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D I E T Z E N B AC H 2030 DEFI NITI V UNVO LLENDET Forschungsprojekt des Bundesmi nist eri ums f ür Bi l dung und Forsc hung Im Forsc hungsverbund St adt 2030 Wisse nsc haf tl i c he B egl e i t forsc hung De utsc hes Inst i t ut f ür Urbanist i k B erl i n Projektteam FB St adt pl anung und Baue n, St adtverwalt ung Di e t z e nbac h Johann Wol fgang Goe t he-Uni versi t ät Frankf urt T e c hnisc he Uni versi t ät Darmst adt ro Topos, Darmst adt Dokumentation ro Topos Darmst adt Nove mber 2003 Absc hl ussberi c ht des Forsc hungsproj e kt es

Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

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Abschlussbericht des Forschungsprojektes "Dietzenbach 2030 - definitiv unvollendet" im Rahmen des BMBF Forschungsvorhabens "Stadt 2030".Dietzenbach 2030 hat einen Ansatz entwickelt und erprobt, mit dem ohne gemeindliche Investitionen neue städtebauliche Entwicklungsdynamik in problembelasteten Städten erzeugt werden kann. Dafür wurde ein Verfahren erarbeitet, mit dem die BürgerInnen der Stadt semi-legal leere Flächen besetzen und nutzen können. Unterstützt wurde dieses Verfahren durch eine "Urbane Aktion" in Form einer Installation aus 5000 Holzpflöcken in der Stadtmitte Dietzenbachs: Diese Pflöcke konnten von den BesetzerInnen entnommen werden, um damit den "Claim" abzustecken und zu zeigen, dass es sich hier um einen Teil des Projektes handelt.Langfristig wurde erreicht, dass das Verfahren "Boden gegen Verantwortung" zu festen Entwicklungen geführt hat (z.B. Internationale Gärten Dietzenbach) und der hier erarbeitete Vertragsentwurf bundesweit genutzt und nachgeahmt wurde. Vor allem aber wurde klar, dass in den Städten ein gigantisches Potential an bürgerschaftlichem Engagement schlummert und keinen Betätigungsspielraum hat, meist deswegen, weil Politik und Verwaltung vor dem damit verbundenen vermeintlichen Kontrollverlust zurück schrecken.

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Page 1: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

DIETZENB A CH 2030 DEFINITIV UNVOLLENDET

Forschungsprojekt

des Bundesministeriumsfür Bildung und Forschung

Im Forschungsverbund Stadt 2030

Wissenschaftliche BegleitforschungDeutsches Institut für Urbanistik

Berlin

Projektteam

FB Stadtplanung und Bauen, Stadtverwaltung DietzenbachJohann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Technische Universität DarmstadtBüro Topos, Darmstadt

Dokumentation

Büro Topos

DarmstadtNovember 2003

Abschlussbericht des Forschungsprojektes

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Page 3: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

1 EINLEITUNG Marianne Rodenstein

2 AUSGANGSLAGE

2.1 Entwicklung der heutigen Struktur Dietzenbachs

2.1.1 Entwicklung Dietzenbachs von 1945-1960 Claas B igos

2.1.2 Die Bedeutung von Leitbildern im Städtebau zwischen 1945 und 1965 Stefan Böhm-Ott

2.1.3 Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme Dietzenbach Claas B igos

2 .1 .3 .1 Ziele2 .1 .3 .2 Instrumente2 .1 .3 .3 Zeitrahmen

2.1.4 Umsetzung und Verlauf der Entwicklungsmaßnahme Claas B igos

2 .1 .4 .1 Baustruktur2 .1 .4 .2 Infrastruktur2 .1 .4 .3 Entwicklung der Einwohnerzahl

2.1.5 Partizipation Claas B igos

2 .1 .5 .1 Partizipation innerhalb der Bauleitplanung2 .1 .5 .2 Ausländerbeirat2 .1 .5 .3 Seniorenbeirat

2.2 Bewertung der Folgen: Die aktuelle Situation der Stadt

2.2.1 Die städtebauliche Struktur2 .2 .1 .1 Baustruktur ClaudiaBecker/Martin Wilhelm

2 .2 .1 .2 Fragmentierung2 .2 .1 .3 Fragmentierte Stadtmitte - Verkehrsinfrastruktur Barbara Boczek

2 .2 .1 .4 Rolle in der Region2.2.2 Die Einwohnerinnen und Einwohner Dietzenbachs Stefan Böhm-Ott

2 .2 .2 .1 Gesamtstädtische Merkmale2 .2 .2 .2 Fragmentierungen-Merkmale von Teilräumen

2.2.3 Erste Konsequenzen: Neue Ansätze in der Planung2 .2 .3 .1 Wandel im Bereich der Entwicklungsmaßnahme Claas B igos

2 .2 .3 .2 Wohnvorstellungen2 .2 .3 .3 Abkehr von der Angebotsplanung: Baugebiet 702 .2 .3 .4 Die Agenda-21-Prozess in Dietzenbach Vasili Saridis

2 .2 .3 .5 Der Hessentag als Event

INHALT

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3 PROJEKTBESCHREIBUNG

3.1 Zur Vorgeschichte Claudia Becker/Martin Wilhelm

3.2 Anlass zur Teilnahme am Bundeswettbewerb Stadt 2030 Stefanie Rohbeck

3.3 Problembeschreibung - von Leitbildern zu Diskursen Stefan Böhm-Ott

3.4 Zielsetzungen

3.4.1 Das Erkennen von Potenzialen in der Stadt Claudia Becker/Martin Wilhelm

3.4.2 Ressourcenbewusster Städtebau3.4.3 Veränderter Blick auf die Stadt3.4.4 Handlungsorientierte Partizipation Barbara Boczek

3.4.5 Individuum als Adressat3.4.6 Neue Kommunikationsform

4 PROJEKTREALISIERUNG

4.1 Methodik, Strategie und Genese

4.1.1 Ästhetische Setzung Barbara Boczek/Vasili Saridis

4 .1 .1 .1 Das Medium: Ästhetik und Symbol4 .1 .1 .2 Der Einfluss der Kunst4 .1 .1 .3 Der Grad des Reizes4 .1 .1 .4 Die Partizipation am Aufbau4 .1 .1 .5 Die Ritualisierung der Transformation4 .1 .1 .6 Die Zeichen des Handelns

4.1.2 Die Kampagne "100 Quadratmeter" Claudia Becker/Martin Wilhelm

4 .1 .2 .1 Strategie4 .1 .2 .2 Thema finden-Nerv treffen4 .1 .2 .3 Vorbilder

4.2 Setzung der Stelenreihe Barbara Boczek/Vasili Saridis

4.2.1 Voraussetzungen: Verhandlungen mit der Verwaltung 4.2.2 Entgegensetzung: Kostenfaktor4.2.3 Inszenesetzung des Prozesses4.2.4 Einsetzung: Aufbau der Stelenreihe4.2.5 Entsetzung: Reaktionen4.2.6 Versetzung: Transformation der Stelenreihe4.2.7 Zeichensetzung: Individuelle Teilnahme

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4.3 Öffentlichkeitsarbeit

4.3.1 Faltblatt und Plakate Claudia Becker/Martin Wilhelm

4.3.2 Arbeiten im öffentlichen Raum - der Bauwagen Petra Günther

4 .3 .2 .1 Beschreibung des Ansatzes 4 .3 .2 .2 Struktur des Publikums4 .3 .2 .3 Ablauf der Gespräche

4.3.3 Struktur und Umgang mit Nutzungswünschen Claas B igos/Stefanie Rohbeck

4 .3 .3 .1 Struktur der Nutzungswünsche4 .3 .3 .2 Umsetzungs- und Abstimmungsprozess

4.4 Umsetzungen und Umsetzungspläne der Kampagne "100 qm" Claudia Becker/Martin Wilhelm

4.4.1 Temporäre Flächenbesetzungen4.4.2 Übernahme öffentlicher Aufgaben in Form von

Gestaltung öffentlicher Flächen4.4.3 Veränderung und Umsetzung überambitionierter,

nicht realisierter Planungen

4.5 Die sozialwissenschaftliche Projektbegleitung

4.5.1 Inhaltsanalyse der Presseveröffentlichungen- Öffentliche Diskurse Stefan Böhm-Ott

4 .5 .1 .1 Initiierung von Diskursen4 .5 .1 .2 Diskussion über Nutzungen4 .5 .1 .3 Reflexe: Geldverschwendung, Provokation

und Kunst4 .5 .1 .4 Zentrale Dimension: Das Stelenprojekt

4.5.2 Facetten der Differenz und des Reichtums -die Befragung der Stadtbevölkerung Stefan Böhm-Ott

4 .5 .2 .1 Methodische Anmerkungen4 .5 .2 .2 Quartierstypische Differenzen4 .5 .2 .3 Bewegungsräume in der Stadt4 .5 .2 .4 Wahrnehmung der Stadt4 .5 .2 .5 Wahrnehmung des Projekts Stadt 2030

4.5.3 Befragung der Projektteilnehmerinnen und Projektteilnehmer Petra Günther

4 .5 .3 .1 Nutzungsnachfrage4 .5 .3 .2 Nutzungswünsche4 .5 .3 .3 Strukturmerkmale4 .5 .3 .4 Wahrnehmung von Dietzenbach4 .5 .3 .5 Fazit

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4.5.4 Die Entdeckung des "Reichtums". Die Besonder- Stefan Böhm-Ott/

heiten der Gruppe der Nutzungsinteressierten - Petra Günther/

Vergleich der beiden Befragungsreihen Marianne Rodenstein

4 .5 .4 .1 Sozialstruktur4 .5 .4 .2 Wahrnehmung Dietzenbachs4 .5 .4 .3 Resümee4 .5 .4 .4 Empfehlungen

5 REFLEXION

5.1 Projektergebnisse aus Sicht der Stadt Dietzenbach Claas B igos/Stefanie Rohbeck

5.1.1 Erfolge bei der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger5.1.2 Umgang mit Nutzungswünschen 5.1.3 Defizite in der Stadtentwicklung Dietzenbachs

5.2 Reflexionen aus Sicht des Büro Topos Barbara Boczek

5.2.1 Erreichen der Zielsetzung5.2.2 Individuum und Gesellschaft

5 .2 .2 .1 Überprüfen des Anspruchsdenkens5 .2 .2 .2 Gemeinschaftssymbol und Handlung5 .2 .2 .3 Teilhabe über Individuelles Interesse 5 .2 .2 .4 Chancen für das Gemeinwesen5 .2 .2 .5 Toleranz und Aushandeln

5.2.3 Ästhetische Setzung als geeignetes Instrument5 .2 .3 .1 Spielerischer Input5 .2 .3 .2 Angemessenheit5 .2 .3 .3 Typologischer Vergleich

5.2.4 Übertragbarkeit

5.3 Resümee aus Sicht der Fachgruppe Stadt, TU Darmstadt Claudia Becker/Martin Wilhelm

5.3.1 Was wurde erreicht?5.3.2 Die geänderte Rolle des Städtebauers/ der

Städtebauerin5 .3 .2 .1 Eingeübte städtebauliche Handlungsmuster

revidieren5 .3 .2 .2 Akzeptanz des Vorhandenen

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5 .3 .2 .3 Konkrete Umsetzungen und Vermeidung von Leitbildern

5 .3 .2 .4 Analyse und "positive Provokation"5 .3 .2 .5 Umsetzungsorientierter Prozess und

Umgang mit dem Unerwarteten5 .3 .2 .6 Prozessplanung und städtebauliche Unterstützung5 .3 .2 .7 Betreuung langfristiger Entwicklungen5 .3 .2 .8 Veränderte städtebauliche Sicht

5.3.3 Kritik und Empfehlungen

5.4 Reflexionen aus Sicht der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt Stefan Böhm-Ott/Marianne Rodenstein

5.4.1 Integration5.4.2 Ergebnisse dekonstruktiven Vorgehens5.4.3 Die Verallgemeinerbarkeit des dekonstruktiven

Planungsprozesses

6. ANHANG

6.1 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

6.2 Literaturverzeichnis

6.3 Impressum

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EINLEITUNG

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Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv unvoll-endet" wurde in den Ideenwettbewerb und dieFörderung durch das BMBF als Beitrag zumThema Integration aufgenommen, da die Stadtweithin bekannt ist für ihre räumliche Fragmen-tierung und soziale Segregation. Dank einer1972 begonnenen und auf Grund fehlenderw irtschaftlicher Impulse bis heute nicht abge-schlossenen städtebaulichen Entwicklungsmaß-nahme besteht die Stadt mit fast 33 .000 Ein-wohnerinnen und Einwohnern aus verschiede-nen z. T. nicht zusammenhängenden Quartierenund einer durch Rathaus, Kreishaus und Ein-kaufsmarkt gekennzeichneten Stadtmitte, umdie herum sich Brachen ausbreiten. Als sozialsegmentiert wird Dietzenbach wahrgenommen,weil etwa ein Drittel seiner Bevölkerung einenMigrationshintergrund hat und diese sich spe-ziell in besonderen Quartieren der Stadt sam-melt.Die Ausschreibung des BMBF hatte gefordert,dass Zukunftskonzeptionen und Leitbilder mitvisionärem Charakter entwickelt würden, die alsBewertungsrahmen für aktuelle politische undplanerische Entscheidungen dienen sollten. Eshätte also nahe gelegen, ein Leitbild zum The-ma städtebauliche und soziale Integration amBeispiel Dietzenbach zu entwerfen.Die Entwicklung eines solchen Leitbilds wurdevom Projektteam jedoch als unzureichend fürdie besondere Struktur Dietzenbachs empfundenund in seinem Antrag abgelehnt. Die Entwick-lung eines weiteren Leitbilds, das Sicherheit ineine höchst unsichere Zukunft projizieren sollte,erschien vor den Dietzenbacher Erfahrungen alshöchst zweifelhaft - spiegeln sich in den Struk-turen Dietzenbachs doch die städtebaulichenLeitbilder der vergangenen Jahrzehnte, die einzeitadäquates, flexibles und planerisches Han-deln verhindern. So war es insbesondere dieDietzenbacher Stadtplanung, die, unterstütztvon städtebaulichen und sozialwissenschaft-lichen Argumenten, die Initiierung eines Leit-bildprozesses ablehnte. Auch zu einer Festle-gung auf das Thema Integration fand sich dasProjektteam nicht bereit.

Stattdessen ging das Projektteam davon aus,dass man, wenn man etwas für die Zukunft derStadt tun wolle, zunächst einen Bruch mit allenbisherigen städtebaulichen und sozialwissen-schaftlichen Sicht- und Vorgehensweisen herbei-führen müsse, um darüber Lernprozesse in Gangzu setzen, die der finanziellen Lage der Kommu-ne adäquat sind und den Anforderungen des"aktivierenden Staates" und der Verwaltungsmo-dernisierung entsprechen. Es sollte auch im Vor-aus keine Festlegung auf ein inhaltlich zu bear-beitendes Thema, also etwa der Integration,stattfinden, da das Projektteam die Durchfüh-rung des Projektes als einen offenen dekons-truktiven Prozess plante, bei dem zunächst un-klar war, welches Thema sich in den Vorder-grund schieben würde.Allerdings gab es auch noch andere Vorbehalte,die Stadt Dietzenbach mit dem Thema Integra-tion zu konfrontieren. Ist es wirklich ein Problemfür die Stadt selbst, dass sie von außen alsräumlich fragmentiert und sozial segregiert er-scheint? Wird die Stadt damit nicht mit einemfalschen Maßstab gemessen? Spricht man vonFragmenten und Segregation, so hat man imH intergrund die Vorstellung von etwas Ganzem,Integriertem. Man hat das Bild einer kompaktenund sozial integrierten Stadt vor Augen, dem dieStadt Dietzenbach nicht gerecht werden kann,bzw. dem sie seit 30 Jahren vergeblich nach-läuft.Eine solche Sichtweise brächte für diese Stadtnur das Defizitäre hervor. Das Projektteam woll-te sich jedoch mit dem "Reichtum" der Stadt,mit ihren eigenen Ressourcen befassen. DasProjektteam verband mit diesem Ansatz dieHoffnung, Diskurse über die Defizite der Stadtüberlagern zu können und aus den damit ver-bundenen Selbstblockaden herauszuführen.Damit wollte das Projektteam auch zeigen, wieman aus den eingefahrenen und heute unange-messenen, meist zu wenig flexiblen Gleisen derStadtplanung und der Politik des Versorgungs-staates herauskommen könnte, um solche ge-sellschaftlichen Ressourcen zu mobilisieren, dieder aktivierende Staat auch auf der kommuna-

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len Ebene benötigt. In dem Sichtbarmachenund zutage fördern der für die Stadt aktuell nutz-baren gesellschaftlichen Ressourcen und demAufzeigen eines Weges, wie diese zu aktivierensind, sah das Projektteam ein konkretes und zu-gleich auf die städtische Zukunft gerichtetes Ziel.Insofern wurde im ersten Schritt der Reichtumder Stadt bzw. ihre besonderen Ressourcenidentifiziert: die überdurchschnittlich junge Be-völkerung und der brachliegende Boden. DieseRessourcen sollten dynamisiert werden. Deshalbwurde im zweiten Schritt ein Experiment ent-wickelt, das den besonderen Reichtum Dietzen-bachs an ungenutztem Boden ins öffentlicheBewusstsein hob. Dieses Experiment bestand inder ästhetischen Setzung einer Reihe von 2 .500Holzstelen, die sich durch die Brachen in derStadtmitte Dietzenbachs hindurch zogen und imRahmen des Projekts von interessierten Bürge-rinnen und Bürgern weggenommen und zurkurzfristigen Landnahme, auf dafür von derStadt kostenlos bereitgestellten Flächen von je100 qm, verwendet werden konnten.Die Installation der Stelenreihe und die darananschließende Kampagne für die Nutzung der100 qm Dietzenbach hatten einen großen undso deutlich nicht erwarteten Widerhall. Ca.1 .000 Anfragen von Dietzenbacherinnen undDietzenbachern wurden in einem Bauwagen desProjektteams bearbeitet, der sich in der Näheder Stelenreihe befand. 260 Personen meldetensich mit dem Wunsch einer konkreten temporä-ren Nutzung von 100 qm Dietzenbach. Diesegroße Nachfrage nach Bodennutzung insbeson-dere als Garten- und Grabeland und zum Spie-len für Kinder, die zu gut 80 % von Personenmit Migrationshintergrund geäußert wurde, waran sich bereits ein Erfolg des Projekts. N ichtnur deshalb, weil es einen bislang nicht erkann-ten, vor allem von Musliminnen geäußerten Be-darf zum Ausdruck brachte und das Fehlen derfür diese Gruppe so wichtigen halböffentlichenRäume in der Stadt spiegelte, sondern auch,weil sich bei dieser niedrigschwelligen Ebeneder Ansprache durch Stelenreihe und Bauwageneine sonst nur schwer erreichbare Bevölkerungs-

gruppe äußerte, die der Personen mit Migra-tionshintergrund und hier insbesondere dieFrauen. Auf diese Weise zeigte sich, dass diesonst von der Stadt eher als Belastung empfun-dene arme, kinderreiche Bevölkerung mit Mig-rationshintergrund sich auf Grund ihres beson-ders positiven Bildes von der Stadt Dietzenbachund ihrem Engagement als "Reichtum" der Stadterweisen kann. Die Stadt muß ihre Bürgerinnenund Bürger für deren eigene Interessen aktivie-ren, weil sie als Kommune selbst nicht mehr inder Lage ist, Leistungen im früher üblichenMaße zu gewährleisten.Darüber hinaus wurde ein weiteres Projektzielerreicht. Das Experiment sollte auch eine fürVerwaltung und Politik ungewöhnliche Situationerzeugen, die im dritten Schritt durch Konfron-tation, Konflikt und Aushandlungsprozesse zuungewöhnlichen Lösungen außerhalb der Rou-tine der Ämter führen sollte. An dieser Stelle stieß das Projektteam wiederauf das Thema Integration, hier als Frage, obdas bürgerschaftliche Engagement von Perso-nen mit Migrationshintergrund, die in der Mehr-zahl als türkische und marokkanische Staats-bürgerinnen und Staatsbürger kein Wahlrechthaben, im Rahmen des Projekts 2030 in dieStrategien politisch Verantwortlicher in Dietzen-bach einbezogen würde. Dazu muss man wis-sen, dass zu Anfang des Projekts die Verwal-tungsspitze eher davon ausging, dass der öffent-liche Raum der Stadt mit H ilfe einiger Kunstpro-jekte interessanter gestaltet werden könnte. Dieüberraschend große Nachfrage der Bevölker-ungsschicht mit Migrationshintergrund, die denöffentlichen Raum zur Deckung ihres aktuellenBedarfs in wenig repräsentativer Weise benut-zen wollte, entsprach nun nicht mehr dem In-teresse der Verwaltungsspitze. Schliesslich rück-te damit eine Bevölkerungsgruppe ins Rampen-licht der Stadt, die über Jahre hinaus Teil desschlechten Rufs der Stadt gewesen war. Offen-bar war damit zunächst eine Grenze der politi-schen Integrationsbereitschaft der Aktivitätenvon Migranten erreicht, denn im Zuge der Aus-handlungsprozesse um Parzellen für die zahl-

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reiche Nachfrage wurde von der Verwaltungs-spitze plötzlich eine Kaution für die Vergabe derFlächen verlangt, so dass bis heute nur drei der260 Nutzungsinteressierten die 100 qm Parzel-len zur kurzfristigen Nutzung überlassen werdenkonnte.Allerdings ist nach Ende des Projekts in Dietzen-bach die Diskussion über die Ergebnisse nochnicht abgeschlossen. Seinem Selbstverständnisnach hat das Projekt damit sein Ziel erreicht,einen verallgemeinerbaren Prozess zu entwi-ckeln, der als ein Gleis in die städtische Zukunftgesehen werden kann, da er einen Bruch mitden konventionellen Sichtweisen und Vorgehenin Stadtplanung und Politik des Versorgungs-staates herbeiführt und die daran anschliessen-den Lernprozesse zeigt. Dieser Prozess bestehtaus drei Schritten: Im ersten Schritt wird dervorhandene Reichtum der Stadt identifiziert. Imzweiten Schritt wird dieser Reichtum durch einExperiment veranschaulicht. Im dritten Schrittführen Konfrontation und Konflikt zu Aushand-lungsprozessen. Im Laufe des Prozesses kommtes zu Lernprozessen der beteiligten Bürgerschaft,der Verwaltung und der Politik. Aber dieser Pro-zess hat auch die Grenzen aufgezeigt, die imlandläufigen Verständnis von Integration einerBevölkerung mit Migrationshintergrund beste-hen. Vereinfacht gesagt: Integration ist dann ambesten gelungen, wenn sich diese Bevölkerungan die Normen und Werte der Mehrheitsbevöl-kerung anpasst und so in ihr leben kann, dasssie nicht mehr als fremdes Element thematisiertwird. Die Projektergebnisse legen nahe, dassdieses Integrationsverständnis - sei es fürsorgendpaternalistisch oder einfach als Anpassungs-druck einer Leitkultur gedacht - nicht adäquatist. Die Wertschätzung, die die nutzungsinteres-sierten Personen mit Migrationshintergrund imRahmen des Projektes der Stadt Dietzenbachentgegenbrachten, zeigt, dass sie sich auf ihreWeise integriert fühlen. Integriert in die Räumeund Nachbarschaften, die ihnen zur Aneignungzur Verfügung stehen und in denen ihnen Raumgeboten wird, ihre mitgebrachte Identität unterveränderten Bedingungen zu leben. Es zeigt

sich, dass hier ein großes Potenzial sozial kom-petenter Organisation der eigenen Interessen vor-handen ist, das politisch zu nutzen langfristigim Interesse der Stadt liegen muss (auch wennes sich hier häufig nicht um Wählerinnen undWähler handelt), denn sonst werden vorhande-ne Ressourcen an Engagement in und für dieStadt verschleudert.

Zusammengefasst lauten die Erkenntnisse zumThema Integration folgendermaßen:

1 . Begriffe wie räumliche und soziale Fragmen-tierung, Segmentierung oder Segregation impli-zieren immer auch eine Vorstellung von Ganz-heit und möglicher Integration der Teile in diese.Deshalb beschreiben sie eher Defizite an einemGanzen, Integrierten. Da man aber von einerintegrierten, irgendwie eine Ganzheit darstellen-den Stadtgesellschaft nicht ausgehen kann, sinddiese Begriffe als Beschreibung städtischer Situ-ationen nicht geeignet bzw. ideologisch in demSinn, dass sie auf der Entdeckung von Defizitä-rem beharren. Das Projekt hat deshalb nicht mitdiesen Begriffen operiert und sich auch nichtauf "Integration" als politische und soziale Ziel-perspektive des Projekts eingelassen.

2 . Unerwarteterweise ist es gelungen, durch denniedrigschwelligen Kommunikationsansatz überdie ästhetische Setzung, das Bauwagenbüro unddas Angebot der Inanspruchnahme von Flächeneine Gruppe mit Migrationshintergrund zu Inter-essenbekundungen am Boden der Stadt zu akti-vieren, die aus Sicht der Politik eher randstän-dig ist, sich aber - wider erwarten - als Gruppemit positiver Bindung an die Stadt und hoherOrganisationsbereitschaft erwies, die das Pro-jektteam zum "Reichtum der Stadt" zählte.

3 . Dies stellt eine Herausforderung an das Ver-ständnis der Politik hinsichtlich der Einbezie-hung von Menschen mit Migrationshintergrunddar: Wer gehört zur Dietzenbacher Gemeinde,welche Interessen sollen gehört und berücksich-tigt werden, etwa auch solche von N ichtwahlbe-

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völkerung? Das Projekt konnte nicht mehr tun,als einen solchen für die Zukunft wichtigen Aus-einandersetzungsprozess um politische Akzep-tanz der artikulierten Bedürfnisse von Personenmit Migrationshintergrund exemplarisch anzu-stoßen. Entschieden werden muss er in derStadt Dietzenbach.

Projektteam

Stadt Dietzenbach Lic. rer. reg. Angela BernhardtDipl.-Ing. Claas BigosDipl.-Ing. Burkhard HuhnDipl.-Ing. Stefanie Rohbeck

Büro Topos, Darmstadt Dipl.-Ing. Barbara BoczekDipl.-Ing. Vasili Saridis

Fachgruppe Stadt der TU Darmstadt Dipl.-Ing. Claudia BeckerProf. Stephan GoernerDipl.-Ing. Martin Wilhelm

Fachbereich Gesellschaftswissenschaften derJohann Wolfgang Goethe-Universität FrankfurtDipl.-Soz. Stefan Böhm-OttPetra Günther, M.A.Prof. Dr. Marianne Rodenstein

DankDas Projektteam dankt insbesondere dem ehe-maligen Mitarbeiter des Fachbereichs Stadt-planung und Bauen der Stadt Dietzenbach,Georg Latocha, sowie Dr. Andreas Pott vomFachbereich Gesellschaftswissenschaften derJohann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt,ohne deren Kraft und Ausdauer das Projektkaum in die Förderung des BMBF gekommenwäre.

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AUSG ANGSLA GE

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2.1.1 Entwicklung Dietzenbachsvon 1945 - 1960

Ende 1945 lebten in Dietzenbach 3 .760 Ein-wohnerinnen und Einwohner.1 Die Gemeindewar zu diesem Zeitpunkt bereits über den histo-rischen eiförmigen Ortskern hinausgewachsen:So gab es seit den dreißiger Jahren Siedlungs-ansätze in Steinberg und entlang der FrankfurterStraße (sog. "Randsiedlung"). Zu dieser Zeitwurden neue Siedlungskonzepte in Dietzen-bach erprobt: Statt der Erweiterung des beste-henden Haufendorfes wurde eine aufgelockerteBauweise entlang geradliniger Straßenzüge be-vorzugt.Durch Zuweisung von F lüchtlingen und Vertrie-benen stieg die Einwohnerzahl seit Ende desKrieges bis 1950 auf über 4 .700 an. Die Ein-quartierungen löste eine drückende Wohnungs-not aus, welche eine rege Bautätigkeit zur Folgehatte und eine neue Phase der Ortsentwicklungeinleitete.Im Zuge der Flurbereinigung, welche im Jahr1952 in Dietzenbach begann, wurde die Ge-markung in Bauland, Gewerbeflächen und Ag-rarland aufgeteilt, was die Planung für die zu-künftige Ortsbebauung ermöglichen sollte. Umeine rationellere landwirtschaftliche Ausnutzungder Ackerflächen zu ermöglichen, sollte außer-dem der durch das Realerbentum zersplitterteund über die gesamte Gemarkung verteilteStreubesitz der Dietzenbacher Landwirte zusam-mengelegt werden. Die weit verstreuten undkleinen Ackerstücke konnten zum einen nichtmaschinell bewirtschaftet werden, zum anderenwaren die Anfahrtswege zu lang. Nach undnach wurden die Höfe im Ortskern, die nichtmehr den Ansprüchen der Zeit genügten, anden Ortsrand verlegt.Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Dietzen-bach auch eine dynamische wirtschaftliche Ent-wicklung. 1945 mussten 76 % der Erwerbstä-tigen vor allem nach Frankfurt und Offenbachauspendeln. Nach dem Krieg bildeten sich vielehandwerkliche Kleinbetriebe. Ab 1956 siedeltensich in Dietzenbach die ersten Industriebetriebe

an. Von 1956 bis 1967 siedelten sich 33 In-dustriebetriebe an, die nicht nur Dietzenbache-rinnen und Dietzenbachern, sondern auch Ein-pendlerinnen und Einpendlern Arbeit boten(1964: 546).Mit dem Anwachsen der Gemeinde wurde derAusbau der Versorgungs- und Infrastrukturmaß-nahmen erforderlich. In den sechziger Jahrenwar Dietzenbach einerseits eine dynamische,vitale und stark expandierende Kommune, dieandererseits von extremen Zersiedlungstenden-zen und einem zunehmenden Rückgang derLandwirtschaft geprägt war. Die DietzenbacherGemeindeführung verfolgte sehr ehrgeizige Zieleund ließ seit Mitte der sechziger Jahre von derVerwaltung ein Konzept für die Gesamtentwick-lung des Ortes erarbeiten: Den Flächennutzungs-plan 1966 und den Gesamtaufbauplan. Als Pla-nungsziel für die achtziger Jahre wurde eine Ein-wohnerzahl von 50 .000 , als Endziel 60 .000Einwohnerinnen und Einwohner angestrebt. DieZielzahl von 60 .000 Einwohnerinnen und Ein-wohnern wurde später im Rahmen der Planungder städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme inDietzenbach wieder aufgegriffen.Zusammenfassend kann festgehalten werden,dass Dietzenbach seit dem Ende des ZweitenWeltkrieges von Wachstum und dynamischerEntwicklung geprägt ist, welche spätestens seitden sechziger Jahren innerhalb der Gemeindeals politisch gewollt angesehen werden kann.Diese dynamische Entwicklung ging der Ernen-nung Dietzenbachs als Siedlungsschwerpunktim Ballungsraum Rhein-Main voraus.Da eine detaillierte Beschreibung der Entwick-lung Dietzenbachs nach dem Zweiten Weltkriegden Rahmen dieser Arbeit sprengen würde,werden einige Stationen aufgezählt, welche diesprunghafte Entwicklung Dietzenbachs bis zuBeginn der städtebaulichen Entwicklungsmaß-nahme2 dokumentieren.

