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Kontakt Lokalredaktion Telefon: 07 11/72 05-12 71/12 72 E-Mail: [email protected] Tatort Schulhof: Was gegen Mobbing hilft W ieder hat es nicht geklappt. Der Junge, auf dessen Pullover in Großbuchstaben „Chill“ steht, ist weit davon entfernt, entspannt zu sein. Er versucht erneut, einen Platz im Stuhl- kreis zu ergattern. Seine Mitschüler rücken raupenartig weiter, von Stuhl zu Stuhl. Sie lachen. Er lacht nicht. Es ist nur ein Spiel – doch je häufiger der Siebtklässler scheitert, desto unsicherer wirkt er. Da erlöst ihn sei- ne Klassenlehrerin. Wie es für ihn gewesen sei, fragt Friederike Schelkes. „Scheiße“, sagt er. Und für die anderen? Die meisten fanden es „lustig“ – doch nicht alle. Wa- rum? Schon sind sie mittendrin im Thema. Eigentlich steht Deutsch auf dem Stun- denplan der 7 d des Ludwig-Uhland-Gym- nasiums (LUG). Doch diesmal geht es nicht um Orthografie, sondern um Olweus. So lautet der Name eines Anti-Mob- bing-Programms aus Skandi- navien, das seit dem Schuljahr 2015/16 an dem Kirchheimer Gymnasium umgesetzt wird. Einmal im Monat haben alle Klassen der Schule eine Ol- weus-Stunde. Das Gymnasium ist eine von 15 Schulen im Land, die an dem von der Landesstiftung Baden-Württemberg finan- zierten Pilotprojekt teilneh- men. Eine Ausschreibung für weitere Schulen läuft (siehe Infokasten). Das Besondere an Olweus: Alle Akteure sind eingebunden – Lehrer, Schul- sozialarbeiter, Schüler, Eltern. „Es geht um eine Kultur des Hinschauens“, sagt der Rektor des LUG, Georg Braun, dem der Prä- ventionsgedanke besonders gefällt. Seine Schule ist nicht mehr und nicht weniger von Mobbing betroffen als andere. Die He- terogenität der Schülerschaft habe zuge- nommen, auch Cybermobbing sei ein The- ma. Da hätten sie sich gefragt: „Wie können wir noch mehr helfen?“, erzählt Braun. Zwei Lehrerinnen haben sich an der Uniklinik Heidelberg, die das auf 18 Mona- te ausgelegte Programm evaluiert, zu Ol- weus-Coaches weiterbilden lassen. Auch Friederike Schelkes, die das Programm vor Ort koordiniert, ist geschult. Regelmäßig trifft sich das Kollegium, aufgeteilt auf 20 Gruppen, um sich auszutauschen. Die Pau- senaufsicht wurde verstärkt. Es gab Eltern- abende und einen Projekttag – alles zusam- men ein Riesenaufwand. Manchen Schulen ist dieser zu groß: Eigentlich waren 22 Schulen im Programm, sieben sind wie- der abgesprungen. Das LUG ist mit mehr als 1200 Schülern die größte Schule, die an Olweus teilnimmt. Der Rektor räumt ein, dass es auch kriti- sche Stimmen gegeben habe. Eigentlich müssten für so etwas zusätzliche Lehrer- stunden genehmigt werden, meinen auch diejenigen an der Schule, die voll hinter dem Programm stehen – vor allem, wenn Olweus langfristig weiterlaufen solle. In Heidelberg redet man den Aufwand nicht klein. „Je größer die Schule, desto mehr muss organisiert werden“, sagt Fanny Ossa von der Kinder- und Jugendpsychia- trie der Uniklinik Heidelberg. Mit ihrer Kollegin Vanessa Jantzer koordiniert die wissenschaftliche Mitarbeiterin die Eva- luation. Sie weist auf den ernsten Hinter- grund hin: Mobbingopfer hätten ein erhöh- tes Risiko für Ängste und Depressionen, das könne bis zum Suizidversuch gehen. Studien bescheinigen Olweus eine hohe Wirksamkeit: In Norwegen ließ sich die Zahl an Mobbingopfer mit der Methode um bis zu 70 Prozent reduzieren. Eine Meta- studie hat ergeben, dass Olweus von allen Anti-Mobbing-Programmen die größten Effekte erzielt. Die bisherigen Ergebnisse aus Heidelberg sind positiv: Durch