bei einer Fernwärmeversorgung,wird fast immer mit Heißwasser oder, in seltenen Fällen, mit Heißdampf durch eine Rohr-leitung durchgeführt. Dieser Transport ist möglich nur über relativ kurze Strecken,

lmax < km, (9.49)

und wir wollen verstehen, warum dem so ist.

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9.1 Die physikalischen Grundlagen des Energietransports 307

Wir haben die Flüssigkeits- und Gasströmung durch eine Rohrleitung im vorigen Ab-schn. 9.1.2 besprochen und die physikalischen Grundlagen bleiben weiterhin gültig, wennanstelle von chemischer Energie jetzt thermische Energie transportiert werden soll. Wassich ändert, ist der „Heizwert“ der transportierten Energie, er beträgt jetzt nicht mehr Hm ,sondern in (9.1) ist zu ersetzen

W = Q = mcmT , (9.50)

wobei cm die spezifische Wärmekapazität des Transportmediums ist. Für Heißwasserkann die Temperatur nicht größer als

T < K

sein, wird Heißdampf als Transportmedium verwendet, kann

T > K

sein. FürT = Kbeträgt die spezifischeWärmekapazität vonWasser cm = ,⋅− kWh⋅kg− ⋅K− und daher wird in der Rohrleitung näherungsweise eine thermische Energie von

Q = , kWh ⋅ kg− (9.51)

transportiert. Verglichen mit dem Heizwert von Erdöl und Erdgas

Hm ≈ kWh ⋅ kg− (9.52)

verlangt also der Transport von thermischer Energie durch eine Rohrleitung einen 25malhöherenTransportaufwand , wennman die Verlust aufgrund derWärmeleitung durch dieRohrwand in die Umgebung vernachlässigt. Diese sind aber beim Transport vonHeißwas-ser bestimmend für den Transportaufwand.

DerWärmeverlust durch die thermisch isolierte Rohrwand ergibt sich aus demWärme-leitungsgesetz (6.143), welches sich, auf das Volumenelement dV bezogen, auch schreibenlässt:

ddt(

dQdV) = −Λ

dTds

. (9.53)

Im stationären Fall einer zeitunabhängigen Energiedichte dQ/dV folgt daraus dieDifferen-tialgleichung (es werden Zylinderkoordinaten verwendet, weil es sich um denWärmeflussdurch die Rohrwand handelt):

dTdr+

rdTdr= mit der Lösung T(r) = Ta + (Ti − Ta)

ln(r/ra)ln(ri/ra)

. (9.54)

Dabei sind T die Temperatur und r der Radius innerhalb (i) und außerhalb (a) des Rohrs.Die Funktion T(r) beschreibt den Temperaturverlauf durch die Isolationsschicht des

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308 9 Der Energietransport

Rohrs, sie erfüllt die vorgegebenen Randbedingungen T(ri) = Ti und T(ra) = Ta. DerWärmeverlust ergibt sich nach Gleichung 6.143 zu

dQdt= −AΛ

dTdr= πlΛ(Ti − Ta)(ln

rira)

−. (9.55)

Nehmen wir als Beispiel Heißwasser, dass mit einer Temperaturdifferenz Ti − Ta = Kund mit einer Geschwindigkeit v = m ⋅ s− durch eine Rohrleitung mit Radius ri = , mströmt, welche mit einem 15 cm dicken Isoliermantel ausThermofilz (Λ = , W ⋅m− ⋅K−) umhüllt ist. Unter diesen Bedingungen transportiert die Rohrleitung eine thermischeEnergie vonQ = ,⋅ kWh⋅a− , erleidet aber einen Energieverlust proMeter Rohrlängevon ΔQ/l = , ⋅ kWh ⋅ a− ⋅m− . Das bedeutet, der Transportaufwand für thermischeEnergie durch eine Rohrleitung ist von der Größenordnung

χ ≈ ⋅ − m− (9.56)

und damit etwa 200mal größer als der für den Transport von Erdöl durch eine Rohrleitungnach (9.38).

Dies sind die Gründe dafür, dass sich thermische Energie nicht über weite Streckendurch eine Rohrleitung transportieren lässt: Die transportierte Energie ist zu klein undder Energieverlust ist zu groß.

9.2 Transport und Speicherung erneuerbarer Energien

Sind erneuerbare Energien ein Teil der Grundlast, müssen sie nicht gespeichert werden,sondern allein über lange Strecken transportabel sein. Da weiterhin erneuerbare Energi-en überwiegend in elektrische Energie bereitgestellt werden, ist der HGÜ-Transport diesich anbietende undwahrscheinlich auch einzig mögliche Technologie. Das entsprechendeNetz muss in den kommenden 40 Jahren aufgebaut werden, was sicherlich hohe Investiti-onsmittel erfordert und einen Teil des in der Aeldric-Studie (siehe Kap. 7) angesprochenenWirtschaftsstrukturwandels verursacht. Weiterhin sollte bedacht werden, dass der Trans-portaufwand derartiger Leitungen χ ≈ ⋅ − m− beträgt, was Übertragungslängen vonbis zu 2000 km zulässt. Längere Leitungen verursachen entsprechend größere Energiever-luste, die wahrscheinlich hingenommen werden müssen, da eine effizientere Technologienicht existiert.

Bilden erneuerbare Energien dagegen einen Teil der Schwankungslast, so müssen siesowohl gespeichert, wie auch transportiert werden. Man sollte für beide Aufgaben dieselbeTechnologie verwenden, um die Summe aus Speicher- und Transportverlusten möglichstklein zu halten. DieAnforderungen an diese Technologie sind folgende: Die benötigte Spei-cherkapazität für 10 Tage beläuft sich auf ca. ⋅ kWh, der Transportaufwand musskleiner sein als ca. − m− . Unserer Überlegungen im vorigen und diesem Kapitel be-weisen, dass sich im Prinzip beide Bedingungen gleichzeitig erfüllen lassen, und zwar im

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9.2 Transport und Speicherung erneuerbarer Energien 309

Rahmen einer Energieversorgung, deren Fundament dieWasserstofftechnik ist. Der Um-stieg auf die Wasserstofftechnik erfordert keine grundsätzlich neuen Entwicklungen, dabereits unsere augenblickliche Energieversorgung zu einem erheblichen Teil das ebenfallsgasförmige Erdgas benutzt. Erdgas besteht überwiegend ausMethan, dessen Eigenschaftensich allerdings von denen des Wasserstoffs unterscheiden:

• Wasserstoff besitzt eine andere Massendichte,• Wasserstoff besitzt eine andere Viskosität.

Daher sind die Strömungsverhältnisse von Erdgas und von Wasserstoff durch Rohrlei-tungen verschieden. Die für den Erdgastransport aufgebaute Infrastruktur kann nicht ohneModifikationen für denWasserstofftransport übernommenwerden, insbesondere nicht diesehr langen Erdgasleitungen.4 Auf der anderen Seite existiert zum Beispiel im Ruhrgebietein Leitungssystem für Wasserstoff , das seit langer Zeit ohne größere Probleme im Be-trieb ist. An diesem System konnten genügend Erfahrungen gesammelt werden, um dieMöglichkeiten für einen Übergang Erdgasleitung→Wasserstoffleitung realisieren zu kön-nen.

Die Speicherung und der Transport erneuerbarer Energien mithilfe derWasserstoff-technik ist im Prinzip möglich und sollte auch technisch durchführbar sein.

Das bedeutet allerdings, dass eine Speichertechnologie mit dem relativ geringen Wir-kungsgrad η()Sp ≈ , akzeptiert wird, was einen γ-Faktor (siehe Gleichung 8.11) von γ

()=

, zur Folge hat. Die Entwicklung einer besseren Technologie der Wasserstofferzeugungsollte höchste Priorität besitzen, wie bereits in Abschn. 8.2.1 ausgeführt. Auf der anderenSeite beträgt der Transportaufwandmit dieser Technologie nur χ() ≈ ⋅ − m− .

Wird dagegen elektrische Energie gewandelt aus Solarenergie mit demZwischenprozesseinerWandlung in thermische Energie, so bietet sich als alternative Lösung für die kurzfris-tigen Fluktuationen auch die Speicherung der thermischen Energie in einem Salzspeicherauf der Basis eutektischer Mischungen an. Diese Technologie besitzt einen Wirkungsgradη()Sp ≈ , mit einem γ-Faktor von nur γ() = ,. Der Transport der elektrischen Ener-gie müsste dann über HGÜ-Leitungen erfolgen, die einen Transportaufwand von χ() ≈ ⋅ − m− verursachen.

Welche dieser alternativen Technologien die größeren Vorteile bietet, hängt von der Pe-riodendauer der Fluktuation und der Länge lmax der Transportstrecke ab. Für lmax ergibt

4 Zumal diese oft nicht die Orte verbinden, zwischen denen der Wasserstoff transportiert werdenmuss.

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310 9 Der Energietransport

die Vergleichsanalyse die Beziehung

lmax =γ() − γ()

χ() − χ()= km.

Für l < lmax ist der Transport auf einer HGÜ-Leitung vorteilhafter als derWasserstofftrans-port.

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10DieMöglichkeiten des Energiesparens

In diesem Buch werden die Probleme der Energieversorgung global, also nicht länderbe-zogen, behandelt. Diese Behandlung ist angemessen und naheliegend: Einmal, weil dieEnergie eine physikalische Größe ist und physikalische Gesetze globale Gültigkeit besit-zen. Dann aber auch, weil die Globalisierung der Volkswirtschaften eine Tatsache unddafür verantwortlich ist, dass der Welthandel seit der Mitte des 20. Jahrhunderts stetig zu-nimmt und damit auch der weltweite Lebensstandard. Trotzdem existieren weiterhin, wiein Abb. 3.2 gezeigt, enorme Schwankungen im normierten Primärenergiebedarf (PEB)verschiedener Länder, welche sicherlich keine physikalischen Ursachen haben. Aus glo-baler Sicht ergibt sich die einfachste Möglichkeit des Energiesparens aus einer Nivellie-rung dieser Schwankungen auf niedrigem Niveau. Das würde bedeuten, dass ve-Länderauf einen Teil ihres Lebensstandards verzichten. Dies ist aber nicht der Ausgangspunkt fürdie Analysen in diesem Buch, obwohl es sich als Folge dieser Analysen durchaus ergebenkönnte.

Die Begriffe „Energieeffizienz“ und „Energiesparen“ sind wohl diejenigen, welche amhäufigsten in der Öffentlichkeit vorgeschlagen werden, wenn es um Lösungsmöglichkeitenfür unsere zukünftigen Energieversorgungsprobleme geht. Der Zwang zum Energiesparenergibt sich aus der Tatsache, dass das EnergieangebotPEA nicht mehr dem BedarfPEB fol-gen kann – das ökonomische System wird instabil1. Dabei hat man in den meisten Fällennicht den Eindruck, dass der Vorschlagende selbst, geschweige denn der Angesprochene,verstehen,wasmit diesen Begriffen gemeint ist undwie siewirken.NachAbb. 5.20 betragendie Einsparforderungen für das Jahr 2050 schon ohne Berücksichtigung der Speicherver-luste etwa ,⋅ kWh⋅a− = ,PEB, und diesemüssen in weniger als 40 Jahren realisiertwerden. Es ist daher wohl angebracht, dass zunächst einmal untersucht wird, was mit denobigen Begriffen gemeint ist, und zwar im Rahmen der in diesem Buch benutzten Konven-tionen und Definitionen.

1 Erinnert sei an die ökonomischen Regel, welche für ein stabiles Systems dieGleichheit vonAngebotund Nachfrage voraussetzt.

311D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_10,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

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312 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

Die Energieeffizienz e_e ist definiert durch die Beziehung

PEB =

e_eBIP (10.1)

und stellt damit den Zusammenhang her zwischen der physikalischen Welt (PEB) und derökonomischen Welt (BIP). Der Zusammenhang zwischen PEB und BIP kann aber nurempirisch untersucht werden, weil er im Wesentlichen auf Veränderungen in den Wirt-schaftsstrukturen basiert und für diese kein eindeutig definiertes Maßsystem existiert2.Und folglich lässt sich die zukünftige Entwicklung der Energieeffizienz e_e nur mit großenUnsicherheiten vorhersagen, es ist z. B. unklar, ob für sie eine obere Grenze existiert odernicht. Dies ist ein Ausdruck auch dafür, dass der Zusammenhang zwischen PEB und BIPunidirektional, also irreversibel ist:

• Eine Vergrößerung der verfügbaren Primärenergie PEB hat immer eine Vergrößerungdes Lebensstandards BIP zur Folge.

• EineVergrößerung des LebensstandardsBIPmithilfe der Geldmengenvergrößerung hatniemals eine Vergrößerung der verfügbaren Primärenergie PEB zur Folge.

Auf Grundlage dieser Vorgaben ist in den Prognosen des Kap. 4 die zukünftige Steigerungder Energieeffizienz berücksichtigt. Denn die Öffentlichkeit blickt auf den Lebensstandardund daher sind für sie die Veränderungen in der ökonomischen Welt viel wichtiger alssolche in der physikalischen Welt, obwohl erstere primär durch letztere bewirkt werden.Und daher ist die Energieeffizienz ein ganz entscheidender Parameter für das Verständnisökonomischer Veränderungen. Dies ist aber wohl nicht der Sachverhalt, auf den sich z. B.Politiker beziehen, wenn sie von einer „Steigerung der Energieeffizienz bei unveränderli-chem Lebensstandard“ sprechen. Mit dieser Aussagemeinen sie wohl eher eine Steigerungdes physikalisch definierten Wirkungsgrads.