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2.1 ENTWICKLUNG DER HEUTIGENSTRUKTUR DIETZENBA CHS

1 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach 775 Jahre Dietzen-bach, Dietzenbach 1995 , S. 352-358 , 365 , 392-394 , 398-400 .

2 Kap. 2 .1 .3 .

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17

3 Ebd.

Tab. 1: Einige Stationen der Entwicklung Dietzenbachs nach dem Zweiten Weltkrieg3

Jahr

194519481950195219541956

1960

19621963

19641965

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3 .7604 .5654 .7714 .9595 .2355 .479

6 .290

7 .0757 .595

8 .2829 .114

10 .04011 .15213 .600

19 .568

Ereignisse

Demokratischer Neuanfang auch in DietzenbachFertigstellung der Siedlung "Am H interwald" mit 13 DoppelhäusernBau entlang der Spessartstraße in SteinbergBeginn der FlurbereinigungEinweihung des WaldstadionsInbetriebnahme des ersten Industriebetriebes in Dietzenbach(Kalksandsteinwerk Willersinn)Die ersten Gastarbeiter kommen nach DietzenbachErweiterungsbau der "Neuen Schule" (heute: Dietrich-Bonhoeffer-Schule)Eröffnung der ersten KindertagesstätteBeginn des planmäßigen Ausbaus der Trabantensiedlung "WaldsiedlungHexenberg"Beginn des Baus der ersten Hochhäuser in SteinbergDietzenbach bietet 546 Einpendlern einen ArbeitsplatzInbetriebnahme der KläranlageEröffnung des Altenwohnheims in der FriedensstraßeDie Zahl der Gastarbeiter steigt auf über 500Eröffnung des Bildungs- und Freizeitheims "Falkenheim"In Dietzenbach gibt es 298 GewerbebetriebeStadtwerdungIn Dietzenbach gibt es 470 GewerbebetriebeTeile Dietzenbachs werden zum Entwicklungsbereich erklärt

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2.1.2 Die Bedeutung von Leit-bildern im Städtebau zwischen1945 und 1965

Leitbilder lassen sich prinzipiell aus zwei Pers-pektiven betrachten. Sie können normativ inhandlungsorientierender Funktion generiert wer-den, um Ziele zu definieren, um Handlungswei-sen einen Korridor zu öffnen und auch, um Kon-flikte zu harmonisieren. Leitbilder in diesem Sin-ne dienen dazu, die Zukunft zu strukturieren.Deshalb haben sie in ihrem Kern ein strategisch-normatives Moment.Leitbilder lassen sich aber auch analytisch expost feststellen, herausdestillieren und verdich-ten, ohne dass sie je so formuliert wurden. Siesind etwa als Ergebnis der Handlungsweisen ineiner Epoche feststellbar. Leitbilder sind mitun-ter analytische Artefakte. Marianne Rodensteinhat deren Bedeutung prägnant benannt:"In Annäherung an ein komplexes, ökonomi-sche, politische, soziale und kulturelle Dimen-sion gesellschaftlichen Wandels einbeziehendesErklärungsmodell für die baulich-räumlicheStadtentwicklung wird hier der Zusammenhangzwischen baulich-räumlicher Stadtgestaltungund gesellschaftlichem Wandel von den Städte-bau- bzw. Stadtplanungskonzepten her aufge-schlüsselt. Realisierte Stadtkonzeptionen, derenEntwürfe einzelnen Personen oder Gruppen zu-zuschreiben sind, stellen in dieser SichtweiseVehikel der Umsetzung von neuen gesellschaft-lichen Problemlagen in Möglichkeiten der bau-lich-räumlichen Stadtentwicklung dar. Sie kön-nen deshalb als historisch-spezifische Bindeglie-der zwischen Gesellschafts- und Stadtentwick-lung analysiert werden."4

Betrachtet man das Beispiel der Stadtentwick-lung Dietzenbachs, so kann man trefflich dasfeststellen, was seit nunmehr 15 Jahren als"Leitbilder des Nachkriegsstädtebaus" verhandeltwird. Was sind nun, in aller Kürze betrachtet,diese Leitbilder und ihre zentralen Kategorien?Schlaglichtartig handelt es sich um die Leitbil-

der, die unter den Slogans "Die gegliederte undaufgelockerte Stadt"5, "Die autogerechte Stadt"6

und "Urbanität durch Dichte"7 verhandelt wur-den und werden. Diese Leitbilder werden hiernicht in ihren Facetten entwickelt, vielmehr wer-den ihre Gemeinsamkeiten dargestellt, die nachbald zwanzigjähriger Diskussion fast wie Bana-litäten klingen:

• Im Zentrum all dieser Leitbilder steht die funk-tionale Entmischung, gemeinhin als funktionaleDifferenzierung benannt. Die nachhaltige Wir-kung der Industrialisierung und deren Effekt dessprunghaften Wachstums der Agglomerations-räume ohne eine als adäquat angesehene Infra-strukturentwicklung in Sachen Hygiene, Verkehrund Wohnungsentwicklung brachte die Maximeder räumlichen Entmischung hervor. Die Schaf-fung reiner Gewerbe- und Wohngebiete sowieQuartiere mit weiteren Sonderfunktionen findensich in allen Konzepten des Nachkriegsstädte-baus.

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4 Rodenstein, Marianne; Städtebaukonzepte - B ilder für den baulich-räumlichen Wandel der Stadt, in: Häußermann u.a., Stadt und Raum; Pfaffenweiler 1991 , S. 31-67 , 31 .

5 Göderitz, Rainer, Hoffmann; Die gegliederte und aufgeloc-kerte Stadt; Tübingen 1957 .

6 Reichow, Hans-Bernhard, Die autogerechte Stadt; Ravens-burg 1959 . Interessant sind hier sicher die modellmäßig realisierten Beispiele der Sennestadt in B ielefeld und derLimesstadt in Schwalbach am Taunus, vgl. hierzu: Bölts,Reinhard A. Modell einer Wohnstadt - Schwalbach am Taunus; Frankfurt 1975 .

7 Vgl. hierzu die Diskussionen und Realisierungen der sechzi-ger bis etwa erste Hälfte siebziger Jahre, so etwa: Bahrdt, Hans-Paul, Die moderne Großstadt; Hamburg 1961;Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte;Frankfurt, 1965 . Als Beispiel der zwanziger Jahre, jedocherst unter den Bedingungen der Nachkriegsmoderne in der Frankfurter Nordweststadt realisiert: Schwagenscheidt, Walter; Die Raumstadt; Heidelberg 1949 . Klassisch undfrüh sehend, kritisch schlechthin: Jacobs, Jane; Tod undLeben großer amerikanischer Städte, Frankfurt/Berlin 1963;original: New York 1961 . Als Beispiel für die Analogien imDDR Städtebau dieser Zeit: Kröber, Gerhard; Das städte-bauliche Leitbild zur Umgestaltung unserer Städte. Dargestellt am Beispiel der Stadt Halle; Berlin 1980 .

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• Zweites Merkmal ist der Umgang mit der zu-nehmenden individuellen Motorisierung. Die Be-wältigung der ungekannten Verkehrsmassen fin-det sich seit Mitte der fünfziger Jahre in allenKonzepten vor allem als technisch-planerisch zulösendes Problem wieder. Die Vorstellung, dassdie Zonierung der Räume Verkehr als Problemweiter verstärken könnte und zudem zu unge-wollten Effekten wie dem Verlust nachbarschaft-licher Beziehungen, der Verinselung von Lebens-welten und damit zur Auflösung städtischerStrukturen sui generis führen könnte, ist als do-minierendes Thema letztlich erst seit den acht-ziger Jahren in den Städtebau eingezogen.

• Differenziert ist in diesen Konzepten die Be-urteilung von Wohndichten und großstädtischenStrukturen zu beurteilen. Verfolgte man anfäng-lich in der Tendenz großstadt-auflösende Ideen,etwa mit dem Konzept der gegliederten undaufgelockerten Stadt, so stellte man bald diedamit verbundene Anonymisierung und Entpoli-tisierung als Problem fest. Somit wurde Urbani-tät durch Dichte zum Thema der späten sechzi-ger Jahre.

Wie in obigem Zitat benannt, tragen analytischeLeitbilder immer auch die Reflektion gesell-schaftlichen Wandels und dessen Bearbeitungin sich. Gesellschaftswissenschaftler haben ver-sucht, für diesen Wandel unter dem Stichwort"Theorie der Regulation"8 einen Analyserahmenzu entwickeln, der zentralen Dimensionen undauch feststellbaren Brüchen Rechnung trägt, imhiesigen Fall also städtebauliche Leitbilder auchgesellschaftlich zu verorten vermag.Zentrale Analysegegenstände dieses Ansatzessind die Ausprägungen der Arbeitsbeziehungen,der Intensität und Tiefe staatlicher Regulierungs-versuche, der dominierenden Konsummusterund der Symbole der Repräsentation. Kurz gefasst sprechen wir mit dem betrachtetenZeitraum der Nachkriegszeit bis Mitte der siebzi-ger Jahre von der Phase des Fordismus. Kenn-zeichnen lässt sich diese durch einen stark kor-poratistisch engagierten Staat, wesentlich kon-

fliktfrei geregelte Arbeitsbeziehungen in einer so-genannten Sozialpartnerschaft zwischen Ge-werkschaften und Unternehmen, einen zuneh-menden Trend zum Massenkonsum bei standar-disiert und arbeitsteilig hergestellten Massenpro-dukten. Wendet man diese skizzenhafte Vorstel-lung auf räumlich relevante Phänomene an, solassen sich folgende Punkte benennen:

• Auf der Ebene des Bauprozesses lässt sichein Trend zur Rationalisierung und Typisierungvon Konstruktions- und Bauweisen feststellen,der der Anforderung Rechnung tragen soll, fürmöglichst viele Wohnungssuchende im Nach-kriegsdeutschland modernen Wohnraum zur Ver-fügung zu stellen. Dies findet unmittelbar seinenN iederschlag in der gebauten Architektur unddem zu Grunde liegenden Städtebau. Dominie-rendes Konsumziel - bei weitem nicht durchge-hend realisiert - ist das Eigenheim, mindestensaber das Wohnen im Neubau.

• Auch die Akteure verändern sich in dieserZeit. Zunehmend sind es Großunternehmen, oft-mals aus der Nähe des politischen Raums (Lan-desgesellschaften wie die Nassauische Heim-stätte, Gewerkschaftsunternehmen wie dieNeue Heimat), die an Relevanz gewinnen. H ierbilden sich auf Grund der Nähe korporatistischeMuster heraus, die einerseits die Durchsetzungvon Entwicklungen vereinfachen, andererseitszu einem sich verselbstständigenden Trend inder Entwicklung führen, dessen mangelnde An-passungsfähigkeit in den siebziger Jahren zu Kri-senerscheinungen wie Wohnungsleerstand, Neu-bau von Krisenquartieren und öffentlicher The-matisierung von Verfilzung führen.

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8 Insbesondere im französischen Sprachraum wurde dieser theoretische Ansatz begründet, vgl. stellvertretend etwa: Lipietz, Alain; Mirages and Miracles. The Crisis of global Fordism; London 1987 . Bezogen auf die bundesdeutscheEntwicklung: H irsch, Joachim; Das neue Gesicht des Kapi-talismus; Hamburg 1986 . Bezogen auf räumliche Phäno-mene u.a. die Arbeiten von Leborgne/Lipietz; Hellbrechtoder auch Zukin. Im weiteren Sinne auch: David Harvey;The condition of postmodernity. An enquiry into the originsof cultural change; Oxford 1989 .

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• Auch im Rahmen öffentlichen Planungsrechtsund dessen Praxis finden sich Anpassungen undInnovationen, die den neuen AnforderungenRechnung tragen. Dies ist am Deutlichsten mitder Einführung des Bundesbaugesetzes 1960zu sehen, das sowohl Verfahren festschreibt alsauch normative Zielsetzungen definiert. In die-sem Sinne ist auch hier von einer Rationalisie-rung zu sprechen. Bedeutsam ist ebenfalls diezunehmende Integration der unterschiedlichenstaatlichen Ebenen in den Bereich zentralstaat-licher Steuerung. Spätestens mit der Beschluss-fassung über das Stabilitätsförderungsgesetz imJahre 1967 wird der Anspruch rationaler Pla-nung auch auf den Anspruch staatlicher Steue-rung ausgeweitet. Für die Planung realisieren-den Akteure - meist die Kommunen - bedeutetdies neben der planerischen nun auch einerecht weitgehende ökonomische Integrationüber Förderprogramme in den korporatistischenStaat, die sich auch in Bereichen der Sozialpo-litik und dem sozialen Wohnungsbau feststellenlässt.

Die Brüchigkeit der Phase des Fordismus unddamit auch der mit ihr verbundenen Leitbilderzeigt sich insbesondere in Dimensionen der zu-nehmenden Weltmarktintegration und damit ver-bundener Erosion der Konkurrenzfähigkeit west-licher Industriegesellschaften in ehemaligenKernbereichen ihrer Ökonomie, Differenzierungvon Konsummustern, der Differenzierung vonLebensstilen, ökologischen Problematisierungensowie der eingeschränkten Steuerungsfähigkeitder Nationalstaaten.Insbesondere die innere Ausdifferenzierung west-licher Gesellschaften bringt Phänomene mitsich, die die bis dato gültigen räumlichen Leit-bilder hinterfragen und deren Standardisierungs-vorstellungen erodieren. Aber auch die ökologi-schen Folgen des vermeintlich rationalen Wach-stums und der Funktionsdifferenzierung vonRäumen stellen Fragen an die bisherigen räum-lichen Entwicklungen. Im Rahmen der allzustarren Leitbilder sind diese nicht befriedigendzu beantworten, wie eben auch das Beispiel

Dietzenbach zeigt.Das Projektteam hat deshalb auf die Formulie-rung räumlicher Zielsetzungen und damit auchräumlicher Leitbilder explizit verzichtet. Die Ab-lehnung der Entwicklung eines Leitbildes fürDietzenbach 2030 folgte schließlich auch ausder Überlegung, dass die Normvorstellungenvon der Zukunft einer Stadt nicht wieder außer-halb des Dietzenbacher politischen Systems for-muliert werden sollten, sondern dass vielmehreine Rückbesinnung auf eigene Ressourcen er-folgen muss. Im Nachhinein ist zu bilanzieren,dass die Fremdbestimmung der Stadt durch För-derungsprogramme auf den unterschiedlichstenEbenen wesentlichen Anteil am schlechtenImage der Stadt hat.Zudem bestand von planerischer wie von städti-scher politischer Seite kein Interesse an einemProjekt, das sich erneut mit einem normativ-handlungsleitenden Leitbild befasst.Vielmehr hat man sich im Rahmen der Projekt-entwicklung, wenn überhaupt, auf die Begriff-lichkeit eines prozessualen Leitbilds orientiert,dessen Differenz zu anderen Arten von Leitbil-dern in seiner perspektivisch-handlungsleiten-den Dimension liegt und nicht in der perspek-tivisch-bildhaften, wie dies bei allen anderender Fall ist.

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Abb. 1. Luftbild Stadt Dietzenbach

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2.1.3 Städtebauliche Entwicklungs-maßnahme Dietzenbach

Auch wenn Frankfurt am Main nach dem Zwei-ten Weltkrieg nicht - wie ursprünglich vielfachspekuliert wurde - zur Hauptstadt des neu ge-bildeten westdeutschen Staates wurde, so ent-wickelte sich das Rhein-Main-Gebiet in den An-fangsjahren der Bundesrepublik zum bedeu-tendsten Wachstumsschwerpunkt des Landes.9

Die Stadt Frankfurt verzeichnete enorme Bevöl-kerungszuwächse und wucherte in das Umlandaus.10 Mit dem Wachstum der Region gingen er-hebliche Zersiedelungstendenzen einher, beidenen überörtliche Belange häufig vernachläs-sigt wurden und gravierende Fehlentwicklungenabsehbar waren. Um dieser problematischenEntwicklung begegnen zu können, wurde es alsnotwendig erachtet, die weitere Siedlungsent-wicklung zentral zu steuern. Daher wurde 1965die Regionale Planungsgemeinschaft Untermain(RPU) gegründet, welche den ersten regionalenRaumordnungsplan (1967) erarbeitete. In ihmwurden anhand festgesetzter Kriterien wie bis-herige Eigenentwicklung, verkehrsgeographischeLage, Gemarkungsfläche, Wohn- und Freizeit-wert11 zunächst einundzwanzig, später siebensog. "Siedlungsschwerpunkte" definiert, auf wel-che sich die weitere Siedlungsentwicklung zukonzentrieren habe.12 Mit dem Ziel, im Ballungs-raum jeweils eigenständige, in sich lebensfähigeStädte mit den Funktionen Wohnen, Arbeiten,(Nah)Versorgung und Freizeit aufzubauen, solltedie weitere Entwicklung der Siedlungsschwer-punkte von Bund und Land besonders gefördertwerden.13 Identitätslose, nach rein ökonomi-schen Gesichtspunkten errichtete Schlafstädte,mit denen man zu diesem Zeitpunkt auchschon erste Erfahrungen gemacht hatte, solltenvermieden werden. Aufgrund seiner bis dahindynamischen Entwicklung und seines enormenWachstums14 kam Dietzenbach bereits frühzeitigin die engere Wahl und wurde 1971 nebenacht weiteren Kommunen als Siedlungsschwer-punkt ausgewiesen.15

Ebenfalls 1971 trat das Städtebauförderungs-gesetz (StBauFG)16 als Bundesgesetz in Kraft.17

Es stellte ein gegenüber dem Bundesbaugesetz(BBauG) räumlich und sachlich abgegrenztesSonderrecht für städtebauliche Sanierungs- undEntwicklungsmaßnahmen dar.18 Während dieBauleitplanung als reine "Angebotsplanung" dieUmsetzung i.d.R. privaten Bauherren überlässtund diesen für die Bodennutzung lediglicheinen rechtlichen Rahmen setzt, zeichnen sichSanierungs- und Entwicklungsmaßnahmendurch ein hohes öffentliches Engagement aus:Die öffentliche Hand leitet die Umsetzung derMaßnahmen und fördert diese auch finanziell.19

Mit dem Instrument der "Städtebaulichen Ent-wicklungsmaßnahme" wurde die Möglichkeitgeschaffen, sog. "Entwicklungsbereiche" festzu-

21

9 Vgl. Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesell-schaft (DSK).

10 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach; 775 Jahre Dietzen-bach, Dietzenbach 1995 , S. 406; Bundesministerium fürRaumordnung, Bauwesen und Städtebau; StädtebaulicheEntwicklungsmaßnahmen nach dem Städtebauförderungs-gesetz - B isherige Praxis und zukünftige Aufgaben, Bonn 1985 , S. 56; Technische Universität Darmstadt, Fach-gruppe Stadt; Mitte - Entwürfe für die leere Mitte im Zen-trum Dietzenbachs, Broschüre zur Ausstellung "Dietzen-bach - die zentrale Frage", Darmstadt 1998 , S. 5 .

11 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.12 Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und

Städtebau, a.a.O.13 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O. sowie Bundes-

ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,a.a.O.

14 Vgl. Kap. 2 .1 .1 .15 Insgesamt standen 21 Gemeinden als Siedlungsschwerpunk-

te zur Auswahl; vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.16 Das Städtebauförderungsgesetz ist mit dem Bundesbauge-

setz im Baugesetzbuch (BauGB) vom 08 .12 .1986 zusam-mengefasst worden.

17 Vgl. Technische Universität Darmstadt, Fachgruppe Stadt, a.a.O.

18 Vgl. Lüers, Hartwig; Die Neufassung des Baugesetzbuchsdurch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 , in: VerlagDeutsches Volksheimstättenwerk; Das Baugesetzbuch und das Raumordnungsgesetz, Die Neufassung und Neurege-lung 1998 , Bonn, 1998 , S. 7 .

19 Vgl. Söfker, Wilhelm; Einführung, in: Verlag Ch. H . Beck / Deutscher Taschenbuchverlag, BauGB - Baugesetzbuch, BaunutzungsVO, PlanzeichenVO, WertV u. -Richtlinien, Raumordnungsgesetz, München 2000 , S. XI.

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legen, in denen umfangreiche Stadterweiter-ungen stattfinden sollten. Ist ein Entwicklungs-bereich in einer Kommune festgelegt worden, soerhielt die Gemeinde hier besondere Pflichtenund Befugnisse:20

• Pflicht zum Grunderwerb zu einem vom Gut-achterausschuss festgelegten Grundstücks-preis,

• planerische Entwicklung und Erschließung der Grundstücke,

• Vorkaufsrecht,• Veräußerung der Grundstücke zu einem eben-

falls vom Gutachterausschuss festgelegtenGrundstückspreis.

Der Veräußerungspreis lag deutlich über demAnkaufspreis der Grundstücke, so dass die Ge-meinde aus diesem Planungswertgewinn dieUmsetzung der städtebaulichen Entwicklungs-maßnahme finanzieren konnte. Aufgrund einespauschalen Gutachtens der Hessischen Landes-treuhandanstalt, welche für den Fall Dietzen-bach bei einem Ankaufspreis von 30 DM/m²und einem Verkaufspreis von 150 DM/ m² ei-nen Überschuss von 48 Millionen DM ermittel-te, wurde Dietzenbach am 16 .01 .1973 durchRechtsverordnung der Hessischen Landesregie-rung als erste Stadt in Hessen zum "Entwick-lungsbereich" nach dem Städtebauförderungs-gesetz erklärt.21 Mit 796 ha Größe, was unge-fähr einem Drittel der Gemarkungsgröße ent-spricht, war und ist die Dietzenbacher Entwick-lungsmaßnahme eine der größten überhaupt inder Bundesrepublik.22 Mit dem Eintrag des Ent-wicklungsvermerks auf den Grundstücken imEntwicklungsbereich durch das zuständige Amts-gericht kam der private Grundstücksverkehr, derzu diesem Zeitpunkt bereits spekulative Zügeangenommen hatte, im Entwicklungsbereichquasi zum Erliegen. 23

Da die Stadt Dietzenbach die Entwicklungsmaß-nahme nicht eigenständig durchführen durfte,wurde mit der weiteren Durchführung, insbe-sondere Ankauf, Entwicklung und Verkauf derGrundstücke, die Deutsche Stadtentwicklungs-und Kreditgesellschaft (DSK, heute: DeutscheStadt- und Grundstückentwicklungsgesellschaft)

als Treuhandgesellschaft beauftragt.24 Ein ent-sprechender Treuhandvertrag wurde im Juli1973 geschlossen.

2.1.3.1 ZieleZiel der Entwicklungsmaßnahme war und ist dieSchaffung einer Entlastungsstadt für die Groß-städte des Rhein-Main-Gebiets, welche den An-forderungen nach Wohnen, Arbeiten und Frei-zeitnutzung gerecht wird. Das Ziel der Ansied-lung von Wohnbevölkerung, Arbeitsplätzen undInfrastruktureinrichtungen wurde von der Stadtvon Anfang an mitgetragen. Erreicht werdensollten diese Ziele mit folgenden Maßnahmen,welche auf dieser konkreteren Ebene die städte-baulichen Ziele der Entwicklungsmaßnahmedarstellen25:• Zusammenwachsen der beiden Ortsteile Diet-

zenbach und Steinberg und Ausbau einesneuen Stadtzentrums zwischen der alten Ortslage Dietzenbach und der alten Ortslage Steinberg;

• Ausstattung des neuen Zentrums mit überört-lichen Dienstleistungsfunktionen. Mischungder Nutzungen und fließender Übergang zuden Wohngebieten; mit steigender Entfernungvom Zentrum abnehmende GFZ-Werte;

• Ausbau der überörtlichen Verkehrsverbindun-gen auf Schiene und Straße. Priorität besitztder öffentliche Personennahverkehr durch denBau von zwei S-Bahn-Haltestellen mit Anschluss nach Offenbach - Frankfurt; dane-

22

20 Vgl. Universität Darmstadt, Fachgruppe Stadt.21 Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und

Städtebau, a.a.O., S. 56 .22 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O. sowie Bundes

ministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,a.a.O., S. 406f.

23 Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, a.a.O., S. 56 .

24 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O., sowie Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau,a.a.O., S. 407 .

25 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städte-bau; Stadtentwicklung - Bürgerbeteiligung bei städtebaulichen Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen, Fallstudien zur Anwendung des StBauFG, Forschungsauftrag BMBau RS II 6- 704102-211(1978), Bonn, 1979, S. 161f.

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ben Ausbau des überörtlichen Straßennetzeszur Entlastung der Innenstadtdurchfahrt im alten Ortskern von Dietzenbach;

• Ausbau des innerörtlichen Verkehrsnetzes zur Erschließung der Industrie- und Gewerbege-biete und Entlastung stark befahrener Innen-stadtstraßen. In den Wohngebieten verkehrs-beruhigte Zonen. In der Nähe der S-Bahnhöfe Park-&- Ride-Facilitäten.

Um den vielfältigen Ansprüchen an Wohnraumgerecht werden zu können, wurde und wird inDietzenbach ein vielfältiges Wohnungsangebotgeschaffen. Dietzenbach wurde "nicht vorrangigals Wohnstadt konzipiert, sondern als aktiv-wirt-schaftende Einheit mit urbanen Wohnformen".26

Um vom Konjunkturverlauf unabhängig zu seinwar zudem geplant, verschiedenartige Gewerbe-und Dienstleistungsbetriebe in der Stadt anzu-siedeln. 27 Ein weiteres Ziel war der Ausbau dersozialen Infrastruktur, welche der anwachsen-den Bevölkerungszahl Rechnung trägt.

2.1.3.2 InstrumenteMit der Rechtsverordnung der Hessischen Lan-desregierung vom 16 .01 .1973 wurden 796 hader Dietzenbacher Gemarkung Entwicklungsbe-reich.28 Damit wurden der Stadt sowohl die sichaus dem besonderen Städtebaurecht ergeben-den Rechte wie auch Pflichten auferlegt, diesich aber zum großen Teil auf den Erwerb desBodens und den Schutz durch die Entwicklungs-maßnahme vor Bodenspekulation beziehen. 29

Außerdem ergeben sich aus der Zugehörigkeitvon F lächen zum Entwicklungsbereich einigehaushaltsrechtliche Unterschiede, auf die hierim Detail nicht eingegangen werden kann. DieFinanzierung der Planaufstellung wie auch derPlanumsetzung erfolgt auf Kosten des Entwick-lungsträgers (DSK)30, welcher jedoch nach Ab-schluss der Maßnahme eine Abschlussrechnungan die Stadt leiten wird.Ansonsten wird auch in den Entwicklungsbe-reichen mit den Planinstrumenten des allgemei-nen Städtebaurechts operiert. Die übergeordne-ten städtebaulichen Zielvorstellungen sind imFlächennutzungsplan dargestellt, der inzwischen

vom Planungsverband Ballungsraum Frankfurt /Rhein-Main aufgestellt wird.31 Die verbindlichePlanung wird über Bebauungspläne sicherge-stellt. Auf Grund der ungewöhnlichen Größe desEntwicklungsbereichs und dessen hohen pro-zentualen Anteil am Stadtgebiet ergibt sich inDietzenbach jedoch eine städtebauliche Beson-derheit: Durch den sich aus der städtebaulichenEntwicklungsmaßnahme ergebenden hohen An-teil an Neubaugebieten ist das Stadtgebiet bisauf die Waldflächen und einige größere Bereichemit landwirtschaftlichen F lächen fast flächen-deckend mit rechtskräftigen oder sich in Aufstel-lung befindlichen Bebauungsplänen überzogen. 32

Dies bedeutet, dass für viele Bereiche Dietzen-bachs die Bodennutzung bis hin zu Detailfragenplanerisch genau festgelegt ist. Daraus lässt sichein hoher Steuerungsanspruch ablesen.33 DieUmsetzung der Bebauungspläne wird zudemhäufig Bauträgern überlassen, die eine Vielzahlvon Objekten "in einem Guss" entwickeln. Dieserhohe Grad an Planung und Steuerung ist vorOrt ablesbar, da ganze Straßenzüge ein einheit-liches Erscheinungsbild aufweisen.34

23

26 Ebd., S. 162 .27 Ebd.28 Vgl. Kap. 2 .1 .2 .29 Ebd.30 Ebd.31 Vgl. auch Kap. 2 .1 .4 ., insbesondere Fußnote 38 .32 Baurechtliche Situationen nach § 34 BauGB (Innenbe-

reich) - sonst eher die Regel - stellen in Dietzenbach somit eher die Ausnahme dar. Selbst für große unbesiedelte Be-reiche befinden sich Bebauungspläne - z.T. für den ökolo-gischen Ausgleich - in Aufstellung (Bebauungspläne Nr.56 ,57 , 75 und 77 , vgl. Abbildung).

33 Tatsächlich gibt es allerdings zum Teil einige Probleme, dieFestsetzungen der Bebauungspläne durchzusetzen. Dies istinsbesondere darin begründet, dass die für die Kontrolle zuständige Bauaufsicht nicht bei der Stadt angesiedelt istund ihr somit Möglichkeiten fehlen, die Bauherren zur Um-setzung bestimmter Festsetzungen zu zwingen. Insbeson-dere bei Festsetzungen zu Anpflanzungen sind regelmäßigVerstöße gegen rechtskräftige Bebauungspläne festzustel-len. Auch lässt sich teilweise nur sehr schwer kontrollieren,ob die Bauherren tatsächlich ihre Vorhaben gemäß Bebau-ungsplan realisiert haben, insbesondere wenn es sich um Festsetzungen in nicht oder nur schwer einsehbarenBereichen handelt.

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2.1.3.3 ZeitrahmenZum Zeitpunkt der Erstellung der vorliegendenArbeit ist die städtebauliche Entwicklungsmaß-nahme über dreißig Jahre alt und noch nichtabgeschlossen. In der Wachstumseuphorie zuBeginn der städtebaulichen Entwicklungsmaß-nahme gingen die Beteiligten jedoch davon aus,dass die Maßnahme relativ zügig umgesetztwerden kann. 35 Dieser Optimismus drückt sich

auch in der Tatsache aus, dass die enormenGeldsummen, welche für den Ankauf der benö-tigten Grundstücke und die Erschließung benö-tigt wurden, über einen Kredit bereitgestellt wer-den sollten, der innerhalb weniger Jahre aufGrund der erwarteten hohen Verkaufserlöse fürdas erschlossene Bauland zurückgezahlt wer-den sollte. 36

Dass sich das Großprojekt "städtebauliche Ent-wicklungsmaßnahme" mit ursprünglich mittelfri-stigem Realisierungshorizont in die Länge zogliegt daran, dass die Maßnahme von Anfang anmit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiertwurde, welche im nachfolgenden Abschnittnäher dargelegt werden sollen.