Olweus könne die psychische Belas- tung betroffener Schüler „deutlich gesenkt werden“, berichtet der Studienleiter Michael Kaess, Sektionsleiter der Kinder- und Jugendpsy- chiatrie. Der Aufwand lohnt sich also. Das merkt man auch in Kirchheim. „Es kommen mehr Schüler wegen Mob- bings zu mir – und sie kom- men früher“, berichtet der Schulsozialarbeiter Thilo Ehrle. Die Hemmschwelle sei gesunken, Hilfe zu holen. „Ob Kinder oder Lehrer, alle sind achtsamer“, sagt Ehrle. Die Lehrerin Eva Wagner, sie ist Olweus-Coach, berichtet, dass die Lehr- kräfte nun schneller reagierten, die Schüler aber auch schneller einlenkten. Der Aus- tausch zwischen den Kollegen sei größer, sagt Friederike Schelkes, wodurch man als Klassenlehrer bei Mobbingfällen früher eingreifen könne. „Wenn alle Rollen bereits besetzt sind, ist es wesentlich schwieriger zu agieren“, erklärt Ehrle, warum das wich- tig ist. Welche Rollen es gibt, das wissen die Schüler der 7 d genau, das zeigt die Olweus- Stunde: Zuerst spielen sie Mobbing-Situa- tionen vor, danach sortieren sie. Wer war Opfer? Wer Hauptakteur? Wer hat sich noch beteiligt? Wer zeigte Unbehagen, oh- ne einzuschreiten? Im „Mobbing-Kreis“ hat jeder seinen Platz. Auch bei echten Mobbingfällen greifen die Lehrer auf diesen Kreis zurück. „Bei wem kannst du dir vorstellen, dass er dich unterstützen könnte“, frage sie den Betrof- fenen, erzählt Friederike Schelkes. Mit den Akteuren spricht sie gesondert, ohne Opfer. „Weil man mit der Gruppe arbeitet, ist es so erfolgreich“, sagt die Lehrerin. Dann schil- dere man nicht nur die Situation des Betrof- fenen, sondern versuche, dem Täter eine andere Rolle zu geben. Was könnte er kon- kret für das Opfer tun? Wichtig sei, „nie- manden an den Pranger“ zu stellen. „Denn der Täter ist meistens auch nicht glücklich“, so Schelkes. In manchen Fällen gehe es aber nicht ohne Sanktionen. Pädagogik Das Olweus-Präventionsprogramm soll besonders wirksam sein. Ein Besuch an einer Pilotschule. Von Viola Volland Mobbing kann mit körperlicher Gewalt einhergehen, muss es aber nicht. Foto: dpa Mobbing Repräsentativen Umfragen zufolge ist jeder vierte Schüler in Europa von Mobbing betroffen, als Opfer, Täter oder beides zugleich. Cybermobbing ist laut Vanes- sa Jantzer von der Uniklinik Heidelberg aber immer noch die seltenste Form von Mob- bing, soziales und verbales Mobbing trete deutlich häufiger auf. Das Problem: Ein Drittel der Opfer redet mit niemandem über seine Mobbing-Erfahrungen. Olweus Das Olweus-Pro- gramm wurde in den 1980er Jahren von dem norwegischen Psychologen Dan Olweus ent- wickelt und seither mehrfach aktualisiert. Es wird von der EU-Kommission in Brüssel empfohlen. Die Schulen wer- den 18 Monate bei der Umset- zung unterstützt, danach soll das Programm selbstständig weitergeführt werden. Geeig- net ist es ab der Klassenstu- fe 3. Bei der Landesstiftung hofft man, sollte die Heidel- berger Studie die Wirksamkeit bestätigen, dass das Kultus- ministerium Olweus aufgreift und an allen Schulen im Land umsetzt und finanziert. Ausschreibung Aus der Re- gion nehmen bisher drei Schu- len teil: das Gymnasium in Kirchheim/Teck, die Ludwig- Uhland-Schule in Leinfelden- Echterdingen und die Justi- nus-Kerner-Gemeinschafts- schule in Ludwigsburg. Die Landesstiftung ermöglicht weiteren zehn bis 15 Schulen, an dem Projekt teilzunehmen. Interessierte Schulen können weitere Informationen beim Olweus-Team der Uni Heidel- berg bekommen: Telefon 0 62 21 / 5 63 99 54, E-Mail [email protected] heidelberg.de. vv DIE NEUE AUSSCHREIBUNG