Die Bedeutung des Energiewirkungsgrads ergibt sich aus Abschn. 2.4. In einem idealenWandlungssystem ist der Wirkungsgrad definiert durch die Beziehung:

W =W(foss)+W(ernb)

=

η,

W =W + ΔW , (10.2)

wobei mit W bzw. W für die Primär- bzw. Nutzenergie stehen und letztere das physika-lische Analogon des Lebensstandards ist. Der Energieverlust ΔW > in Gleichung 10.2ist erforderlich, weil aufgrund des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik (siehe Kap. 1) alleirreversiblen Prozesse, auch ökonomische, mit der Erhöhung der Entropie einhergehen:

ΔS =ΔWT=

W

T(

η,− ) > �⇒ η, < . (10.3)

2 Um ganz klar zumachen, was damit gemeint ist: Ein PEB von kWh ⋅a− war im Jahr 0 oder−.genauso hoch wie heute. Aber erfüllt diese Bedingung an ein eindeutiges Maßsystem auch ein BIPvon USD ⋅ a−?

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10 Die Möglichkeiten des Energiesparens 313

Diese Bedingung ist zwingend! Trotzdem ist der Sinngehalt der Gleichung 10.2 nicht ein-deutig, sondern abhängig davon, was unterW(ernb) verstandenwird. Denn in demmeistenFällen handelt es sich beiW(ernb) nicht um eine Form der PrimärenergieW(ernb)

, sondernum eine Formder EndenergieW(ernb)

. DasPrimäräquivalentW(ernb) wird von denmeis-ten Autoren definiert mithilfe der

Wirkungsgradmethode:W(ernb)=W(ernb)

+W(ernb)

Angemessener wäre die Definition mithilfe der

Substitutionsmethode:W(ernb)=W(ernb)

+W(ernb) /η,

die das Begleitmanuskript „Energie3“ verwendet. Der Wirkungsgrad η, beschreibt dieWandlung von der Primär- in die Endenergie, für ihn gilt:

η, = η,η, . (10.4)

Welche der beiden Methoden gewählt wird, ist allerdings unerheblich für die Diskussionüber die Möglichkeiten des Energiesparens. Denn die Gleichung 10.2 besagt:

Energiesparen bei unverändertem BIP verlangt, dass der Wirkungsgrad η, erhöhtwird, was äquivalent ist zu einer Verringerung der Entropieproduktion ΔS.

Nach den Gleichungen 10.2 und 10.4 gibt es hierfür drei Ansätze:

1. Vergrößerung von η, Dieser Wirkungsgrad charakterisiert die Wandlung der End-in die Nutzenergie und ist unabhängig davon, ob die Endenergie durch Wandlung ausfossilen oder erneuerbaren Quellen entstanden ist. Die maßgeblichen Wandlungsver-fahren basieren auf heutigen Technologien, aber niemals werden diese oder auch zu-künftige Technologien einen Wirkungsgrad erreichen, der größer ist als der maximaleWirkungsgrad ηmax. Ein markantes Beispiel sind die Wärmekraftmaschinen in Ab-schn. 2.3, welche z. Z. noch die Hauptantriebsquelle im Sektor „Mobilität“ sind und fürdie ηmax = ηCarnot gilt. Die Technologien der Energiewandlung sind in der Vergangen-heit bis zu einem derartigen Grad entwickelt worden, dass eine weitere und merklicheSteigerung ihres Wirkungsgrads nicht erkennbar ist. Die Hoffnungen, dass technischeEntwicklungen zur überraschenden Reduktion des Energiebedarfs im erforderlichenAusmaß führen, sind nicht realistisch. Erreichte Bedarfsreduktionen lassen sich oft auchnicht von anderen Einspareffekten trennen, die Abschn. 10.2 und 10.3 zeigen einige Bei-spiele.

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314 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

2. Vergrößerung von η, DieserWirkungsgrad charakterisiert dieWandlung der Primär-in die Endenergie und sein Wert variiert je nach dem, ob W ≈ W(foss) oder W ≈

W(ernb):– IstW(foss)

≫W(ernb), so ist nach Abschn. 2.4 η, ≈ ζ, = ,, denn der Wirkungs-grad kann nicht kleiner sein als der Nutzungsgrad.

– IstW(ernb)≫W(foss), so wird derWirkungsgrad dominiert von demWirkungsgrad

der Wandlung ηWd, dessen Wert von der Form der erneuerbaren Energie abhängt.Nach Kap. 6 gilt z. B. für die:

Fotovoltaik ηWd ≈ ,,Windkraft ηWd ≈ ,,Wasserkraft ηWd ≈ ,.

Diese Werte werden noch kleiner, wenn man die Energiespeicherung berücksichtigt.Die Schlussfolgerung kann daher nur lauten:

Beim Übergang von fossilen auf erneuerbare Energien wird der Primärenergiebe-darf nicht sinken, sondern weiter steigen.

Damit verbunden ist eine Steigerung der human bedingten Entropieproduktion mitnoch nicht vorhersehbaren Folgen für den Energiehaushalt der Erde, welcher in Ab-schn. 4.5 beschrieben ist.

3. Abwärmenutzung Der bei der Wandlung immer auftretende Energieverlust ΔW be-steht aus thermischer Energie (Abwärme), welche u. U. als Nutzenergie weiter verwendetwerden könnte, falls der entsprechende Bedarf dafür vorhanden ist. Die Gleichung 10.2wird dadurch modifiziert zu

W + ΔW =W ′ + ΔW

′ mit ΔW ′< ΔW , (10.5)

womit effektiv auch der Wirkungsgrad einer Wandlungsanlage vergrößert wird. InDeutschland läuft diese Möglichkeit unter dem Stichwort „Kraft-Wärme-Kopplung“(KWK) und sie sollte als realistische Möglichkeit des Energiesparens diskutiert werden.Man sollte aber auch bedenken, dass der maximale Wirkungsgrad ηCarnot von konven-tionellen Wärmekraftanlagen umso größer ist, je geringer die Temperatur der Abwärmeist. Die Abgabe von Hochtemperaturwärme bedeutet daher, dass hochwertige3 (ε = )elektrische Energie durch minderwertige (ε < ) thermische Energie ersetzt wird. Un-ter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob nicht die Reduktion des Bedarfs nachthermischer Energie insgesamt eine bessere Möglichkeit des Energiesparens eröffnet.

3 ε kennzeichnet den Exergiegehalt, siehe Abschn. 2.2

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10 Die Möglichkeiten des Energiesparens 315

Obwohl 2011 nur etwa 5,4% der Gebäude in Deutschland an eine Fernheizung ange-schlossen waren, war die deutsche Regierung trotzdem der Meinung, dass die KWKeine realistische Möglichkeit des Energiesparens ist. Sie hat im März 2002 (mit Novel-lierungen in den Jahren 2008 und 2012) das KWK-Gesetz verabschiedet, mit dessenHilfe die Abnahme von elektrischer Energie4 aus verifizierten KWK-Anlagen subven-tioniert wird. Davon sind die Kraftwerksanlagen mit der höchsten Abwärmemenge,nämlich Kernkraftwerke, ausgenommen, sie haben diese Zertifizierung nicht erhalten.Und in der Tat: Ein Schwachpunkt der Kraft-Wärme-Kopplung besteht darin, dass derBedarf nach thermischer Energie mit der Jahreszeit stark schwankt, der Bedarf nachelektrischer Energie sich aber innerhalb eines Jahrs nur wenig verändert. Insofern soll-ten KWK-Anlagen immer so ausgelegt sein, dass ihre Hauptaufgabe die Versorgungmitelektrischer Energie ist und die Versorgung mit thermischer Energie flexibel zugeschal-tet werden kann, wie es bei einem GuD-Kraftwerk realisiert ist. Man kann bezweifeln,dass die Subventionierung der KWK bisher wirklich einen substantiellen Einfluss aufdie Entwicklung des deutschen Primärenergiebedarfs gehabt hat. Mit steigendem Anteilerneuerbarer Energien wird er weiter sinken, denn deren Wandlung erzeugt fast keinenutzbare Abwärme.

Diese drei Ansätze fußen auf der Prämisse, dass der Lebensstandard nicht sinken darf.Aber die wahrscheinlich effektivste Möglichkeit des Energiesparens ergibt sich aus einerReduktion des Nutzenergiebedarfs W und damit gegebenfalls auch des Lebensstandards.

ImPrinzip kannNutzenergie in jedem, der in Abschn. 3.3 angegebenen Sektoren einge-spart werden. Die Sektoren „Verkehr“ und „Private Haushalte“ stellen mit je etwa 30% dengrößten Energiebedarf, sie besitzen auch das größte Einsparpotenzial. Die restlichen 40%sind den Sektoren „Industrie“ und „Kleinabnehmer“ zuzurechnen, ihr Einsparpotenzial istals eher gering einzuschätzen, denn:

• Beide Sektoren sind maßgeblich beteiligt am Einkommenszuwachs einer Bevölkerungund damit an deren Lebensstandard.

• Die Energie stellt für beide Sektoren einenKostenfaktor dar, den es gilt zu minimieren,um in Konkurrenz zu Anderen in diesen Sektoren bestehen zu können.

Das bedeutet, der Gesetzgeber kann von außen nicht zusätzlich in die energetische Strukturdieser Sektoren eingreifen, ohne dass damit die Basis für den Lebensstandard beschädigtwird.

Anders sieht es aus bei den reinen Verbrauchssektoren „Verkehr“ und „Private Haus-halte“, in die eingegriffen werden kann und gegebenenfalls auch sollte. Schaut man auf denSektor „Private Haushalte“, so entsteht sein Energiebedarf (30% des PEB) zu 23% im Sek-tor „Raumwärme“ (Heizung), zu 7% im Sektor „Prozessenergie“ (elektrische Haushaltsge-räte) und zu weniger als 1% im Sektor „Elektrizität“ (Beleuchtung und Kommunikation).

4 Das bedeutet, wichtig ist allein die Zertifizierung und nicht die Menge an gelieferter thermischerEnergie, welche eigentlich das Sparpotenzial bildet.

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316 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

Durch die Vorgabe von energetischen Gebäudestandards lässt sich ein Teil dieses Bedarfseinsparen. Analog ließen sich diese Einsparungen auch auf die Sektoren „Kleinabnehmer“und „Industrie“ übertragen, wenn dadurch ihreWettbewerbsfähigkeit nicht eingeschränktwird.

10.1 Das Einsparpotenzial bei der Raumwärme

Bei der Raumwärme handelt es sich um eine Form der Niedertemperaturwärme, die wirim Wesentlichen zur Heizung von Gebäuden und, bei Kombianlagen, zur Bereitstellungvon Warmwasser benötigen. Im Prinzip können diese Energien direkt aus der Solarener-gie und der Umgebungswärme gewandelt werden. Die folgenden Überlegungen beziehensich daher auf solche Länder, in denen ein großer Bedarf anNiedertemperaturwärmebe-steht, weil sie in gemäßigten Klimazonen liegen. Das gilt zum Beispiel für Deutschland,aber auch für viele weitere ve-Länder. Es sollte aber nicht vergessen werden, dass in an-deren Ländern statt dessen ein Bedarf nach Raumkühlung existiert, da sie in besonderswarmen Klimazone liegen. Der Energiebedarf für eine Raumkühlung mittels Klimaanla-ge ist ähnlich dem für eine Raumheizung und er ist, wenn wir von Nordamerika absehen,zur Zeit noch relativ gering. Er lässt sich durch geeignete Baumaßnahmen auch auf einemgeringen Niveau halten.Wir werden auf diesen Punkt bei der Bilanzierung des zukünftigenEnergiebedarfs nicht im Detail eingehen.

ImPrinzip könnenWohngebäude so errichtet werden, dass sie ohne odermit einem nurgeringen Energiebedarf eine Innentemperatur von ca. 20 °C nie über- oder unterschreiten.Dazu muss die zusätzliche Wärme entweder ab- oder zugeführt werden. Im zweiten Fallbasiert die Technologie darauf, dass sämtliche Energiewandlungsanlagen innerhalb einesGebäudes, also zum Beispiel elektrische Geräte oder die Bewohner selbst, aufgrund ihrerEntropieproduktion bei der Wandlung auch immer Wärme erzeugen. Diese und die vonder Sonne eingestrahlte Solarenergie reichen vollkommen aus, um ein Gebäude zu heizenund mit Warmwasser zu versorgen, wenn das Gebäude und seine Anlagen gegen die Um-gebung genügend gut thermisch isoliert sind. Der Heizenergiebedarf hängt also von derWärmeisolation der vorhandenen und noch zu errichtenden Gebäude ab. Eine wichtigeRolle spielen dabei die Fenster, durch die bei unvollständig isolierten Gebäuden ein großerTeil der Raumwärme an die Umgebung abgegeben wird, die aber bei modernen Häuserneinen wesentlichen Teil der Raumwärme bereitstellen, indem sie für die Sonnenstrahlungdurchlässig, für die Raumwärme aber undurchlässig sind. Diese Technik benutzt auch dieErde zur Regulierung ihrer Temperatur, wir haben das unter dem Begriff Treibhauseffektin Abschn. 4.5.1 besprochen.