24

34 Beispielhaft seien hier der Thomas-Mann-Ring, Teile der Straße Am B ieberbach, Aschaffenburger Weg, Kronberger Straße und Königsteiner Allee genannt.

35 § 165 Abs. 3 Nr. 4 BauGB nennt als Voraussetzung zurDurchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaß-nahme die zügige Durchführung der Maßnahme innerhalbeines absehbaren Zeitraums.

36 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O., S. 407 .

Abb. 2. Übersicht über Bebauungspläne inDietzenbach

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2.1.4 Umsetzung und Verlauf derEntwicklungsmaßnahme

Dem Gesamtaufbauplan von 1965 und dem(vorläufigen) F lächennutzungsplan von 196637

folgte der Flächennutzungsplan 1972 , der erst197738 rechtskräftig wurde. 39 Diesem entsprachein Investorenwettbewerb für das neue Stadt-zentrum (sog. Strukturplan I) sowie der General-verkehrsplan, welche von extrem hohen Zu-wachsraten von über 60 .000 Einwohnern aus-gingen.40 Städtebauliches Leitbild war dieCharta von Athen, ein Vorbild das Hansaviertelin Berlin.41 Folgerichtig sahen die Planer auchfür Dietzenbach zunächst überwiegend Hoch-hausbebauung vor, welche auch umgesetztwurde und heute ein prägendes Merkmal desDietzenbacher Stadtbildes ist. Zwischen 197042

und 1974 wurden in Dietzenbach an verschie-denen Stellen Hochhausbebauungen realisiert. Geprägt ist der Verlauf der städtebaulichen Ent-wicklungsmaßnahme in Dietzenbach zu dieserZeit jedoch von einigen Anlaufschwierigkeiten,die im Rahmen dieser Arbeit nur in Kürze ange-rissen werden können:43

• Die Ölkrise und die damit einsetzende wirt-schaftliche Rezession führten auch zu einem Zusammenbruch der Baukonjunktur und einer Stagnation in der Region Untermain,

• allgemein kritische H interfragung des städte-baulichen Konzepts von Hochhausbebau-ungen,

• Verzögerung bei der Realisierung der S-Bahn,• die Klage einer Interessenvertretung Dietzen-

bacher Grundstückseigentümer gegen dieRechtsverordnung der Landesregierung imHerbst 1974 wurde erst Ende 1980 vom VGH Kassel zurückgewiesen. Während dieserZeit blockierte die Interessengemeinschaftwichtige Schlüsselgrundstücke, so dass die Entwicklungsmaßnahme bereits ein Jahr nachFestlegung des Entwicklungsbereichs vorerstnicht fortgeführt werden konnte.

Als die Entwicklungsmaßnahme in den achtzi-ger Jahren fortgeführt werden konnte, hatte sichein Wandel der städtebaulichen Leitbilder voll-

zogen, der Abstand von großen Gesamtkon-zeptionen nahm und kleinteiligere, auf Stadtteilekonzentrierte Konzeptionen bevorzugte. Zudemgab es auch bei den Hochhäusern am Starken-burgring gleich zu Beginn Vermarktungs-schwierigkeiten, die letztendlich sehr früh dieEntwicklung zu einem städtebaulichen Problem-bereich einleiteten. Das allgemein in die Kritikgeratene Leitbild der Hochhausbebauung wardamit auch in Dietzenbach überholt, bevor esüberhaupt vollständig umgesetzt werden konn-te. Die Stadt entschied, dass künftig maßvollerund höherwertig gebaut werden solle.44

Die Stadt hat in der Phase des Stillstandes dieneuen vorherrschenden städtebaulichen Ideenaufgegriffen und 1979 im Rahmen eines Wett-bewerbes eine Rahmenplanung zur Entwicklungdes Stadtzentrums45 erstellen lassen, mit derenUmsetzung 1986 begonnen wurde. Dabei wur-den eine Vielzahl innovativer Konzepte verwirk-licht, z. B . Bauen in Selbsthilfe, kosten- undflächensparendes Bauen, N iedrigenergiehaus-konzepte und baubiologische Konzepte, so dasshier inzwischen ein hochwertiges und gut ange-

25

37 Vgl. Kap. 2 .1 .1 .38 Zu dieser Zeit wurden die F lächennutzungspläne auch im

Rhein-Main-Gebiet noch von den Kommunen selbst aufge- stellt. B is mit dem Gesetz vom 11 .09 .74 die Kompetenz auf den Umlandverband Frankfurt (UVF) übertragen wur-de. In Dietzenbach wurde der zu diesem Zeitpunkt im Ver-fahren befindliche F lächennutzungsplan weiter verfolgt.

39 Vgl. Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen undStädtebau; Städtebauliche Entwicklungsmaßnahmen nachdem Städtebauförderungsgesetz - B isherige Praxis undzukünftige Aufgaben, Bonn 1985 , S. 57 .

40 Ebd.41 Ebd.42 Zwar wurde Dietzenbach erst 1973 Entwicklungsbereich,

dennoch dürften auch die Jahre davor bereits von der Ent-wicklungsmaßnahme geprägt gewesen sein, insbesonderewenn man bedenkt, dass diese Entwicklung und die Aus-weisung als Entwicklungsbereich in Dietzenbach damals gewünscht war und somit auch die der Gemeinde imma-nente Dynamik demonstriert werden konnte.

43 Ebd., S. 408 .44 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach; a.a.O., S. 453 .45 Stadt Dietzenbach; Städtebaulicher Rahmenplan 79 für das

neue Stadtzentrum, Informationsschrift, Dietzenbach 1979 .

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nommenes Wohnquartier entstanden ist. ZuBeginn der neunziger Jahre hatte die Stadt dieHoffnung, die Entwicklungsmaßnahme zügig zuEnde bringen zu können. 1995 prognostizierteder Wirtschaftsplan für den Abschluss der Maß-nahme einen Überschuss von 23 Mio. DM (ca.11 ,75 Mio. Euro). Bedingt durch einen neuenwirtschaftlichen Wandel kam es jedoch erneutzu Verzögerungen, so dass heute immer nochgroße Teile des im städtebaulichen Rahmenplanvon 1979 dargestellten Plangebiets unbebautsind. Zudem wird eine Bebauung von einigender damals dargestellten Bereiche heute nichtmehr angestrebt. Die Entwicklungsmaßnahmehat auch unter den erheblichen Verzögerungenbeim S-Bahn-Bau zu leiden, der nun im De-zember 2003 , gut dreißig Jahre später als ur-sprünglich geplant, voraussichtlich abgeschlos-sen wird. Auch das Stadtzentrum ist bislangnicht fertig gestellt, so dass sich DietzenbachsMitte heute als ein Nebeneinander aus Ge-schäften, öffentlichen Einrichtungen wie Rat-haus46 oder Kreishaus47 und einigen unbebautenBrachflächen - also unvollendet - präsentiert.48

2.1.4.1 Baustruktur Durch den oben beschriebenen Wandel städte-baulicher Ideen und Leitbilder während der Ent-wicklungsmaßnahme - auch unter dem Diktatdes immer stärker zunehmenden wirtschaft-lichen Drucks - weisen die während der Ent-wicklungsmaßnahme fertiggestellten Quartiereheute eine Vielzahl verschiedener städtebau-licher Strukturen auf. 49 Da die Wohnquartiere inder Regel flächenhaft geplant und entwickeltwurden, lassen sich sowohl Bauweisen alsauch bestimmte - von der jeweiligen Bauzeitgeprägte - Einflüsse klar ablesen. Waren zuBeginn der städtebaulichen Entwicklungsmaß-nahme Hochhäuser das prägende Element(z.B . ehem. Starkenburgring, Rodgaustraße,Talstraße, Limesstraße), so findet sich in denBebauungsplänen, welche Mitte der siebzigerJahre aufgestellt und in den achtziger Jahrennochmals überarbeitet und realisiert wordensind, bereits eine wesentlich maßvollere

Bebauung, insbesondere Doppel- und Reihen-häuser in Steinberg mit einer großen Vielfalt anBauformen (z. B . Am Steinberg, GallischeStraße, Arminiusstraße). Im Plangebiet des1979 erstellten städtebaulichen Rahmenplansist die großflächig realisierte Blockrandbebauungnördlich des Rathauses besonders auffallend(Am Bieberbach, Theodor-Heuss-Ring, Kurt-Schumacher-Allee). Viele dieser Gebiete sinderst in den neunziger Jahren entwickelt worden. Die jüngste Zeit ist geprägt von äußerst kosten-und flächensparendem Bauen. Die Grundstückesind häufig zur Straßenseite schmal und inRelation dazu tief, oft ist ein einfacher Baustilmit Reihenhaus- oder Zeilenbebauung gewähltworden, die Vorgärten haben nicht selten dieFunktion von Stellplatzanlagen übernommen.

2.1.4.2 InfrastrukturDie Entwicklung der sozialen Infrastrukturein-richtungen während der städtebaulichen Ent-wicklungsmaßnahme untermauert den An-spruch, Dietzenbach nicht zu einem reinenWohnvorort für Frankfurt auszubauen, sonderneine eigenständige Stadt, welche den Funktio-nen Wohnen, Arbeiten, (Nah)Versorgung undFreizeit gerecht wird, zu realisieren. Da eine de-taillierte Beschreibung dieser Entwicklung denRahmen dieser Arbeit sprengen würde, soll dieEntwicklung der sozialen wie verkehrlichen In-frastruktur im Zeitraum der Entwicklungsmaß-nahme anhand der folgenden Auflistung in Kür-ze verdeutlicht werden. H ier wird nochmals diedynamische Entwicklung Dietzenbachs veran-schaulicht.50

26

46 Das derzeitige Rathaus wurde 1976 eingeweiht und ent- stand damals mitten auf der grünen Wiese [vgl. Magistratder Stadt Dietzenbach, a.a.O., S. 453].

47 Seit Februar 2003 ist Dietzenbach Kreisstadt des Kreises Offenbach.

48 Derzeit gibt es bereits relativ weit gediehene Planungen fürein neues Stadtzentrum, welche in Zusammenarbeit mit einem Projektentwickler und einem Investor ausgearbeitet werden.

49 Vgl. hierzu auch Kap.2 .2 .1 .50 Vgl. Magistrat der Stadt Dietzenbach, a.a.O., S. 452 ff.

Page 27: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Tab. 2. Chronologische Auflistung von Infra-struktureinrichtungen in Dietzenbach51

2.1.4.3 Entwicklung der EinwohnerzahlWie bereits aus Abschnitt 2 .1 .1 .1 und Tabelle 1hervorgeht, verlief die Entwicklung Dietzen-bachs nach dem Zweiten Weltkrieg sehr dyna-misch. Dies war mit ein Grund für die Auswei-sung Dietzenbachs als städtebaulichen Entwick-lungsbereich. Wie geplant nahm die Bevöl-kerung auch nach Beginn der städtebaulichenEntwicklungsmaßnahme weiter überdurch-schnittlich zu.

Abb. 3. Bevölkerungsentwicklung in Dietzen-bach seit 194552

Allerdings wird auch deutlich, dass die Entwick-lungsmaßnahme keinen direkten Einfluss aufdie Bevölkerungsentwicklung hatte. Sie war je-doch Voraussetzung dafür, dass die Stadt ihrenwachstumsorientierten Weg fortsetzen konnte,denn dafür wurde vor allem viel Bauland benö-tigt. Aufgrund der im Zuge der Zuwanderungnach Dietzenbach sich verstärkenden Boden-spekulation und auch der möglichen Blockadewichtiger Grundstücke konnten die benötigtenMengen an Bauland aber nur mit H ilfe des be-sonderen Städtebaurechts der städtebaulichenEntwicklungsmaßnahme bereitgestellt werden.Nachdem Anfang der achtzigerer Jahre die Diet-zenbacher Bevölkerungsentwicklung erstmalsnach dem Zweiten Weltkrieg stagnierte, ist

27

51 Ebd.52 Eigene Darstellung, Zahlenmaterial aus: Magistrat der Stadt

Dietzenbach, a.a.O., S. 352 , und Bestandsstatistik "Einwohnerwesen" der Stadt Dietzenbach.

Jahr

19751975

1976

1978

1980

1981

19861988

1991 1991

19921993199419962002

Eröffnete / fertiggestellte / eingeweihteInfrastruktureinrichtung

Waldschwimmbad (Freibad)Aueschule (dritte DietzenbacherGrundschule)Altentagesstätte Reinhard-Göpfert-HausRathausJugendzentrum an der RodgaustraßeEvangelisches Gemeindezentrum ander Rodgaustraße Katholisches Gemeindezentrum St.MartinHeinrich-Mann-Schule (Gesamtschule)Vélizystraße (heute B 459) Kreisquerverbindung (K 174)Stadtpark (Teilbereich)Kleingartenanlage an der Schilflache(Teilabschnitt)Kleingartenanlage entlang der S-Bahn(Teilabschnitt)Helen-Keller-Schule (Sonderschule fürLernbehinderte)Bewohnerzentrum RodgaustraßeSeniorenzentrum Steinberg(Teilabschnitt)BürgerhausRegenbogenschule (vierte Grundschule)Kindertagesstätte X ("Bieberbau" an derKurt-Schumacher-Allee)Rudolf-Steiner-Schule (Waldorfschule)WaldorfkindergartenKindertagesstätte XI (Am Stiergraben)Behindertenwohnanlage Kindäcker WegKreishaus

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heute eine erneute Stagnation feststellbar. DieZahl der Hauptwohnsitze ging sogar in einigenJahren deutlich zurück. Wie die nachfolgendeTabelle zeigt, kann auch festgestellt werden,dass das Wachstum der letzten zehn Jahre vorallem in Steinberg stattgefunden hat, währendfür den Rest Dietzenbachs sogar ein Rückgangder Hauptwohnsitze feststellbar ist.53

Tab. 3. Bevölkerungsentwicklung nachStadtteilen54 und Art des Wohnsitzes5528

53 Die meisten Bautätigkeiten in Dietzenbach haben in dieser Zeit im Stadtteil Steinberg in den Baugebieten westlich der Offenbacher Straße und nördlich des Rathauses stattgefun-den.

54 Als Grenze zwischen den Ortsteilen Dietzenbach (ohneSteinberg) und Steinberg wird die Vélizystraße (B459), die sich in den besiedelten Bereichen in etwa von Ost nach West durch das Stadtgebiet zieht, angenommen undDietzenbach in einen südlichen Teil (Dietzenbach) undeinen nördlichen Teil (Steinberg) unterteilt.

55 Daten aus: Bestandsstatistik "Einwohnerwesen" der StadtDietzenbach, aufbereitet.

Stichtag

31 .12 .9431 .12 .9531 .12 .9631 .12 .9731 .12 .9831 .12 .9931 .12 .0031 .12 .0131 .12 .02

Dietzen-bach

22 .51422 .37422 .50622 .35421 .99021 .81421 .88922 .07821 .878

Steinberg

8 .9359 .5779 .773

10 .08210 .22010 .41410 .70910 .88310 .974

Gesamt

22 .51431 .95132 .27932 .43632 .21032 .22832 .59832 .96132 .852

Hauptwohnsitz

Stichtag

31 .12 .9431 .12 .9531 .12 .9631 .12 .9731 .12 .9831 .12 .9931 .12 .0031 .12 .0131 .12 .02

Dietzen-bach

798867924972995

1 .0311 .0771 .1361 .152

Steinberg

402420448486548600649685735

Gesamt

1 .2001 .2871 .3721 .4581 .5431 .6311 .7261 .8211 .887

Nebenwohnsitz

Page 29: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

2.1.5 Partizipation

Während verstärkte Bürgeraktivitäten zu Beginnder siebziger Jahre und die daraus entstehendegesellschaftliche und politische Debatte vermu-ten ließen, dass in Zukunft räumliche Planun-gen nur unter verstärkter Einbindung von Bür-gerinnen und Bürgern durchsetzbar seien, zeigtesich in der Folgezeit, dass die Beteiligungsange-bote häufig nicht angenommen und räumlicheEntwicklung zumindest von dieser Seite nurwenig beeinflusst wurde. Dies mag in der Artder Beteiligungsangebote begründet sein, diehäufig als unverständlich, kompliziert oder un-interessant empfunden werden. Es besteht aberauch die Einschätzung, dass die von Bürgerin-nen und Bürgern vorgetragenen Argumenteohnehin nicht ernst genommen werden. Obwohldieses abnehmende Interesse bereits Mitte dersiebziger Jahre wahrnehmbar wurde, wurdendie Beteiligungsangebote - auch in Dietzenbach- weiterentwickelt. So gibt es inzwischen nebenallgemeinen auch zielgruppenspezifische Ange-bote, von denen - bezogen auf Dietzenbach -einige kurz vorgestellt werden sollen, da sie imRahmen des Dietzenbacher Projektbeitrags zu"Stadt 2030" bestimmte Funktionen überneh-men könnten, respektive diese eingenommenhaben, worauf in folgenden Kapiteln eingegan-gen wird.

2.1.5.1 Partizipation innerhalb der Bauleit-planungPartizipation in der Bauleitplanung ist durch § 3BauGB ein zwingender Bestandteil jedes Bau-leitplanverfahrens.56 Die Funktionen von Bürger-beteiligung in der Bauleitplanung sind vielfältig:Wesentlichster Punkt ist die Gewährleistung derQualität der Planung, indem planungsrelevanteInformationen nicht übersehen und möglichstfrühzeitig in die Planung einbezogen werden.57

Weitere Gründe sind die Teilhabe der Bürgerin-nen und Bürger an Entscheidungsprozessenund die Möglichkeit für die von der Planung Be-troffenen, ihre Interessen und Rechte geltend zumachen.58

Mit der Baurechtsnovelle von 1976 wurde derbereits seit Einführung des Bundesbaugesetzes(BBauG) im Jahr 1960 bestehenden Offenlageein weiterer Beteiligungsschritt - die vorgezoge-ne Bürgerbeteiligung59 - hinzugefügt, in der Bür-gerinnen und Bürger über Ziele und Zweck derPlanung, alternative städtebauliche Entwürfe,die Anordnung der Freiflächen, den Verlauf derStraßen, Auswirkungen der Planung und ähnli-ches zu informieren sind.60 Mit der neu einge-führten frühzeitigen Bürgerbeteiligung entsprachder Gesetzgeber seinerzeit einer in der Fachöf-fentlichkeit breit geführten Diskussion:61

Bürgerinnen und Bürger sollten besser informiertwerden, mehr Einflussmöglichkeiten erhaltenund zur Beteiligung aktiviert werden. In die zeit-gleich intensive Planung flossen somit viele Ele-mente aus diesem Demokratisierungsgedankenein: "Die betroffenen Bürger müssen die Gewiss-heit haben, dass sich die bauliche Gemeinde-entwicklung nicht über sie hinweg von Amtswegen vollzieht."62

Den Bürgern ist im Rahmen der vorgezogenenBürgerbeteiligung Gelegenheit zur Äußerung vonAnregungen, Bedenken und H inweisen zu ge-ben. Die Form der Durchführung des vorgezo-genen Beteiligungsverfahrens wird vom BauGBnicht geregelt und ist je nach Gemeinde unter-

29

56 Die Bürgerinnen und Bürger können sowohl bei Aufstel-lung des F lächennutzungsplans zum räumlichen Gesamt-konzept der Gemeinde Anregungen und Bedenken äußern sowie H inweise geben als auch bei Aufstellung der Bebau-ungspläne.

57 Vgl. Schlichter, Otto, Stich, Rudolf; Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Erster Halbband Köln, Berlin, Bonn,München 1988 , S. 254 .

58 Ebd.59 Heute wird die vorgezogene Bürgerbeteiligung in § 3 Abs.1

BauGB geregelt.60 Braam, Werner; Stadtplanung, Aufgabenbereiche,

Planungsmethodik, Rechtsgrundlagen, 2 . Auflage,Düsseldorf, 1993 , S. 100 .

61 Vgl. Schlichter, Otto, Stich, Rudolf; a.a.O., S. 253 .62 Begründung zur Vorlage des Städtebauförderungsgesetzes

durch den 14 . Bundestagsauschuss, 1970 , in: Selle,Klaus; Was? Wer? Wie? Warum? Voraussetzungen und Möglichkeiten einer nachhaltigen Kommunikation; Dortmund 2000 , S. 74 .

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schiedlich. In Dietzenbach sind je Bebauungs-plan einmalige abendliche Informationsveran-staltungen üblich, auf die in der Tagespressehingewiesen wird und in denen häufig erstePlanentwürfe oder städtebauliche Entwürfe prä-sentiert werden, so dass sich die Anwesendenein umfassendes Bild von der Situation im Falleder Planrealisierung machen können. Die Anre-gungen, H inweise und Bedenken werden proto-kollarisch erfasst. Die Teilnahme an diesem Be-teiligungsschritt ist zumindest in Dietzenbach jenach Betroffenheit von Bebauungsplan zu Be-bauungsplan sehr unterschiedlich. Die Erfah-rung sowie ein Vergleich einiger neuerer Dietzen-bacher Bebauungspläne zeigen, dass die Betei-ligung häufig dann hoch ist, wenn Eigentums-rechte berührt werden. 63 EigentumsrechtlicheFragen sind somit häufig auch ein zentraler Dis-kussionspunkt in der vorgezogenen Bürgerbe-teiligung. Bei vielen Bebauungsplänen bringensich aber nur wenige Bürgerinnen und Bürgerin den Planungsprozess ein.64

Die zweite gesetzlich vorgeschriebene Möglich-keit für Bürgerinnen und Bürger, sich in dasBauleitplanverfahren einzubringen, ist die Offen-lage nach § 3 Abs. 2 BauGB . Sie hat eine weit-reichendere Bedeutung als die vorgezogene Bür-gerbeteiligung. Die während der Offenlage vor-gebrachten Anregungen und Bedenken habenGegenstand im Abwägungsprozess nach § 1Abs. 6 BauGB zu sein. Werden die H inweise,Anregungen und Bedenken nicht schriftlich vor-getragen, so müssen sie schriftlich niedergelegtwerden, um Grundlage der zu überarbeitendenPlanung sein zu können.65 Im Gegensatz zurvorgezogenen Bürgerbeteiligung sind Verletzun-gen der Vorschriften zur Offenlage beachtlichund führen zur Unwirksamkeit des Plans, wennsie binnen Jahresfrist geltend gemacht werden.In Dietzenbach wird zum Zwecke der Offenlageder Bebauungsplanentwurf im Planungsamtausgehängt und kann zu den üblichen Öff-nungszeiten eingesehen werden. Bei der zu-ständigen Sachbearbeiterin oder dem zuständi-gen Sachbearbeiter kann zudem der Erläute-rungsbericht eingesehen werden. H ier können

mündlich Anregungen, Bedenken und H inweisevorgebracht werden, die als Vermerk festgehal-ten werden. In der Regel werden während derOffenlage Anregungen, Bedenken und H inweiseaber schriftlich geäußert. Die Offenlage findet inDietzenbach in der Regel zeitgleich mit der Be-teiligung der Träger öffentlicher Belange nach§4 BauGB statt. Auch hier geht es bei den Ein-wänden vorwiegend um die Ausdehnung oderEinengung der Schranken des Grundeigentums.Es liegt im Wesen des Verfahrensablaufs derBauleitplanung, dass sich die Bürgerinnen undBürger eher reaktiv in die Planung einbringenkönnen, d.h. die Stadt hat bei Stattfinden dervorgezogenen Bürgerbeteiligung in der Regelbereits relativ weit gediehene Vorstellungen vonder Entwicklung eines bestimmten Bereichs.Kuschnerus verweist darauf, dass die Planungsoweit ausgearbeitet sein muss, dass "deren‚ all-gemeine Ziele und Zwecke bereits darstellungs-fähig sind." 66 Zwar können auch in dieser Pla-nungsphase das gesamte städtebauliche Kon-zept einer Planung in Abrede gestellt und gänz-lich andere Vorschläge zur Entwicklung und Ge-staltung eines bestimmten Bereichs gemachtwerden, es dürfte aber wohl eher eine Selten-

30

63 Der Bebauungsplan Nr. 63 , "Gewerbegebiet Mitte zwi-schen Vélizystraße und Oberrodener Straße", rechtskräftig seit dem 11 .01 .1999 , hat mit 15 Beteiligten ein relativ großes Interesse gefunden. Häufig waren die BeteiligtenLandwirte, welche durch die geplanten Festsetzungen einen Teil ihrer Betriebsfläche verloren hätten und auchhaben.

64 An der vorgezogenen Bürgerbeteiligung des zum Redakti-onsschluss sich noch im Verfahren befindlichen Bebau-ungsplans Nr. 81/1 , einem Bebauungsplan, mit dem einvon einem Gewerbetreibenden zu realisierender Park recht-lich abgesichert werden soll, hat sich hingegen keine Bürgerin und kein Bürger beteiligt. Ebenfalls auf kein Inter-esse bei Bürgerinnen und Bürgern stieß der Bebauungs-plan Nr. 28 Cb/1 , ein Änderungsbebauungsplan, mit demein Gewerbegebiet von GI (Industrie) auf GE (Gewerbe) herabgesetzt worden ist. Am Verfahren für den Bebauungs-plan Nr. 77 , einem Ausgleichsbebauungsplan, nahmen in der vorgezogenen Bürgerbeteiligung fünf Personen teil.

65 Vgl. BVerwG, Beschl. vom 28 .01 .1997 (Nr. 373).66 Kuschnerus, U lrich; Der sachgerechte Bebauungsplan,

Handreichungen für die kommunale Planung, 1 . Auflage, Bonn 1997 Rn. 556 .

Page 31: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

heit sein, dass Kommunen aufgrund von Ein-wänden aus der Bürgerbeteiligung zum Teil er-heblich fortgeschrittene Planentwürfe verwer-fen.67

Selle weist darauf hin, dass die gesetzlich ange-botenen Beteiligungsangebote zudem bereits inder zweiten Hälfte der siebziger Jahre zur for-malisierten Routine gerannen. 68 In einer Unter-suchung 1982 kam Evers zu dem Ergebnis, beider Beteiligung der Bevölkerung werde lediglich"Dienst nach Vorschrift" betrieben69, worausgefolgert werden kann, dass die Beteiligungnicht aufgrund der Planinhalte betrieben wurde,welche aus Sicht der Bürgerinnen und Bürgerjedoch entscheidend, da ihre Lebensumweltbeeinflussend, sind. Insbesondere der vorgezo-genen Bürgerbeteiligung, bei der aufgrund desfrüheren Planungsstadiums Bedenken, Anre-gungen und H inweise aus der Bevölkerung mitgeringerem Aufwand in die Planung integriertwerden könnten, wurde bereits bei ihrer Ein-führung vom Gesetzgeber der Stempel einerBeteiligung untergeordneten Ranges aufge-drückt, indem eine Verletzung dieser Vorschriftals nicht erheblich eingestuft wurde.70

2.1.5.2 AusländerbeiratDie Bedeutung des Ausländerbeirats (ALB) ver-dient im Rahmen dieser Arbeit schon deshalbbesondere Erwähnung, da der überwiegendeTeil der Teilnehmenden an dem DietzenbacherProjektbeitrag zum Gesamtprojekt "Stadt 2030"auf einen Migrationshintergrund zurückblickenkann, wie in folgenden Kapiteln dargestelltwird.71 Aber auch der hohe Anteil von Migran-tinnen und Migranten von aktuell 28 ,7% (ehe-mals deutlich über 33%), weist auf die Bedeu-tung dieses Gremiums hin.Gemäß Hessischer Gemeindeordnung (HGO)72

ist in Gemeinden mit mehr als 1 .000 gemel-deten ausländischen Einwohnern ein ALB ein-zurichten.73 Er ist demokratisch gewählt und hatdie politischen Interessen der ausländischen Be-völkerung wahrzunehmen. Die Mitglieder desALB werden nach § 86 HGO von den am Wahl-tage volljährigen ausländischen Einwohnerinnen

und Einwohnern in allgemeiner, freier, gleicher,geheimer und unmittelbarer Wahl für fünf Jahregewählt, wobei auch staatenlose Einwohner alsAusländer gezählt werden. 74 Als Mitglieder desALB können ausländische Einwohner75 gewähltwerden, die am Wahltag das 18 . Lebensjahrvollendet haben und seit mindestens sechs Mo-naten ihren Wohnort in der Gemeinde haben.Der ALB arbeitet ehrenamtlich.Gemäß § 88 HGO hat der ALB folgende Auf-gaben und Befugnisse:• Der ALB vertritt die Interessen der ausländi-

schen Einwohner der Gemeinde. Er berät die Organe der Gemeinde in allen Angelegenhei-ten, die ausländische Einwohnerinnen undEinwohner betreffen. Er gibt die Vorschläge der ausländischen Mitbürgerinnen und Mit-bürger an den Magistrat und die Stadtverord-netenversammlung weiter.

• Der Gemeindevorstand hat den ALB rechtzei-tig über alle Angelegenheiten zu unterrichten,deren Kenntnis zur Erledigung seiner Aufga-ben erforderlich ist. Der ALB hat ein Vor-schlagsrecht in allen Angelegenheiten, die ausländische Einwohner betreffen. Der Aus-länderbeirat ist in allen wichtigen Angelegen-

31

67 Dies dürfte wohl nur dann der Fall sein, wenn absehbarist, dass ein Bebauungsplan der gerichtlichen Normenkon-trolle nicht stand hält.

68 Selle, a.a.O., S. 75 .69 Evers, Adalbert; Dienst nach Vorschrift. Die Praxis der

Gemeinden bei der Beteiligung der Bürger an der Bauleitplanung, in: Stadtbauwelt, Heft 75/1982 , S. 327- 332 .

70 Selle, a.a.O., S. 76 .71 Vgl. Kapitel 4 .1 .1 .3 .72 Hessische Gemeindeordnung (HGO) vom 25 . Februar

1952 GVB l. S. 11 in der Fassung vom 1 . April 1993 (GVB l. I 1992 S. 534), zuletzt geändert durch das Gesetzzur Stärkung der Bürgerbeteiligung und kommunalen

Selbstverwaltung vom 23 . Dezember 1999 (GVB l. I 2000S. 2).

73Die Zahl der Mitglieder des ALB beträgt nach HGO minde-stens drei und maximal 37 .

74 Vgl. § 84 HGO.75 Wählbar sind auch Deutsche, die früher eine andere

Staatsangehörigkeit hatten oder staatenlos waren.

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heiten, die ausländische Einwohner betreffen,zu hören. Gemeindevertretung und Gemein-devorstand können, Ausschüsse der Gemein-devertretung müssen in ihren Sitzungen den ALB zu den Tagesordnungspunkten hören, dieInteressen der ausländischen Einwohner berühren.

• Dem ALB sind die zur Erledigung seiner Auf-gaben erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen.