FÜR DAS PROGRAMM LÄUFT E s ist erschreckend, wie viele Kinder in ihrem Schulleben von Mobbing betroffen sind. Egal, auf welche Schule sie gehen – vor Ausgrenzung ist man am Gymnasium genauso wenig gefeit wie an einer Werkrealschule. Die Folgen für die Opfer sind lange spürbar, sie können sich noch im späten Erwachsenenalter zeigen. Jeder Fall, der über die Olweus-Methode verhindert werden kann, ist Gold wert. Und mit dem Programm lassen sich offenbar viele Fälle verhindern. Es wäre deshalb eine gute Nachricht, wenn das Kultusmi- nisterium das Programm nach der Pilot- phase landesweit ausweiten würde. Doch die Methode hat in der Praxis eine Schattenseite: Sie ist enorm zeitaufwendig. Momentan geht der Aufwand zulasten der engagierten Lehrkräfte, die an das Pro- gramm glauben. Das hat Folgen: Von 22 Schulen haben sieben schon wieder auf- gegeben. Zusätzliche Lehrerstunden sind bisher nicht für Olweus vorgesehen. Die re- gelmäßigen Gruppentreffen, die Gesprä- che, die Lösungsversuche, wenn Mobbing gemeldet wird, was automatisch öfter ge- schieht, wenn Kinder merken, dass sie auf offene Ohren stoßen – dafür bekommen die Schulen keinen Ausgleich. Das muss mo- mentan noch extra in der Freizeit laufen. Auf Dauer wird ein derart aufwendiges Programm jedoch nur funktionieren, wenn auch Lehrerstunden dafür bewilligt wer- den, damit zumindest der Großteil der Mehrarbeit aufgefangen werden kann. Das kostet zwar Geld, doch es lohnt sich – nicht nur für den Einzelnen. Denn wenn sich das Schulklima bessert, profitieren alle davon. Es unterrichtet sich nicht nur leichter, es lernt sich auch leichter. Gutes Schulklima erleichtert viel Prävention Es wird sich nur dann ein Erfolg einstellen, wenn Lehrer Zeit für das Programm bekommen. Von Viola Volland Kommentar „Es geht um eine Kultur des Hinschauens. Die Schülerschaft ist heterogener geworden.“ Georg Braun, Rektor Ludwig-Uhland-Gymnasium Foto: Viola Volland M it Stuttgart 21 ist kein Staat mehr zu machen. Das Projekt ist durch wiederholte Verteuerungen und geplatzte Terminpläne derart in Misskredit geraten, dass Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zuletzt hat zu Protokoll geben dürfen, das Projekt sei und bleibe „eine kapitale und folgenschwere Fehlent- scheidung“, ohne dass die bisherigen Pro- jektbefürworter vom schwarzen Koali- tionspartner oder jene auf den Opposi- tionsbänken im Landtag dem Minister contra gegeben hätten. Für Stuttgart 21 verkämpft sich nie- mand mehr, ja man will sich nicht einmal mehr kritisch-konstruktiv mit Ideen befas- sen, die sich im Planungsprozess ergeben. So geschehen nun am Flughafenabschnitt, wo die Bahn von allen Seiten Prügel bezo- gen hat für Überlegungen, ob es auf den Fil- dern nicht auch weniger kompliziert gehen kann. Unklar war, inwieweit sich die Kritik auf die Sache bezog oder sie nur aus dem Ärger speisten, wie die Gedankenspiele an die Öffentlichkeit gelangt sind. Das ist leichtfertig. Denn die Idee eines autobahnnahen Bahnhofs hätte es verdient habt, ernsthaft erwogen statt mit Schlag- wörtern wie vom „Halt auf dem Acker“ dis- kreditiert zu werden. Ob sich der Charakter einer Verkehrsdrehscheibe voll entfaltet, wenn Umsteiger aus einem 26 Meter tief in der Erde liegenden Zughalt ans Tageslicht kommen müssen, wird die Zukunft zeigen. Und spätestens wenn bei der zum Regio- nalbahnhalt aufgebohrten S-Bahnstation abermals die Brandschutzauflagen Proble- me bereiten, wird man sich vielleicht der nun beerdigten Pläne erinnern. Chance vertan Planung Die Idee eines