Zur Zeit macht der Heizungsbedarf eines Wohngebäudes noch den größten Teil seinesEnergiebedarfs aus. Dieser Bedarf wird unter dem Begriff „Energiekennwert“ zusammen-gefasst, das ist die Energie, die ein Gebäude prom Wohnfläche und pro Jahr benötigt. DerEnergiekennwert definiert die energetische Qualität eines Wohngebäudes. Durch Regie-rungsverordnungen wurden in den Jahren 1984 und 1995 bestimmte Qualitätsstandards

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10.1 Das Einsparpotenzial bei der Raumwärme 317

Abb. 10.1 Die Energiekenn-werte der verschiedenenQualitätsstandards von Wohn-gebäuden in Deutschland. DieAbkürzungen sind: WSchV84= Wärmeschutzverordnungvon 1984; WSchV95 = Wärme-schutzverordnung von 1995;EnEG07 = Energieeinspa-rungsgesetz von 2007

Nu

llhei

z−E

.H.

Pas

sivh

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Nie

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g−E

.H.

WS

chV

95

WS

chV

84

Alt

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tan

d

300

200

250

150

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50

0En

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t (k

Wh

a

m

)−2

−1

Heizung

WarmwasserHausstrom

Lüfterstrom

vorgegeben, die von Neubauten seit diesen Jahren einzuhalten sind, siehe Abb. 10.1. ImJahr 2002 hat die deutsche Regierung die bis dahin gültigen Wärmeschutzverordnungen(WSchV) durch das Energieeinsparungsgesetz (EnEG) ersetzt, welches in den Jahren 2004und 2007 novelliert wurde. Die letzte Änderung des EnEG wird im Oktober 2009 inkraft-treten. Danachmüssen alle neu errichteten Wohngebäude die bautechnischen Standardan-forderungen bezüglich ihres Heizungs- undWarmwasserbedarfs genügen. Diese sehen fürersteren einen Bedarf von unter kWh ⋅ a− ⋅m− und einen normalen Bedarf an Haus-haltsstrom und Warmwasser vor, der insgesamt einen Wert von kWh ⋅ a− ⋅ m− nichtübersteigt. Der Energiekennwert eines derartigen Hauses besitzt daher eine obere Grenzevon kWh ⋅ a− ⋅ m−. Über diese Vorgaben hinaus lassen sich Häuser nach noch an-spruchsvolleren Qualitätsstandards klassifizieren:

• Das Passivhaus hat einen Heizungsbedarf von unter kWh ⋅ a− ⋅m−, der sich ohneeigenständige Heizungsanlage imWesentlichen aus der Abwärme und der Solarenergieundmithilfe vonWärmepumpe undNotversorgung decken lässt. Dadurch steigt etwasder Energiebedarf, aber der Energiekennwert eines Passivhauses beträgt nicht mehr als kWh ⋅ a− ⋅m−. Die Mehrkosten für die Errichtung eines Passivhauses werden mit8% der Baukosten eines Hauses gemäß des EnEG angesetzt.

• Das Nullheizenergiehaus deckt seinen Heizungsbedarf vollständig aus der Abwärmeund der Solarenergie, wofür eine Anlage zur thermischen Energiespeicherung not-wendig ist. Der restliche Bedarf an elektrischer Energie überschreitet nicht einen Wertvon kWh ⋅ a− ⋅m−.

• Das Energie-autarke-Haus besitzt keinen Energiebedarf mehr nach Außen, das heißt,es deckt seinen Restbedarf an elektrischer Energie aus der Solarenergie mithilfe vonWandlungsanlagen, also zum Beispiel mithilfe der Fotovoltaik und angeschlossenem

Page 322: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

318 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

chemischen Energiespeicher, die sich auf dem zum Haus gehörenden Grundstück be-finden.

Mit den physikalischen Grundlagen einer Wärmepumpe und wie eine Anlage zur thermi-schen Energiespeicherung beschaffen sein muss, damit werden wir uns auf der P-Ebenein den nächsten Kapiteln beschäftigen. Um ein Passivhaus zu errichten, müssen bei derBauausführung hohe Qualitätsstandards eingehalten werden:

Der Wärmeverlustkoeffizient des Baukörpers überschreitet einen Wert kV ≈ ,W ⋅K− ⋅m− nicht, sieheAbschn. 6.5.1. Dies erfordert eine ausreichende Schichtdicke derWär-meisolation am Gebäude.

Es treten keine Wärmebrücken auf, das heißt, die thermische Isolation wird an keinerStelle unterbrochen, zumBeispiel durch Leitungen, Rohre oder Platten anAußentüren undFenstern.

Besondere Sorgfalt ist bei den Fenstern notwendig. Diese besitzen ein Transmissions-vermögen von mindestens T = , für die direkte Sonneneinstrahlung und einen Wär-meverlustkoeffizienten von nicht mehr als kV = ,W ⋅ K− ⋅m−. Solche „Superfenster“bestehen in der Regel aus einer 3-Schichtverglasung mit einem schweren Edelgas in denZwischenräumen. Das Rahmenmaterial besitzt eine geringe Wärmeleitfähigkeit. Ein Su-perfenster muss mithilfe des Treibhauseffekts in der Lage sein,Wohnräume in sehr kaltenJahreszeiten bei Sonneneinstrahlung zu beheizen.

Das Passivhaus besitzt eine Lüftungsanlage mit hocheffizienter, zweistufiger Wärme-rückgewinnung aus der Abluft und Abwärme: Zunächst mithilfe eines Wärmetauschersund danachmithilfe einerWärmepumpe. Die Zuluft in das Passivhaus geschieht zum Zwe-cke der Vorwärmung durch das Erdreich, siehe Abschn. 8.2.1. Außerdem ist eine thermi-sche Solaranlage mit Warmwasserspeicher installiert, welche die Warmwasserversorgungübernimmt und als thermische Reserve dient.

Der Unterschied zwischen einem Passivhaus und einem Nullheizenergiehaus bestehtalso im Wesentlichen in der Notversorgung mit Heizenergie, die bei letzterem vollständigausgeschlossen ist. Das lässt sich bei sonst gleich bleibendem Energiebedarf nur durch ei-ne bessereWärmeisolation erreichen. Die konstruktiven Merkmale eines Passivhauses undeines Nullheizenergiehauses sind in der Abb. 10.2 schematisch dargestellt. Nach Meinungvon Fachleuten wird im Jahr 2020 etwa die Hälfte aller Neubauten in der Passivbauweiseerrichtet werden. Das ist natürlich viel zu wenig, um einen merklichen Einfluss auf denBedarf an Heizenergie zu haben. Grund ist, dass dieser Bedarf überwiegend von dem Alt-bestand anWohngebäuden verursacht wird, auf den wir gleich eingehen werden.

Lohnt es sich, anstelle des Passivhauses das Nullheizenergiehaus als zukünftigenBaustandard anzustreben? Wohl nicht, denn die Notversorgung eines Passivhauses mitHeizenergie durch einen zentralen Energieversorger ist effizienter und ökonomischer, dasich Schwankungen im Energiebedarf wegen der großen Anzahl angeschlossener Ab-nehmer zeitlich ausgleichen werden. Dagegen sind die hohen Investitionskosten in einNullheizenergiehaus allein dadurch bedingt, um die Heizbarkeit des Hauses auch zueinigen wenigen Zeiten eines Jahrs sicher zu stellen. Und das ist ineffizient und unökono-

Page 323: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.1 Das Einsparpotenzial bei der Raumwärme 319

Abb. 10.2 Der konstruktiveAufbau eines Nullheizener-giehauses. Die warme Ablufterwärmt in einemWärme-tauscher (WT) die Zuluft. DieZuluft wird, falls nötig, weitererwärmt mithilfe einer Wär-mepumpe (WP), die unterEinsatz von elektrischer Ener-gie die thermische Restenergiedes Hauses auf die Zuluft über-trägt

Abluft Zuluft

WP

WT

Zuluft

Abluft

Wärmespeicher

Solarzelle

misch. Man kann also davon ausgehen, dass das Passivhaus der erstrebenswerte Standardfür Wohngebäude in der Zukunft wird. Aber um diesen Standard zu erreichen, sind großeInvestitionen notwendig.

Das Problem liegt bei dem hohen Altbestand von Wohngebäuden, die je nach ih-rem Baujahr einen Heizenergiebedarf von –kWh ⋅ a− ⋅m− und mehr haben, sieheAbb. 10.3. Dieser Bestandwird sich auchmithilfe vonNeubauten in nächster Zukunft nichtmerklich reduzieren lassen, weil die Anzahl der Einpersonenhaushalte und die Nachfragenach mehr Wohnraum in allen ve-Ländern steigt (siehe Abschn. 10.3). Also bleibt nur dieModernisierungdes Altbestands übrig, umdas Ziel einer Energieeinsparung zu erreichen.Bei Modernisierungsmaßnahmen kann zunächst nur daran gedacht werden, die thermi-sche Isolation alter Wohngebäude zu verbessern und so dem Standard eines EnEG-Hausesmit einemHeizenergiebedarf von –kWh ⋅a− ⋅m− möglichst nahe zu kommen. NachUntersuchungen offizieller Stellen sollte es im Prinzipmöglich sein, denHeizenergiebedarfvon Altbauten bis auf die in der Abb. 10.3 gezeigten Werte zu reduzieren, wobei allerdingssehr große Investitionen erforderlich sind. Man kann davon ausgehen, dass zur Reduktiondes Heizenergiebedarfs um 50% Investitionen von mindestens Euro ⋅m− notwendigsind5. Die dazu auszuführenden Baumaßnahmen betreffen eine Wärmeschutzverglasungder Fenster und die Anbringung einer thermischen Dämmung an den Fassaden und demDach- sowie Kellergeschoss. Werden neben diesen passiven Maßnahmen auch aktiveMaßnahmen, wie die Installation eines Wärmetauschers oder einer Solarzellenanlage,durchgeführt, steigen die Investitionskosten überproportional, wie in Abb. 10.3 gezeigt.

In Deutschland wurden seit 2000 jährlich etwa 0,83% des Altbestands an Gebäudenenergetisch saniert. Deutschland ist ein reiches Land, es ist daher eher optimistisch anzu-nehmen, dass diese Vorgabe auch global realisiert wird. In diesem Fall wären im Jahr 2050

5 Die energetischen Sanierungskosten von Altbauten hängen sehr stark von der Bausubstanz ab. Diehier angegebenen Kosten sollten nur als Richtwerte betrachtet werden.

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320 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

50Heizwärmeeinsparung (%)

0100 2575

−2In

vest

itio

nen

(E

uro

m

) 400

300

200

100

0E18 R18 M18

18: bis 191848: bis 1948

68: bis 196877: bis 1977

E: 1−/2−Fam. Häuser freist.R: Reihenhäuser M: Mehrfam. Häuser

E48 R48 M48 E68 R68 E77 R77 M77M680H

eize

ner

gie

bed

. (kW

h a

m

)

−2−1

50

100

150

200

250

300

350vor der Modernisierung

nach der Modernisierung

a b

Abb. 10.3 a zeigt den Heizenergiebedarf von Altbauten vor und nach den Modernisierungsmaß-nahmen. b zeigt, welche Investitionen notwendig sind, um einen bestimmte Heizenergieeinsparungzu erreichen

etwa 30% der Gebäude energetisch saniert. Realistisch ist es dagegen anzunehmen, dassdurch die Sanierung nur der Standard eines Niedrig-Energie-Hauses erreicht wird, was ei-ne Einsparung vonRaumwärmeum 50% impliziert. Bezogen auf den Primärenergiebedarfdes Jahrs 2050 ergibt das ein Sparvolumen von

ΔPEB = (,)(,)(,), ⋅ = , ⋅ kWh ⋅ a− . (10.6)

Während sich der Sinn passiver Maßnahmen relativ leicht verstehen lässt, verlangt dieNotwendigkeit und der Sinn auch aktiver Maßnahmen ein tieferes Verständnis ihrer phy-sikalischen Grundlagen.

10.1.1 P-Ebene: Aktive Anlagen zur Einsparung vonHeizenergie

Wir wollen uns beschäftigen mit den Eigenschaften einer Wärmepumpe und mit der Fra-ge, wie eine thermische Solarzellenanlage beschaffen sein muss, damit für Wohngebäudeauch in den kalten Jahreszeiten mit nur wenig Sonneneinstrahlung genügend Heizenergiebereitsteht.

Die Heizung mit WärmepumpeDerExergiegehaltder thermischen EnergieQ, dieman zurRaumheizung benötigt, ist sehrgering. Bei einer Umgebungstemperatur von T = K (0 °C) und einer Raumtemperaturvon T = K (20 °C) ergibt sich

єf = −T

T=

ΔTT= ,. (10.7)

Page 325: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.1 Das Einsparpotenzial bei der Raumwärme 321

Ef

EiWarmepumpe..

Temperatur T

Temperatur T0

Q

Q 0

EV

Q

Komp.W

Kondensator

Verdampfer

Q0

Ef

EiWarmepumpe

..