Der Magistrat ist dazu verpflichtet, den ALBüber alle Tatsachen und Entwicklungen zu in-formieren, welche für Personen mit Migrations-hintergrund von Belang sein können. Die Aus-schüsse sind verpflichtet, den ALB anzuhören.Da sämtliche große Vorhaben - insbesondereBauvorhaben, wie z.B . die neue Stadtmitte -selbstverständlich auch die ausländischen Bür-gerinnen und Bürger berühren, müsste zu sol-chen Fragen eigentlich regelmäßig der Auslän-derbeirat angehört werden. In Dietzenbach hat der ALB gemäß Hauptsat-zung 19 Mitglieder, davon etwa die Hälfte Mit-glieder deutscher Staatsangehörigkeit, die frühereine andere Nationalität hatten.76 Inhaltlich be-fasst sich der ALB in Dietzenbach zunächst mitFragstellungen, die speziell Menschen aus an-deren Ländern und Kulturen betreffen, z.B . Mo-scheenbau, Internationales Fest, Fremdspra-chenangebote an Schulen oder Treffpunkte fürMenschen bestimmter Nationalitäten. Weiterhinbefasst er sich aber auch mit Inhalten, die nichtausländerspezifisch sind, dennoch aber aufGrund der räumlichen Bevölkerungsverteilung inder Stadt oder aufgrund eines besonderen Inter-esses gerade diese Bevölkerungsgruppe betref-fen, z.B . Schaffung kundenfreundlicher Park-plätze in Rathausnähe, Räumlichkeiten für grö-ßere Hochzeitsfeiern, Erhalt von Spielanlagen,insbesondere in Gebieten mit einem hohen An-teil ausländischer Bevölkerung, Einrichtungeiner Jugenddisco oder die Beantragung einerMängeluntersuchung für städtische Sporthallen.Weiterhin diskutiert der ALB konfliktträchtigeThemen und versucht hier durch Aufklärungs-arbeit Ängste und Vorurteile abzubauen. Der

ALB verfügt in Dietzenbach über Anhörungs-,Vorschlags- und Antragsrecht.Bemängelt wird von Seiten des ALB , dass seinAufgabenspektrum, je nach Blickwinkel, nichtselten einseitig wahrgenommen wird: WährendMigrantinnen und Migranten in ihm häufig le-diglich ein Gremium zur Lösung persönlicherProbleme wie z.B . Abschiebung oder Woh-nungsprobleme sehen, wird er von politischerSeite eher nur als eine Art "ausländische H ilfs-polizei" wahrgenommen, die verhindern soll,dass Jugendliche auf den Boden spucken oderungewollte neue Treffpunkte entstehen. Der ALBsieht seine Funktionen neben den persönlichenH ilfsangeboten jedoch vor allem in der Infor-mation, Aufklärung und Vermittlung zwischenden Kulturen.

2.1.5.3 SeniorenbeiratDer Seniorenbeirat stellt eine weitere wichtigeInstitution dar, welche die Interessen einer be-stimmten Bevölkerungsgruppe vertritt, hier derälteren Generation. Der Dietzenbacher Senioren-beirat wurde im Juni 1977 gegründet77 und istdamit nach Wiesbaden der zweitälteste Senio-renbeirat in Hessen. 78 Die Initiative zur Grün-dung des Seniorenbeirats ging vom Magistratder Stadt Dietzenbach aus. Der Seniorenbeiratsollte ein beratendes Gremium für Fragen sein,die ältere Menschen betreffen.79 Der Senioren-beirat versteht sich heute unter anderem als In-teressenvertretung für die Belange älterer Men-schen, als Initiator zur Schaffung einer senio-rengerechten Umwelt sowie als verbindendesElement zwischen den Seniorinnen und Senio-ren zu Ämtern und Behörden. 80

Seniorenbeiräte wachen über die Einhaltung derWürde und Rechte älterer Menschen (Wächter-

32

76 Die Herkunftsländer der derzeitigen Dietzenbacher ALB-Mitglieder sind Afghanistan, Indien, Jugoslawien, Kroatien,Marokko, Pakistan und die Türkei.

77 Seniorenbeirat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.78 Mündliche Auskunft von Mathide Al-Dogachi, Fachbereich

Soziale Dienste, Abteilungsleitung Seniorenbeirat, a.a.O.79 Vgl. Seniorenbeirat der Stadt Dietzenbach, a.a.O.80 Ebd. S. 10 ff.

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funktion), beraten Politik und Verwaltung ausder Perspektive älterer Menschen (Beratungs-funktion) und vermitteln zwischen älteren Men-schen und Politik und Verwaltung (Vermittlungs-funktion).81 Weitere wichtige Aufgabenbereichedes Seniorenbeirats sind die Mitwirkung beiPlanungen der Kommune (z.B . Stadtplanung,Verkehrsplanung, ÖPNV-Planung, Verkehrs-sicherheit, Altenhilfeplanung etc.), die Beratungälterer Menschen und die Herstellung von Öf-fentlichkeit für ältere Menschen.82

Eine gesetzliche Grundlage für die Einrichtungvon Seniorenbeiräten findet sich in § 8 HGO so-wie § 8a HKO. Danach kann Beiräten ein Anhö-rungs-, Vorschlags- und Rederecht eingeräumtwerden, über die der Dietzenbacher Senioren-beirat - wie der ALB - auch verfügt. In Hessengibt es derzeit rund 100 Seniorenbeiräte.83

Wichtige Themen, mit denen sich der Senioren-beirat befasst, betreffen die Versorgungsstrukturin Dietzenbach, die ambulante Versorgung oderdie Senioreneinrichtungen84, aber auch vieleThemen, die neben Seniorinnen und Seniorenauch anderen Bevölkerungsgruppen zugutekommen, z.B. die Ausstattung von Fußgänger-ampeln mit akustischen Signalen oder die Auf-stellung von öffentlichen Toiletten im Stadtge-biet. Der Seniorenbeirat war auch bei der Aus-arbeitung der Friedhofsordnung beteiligt. Er istim städtischen Verkehrsausschuss, am RundenTisch sowie in der Sicherheitsberatung für Seni-oren des Kreises Offenbach vertreten. In Zusam-menarbeit mit dem Stadtbetriebs- und Umwelt-amt hat der Seniorenbeirat die Bänke im Stadt-gebiet instand setzen lassen. Als besonderenErfolg sieht der Seniorenbeirat die Wiederher-stellung des Walddenkmals "Wolfsstock", wel-ches für die alteingesessene Dietzenbacher Be-völkerung eine besondere Bedeutung hat.Gemäß Geschäftsordnung arbeiten im Senioren-beirat Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgerzusammen, die das 60 . Lebensjahr erreichthaben. Von den sechzehn Mitgliedern werdenzehn Männer und Frauen aus Kirchengemein-den, Vereinen und Organisationen, die regelmä-ßig Angebote für Senioren unterbreiten, in den

Seniorenbeirat delegiert. Es können darüber hin-aus aber auch interessierte Dietzenbacher, diesich engagieren wollen, im Seniorenbeirat mitar-beiten. Die Seniorinnen oder Senioren werdenin öffentlichen Versammlungen, zu denen dieStadt über die Presse einlädt, gewählt. Die Ge-schäftsführung obliegt der Abteilung "StädtischeSeniorenarbeit" im Fachbereich "Soziale Dienste"der Stadt Dietzenbach.Ab 2003 kann der Seniorenbeirat Bürger ab 55Jahren als kooptierte Mitglieder für den Zeit-raum eines Jahres zur Mitarbeit aufnehmen undmit bestimmten Aufgaben betrauen.Der Dietzenbacher Seniorenbeirat ist Mitgliedder Landesseniorenvertretung Hessen e.V. alsDachorganisation. Dietzenbacher arbeiten imRedaktionsteam der Landesseniorenvertretungbei der Herausgabe des Magazins "Seniorenheute, Mitteilungen - Berichte - Informationen"mit. Die Landesseniorenvertretung Hessenwiederum ist auf Bundesebene in der Arbeitsge-meinschaft der Senioren-Organisationen e.V.vertreten.Zusammenfassend lässt sich für die Stadt Diet-zenbach festhalten, dass auf den Ebenen öffent-licher Beteiligung und der Ausbildung von Be-teiligungsinstitutionen eine vorbildliche Kulturentwickelt wurde. Über die Schwierigkeiten undderen Gründe, aus diesen Gremien und Ver-fahren heraus Identifikation und Beteiligung zuerreichen, wird in weiteren Kapiteln berichtet.

33

81 Vgl. Landesseniorenvertretung Hessen e.V.; Schritt für Schritt zur Gründung von Seniorenvertretungen - Zielset-zungen - Grundsätze - Aufgaben, Informationsbroschüre, Wiesbaden, o.J.

82 Ebd. Beispielhaft sei hier das Reinhard-Göpfert-Haus, ein Veranstaltungszentrum für Senioren, erwähnt.

83 Vgl. Hessisches Sozialministerium; Senioren auf Draht - Hessens Senioren im Internet, Informationsbroschüre,Wiesbaden, o.J.

84 Beispielhaft sei hier das Reinhard-Göpfert-Haus, ein Veran-staltungszentrum für Senioren, erwähnt.

Page 34: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

2.2 BEWERTUNG DER FOLGEN: DIEAKTUELLE SITUATION DER STADT

2.2.1 Die städtebauliche Struktur

2.2.1.1 BaustrukturDie Baustruktur Dietzenbachs ist in zwei über-geordnete Bereiche gegliedert. Die Trennungs-linie wird von der in Nord-Süd-Richtung verlau-fenden S-Bahn-Trasse gebildet. Westlich derBahntrasse liegen die Wohngebiete und östlichder Trasse die Gewerbegebiete. Beide Bereiche lassen im Schwarzplan eineBinnengliederung erkennen, die sich hinsicht-lich des Maßstabs, der Struktur und der Dichtedifferenzieren lässt. Die Wohngebiete weisen eine Vielzahl unter-schiedlicher Baustrukturen auf. Sie lassen sichanhand des Schwarzplans den Leitbildern derletzten fünfzig Jahre zuordnen.85 Im Folgendenwird auf drei für die derzeitig stadträumlicheSituation in Dietzenbach charakteristischeStrukturen eingegangen.

Abb. 4. Schwarzplan: Ortskern Dietzenbachsmit Erweiterungen

34

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35Ortskern Dietzenbach mit ErweiterungDer dörfliche Ortskern Dietzenbachs ist imSchwarzplan an seiner kleinteiligen Parzellie-rung, verdichteten Baustruktur und den ge-schwungenen Straßenverläufen zu erkennen.

Der ovale Siedlungskern wurde nach dem Zwei-ten Weltkrieg erweitert. Das Wachstum erfolgteentlang gradliniger Straßenzüge in offener Bau-weise. Die Landwirtschaft verlor für den Orts-kern an Bedeutung. Infolgedessen wurde diebauliche Dichte und Struktur der Erweiterungder Vorstellung von ländlichem Wohnen in Formvon freistehenden Einfamilienhäusern mit en-gem Freiraumbezug angepasst. Im Ortskern sie-delte sich in geringem Umfang Einzelhandel an.Es entstand der Charakter eines kleinenOrtszentrums.

SpessartviertelIn unmittelbarer Nachbarschaft zum Ortskernentstand zu Beginn der siebziger Jahre eineGroßwohnanlage. Sie ist gekennzeichnet durchdie skulpturale Ausformung der Baukörper, dasAbstandsgrün dazwischen und die konsequenteFunktionstrennung. Das bei der Planung inten-dierte Grüngerüst86 lässt sich aus heutiger Sichtnicht erkennen. Der Grünraum ist reduziert aufseine Funktion als Abstandsgrün, er fließt zwi-schen den Baukörpern hindurch, ohne Anker-punkte für Aneignung und vielfältige Inter-

pretationen anzubieten. 87 Im Rahmen der Förde-rung durch das Programm "Soziale Stadt" wirdseit 1998 im östlichen Spessartviertel eineWohnumfeldverbesserung durchgeführt. Die Auf-wertung der Außenräume und damit die Schaf-fung einer Nutzungsmöglichkeit dieser Räumedurch die Bewohnerinnen und Bewohner ist dasZiel. Unter Beteiligung von Kindern und Jugend-lichen wurden Spielgeräte und Hütten aufge-baut. Ob eine langfristige Nutzung und Annah-me durch die Bewohnerinnen und Bewohnererfolgt, bleibt abzuwarten.

WettbewerbsgebietDie Stadt schrieb 1976 einen offenen städte-baulichen Wettbewerb für den zentralen Bereichder Entwicklungsmaßnahme aus. Das Wettbe-werbsgebiet unterteilte sich in drei unterschied-lich große Teilbereiche, die durch die Offen-bacher Straße und die Vélizystraße voneinandergetrennt werden. Die bebaubare Nutzfläche um-fasste eine Fläche von 85 ha. Auf dem Wettbe-werbsgebiet wurden Wohnungen für 6000 Ein-wohner und 2500 bis 3000 Arbeitsplätze ge-plant.88 Der Wettbewerb hat in städtebaulicher

85 Vgl. Kap. 2 .1 .4 .1 .86 Otto, Karl; die stadt von morgen, Berlin 1959 , S.49 .87 Lerup, Lars; Das Unfertige bauen, Braunschweig 1986 ,

S.24 .88 Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und

Städtebau; Das Dietzenbacher Modell, Schriftenreihe "Stadtentwicklung", Bonn 1982 , S.102 .

Abb. 7. Alter Ortskern

Abb. 8. Spessartviertel

Abb. 5. Ortskern Dietzenbach, Am Stadt-brunnen

Abb. 6. Dietzenbach, Spessartviertel

Page 36: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

H insicht ein Zeichen gesetzt. Es erfolgte die Ab-kehr vom Großsiedlungsbau und eine H inwen-dung zu tradierten Stadträumen wie Straßen,Kreuzungen und Plätzen.89

In der Auslobung wurden die Wettbewerbsteil-nehmer aufgefordert, prägnante Konzepte zuerarbeiten, um der langfristigen Entwicklung derStadt Rechnung zu tragen. Dabei wurde durch-aus thematisiert, wie unsicher die Prognosendes zukünftigen Wachstums sind. Allerdings fielin dem Abwägungsprozess zwischen kurzfristi-gen Handlungsoptionen und langfristigen Zielender Schwerpunkt eindeutig auf letzteren. Auchwenn die flächendeckende Belegung der Stadtmit Bebauungsplänen als wenig sinnvoll be-zeichnet wurde, geschah in den Jahren nachdem Wettbewerb genau dieses. Die Planerinnenund Planer hielten bei aller Betonung der Pro-zesshaftigkeit von Stadtentwicklung letztlich einfixes Ziel vor Augen, das es durch eine Vielzahlvon Teilplanungen zu erreichen galt.90 Die Er-gebnisse des Wettbewerbes prägen die zentralgelegenen F lächen des Entwicklungsbereichsbis heute.Betrachtet man die gegenwärtige Baustrukturdes Wettbewerbgebietes, so erkennt man zu-nächst die Blockrandbebauung mit der darausresultierenden Trennung des Außenraums inöffentliche und private Räume, klare Innen- undAußenbereiche, die Betonung der Raumkantenund die nach Quartieren differenzierte Dichte-verteilung. Die Nutzungsdichten werden je nachLage im Entwicklungsbereich differenziert. Imzentralen Bereich sind sie am höchsten, zumRand hin abnehmend. Für die Anzahl der Ge-schosse bedeutet dies max. 6 Geschosse in derneuen Stadtmitte, abnehmend bis zum Sied-lungsrand auf 1-2 Geschosse. Die Blockgröße lässt sich durchaus mit den an-deren Stadtquartieren vergleichen, sie unter-scheidet sich aber durch den geschlossenenBlockrand von diesen. Die Blockstruktur orien-tiert sich an Gründerzeitvierteln, ohne jedochdie dort vorhandenen Proportionen der Straßen-räume und Blockinnenbereiche auch nur imAnsatz aufzugreifen. Die Straßenräume weisen

ein breit proportioniertes Straßenprofil auf undzollen dem zunehmenden privaten Verkehr Tri-but. Es entsteht eine Struktur, die urbanen Qua-litäten wie Dichte und Nutzungsvielfalt kaum

Raum bietet. Außerdem fehlen den Gebieten dieklaren Erschließungsstrukturen, die den Städte-bau der Gründerzeit prägen, d.h. erlernte Wie-dererkennungs- und Benutzungsmuster für denStadtraum wurden verworfen. Es entstehen inden Vierteln historisch spürbare Diskontinui-täten. Neben der baulichen Struktur fällt die Vielzahlder selbst im zentralen Bereich brachliegendenFlächen auf. Sie haben oft die Größe eines gan-zen Blockes und lassen sich dadurch in keinerWeise mit einzelnen brachliegenden Parzellen ineiner gründerzeitlichen Struktur vergleichen.Dort kann die Brache als Ausgleich für eine sehrdichte Bebauung wahrgenommen und genutztwerden.91 In Dietzenbach hingegen weisen dieBrachen auf Grund ihrer Größe, Gestalt und Viel-zahl keine Struktur auf, die sie für die spontaneAneignung durch einzelne Bürgerinnen und Bür-ger geeignet erscheinen lassen. Die Brachflächenscheinen in der Stadtwahrnehmung an denRand zu rücken, sie werden als Optionen für

36

Abb. 9.Wettbewerbsgebiet

Abb. 10. Siedlungsrand

89 Ebd., S.104 .90 Ebd., S.246 .91 Vgl. Nutzung von Brachen als "community garden" in New

York.

Page 37: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

37eine zukünftige bauliche Entwicklung wahrge-nommen und nicht als Chance für die Gegen-wart. Die Planungen der letzten fünfzig Jahre habenihre Spuren im Stadtraum hinterlassen. An derUmsetzung der durch den Wettbewerb festge-legten Ziele wird noch heute gearbeitet.Schlechte Vermarktbarkeit vieler F lächen undresidentielle Segregation beeinflussen die Reali-sierung der Bauvorhaben bis heute. Die veralte-ten, durch neue Stadtvorstellungen überholtenStrukturen stehen als Torsi im Stadtkörper. Siegrenzen dicht aneinander wie z.B . der alte Orts-kern und das Spessartviertel. Die dazwischenliegenden leeren Flächen vermögen weder Über-gänge noch Anknüpfungspunkte zwischen denStrukturen zu schaffen. Die Fragmentierung derStadt als eines ihrer herausragenden Charakter-istika ist in der Baustruktur ablesbar.

2.2.1.2 FragmentierungDie Fragmentierung der Stadtfigur lässt sich aufdrei Ebenen beschreiben:

Zerrissene gesamtstädtische FigurDie Stadtfigur wird durch Verkehrstrassen fürden Kraftfahrzeugverkehr und die S-Bahn zer-schnitten. Die sich in der Planung ausdrücken-de Automobilgerechtigkeit prägt das Stadtbildbis heute. Von besonderer Bedeutung sind indiesem Zusammenhang die vierspurig ausge-baute Bundesfernstraße und die Landesstraße.

Man kann sich heute glücklich schätzen, dassdie Kreuzung der beiden Straßen in der neuenStadtmitte nicht in der ursprünglich geplantenKleeblattform ausgeführt wurde. Dennoch bil-den die vierspurigen Straßen gravierende Ein-schnitte in das Stadtgefüge. Unterstützt wirddies durch die Parallelerschließung der an denStraßenraum grenzenden Nutzungen. Der Er-schließungs- und Durchgangsverkehr werdenvoneinander getrennt. Es besteht kein direkterZugang der Anlieger zu den beiden Straßen.

Ausbildung heterogener StadtquartiereDie heutige Stadtfigur wird stark durch die Pla-nungen im Rahmen der Entwicklungsmaßnah-me geprägt.92 Ausdruck dafür ist die "NeueMitte", die in Konkurrenz zu dem alten Ortskernvon Dietzenbach tritt. Das Nebeneinander unter-schiedlicher Baustrukturen lässt Stadtfragmente

entstehen. Die Fragmente sind geprägt durchden Wechsel der Leitbilder und die Veränderun-gen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.An die Bewohnerinnen und Bewohner werdenje nach Stadtfragment unterschiedliche Nut-zungsangebote gemacht. Zwischen den Frag-menten entstehen Brüche, die im Folgendenexemplarisch beschrieben werden sollen:

Abb. 11. Ortstrennende Bundesstrasse Abb. 12. Großwohnanlage

92 Die F läche der Entwicklungsmaßnahme umfasst eine Größe von etwa 796 ha und entspricht damit einem Drittelder Gemarkungsgröße, vgl. Kap. 2 .1 .

Page 38: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

38 Direkt im Anschluss an den alten DietzenbacherOrtskern entstand die beschriebene Großwohn-anlage auf der grünen Wiese. Die Nutzung desräumlich dichten, vielfältigen und auf eine Mittehin orientierten Ortskernes könnte nicht unter-schiedlicher sein als die erforderliche Lebens-weise locker auf der grünen Wiese verstreuterGebäude ohne erkennbaren Straßenraum undöffentlichen Raum. Die im Ortskern vorhandenekleinräumliche Nutzungsmischung von Einzel-handel, vereinzelter landwirtschaftlicher Nutzungund Wohnungen wird in der Großwohnanlage

aufgegeben. Die Funktionstrennung erhält Priori-tät. Das Wettbewerbsgebiet von 1976 unter-scheidet sich in seiner Baustruktur, wie schonbeschrieben, deutlich vom alten Ortskern unddem Spessartviertel. Die städtebauliche Strukturmacht ein anderes Nutzungsangebot als die Be-bauung der Großsiedlung. Das Erschließungs-system weist deutliche H ierarchien auf. Es gibtin den städtebaulich übergeordneten Straßeneine Nutzungsmischung innerhalb der Gebäude,d.h. von Läden, Büros und Wohnungen, wäh-rend die anderen Straßen als reine Wohnstraßenentwickelt werden.93

Die derzeit innerhalb des Entwicklungsbereichesentstehenden Reihenhausgebiete sind mono-funktionale Wohngebiete, die durch eine hoheAusnutzung der Baugrundstücke gekennzeich-net sind. Es werden keine dieser Ausnutzungentsprechenden Außenräume angelegt.

Perforation der Stadtstruktur durch BrachenInnerhalb des Entwicklungsbereiches wird dieStadt durch einen ganz anders gearteten Pro-zess fragmentiert als die bisher beschriebenebauliche Fragmentierung aufgrund sich verän-dernder Leitbilder und Stadtvorstellungen. Dieschleppende Vermarktung der Flächen im Ent-wicklungsbereich führt zu einer Vielzahl vonBrachen in der Stadt. Diese leeren F lächen lie-gen sowohl an den Siedlungsrändern als auchan städtebaulich wichtigen Kanten wie der Of-fenbacher Straße. Sie stehen zum Verkauf oder

sind schon verkauft, ohne dass der Verkauf zueiner Entwicklung der Grundstücke geführthätte. Sie lassen als Einheit geplante Quartiereräumlich auseinanderdriften, die Bildung vonStraßenräumen wird, obwohl in der Planungvorgesehen, nicht realisiert. Die leeren F lächengehören zum Bild in der Stadt, aber sie entwi-ckeln keine eigenen räumlichen Qualitäten, diezur Vielfalt der städtischen Struktur beitragenwürden. Sie sind ungenutzt und unnutzbar, dasie für die zukünftige Entwicklung vorgehaltenwerden. Aus dem stadträumlichen Kontext wer-den sie ausgeklammert und können somit auchnicht produktiv für die Gegenwart genutzt wer-den.

Abb. 14. ReihenhausbebauungAbb. 13. Blockrandbebauung

93 Vgl. auch Rahmenplan 1979 in: Bundesministerium für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau; Das Dietzen-bacher Modell, Schriftenreihe "Stadtentwicklung", Bonn1982 , S.249 .

Page 39: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Die drei Ebenen der Fragmentierung lassen einediskontinuierliche Stadtstruktur entstehen. Dieeinzelnen Teile entwickeln auf Grundlage ihrerBaustruktur keine ausgeprägten räumlichen Cha-raktere. Brüche, abrupte Grenzen, Perforationund Brachen prägen das Stadtbild. Die Besin-nung auf die Stärken der jeweiligen Einzelfrag-mente ist in Dietzenbach nicht erkennbar. DieEntwicklung lokaler räumlicher Zentren, z.B .durch Bürgerhäuser für die Quartiere, öffentli-che Plätze oder Freiraumgestaltung, findet nichtstatt. Eine räumliche Unterstützung der vor Ort

vorhandenen lokalen Netzwerke erfolgt nicht.94

Es wird sich erweisen, ob die Diskussion überdas sogenannte "Innenohr", einer zentralen Rest-fläche in der Großsiedlung an der LauffacherStraße, in Zukunft unter dem Zeichen einermöglichen Stärkung der lokalen städtebaulichenIdentität des Viertels stehen könnte. Das Ziel,eine Stadt zu bauen, erweist sich als zuneh-mend hinderlich für die qualitative Entwicklungder einzelnen Quartiere.

2.2.1.3 Fragmentierte Stadtmitte - Verkehrs-infrastrukturIn Dietzenbach wurden gemäß den damaligenVorstellungen von der autogerechten Stadt Stra-ßen entsprechend großzügig dimensioniert. Seitdreißig Jahren aber wird auf die Umsetzung desÖPNV-Anschlusses in Gestalt der S-Bahn ge-wartet. B is zu deren nun für Ende 2003 ge-

planten Realisierung bleibt man in Dietzenbachohne Auto auf Busse angewiesen, die die Stadtmit Frankfurt, Offenbach und dem Flughafenverbinden, nicht jedoch nach Süden (Darmstadt,Dieburg).

Nutzung und Bebauung der "Neuen Mitte"Die im Rahmen der Stadtentwicklungsmaßnah-me geplante "Neue Mitte" ist bis heute nichtmaßgeblich realisiert. Dem Planungsgeist ihrerEntstehungszeit gemäß wurde die "Neue Mitte"zunächst durch die Infrastruktur einer überge-ordneten Straßenkreuzung mit acht bzw. sechsSpuren definiert, um die Anbindung an dieOberzentren zu sichern. Unmittelbar an dieserKreuzung entstand - zeitlich und räumlich vordem Rathaus - ein Verbrauchermarkt. Durchseine optimale Erschließung und den reichlichvorhandenen Stellplätzen einerseits sowie denunbebaut gebliebenen Nachbargrundstückenandererseits kommt er einem Verbrauchermarkt"auf der grünen Wiese" gleich. Überwiegend durch den Verbrauchermarkt, derüber eine Brücke auch für Fußgängerinnen undFußgänger mit der angrenzenden Hochhaus-siedlung verbunden ist, entsteht Öffentlichkeitim weitgehend ungenutzten Zentrum. Interessanterweise birgt die Konstellation derguten Erschließung und des Flächenpotenzialsder Mitte Dietzenbachs das Potenzial, der an-dernorts beklagten Abwanderung von Kaufkraftauf die grüne Wiese entgegenzusteuern.Der in den siebziger Jahre entstandene Verbrau-chermarkt wurde bisher nicht modernisiert. Im-mer wieder gibt es Verhandlungen und konkretePlanungen zur Neuansiedlung von Fachmärkten.Verhandlungen mit unterschiedlichen Investorenüber einen Hotelbau führten bisher zu keinerUmsetzung.Nach der Errichtung des Bürgerhauses in denachtziger Jahren wurde während derProjektlauf-zeit im Jahre 2002 auf einer derZentrumsbrachen das Kreishaus errichtet, imSinne der siebziger Jahre, Verwaltung in die

39

Abb. 15. - 17. Stadtbrachen

Abb. 18. Innerörtliche Kreuzung

94 Vgl. Kap.4 .1 .1 .3 .

Page 40: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

40 neuen Mitten zu verlegen. Auf Grund derWirtschaftslage und der F inanzlage der öffent-lichen Haushalte ist nach dreißig Jahren nunnicht mit einer Vollendung der Projekte aus derstädtebaulichen Entwicklungsmaßnahme zurechnen, wenngleich die Stadt vertraglich nochimmer daran gebunden ist. Die großenBrachflächen veranschaulichen am eindrück-lichsten die nicht erreichten Ziele derEntwicklungsmaßnahme.

Mitte als IdentitätDas Bild einer Stadt wird heute vielfach vonihrem historischen Kern abgeleitet. Er bildet inder Regel auch für verschiedenste Bewohner-innen und Bewohner in den unterschiedlichenQuartieren insofern einen Integrationsfaktor, alssich alle Bewohnerinnen und Bewohner auf ihnbeziehen können. Die historische Ortsmitte in Dietzenbach hat dieFunktion einer von allen anerkannten Mitte für

die fünffach gewachsene Einwohnerschaft nichtübernehmen können. Ein von der gesamten Be-völkerung anerkanntes und genutztes Stadtzen-trum fehlt. Dennoch wird das Fehlen einer Mittevon der Bevölkerung nicht beklagt.95

Der "Neuen Mitte" Dietzenbachs mangelt es ander Funktionsvielfalt und Dichte der klassischeneuropäischen Stadt. Andere Identifikationsmerk-male sind nicht erkennbar.

FreiraumDer an die Hauptkreuzung heranreichendeStadtpark macht einen ähnlichen Eindruck wiedie brachliegenden F lächen im Zentrum. Er istals "Landschaftspark" gedacht, was aber dieZersplitterung der Stadtteile in einer fragmentier-ten Landschaft unterstreicht und zudem in derBevölkerung wenig verstanden wird. In öffent-lichen Freiräumen Dietzenbachs ist viel-fachVandalismus zu beklagen. 96

FazitDie neue Stadtmitte ist Jahrzehnte nach ihrerPlanung in wesentlichen Bereichen nicht reali-siert worden. Für die Verwischung der Grenzenvon Stadt und Landschaft im Ballungsraum istdie Stadt Dietzenbach in ihrer Fragmentiertheitein Beispiel der Zwischenstadt par excellence.97

Verstärkt wird dies durch ihre nicht vorhandeneeindeutige Mitte, ihre phasenweise gewachse-nen, isolierten Stadtviertel sowie die die Stadtzerschneidenden breiten Straßen.Die "Neue Mitte", die aufgrund der Brachflächenals solche auch kaum wahrnehmbar ist, bietetkeinen Aufenthaltsort und keine Identifikations-merkmale.Die Brachflächen der Mitte können als Potenzialfür eine temporäre Bespielung angesehen wer-den, über deren Teilnahme zeitlich begrenzteIdentifikation entstehen könnte.

Abb. 19. Neue Mitte

95 Aussage Stadtplanungsamt96 Von den im Rahmen des Hessentags angepflanzten

Stauden wurden zahlreiche aus dem Stadtpark entwendet.97 vgl: Thomas Sieverts, Zwischenstadt, Braunschweig 1997 .