autobahnnahen Halts ist vorschnell beerdigt worden. Von Christian Milankovic Kommentar Neue S-21-Pläne am Flughafen vom Tisch D ie beiden Stationen im Flughafen- bereich von Stuttgart 21 sollen so gebaut werden, wie bislang geplant. Gedankenspiele, einen Halt nördlich der Autobahn auf Höhe des Messeparkhauses zu bauen, sind bei einem Spitzengespräch am Flughafen beerdigt wor- den. Das hat die Bahnprojekt- gesellschaft Stuttgart-Ulm (PSU) am Montagabend be- kannt gegeben. Der Termin für das Treffen stand bereits im Dezember fest. Die nun weiterverfolgten Pläne sehen vor, dass Züge Richtung Ulm und Tübingen in einem Bahnhof 26 Meter unter der Mes- sepiazza halten, Züge der sogenannten Gäubahn in Richtung Bodensee und Schweiz an einem neuen dritten Bahnsteig in der bestehenden S-Bahnstation am Ter- minal. Für den Tiefbahnhof liegt die Bauge- nehmigung vor. Allerdings haben mehrere Verbände gegen diese Entscheidung ge- klagt. Das Verfahren ist beim baden-würt- tembergischen Verwaltungsgerichtshof anhängig. Es gibt noch keinen Termin für eine Verhandlung. Für den als „Dritte- Gleis-Lösung“ apostrophierten Umbau der S-Bahnstation am Terminal ist das Geneh- migungsverfahren erst ange- laufen. Die Bahn hatte den ur- sprünglich 1.3 genannten Ab- schnitt rund um den Flugha- fen im März 2015 in zwei Be- reiche geteilt. Der Fernbahn- hof unter der Messepiazza soll nach bisherigem Planungsstand zusam- men mit dem übrigen neuen Bahnknoten in Betrieb gehen, das dritte Gleis im Termi- nalbereich zwei Jahre später. Ob dieser zeitliche Ablauf auch nach den jüngst be- kannt gewordenen Verzögerungen des Pro- jekts bis 2025 noch gilt, war am Montag- abend nicht zu erfahren. Der Umbau der S-Bahnstation gilt als diffiziles Unterfangen. Zum einen werden im Vorfahrtsbereich der Passagiergebäude große Baugruben geöffnet, was der ohne- hin angespannten Verkehrssituation am Flughafen nicht zuträglich sein dürfte. In der Vergangenheit war die Rede davon, dass die Baustelle 460 Meter lang, 15 Meter tief und 13 Meter breit werde. Eine Unwäg- barkeit ergibt sich auch aus der Frage, ob der Umbau der Station Auswirkungen auf den genehmigten Brandschutz hat und ob dieser aufwendig angepasst werden muss. Am Montag zeigte sich die PSU überzeugt, „dass sie auf Grundlage der derzeitigen Pla- nungstiefe keine durchgreifenden Schwie- rigkeiten bei der von ihr zur Planfeststel- lung beantragten Planung sieht“. Die im November vergangenen Jahres von unserer Zeitung öffentlich gemachten Gedankenspiele sahen einen Halt nördlich der Autobahn vor, den alle am Flughafen haltenden Züge hätten ansteuern sollen. Die Projektpartner vor allem aus Stadt und Region reagierten verschnupft. Sie verwie- sen darauf, dass ein solcher Halt schwerlich die Funktion einer Verkehrsdrehscheibe erfüllen könne. Zu weit seien die Wege zur S-Bahn und zur geplanten neuen Endhal- testelle der Stuttgarter Stadtbahnlinie U 6. Experten des Verkehrsclub Deutsch- land (VCD) konnten der Idee hingegen et- was abgewinnen und verwiesen auf Bei- spiele an anderen deutschen Flughäfen. Zuletzt hatte der Stuttgarter Gemeinderat sich mehrheitlich gegen eine Umplanung am Flughafen ausgesprochen. Filder Die Idee eines Halts nördlich der Autobahn am Airport wird nicht weiter verfolgt. Von Christian Milankovic Die Bahn hält die bisherige Lösung am Flughafen für baubar. Längs der Autobahn wird es am Flughafen keinen Bahnhof geben. Foto: Lg/Max Kovalenko www.stuttgarter-zeitung.de 30. Januar 2018 DIENSTAG 17 STUTTGART STUTTGART STUTTGART STADT, REGION & LAND