Temperatur T

Temperatur T0

Q

Q 0

a b c

Abb. 10.4 Das Arbeitsschema einer idealen Wärmepumpe (a) und einer realen Wärmepumpe (c).b zeigt die technische Realisierung. Es ist EV = Entspannungsventil für die Flüssigkeit, Komp. =Kompressor für das Gas

Es ist daher äußerst ineffizient, diese thermische Energie aus einer Energieform umzuwan-deln, die einen Exergiegehalt єi ≈ besitzt, wie zum Beispiel die elektrische Energie. Vieleffizienter ist es, die notwendige Anergie A = Q−Ef = Q (−єf) der Umgebung zu entneh-men und die Exergie W = Ef = Ei mittels einer Wärmepumpe6 hinzuzufügen, wie es inAbb. 10.4 dargestellt ist. Der Energiewirkungsgrad, den eine verlustfreieWärmepumpe aufdiese Weise erreicht, ist immer größer als eins. Zum Beispiel ergeben die Werte des obigenBeispiels einen Wirkungsgrad

ηmax =QW=

TΔT≈ . (10.8)

Im Prinzip ist die Wärmepumpe eine links herumlaufende Dampfmaschine, wie wir siein Abschn. 2.3.1 behandelt haben. Allerdings ist das Arbeitsmedium einer Wärmepumpenicht Wasser, sondern eine leicht siedende Flüssigkeit, wie zum Beispiel Freon (CClF):Die Energie wird beimVerdampfen der Flüssigkeit aufgenommen und beimKondensierenan die Raumheizung wieder abgegeben.7

Wie sich dieserKreisprozess technisch realisieren lässt, ist in derAbb. 10.4b gezeigt. Zu-nächst geschieht die Verdampfung der Flüssigkeit bei der Temperatur T durch Aufnahmeder Verdampfungswärme Q aus der Umgebung in dem Verdampfer. Anschließend wirddas Gas in dem Kompressor adiabatisch verdichtet, dabei erhöht sich die Gastemperatur

6 Die Exergie wird der mechanischen EnergieW der Wärmepumpe entnommen.7 Freon ist ein FCKWund verantwortlich für denAbbau desOzons in der oberenAtmosphäre. Daherverwendet man heute als Wärmemedium Propan (CH) und Butan (CH).

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322 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

zunächst auf den Wert T und anschließend wird das Gas in dem Kondensator wieder ineine Flüssigkeit zurückverwandelt. Dabei wird die thermische Energie und die Verdamp-fungswärme Q an die Heizung übergeben. Diese Prozessstufe wandelt die mechanischeEnergie des Kompressors in thermische Energie der Heizung. Die sich anschließende iso-chore Entspannug durch ein Entspannungsventil kühlt die Flüssigkeit auf eine Temperatur< T, mit der sie in den Verdampfer gelangt. Dann beginnt der Prozess von vorne mit derVerdampfung der Flüssigkeit durch Aufnahme der Verdampfungswärme aus der Umge-bung.

In der praktischen Ausführung dieses Kreisprozess geschieht es immer, dass ein Teilder von der Pumpe geleisteten Exergie durch Erhöhung der Gastemperatur verloren geht,das heißt, die Exergie wird zum Teil in thermische Energie mit einem Anergieanteil Af

gewandelt. Die tatsächlich vorhandene Exergie ergibt sich aus dem Verhältnis

Ef

Ei=

Ei − Af

Ei= −

Af

Ei< (10.9)

und vermindert den tatsächlichen Wirkungsgrad einer Wärmepumpe. Dieser uner-wünschte Prozess des Exergieverlusts ist in Abb. 10.4c dargestellt. Bei den üblichenWärmepumpen liegt die dadurch verursachte Reduktion des Wirkungsgrads bei ca. 0,5,der Wirkungsgrad der Wärmepumpe ist entsprechend

η ≈ ,ηmax ≈ , (10.10)

wobei noch nicht mitgerechnet ist, welchenWirkungsgrad der Kompressor besitzt und wiegroß der Energieverlust durch die Flüssigkeitsentspannung ist. Bei der Bilanzierung einerWärmepumpemüssen auch dieseVerlustprozess berücksichtigtwerden.Arbeitet derKom-pressormit elektrischer Energie, so wird im Allgemeinen eine weitere Reduktion um einenFaktor 0,5 auftreten, die Wärmepumpe besitzt dann nur noch einen Wirkungsgrad vonetwa 3–4. Dies ist aber immer noch wesentlich günstiger, als elektrische Energie direkt inthermische Energie zu verwandeln.Wurde die elektrische Energie durch Verbrennung vonErdgas gewonnen, so ist es unter Umständen wirtschaftlicher, man erzeugt die von einerWärmepumpe benötigte Exergie mithilfe einer Hochtemperaturwärmequelle, etwa einerGasflamme. Dies ist das Prinzip der Absorptions-Wärmepumpe, auf deren Arbeitsweisewir hier nicht weiter eingehen.

Die Heizung mit WärmespeicherUm ein Gebäude allein mithilfe von Solarenergie zu beheizen, muss die in der Sommerzeitgewandelte Wärme bis in die kalten Jahreszeiten hinein gespeichert werden. Wie sich dieSolarenergie mithilfe thermischer Solarzellen in Wärme wandeln lässt, das haben wir inAbschn. 6.5 besprochen. Wie sich die Niedertemperaturwärme speichern lässt, das habenwir in Abschn. 8.2.1 besprochen. In diesem Kapitel geht es jetzt darum zu untersuchen, wiedie Heizungsanlage ausgelegt seinmuss, um dieBeheizung eines Gebäudes über das ganze

Page 327: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.1 Das Einsparpotenzial bei der Raumwärme 323

Jahr hinweg zu garantieren. Der prinzipielle Aufbau einer derartigen Heizungsanlage ist inder Abb. 10.2 zu sehen.

Wegen seiner großen spezifischenWärmekapazität cm, siehe Tabelle (8.2), istWasser be-sonders geeignet, thermischeEnergie im Temperaturbereich von 20–80 °C zu speichern. Indiesem Temperaturbereich erfüllt ein derartiger Wasserspeicher im Prinzip die zwei wich-tigen Forderungen:

• Die gespeicherte Wärme ist direkt nutzbar für die Gebäudeheizung. Zur Erinnerung:Etwa 30%des heutigen Primärenergiebedarfs in den ve-Ländern entsteht durch die For-derung nach Raumwärme.

• Der Speicher kann mithilfe von thermischen Solarzellen im Sommer gefüllt und imWinter entleert werden.

Damit sich diese Bedingungen auch in Praxis erfüllen lassen, müssen die Parameter derGesamtanlage (Gebäude, thermische Solarzellen, Wärmespeicher) entsprechend ausgelegtsein. Wir wollen uns mit diesen Parametern und ihrer richtigen, also für die zur Erfüllungder Rahmenbedingungen erforderlichen Auslegung beschäftigen.

Die Leistung der thermischen Solarzellen

PZ =dQZ

dt(10.11)

wird zur Erwärmung des Speicherwassers benutzt, dessen thermische Energie dadurch umden Wert

PS = cmmdTS

dt(10.12)

mit der Zeit t ansteigt. Die Leistung der thermischen Solarzellen ist zeitlich nicht konstant,sondern sie verändert sich im Laufe eines Jahrs gemäß

PZ = ⟨PZ⟩ + ΔPZsin ωt , (10.13)

wobeiω durch (8.26) definiert ist und ⟨PZ⟩die über das Jahr gemittelte Leistung der thermi-schen Solarzellen ist. DemWärmespeicher wird aber nicht nur die Leistung PZ zugeführt,sondern es wird ihm diese Leistung auch wieder entzogen, und zwar

• zur Heizung des Hauses: PH = (kA)H(TH − T) ,• durch Verluste an die Umgebung, und das ist der Erdboden, falls der Wärmespeicher,

wie in Abb. 10.2, in diesem versenkt ist: PS = (kA)S(TS − TB) .

Diese Leistungsverluste ergeben sich nach (6.74), sie betreffen sowohl das Haus (Index H)wie auch den Wärmespeicher (Index S). Mit T ist die Lufttemperatur bezeichnet, mit TB

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324 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

die Temperatur des Erdbodens. Diese beiden Temperaturen sind zeitlich nicht konstant,sondern sie verändern sich zeitlich wie die Leistung der thermischen Solarzellen:

T = ⟨T⟩ + ΔTsin ωtTB = ⟨TB⟩ + ΔTBsin (ωt +Φ(s)).

(10.14)

Die zeitliche Änderung von TB ist, wie in Abb. 8.3 gezeigt, gegenüber T um einen von derBodentiefe s abhängigen Wert Φ(s) phasenverschoben.

DerWärmeverlustfaktor (kA) setzt sich zusammen aus demWärmeverlustkoeffizien-ten k undder OberflächeA, die dasHaus undderWärmespeicher besitzen. Daraus ergebensich unmittelbar die folgenden Schlussfolgerungen:

Um die Leistungsverluste möglichst klein zu halten, müssen sowohl k wie auch Amöglichst klein sein und die Speichertemperatur TS wie auch die erwünschte Haus-temperatur TH sollten nicht zu unterschiedlich zu den gemittelten Temperaturen⟨T⟩ = ⟨TB⟩ sein.

Die Gebäudeheizung unter Verwendung eines Wärmespeichers ist daher besonders ge-eignet für größereWohngebäude in Zonenmit gemäßigtemKlima, die eine relativ zumGe-bäudevolumen geringe Oberfläche besitzen. VomHeizungsstandpunkt aus betrachtet sindeinzelstehende Einfamilienhäuser unvorteilhaft, sie verlangen wegen ihrer relativ großenOberfläche A eine entsprechend bessere Wärmeisolation mit einem geringen Wärmever-lustkoeffizienten k. Wir betrachten deshalb später zwei Fälle:

• Ein gut isoliertes Gebäude mit einemWärmeverlustfaktor(kA)H = W ⋅K− .

• Ein weniger gut isoliertes Gebäude mit einemWärmeverlustfaktor(kA)H = W ⋅K− .

Die typischen Temperaturwerte für diese Gebäude und ihre Umgebungen betragen

TH = ○C ⟨T⟩ = ○C ΔT = ○C ΔTB = ○C. (10.15)

Die Veränderung der Speichertemperatur TS ergibt sich aus dem Vergleich zwischen demLeistungsgewinnterm PZ und den Leistungsverlusttermen PH und PS:

cmmdTS

dt= PZ − PH − PS . (10.16)

Ersetzt man die Speichertemperatur TS durch ihren Unterschied T zur mittleren Umge-bungstemperatur ⟨T⟩,

T = TS − ⟨T⟩ , (10.17)

Page 329: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.1 Das Einsparpotenzial bei der Raumwärme 325

so lässt sich aus (10.16) nach einiger Rechnung, die hier nicht im Detail durchgeführt wer-den soll, eine Differentialgleichung für die Temperatur T herleiten:

dTdt+ FT + F(t) + F = (10.18)

mit den Beiträgen

F =(kA)Scmm

F(t) = −(kA)SΔTBsin (ωt +Φ(s)) + ((kA)HΔT + ΔPZ) sin ωt

cmm

F =(kA)H(TH − ⟨T⟩) − ⟨PZ⟩

cm m.

(10.19)

Die Differentialgleichung (10.18) kann numerisch gelöst werden, die Lösung hängt natür-lich ganz entscheidend davon ab, wie die thermischen Solarzellen undwie derWärmespei-cher ausgelegt sind. Als Anlageparameter wählen wir folgende Werte, die den deutschenVerhältnissen angepasst sind:

• Eine mittlere Leistung der thermischen Solarzellen von

⟨PZ⟩ = .kWh ⋅ a− .

Dazu muss bei einer Zellenoberfläche von 30m der Wirkungsgrad der Solarzellen η =, betragen.

• Eine Wassermasse desWärmespeichers von

m = .kg.

• Ein Leistungsverlustfaktor des Wärmespeichers von

(kA)S = kWh ⋅ a− ⋅K− .

Wird der Wärmespeicher als Kugel8 ausgelegt, so muss der Kugeldurchmesser d = ,mbetragen. Bei dieser Größe ist auch die thermische Isolation des Wärmespeichers rechtkostspielig. Diese ist daher auch nur um ein 2faches besser als die eines gut isolierten Hau-ses, obwohl dessen Oberfläche weitaus größer ist.

Mit diesen Anlageparametern ergibt sich, dass die Solarenergie eine Heizungsleistungvon

⟨PH⟩ = kWh ⋅ a−

8 Die Kugel hat bei gegebenem Volumen die kleinste Oberfläche aller Körper.

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326 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

0

20

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a b

Abb. 10.5 Die tägliche Veränderung der Speichertemperatur (oben) und der Heizleistung (unten)in einemWohngebäude mit Wärmespeicher. Die roten Geraden im oberen Bild zeigen die Dauer derHeizperioden an, um die Gebäudetemperatur auf 20 °C zu halten, die gestrichelte Kurve zeigt denVerlauf der Lufttemperatur. a bezieht sich auf ein Gebäude mit einemWärmeverlustfaktor (kA)H =W ⋅K−, bei b beträgt derWärmeverlustfaktor (kA)H = W ⋅K−. In diesem Fall muss ca. 40%der benötigten Heizleistung durch eine Zusatzheizung geliefert werden (rote Flächen)

zur Verfügung stellt, also 43% der tatsächlich von den thermischen Solarzellen gewandel-ten Leistung. Die fehlende Leistung geht an den Erdboden verloren durch die Speicherver-luste. Um mit dieser Heizungsleistung ein Gebäude vollständig zu beheizen, muss diesesGebäude einen Wärmeverlustfaktor von

(kA)H < W ⋅K−

besitzen. EnEG-Häuser mit einer Wohnfläche von wenig mehr als 110m erreichen die-sen Wert. Ist der Wärmeverlustfaktor größer, muss der zusätzliche Heizungsbedarf durcheine Zusatzheizung aufgebracht werden. Die Solarenergie würde bei den angenommenenAnlageparametern in diesem Fall nicht zur Beheizung des Gebäudes ausreichen. Wie sichdie Speichertemperatur TS und die Heizleistung PH bei vorgegebener Umgebungstempe-ratur T mit der Zeit verändern, das ist für die Fälle des gut und des weniger gut isoliertenHauses in der Abb. 10.5 gezeigt. Im Fall des weniger gut isolierten Hauses zeigen die ro-ten Flächen, wann und in welchem Umfang eine Zusatzheizung einspringen muss, um dieHaustemperatur nicht auf kleinere Werte als TH = °C sinken zu lassen.