Page 41: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

412.2.1.4 Rolle in der RegionDie Stadt Dietzenbach liegt im Ballungsraumder Rhein-Main-Region. Dies prädestinierte siebereits 1973 als ‚"Wohnentlastungsstandort" fürFrankfurt im Rahmen der städtebaulichen Ent-wicklungsmaßnahme. Sie gehört zum heutigenPlanungsverband Frankfurt Rhein-Main. Wie in vielen Umlandgemeinden lebt der Groß-teil der Einwohner seit weniger als zwanzigJahren in Dietzenbach. Der Anteil an ausländi-schen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist mitca. 30% der höchste innerhalb des Verbands-gebiets. War früher die Arbeitsplatznähe zu Frankfurtund Offenbach maßgeblich, so spielt heute dieNähe zum F lughafen mit seinen 60 .000Arbeitsplätzen nicht nur arbeitsmarktpolitischeine bedeutende Rolle. Viele Speditionsfirmenhaben sich aufgrund dieser Konstellation ange-siedelt. Umgekehrt zählt Dietzenbach zu denGemeinden, die in unmittelbarer Nähe zur Ein-flugschneise auch vom F luglärm betroffen sind.Wie in vielen anderen Gemeinden ist die Identi-fikation mit der Region jedoch sowohl bei denBewohnern als auch bei den Politikerinnen undPolitikern kaum ausgeprägt. Auf regionaleIdentitätsstiftung abzielende Planungen, wie derRegionalpark des Planungsverbandes, bei demdie Kommunen neben den Fördergeldern eineneigenen Anteil leisten und sich mit den Nach-bargemeinden vereinbaren müssen, stoßen aufwenig Resonanz. Auch die Identifikation mit der Stadt scheintnicht besonders hoch, gemessen an der Anzahlder Vereine im Vergleich zur Region. Aufgrund des höchsten Ausländeranteils undeiner überdurchschnittlichen Kriminalitätsrate inder Region genießt Dietzenbach ein eher negati-ves Image.98 Dem versuchte man mit der Veran-staltung des Hessentags 2001 sowie der Errich-tung der Kreisverwaltung entgegenzuwirken. Ausgleichem Grund strebte die Stadt nach dem Ti-tel der Kreisstadt, den sie im März 2003 aucherhielt.

2.2.2 Die Einwohnerinnen undEinwohner Dietzenbachs

Die Entwicklung Dietzenbachs schlägt sich auchin der heutigen Bewohnerstruktur nieder. H ierlassen sich sowohl gesamtstädtische Trends wieauch räumliche Differenzierungen feststellen, diedie These der fragmentierten Stadt untermauern.Im Folgenden werden zentrale Merkmale darge-stellt. Diese entstammen dem Sozialbericht1999/2000 der Stadt Dietzenbach, dem Sozial-strukturatlas 2000 des Landkreises Offenbachsowie einer Erhebung im Rahmen des ProjektsDietzenbach 2030 , deren methodische Heran-gehensweise in Kapitel 3 dargestellt wird.

2.2.2.1 Gesamtstädtische MerkmaleDie Sozialberichte weisen Dietzenbach als jungeStadt aus. Dies betrifft sowohl den Altersdurch-schnitt als auch den Anteil junger Menschen inRelation zu anderen Kommunen des LandkreisesOffenbach. So nimmt Dietzenbach beim Anteilder Jugendlichen unter 18 Jahren mit 21 ,7 %im Verhältnis zu 18 ,3 % Kreisdurchschnitt denSpitzenplatz im Kreis ein. Diese Relation findetsich auch beim Betrachten des Anteils der Kin-der unter 14 Jahren. H ier liegt das Verhältnisvon Dietzenbach mit einem Anteil von 17 ,8 %an Kindern unter 14 Jahren gegenüber 15 ,3 %im Landkreis Offenbach.Umgekehrt ist der Anteil der Bevölkerung über65 Jahre recht gering. Der Anteil der über 65-Jährigen beträgt in Dietzenbach 9 ,7 % gegen-über einem Kreisdurchschnitt von 14 ,4 %.Entsprechende spezifische räumliche und infra-strukturelle Ausstattungen bzw. Entwicklungenlassen sich nicht feststellen.Entsprechend der dynamischen Entwicklung dervergangenen dreißig Jahre - zusammenfassendkann man das Wachstum der Bevölkerung vonetwa 10 .000 im Jahre 1966 auf etwa 33 .000heute benennen - sind deutliche Merkmale zusehen, die auf eine geringe lokale Bindung

98 Häufigkeit der Straftaten laut Statistik des LKA Hessen für 2002 .

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schließen lassen. So ergibt eine Befragungsreiheim Rahmen des Projekts Dietzenbach 2030 einBild, nach dem fast die Hälfte der Befragtenweniger als zehn Jahre in Dietzenbach wohnt.Dies ist auf Grund des immensen Zuzugs unddes Wachstums der Stadt nicht erstaunlich.Dieser Befund entspricht auch den Ergebnissendes Sozialberichts des Landkreises, der ähnlicheWerte für die Wohndauer bis fünf Jahre auf-weist. Nach diesen Zahlen wohnen 29 ,9 % derDietzenbacher Bevölkerung weniger als fünfJahre in Dietzenbach.In dieselbe Richtung weisen auch die Ergeb-nisse auf die Frage "Sind Sie in Dietzenbachgeboren?". H ier antworteten lediglich 10 ,1 %der Befragten mit "Ja", während 89 ,9 % derBe-fragten mit "Nein" antworteten.Eine Besonderheit, die Dietzenbach im Rhein-Main-Gebiet darstellt, besteht im Anteil derMigrantenbevölkerung. Dieser liegt aktuell bei28 ,7 %, was über dem Wert der stark internati-onalisierten Großstadt Frankfurt/Main liegt. Be-trachtet man den Kreisdurchschnitt, so liegt die-ser mit 15 ,5 % etwa bei der Hälfte. Betrachtetman zudem den Zusammenhang von Migra-tionshintergrund und Altersdurchschnitt, so lässtsich feststellen, dass die nichtdeutsche Bevöl-kerung in Dietzenbach im Durchschnitt elf Jahrejünger ist als die deutsche Bevölkerung (durch-schnittliches Geburtsjahr der deutschen Bevöl-kerung: 1958 , der nichtdeutschen Bevölkerung:1969). H ier sind deutlich Zuzugs- und Kumula-tionseffekte durch die Herausbildung ethnischerNachbarschaften und Netzwerke zu vermuten.Dies hat auch erheblichen Einfluss auf die not-wendigen Einrichtungen für Kinder und Jugend-liche, Bildungseinrichtungen und die Ausbil-dungsstruktur, was in der Realisierung jedochkaum festzustellen ist.Der Sozialbericht des Landkreises weist die Zifferder Mitglieder christlicher Religionsgemeinschaf-ten aus. Inhaltlicher H intergrund für die Auswer-tung dieser Zahl, laut Anmerkung im Sozialbe-richt, ist einerseits die Orientierung an traditio-nellen Werte- und Orientierungsmustern, an-dererseits wird die Mitgliedschaft in christlichen

Konfessionen mit gemeinwesenorientierten sozi-alen Ressourcen verbunden. In diesem Sinnekönnte man sie auch als einen Parameter fürdas Zustandekommen traditioneller, westeuro-päischer, kleinstädtischer Öffentlichkeit undNachbarschaft bewerten. H ier liegt der AnteilDietzenbachs mit 45 ,2 % im Verhältnis zumKreisdurchschnitt mit 63 ,2 % mit Abstand amniedrigsten. Dabei wird allerdings nicht bedacht,dass bei einer solchen Maßzahl sicher Vorsichtgeboten ist, da sie eine deutliche H ierarchisie-rung und Bewertung von Religionsgemeinschaf-ten auf einen spezifischen Wertekanon vor-nimmt. Aus einer anderen Perspektive gesehenerschließt sich über eine solche Zahl aber diepotenzielle Möglichkeit des Zugangs zu einemdominierenden Wertekanon in einem Gemein-wesen.H insichtlich der sozialstrukturellen Belastung,nimmt Dietzenbach ebenfalls eine Sonderstel-lung im Feld der umliegenden Kommunen ein.Der verwendete sogenannte Belastungsindexwird aus der Summe der Arbeitslosen, Sozial-hilfe- sowie Wohngeldempfängerinnen - und -empfänger, bezogen auf die Bevölkerung, be-rechnet. Mit einem Anteil von 13 ,3 auf 100Einwohner liegt er sowohl deutlich über demdes Landkreises mit einem Anteil von 7 ,4 , aberauch über dem Index der südhessischen Groß-städte, in denen sich in Relation zu kleinerenKommunen gemeinhin eine Kumulation vonsozialstrukturellen Belastungen findet. Der Indexfür die südhessischen Großstädte liegt bei 11 ,7 .Fasst man die Aussagen aus den genanntenWerten zusammen, so handelt es sich bei Diet-zenbach:• Um eine demographisch junge Stadt.• Um eine "frisch besiedelte" Stadt.• Um eine Stadt mit einem hohen Migranten-

anteil.• Um eine Stadt mit einer Sozialstruktur, die

auf Grund der dynamischen Entwicklung eineVielzahl unterschiedlicher Teilräume aufweist.

• Um eine Stadt, die unter den gegebenen Maßstäben ein hohes Maß an sozialstruktu-reller Belastung aufweist.

42

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432.2.2.2 Fragmentierungen - Merkmale vonTeilräumenDie oben genannten Indikatoren lassen sichauch auf Teilräume Dietzenbachs herunterbre-chen. Der Sozialbericht der Stadt Dietzenbachgeht dabei von acht Sozialräumen innerhalbDietzenbachs aus. Diese sind im einzelnen 1 . das Spessartviertel,2 . der Bereich Robert-Koch-Straße, Max-

Planck-Straße, Messenhäuser Straße,3 . der Stadtteil Steinberg,4 . der Bereich Altstadt, Ostend, Wingertsberg,5 . der Bereich Westend, Dreieichviertel,6 . die neue Stadtmitte,7 . der Stadtteil Hexenberg,8 . die Gewerbegebiete.

Alter als strukturierendes MerkmalDietzenbach ist im obigen Kapitel als jungeStadt beschrieben worden. Geht man auf dieEbene der Quartiere, so differenziert sich diesesBild erheblich nach Teilräumen aus. Betrachtetman die einzelnen Quartiere nach Einwohner-

innen/Einwohnern und Alter strukturiert, soergibt sich folgende Tabelle:

Deutlich wird an dieser Übersicht, dass dieAltersdurchschnitte nach Stadtteilen erheblichdifferieren. Dies legt es nahe, nach den struktu-rierenden Gründen zu fragen. Bei den Quar-tieren Altstadt, Westend, Hexenberg und Teilenvon Steinberg handelt es sich um Quartiere mitlängerem Bestand. Bei den Quartieren Spessart-viertel, Robert-Koch-Straße und "Neue Mitte"handelt es sich um die Neubauquartiere seitBeginn der siebziger Jahre. Zunächst kann manalso sagen, dass die Neubaugebiete der vergan-genen dreißig Jahre durch eine strukturell jün-gere Bevölkerung gekennzeichnet sind. Alleineaus der Altersstruktur lassen sich differenzierteInteressen und Anforderungen an die Stadt undderen unterschiedliche Funktionen (Infrastruk-tur, Reproduktion, Öffentlichkeit, Freizeit etc.)folgern.

Verweildauer und Umzugshäufigkeit als struk-turierende MerkmaleH insichtlich verschiedener Merkmale lassensich die acht Gebiete in drei Typen gliedern,wonach sich traditionelle Gebiete (Altstadt,Steinberg, Hexenberg, Wingertsberg, Westend)und Neubaugebiete (Unterscheidung zwischen"Neue Mitte" und Spessartviertel/Robert-Koch-Straße) differenzieren. Sicherlich ist es nichtunproblematisch, Stadtteile zusammenzufassen,

Abb. 20. Sozialräume Dietzenbachs

1

2

3

4

56

7

8

Quartier12345678Stadt

BewohnerInnen7639

82873594897653938992261

39733819

Mittl.Geb.Jahr196819681959195819591968195519631962

Tab. 4. Durchschnittliches Geburtsjahr nachQuartier

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zumal diese teilweise räumlich isoliert vonein-ander liegen. Auch die unterstellte Homogenitätder Stadtteile ist natürlich nicht durchgängig ge-geben. Anzumerken ist hier jedoch, dass sozial-strukturelle Typisierungen vorgenommen werden,die Tendenzen abbilden und damit auf kleinräu-mige, baulich-räumliche Differenzierungen ver-zichtet werden kann. Somit ist die Verengungder Betrachtung, bei allem darin steckenden In-formationsverlust, erkenntnisgewinnend.Ein erstes Beispiel stellt die Differenzierung hin-sichtlich der Wohndauer in den Quartieren dar.H ier kommt man zu folgenden Ergebnissen:Deutlich wird hier, dass sowohl die Verweildauerim Quartier wie auch die Umzugsbewegungenhöchst unterschiedlich sind. Festzustellen ist, dass es in den traditionellen Quartieren eine

Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die Dietzen-bach als dauerhaften Wohnstandort gewählt hat.Betrachtet man die Neubaugebiete, so stellt manfest, dass die Wohndauer im Bereich des Spes-sartviertels, das zu einem erheblichen Teil in derersten Hälfte der siebziger Jahre fertiggestelltwurde, deutlich niedriger liegt als im Bereich der"Neuen Mitte", die in weiten Teilen erst in denachtziger und neunziger Jahren bebaut wurde.

Altersstruktur und MigrantenanteilDifferenziert man die Betrachtung weiter aus, solassen sich weitergehende Merkmale von Frag-mentierung und daraus resultierenden Interes-senlagen entwickeln. Innerlich differenziert sinddie Neubaugebiete durch den Anteil der Migran-tinnen und Migranten. Bei den Quartieren Spes-sartviertel und Robert-Koch-Straße weist der So-zialbericht auf einen Migrantenanteil von bis zu86 % hin, ohne dass Differenzierungen benanntwerden. Als Vergleich wird lediglich der StadtteilHexenberg benannt, in dem der Migrantenanteilbei etwa 8 % liegt. Die Stadt Dietzenbach hatin ihrem Sozialbericht darauf verzichtet, denZusammenhang von anteiligem Migrationshin-tergrund im Quartier, durchschnittlichem Ge-burtsjahr und/oder Kinderanteil in Quartierenmit verdichtetem Wohnungsbau systematischdarzustellen, was obige Tabelle etwas unscharfwerden lässt. Gleichwohl ist durch den ange-deuteten Vergleich der Quartiere Hexenberg undSpessartviertel anzunehmen, dass es einen sig-nifikanten, quartiersspezifischen Zusammenhangzwischen Altersstruktur und Migrantenanteil gibt.In aller Deutlichkeit formuliert kann man sagen:Je höher der Migrantenanteil eines Quartiers,desto jünger die Bevölkerung.

Kinderzahl als strukturierendes MerkmalN icht nur der Altersdurchschnitt prägt die Struk-tur der Quartiere, sondern auch der relative An-teil der Kinder an der Bevölkerung in denQuartierstypen (siehe Tab. 6 .). Zunächst bestätigt sich auch hier der Trend,dass die Neubauquartiere altersmäßig die jün-geren sind. Ergänzen lässt sich diese Aussage

44

Tab. 5. Wohndauer nach Quartierstypen inProzent

< 1 Jahr1-5 Jahre

5-10 Jahre> 10 Jahr

TraditionelleQuartiere

7 ,6 %17 ,1 %14 ,3 %

61 %

"NeueMitte"

20 %20 % 15 %45 %

Spessart-viertel

R. Koch Str.

25 %37 ,5 %

8 ,3 %29 ,2 %

Tab. 6. Quartierstypen und Kinderanteil

BewohnerInnenzahlin abs. ZahlenBewohnerInnen bez.auf GesamtstadtKinderzahl in abs.ZahlenKinder in Prozent imStadtteilKinderanteil bez. aufGesamtstadt

TraditionelleQuartiere

21 .453

63 ,4 %

2 .638

12 ,3 %

48 ,9 %

"NeueMitte"

3 .899

11 ,5 %

828

21 ,2 %

15 ,3 %

Spessart-viertel

R.-Koch Str.

8 .467

25 ,1 %

1930

22 ,8 %

35 ,8 %

Gesamt-stadt

33 .819

100 %

5396

16 %

100 %

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nun aber dadurch, dass sich die Bewohnerinnenund Bewohner der Neubauquartiere in einerfrüheren Familienphase befinden und deshalbder Anteil der Kinder relativ höher ist als in dentraditionellen Quartieren. Verstärkt wird aber auch die Aussage über dierelativ junge nichtdeutsche Bevölkerungsstrukturnach Quartieren hinsichtlich der Kinderzahl.Über ein Drittel aller Kinder Dietzenbachs lebenin den als problematisch bewerteten Quartierender Stadt, deren Migrantenanteil bei bis zu 86 % liegt.Bezieht man die, über den Stadtraum verteilten,weiteren Gebiete verdichteten Wohnungsbausein - um solche handelt es sich bei den Quar-tieren Spessartviertel und Robert-Koch-Straßeebenfalls - so kommt der Sozialbericht der StadtDietzenbach zu dem Ergebnis, dass 51 % allerKinder Dietzenbachs im verdichteten, hochge-schossigen Wohnungsbau leben. Auch hier sindkeine Zahlen bezüglich des Migrantenanteilsausgewiesen, doch liegt die Vermutung nahe,dass es sich hier um einen großen Anteil vonZuwanderinnen und Zuwanderern handelt. Be-stätigt wird dieser Schluss durch die Aussagedes Sozialberichts, dass 42 ,9 % aller KinderDietzenbachs der nichtdeutschen Bevölkerungangehören. Insofern besteht hier ein weiteresstrukturierendes Merkmal, aus dem sich poten-zielle Interessen und Anforderungen ableitenlassen. Die Merkmalskombination von Migra-tionshintergrund, Kinderzahl und Wohnen inverdichtetem Wohnungsbau ist für etwa 25 %der Dietzenbacherinnen und Dietzenbacher all-tags- und interessenprägend.

Sozialstaatliche Transferleistungen alsDifferenzierungsmerkmalDie Betrachtung von Transferleistungen nachStadtteilen differenziert das Bild Dietzenbachsweiter. So stellt etwa der Bezug von Sozialhilfe(H ilfe zum Lebensunterhalt, HLU) einen Indi-kator für die Verteilung konkreter Armutssitua-tionen dar. Die bislang genannten Merkmaledienten eher dazu, Differenzierungen nach Le-benslagen und eventuell deren Risiken vorzu-

nehmen, während der Bezug von Transferlei-stungen wie HLU eine vorhandene Armutssitu-ation beschreibt. Folgende Übersicht beschreibtdie Verteilung dieser Armutssituation:

Ergänzend seien noch einige Zahlen zum Ver-gleich erwähnt. So liegt die Sozialhilfedichte imLandkreis Offenbach bei 3 ,4 % und im Regie-rungsbezirk Darmstadt/Südhessen bei 4 ,1 %.Festzuhalten ist also zunächst, dass die Sozial-hilfedichten in allen Teilen Dietzenbachs überdem Durchschnitt des Kreises wie Südhessensliegen. Die Spreizung der Verteilung ist aller-dings erheblich, mit Schwankungen zwischen5 ,2 % und 19 ,9 % in den jeweiligen Quar-tieren. Jeder fünfte Bewohner der Quartiere mitverdichtetem Wohnungsbau, hohem Migranten-anteil, junger Bewohnerstruktur und kinderrei-chen Familien sieht sich mit einer konkretenArmutssituation konfrontiert. Betrachtet mangesondert die Situation der Kinder in solchenQuartieren, so spitzt sich der Anteil nochmalserheblich zu.Auch hier ist anzumerken, dass es sich struktu-rell um eine eher typisch großstädtische Situa-tion handelt, die gemeinhin in Kommunen derGemeindegrößenklasse Dietzenbachs quasinicht anzutreffen ist. Leider liegen keine differenzierten Daten der

45Tab. 7. HLU-Bezug nach Quartierstyp

BewohnerInnenBewohner bez. aufGesamtstadtBezieherInnen HLUHLU bezogen aufAnteil anGesamtstadtHLU bez. aufQuartiersbevölkerung

TraditionelleQuartiere

21 .453

63 ,4 %

1111

36 ,4 %

5 ,2 %

"NeueMitte"

3 .899

11 ,5 %

256

8 ,4 %

6 ,6 %

Spessart-viertel

R.-Koch Str.

8 .467

25 ,1 %

1686

55 ,2 %

19 ,9 %

Gesamt-stadt

33 .819

100 %

3053

100 %

9 ,0 %

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Bundesanstalt für Arbeit für die unterschiedli-chen Teilräume vor. Somit lassen sich keine dif-ferenzierten Aussagen zu Ausbildungs- und Er-werbsstatus treffen.

Teilhabe an deutscher Öffentlichkeit als Merk-mal gesamtstädtischer IntegrationAls ein Maßstab wurde die Gruppe der "öffent-lichen Funktionäre" analysiert. H iermit sind Per-sonen gemeint, die qua Funktionsübernahme inder Lage sind, das öffentliche Leben mitzuprä-gen. Konkret wurde die Verteilung der politi-schen Amtsinhaberinnen und Amtsinhaber (Ma-gistratsmitglieder und Stadtverordnete) und derVereinsvorsitzenden über die Stadtquartiere be-trachtet.Deutlich wird an dieser Übersicht, dass sich derKernbereich der klassischen Dietzenbacher Öf-fentlichkeit in den traditionellen Quartieren kon-zentriert. Auf der Ebene der politischen Interes-senvertretung gelingt es den tendenziellen Neubürgerinnen und Neubürgern im Bereich der"Neuen Mitte", sich in Analogie zu ihrem prozen-tualen Bevölkerungsanteil einzubringen, wäh-rend die Bewohnerinnen und Bewohner derQuartiere mit hochverdichtetem Geschosswoh-

nungsbau kaum repräsentiert sind. Ein Grundist sicher im existierenden Wahlrecht zu sehen,das N icht-EU-Ausländer ausschließt. Weitet manden Blick jedoch auf den weniger formalisiertenBereich der Vereine aus, so liegt die Perspektiveder öffentlichen Desintegration näher. In der Ver-einsstruktur ist es auch den sozialstrukturellmittelschichtnahen Bevölkerungsgruppen im Be-reich der "Neuen Mitte" bislang nicht gelungensich einzubringen bzw. entspricht dies auchnicht ihrer Bedürfnisstruktur. Bezüglich der ge-samtstädtischen Struktur der Öffentlichkeit inDietzenbach kann man schließen, dass sich diedörfliche Struktur konserviert und fortgeschrie-ben hat, was in erheblichem Widerspruch zumWandel der Sozialstruktur der Stadt mit einemhohen Migrantenanteil steht.Augenfällig ist auch, dies ist sicher kein originärDietzenbacher Phänomen, dass die Beteiligungder Bevölkerung in risikobehafteten Lebenslagenund konkreten Armutssituationen am öffent-lichen Leben nicht stattfindet. Insofern ist dieInteressenartikulation in einem relevanten Teildes öffentlichen Raums der Stadt, der Vereins-struktur, für diesen Teil der Bevölkerung nichtgegeben.Geht man weiter und betrachtet die zivilgesell-schaftliche Struktur der Stadt, so gelingt esselbst den mittelschichtorientierten Zugezoge-nen nicht, sich zu integrieren.Fasst man die quartiersspezifischen Differen-zierungsmuster zusammen, so lassen sich fol-gende Aussagen treffen:

• Es besteht eine prinzipielle Differenz in derAltersstruktur der Bewohnerinnen und Bewoh-ner der traditionellen Quartiere und der Neu-baugebiete der vergangenen dreißig Jahre.

• Dies geht einher mit unterschiedlichen Antei-len von Kindern an der Wohnbevölkerung, diein den traditionellen Quartieren um 10 % unterdenen der Neubauquartiere liegt.

• Differenzierungen zwischen diesen Quartierenbestehen auch in der Teilhabe an der deutschen

46

Tab. 8. Verteilung "öffentlicher Funktionäre" inden Quartierstypen

PolitischeFunktionsträgerInnenAnteil der Quartieream StadtgebietAnteil der Quartierean pol. Funktions-trägerInnenVereinsvorsitzendeAnteil der Quartierean Vereinsvorsitzen-denGesamtzahl

TraditionelleQuartiere

47

63 ,4 %

85 ,5 %65

84 ,4 %112

"NeueMitte"

6

11 ,5 %

10 ,9 %1

1 ,3 %7

Spessart-viertel

R.-Koch Str.

2

25 ,1 %

3 ,6 %

11 ,3 %

3

AußerhalbDietzen-

bach

0

0

0

1013 %

10

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städtischen Öffentlichkeit. Etwa 85 % der öffent-lichen Funktionen sind mit Bewohnerinnen undBewohnern der traditionellen Quartiere besetzt.Nur im politischen Sektor gelingt es den Bewoh-nerinnen und Bewohnern des Bereichs "NeueMitte", sich repräsentativ einzubringen. Spes-sartviertel/Robert-Koch-Straße haben weder impolitischen noch im zivilgesellschaftlichen Sektoreine repräsentative Entsprechung.

• Differenzierungen zwischen den Neubauquar-tieren bestehen vor allem im Anteil der Bevöl-kerung mit Migrationshintergrund. Genaue An-teile werden nicht ausgewiesen, die Andeutun-gen sind gleichwohl evident.

• Gleiches gilt für den Bezug von H ilfe zumLebensunterhalt. Dieser liegt in allen Quartierenüber dem Kreisdurchschnitt, kumuliert aber inbesonderem Maße im Bereich Spessartviertel/Robert-Koch-Straße.

• Die Wohndauer ist im Bereich Spessartviertelam geringsten. Nach bald dreißig JahrenBestand eines großen Teils der Wohnungen indiesem Bereich wohnen lediglich 29 % derBewohnerinnen und Bewohner länger als zehnJahre vor Ort.

Zusammenfassend kann man von einem hohenMaß an residentieller Segregation sprechen.

2.2.3 Erste Konsequenzen: NeueAnsätze in der Planung

2.2.3.1 Wandel im Bereich der Entwicklungs-maßnahmeWie in Kapitel 2 .1 .4 dargestellt, vollzog sich derWandel der städtebaulichen Konzeption im Ver-lauf der städtebaulichen Entwicklungsmaßnah-me in Dietzenbach vor dem H intergrund einesallgemeinen Wandels von Planungsphilosophien,Leitbildern und Werten im Städtebau, dessendeutlichste Auswirkungen als Abkehr von derWohnhochhausbebauung sichtbar wurden.Sicherlich ist dieser Mitte der siebziger Jahre inFolge der Rezession und der damit einhergehen-den Dämpfung der Wachstumserwartungen auf-kommende Paradigmenwechsel mit dafür ver-antwortlich, dass die im F lächennutzungsplan1966 und Gesamtaufbauplan formulierten Vor-stellungen nie vollständig umgesetzt wurden unddie angestrebte Einwohnerzahl von 60 .000 auf45 .000 herabgesetzt wurde.Auch die Pläne in der Folgezeit, der F lächennut-zungsplan 1977 und insbesondere der städte-bauliche Rahmenplan 1979 , wurden nicht de-tailgenau realisiert. Zwar lassen insbesondereFlächennutzungspläne Entwicklungsspielräumezu und sind schon auf Grund ihres großen Maß-stabs auslegungswürdig, jedoch erfolgten inDietzenbach in der Folgezeit deutliche Abwei-chungen von der städtebaulichen Gesamtkon-zeption, wie der Verzicht auf Wohngebiete öst-lich der S-Bahn-Trasse und auf großflächige Be-bauung. Während der städtebauliche Rahmen-plan östlich der Offenbacher Straße in großenTeilen wie geplant realisiert wurde, wich man inden später realisierten Baugebieten westlich derOffenbacher Straße teilweise stark vom ur-sprünglichen Erschließungskonzept des Rah-menplans 1979 ab.Verantwortlich für die Abweichung von denPlänen und die teilweise ausbleibende Realisie-rung ist in erster Linie eine veränderte Nach-frage auf dem Wohnungsmarkt sowie aus heuti-ger Sicht übertriebene Vorstellungen von der

47

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Größe des Stadtzentrums. Das aus heutigerSicht ursprünglich zu groß angelegte Stadtzen-trum hat seine Berechtigung in den einstmalsangestrebten Einwohnerzahlen von 45 .000 -60 .000 Einwoherinnen und Einwohnern unddamals anderen Vorstellungen von der Konzep-tion eines Stadtzentrums.99 H inzu kamen einBedeutungszuwachs für die Freiraumplanungim bebauten Bereich sowie ein zunehmendesVerständnis für ökologische Belange, welchesich in den neunziger Jahren auch in der Ge-setzgebung niederschlugen.

2.2.3.2 WohnvorstellungenAm Beispiel Dietzenbach lässt sich der bundes-weit zu beobachtende Wandel der Wohnvorstel-lungen seit den siebziger Jahren besondersdeutlich studieren, da auf Grund der städtebau-lichen Entwicklungsmaßnahme ein sehr großerTeil verschiedenster Wohngebiete in diesemZeitraum realisiert wurde. Daher ist der Anteilneuerer Bausubstanz in Dietzenbach im Ver-gleich mit anderen westdeutschen Städten ver-hältnismäßig hoch und ein auffälliges Merkmaldieser Stadt. War die Vermarktung von Hochhauswohnungenin den sechziger und frühen siebziger Jahrennoch unproblematisch, so setzte Mitte der sieb-ziger Jahre eine Trendwende ein: Wer es sicherlauben konnte, mied die Wohnungen in dengerade fertig gestellten Hochhäusern, obwohldiese von der Ausstattung her hochwertig wa-ren. Als die städtebauliche Entwicklungsmaß-nahme nach dem Urteil des VGH Kassel end-lich fortgesetzt werden konnte, war das Leitbildder Hochhausbebauung überholt. Neue kleinteiligere Konzepte wurden insbeson-dere mit dem städtebaulichen Rahmenkonzeptvon 1979 erfolgreich erprobt. Mit diesem Plansollte die "Lücke" zwischen Dietzenbach unddem Ortsteil Steinberg gefüllt werden. Es solltenKapazitäten für das Stadtzentrum sowie für6 .000 Einwohnerinnen und Einwohner und2 .000 Arbeitsplätze geschaffen werden. DieOst-West-Ausdehnung betrug 1 .600 m, dieNord-Süd-Ausdehnung an der schmalsten Stelle

immerhin gut 800 m. Vorgesehen war eineMischung aus Wohnen, Gewerbe und Handelsowie ein abgestuftes Bebauungskonzept mitvier bis fünf Vollgeschossen im Stadtzentrumund zum Rand hin niedriger werdender Bebau-ung mit ein bis zwei Vollgeschossen in denRandbereichen. Trotz einiger Erfolge wurdeauch der Rahmenplan bislang nicht vollständigumgesetzt und erfuhr manche Modifikationen.Einige Baufelder liegen bis heute brach, insbe-sondere im Bereich des Geschosswohnungs-baus und den Mischgebieten im Stadtzentrum.Vor allem an Hauptverkehrsstraßen gelegeneerschlossene und baureife F lächen für den Ge-schosswohnungsbau werden derzeit nichtweiterentwickelt.100 Da die Vermarktung vonEigentumswohnungen derzeit ohnehin schlep-pend verläuft, bleiben die unattraktiven, vonVerkehrsbelastungen betroffenen Lagen zu-nächst ungenutzt. Auch einige Bereiche, indenen Einfamilien-, Doppel- und Reihenhäuserzulässig sind, sind bislang unbebaut, die Um-setzung des städtebaulichen Rahmenplans1979 somit bislang "unvollendet".Sicherlich sind hierfür auch unterschiedlicheRealisierungsvorstellungen von Stadt und Bau-trägern maßgeblich. Während seitens der Stadtein qualitätsvoller Städtebau und damit das Zu-sammenwirken verschiedener Baukörper, Stra-ßenräume und Freiflächen von besonderer Be-deutung ist, sind für Bauherren und Bauträgerpreiswerte und einfach zu vermarktende Bau-formen wichtig, wobei das Augenmerk vielmehr

48

99 Ging man damals im Stadtzentrum vorwiegend von einer B lockrandbebauung mit einer Mischung aus Wohnen und Büronutzung in den Obergeschossen und Handel im Erdgeschoss aus, so wird heute - wie es der Trend derZeit erfordert - an ein mallähnliches Einkaufszentren mit Verbraucher- und Fachmärkten gedacht, welches fast ausschließlich dem Handel dient.