DIENSTAG STUTTGART STADT, REGION - … · In Heidelberg redet man den Aufwand nicht klein. ¹Je grûer die Schule, desto mehr muss organisiert werdenª, sagt Fanny ... tausch zwischen

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Page 1: DIENSTAG STUTTGART STADT, REGION - … · In Heidelberg redet man den Aufwand nicht klein. ¹Je grûer die Schule, desto mehr muss organisiert werdenª, sagt Fanny ... tausch zwischen

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LokalredaktionTelefon: 07 11/72 05-12 71/12 72E-Mail: [email protected]

Tatort Schulhof: Was gegen Mobbing hilft

W ieder hat es nicht geklappt. DerJunge, auf dessen Pullover inGroßbuchstaben „Chill“ steht,

ist weit davon entfernt, entspannt zu sein.Er versucht erneut, einen Platz im Stuhl-kreis zu ergattern. Seine Mitschüler rückenraupenartig weiter, von Stuhl zu Stuhl. Sielachen. Er lacht nicht. Es ist nur ein Spiel –doch je häufiger der Siebtklässler scheitert,desto unsicherer wirkt er. Da erlöst ihn sei-ne Klassenlehrerin. Wie es für ihn gewesensei, fragt Friederike Schelkes. „Scheiße“,sagt er. Und für die anderen? Die meistenfanden es „lustig“ – doch nicht alle. Wa-rum? Schon sind sie mittendrin im Thema.

Eigentlich steht Deutsch auf dem Stun-denplan der 7 d des Ludwig-Uhland-Gym-nasiums (LUG). Doch diesmalgeht es nicht um Orthografie, sondern um Olweus. So lautetder Name eines Anti-Mob-bing-Programms aus Skandi-navien, das seit dem Schuljahr2015/16 an dem KirchheimerGymnasium umgesetzt wird.Einmal im Monat haben alleKlassen der Schule eine Ol-weus-Stunde.

Das Gymnasium ist einevon 15 Schulen im Land, die andem von der LandesstiftungBaden-Württemberg finan-zierten Pilotprojekt teilneh-men. Eine Ausschreibung fürweitere Schulen läuft (sieheInfokasten). Das Besonderean Olweus: Alle Akteure sindeingebunden – Lehrer, Schul-sozialarbeiter, Schüler, Eltern. „Es geht umeine Kultur des Hinschauens“, sagt derRektor des LUG, Georg Braun, dem der Prä-ventionsgedanke besonders gefällt. SeineSchule ist nicht mehr und nicht wenigervon Mobbing betroffen als andere. Die He-terogenität der Schülerschaft habe zuge-nommen, auch Cybermobbing sei ein The-ma. Da hätten sie sich gefragt: „Wie könnenwir noch mehr helfen?“, erzählt Braun.

Zwei Lehrerinnen haben sich an derUniklinik Heidelberg, die das auf 18 Mona-te ausgelegte Programm evaluiert, zu Ol-weus-Coaches weiterbilden lassen. Auch Friederike Schelkes, die das Programm vor Ort koordiniert, ist geschult. Regelmäßigtrifft sich das Kollegium, aufgeteilt auf 20Gruppen, um sich auszutauschen. Die Pau-senaufsicht wurde verstärkt. Es gab Eltern-abende und einen Projekttag – alles zusam-men ein Riesenaufwand. Manchen Schulenist dieser zu groß: Eigentlich waren22 Schulen im Programm, sieben sind wie-der abgesprungen.

Das LUG ist mit mehr als 1200 Schülerndie größte Schule, die an Olweus teilnimmt.Der Rektor räumt ein, dass es auch kriti-sche Stimmen gegeben habe. Eigentlichmüssten für so etwas zusätzliche Lehrer-stunden genehmigt werden, meinen auchdiejenigen an der Schule, die voll hinterdem Programm stehen – vor allem, wennOlweus langfristig weiterlaufen solle.

In Heidelberg redet man den Aufwandnicht klein. „Je größer die Schule, desto mehr muss organisiert werden“, sagt FannyOssa von der Kinder- und Jugendpsychia-trie der Uniklinik Heidelberg. Mit ihrerKollegin Vanessa Jantzer koordiniert diewissenschaftliche Mitarbeiterin die Eva-luation. Sie weist auf den ernsten Hinter-grund hin: Mobbingopfer hätten ein erhöh-tes Risiko für Ängste und Depressionen, das könne bis zum Suizidversuch gehen.