Page 331: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.2 Das Einsparpotenzial bei der Mobilität 327

10.2 Das Einsparpotenzial bei der Mobilität

Wir werden jetzt die Möglichkeiten des Energiesparens im Bereich Verkehrmit 30% PEBdiskutieren. Vorhersagen über die Höhe des Einsparpotenzials stehen hier auf unsiche-rem Boden, denn das Einsparpotenzial hängt davon ab, obMenschen die Sparmaßnahmenakzeptieren. Denn die Mobilität wird als ein individuelles Freiheitsrecht angesehen, die-ses Recht zu beschränken wird sicherlich Widerstände hervorrufen. Heute noch wird dieindividuelle Mobilität zum größten Teil gewährleistet durch chemische Energie. In Zu-kunft – die Umstellung hat gerade begonnen – wird sie elektrische Energie benötigen,denn Verbrennungsmotoren werden durch Elektromotoren ersetzt. Damit ist jedoch keinEnergiespareffekt verknüpft, dennKraftwerke arbeiten mit ähnlichenWirkungsgradenwieVerbrennungsmotoren. Und wird elektrische Energie aus erneuerbaren Energien gewan-delt, werden sich die Wirkungsgrade eher verringern.

Der Ersatz von chemischer Energie durch elektrische Energie im Sektor „Verkehr“verändert den zukünftigen Primärenergiebedarf nicht wesentlich.

Es ist also unwichtig, ob das Einsparpotenzial im Sektor „Verkehr“ der chemischen oderder elektrischen Energie zugerechnet wird.

Der Sektor „Verkehr“ ist in seiner Zusammensetzung sehr heterogen und um mehrOrdnung in die Diskussion zu bringen, wollen wir 3 Verkehrskategorien definieren, diesich auch überschneiden können:

1. Kategorie: Personenverkehr, GüterverkehrDer Personenverkehr lässt sich weiter einteilen in den Individualverkehr und den Kol-lektivverkehr. Beide unterscheiden sich durch die Anzahl der Personen, die in einemFahrzeug transportiert werden. Unter dem Begriff Kollektivverkehr verstehen wir un-ter anderem auch den öffentlichen Verkehr, wobei man meistens annimmt, dass es sichhierbei um eine staatlicheDienstleistung handelt. DerGüterverkehr ist eigentlich immerKollektivverkehr in dem Sinne, dass eine großeMenge vonGütern gleichzeitig transpor-tiertwird.Dabei kann es sich um eine private wie auch staatlicheDienstleistung handeln.

2. Kategorie: Fernverkehr, NahverkehrDer Individualverkehr ist sehr häufig auch Nahverkehr, wobei dieser zu einem wesentli-chen Teil aus dem Pendelverkehr zwischen demWohnort und der Arbeitsstätte besteht.Der Fernverkehr über sehr große Distanzen ist dagegen überwiegend Kollektivverkehr.

3. Kategorie: Landverkehr, Wasserverkehr, LuftverkehrDer Landverkehr lässt sich weiter unterteilen in den Autoverkehr und den Schienenver-kehr. Alle diese Kategorien unterscheiden sich durch ihren Transportaufwand, wie wirihn in Kap. 9 definiert und in Tab. 9.1 angegeben haben. Sicherlich besitzt der Transportüber Wasser den geringsten Aufwand, dagegen der Transport mit dem Auto oder dem

Page 332: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

328 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

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Abb. 10.6 a Die Entwicklung des Energiebedarfs neu zugelassener PKW (ausgezogene Kurven undlinke Skala) und des Benzinpreises (gestrichelte Kurven und rechte Skala) in Deutschland (schwarz)und denUSA (rot). bDie Entwicklung der individuellen Fahrtleistung in Deutschland (schwarz) undden USA (rot)

Flugzeug den höchsten Aufwand. Dieser Aspekt ist zu berücksichtigen, wenn über dieEinsparmöglichkeiten im Bereich Verkehr diskutiert wird.

Bei der Prüfung, wo sich Möglichkeiten zur Reduktion des Energiebedarfs ergeben,fällt der Blick zunächst auf den Personenverkehr, insbesondere auf den Landverkehr. Ei-ne spürbare Energieverknappung wird Auswirkungen haben, einmal auf die Nutzung undZusammensetzung der PKW-Flotte, zum anderen auf den Kollektivverkehr, der auf aufKosten des Individualverkehrs zunehmen wird. Diese Auswirkungen sind schon heute zuerkennen: Die Abb. 10.6 zeigen, wie sich der Energiebedarf neu zugelassener PKW undihre Fahrtleistung pro Person seit 1990 verändert haben. Zum Vergleich ist auch gezeigt,wie sich die Benzinpreise9 während dieser Zeit entwickelt haben.

Ganz offensichtlich: Mit steigenden Preisen haben deutsche Autofahrer sparsamerePKW gekauft. Diese Korrelation wird noch deutlicher durch das Verhalten USamerikani-schen Autofahrer, die sparsamere PKW erst dann kauften, als der Benzinpreis 2004 starkanstieg. Merkwürdig ist allerdings, dass sich diese Korrelation nicht beobachten lässt beiden individuellen Fahrtleistungen deutsche Autofahrer. Letztere ist sei 1991 angestiegenund liegt im Mittel zum Jahr 2010 bei etwa 7000 km jährlich. In den USA ist die Fahrt-leistung mehr als doppelt so groß, mit dem Anstieg des Benzinpreises scheint sie hier aberzurückgegangen zu sein.

Der Trend zu sparsameren Fahrzeugen (3l-Auto) und ihrer geringeren Nutzung hatnoch keine gravierenden Auswirkungen auf den Lebensstandard. Zumal sich Alternativenanbieten, wie zum Beispiel:

9 Im Fall der USAhandelt es sich um reale Preise, für Deutschland sind die nominellen Preise gezeigt.

Page 333: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.2 Das Einsparpotenzial bei der Mobilität 329

• DerKommunikationsaustauschwird in Zukunftnoch stärker durch die elektronischenMedien erfolgen, als das heute schon der Fall ist. Es ist nicht notwendig, dass sich alleBeteiligten am gleichen Ort befinden müssen, um Informationen auszutauschen undEntscheidungen zu treffen.

• Bei dem zu erwartendenWandel von einer Industrie- in eineDienstleistungsgesellschaftwerden große Industrieanlagenmit vielenMitarbeitern an Bedeutung verlieren. Es wirdsicherlich einen restlichen Individualverkehr im Rahmen von beruflichen Tätigkeitengeben, aber sein Ausmaß wird, verglichen mit den heutigen Verhältnissen, wesentlichgeringer sein.

• Der Individualverkehrwird durchAngebote imKollektivverkehr ersetzt. Insbesondereder Schienenverkehr wird an Bedeutung gewinnen, weil dort elektrische Energie ver-wendet werden kann. Neue Konzepte für den individuellen Kurzstreckenverkehr aufder Straße sehen z. B. kleine Fahrzeuge vor, welche, elektronisch gesteuert, bestimmteRouten bedienen und wegen ihres geringen Gewichts und ihrer geringen Geschwindig-keit Energie sparen.

• Ein großer Teil des heutigen Verkehrsaufkommens entsteht durch „Fernweh“, das heißtdenWunsch, den arbeitsfreien Teil des Lebensmöglichst weit weg vomArbeitsplatz undWohnsitz zu verbringen. Es ist sicher, dass sich hier wesentliche Änderungen in Zukunftergeben werden. Dennmit einem Flugzeug zu den heute noch angebotenen Preisen ver-reisen zu können, das wird zukünftig unmöglich sein. Und in der Tat, Erholung findetman auch in der Nähe seines Wohnsitzes. Daher wird sich der Luftverkehr in Zukunftauf das absolut Notwendige beschränken, also auf Flüge in Notfällen, bei denen weiteEntfernungen schnell überbrückt werden müssen. Ein Erholungsurlaub ist in diesemSinne kein Notfall.

Diese Beispiele zeigen auf, welche Konsequenzen sich aus der Energieverknappung erge-ben, ohne dass diese sich auf den Lebensstandard auswirken müssen: Es werden entschei-dende Veränderungen in der Automobil- und Flugzeugindustrie stattfinden. Die Nach-frage nach Personenkraftwagen und nach Flugzeugen wird zurückgehen und die heutenoch vorhandene Anzahl von Produzenten und Fahrzeugtypen wird zusammenschrump-fen10. Der Verknappung des Erdöls versucht die Automobilindustrie schon jetzt durchdie Entwicklung von sparsameren Fahrzeugen und Elektrofahrzeugen zu begegnen, letzterwohl in der Hoffnung, dass in Zukunft erneuerbare Energie die Energieversorgung garan-tieren. Dass die Flugzeugindustrie ähnliche Versuche nicht unternimmt, ist überraschend,aber wohl im Einklang mit dem Ausblick auf ihre unsichere Zukunft: Sie setzt weiterhinauf Kohlenwasserstoffe (wahrscheinlich aus Biomasse) als Treibstoff.

Gehen wir über vom Personenverkehr zum Güterverkehr. Beim Güterverkehr sind kei-ne ähnlichen Einsparpotenziale vorhanden, wie beim Personenverkehr. Zwar wird sichder Güterverkehr in Zukunft stärker von der Straße auf die Schiene verlagern, aber da-durch wird sich das Verkehrsvolumen nicht verringern. Das Verkehrvolumen wird eher

10 Dieser Trend kann auch von einer wachsendenWeltbevölkerung nicht aufgefangen werden.

Page 334: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

330 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

Tab. 10.1 Die Einsparmengen an Primärenergie, angegeben in Prozentzahlen, die sich im Sektor„Verkehr“ erzielen lassen

Kategorie Bedarf (2000) Einsparung Rel. Anteil Bedarf (2050)Straße – Personenverkehr 52% −60% 21% 36%Straße – Güterverkehr 30% −10% 27% 46%Luft 14% −80% 3% 5%Schiene 2% +300% 6% 10%Schiff 2% 0% 2% 3%

100% 59% 100%

steigen, wenn die in Abschn. 4.2 prognostizierten Zuwächse der Bruttoinlandprodukterealisiert werden sollen. Auch der geringere Transportaufwand im Schienenverkehr wirdabgeschwächt durch die Tatsache, dass zwischen Erzeuger und Abnehmer nicht immer eindirekter Gleisanschluss besteht, er also durch den Straßenverkehr ergänzt werden muss.Der Güterverkehr ist weit weniger mit dem Etikett „Luxus“ versehen, als der Personenver-kehr, und daher bietet er nicht die Einsparpotenziale wie letzterer.

Aus dieser Diskussion erkennen wir die möglichen Einsparpotenziale im Sektor „Ver-kehr“. Sie liegen im Wesentlichen im Bereich des Personenverkehrs und sind in Tab. 10.1zusammengefasst. Da 30% des PEB diesem Sektor zuzurechnen sind, beträgt das Sparvo-lumen

ΔPEB = (,)(,), ⋅ = , ⋅ kWh ⋅ a− . (10.20)

Dies ist mehr, als sich im Sektor „Raumwärme“ erreichen ließ und setzt voraus, dass dieEinschränkungen im individuellen Straßenverkehr hingenommen werden. Denn selbstwenn sie keine wirklichen Auswirkungen auf den Lebensstandard verursachen, bedeutensie doch einschneidende Veränderungen in der Lebensweise der Menschen.

10.3 Das Einsparpotenzial bei privaten Haushalten

Der größte Energiebedarf im Sektor „PrivateHaushalte“ entsteht durch „Raumwärme“ und„Prozessenergie“ mit 23% bzw. 7%. Beide sind im Abschn. 10.1 bereits untersucht undberücksichtigt worden, unberücksichtigt blieb nur der Sektor „Elektrizität“ mit einem An-teil von 5% gemäß Abschn. 3.3. Darin enthalten sind im Wesentlichen die elektrischenHaushaltsgeräte mit einem weiten Anlagespektrum, angefangen von der Waschmaschinebis zum Fernseher.

Die Entwicklung vonHaushaltsgeräten seit 1990 hat zu energetisch immer sparsamerenProdukten geführt, die Abb. 10.7 zeigt einige Beispiele für diese Entwicklung. Es ist wenigüberraschend, dass diese Entwicklung nicht linear erfolgte: Seit dem Referenzjahr 2000sind die Sparerfolge nicht mehr so groß, wie in der Zeit davor. Denn der Energiebedarfvon Haushaltsgeräten kann eine untere Grenze nicht unterschreiten und offenbar ist der

Page 335: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.3 Das Einsparpotenzial bei privaten Haushalten 331

Mehrpersonen−haushalt

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1990 2000 2010Jahr

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Abb. 10.7 aDie Entwicklung des Energiebedarfs von Haushaltsgeräten seit 1990. Das Referenzjahr2000 ist durch eine gestrichelte Gerademarkiert. bDie Entwicklung des Anteils von Ein-, Zwei- undMehrpersonenhaushalten in Deutschland seit 1991

augenblickliche Entwicklungsstand dieser Grenze sehr nahe. Aber weitere, bisher weitge-hend ungenutzte Sparmöglichkeiten existieren: Zum Beispiel muss das Warmwasser einerWaschmaschine nicht von der Maschine selbst erzeugt werden, sondern es kann auch derProzessenergie des Haushalts entnommen werden, sofern diese an thermische Solarzellenangeschlossen ist, siehe Abschn. 6.5.