100 Es handelt sich hierbei um Bauflächen östlich und west-lich der Offenbacher Straße in unmittelbarer Nähe zum Rathaus sowie F lächen südlich der B 459 . Für diese Baugebiete sehen die jeweiligen Bebauungspläne Wohn-bzw. Mischbebauung mit drei bis vier Vollgeschossen vor,wobei bei den Mischbauflächen im Erdgeschoss und teil-weise im ersten Obergeschoss von einer Wohnnutzung abweichende Nutzungen vorgesehen sind.

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auf den Einzelobjekten liegt. Die Nachfrage kon-zentriert sich derzeit vor allem auf Reihenhäusermit relativ kleinen Grundstücken mit geringerGrundstücksbreite und dafür etwas größererGrundstückstiefe. Zudem werden derzeit meistrelativ schlichte und kostengünstige Bauweisenmit zwei Vollgeschossen und Satteldach bevor-zugt, deren städtebauliches Erscheinungsbildaufgrund teilweise erheblicher Befreiungen vomstädtebaulichen Konzept des Bebauungsplansnicht immer optimal ist.101 Um einen Kompro-miss zwischen städtebaulichem Anspruch derStadt und Vorstellungen der Bauträger zu finden,geht die Stadt somit nun einen neuen Weg, dersich von der herkömmlichen Angebotsplanungbisheriger Bebauungspläne unterscheidet.102

2.2.3.3 Abkehr von der Angebotsplanung:Baugebiet 70Mit dem Baugebiet Nr. 70 hat die Stadt eineinnovative Planungsstrategie für die Aufstellungvon Bebauungsplänen gewählt, die sich von derAngebotsplanung herkömmlicher Bebauungs-pläne unterscheidet: In einem Workshopverfah-ren wurden fünf Teams, die jeweils aus einemBauträger und einem Architekturbüro bestanden,mit den relevanten Trägern öffentlicher Belange,Gutachtern und Fachämtern zu mehreren Sit-zungen an einen runden Tisch eingeladen. DieGesprächsrunden wurden von einem unabhän-gigen Moderator geleitet. Das DietzenbacherWorkshopverfahren stellt nicht - wie man ver-muten könnte - einen städtebaulichen Wettbe-werb dar, vielmehr ist es eine Form kooperativerArbeitstreffen, bei dem Bauträger und die Stadt-gemeinsam nach einem Konsens für verschie-

101 So wurde in Teilbereichen (Thomas-Mann-Ring) anstatt der vom Bebauungsplan vorgesehenen Randbebauungs-weise ausnahmsweise Zeilenbebauung zugelassen, wel-che in diesem ansonsten von Randbebauung geprägten Bereich den städtebaulichen Gesamteindruck erheblich beeinträchtigt. Ebenfalls von großer Bedeutung ist die heu-tige Verdichtung der Wohngebiete gegenüber den ursprünglichen Planungen, wodurch ein erheblich größerer Stellplatzbedarf entsteht, der häufig auf den für Vorgärtenvorgesehenen F lächen realisiert wird.

102 Vgl. 2 .2 .3 .3 .

Abb. 21. Vorgehensweise WorkshopverfahrenBaugebiet 70

AUFGABENVERTEILUNG

Page 50: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

denartige Belange suchen. Ziel des Workshop-verfahrens war die Sicherung städtebaulicherQualitäten bei gleichzeitiger Berücksichtigungder Vermarktbarkeit der Flächen aus Sicht derStadt und der zu erstellenden Bauobjekte ausSicht der Bauträger.Ziel der Beteiligung verschiedener Teams warein Kompromiss aus städtebaulicher Einheit undarchitektonischer Vielfalt. Dieses Ziel wurde imWorkshop erarbeitet und gilt als Konsens zwi-schen Stadt und den beteiligten Teams. Konkretbedeutete dies, dass das Baugebiet eine ein-heitliche - auch von den Bewohnerinnen undBewohnern wahrnehmbare - Identität erhält,den beteiligten verschiedenen Architektinnenund Architekten jedoch trotzdem die Möglichkeitzu Selbstverwirklichung gegeben wird. Vonstädtischer Seite wurden einige Rahmenbedin-gungen vorgegeben, welche ihre Wurzeln nochim städtebaulichen Rahmenplan 1979 haben.103

Die fünf Teams wurden mit der Fläche konfron-tiert und jeweils aufgefordert, ein Bebauungs-und Erschließungskonzept für die Fläche auszu-arbeiten. Daraufhin lagen vier Entwürfe vor, daein Team aus dem Workshopverfahren ausge-stiegen ist. Im nächsten Diskussionsschritt wur-den die Entwürfe auf Gemeinsamkeiten undUnterschiede überprüft und von den Teilnehme-rinnen und Teilnehmern des Workshopverfah-rens eine Vorzugsvariante ausgewählt. Die amWorkshopverfahren Teilnehmenden modifizier-ten gemeinsam diese Vorzugsvariante, bis diesevon allen mitgetragen werden konnte. Die mög-liche Baufeldaufteilung wurde mit den verblei-benden vier Teams diskutiert und das vorläufigeErgebnis in einem Plan dokumentiert.104 Auf derGrundlage der Ergebnisse des Workshopverfah-rens werden derzeit der Bebauungsplan, dieFreianlagenplanung und die Erschließungspla-nung erarbeitet.Die teilweise negativen Erfahrungen der Diet-zenbacherinnen und Dietzenbacher mit der Ent-wicklung ihrer Stadt sowie allgemeine Strömun-gen - wie z.B . die weltweite Diskussion übereine nachhaltige Entwicklung - führten zu die-sen neuen Ansätzen in der Planung, Gestaltung

und Selbstdarstellung der Stadt. Die neuen An-sätze wurden aber nicht nur in der beschriebe-nen neuen städtebaulichen Struktur sichtbar,sondern drückten sich auch in neuen Planungs-ansätzen105 und neuen Beteiligungsverfahren -wie der Lokalen Agenda 21 - aus. Sie findeneinen - wenn auch temporären - Höhepunkt inder Ausrichtung des Hessentags in Dietzenbachim Jahr 2001 .106 Über diese beiden Punktewird im Folgenden berichtet.

2.2.3.4 Der Agenda-21-Prozess in Dietzen-bachDer Agendaprozess in Dietzenbach kann in zweiSchriften der Beteiligten nachgelesen werden,erstens in "Die Ziele der lokalen Agenda 21 inDietzenbach-dez 2001" und zweitens im "Maß-nahmenkatalog zum Zielprogramm".Die erste Schrift wurde auf der Grundlage vonfünf thematischen Workshops verfasst.Die Themen waren:• Sauberes Dietzenbach.• Gemeinsames Leben in Dietzenbach.• Soziales Leben in Dietzenbach.• Gewerbe und Arbeiten in Dietzenbach.• Mobil in Dietzenbach.Es handelt sich um einen Idealstadtentwurf inschriftlicher Form. Diese sprachliche Fixierungist wichtig für eine Stadt, die sich dem Agenda-prozess verpflichtet hat. Leitlinien der Planungsollten von diesem Entwurf herausgefiltert wer-den und Grundlage vieler Entscheidungen bil-den. Urheber dieser Leitlinien im Rahmen desAgendaprozesses war ein kleiner Kreis von en-gagierten "deutschstämmigen" Bürgerinnen undBürgern, die mit dem Medium der Sprache ihreWünsche und Vorstellungen vom Allgemeinwohl

50

103 Vgl. 2 .2 .3 .1 .104 Auf Wunsch der Stadt wurde außerdem ein kleines Bau-

feld zur freien Vergabe an einzelne Bauherren gebildet.105 H ierzu zählt beispielsweise das Workshopverfahren für

das Baugebiet Nr. 70.106 Der Hessentag wurde 1961 vom damaligen hessischen

Ministerpräsidenten Georg August Zinn ins Leben gerufen und fand seitdem alljährlich in hessischen Gemeinden jeder Größe - vom Dorf bis zur Großstadt - statt; vgl. Kap. 2 .2 .3 .5 .

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der Bewohnerinnen und Bewohner formulierenkonnten. Das Medium Sprache war für vieleMenschen eine Hürde, vornehmlich Bürgerin-nen und Bürger ausländischer Herkunft.107

Womöglich lag die geringe allgemeine Teilnah-me auch daran, dass der Agendaprozess zuerstnur eine schöne Vision anbieten konnte. WerVision in die Realität umsetzen will, muss dage-gen viel Geduld und Engagement aufbringen. Die Finanzierung dieses ersten theoretischenSchrittes im Agendaprozess in Dietzenbachübernahm das RKW in Hessen. 108 Dabei han-delte es sich um eine "Prozessförderung", in derdie Stadt Personalmittel für Agendabeauftragteaus der Verwaltung und Mittel für externe Bera-tung und Moderation erhielt. Sachkosten für dieUmsetzungen mussten allerdings von der Stadtoder den Bürgerinnen und Bürgern selbst getra-gen werden. Dies führte zu einer Blockade.Jede Partei erwartete ein finanzielles Engage-ment des anderen, so dass es zu keiner Umset-zung kam.Womöglich sah sich die Stadt dazu veranlasst,die Agenda nicht ernst zu nehmen, da es sichum die Beteiligung von nur wenigen Bürgerin-nen und Bürgern handelte, von denen ein guterTeil in der Verwaltung arbeitete. Wahrscheinlichbefürchteten die Politikerinnen und Politikerzudem Konflikte und Spannungsfelder, falls dieLeitlinien der Agenda eine echte Grundlage derPlanung würden.Eine auf Abstand gehende Haltung der Politikinfolge von 260 konkreten Eingaben zur Nut-zung von Parzellen, mit dem Vorwurf, sie seienzu individualistisch motiviert und zu stark vonden Menschen ausländischer Herkunft geprägt,stiftete Verwirrung und Entrüstung. Der nicht unberechtigter Vorwurf der Verwaltung,die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger wür-den die Ideen mit eigenen Ressourcen nicht um-setzen wollen, konnte die Untätigkeit der Stadtnicht auf Dauer zum Erliegen bringen. Die RKWbenachrichtigte die Stadt Dietzenbach, dass dieMittel vom Land Hessen zurückverlangt würden,sollte keine Umsetzung realisiert werden. Diesführte zur Wiederaufnahme des Agendapro-

zesses, nachdem die Bereitschaft zur finanziel-len Beteiligung der Stadt Dietzenbach an denUmsetzungen bekannt wurde. Gegenwärtighaben sich um die zwanzig ehemaligen Teilneh-menden wieder zu einem Arbeitskreis gefunden.

2.2.3.5 Der Hessentag als EventFür 2001 erhielt die Stadt Dietzenbach den Zu-schlag zur Ausrichtung des jährlich stattfinden-den Hessentags, eines dreiwöchigen Stadtfestes.Der Hessentag wurde in der Dietzenbacher Ver-waltung als eine große Chance wahrgenommen,in der Stadt ein höheres Maß an Miteinander zufördern und nach außen das negative Image derStadt mit neuen Bildern zu relativieren.

StrategieUm dies zu erreichen wurden drei Arbeitsfelderdefiniert:

• Erstens das Gewinnen der eigenen Verwaltungfür die Zielsetzung durch das Sammeln von Erfahrungen auf den Veranstaltungen anderer Hessentage.

• Zweitens die Vermittlung, was ein Hessentag ist, an die Bewohnerinnen und Bewohner Dietzenbachs, z.B. durch das Angebot einer Teilnahme der Dietzenbacherinnen und Diet-zenbacher bei Entscheidungen in der Vorbe-reitungsphase. Diese Teilnahme sollte auch in die Umsetzungsphase ausgedehnt werden durch kleine Veranstaltungen bzw. Wettbe-werbe, bei denen die Dietzenbacherinnenund Dietzenbacher das Gesamtbild bei der Eröffnung des Hessentages mitbestimmen konnten.

• Drittens in der Region Informationen über Dietzenbach zu verbreiten, um eine positive Erwartungshaltung von potenziellen Besuche-rInnen zu animieren.

51

107 In einem Gespräch mit Frau Bombach, Frauenbeauftragte der Stadt Dietzenbach und stellvertretende Angendabe-auftragte, wurde von der fehlenden Teilnahme von Menschen ausländischer Herkunft berichtet. Das Problem der Sprache wurde bestätigt.

108 Das RKW ist ein regionaler Entwicklungsträger.

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Schon vier Jahre vorher begann man mit demBesuch von Hessentagen in anderen Städten,um Kenntnisse über die kommende organisato-rische Herausforderung zu erhalten. Die Zahl dermitreisenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterstieg bei jedem Hessentag stetig an. Jedes Malwarb ein Infostand für Dietzenbach. Die Bemühungen der Verwaltung sollte durchdas Engagement der Dietzenbacherinnen undDietzenbacher ergänzt werden. Deshalb wurdenanderthalb Jahre vor Beginn des Hessentagesin Dietzenbach sogenannte Ideenwerkstätten insLeben gerufen. Sie waren eine Art Bürgerver-sammlung, in deren Rahmen Vorstellungen derPlanerinnen und Planer anhand eines Stadt-planes kritisieren und eigene Ideen beisteuernkonnten. Themen waren sowohl die Art der Ver-anstaltungen als auch ihre Verortung. Die Bil-dung von Arbeitsgruppen kam mit Bürgerinnenund Bürgern zustande, die über Zeit und Inter-esse verfügten. Sie waren dafür verantwortlich,mit Ämtern für Genehmigungen, Förderer undmögliche Teilnehmer, die einen Stand unter-halten würden, zu verhandeln.Parallel dazu wurde ein Hessentagsstand beijedem Stadtfest aufgestellt. Es war ein interak-tiver Stand, an dem BürgerInnen von sich ausIdeen zur Ausstattung des Hessentages mitEvents einbringen konnten.Das Einbinden der Bevölkerung geschah auchauf der Ebene von öffentlichen Debatten überperiphere Themen. Beispiele sind die Entschei-dung über einen Sympathieträger, über eineErkennungsmelodie und einen Spruch. Auchder Entwurf von T-Shirts und Plakaten war Ge-genstand öffentlicher Beteiligung.Der offizieller Slogan "Hessentag 2001 Dietzen-bach" wurde auf 5000 T-Shirts bedruckt, dieanschließend als Preise und Geschenke verteiltund auch an Einzelne verkauft wurden.Eine wichtige ‚"Ikone" des Hessentages, dasHessentagspaar, wurde aber nicht zur öffentli-chen Debatte gestellt, sondern durch eine inter-ne Gruppe gekürt. Das traditionelle Tragen einerTracht wurde beibehalten. Das historischeFehlen einer speziellen Dietzenbacher Tracht

führte zu der Entscheidung, sich mit der H ilfeeines Trachtenexperten für eine Tracht zu ent-scheiden, die in der Rhein-Main-Region histo-risch belegt war. Bei allen Auftritten erfreute sichdas Hessentagspaar großer Beliebtheit. Dabeiwar die Besetzung der Frauenrolle mit einerFrau nicht-deutscher Abstammung ein Novumin der Geschichte der Hessentagspaare.Innerhalb Dietzenbachs wurde mit Schulen überderen Beteiligung diskutiert. Während des Hes-sentages gab es unterrichtsfrei, viele Klassenbrachten sich im Rahmen eines eigenen Pro-jektes auf dem Hessentag ein.Die regionale Strategie hatte zum Ziel, eine po-sitive Erwartungshaltung beim Besuch des Hes-sentages in Dietzenbach zu erwecken, Klarheitüber Lage und Erreichbarkeit Dietzenbachs zuschaffen und vor allem die Teilnahme von Ver-einen und anderen Organisationen im Kreis Of-fenbach am Hessentag anzuregen. Ein Jahr zu-vor war Dietzenbach als künftige Hessentags-stadt bei jedem Fest in der Region mit einemStand vertreten. Ebenfalls erschien in der"Offenbacher Post" vierteljährlich eine Beilageüber Dietzenbach. Der erfolgte zahlenmäßigstarke Besuch eines regionalen Publikums wirdals Signal für eine Veränderung der Haltung ge-genüber Dietzenbach verstanden.Im Umgang mit ausländischer Kultur sollte derHessentag bewusst kein multikulturelles Festsein, sondern zeigen, dass Dietzenbach bereitseine internationale Stadt ist. Das bedeutete,dass die Bemühungen darin lagen, das multi-kulturelle Gesicht von Dietzenbach auf eineselbstverständliche Weise erscheinen zu lassen.Die unvermittelte und unangekündigte Anein-anderreihung von Veranstaltungszelten mit‚ "ein-heimischem" und "ausländischem" Inhalt undAtmosphäre war Programm.

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Fazit für Stadt 2030Viele Ziele, die im Rahmen der Gesamtveran-staltung möglich waren, wurden erreicht, insbe-sondere eine Imageverbesserung nach außen.Die hohen Kosten gehen aus der Beschreibungder Vorbereitungs- und Umsetzungsphase desHessentages hervor. Bedingt durch ihre zeitlichpunktuelle Natur, von den finanziellen Kostenganz zu schweigen, kann diese Vorgehensweisenicht zu einer langfristigen Strategie gehören.Dennoch werden im Rahmen eines kurzzeitigenAusnahmezustandes Dinge möglich, die vorhernicht denkbar sind. Gemeint sind weniger diegeschaffenen Schnittstellen, wie die interaktivenInfostände und die Ideenwerkstätten, sonderneher die Bereitschaft der Verwaltung, dieseInstrumente auf Grund des Ausnahmezustandesmit einer Entschiedenheit zu nutzen. Diese wäreaber bei einem langfristigem Einsatz fraglich.Darüber hinaus bleibt das Problem, dass dieseSchnittstellen vorrangig über die Sprache funk-tionieren, ein Problem für viele Migrantinnenund Migranten in Dietzenbach. Nachhaltigkeitbenötigt aber Instrumentarien mit möglichstwenig Schwellen sowie Projekte, die kurzfristigeErgebnisse mit langfristigen Perspektiven ver-knüpfen.

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PROJEKTBESCHREIBUNG

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Im Jahr 1998 trat das Stadtplanungsamt Diet-zenbach an die Fachgruppe Stadt der TU Darm-stadt mit den Anregungen für ein Entwurfspro-jekt in der Stadt heran. Es sollten Ideen für dieBebauung der so genannten "Neuen Mitte" derStadt erarbeitet werden. Die wissenschaftlicheMitarbeiterin Barbara Boczek und der wissen-schaftliche Mitarbeiter Martin Wilhelm bereite-ten einen Stegreifentwurf zum Thema vor, derdie Leere in der Mitte der Stadt thematisierteund nach Ideen für Nutzungen und entspre-chende Bau- und Freiraumstrukturen fragte. Esentstanden um die sechzig zum großen Teil sehrinteressante und engagierte Entwürfe von Stu-dierenden, vom Wohnen über Einrichtungen fürdie sehr internationale Bevölkerung bis hin zumVorschlag von Groß-Einkaufeinrichtungen in derMitte der Stadt, die damit der grünen WieseKonkurrenz machen könnten.1 Damit folgten dieArbeiten einem städtebaulichen Reflex, der in

der leer gebliebenen Stadtmitte einen Großteilder Probleme der Stadt sieht, und deshalb hiereinen Beitrag zu einem gebauten, dichten undlebendigen Zentrum liefern will. Doch nur ein Projekt fand sowohl in der Aus-stellung der Arbeiten im Dietzenbacher Rathausals auch in den Diskussionen mit der Stadt wirk-liches und umsetzungsorientiertes Interesse: dieDietzenbacher Schlampis. H ier hatte eine für ihre provokanten Projektebekannte Studentengruppe2 zusammen miteiner Künstlerin eine neue Symbolfigur für dieStadt entworfen, eine Art riesigen Plüschhasen,der überall in der Stadt an interessanten Punk-ten stehen sollte, der aber auch Eisstände be-herbergen, oder die Rampe zu einer Fußgän-gerbrücke formen konnte. Diese Tierchen solltennun sowohl nach innen als identitätsstiftendeSymbole als auch nach außen als den Touris-mus und den Ruf fördernde und unvergesslicheZeichen für die Stadt stehen. Die "ernsthaften"Projekte haben bestenfalls anerkennendes Lobhervorgerufen, waren aber immer mit dem Argu-ment der fehlenden Umsetzbarkeit konfrontiert.Der Bürgermeister entschloss sich in dieser Situ-ation, aus einem Sonderfonds die Rechte anden Schlampis aufzukaufen. Deutlicher konntedie Insignifikanz traditioneller städtebaulicherPlanungs- und Entwurfsansätze kaum zum Aus-druck kommen. Unter anderem aus diesen Er-fahrungen bezog das hier beschriebene For-schungsprojekt seinen gegenüber Leitbildern kri-tischen Ansatz.

3.1 ZUR VORGESCHICHTE

56

1 Fachgruppe Stadt (Hg.); MITTE - Entwürfe für die Leere imZentrum Dietzenbachs, Schriftenreihe " ~ city gr, Forschungund Entwurf in Städtebau und Architektur", Nr. 5, Darmstadt 1998 .

2 www.osa-online.de.

Abb. 22. Schlampis in Dietzenbach (osa)

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Der Anlass für die Stadt Dietzenbach, sich andem Wettbewerb "Stadt 2030" zu beteiligen,waren insbesondere die Erfahrungen, die imBereich der Stadtplanung und Stadtentwicklungin den letzten Jahrzehnten und in der laufendenPlanungspraxis gemacht wurden. Dietzenbach lässt sich als eine schnell wach-sende Umlandgemeinde im Verdichtungsraumder Rhein-Main-Region beschreiben, deren Ent-wicklung durch eine Abfolge städtebaulicherLeitbilder gekennzeichnet ist. Deren langwierigeoder fehlende Umsetzung bzw. ihr häufigerWechsel haben dazu geführt, dass der Stadtnach wie vor ein Stadtzentrum fehlt und sie mitsozialen Spannungen innerhalb der sehr hetero-genen Bevölkerung zu kämpfen hat. Die Fest-legung auf die Realisierung der Entwicklungs-maßnahme bedeutet für die Stadt zudem eineständige finanzielle Belastung und einen Kon-flikt mit den Zielen aktueller städtebaulicherPlanung.Vor diesem Rahmen stellte sich für die StadtDietzenbach zum Zeitpunkt der Bewerbung dieFrage nach zukunftsfähigen Strategien in derStadtplanung zur Gestaltung einer nachhaltigenund zukunftsfähigen Lebenswelt Stadt. Aus Sicht der Stadt Dietzenbach wurden die z.T.leidvollen Erfahrungen mit Leitbildern zum Aus-gangspunkt für das Nachdenken über eine per-manent-prozesshafte Stadtplanung. Es stelltesich die Frage, ob es möglich ist, offene Stra-tegien der Stadtentwicklung zu finden, ohne dieFehler der leitbildbasierten und damit zielorien-tierten Stadtplanungsmethoden der letzten Jahr-zehnte zu wiederholen. Deshalb stand am Be-ginn des Ideenwettbewerbes nicht die Absicht,ein neues Leitbild zu definieren, das die räum-lich-materielle Struktur der Stadt in den näch-sten dreißig Jahren vorausnimmt, sondern dasNachdenken über die Möglichkeiten dieser per-manent-prozesshaften Stadtentwicklung. Zieldes Projektes war es daher, in einem dynami-schen Prozess eine Strategie für eine prozesso-rientierte, zukunftsfähige und nachhaltige Pla-nungspraxis zu erproben. Dazu gehört imWesentlichen, dass Stadtplanung als "definitiv

unvollendet" verstanden und akzeptiert wurde.Als These wurde im Wettbewerbsbeitrag formu-liert, dass die Anwendung neuer Handlungs-muster zu einem "Städtebau 2030" führt, der1 . davon ausgeht, dass planerisches Handeln

"definitiv unvollendet" ist,2 . Bedarfe weckt und nicht die sog. funktiona-

len "Bedürfnisse" der Gesellschaft deckt, 3 . Strategien lokalen, sichtbaren Handelns in

einer globalisierten Welt entwickelt,4 . die individualisierte Gesellschaft als Partnerin

im Entwurfs- u. Umsetzungsprozess gewinnt.In aller Kürze können hier diese vier Aspekteder Ausgangsthese folgendermaßen beschrie-ben werdien.

Definitiv unvollendetAusgegangen wurde im Wettbewerbsbeitrag da-von, dass das Entwickeln von und Festhaltenan sogenannten Leitbildern der Hauptgrund fürProbleme in der Umsetzung von Planung ist. Eswurde dargelegt, dass die Kombination vonlangfristigen Zielen mit zielorientierten Metho-den zu deren Erreichung zu Starrheit führt unddie für die Dimension der Maßnahmen notwen-dige Fehlerfreundlichkeit und Anpassungsfähig-keit verhindert. Dies gilt insbesondere für Groß-projekte wie die Entwicklungsmaßnahme Diet-zenbach, von denen teilweise während ihrerganzen, oft jahrzehntelangen Ausführung be-kannt ist, dass ihre Ziele obsolet sind.

Bedarfe wecken statt Bedürfnisse deckenDas geplante Projekt sollte eine Form der "posi-tiven Bedarfsweckung" für städtebauliche Qua-litäten und Maßnahmen entwickeln, also Poten-ziale für Nutzungsmöglichkeiten aufzeigen, diesich im Raum entdecken lassen. Mit dieserOrientierung verbunden war ein Abrücken vonempirischer Beobachtung und dem Glauben,aus den Ergebnissen "richtige" Handlungsmusterfür den Städtebau zu entwickeln.

Lokales HandelnAls lokales Handeln wird im Wettbewerbsbeitragdie Produktion von Bildern verstanden, die brei-

3.2 ANLASS ZUR TEILNAHME AMBUNDESWETTBEWERB STADT 2030

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te Interpretationsräume zulassen. Eine "Bilder-welt" sollte so gestaltet werden, dass sie Mög-lichkeiten öffnet, die funktional unbestimmt unddamit besetzbar sind.

EntwurfsspielIm Wettbewerbsbeitrag wurde das Einzelinter-esse als Voraussetzung für eine Resonanz imStädtebau dargestellt. Es war vorgesehen, durchspielerische Herangehensweisen die Resonanzzu befördern. Der Egoismus der und des Einzel-nen sollte herausgefordert werden, so dass star-ke Reaktionen messbar, kartierbar und dann inPlänen oder Konzepten umsetzbar werden.

VorgehensweiseIm Wettbewerbsbeitrag war vorgesehen, einenDialog zwischen Verwaltung und Wissenschaftzu führen, in dem "alte" Handlungsmuster("Methoden") identifiziert und mit möglichenneuen Handlungsmustern ("Strategien") konfron-tiert werden. Diese neuen Muster sollten dannan aktuellen Beispielen auf ihre Praxistauglich-keit überprüft werden.Der vorgeschlagene Ansatz war die Überwin-dung der Methode "Leitbilder". Es war Ziel,einen offenen Planungsprozess in Gang zu set-zen. Der Planungsprozess wurde hier als Stra-tegie verstanden. Mittels Provokationen sollteeine Form der "Neuen Bürgerbeteiligung" aus-probiert werden. Durch eine lustbetonte Formder Planung sollte ein dauerhaftes Engagementbei Bürgerinnen und Bürgern ausgelöst werden.

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Wie in der Bewerbung für den Ideenwettbewerb"Stadt 2030" ausführlich dargestellt wurde, hatdie Stadt Dietzenbach in der Vergangenheitbereits auf verschiedene Weise die Ausweg-losigkeit von Versuchen erfahren, ihre sozialeund bauliche N icht-Integriertheit doch in einstädtisches Ganzes zu verwandeln. So warendie Erfahrungen mit den bisherigen planungs-theoretischen Ansätzen der Stadtplanung pro-blembehaftet. Ihre langfristigen Planungszielekonnten nicht schnell genug an die aktuellenund vielfältigen Veränderungen der städtischenStruktur angepasst werden. Im Gegenteil, sieführten oftmals zu "städtebaulichen Altlasten",die die flexible Gestaltung der Stadtentwicklungbehinderten. Ebenfalls ernüchternd waren dieErfahrungen mit vergangenen Bemühungen derStadt Dietzenbach um neue Formen bürgerna-her und partizipativer Kommunalpolitik. Die vorwenigen Jahren begonnene Verwaltungsreformnach dem neuen Steuerungsmodell, aber auchdie Lokale Agenda sind jüngere Projekte, dieauch nicht in der gewünschten Weise greifen.Dietzenbach ist damit ein Prototyp für das vonder Forschung schon länger beobachtete Schei-tern der klassischen, leitbildorientierten Planungund für die Schwierigkeiten der praktischenUmsetzung von bürgernahen Verwaltungs- undPolitikformen. Die Einbindung der Bürgerinnenund Bürger in die Planungspraxis und die Teil-nahme an der politischen, sozialen und mate-riellen Gestaltung ihrer Wohngemeinde gelingtnur bei persönlicher Betroffenheit. Partizipationlässt sich nicht verordnen oder planen, sie ent-steht aus Anlässen. Diese Dietzenbacher Erfahrungen führten zu derin der Bewerbung formulierten großen Skepsisgegenüber herkömmlichen, zielorientierten Pla-nungen sowie den bisherigen partizipativenAnsätzen. Die Skepsis reicht bis zu den übli-cherweise verwendeten Begriffen "Stadt" und"Integration". Beide Begriffe haben zwar in dereuropäischen Stadt- und Planungsgeschichteeine lange Tradition. Doch sie unterstellen offen-sichtlich eine Situation als Normalfall - nämlicheine Einheit, einen Zusammenhang von

Unterschiedlichem bzw. eine Einbindung vonIndividuen in stadtgesellschaftliche Groß-kollektive -, die in Dietzenbach nicht gegebenist. Insofern wäre ein passendes Bild fürDietzenbach das der "eigenschaftslosen Stadt"von Rem Koolhaas:"Die eigenschaftslose Stadt markiert den end-gültigen Tod jeder Planung. Wieso? N icht, weilsie nicht geplant wäre - in Wirklichkeit lassenungeheure, einander ergänzende Universen vonBürokraten und Bauträgern unvorstellbareStröme von Energie und Finanzmitteln in ihreFertigstellung fließen; für dasselbe Geld könnteman ihre Ebenen mit Diamanten düngen undihre Schlammfelder mit goldenen Ziegelsteinenpflastern. Doch ihre gefährlichste und zugleicherheiterndste Entdeckung ist die, dass Planungvöllig irrelevant ist. (....) Merkwürdigerweise istnoch niemand auf den Gedanken gekommen,dass die unendlichen Widersprüche dieserInterpretationen unter dem Strich den Reichtumder eigenschaftslosen Stadt beweisen; dies istdie einzige Hypothese, die im voraus eliminiertwurde."3

Es ist der Reichtum der Deutungsmöglichkeiteneiner eigenschaftslosen Stadt.Das Projekt zielte darauf, diesen "Reichtum" be-wusst, sichtbar und fruchtbar für die Stadt zumachen. Dies bedeutete in erster Linie, derUnterschiedlichkeit und Differenziertheit eineChance und Raum zu geben, sie nach außenzu kehren und damit verstehbar und akzepta-bel werden zu lassen als eine Form gesell-schaftlicher Normalität.Vor dem skizzierten H intergrund der Erfah-rungen in Dietzenbach wie der kritischen pla-nungstheoretischen Literatur zum Thema Leit-bild kam für das Projekt Dietzenbach 2030 derWeg der Leitbildkonstruktion, bei dem eine Viel-zahl möglicher Entwicklungen auf einen Ent-wicklungspfad hin verengt wird, nicht in Frage.Ebenso erschienen die im Prozess des Pro-gramms "Soziale Stadt" vermehrt auftretenden

3.3 PROBLEMBESCHREIBUNG -VON LEITBILDERN ZU DISKURSEN

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3 Kohlhaas, Rem; Die eigenschaftslose Stadt, in: ARCH + 132 , Juni 1996 , S.24 .