Studien bescheinigen Olweus eine hoheWirksamkeit: In Norwegen ließ sich dieZahl an Mobbingopfer mit der Methode umbis zu 70 Prozent reduzieren. Eine Meta-studie hat ergeben, dass Olweus von allen Anti-Mobbing-Programmen die größten

Effekte erzielt. Die bisherigenErgebnisse aus Heidelbergsind positiv: Durch Olweuskönne die psychische Belas-tung betroffener Schüler„deutlich gesenkt werden“,berichtet der StudienleiterMichael Kaess, Sektionsleiterder Kinder- und Jugendpsy-chiatrie. Der Aufwand lohntsich also. Das merkt man auchin Kirchheim. „Es kommenmehr Schüler wegen Mob-bings zu mir – und sie kom-men früher“, berichtet derSchulsozialarbeiter ThiloEhrle. Die Hemmschwelle seigesunken, Hilfe zu holen. „ObKinder oder Lehrer, alle sindachtsamer“, sagt Ehrle. DieLehrerin Eva Wagner, sie ist

Olweus-Coach, berichtet, dass die Lehr-kräfte nun schneller reagierten, die Schüleraber auch schneller einlenkten. Der Aus-tausch zwischen den Kollegen sei größer,sagt Friederike Schelkes, wodurch man als Klassenlehrer bei Mobbingfällen frühereingreifen könne. „Wenn alle Rollen bereitsbesetzt sind, ist es wesentlich schwierigerzu agieren“, erklärt Ehrle, warum das wich-tig ist. Welche Rollen es gibt, das wissen dieSchüler der 7 d genau, das zeigt die Olweus-Stunde: Zuerst spielen sie Mobbing-Situa-tionen vor, danach sortieren sie. Wer warOpfer? Wer Hauptakteur? Wer hat sichnoch beteiligt? Wer zeigte Unbehagen, oh-ne einzuschreiten? Im „Mobbing-Kreis“hat jeder seinen Platz.

Auch bei echten Mobbingfällen greifendie Lehrer auf diesen Kreis zurück. „Beiwem kannst du dir vorstellen, dass er dich unterstützen könnte“, frage sie den Betrof-fenen, erzählt Friederike Schelkes. Mit denAkteuren spricht sie gesondert, ohne Opfer.„Weil man mit der Gruppe arbeitet, ist es soerfolgreich“, sagt die Lehrerin. Dann schil-dere man nicht nur die Situation des Betrof-fenen, sondern versuche, dem Täter eineandere Rolle zu geben. Was könnte er kon-kret für das Opfer tun? Wichtig sei, „nie-manden an den Pranger“ zu stellen. „Dennder Täter ist meistens auch nicht glücklich“,so Schelkes. In manchen Fällen gehe es abernicht ohne Sanktionen.

Pädagogik Das Olweus-Präventionsprogramm soll besonders wirksam sein. Ein Besuch an einer Pilotschule. Von Viola Volland

Mobbing kann mit körperlicher Gewalt einhergehen, muss es aber nicht. Foto: dpa

Mobbing Repräsentativen Umfragen zufolge ist jeder vierte Schüler in Europa von Mobbing betroffen, als Opfer, Täter oder beides zugleich. Cybermobbing ist laut Vanes-sa Jantzer von der Uniklinik Heidelberg aber immer noch die seltenste Form von Mob-bing, soziales und verbales Mobbing trete deutlich häufiger auf. Das Problem: Ein Drittel der Opfer redet mit niemandem über seine Mobbing-Erfahrungen.

Olweus Das Olweus-Pro-gramm wurde in den 1980er

Jahren von dem norwegischen Psychologen Dan Olweus ent-wickelt und seither mehrfach aktualisiert. Es wird von der EU-Kommission in Brüssel empfohlen. Die Schulen wer-den 18 Monate bei der Umset-zung unterstützt, danach soll das Programm selbstständig weitergeführt werden. Geeig-net ist es ab der Klassenstu-fe 3. Bei der Landesstiftung hofft man, sollte die Heidel-berger Studie die Wirksamkeit bestätigen, dass das Kultus-ministerium Olweus aufgreift und an allen Schulen im Land umsetzt und finanziert.