Alle Maßnahmen zum Energiesparen werden aber dadurch konterkariert, dass die An-zahl der Haushalte steigt, wobei insbesondere die Ein- und Zwei-Personenhaushalte aufKosten der Mehrpersonenhaushalte zunehmen. Die Abb. 10.7 zeigt diese Entwicklung inDeutschland. Sie ist verknüpftmit der Entwicklung der Bevölkerung, die nach der Progno-se in Abschn. 4.1 in der 2. Hälfte des 21. Jahrhunderts weltweit negative Wachstumsratenaufweisen wird. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass Ein- und Zwei-PersonenhaushaltemehrHaushaltsgeräte pro Person besitzen und also einen höheren Energiebedarf erzeugen.

Insofern ist das zusätzliche Einsparpotenzial im Sektor „Private Hauhalte“ nicht sehrgroß, es ist allerdings auch nur von geringer Bedeutung. Selbst wenn wir davon ausgehen,dass 50% der elektrischen Energie in diesem Sektor eingespart werden könnte, so ergäbedas nur ein Sparvolumen von

ΔPEB = (,)(,), ⋅ = , ⋅ kWh ⋅ a− . (10.21)

Page 336: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

332 10 Die Möglichkeiten des Energiesparens

10.4 Die Energielücke zwischen Bedarf und Angebot

Die um 2050 zu erwartende EnergielückeΔPEB resultiert aus dem prognostiziertem Ener-giebedarf

PEB = , ⋅ kWh ⋅ a− (10.22)

und dem dann nach Gleichung 10.2 zur Verfügung stehendem Energieangebot

PEA =W =W(foss)+W(ernb)

= PEB + ΔPEB. (10.23)

Da PEA kleiner ist als PEB, ist ΔPEB negativ und hat einen Absolutbetrag von

∣ ΔPEB ∣= , ⋅ kWh ⋅ a− . (10.24)

Es gibt zwei Mechanismen, welche die Energielücke auf der einen Seite vergrößern und aufder anderen Seite verkleinern.

• Vergrößerung von ΔPEB durch Speicherung erneuerbarer Energien, siehe Abschn. 8.1.Geht man von dem linearen Ansatz 2.47 aus, so entsteht durch die Speicherung ein zu-sätzlicher Energiebedarf11

ΔPEB(+) = δ( − γ)PEB, (10.25)

wobei δ derVersorgungsgradmit erneuerbaren Energien ist und der γ-Faktor in (8.11)definiert wurde und den Wert γ = , hat. Um die Bedingung PEA ≈ PEB zu erfüllen,muss der Versorgungsgrad δ = , betragen und die Energielücke vergrößert sich um

ΔPEB(+) = −, ⋅ kWh ⋅ a− . (10.26)

• Verkleinerung von ΔPEB durch Energiesparmaßnahmen.Wieviel Primärenergie sich durch geeignete Maßnahmen einsparen lässt, ist in den Ab-schn. 10.1, 10.2 und 10.3 untersucht und berechnet worden. Die Berechnung basiertauf der Annahme, dass die relativen Einsparungen an Nutzenergie W sich übertragenlassen auf die Primärenergie:

ΔPEB =ΔW

WPEB. (10.27)

NachGleichung 10.2 bedeutet diese Annahme, dass in jedem der untersuchten Sektorender Wirkunggrad η, unabhängig ist von W. Die daraus resultierende Verkleinerungder Energielücke beträgt:

ΔPEB(−) =∑

ΔPEBi = , ⋅ kWh ⋅ a− . (10.28)

11 Diese Rechnung ist nur genähert korrekt, denn durch die Speicherungwird PEB selbst vergrößert,wie er durch Sparmaßnahmen verkleinert wird. Eigentlich sollte der PEB-Wert nach diesen Korrek-turen benutzt werden.

Page 337: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

10.4 Die Energielücke zwischen Bedarf und Angebot 333

Folglich werden beide Mechanismen zusammen die Größe der Energielücke verringern,und zwar um weniger als 20%. Die ist aber nicht hinreichend, um der Erfüllung der Be-dingung PEA ≈ PEB auch nur nahe zu kommen, selbst wenn man zugibt, dass alle derhier vorgenommenen Abschätzungen mit Unsicherheiten behaftet sind. Insofern ist dieSchlussfolgerung aus diesem Resultat auch relativ allgemein gehalten und Viele werden ihrauch zustimmen ohne Rechnungen durchgeführt zu haben:

Selbst unter Berücksichtigung aller möglichen Sparmaßnahmen wird es der Welt-gemeinschaft nicht gelingen, den von den ve-Ländern erreichten Lebensstandard zuhalten und darüber hinaus auf die we-Länder zu übertragen, wenn die zukünftigeEnergieversorgung übernommen wird von erneuerbaren Energien und einem Restan fossilen Energien.

Dies würde die am Anfang dieses Kapitels zitierte Konsequenz haben, dass die ve-Län-dern auf einen Teil ihres Lebensstandards verzichten und sich dem Lebensstandard derwe-Länder anpassen müssten. Es wird auch nicht möglich sein, wenn einzelne ve-Länder, wiez. B. Deutschland, versuchen, sich dieser Konsequenz zu entziehen. Die GlobalisierungdesHandels lässt einen energetischen Isolationismus einzelner Staaten nicht zu, besondersdann nicht, wenn ihr Lebensstandard so stark vom Exporthandel abhängt. So oder so, dieKonsequenz wird immer eine Absenkung des heute erreichten Lebensstandards sein.

Page 338: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

11Schlusswort

Mit dem Buchtitel „Die Zukunft unserer Energieversorgung“ verbinden die meisten Leserwahrscheinlich die Erwartung, dass am Schluss des Buchs ein Vorschlag steht, mit wel-chen Energieträgern der Primärenergiebedarf des 21. Jahrhunderts gedeckt werden kann,so dass eine Fortentwicklung des globalen Lebensstandards garantiert ist. Dieser Erwar-tung wird das Buch nicht gerecht, und das aus verständlichen Gründen: Eine Vorhersageüber zukünftige Entwicklungen benutzt naturwissenschaftliche Methoden und berechnetEntwicklungen auf der Basis von unveränderlichen Gesetzen und den veränderlichen Aus-gangslagen der Gegenwart. Bei letzteren spielen menschliche Gewohnheiten, die sich inder Vergangenheit herausgebildet haben, eine bedeutende Rolle. Und die in diesem Bucherrechneten Vorhersagen ergeben, dass eine dieser Erwartungen, nämlich die eines unein-geschränkten und ausreichendenZugangs zu den Primärenergieträger der Erde, in Zukunftnicht mehr erfüllt werden kann. Dafür sind imWesentlichen drei Phänomene verantwort-lich:

1. Der Bevölkerungszuwachs in derWelt DieWeltbevölkerung nimmt zu, und zwar imWe-sentlichen in jenen Ländern, welche am Beginn des 21. Jahrhunderts nur einen geringenGrad ihrer Industrialisierung erreicht hatten (und hier als we-Länder bezeichnet werden,im Gegensatz zu den ve-Ländern).Während am Anfang des 21. Jahrhunderts das Einwoh-nerverhältnis zwischen we- und ve-Ländern noch 3:1 betrug, wird es sich bis zur Mitte des21. Jahrhunderts fast verdoppelt haben.

2. Die unterschiedlichen Lebensbedingungen in den ve- und we-Ländern Am Anfang des21. Jahrhunderts betrug das Verhältnis der normierten Bruttoinlandprodukte von ve- undwe-Ländern noch 20:1. Dieser Unterschied kann auf Dauer nicht Bestand haben. DerZwang zum Ausgleich ergibt sich aus der zunehmenden Globalisierung der Volkswirt-schaften und der Vermeidung von Konflikten zwischen ve- und we-Ländern.

335D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9_11,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

Page 339: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

336 11 Schlusswort

3. Die riesigen Unterschiede in den Energiedichten Das Verhältnis der Energiedichten vonder Kernenergie zu der Solarenergie beträgt etwa ∶ . Die Konsequenzen aus diesemMissverhältnis lassen sich mit keiner Technologie kompensieren. Sie führen dazu, dasserneuerbare Energieträger kein gleichwertiger Ersatz für die fossilen Energieträger seinkönnen, wenn letztere im Laufe des 21. Jahrhunderts entweder fast vollständig abgebautsein werden, oder ihre Nutzung untersagt wird.

An dieser Stelle ist es angebracht, noch einmal auf die Bedeutung der Solarenergie ein-zugehen. Fast alle erneuerbaren Energieträger haben ihren Ursprung in der Solarenergie.Es entspricht der bisherigen Gewohnheit des Menschen anzunehmen, dass die Solarener-gie eine einzig für ihn bestimmte Form der Energie sei, so wie er das von den fossilenEnergieträgern gewohnt ist. Aber diese Annahme ist falsch. Die Dichte der Solarenergieund die Größe und Beschaffenheit von Erdoberfläche und Erdatmosphäre sind so aufein-ander abgestimmt, dass sie das Leben auf der Erde ermöglichen. Und zwar nicht derart,dass Solarenergie „verbraucht“ wird, sondern dass sie die Entropieproduktion aller auf derErde ablaufenden Prozesse antreibt. Eine Umwidmung der Solarenergie zur bevorzugtenBefriedigung menschlicher Bedürfnisse bedeutet, in dieses natürliche Gleichgewicht ein-zugreifen, mit nicht voraussehbaren Konsequenzen für die Natur. Und insofern kann derAutor dieses Buchs auch nicht der landläufigen Meinung zustimmen, dass die Nutzung er-neuerbarer Energien „nachhaltig“ sei: Die Verwendung erneuerbarer Energien über dasMaß hinaus, das von der Natur für den Menschen als Teil der Natur vorgesehen ist, mussdiese Natur verändern.

Diese Bedenken sind so grundsätzlich, dass sie nicht an die Zeit gebunden sind. Sie be-sitzen heute noch dieselbeGültigkeitwie imReferenzjahr 2000.Unddaher sindPrognosen,welche im Referenzjahr auf dieser Grundlage erstellt wurden, auch heute noch gültig. Dasentbindet niemanden von der Verpflichtung, ihre Gültigkeit ständig zu überprüfen. Fürdie, in diesem Buch vorgestellten Prognosen geschieht dies im Begleitmanuskript „Ener-gie3“, welches im Internet1 zugänglich ist. Die Entwicklungen, die sich innerhalb der Zeitvon der 1. zur 2. Auflage dieses Buchs vollzogen haben, zeigen aber recht deutlich, dassdie Menschen von der bevorstehenden Krise ihrer Energieversorgung bisher keine Notizgenommen haben:

• Der Primärenergiebedarf hat ständig zugenommen. Wenn die Prognosen richtig sind,wird er sich innerhalb von nur 50 Jahren fast verdoppelt haben.

• Der relative Anteil erneuerbarer Energien an der Deckung des Primärenergiebedarfshat sich nur unwesentlich verändert. Er liegt immer noch unter dem Anteil, welcher inden Prognosen als machbar angenommen wurde.

• Der menschliche CO-Eintrag in die Erdatmosphäre wächst stärker als linear. Und das,obwohl sich viele ve-Länder verpflichtet haben, ihre Einträge zu reduzieren (was aller-dings nur in den wenigsten Fällen gelungen ist).

1 http://www.physi.uni-heidelberg.de/~pelte/energie/start.htm.

Page 340: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

11 Schlusswort 337

Daher folgt die Menschheit bezüglich ihrer Energieversorgung weiter den Gewohnheiten,an die sie sich seit Anfang der Industrialisierung gewöhnt hat. Spätestens um das Jahr 2020wird das nach den Prognosen dieses Buchs nicht mehr möglich sein. Der Leser muss sichselbst darüber klar werden, welche Konsequenzen das für ihn zur Folge hat. Denn dienaturwissenschaftliche Vorgehensweise, welche die Grundlage dieses Buchs bildet, kannvielleicht das öffentliche Bewusstsein wachrütteln, nicht aber die Regierungen zum Han-deln zwingen.

Andere Autoren sind in diesem Punkt weniger zurückhaltend. Von großer Bedeutungbei den Diskussionen ist, dass der Zugang zu erneuerbaren Energien keineswegs Länderunabhängig, sondern in einigen wenigen Ländern relativ ungehindert möglich ist. Formalwird dies beschrieben durch denUnterschied zwischen dem global gültigen Wirkungsgradη und dem wichtigeren, weil Standort abhängigen Nutzungsgrad ζ . Die Länder mit bevor-zugtem Zugang sollten folgende Bedingungen erfüllen:

• Einen hohen Stand in der Technologieentwicklung,• eine gute Infrastruktur,• einen großen Anteil ungenutzter Flächen mit direkter Sonneneinstrahlung,• eine relativ geringe Bevölkerungsdichte.

Schaut man sich die ve-Länder auf diese Kriterien hin an, so werden diese am ehestenvon den USA und Australien erfüllt. In der bereits erwähnten Aeldric-Studie2, welcheals Memorandum an die australische Regierung erstellt wurde, werden auch Richtlinienfür eine zukünftige Energiepolitik vorgestellt. Neben vielen anderen sind drei Vorschlä-ge von besonderer Bedeutung, denn sie wirken mittelbar auch auf andere Länder. Es wirdvorgeschlagen:

1. Das Ende jeglicher Einwanderung nach Australien, welche nicht zur Entwicklung deraustralischen Gesellschaft unbedingt erforderlich ist. Das bedeutet, dass künftig nurnoch Menschen mit solchen Fähigkeiten einwandern dürfen, für die in Australien eindringender Bedarf besteht.