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Veranstaltungen wie Quartierskonferenzen,Nachbarschaftscafes, Zukunftskonferenzen etc.als nicht hinreichend, da das dort immanenteLeitbild der kommunikativen, stadtbürgerlichenVersöhnung unterschiedlicher Gruppen in Diet-zenbach an mangelndem Interesse mehrfachgescheitert ist. Das Projekt verstand sich alsAuslöser für die Entfaltung vielfältiger, häufigunbewusster Deutungen der eigenschaftslosenStadt. Es wollte den "Reichtum der eigen-schaftslosen Stadt" herausarbeiten, ihre Frag-mente zum Sprechen bringen und in diesenProzess die Kommune Dietzenbach und insbe-sondere die Stadtplanung involvieren. Es gingum die Zukunft einer nach herkömmlichenVorstellungen sozial und räumlich nicht-inte-grierten Stadt, indem man die Gegenwart inihrer Vielfalt diskursfähig macht. Dies bedeutetefür Dietzenbach, dass es sich in einer anderenArt der Zukunft stellte, als im Programm "Stadt2030" vorgesehen.Das Ziel des Projekts war es, die Kommunika-tion bzw. Diskurse über die "Stadt" in der Be-völkerung und zwischen Bevölkerung undStadtplanungsamt in Gang zu setzen. H ier be-diente sich das Projekt eines diskurstheoreti-schen Ansatzes, bei dem man davon ausging,dass sich die soziale Realität über Diskurse her-stellt.Der bisherige herrschende öffentliche Diskursüber Dietzenbach thematisierte vor allem dieFragmentalität der Stadt und ist von ExpertIn-nen wie Politikerinnen und Politikern sowie ein-flussreichen Bürgerinnen und Bürgern geprägt.Da Diskurse realitätsmächtig sind, sollte in undmit dem Projekt ein Anlass geschaffen werden,dem herrschenden Diskurs über die Stadt weite-re hinzuzufügen. Damit sollte die Vielfalt derDeutungen, der Realität, der Reichtum der Stadtdeutlich gemacht werden. Die Methode desProjekts war dabei die eines Experiments, dasdem Zertrümmern bestehender Leitbilder dienteund bislang verengte oder verschlosseneMöglichkeitsräume der städtischen Entwicklungöffnen sollte.Bisher verwendete Konzepte zur Beschreibung

und Entwicklung sogenannter fragmentierterRäume waren aus der hiesigen Perspektive alsunzulänglich zu verstehen, da sie bestehendeSiedlungsstrukturen als defizitär erkennen undmit herkömmlichen Planungsmethoden bauli-che (und wo nötig soziale) Integration herbei-führen wollen oder diese Integration als gege-ben voraussetzen. So reduziert der Zugang mitdem Blick der "Zwischenstadt"4 die Planungs-aufgabe im Kern auf das Problem des Auffüllensundefinierter, oder nicht genutzter Räume. Auchder Zugang über das Konzept der "KompaktenStadt"5 orientiert sich an traditionellen Planungs-zugängen und schreibt zudem das traditionelleeuropäische Stadtverständnis fest. Amerikani-sche Ansätze wie der des "Urban Sprawl"6 trans-ferieren erstaunlicherweise Planungskonzepteder europäischen Städtetradition auf extremdezentrierte Gebiete wie Südwest-Kalifornien.Diesen Stadtbeschreibungen gemein ist, dassdie Zielsetzung der "Rettung der europäischenStadt"7 als Integrationsmaschine durch traditio-nelle Instrumente der Stadtplanung zum Gegen-stand gemacht wird. Ignoranz gegenüber gesell-schaftlicher Realität findet sich in diesen Ansät-zen in zweifacher H insicht. Erstens wird ignoriert, dass die Struktur städti-scher Akteure sich verändert hat. Sie entsprichtweder der Akteursstruktur des vergangenenJahrhunderts in Form des klassischen Stadt-bürgertums noch der der Nachkriegszeit mitstarken staatsorientierten Akteuren in den Be-reichen der Stadtplanung und Wohnungs-wirtschaft. Vielmehr lässt sich eine Vielzahlstrukturierender Akteurinnen und Akteure fest-stellen, die sich nach so unterschiedlichenMerkmalen wie Schicht- und Klassenzugehörig-keit, wirtschaftlicher Interessenlage, Ethnizität,Geschlecht, räumlicher Position u.v.a.m. cha-rakterisieren und differenzieren lassen.

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4 Sieverts, Thomas; Zwischenstadt, Braunschweig 1997 .5 Wentz, Martin; Die kompakte Stadt, Frankfurt/New York

2000 .6 Logan, Michael; F ighting Sprawl and City Hall, Tucson

1995 .7 Vgl. etwa Häussermann.

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H ierdurch entstehen Phänomene, die als "Frag-mentierung" im Sinne von Desintegration vonStadträumen und deren Bevölkerung wahrge-nommen werden, deren Botschaft aber auchdie des schlichten Nebeneinanders sein kann.Fragmentierung in dieser H insicht lässt sich alssystematische Auf- und Abwertung von Räumendurch herrschende Diskurse verstehen.Zweitens ist mit dieser Bewertung verbunden,dass der Blick auf Potenziale einer solchenStadtstruktur verstellt wird, da er gar nicht erstzugelassen wird. Insofern ist die Suche nacheinem anderen Stadtverständnis, einem Kon-trastbild, das sich von den oben genanntenunterscheidet, notwendig. Als deutlicher Kon-trast zu diesen Ansätzen ist der Beitrag vonRem Koolhaas8 zu sehen, dessen Plädoyer fürdie Akzeptanz des Verlusts klassischer Stadt-modelle als unvermeidbares und notwendigesErgebnis gesellschaftlicher Entwicklung bahn-brechend ist.An diese Sicht städtischer Entwicklung wurde indiesem Forschungsprojekt insofern angeknüpft,als der Begriff der Fragmentierung radikal inFrage gestellt wurde, da er sich auf herrschendeDiskurse und darin vorhandene Defizitbewer-tungen bezieht.Damit wurde der enge Zusammenhang gesell-schaftlicher und räumlicher Phänomene in derBetrachtung aufgelöst. Diese zunächst analyti-sche Trennung bewirkte zweierlei. Sie wurdedamit den Flexibilitätsansprüchen, die sich amPhänomen der Fragmentierung manifestieren,gerecht. Wie sie auch den unterschiedlichenRäumen Legitimität gab und damit den Blickauf den Reichtum der diskursiv abgewerteten"fragmentierten" Städte überhaupt erst ermög-lichte.Entsprechend sollte der Versuch unternommenwerden, die herrschenden diskursiven Raum-konstruktionen der "Fragmentierung" durch dieErweiterung der TeilnehmerInnen und damit derVerbreiterung und Ergänzung von Diskursen zuüberprüfen und zu verändern. An dieser Stellesei es erlaubt, auf die Schwierigkeiten zu ver-weisen, die das Ablegen gewohnter Planungs-

praktiken und begrifflicher Instrumentarien imRahmen eines solchen Projektes in gesellschaft-licher Echtzeit mit sich brachte. Die gesell-schaftliche Praxis der Dekonstruktion erwiessich als überaus schwieriges und zudem miss-verständliches Geschäft.Im Rahmen stadtsoziologischer Theoriebildung,die mit sozialkonstruktivistischen Annahmenzum Begriff des Raums arbeitet9, lassen sichvermehrt Arbeiten feststellen, die sich mit demgesellschaftlichen Konstrukt Raum auseinander-setzen. Diese theoretischen Veröffentlichungensind das Ergebnis einer mehr als zehnjährigenDebatte, ursprünglich angestoßen durch einenBeitrag von Dieter Läpple.10 Allerdings bestehtnach wie vor eine erhebliche Differenz zwischentheoretischen Ansprüchen und empirischerstadtsoziologischer Wirklichkeit. Die empirischeForschungspraxis ist von konstruktivistischenRaumzugängen weitgehend frei. Im Rahmendieses Forschungsprojektes bestand deshalb derAnspruch, sozialkonstruktivistische Ansätze aufkommunikative Prozesse im Bereich der Stadt-entwicklung anzuwenden und fruchtbar zumachen.Prinzipiell war bei dem konstruktivistischen Zu-gang des Projekts nicht von der realen Stadt-entwicklungsgeschichte auszugehen, sondernvon den Vorstellungen der Menschen von derStadt und den Räumen, in denen sie leben.Dann erscheint die Topologie der Fragmentie-rung mindestens unscharf, wenn nicht sogar alsäußerliches Konstrukt, dessen Wesen über-haupt erst zu entwickeln war. Die im städtebau-lichen Sinne behauptete Fragmentierung derStadt Dietzenbach sollte deshalb im Rahmendes Projektes untersucht werden. Die Hypo-these des Projekts lautete, dass sich die be-hauptete Fragmentierung in dieser Schärfe nichtfinden lassen wird, sie aber zumindest unter-schiedlich wahrgenommen und gedeutet wird.

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8 Vgl. Fußnote 2, Kapitel 3.9 Löw, Martina; Raumsoziologie, Frankfurt 2001. Noller, Peter;

Globalisierung, Stadträume und Lebensstile, Opladen 1999.10 Läpple, Dieter; Essay über den Raum, in: Häussermann,

Hartmut (Hrsg.), Stadt und Raum, Pfaffenweiler 1991.

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3.4.1 Das Erkennen von Poten-zialen in der Stadt

Das Erkennen von lokalen Potenzialen der StadtDietzenbach stand im Mittelpunkt des Projektes.Die Stadt hat eine Planungsgeschichte, in derVisionen im Vordergrund standen, sich also re-lativ ortlose, utopische Ideen und Leitbilder zueiner künstlichen Stadt verdichteten. Es stelltsich in der Analyse dieser Geschichte heraus,dass dabei kaum auf die vorhandenen lokalenPotenziale der Stadt geachtet wurde. Daraus for-mulierte sich als Projektziel heute das umset-zungsorientierte Aufspüren lokaler Kräfte undMöglichkeiten.Dietzenbachs bauliche und infrastrukturelle Aus-stattung ist jung und intakt. Die Potenziale derStadt liegen hauptsächlich in ihren Bewohnerin-nen und Bewohnern, in einer Innenentwicklungder Stadt, und, wenn nicht im Neuentwickelnund Bauen, so in der Akzeptanz und intelligen-ten Nutzung des Vorhandenen. Dabei kristalli-sierte sich schnell der Freiraum als das ent-scheidende und ungenutzte Potenzial heraus,sind doch die gebauten, genutzten, bewohntenund zum größten Teil in privatem Besitz befind-lichen Strukturen, wie überall, vergleichsweiseunantastbar. Mit dem Thema "Boden" und derAktion "Stelen" als Symbole für die Inbesitznah-me des Bodens wurde der Freiraum ins Zentrumdes Projektes gerückt und als thematisches Zen-trum der zukünftigen Stadtentwicklung aktiviert.

Auf welche Weise und mit welchen konkretenIdeen und Aktivitäten das geschehen konnte,wurde dem weiteren Projektverlauf und denReaktionen der Bürgerinnen und Bürger, derVerwaltung und der Politik überlassen. Das Pro-jektkonzept lieferte lediglich den Entwurf fürdiesen Prozess, nicht aber für die möglichenkonkreten Inhalte.Einige interessante Beobachtungen aus denGroßsiedlungen der ehemals sozialistischenNachbarländer untermauerten die Hoffnung, mitdem Freiraum ein entscheidendes städtebauli-ches Potenzial identifiziert zu haben. Dort, etwain den Außenbezirken Prags, finden sich ähnli-che Großwohnanlagen wie in Dietzenbach,allerdings mit einem entscheidend anderen Ge-brauch des Grüns. Die Grünstruktur stellt sichhier als parzelliert und besetzt heraus, vermut-lich über weite Strecken ohne legale Vorgänge.H ier findet, unabhängig davon, ob als Garagen-hof oder als Gartenparzellen mit teilweise fastluxuriösen Datschen genutzt, das eigentlicheLeben der Nachbarschaften statt.11 Die Wohn-anlagen selbst spielen nur eine untergeordneteRolle als Rückzugs- und Winterräume.Obwohl die Stadt Dietzenbach nicht nur vonAbstandsgrün, sondern darüber hinaus vonBrachflächen geprägt ist, konnte sich eine sol-che Nutzung unter hiesigen Bedingungen, ins-besondere natürlich des Eigentumsschutzes, nieentwickeln. Die Besetzung von ungenutztemGrün, wie ja auch von ungenutzten Gebäuden,ist illegal und wird entsprechend verfolgt. Dasvorliegende Projekt hat es sich deswegen zumZiel gesetzt, unter Ansprache des "gesundenMenschenverstandes" den Umgang mit Frei-raum als Potenzial für die Stadtentwicklunganzuregen.

3.4 ZIELSETZUNGEN

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Abb. 23. Potential Bürger

11 Studienarbeit von StudentInnen der TU Darmstadt,Fachgruppe Stadt, 2002 .

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3.4.2 RessourcenbewussterStädtebau

Die Aktivierung einer der entscheidenden Res-sourcen für die Dietzenbacher Stadtentwicklungwar ein weiteres Projektziel. Als nicht länger zuvernachlässigende Ressource werden im Projektdie Bürgerinnen und Bürger, ihre Ideen, ihreTatkraft und ihre finanziellen Mittel angespro-chen. Die Aktivierung dieser Ressource schiennur durch eine direkte Ansprache möglich, dieauch einen persönliche Gewinn der und desEinzelnen verspricht. Man könnte dies das Tom-Sawyer-Prinzip nennen: Tante Pollys Zaun strei-chen zu dürfen, muss bloß attraktiv genugbeschrieben werden, und schon reißt man sichum das Privileg, teilhaben zu dürfen. Also kon-zipierte das Projekt die Möglichkeit zur Über-nahme von Verantwortung als etwas Attraktives,Dynamisches und nicht als einen mühsamenVerwaltungsakt.In Städten wie Dietzenbach ist ein Wegbrechender zwei Säulen städtebaulicher Entwicklungder Nachkriegszeit unübersehbar. Einerseits be-steht keine intensive Nachfrage durch Inves-toren an Flächen12 in der Stadt und andererseitsist die Stadt selber durch die hohe Verschuldungnicht mehr in der Lage, eine städtebauliche Ent-wicklungsdynamik zu erzeugen, geschweigedenn Projekte in Eigenverantwortung umzuset-zen.Für viele der heute tätigen Planerinnen undPlaner in deutschen Städten, besonders solchenmit einer langen sozialdemokratischen Tradition,ist das unfassbar. Zu sehr ist hierzulande ver-breitet, dass die Stadt für ihre Bürgerinnen undBürger Sorge trägt, wie es auch vom Staat ein-gefordert wird. Erst langsam setzt sich die Er-kenntnis durch, dass die derzeitige Krise nichtsVorübergehendes ist, der Wohlfahrtsstaat tief-greifend reformiert werden muss. Leider bedeu-tet die lange Vernachlässigung vonEigenverantwortlichkeit, dass sich noch keineTraditionen bürgerlicher Selbstorganisation etwanach angloamerikanischem oder schweizeri-schem Muster ausbilden konnten. Das Stif-

tungswesen steckt vergleichsweise in den Kin-derschuhen, das Genossenschaftswesen konntesich nach Abschaffung der SteuerprivilegienEnde der achziger Jahre nicht wieder reorgani-sieren.

Vereine, die sich etwa um das Stadtbild küm-mern, sind jenseits von Aktionen wie "UnserDorf soll schöner werden" auf städtischer Ebeneeine Seltenheit. Städte verstehen es nicht alsihre Aufgabe, Anknüpfungspunkte für bürgerli-ches Engagement zu schaffen. Die "Einmi-schung" der Bürgerinnen und Bürger wird inden Verwaltungen oft als unerwünschte Störungder gewohnten Verfahren und Abläufe wahrge-nommen. In Regionen wie der Rhein-Main-Region ist es immer noch üblich, in Neuan-siedelungen von Bürgerinnen und Bürgern oderIndustrie eines der Hauptziele städtebaulicherEntwicklung zu sehen. Dabei ist diese Neuan-siedlung schon lange kein Garant mehr fürsteuerliche Mehreinnahmen. Die Belastungendurch solche Ansiedlungen sind vor allem durchdie härter werdende Konkurrenz unter den Städ-ten mittlerweile größer als die Vorteile. Am Bei-spiel der Stadt Dietzenbach wird deutlich, dassdiese Hoffnung auf eine positive Entwicklung

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Abb. 24. Dietzenbacher Brachfläche

12 Die Bodenpreise sind im Rahmen der Entwicklungsmaß-nahme durch Gutachter festgelegt und dürfen nicht unter-schritten werden. Sie sind allerdings angesichts der Markt-lage nicht zu erzielen, so dass viele der F lächen derzeit nicht zu veräußern sind.

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durch von außen kommende Einflüsse auch zuinsgesamt negativen Entwicklungen führenkann.Englische Investoren errichteten die Großwohn-anlage am Starkenburgring, Rewe siedelte einAuslieferungslager an, das täglich hunderteSattelschlepper durch die Stadt schickt, dieLandesregierung beschloss Deutschlands größteEntwicklungsmaßnahme, die mit ihrer Unmaß-stäblichkeit auf allen Ebenen die Stadt bis heutebelastet.Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitivunvollendet" versuchte angesichts des Ausblei-bens oder der Problematik der von außen kom-menden Entwicklungen, die Innenentwicklungder Stadt zu aktivieren.Die Ideen und Anliegen der Bürgerinnen undBürger sollten im Projekt Schwerpunkt der Dis-kussionen werden. Es interessierte nicht dasAußenbild der Stadt, sondern das Innenbild. ImGegenzug erwartete das Projekt Engagement,Ideen und Äußerungen der Bürgerinnen undBürger, besonders derer, die sich bei den "gro-ßen" Vorhaben nicht zu äußern pflegen. DieBürgerinnen und Bürger sollten durch direkteAnsprache für die Interessen der Stadt gewon-nen werden.

3.4.3 Veränderter Blick auf dieStadt

John Habraken beschreibt in seinen Buch"Building the Ordinary"13 sein Erstaunen darü-ber, dass offenkundig für Amsterdam nie einPlan bestand, dass vielmehr die Anordnung derGebäude und der Verkehrswege, die Gestaltungvon Privatem wie Öffentlichem, sowie die Er-möglichung von Handel und Gewerbe in einerForm von allgemeinem Stadtverständnis unterden Bewohnerinnen und Bewohnern zum All-tagswissen gehörte. Er beschreibt fasziniert denOklahoma Gold Rush, die Freigabe eines ganzenStaates zur Besiedelung, und die dort entste-henden geordneten, aber nie geplanten Stadt-strukturen. Er drückt damit stellvertretend einenahezu romantische Faszination unter Städte-bauerInnen für ungeplante Ordnungen aus.14

Tatsächlich sind die bidonvilles, clandestinesund squatter settlements, die ungeplantenStadterweiterungen, heute in vielen Ländern derWelt zu entdecken. Sie sind erfolgreiche Stadt-erweiterungen in dem Sinn, dass sie sich lang-fristig zu funktionierenden, sich langsam stabili-sierenden Gemeinschaften entwickeln. Die oftmiserablen hygienischen, baulichen und infra-strukturellen Bedingungen der Gründungsphasesollten bei dieser Betrachtung allerdings nichtunbedacht bleiben. Es erscheint für die Betrach-tung einer so schnell geplanten und gewachse-nen Stadt wie Dietzenbach notwendig, nachdem für ein spontanes, ungeplantes Wachstumzugrunde liegenden Wissen zu fragen, anstattnach neuen, stets künstlichen Leitbildern zusuchen.Es stellte sich die Frage nach einem grundle-gendem Stadtverständnis, das auch in Dietzen-bach vorhanden, wenn derzeit auch nicht sicht-bar ist. Wie könnte dieses zum Ausdruck kom-men?

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13 Vgl. Habraken, N .J.; The Structure of the Ordinary, The MIT Press, Cambridge, Massachusetts 1998 .

14 Vgl. auch Schaur, Edda; Ungeplante Siedlungen,Mitteilungen des Instituts für leichte F lächentragwerke,Nr.39 , Universität Stuttgart, Stuttgart 1991 .

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Oder sind, wie es in einem Projektworkshopeinmal provokativ formuliert wurde, die Dietzen-bacherinnen und Dietzenbacher heute nur nochdaran interessiert, staufrei nach Offenbach zugelangen? Und selbst wenn ein Stadtverständnisvorhanden wäre, wozu wäre es gut und wieließe es sich in Stadtentwicklung umsetzen?

Das Projekt wollte Prozesse hervorrufen, durchdie sich Stadtverständnis artikulieren könnte,durch die z.B . der Wunsch nach und Vorschlä-ge für bestimmte Ordnungen formuliert werdenkönnen, bei denen sich praktische, über die ste-reotypen Wünsche bei theoretischen Befragun-gen hinausgehende Nutzungsprioritäten artiku-lieren können, bei denen Zeithorizonte,Wunschbilder und Umsetzungswege konkretwürden. Dabei ist Dietzenbach aber eben nichtdas freie Feld, die wilde Siedlung, sondern eineStadt mit dominant und prägend erscheinendenBaustrukturen.Lars Lerups15 anti-behaviouristischer Ansatz hilftaus diesem Dilemma, wonach im Gegensatz zuder weit verbreiteten Meinung weder die beste-henden Strukturen erzieherisch auf die Men-schen wirken, noch in idealer Weise die zurjeweiligen Zeit herrschenden Umstände undgesellschaftlichen Zustände reflektieren. Nurunter dieser Voraussetzung kann angenommenwerden, dass sich in geplanten Strukturen einer-seits Organisations- und Siedlungsverständ-nisse entfalten können, andererseits auch

Formen des Umgangs mit diesen Strukturenmöglich sind, die diesen nicht per Planung ein-zubeschreiben sind. Die Akzeptanz des Beste-henden erlaubt durchaus die Formulierung vonNeuem. In Dietzenbach melden sich immerwieder ernst zu nehmende Stimmen, die denAbriss der problematischen Baustrukturen for-dern. Dem vorliegenden Projekt erschien einsolches Vorgehen zu radikal in seiner Verein-fachung der Dietzenbacher Situation. Vielmehrwurde die These aufgestellt, dass sich relativunbeeinflusst von den gebauten Strukturennachhaltig und effizient neue Ideen von Stadt-entwicklungen formulieren lassen.

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Abb. 25. Dietzenbacher Brachfläche

15 Lerup, Lars; Das Unfertige bauen, Architektur und mensch-liches Handeln, Braunschweig; Wiesbaden: Vieweg 1986 .

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3.4.4 HandlungsorientiertePartizipation

Bei dem für Dietzenbach im Rahmen des For-schungsprojektes Stadt 2030 entwickelten Kon-zept handelte es sich weniger um einen Parti-zipationsansatz im Sinne einer Beteiligung aneinem vorgegebenen Programm oder Prozess.Vielmehr indizierte es darüber hinaus einenAufruf zur Eigeninitiative. In Bezug zum gewähl-ten städtebaulichen Thema, der Brachflächen-nutzung, handelte es sich um eine "Teil-Nahme"an der Stadtentwicklung im wörtlichen Sinne:sich einen Teil zu nehmen und diesen eigenver-antwortlich zu nutzen.Somit wurden aus kommunaler Kraft nicht(mehr) zu bewältigende Bereiche der Stadtpla-nung als Gestaltungsfelder für kommunaleAkteure geöffnet. Kreativität und Engagementder Bürgerinnen und Bürger wurden als vorhan-denes städtisches Potential gesehen, dass es fürdie Stadtentwicklung zu nutzen galt.

3.4.5 Individuum als Adressat

Die auf Grund der rechtlichen Bindungen an dieEntwicklungsmaßnahme und insbesondere derfinanziellen Haushaltslage nahezu handlungs-unfähig gewordene Kommune setzte in diesemProjekt auf ihre handlungswilligen BürgerInnen.Adressaten waren Bürger und Bürgerinnen, un-abhängig von ihrer finanziellen Lage und sozia-len Schicht und unabhängig von der Dauerihrer Zugehörigkeit zur Stadt und der Einbin-dung in deren gesellschaftliche Strukturen.Wesentliche Voraussetzung für die Teilnahmewar die Bereitschaft zu Interessenartikulationund Engagement, also der Einsatz von Zeit.Um Engagement in einer individualisiertenGesellschaft hervorzurufen, wird eine Option fürden Bürger und die Bürgerin als Individuum,mit den jeweiligen individuellen Bedarfen undWünschen, eröffnet. Der Bürger/die Bürgerinwird als Individuum angesprochen.

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Abb. 26. junge Bevölkerung als Potenzial

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3.4.6 Neue Kommunikationsform

Um eine Teilnahme zu ermöglichen war es un-abdingbar, dass die Botschaft die Bürgerinnenund Bürger überhaupt erst einmal erreichte.Normale Beteiligungsangebote im Rahmen derBauleitplanung oder Diskussionsveranstaltungen- wie in Kapitel 2 erläutert - stoßen kaum nochauf Resonanz. Auch über die Presse publizierteInformationen erreichen nur noch einen Bruch-teil der AdressatInnen (unter 34 .000 Einwoh-nerInnen Dietzenbachs gibt es nur 2 .000AbonnentInnen von Tageszeitungen) und dabeinur spezifische Schichten der Bevölkerung.16

Verständigungsschwierigkeiten verstärken sichdurch Sprachbarrieren seitens der erheblichenZahl der Bürgerinnen und Bürger mit Migra-tionshintergrund.Um also allen eine Teilnahme zu ermöglichen,wurde eine Kommunikationsform erprobt, in derSprachbarrieren und Schwellenängste vor Be-hörden möglichst reduziert sind. Die Anspracheder Bevölkerung erfolgte über eine baulicheInstallation im Stadtraum. Als "ästhetische Setzung" war sie für jede undjeden sinnlich wahrnehmbar. Die Setzung warüber einen bestimmten Zeitraum (hier für dieDauer des Forschungsprojektes) kontinuierlichpräsent und verwies somit intensiver als diesVeranstaltungen oder Veröffentlichungen vermö-gen auf das Angebot zur Projektteilnahme.H ierbei wurde die leere Mitte als Potenzial gele-sen, die ausreichend Raum für die Installationbot und im übertragenen Sinne Raum für einederartige temporäre Bespielung ließ. Durch dieNähe zum Verbrauchermarkt war sichergestellt,dass der Standort hinreichend von den unter-schiedlichsten Bewohnern frequentiert wird.

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16 vgl.: Kap. 4 .1 .1

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PROJEKTREALISIERUNG

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4.1 METHODIK, STRATEGIE UNDGENESE

71Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv un-vollendet" bestand aus zwei Projektteilen, dieeng miteinander verknüpft waren. Auf der einenSeite stand das Thema - der Boden in Dietzen-bach mit der Option zur Besetzung durch dieBürgerinnen und Bürger - und auf der anderenSeite die Vermittlungsaktion - die ästhetischeSetzung der Stelenreihe in der Stadtmitte mitder Option zur Transformation. Beide zusammenboten den Bürgerinnen und Bürgern an, für ihreStadt Verantwortung zu übernehmen, und for-derten von ExpertInnen, Verwaltung und Politikfür diese Übernahme von Verantwortung An-knüpfungspunkte zu erstellen.

4.1.1 Ästhetische Setzung

4.1.1.1 Das Medium: Ästhetik und SymbolDas Medium der Kommunikation war eine"ästhetische Setzung" im Stadtraum. Beim Pro-jekt Dietzenbach 2030 handelte es sich umeine Stelenreihe, die sich zwischen den unter-schiedlichen Verkehrsbändern in der Stadtmitteaufspannte. In der Achse der Einflugschneisezum Rhein-Main-F lughafen symbolisierte siedas Ankommen, das (noch) N icht-verwurzelt-Sein der Dietzenbacher Bürgerinnen und Bür-ger, die zum großen Teil "H inzugezogene" sind.1

Damit wurde das zu verhandelnde städtebauli-che Thema, der temporäre Umgang mit unge-nutzten F lächen, sowohl durch den StandortBrachfläche als auch durch die Objektteileselbst versinnbildlicht: Die 2 .500 Holzstelenstanden für die Option eines jeden Bürgers undeiner jeden Bürgerin, sich mittels einer Steleeinen Claim auf einer 100 qm großen Parzelleauf den ausgewiesenen Brachflächen abzuste-cken.Die Präsenz der Stelenreihe im öffentlichenRaum war Zeichen für eine konkrete Hand-lungsoption in der Gegenwart und nicht für einkünftiges Planungsziel, das mit einem Leitbildin der Regel intendiert wird. Als erstes Anzeichen einer Besetzung der F lächelöste die Stelenreihe Nachfragen über die Be-bauung dieses Grundstückes aus. Die an dieser

Stelle verstandene Botschaft ließ sich auf dieBrachflächen in der gesamten Stadt übertragen.Nach der Transformation stellte die individuelleBesetzung einer Parzelle mit vier Stelen quasidie Einfriedung der Brache dar und kann auchals Symbol temporärer Verwurzelung eines Diet-zenbacher Bewohners oder einer Bewohneringelesen werden.