Ausschreibung Aus der Re-gion nehmen bisher drei Schu-len teil: das Gymnasium in Kirchheim/Teck, die Ludwig-Uhland-Schule in Leinfelden-Echterdingen und die Justi-nus-Kerner-Gemeinschafts-schule in Ludwigsburg. Die Landesstiftung ermöglicht weiteren zehn bis 15 Schulen, an dem Projekt teilzunehmen. Interessierte Schulen können weitere Informationen beim Olweus-Team der Uni Heidel-berg bekommen: Telefon 0 62 21 / 5 63 99 54, E-Mail [email protected]. vv

DIE NEUE AUSSCHREIBUNG FÜR DAS PROGRAMM LÄUFT

E s ist erschreckend, wie viele Kinderin ihrem Schulleben von Mobbingbetroffen sind. Egal, auf welche

Schule sie gehen – vor Ausgrenzung ist manam Gymnasium genauso wenig gefeit wie an einer Werkrealschule. Die Folgen für dieOpfer sind lange spürbar, sie können sichnoch im späten Erwachsenenalter zeigen.Jeder Fall, der über die Olweus-Methodeverhindert werden kann, ist Gold wert. Undmit dem Programm lassen sich offenbarviele Fälle verhindern. Es wäre deshalbeine gute Nachricht, wenn das Kultusmi-nisterium das Programm nach der Pilot-phase landesweit ausweiten würde.

Doch die Methode hat in der Praxis eineSchattenseite: Sie ist enorm zeitaufwendig.Momentan geht der Aufwand zulasten derengagierten Lehrkräfte, die an das Pro-gramm glauben. Das hat Folgen: Von22 Schulen haben sieben schon wieder auf-gegeben. Zusätzliche Lehrerstunden sindbisher nicht für Olweus vorgesehen. Die re-gelmäßigen Gruppentreffen, die Gesprä-che, die Lösungsversuche, wenn Mobbinggemeldet wird, was automatisch öfter ge-schieht, wenn Kinder merken, dass sie aufoffene Ohren stoßen – dafür bekommen dieSchulen keinen Ausgleich. Das muss mo-mentan noch extra in der Freizeit laufen.

Auf Dauer wird ein derart aufwendigesProgramm jedoch nur funktionieren, wennauch Lehrerstunden dafür bewilligt wer-den, damit zumindest der Großteil derMehrarbeit aufgefangen werden kann. Das kostet zwar Geld, doch es lohnt sich – nichtnur für den Einzelnen. Denn wenn sich dasSchulklima bessert, profitieren alle davon. Es unterrichtet sich nicht nur leichter, eslernt sich auch leichter.

Gutes Schulklima erleichtert viel

Prävention Es wird sich nurdann ein Erfolg einstellen, wennLehrer Zeit für das Programmbekommen. Von Viola Volland

Kommentar

„Es geht um eine Kultur des Hinschauens.Die Schülerschaftist heterogener geworden.“Georg Braun, Rektor Ludwig-Uhland-Gymnasium

Foto: Viola Volland

M it Stuttgart 21 ist kein Staat mehrzu machen. Das Projekt ist durchwiederholte Verteuerungen und

geplatzte Terminpläne derart in Misskreditgeraten, dass Verkehrsminister WinfriedHermann (Grüne) zuletzt hat zu Protokoll geben dürfen, das Projekt sei und bleibe„eine kapitale und folgenschwere Fehlent-scheidung“, ohne dass die bisherigen Pro-jektbefürworter vom schwarzen Koali-tionspartner oder jene auf den Opposi-tionsbänken im Landtag dem Ministercontra gegeben hätten.

Für Stuttgart 21 verkämpft sich nie-mand mehr, ja man will sich nicht einmalmehr kritisch-konstruktiv mit Ideen befas-sen, die sich im Planungsprozess ergeben.So geschehen nun am Flughafenabschnitt,wo die Bahn von allen Seiten Prügel bezo-gen hat für Überlegungen, ob es auf den Fil-dern nicht auch weniger kompliziert gehenkann. Unklar war, inwieweit sich die Kritikauf die Sache bezog oder sie nur aus demÄrger speisten, wie die Gedankenspiele andie Öffentlichkeit gelangt sind.

Das ist leichtfertig. Denn die Idee einesautobahnnahen Bahnhofs hätte es verdienthabt, ernsthaft erwogen statt mit Schlag-wörtern wie vom „Halt auf dem Acker“ dis-kreditiert zu werden. Ob sich der Charaktereiner Verkehrsdrehscheibe voll entfaltet, wenn Umsteiger aus einem 26 Meter tief inder Erde liegenden Zughalt ans Tageslichtkommen müssen, wird die Zukunft zeigen.Und spätestens wenn bei der zum Regio-nalbahnhalt aufgebohrten S-Bahnstationabermals die Brandschutzauflagen Proble-me bereiten, wird man sich vielleicht dernun beerdigten Pläne erinnern.