2. Die Nationalisierung aller Industrien, welche mit der Ausbeutung der natürlichen Res-sourcen in Australien beschäftigt sind. Das Ziel ist, den Export dieser Ressourcen in an-dere Länder zu unterbinden. Damit sollen gleichzeitig Konflikte zum Verfügungsrechtüber diese Ressourcen vermieden werden, falls an diesen auch ausländische Unterneh-men beteiligt sind.

3. Die Konzentration von zukünftigen Investitionen allein in solche Energie relevante In-dustrien, die sich in australischem Besitz befinden. Der Zweck dieser Maßnahme istoffensichtlich: Das erwirtschaftete Bruttoinlandprodukt soll im Lande verbleiben unddamit Australien von der Entwicklung (also den Problemen) außerhalb abkoppeln.

2 In derAeldric-Studiewird davon ausgegangen, dassAustralien seinen Primärenergiebedarfmithilfeerneuerbarer Energien decken könnte, dass aber 40 Jahre eine zu kurze Frist sind, um diese Pläneverwirklichen zu können.

Page 341: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

338 11 Schlusswort

Falls diese Vorschläge offizielle Regierungspolitik werden, bedeuten sie den direkten Wegin den Isolationismus, zurück an den Anfang des 20. Jahrhunderts. Im Prinzip wird vor-geschlagen, eine Krise der Energieversorgung mittels einer Krise der Gesellschaften zukurieren. Eine Gesellschaftskrise ist ein gesellschaftliches Problem, es lässt sich mit na-turwissenschaftlichen Methoden nicht behandeln. Das Gefühl bezweifelt aber, dass dieseine Lösung für Australien sein könnte, und es ist sicherlich unannehmbar für Länder wieDeutschland, ein Land ohne nennenswerte eigene Ressourcen und abhängig vom freienZugang zu den Märkten.

Auf der anderen Seite beschreitet Deutschland jetzt einen Weg, der dem australischenWeg,wenn er denn beschlossenwürde, nicht unähnlich ist, obwohlDeutschlandnicht überähnliche Ressourcen wie Australien verfügt:

Bis spätestens 2020 sollen alle deutschenKernkraftwerke stillgelegt sein und die dann fehlendeEnergie wird durch erneuerbare Energien ersetzt (Energiekonzept von 2010).

Zur Zeit ist fraglich, ob dieses Energiekonzept realisiert werden kann. Dies ist auch des-wegen fraglich, weil das Energiekonzept isoliert entworfen und verabschiedet wurde, ohnedie Partnerländer in der EU an demProzess teilhaben zu lassen. Für diese ist es ein Zeichenenergetischen Isolationismus. Es lässt die Partner außen vor, denn deren Energiepolitik isteine andere, insbesondere würden sie nicht zugestimmt haben, dass alle Kernkraftwerke inder EU innerhalb von nur 8 Jahren stillgelegt werden müssen.

Die naturwissenschaftliche Methode lässt nämlich erkennen, dass die Kernenergie we-gen ihrer enormhohen Energiedichte tatsächlich eine Zukunftsoption darstellt, die es lohntzu entwickeln. Ob diese Option von denGesellschaften auch wahrgenommenwird, ist wie-derum ein gesellschaftliches Problem, dessen Lösung sich jeglicher Vorhersage entzieht.Es darf aber nicht geschehen, dass die Gesellschaft sich entscheidet, ohne das dafür nötigeWissen zu besitzen. Und das ist die eigentliche Aufgabe dieses Buchs: Nicht eine fertige Lö-sung anzubieten, sondern das nötige Wissen zu vermitteln, um die best mögliche Lösungzu finden.

Die Formulierung „best möglich“ ist mit Bedacht gewählt, denn oft sind beste Lösun-gen nicht gleichzeitig auch mögliche Lösungen für ein Problem. Darüber hinaus habengesellschaftliche Probleme ihre Ursache häufig in Energieproblemen, werden als solcheaber nicht erkannt. Das bekannteste Beispiel ist wahrscheinlich das Wachstumsproblem,das eben nicht einWirtschaftsproblem ist und sich auch nicht mit wirtschaftlichenMetho-den lösen, sondern höchstens in die Zukunft verlagern lässt. Dass trotzdem demokratischverfasste Staaten häufig zu dieser Lösung (Wachstum mithilfe von staatlichen Schulden)greifen, ist verständlich: Sie werden von Experten der Ökonomie darin unterstützt, einerWissenschaft, welche eben nicht exakt ist und deren Rezepte und Vorhersagen daher auchnicht exakt sein können.

Page 342: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

Sachverzeichnis

AAbbau

fossile Energieträger, 1, 153Abbremsvermögen

Neutron, 115Abfälle, 171

anorganische, 178organische, 177

AbsorberLicht, 192, 195, 200

AbsorptionLicht, 84, 94, 160, 162

Absorptionsgesetz, 165Absorptionsquerschnitt

Neutron, 114–116Absorptionsvermögen, 164Absorptionswahrscheinlichkeit

Neutron, 113Adiabatenkoeffizient, 28, 274Aeldric-Studie, 253, 260, 337Aggregatzustand, 17, 20, 84, 220, 277Akkumulator, 286

Energiedichte, 289Aktivität, 128Alaska-Pipeline, 304Ammoniak, 284Anergie, 13, 21Aquifer, 239Äquivalenzdosis, 129Arbeit, 8Artenvielfalt, 249Atom, 17Atomausstiegsgesetz, 122Atombombe, 124Atomgitter, 170Auftriebskraft, 217, 218

Augemenschliches, 31, 161

AusrichtungEmpfänger, 168, 169, 189, 193

Australien, 337Automobil, 12, 15, 34

PKW, 328Automobilindustrie, 329

BBandlücke, 170Basismaßeinheit, 9, 11Batterie, 286Baustandard, 318Bedarfssektoren, 55

Abnehmer, 55, 315Aufgaben, 55, 315

Beleuchtung, 31Bernouille’sches Gesetz, 216Bevölkerung

Abnahme, 65Ballungszentren, 86Entwicklung, 61, 63, 73, 76Pyramide, 72, 73Zunahme, 65

Bevölkerungszahl, 42, 45, 57, 61optimale, 64, 69Unsicherheit, 69

BindungsenergieElektronen, 109Moleküle, 17, 173Nukleonen, 109, 112

Biogas, 178Biomasse, 171, 246Biosphäre, 180, 181

Kohlenstoffinventar, 182

339D. Pelte,Die Zukunft unserer Energieversorgung, DOI 10.1007/978-3-658-05815-9,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014

Page 343: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

340 Sachverzeichnis

Blendenzahl, 198Blindleistung, 296Blindstrom, 296Boltzmann-Konstante, 31Brechungsgesetz, 165Breitengrad, 162, 202Bremsstrahlung, 140Brennstoffzelle, 285, 286Brennweite, 198

bikonvexe Linse, 199sphärischer Spiegel, 200

Brutreaktion, 109Bruttoinlandprodukt, 44, 61

normiertes, 46, 77Welt, 248

CChina, 78Chinaschilf, 176Chlorophyll, 172Coulombbarriere, 134

DDachfläche, 101Dampfdruck, 30Dampfheizung, 266Dampfmaschine, 29, 321Deckplatte, 200, 206Depression

wirtschaftliche, 78, 80Deuterium, 109Deutsches Atomgesetz, 122, 147Deutschland, 3, 78, 100, 145, 159, 169, 175, 178,

203, 206, 214, 233, 245, 316Exporthandel, 333Fotovoltaik, 188Wasserkraft, 223Windkraft, 214

Dieselkraftstoff, 282Differentialgleichung, 58, 67, 68, 152, 268, 307,

325Differentialquotient, 57Dosimetrie, 128Druckluftspeicher, 273

Energiedichte, 275Wirkungsgrad, 275

Dulong-Petit’sches Gesetz, 265Dünger, 172

EEbbe, 232Einwanderung, 65, 75Eiszeit, 95Ekliptik, 161Elektrische Ladung, 16, 262Elektrische Leitung, 39Elektrisches Feld, 16, 185

Durchbruch, 263, 300Energiedichte, 263

Elektrizität, 55Elektrizitätswerk, 24, 40, 99Elektrochemie, 277Elektrochemische Spannungsreihe, 287Elektrolyse, 278, 280

Wirkungsgrad, 281Elektrolyt, 280, 287

basischer, 281saurer, 281

Elektron, 185Ladung, 186

Elektronloch, 185Endenergie, 34, 35, 43, 257Endlagerung, 130Energie, 8

chemische, 7, 17, 109, 257elektrische, 16, 56erneuerbare, 38, 103, 157, 245kinetische, 7, 8, 15, 207, 229konventionelle, 103mechanische, 265potenzielle, 7, 15, 222, 228, 231spezifische, 110thermische, 7, 13, 16, 84unkonventionelle, 42, 104Verfügbarkeit, 157

Energieautarkes Haus, 317Energieband, 170Energiebedarf, 2, 43

Raumheizung, 316, 322Reduktion, 311, 328

Energiebewertung, 21, 267Energiedichte, 157, 158

Kernenergie, 110Meeresströmung, 207Solarstrahlung, 192Wärme, 267

Energiedosis, 128Energieeffizienz, 46, 50, 80, 312

Page 344: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

Sachverzeichnis 341

Energieform, 7Energiehaushalt

Erde, 84, 238Energiekennwert, 316Energiekonzept, 247, 338Energiekrise, 247Energielücke, 80, 261, 332Energiemix, 40Energieplantage, 176Energiepolitik, 337Energiepreis, 52, 83, 106, 248Energierückholzeit, 249Energiesparlampe, 33Energiespeicher, 37, 38, 163, 257, 258, 289

chemische Energie, 277elektrische Energie, 262Energiedichte, 261, 282, 290Kapazität, 260, 261mechanische Energie, 271thermische Energie, 264, 317, 322, 325Wirkungsgrad, 39, 258, 261, 282, 290

Energiestromdichte, 4, 158Energieströmung, 158, 206Energieträger

fossil biogene, 36, 104, 172, 290fossil mineralische, 36, 108, 134fossile, 1, 82, 95

Energietransport, 293Aufwand, 294, 301, 307, 327chemische Energie, 301Eisenbahn, 301elektrische Energie, 294Flugzeug, 301Hochleistungslaser, 295Lastkraftwagen, 301Licht, 294Rohrleitung, 293, 302Schiff, 293, 301Seekabel, 295thermische Energie, 306Überlandleitung, 295

Energieverbrauch, 1Energieverknappung, 108, 111, 151Energieversorgung, 41, 144

Biomasse, 177, 179Erdwärme, 240erneuerbare Energien, 245Fluktuationen, 257, 260, 289Fotovoltaik, 189, 214

Gezeiten, 233Lichtkonzentrator, 196Meereswellen, 227organische Abfälle, 178Reststoffe, 179Solarzelle, 204, 322, 325Wasserkraft, 222, 223Windkraft, 214

Energievorräte, 106, 110, 149Energiewandlung, 8, 12, 23, 36Energiewende, 247, 338Entropie, 2, 4, 14, 43, 266Entsorgung, 127, 132Erdatmosphäre, 84, 91, 162, 181

Mittlere Schichtdicke, 92Zusammensetzung, 180

Erdbeschleunigung, 16, 272Erde, 1, 64, 69, 231

Abstand zur Sonne, 90Eigenrotation, 163Flächennutzung, 96Masse, 235Oberfläche, 84Radius, 90, 235

Erde-MondAbstand, 235Massenmittelpunkt, 235Winkelgeschwindigkeit, 235

Erdgas, 88, 104, 150, 290Erdgasleitung Ural-Ukraine, 306Erdkern, 237Erdkruste, 237

Temperaturleitfähigkeit, 268Erdmantel, 237Erdöl, 104, 150Erdtemperatur, 1, 91, 93, 208

Schwankung, 268Zunahme, 88, 94

Erdwärme, 157, 159, 236, 246, 251Erdwärmekraftwerk, 236Erhaltungsgesetz, 1, 11Erneuerbare Energien

Angebot, 159Zugang, 337

Erneuerbare-Energien-Gesetz, 52EROEI-Faktor, 249Europa, 46, 159, 193, 223Exergie, 13, 170, 173, 274Exergiegehalt, 13, 320

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342 Sachverzeichnis

FFaraday-Konstante, 285Fensterglas, 201Fernheizung, 315Fernwärmeversorgung, 306Festkörper, 170Filteranlagen, 179Flächenbedarf, 246, 257Flugzeugindustrie, 329Flut, 232Fotodiode, 186Fotosynthese, 85, 103, 159, 172Fotovoltaik, 159, 185, 246, 251fracking, 105Frequenz, 298

Licht, 172Fukushima, 147Füllfaktor, 187Fusionsquerschnitt, 136Fusionsreaktor, 135Fusionstemperatur, 135

GGasschiefer, 105GAU, 146, 236Geburtenkoeffizient, 62, 63, 71Geburtenrate, 62, 66Geburtenzahl, 62, 74Geothermische Anomalie, 237Gezeiten, 231Gezeitenkraftwerk, 231Gleichgewicht

wirtschaftliches, 80, 311Gleichstromaufladung, 263Globalisierung, 58, 65, 311, 333Glukose, 172Gravitationsenergie, 103, 157Gravitationskraft, 207, 231, 234Grenzfläche, 164

ideale, 164Großbritannien, 226Großtädte, 86Großvieh, 178Grundlast, 40, 258Grundumsatz

menschlicher, 43, 96tierischer, 178

GuD-Kraftwerk, 315Gütefaktor

Kernfusion, 137

HHaber-Bosch-Prozess, 284Halbleiter, 170Halbleiterdiode, 186, 190

Strom-Spannungs-Kennlinie, 190Harrisburg, 147HDR-Verfahren, 239Heizwert, 277, 301, 302Heliostat, 193Herstellungskosten, 248H-G-Übertragung, 298Hochdruckdampfturbine, 31Hochdruckgebiet, 209Hochtemperaturwärme, 56, 238, 265

IIndien, 78Industrialisierung, 61Industrie, 55Innere Energie, 17, 265Intensität, 4, 90, 158Investitionen

erneuerbare Energien, 253Ionisation, 119Island, 159, 239Isolationismus

Australien, 338Deutschland, 338

ITER, 141

JJahreszeit, 162

KKapazität

Energiewandlung, 38, 253, 254Kapazitätsfaktor, 38Katalysator, 172, 280, 281Katalysereaktion, 279Kernenergie, 17, 103, 109, 150, 236Kernfusion, 109, 134Kernreaktor, 114

Beschleuniger-getriebener, 125Brüter, 121CANDU, 118Druckwasser-, 119EPR, 123Graphit-moderierter, 120

Page 346: Die Zukunft unserer Energieversorgung ||

Sachverzeichnis 343

HTR, 123konventioneller, 116moderner, 122Siedewasser-, 120

Kernschmelze, 236Kernspaltung, 109, 112Kettenreaktion, 110, 116Kilowattstunde, 9Kinder, 57Kirchhoff ’sches Gesetz, 204Kleinabnehmer, 55Klima, 82, 85, 89, 90Klimaanlage, 316Kohle, 104, 150Kohlendioxid, 87, 89, 173, 185, 278Kohlenstoff, 180Kohlenstoffkreislauf, 177, 180, 183Kommunikation, 329Kompression, 28, 274Kondensation, 220Kondensator, 262

Kapazität, 39Kontinuitätsgesetz, 4Korrelation, 46, 50

Klima, 88Kosten, 189, 193, 248, 251, 254, 299, 315, 319Kraft-Wärme-Kopplung, 314Kraftwerk

GuD, 250Wirkungsgrad, 290

Kreisprozess, 15, 25, 321Carnot’scher, 23, 98, 173

Kritikalität, 116, 127Kritische Masse, 116

LLandschaftsschutz, 215, 222Lawson-Kriterium, 137Leben, 43, 83Lebensalter, 62Lebensmittelbedarf, 246Lebensstandard, 42, 44, 70, 315Leerlaufspannung, 191Leistung, 8

Erdwärme, 242Kernreaktor, 124Meereswelle, 230Wasserkraft, 224

Leistungsdichte

Brüter, 121Kernreaktor, 120, 121, 127

Leistungsfähigkeitwirtschaftliche, 77

Leistungsflächendichte, 86, 90Leistungsverlust, 200

nichtradiativer, 93radiativer, 93Wärme, 324

Leiter, 170Leitungsband, 170Leuchtstoffröhre, 33Lichtabsorber, 165Lichtkonzentration, 197, 198Lichtkonzentrator, 192Lichtreflektor, 165Lichttransmitter, 165Linse, 193Luftdruck, 208, 216

Isobare, 209Luftströmung, 207Lüftung, 318

MMächtigkeit

Energieträger, 106, 149, 153Magnetisches Feld

Energiedichte, 264Masse, 231, 234, 305Maßeinheit

ökonomische, 11physikalische, 8

Massendichte, 20, 207, 242Massendiffusion, 118Massenmittelpunkt, 231Massenzahl, 20Materialbedarf, 249, 251Meeresströmung, 207Meerwasser, 111Megastädte, 86Messfehler, 8Messgröße, 7Messwert, 8Metallhydrid, 283Methan, 89, 284

Verbrennung, 19Methan-Brennstoffzelle, 291Methanhydrat, 42, 89, 104, 105, 181Methanol, 285

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344 Sachverzeichnis

Verbrennung, 87Methanwirtschaft, 291Mischung

eutektische, 270Mobilität, 55, 282Modell, 3, 51

Klima, 91Parameter, 3Unsicherheit, 3

ModeratorNeutron, 114

ModernisierungGebäude, 319

Molekül, 17Mond, 231

Masse, 235MOX-Technik, 130Müllverbrennung, 178

NNachhaltigkeit, 336Nachwärme, 125, 131, 146Nahrungsmittel, 97Naturgesetz, 3, 13Neutron, 110, 112, 113, 129

promptes, 116schnelles, 113thermisches, 113verzögertes, 116

Neutronenfluss, 132Nichtleiter, 170Niedertemperaturheizung, 22Niedertemperaturwärme, 56, 240, 265, 316Nordamerika, 46Normalbedingung, 275, 301, 305Nullheizenergiehaus, 317Numerisches Verfahren, 70Nutzenergie, 34, 35, 43Nutzungsgrad, 34, 98, 106, 245

Definition, 37erneuerbare Energien, 259

OÖlschiefer, 105Ohm’scher Verlust, 39, 263, 264Option

Wachstum, 150Otto-Motor, 28Ozon, 89, 161

PParabelrinnenkonzentrator, 195

elektrische Leistung, 195Parabolschüsselkonzentrator, 194

elektrische Leistung, 194Passatwinde, 210Passivhaus, 317Periodensystem

chemisches, 185Petrochemie, 55, 172, 253Phase, 29Phasenübergang

erster Ordnung, 266Photon, 31, 171Planck’sches Strahlungsgesetz, 31, 90Plasma, 136Plasmaeinschluss, 136

magnetischer, 137Trägheits-, 137, 141, 143

Plutonium, 109Potenz, 10Potenzial, 157

elektrisches, 16energetisches, 179

Primärenergie, 34, 35, 43Äquivalent, 38, 313

Primärenergieangebot, 54, 80, 150Primärenergiebedarf, 44, 54, 61, 85, 99, 150

Entwicklung, 80kumulierter, 107normierter, 46, 311

Private Haushalte, 55Problem

gesellschaftliches, 338soziales, 64, 74

Prognose, 58, 61Bevölkerung, 66, 69Energiebedarf, 57, 150Unsicherheit, 58Wirtschaft, 79, 108

Proliferation, 124Proton, 112, 129Prozess

irreversibler, 5, 12, 312ökonomischer, 11reversibler, 5, 12

Prozessenergie, 55Prozesskette, 24, 33

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Sachverzeichnis 345

QQualitätsfaktor

Radioaktivität, 129

RRadioaktive Schädigung, 145Radioaktiver Zerfall, 236Radioaktivität, 110, 127, 144Radionuklid, 128Raumwärme, 55, 203, 316Reaktion

chemische, 17, 277Redox-Reaktion, 287Reflexion, 84

Licht, 162Reflexionsvermögen, 84, 164, 201Reformer, 286Reibungskraft, 224Reichweite

Energieträger, 150, 153Rekombination, 185Rentenversorgung, 75Reynoldzahl, 302Rezession

wirtschaftliche, 78Risiko, 143Risikofaktor, 145Rohrleitung

Erdgas, 304Erdöl, 302Wasserstoff, 309

Rossbreiten, 210Rotor, 211

Flügel, 217Russland, 46

SSabatier-Prozess, 284Sauerstoff, 180Schadstoffemission, 249Schnelllaufzahl, 212, 217Schwankungslast, 258Schwarzer Körper, 31, 90, 91, 136, 160, 165, 197,

200, 204Intensitätsverteilung, 160, 204

Seekabel, 299Sekundärenergie, 34, 35Semipermeable Membran, 279Sicherheitsstandard, 148

Siedekurve, 29Siedetemperatur, 30SI-Einheit, 9Signifikante Stellen, 8Solarenergie, 82, 83, 99, 157, 158, 336

absorbierte, 91Solarkonzentrator, 246Solarmodul, 192Solarzelle, 200, 251Sonne, 1, 14, 109, 161

Radius, 90Sonnengürtel, 193Sonnenstrahlung, 160, 293

diffuse Komponente, 162, 169direkte Komponente, 162, 169Fluktuationen, 163, 258

Spallation, 126, 133Spaltbarriere, 112Spannung

elektrische, 16, 295Speicherkraftwerk, 272

Wirkungsgrad, 273Spekulation

Energie, 52Sperrstrom, 190Sperrzone, 185Spiegel, 193Staatsgrenze, 223Stefan-Boltzmann-Gesetz, 90STELLARATOR, 139Sterbekoeffizient, 62, 63, 71Sterberate, 62, 66Stickoxide, 89Stirling-Motor, 194Stoffmenge, 180, 221

molare, 16Störfall, 146, 147Strahlen

Alpha, 128Beta, 128Gamma, 128radioaktive, 127

StreuquerschnittNeutron, 115

Strömunglaminar, 302Rohrleitung, 309turbulent, 302

Substitutionsmethode, 313

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346 Sachverzeichnis

Subtropischer Hochdruckgürtel, 210Subventionen, 315

China, 52Summenhäufigkeit, 210Superfenster, 318Supraleiter, 138, 300System

abgeschlossenes, 1, 15gekoppeltes, 64, 69, 72offenes, 1, 2, 264

TTaukurve, 29Teersände, 105Temperatur, 13

kritische, 29Sonne, 14

Temperaturgradient, 237Thermodynamik, 3, 13, 25

1. Hauptsatz, 3, 172. Hauptsatz, 4, 11

Thorium, 108Tidenhub, 232, 235Tiefdruckgebiet, 209TOKAMAK, 138Toleranzwert, 83, 87, 88Torus

magnetischer, 138Toxizität, 129, 144Transformator

elektrischer, 297Transmissionsvermögen, 164, 167, 200, 318Transmutation, 132Treibhauseffekt, 91, 200, 316, 318Treibhausgas, 88, 92, 95

Methan, 105Tritium, 109, 134Tschernobyl, 147

UÜberlandleitung, 299Ultrazentrifuge, 118Umgebung, 12, 17Umweltrisiko, 105, 177, 279, 288UN, 64, 86Uran, 108, 109

angereichertes, 118Ursache und Wirkung, 58USA, 78, 239, 337

VValenzband, 170ve-Länder, 53, 62, 65, 79, 80, 97Verbrennung

kalte, 277, 285Kohlenwasserstoffe, 87

Verdunstung, 183, 220Verkehr, 55, 327

Individual-, 329Kollektiv-, 327Luft-, 329

Versorgungsgrad, 37, 150, 332Verzinsung, 248Viskosität, 302Vorsilbe, 10

WWachstum, 61, 77Wachstumsfunktion, 69, 149, 152Wachstumsgrenze, 82, 84Waldwirtschaft, 175, 177

nachhaltige, 183Wärme, 7, 16

latente, 84, 93, 221, 266Wärmeisolation, 206, 268Wärmekapazität, 265

molare, 16, 265spezifische, 242, 265, 307

Wärmekonvektion, 204Wärmekraftmaschine, 15, 313Wärmeleitfähigkeit, 205Wärmeleitung, 204Wärmepumpe, 23, 240, 270, 317, 320

Wirkungsgrad, 322Wärmestrahlung, 204Wärmeverlustkoeffizient, 205, 318Warmzeit, 95Wasser, 87, 89

thermische Zersetzung, 194, 278Wasserdampf, 161Wasserkraft, 246, 251Wasserkraftwerk, 159, 223

Energiedichte, 272Wirkungsgrad, 224

Wasserkreislauf, 220Wasserstoff, 108, 180

Kompression, 282Verbindung, 283Verbrennung, 88

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Sachverzeichnis 347

Verflüssigung, 282Wasserstoffbombe, 142Wasserstoffwirtschaft, 277, 281, 291, 309Wasserturbine, 226Watt, 9we-Länder, 53, 62, 65, 79, 80, 97Welle, 207, 226

elektromagnetische, 31Wellengeschwindigkeit, 229Wellenhöhe, 229Wellenkraftwerk, 226Wellenlänge, 164, 171Westwinddrift, 210Widerstand

elektrischer, 296Ohm’scher, 297spezifischer, 296

Widerstandskraft, 218, 303Wind, 207, 208Windgeschwindigkeit, 210, 216Windkraft, 211, 246, 251

Flächenbedarf, 214Windkraftwerk, 210, 211

Energiedichte, 208Wirkungsgrad, 216

Wirkleistung, 295Wirkstrom, 296Wirkungsgrad, 21, 157, 245

Biomasse, 175

Energie, 21, 312Erdwärme, 240Exergie, 21Fotodiode, 187Fotovoltaik, 188Fusionsreaktor, 135GuD-Kraftwerk, 250Kernreaktor, 120, 124maximaler, 313Prozesskette, 24Solarzelle, 202Wasserkraft, 222Windkraft, 213, 216

Wirkungsgradmethode, 160, 313Wohngebäude

Altbestand, 319Wüste, 100

ZZentrifugalkraft, 231, 234Zerfallsgesetz

radioaktives, 128Zirkulation, 208, 217Zustandsänderung, 26

adiabatische, 26isobare, 30isochore, 28, 30, 274isotherme, 26

Zustandsgleichung, 273