Chancevertan

Planung Die Idee einesautobahnnahen Halts istvorschnell beerdigt worden.Von Christian Milankovic

Kommentar

Neue S-21-Pläne am Flughafen vom Tisch

D ie beiden Stationen im Flughafen-bereich von Stuttgart 21 sollen sogebaut werden, wie bislang geplant.

Gedankenspiele, einen Halt nördlich derAutobahn auf Höhe des Messeparkhauseszu bauen, sind bei einem Spitzengesprächam Flughafen beerdigt wor-den. Das hat die Bahnprojekt-gesellschaft Stuttgart-Ulm(PSU) am Montagabend be-kannt gegeben. Der Termin für das Treffen stand bereitsim Dezember fest.

Die nun weiterverfolgten Pläne sehenvor, dass Züge Richtung Ulm und Tübingenin einem Bahnhof 26 Meter unter der Mes-sepiazza halten, Züge der sogenanntenGäubahn in Richtung Bodensee und Schweiz an einem neuen dritten Bahnsteig in der bestehenden S-Bahnstation am Ter-minal. Für den Tiefbahnhof liegt die Bauge-nehmigung vor. Allerdings haben mehrere Verbände gegen diese Entscheidung ge-

klagt. Das Verfahren ist beim baden-würt-tembergischen Verwaltungsgerichtshof anhängig. Es gibt noch keinen Termin füreine Verhandlung. Für den als „Dritte-Gleis-Lösung“ apostrophierten Umbau derS-Bahnstation am Terminal ist das Geneh-

migungsverfahren erst ange-laufen. Die Bahn hatte den ur-sprünglich 1.3 genannten Ab-schnitt rund um den Flugha-fen im März 2015 in zwei Be-reiche geteilt. Der Fernbahn-hof unter der Messepiazza soll

nach bisherigem Planungsstand zusam-men mit dem übrigen neuen Bahnknotenin Betrieb gehen, das dritte Gleis im Termi-nalbereich zwei Jahre später. Ob dieser zeitliche Ablauf auch nach den jüngst be-kannt gewordenen Verzögerungen des Pro-jekts bis 2025 noch gilt, war am Montag-abend nicht zu erfahren.

Der Umbau der S-Bahnstation gilt alsdiffiziles Unterfangen. Zum einen werden

im Vorfahrtsbereich der Passagiergebäudegroße Baugruben geöffnet, was der ohne-hin angespannten Verkehrssituation amFlughafen nicht zuträglich sein dürfte. Inder Vergangenheit war die Rede davon, dass die Baustelle 460 Meter lang, 15 Metertief und 13 Meter breit werde. Eine Unwäg-

barkeit ergibt sich auch aus der Frage, obder Umbau der Station Auswirkungen aufden genehmigten Brandschutz hat und ob dieser aufwendig angepasst werden muss.Am Montag zeigte sich die PSU überzeugt, „dass sie auf Grundlage der derzeitigen Pla-nungstiefe keine durchgreifenden Schwie-rigkeiten bei der von ihr zur Planfeststel-lung beantragten Planung sieht“.

Die im November vergangenen Jahresvon unserer Zeitung öffentlich gemachten Gedankenspiele sahen einen Halt nördlich der Autobahn vor, den alle am Flughafenhaltenden Züge hätten ansteuern sollen.Die Projektpartner vor allem aus Stadt undRegion reagierten verschnupft. Sie verwie-sen darauf, dass ein solcher Halt schwerlichdie Funktion einer Verkehrsdrehscheibeerfüllen könne. Zu weit seien die Wege zurS-Bahn und zur geplanten neuen Endhal-testelle der Stuttgarter Stadtbahnlinie U 6.

Experten des Verkehrsclub Deutsch-land (VCD) konnten der Idee hingegen et-was abgewinnen und verwiesen auf Bei-spiele an anderen deutschen Flughäfen.Zuletzt hatte der Stuttgarter Gemeinderat sich mehrheitlich gegen eine Umplanungam Flughafen ausgesprochen.

Filder Die Idee eines Halts nördlich der Autobahn am Airport wird nicht weiter verfolgt. Von Christian Milankovic

Die Bahn hält die bisherige Lösung am Flughafen für baubar.

Längs der Autobahn wird es am Flughafenkeinen Bahnhof geben. Foto: Lg/Max Kovalenko

www.stuttgarter-zeitung.de30. Januar 2018

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