Abb. 30. Montage StelenreiheAbb. 31. Montage Claimabsteckung

gegenüberliegende Seite: KonzeptAbb. 27. Montage der Stelenreihen zwischenden Verkehrsachsen: Kreisstrasse, S-Bahn-trasse, EinflugschneiseAbb. 28. Montage: Stelenreihe durch den OrtAbb. 29. Montage: Stelenreihe als Setzung aufden Brachen in der Neuen Mitte

1 Lt. der durchgeführten Befragung sind nur etwa 10 % der

Bewohnerinnen und Bewohner Dietzenbachs in Dietzen-

bach geboren. Vgl. Kap. 4 .1 .2 .2 .

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4.1.1.2 Der Einfluss der KunstMehrfach wurde die Frage aufgeworfen, ob essich bei der Setzung um Kunst handle oder umeine Installation, um eine Provokation oder umeinen Überraschungscoup.

7.000 Eichen von BeuysInspiriert wurde das Projekt von Josef Beuys'documenta-Werk der 7 .000 Eichen: Ein "Stein-haufen" aus 7 .000 Basaltblöcken wurde vordas Museum Friedericianum gesetzt.2 Dieser be-legte und veränderte den Platz sichtbar, der nurdurch privates Engagement zurückgewonnenund "in Ordnung gebracht" werden konnte. DasKonzept sah das aktive Auftreten der Bürgerin-nen und Bürger vor, die die Entfernung jeweilseines Basaltblockes veranlassen konnten, indemsie den öffentlichen Raum mit einer Baumpflan-zung bereicherten. Die große Anzahl der Elemente - 7 .000 Basalt-blöcke und 7 .000 Eichen - spielte eine nichtunerhebliche Rolle, denn nur so war die Wahr-

nehmung der Störung sowie der nachfolgendenVerteilung über die gesamte Stadt gegeben.Daneben wurde der Aufruf durch Informationenim "Bürgerbüro" für alle verdeutlicht. Jedem undjeder Einzelnen wurde die Chance zur Teilnahmean der Kunstaktion gegeben sowie die Möglich-keit, auf die Gestaltung ihrer Stadt nachhaltigeinzuwirken. Die Bürgerinnen und Bürger in diese Rolle ein-treten zu lassen war auch das stadtplanerischeZiel in Dietzenbach. Ihre Einwirkung wurdeaber nicht als einmalige Aktion, sondern alskontinuierlicher Einsatz in der Stadt gedacht.Analog zu den Basaltblöcken wurde vom Pro-jektteam - also von außen - eine kleinteiligeInstallation in den öffentlichen Raum der MitteDietzenbachs gesetzt. Diese sollte sich - ver-gleichbar mit den Beuys'schen Eichen - durchindividuelles Handanlegen über den gesamtenStadtraum verteilen und dadurch positiv auf dasVerhältnis zur eigenen Stadt einwirken. Durchdie bewusste Übertragung eines künstlerischenKonzeptes auf die Stadtentwicklung wurde dieStadtverwaltung konsequenterweise als Mit-spielerin in das Projekt integriert.

Weitere provokative KunstaktionenDer Künstler Olaf Metzel bringt Menschen, dieAusstellungen in der Regel nicht besuchen, zuvon ihm zuvor veränderten Orten. So bestückteer für die vierte Biennale 1995 in Istanbul einenKiosk mit Devotionalien eines türkischen Fuß-ballvereins und führte dadurch Fußballer undihre Fachpresse ins Museum.Wie Reaktionen auf Projekte eine Eigendynamikentwickeln können, zeigt auf besondere Weiseeine Arbeit des Berliner Künstlerduos p.t.t.red.Zu ihrem Langenhagener Projekt von 1997 , beidem auf dem Marktplatz ein Podium aufgebautwurde und Plakate den Auftritt von U lrike Mein-hof verkündeten, strömten die Massen und ge-rieten in heftige Diskussionen. Die KünstlerInnen provozieren mit ihren Aktio-nen, intendieren jedoch nicht explizit eine Ver-

72

Abb. 32. Beuysprojekt zur dokumenta 1982Basaltblöcke vor dem Friedericianum in Kassel

2 dokumenta-Arbeit, Hrsg. Veit Loers, Pia Witzmann, 1993 .

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änderung, die sie nach eigenen Aussagen nichtvorhersehen können und wollen. Die Ergebnissehaben keinerlei Einfluss auf die Gültigkeit undOriginalität der Idee. Anders die Stelenreihe als Setzung im öffentli-chem Raum im Rahmen des Projektes Stadt2030: Eine ausbleibende Reaktion der Bürger-Innen würde die Stelenreihe als Instrument derStadtplanung disqualifizieren. H ier waren alsodie Ergebnisse ausschlaggebend für die Bewer-tung der Idee.

4.1.1.3 Der Grad des Reizes Durch die Transformation der Installation solltensich einerseits individuelle Handlungsräume fürBürgerinnen und Bürger erschließen und solltesich andererseits das Stadtbild verändern. Esstellt sich die Frage, ob zur Erreichung der not-wendigen Aufmerksamkeit in der Bürgerschaftheute noch eine möglichst provokative Installa-tion - ähnlich dem Beuysprojekt - maßgeblichist.In der heutigen Zeit der Reizüberflutung unddes anything goes vermag man mit Provokatio-nen bestenfalls eine kurzzeitige Verwunderungauslösen. Zumal sich in einer fragmentiertenStadt ohne Mitte und Identifikationsangebote soschnell keine persönliche Betroffenheit wegeneines "Haufens" o. ä. erzeugen lässt - dazu sinddiese in Dietzenbach zu alltäglich. Ziel war esalso vielmehr, den Bürgerinnen und Bürgern dieErnsthaftigkeit des Angebotes und der Aufnahmeihrer Interessen zu vermitteln.Um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sollte an-stelle einer Provokation ein Überraschungscoup,die Installation in einer Nacht-und-Nebel-Aktion,erfolgen. Letztlich war diese Umsetzung aufGrund der Menge der aufzustellenden Stelentechnisch nicht zu bewältigen.Im Nachhinein lässt sich feststellen, dass dasmit der Überraschungsabsicht praktizierte Still-schweigen über die Aktion dem Projekt nichtförderlich war. Denn dies schränkte die Kom-munikation vorab ein, die gerade auf der politi-schen Ebene notwendig gewesen wäre, umweitere Förderer sowie MultiplikatorInnen zu ge-winnen. So beschränkte sich die Kommunikation auf diePartnerInnen im Stadtplanungsamt und auf denBürgermeister, dem die Schlüsselrolle in derUnterstützung zugedacht wurde. Auf das Ange-bot, das Projekt zu dem Seinigen zu machenund sich mit dem Erfolg in der Stadt zu profilie-ren, ging er nicht ein.

73

Abb. 33. Beuysprojekt: Versetzen einesBasaltsteins und Pflanzen einer Eiche

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4.1.1.4 Die Partizipation am AufbauUm das Projekt in einem ersten Schritt in dieBevölkerung zu tragen, wurden im Sinne einerklassischen Beteiligungsstrategie zahlreicheMitmach-Aktionen organisiert. Von Beginn anboten die Stelen die Möglichkeit des Handelns:Schulkinder und Jugendliche waren eingeladen,Hand anzulegen und die Stelen zu bemalen.Von Anfang August bis Mitte September 2002beteiligten sich Gruppen aus den Ferienspielenund der Lernwerkstatt, später kamen Schul-klassen aus verschiedenen Schulen hinzu.Die Vor- und Nachbereitung der Aktionen sowiedie Begleitung der Durchführung erforderteneinen erheblichen Aufwand, der die eigentlichesowie die beauftragte Planungsleistung bei wei-tem überstieg. Auch der Kommunikationsauf-wand, um die Werkstatt- und Schulleiter für dieMitwirkung zu gewinnen, war beträchtlich. DieBeteiligung der Kinder und Jugendlichen solltedas Projekt sowohl in ihrem Umfeld (Eltern,FreundInnen) bekannt machen als auch diePartizipationsprojekten innewohnende Strategievon Akzeptanz und Identifikation bewirken.

74

Abb. 34. Faltblatt zur Beteiligung der Schulenan den Aktionen der Stelenbemalung

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75

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4.1.1.5 Die Ritualisierung der TransformationSobald die Aufstellung der ersten 500 Stelendie weitere Reihung erahnen ließ, diente ein"Richtfest" dazu, das Projekt durch den Bürger-meister und das Projektteam der Presse und der

Öffentlichkeit vorzustellen. Von da an konntenWünsche für die Parzellennutzung im Projekt-büro, das in der Mitte der Stelenreihe in einemBauwagen eröffnet wurde, eingereicht werden. Die Fertigstellung der Stelenreihe bot Gelegen-heit, mittels einer Vernissage Presse und Bevöl-kerung über den Stand und den weiteren Pro-jektverlauf zu informieren sowie erste Nutzungs-wünsche als Inspiration zur Teilnahme weitererBürgerinnen und Bürger zu vermelden.Mit der Versetzung der Stelen von der Reihe aufdie Parzelle wurde - wiederum als Event mitPolitik, Presse und Fernsehen - die Inbesitz-nahme ritualisiert und der Claim anschließendvisualisiert. So fanden im Laufe des ProjektesTransformationen auf zwei Ebenen statt: DieStelen verteilten sich von der in der Stadtmitte

konzentrierten Reihe punktuell über die gesam-te Stadt. Brachliegende Freiflächen wurdeneiner temporären Nutzung zugeführt. Permanentist nur der Prozess des Nutzungswandels, denes zu kultivieren gilt.

4.1.1.6 Die Zeichen des HandelnsDie ästhetische Setzung löste in Verbindung mitdem Bauwagenbüro ca. 1 .000 Anfragen aus,die mit annähernd 300 Eingaben zur konkretenNutzung von Parzellen verbunden waren. Als be-greifbares Angebot hielt die Stelenreihe Schwel-lenängste und Verständigungsschwierigkeitengering und förderte so die Vermittlung der Inhal-te gerade auch für viele ausländische Bürgerin-nen und Bürger.Die Stelen bleiben nach Abschluss des Projektsversetzt als sichtbares Zeichen in der Stadt:Einerseits als Zeichen der Teilnahme Einzelnerund ihrer individuellen Übernahme von Verant-wortung für ein Stück Stadt. Gleichzeitig auchals Zeichen des realisierten Gesamtprojektes,das hier von außen initiiert wurde und andern-orts in anderer Form und mit anderem Themavon einer Kommune initiiert werden kann.

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Abb. 35. Eine Stele als Angebot für jede/n ein-zelne/n BürgerIn zur Projektteilnahme

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Abb. 36. und Abb. 37.Transformation der Stelenaus der Reihe in derStadtmitte auf dasgesamte Stadtgebiet

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4.1.2 Die Kampagne "100 qm"

Das Thema des Bodens wurde in der Kampa-gne "100 qm" umsetzungsorientiert aufgegriffen.Die Kampagne "100 qm" rief zur temporärenBesetzung Dietzenbacher Brachflächen auf unddamit zur Übernahme von Verantwortung fürdie Flächen. Verstärkt und im Stadtraum sicht-bar wurde das Thema durch die Aktion in Formder Stelenreihe. Die Stelenreihe spiegelte dieseneu geschaffene Handlungsoption, indem dieStelen aus der Reihe entnommen und zum Ab-stecken der zu besetzenden 100 qm Dietzen-bacher Boden genutzt werden konnten. Mit dem Thema des Bodens wurde ein Aspektder Stadt und ihrer Geschichte aufgegriffen, andem sich vielfältige Probleme der Vergangen-heit, aber auch Chancen der Zukunft erkennenlassen. Der Boden als für Verkehrsflächen ver-brauchtes Gut, als Gegenstand von Gerichts-verfahren, als Brachfläche und Zeichen für sto-ckende Entwicklung, aber auch als Chance fürdie Bürgerinnen und Bürger, ihren Raum abzu-stecken, sich niederzulassen und heimisch zufühlen. Die Stelenreihe durch die Stadtmitte ver-deutlichte diese Chancen: Mit den Stelen ließensich Claims abstecken, die große Zahl der Ste-len symbolisierte dabei die unglaubliche Anzahlabsteckbarer Claims und damit Handlungsop-tionen der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt.Die Kampagne "100 qm" und die Stelenreihebezogen sich aufeinander, verstärkten sich underhielten so städtebauliche Relevanz.Die F lächenbesetzungen der Bürgerinnen undBürger, ihre Projekte auf 100 qm Boden, wur-den Gegenstand von Diskussionen über dieStadt. Die Einzelprojekte wurden zwischenunterschiedlichen AkteurInnen der Stadt verhan-delt, um eine Realisierung der Projekte durchdie Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichenund einen Interessenausgleich zwischen denAkteurInnen zu erlangen. Die Diskussionsgrund-lage war nicht mehr die Projektion einer zukünf-tigen und als ideal gedachten Umwelt in dieGegenwart, sondern das Handeln Einzelner unddamit die Vielzahl der Einzelprojekte.

Diese Herangehensweise erforderte von Exper-tinnen und Experten, Planerinnen und Planernwie von Politikerinnen und Politikern eine par-tielle Abkehr von der Haltung, die diese Gruppenbisher oft als "Katalysator schöpferischer Synthe-se, Verfechter des allgemeinen Wohls und Ver-treter benachteiligter Gruppen" verstanden hat.3

Stattdessen wurde eine Aushandlungskulturnötig, die, statt Gemeinwohldefinition anzustre-ben, der Konsensfindung dienen sollte.

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3 Spiegel, Erika; Konzepte und Modelle zur Gestaltung desPlanungsprozesses, Manuskript, Hamburg im Juni 1992 , zitiert nach Düwel, Jörn und Gutschow, N iels; Städtebau inDeutschland im 20 . Jahrhundert, Verlag B .G. Teubner, Stuttgart 2001 , S.170 .

Abb. 38. Paradies auf 100 qm

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4.1.2.1 StrategieDie entwickelte Strategie lässt sich in fünfArbeitsphasen gliedern:

Beschreibung des Themas oder "Nervs" derStadtIn einem ersten Schritt wurde das zentrale The-ma der Stadt gesucht. Dazu wurden Einzelbeob-achtungen mit H ilfe von Methoden wie Back-casting und Scapes identifiziert und extrapoliert.In der anschließenden Diskussion der gewonne-nen Ergebnisse wurde das zentrale Thema defi-niert. Als Thema wurde der Boden in Dietzen-bach aufgegriffen.Innerhalb des Entwicklungsbereiches ist er alsBrache und Leere präsent.4 In Vorbereitung aufdie Kampagne "100 qm" befasste sich das Pro-jektteam intensiv mit den Eigentumsverhältnis-sen, mit dem Stand der Entwicklungsmaßnah-me, mit den politischen Einflussnahmen auf dieEntwicklung und der städtebaulichen Relevanzeinzelner Flächen innerhalb des Projektes. InGesprächen mit AkteurInnen in der Stadt wieVerwaltung, EigentümerInnen sowie Vereinenwurden dreißig F lächen identifiziert, die inner-halb des Projektes diskutiert werden sollten.Diese Auswahl verstand sich als vorläufig.Auffallend war allerdings, dass weder F lächenhinzugefügt wurden noch alle genanntenFlächen innerhalb des Projektes in die öffent-liche Diskussion gerieten.

Transformation des Themas in eine umset-zungsorientierte Kampagne Das Thema wurde durch den Aufruf zur Beset-zung des Bodens von einer reflektierenden Be-trachtung der Situation in eine konkrete Hand-lungsoption transformiert. In intensiven Diskus-sionen wurden Gefahren und Chancen einessolchen Aufrufs vom Projektteam gegeneinanderabgewogen. Die rechtlichen Konsequenzen wur-den mit H ilfe von ExpertInnen in der Verwaltungbedacht und ein Vertragsmuster für eine tempo-räre Bodennutzung entworfen. Versicherungsrechtliche Fragen wurden sowohlbei Grundstücken in städtischem Eigentum als

auch bei Grundstücken in Privateigentum relativschnell und unbürokratisch gelöst.Sehr viel kontroverser wurde die Art der tempo-rären Nutzung diskutiert. Die Angst vor Kontroll-verlust seitens der Verwaltung und vor allem derPolitik beschnitt hier die Nutzungsvielfalt schonim Vorfeld erheblich. Bei den durchgeführtenProjekten sollte sich diese Vorsicht als unbe-gründet herausstellen. Es kam bisher weder zurZerstörung von Projekten noch zu Problemenbei der Wiederherstellung der Flächen.

Entwurf eines Prozesses zur Umsetzung Für die in dieser Form neue Zusammenarbeitvon Politik, Verwaltung, Bürgerinnen und Bür-gern wurde ein Vorgehen konzipiert, das dieVerwaltungsabläufe beschleunigen und trans-parent gestalten sollte. Die Abstimmung zwi-schen Verwaltung und Politik wurde zeitlichengmaschig angelegt. Das frühzeitige Aufgreifenvon Bürgerideen stand im Mittelpunkt diesesVorgehens.

Das Thema in die Stadtöffentlichkeit bringenDas Thema Boden wurde in enger Abstimmungmit der Stelenreihe in Form von 10 .000 F lug-blättern sowie 400 Plakaten mit dem Aufruf zurBesetzung und mit Informationen über Ablaufund AnsprechpartnerInnen in die Öffentlichkeitgetragen.Verstärkt wurde die Kampagne durch die ästhe-tische Setzung, die das Thema des Bodens auf-greift und stadträumlich sichtbar werden lässt.Sie zeigte durch die Stelen auch die Handlungs-optionen für jede einzelne Bürgerin und jedeneinzelnen Bürger auf, mit vier Stelen aus derStelenreihe ihre/seine 100 qm Boden absteckenzu können.

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4 Vgl. Kapitel 2: Baustruktur, Fragmentierung.

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Begleitung der Umsetzung und Anstoßen vonlangfristigen ProzessenDie Beratung der Bürgerinnen und Bürger beider Umsetzung ihrer Ideen stellte sich als sinn-voll heraus, da der Vorgang selbst nicht einge-übt war.Parallel zur Besetzung einzelner Flächen wur-den die für das Projekt notwendigen Verfahrenin Politik und Verwaltung der jeweiligen Aufgabeangepasst. Die Presse wurde möglichst weitge-hend über den jeweiligen Stand des Projektesinformiert.Das Entstehen langfristiger Strukturen, z.B . inForm von neu zu gründenden Vereinen, oderEngagement im Rahmen bestehender Struk-turen wie dem Ausländerbeirat wurde geför-dert. 5

Das Projekt wurde durch einen Bauwagenergänzt, in dem von ProjektmitarbeiterInnenInformationen zur Kampagne "100 qm" und derStelenreihe weitergegeben wurden. Er erwiessich als sehr gut angenommenes, niedrig-schwelliges Angebot für Bürgerinnen undBürger.6

4.1.2.2 Thema finden - Nerv treffenDas Thema des Bodens wurde nach einer Rei-he von Vorarbeiten, die an der TU Darmstadterfolgten, festgelegt. Eine Annäherung an dieDietzenbacher Situation und für die Stadt städ-tebaulich relevante Themen wurde in Zusam-menarbeit mit Studierenden erbracht. Im Winter 2001 wurde an der FachgruppeStadt eine städtebauliche Übung herausgege-ben, die es zur Aufgabe hatte, kleine Entwick-lungen in Dietzenbach aufzuspüren und dieseEinzelentwicklung in einer Projektion auf dasJahr 2030 fortzuschreiben. Die Ergebnisse die-ser Fortschreibung sollten dann zurückgebro-chen werden auf Erkenntnisse oder Empfeh-lungen für die Gegenwart.

Die studentischen Arbeiten griffen sehr unter-schiedliche Beobachtungen auf. Ein Team, daszusammen mit einem Mathematiker arbeitete,errechnete unter statistischer Modifikation einesParameters, dass Dietzenbach mit einiger Wahr-

80

5 Vgl. hierzu: Internationale Gärten Göttingen, www.interna-tionale-gaerten.de.

6 Vgl. Kapitel 4 .3 .3: 1 .000 Stellungnahmen, 292 konkrete Nutzungsideen.

Abb. 39. Statistik, Studentenarbeit TUD

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scheinlichkeit im Jahr 2030 die gesamte ar-beitsfähige Bevölkerung Hessens beheimatenkönnte. Andere Teams thematisierten die Ju-gend der Bevölkerung. Ein Team schrieb die mitdem Hessentag eindrucksvoll begonnene Festi-valisierung der Stadt fort mit dem Ergebnis,dass die Stadt im Jahr 2030 die olympischenSpiele ausloben könnte. Die Ausbildung voneiner großen Zahl von Zentren stand im Mittel-punkt einer Arbeit, mit dem Ergebnis der Frag-mentierung in kleinste Dorfeinheiten bis zumJahr 2030 . Ein Team schließlich schlussfolgerteaus Videointerviews mit Bürgerinnen undBürgern die Umlagerung der Großwohnanlagenauf die dünn besiedelten oder brachliegendenFlächen der Stadt. In der Diskussion über diese erarbeiteten Scapeskristallisierten sich über einen langen Zeitraumdie für das Projekt 2030 relevanten Themenheraus. Dazu gehört die demographische Ent-wicklung, die für Dietzenbach eine extrem junge

Bevölkerung ergibt, sowie die Asymmetrie vonWohnform und Bodennutzung bzw. fehlendeVerfügbarkeit von Boden für einen großen Teilder Bevölkerung. Die Studentinnen und Studenten erarbeitetendiese Projektionen in Anlehnung an aktuelleniederländische Beispiele. Diese extremenSzenarios oder Scapes behandeln ein jedes denEinfluss von nur einer Einzelentwicklung bzw.

Beobachtung auf die Stadtplanung und projizie-ren diese auf lange Zeiträume. Die Scapes wan-dern dabei auf dem Grat zwischen ernsthafterKritik und Polemik.7 Aus den aus den Scapesentwickelten Argumenten in der städtebaulichenDiskussion folgt dann eine konkrete gegenwärti-ge Form, die sich direkt aus den Scapes ablei-ten lässt, und in sich das Argument als fiktiveFunktion widerspiegelt. Form follows fiction stattform follows function.8

In einer Weiterentwicklung der niederländischenBeispiele wurden im vorliegendem Projekt dieaus den Scapes gewonnenen Anregungen in derKampagne "100 qm" aufgegriffen. Die Kampag-ne bot Bürgerinnen und Bürgern einen Anlass,in ihrer Stadt und in ihrem Interesse aktiv zuwerden. Politik und Verwaltung wurden gefor-dert, dafür Abläufe und Strukturen zu entwi-ckeln. Verstärkend wurde zeitgleich die Wahr-nehmung des Stadtraumes durch das Einfügeneiner symbolisch mit dem Thema verbundenenästhetischen Setzung verändert. Es wurden also die Beobachtungen jenseitsihrer Wertung auf ihr Umsetzungspotenzial hinuntersucht. Eine städtebaulich relevante Um-setzung, ein Anstoßen von Prozessen war dasZiel der Strategie. Damit wurde das Handelnnicht auf ein "Später" verschoben, sondern eswurden konkrete Herausforderungen geschaffenund Druck erzeugt, mit diesen Herausforde-rungen umzugehen. These war, dass aus die-sem Umgang eine Auseinandersetzung mitstädtebaulichen Themen abgeleitet werdenwürde.

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7 Vgl. MVRDV; METACITY / DATATOWN , 010 Publishers, Rotterdam, 1999 , S. 64 - 93

8 Bosman, Jos; form follows fiction, von der Meta City zur Mega City in: Daidalos 74 , Berlin, 2000 .

Abb. 40. Studentenarbeit TUD

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4.1.2.3 VorbilderVorbilder für diesen Ansatz lassen sich sowohlin der Kunst als auch in Architektur- und Pla-nungstheorie finden. Im Bereich der Kunst seineben der schon beschriebenen Beuys Aktion‚7000 Eichen' auf folgende KünstlerInnen undihre Arbeit verwiesen:9

WochenklausurDie derzeit aktive österreichische KünstlergruppeWochenklausur agiert ebenfalls im städtischenRaum.10 Sie arbeitet jeweils für acht Wochen aneinem Ort. Im Vorfeld ihrer Arbeit versucht sieden Ort zu analysieren, sie sucht nach einemAspekt des Ortes, d.h. auch der Stadt, der dannin einem Projekt aufgegriffen wird. Es ist ihnenwichtig, zu einer Veränderung der Situation vorOrt beizutragen. Die Situation wird dabei meistals soziale Situation beschrieben. Sie versuchendurch ihren Blick von außen Dinge in Bewe-gung zu bringen, die von den städtischen Ak-teurinnen und Akteuren nicht mehr wahrge-nommen werden oder für die bisher keine Lö-sung entwickelt werden konnte. Innerhalb deracht Wochen setzen sie dann ein Projekt wiez.B . die ärztliche Betreuung von Obdachlosenum und versuchen eine Struktur zu entwickeln,die das Projekt auch langfristig trägt. Nach achtWochen verlassen sie die Stadt wieder.In der Architektur- und Planungstheorie lassensich ähnliche Tendenzen beobachten. Allerdingsfokussieren diese in der Regel auf den Stadt-raum und weniger auf den sozialen oder politi-schen Raum der Stadt. Gemeinsam ist ihnen,dass sie versuchen, die Diskussion über Inhalteabzulösen durch eine Betonung des Prozesses.Sie geben damit den keinen Veränderungen denVorzug vor nicht zu realisierenden Zukunfts-räumen. 11

Chora / BunschoutenChora untersucht akribisch die Möglichkeit,durch Mini-Szenarios im städtischen Raum neueEntwicklungsoptionen, Potenziale auf ihre Wirk-samkeit, Kommunizierbarkeit hin auszutesten.Die Mini-Szenarios können sich zu Erzählungenund Geschichten entfalten. Akteure in der Stadtkommen durch diese Szenarios in Kontakt mit-einander. Im günstigsten Fall entstehen durchdie Szenarios neue Entwicklungsdynamiken und

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9 Vgl. Kap. 4 .1 .1 .2 .10 www.wochenklausur.at.11 Vgl. auch Spiegel, Erika in: Planung + Projekte, Verständi-

gungsversuche zum Wandel der Planung, Hrsg. Donald A.Keller, Michael Koch, Klaus Selle, Dortmunder Vertrieb fürBau- und Planungsliteratur, Dortmund 1998 , S.16 - 21 .

Abb. 41. Urban Flotsam, Chora, RaoulBanschouten

Textures of the Loom: some elements for weavingA Pull of the Mountain. Desire for paradise. The Wilderness.

The Landscape.B The fold as the gate, regulating the pull towards the lands-

cape. Existing institutions as "gatekeepers"C The river, origin of Linz, source of the floodplane. Horizon

of the second frame. The river creates the open space.D F issure: singularity of the earth, geomorphic boundary of

the Traun basin.E Industrial cores, economic engines, city blight, ecological

banes, complex symbols, architectural showcases.F Gardening, model airplanes and other leisure.G The Euro-harbour, Pearl of the Loom, music theatre, fringe

culture, living on the water.H Living in the Loom, housing estates and other residential

use.

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Diskurse in der Stadt. In daraus entstehendenKonflikten wird die Chance zur Reorganisation,d.h. Veränderung, gesehen. In der Stadtplanunggilt es die Dynamiken zu erkennen, die sich fürsolch eine Entwicklung eignen, und diese Dyna-mik in ihrer Entwicklung zu fördern. Die Stadtplanerinnen und Stadtplaner tretennicht mehr als ideale EntwerferInnen auf, son-dern als OrganisatorInnen inhaltsoffener Pro-zesse. Sie greifen informelle, Bunschoutennennt sie weiche Strukturen in der Stadt, auf,aus denen ein neues Szenario in der Stadt unddamit eine neue Entwicklungsdynamik entste-hen könnte.

KönigsKönigs betont ähnlich wie Chora die Prozess-haftigkeit von Stadtentwicklung. Eine Zielformu-lierung für die Zukunft wird abgelehnt.Stadtplanung wird mit einem Open-Source-Projekt verglichen. Qualität und Verbesserungenwerden durch die Teilnahme vieler Menschengarantiert, die ihre Ideen und Kompetenzen indas Projekt einbringen können. Voraussetzungist eine Offenlegung der bisherigen Projektstruk-tur und des vorhandenen Wissens.12

MVRDVDie Architektengruppe MVRDV macht durch dra-matische Hochprojektionen und deren plakativeDarstellung auf planungsrelevante Entwicklun-gen aufmerksam. Es entstehen als Darstellunggut gestaltete Entwürfe, so zum Beispiel "pigcity", zu gigantischen Hochhäusern gestapelteSchweinekoben, die auf die ungebremste Aus-weitung der Schweinemast in der niederländi-schen Landwirtschaft hinweisen, oder dieN iederlande als ein einziges Häusermeer alslangfristige Fortschreibung der ungebremstenZersiedelung der Landschaft. Diese Entwürfesind keineswegs als die Lösung eines Problemsgedacht, sondern als die mehr oder wenigerzynische und aufrüttelnde Ästhetisierung vonFehlentwicklungen. Über erfolgreiche Ausstel-lungen vermitteln diese Entwürfe die zu Grundeliegenden Tatsachen an ExpertInnen und die

Öffentlichkeit.Aus der Auseinandersetzung mit diesen Ein-flüssen entstand eine Strategie, die maßgeblicheCharaktere von diesen Beispielen übernimmt:• Sie hat die Fähigkeit, einen Diskurs zu initi-

ieren.• Sie trägt die Möglichkeit der Transformation

in sich.• Sie fordert nichts, ermöglicht aber vieles.• Sie identifiziert ein Thema und verbindet es

mit einer konkreten Handlungsoption für Bürgerinnen und Bürger und schafft damitAnknüpfungspunkte zwischen verschiedenenAkteurInnen in der Stadt.

• Sie verwirklicht mit der ästhetischen Setzungeine sinnlich wahrnehmbare und symbolischmit dem Thema verbundene Aktion in derStadt.

• Sie lebt von zufälligen Einflüssen und emp-findet diese nicht als störend.

• Sie verändert die Rolle der ExpertInnen von klassischen EntwerferInnen zu Organisa-torInnen der Prozesse und sich entwickeln-den Dynamik.

Die Strategie macht es sich zum Ziel, über denProjektzeitraum hinaus städtebaulich nachhalti-ge Entwicklungen anzustoßen und damit Dyna-mik zu erzeugen.

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12 Königs, U lrich; Divercity - Strategien zur Entwicklung desurbanen Raumes in: strategischer Raum, Urbanität im ein-undzwanzigsten Jahrhundert, Internationales Forum für Gestaltung, Süddeutsche Verlagsgesellschaft, U lm 2000 ,S.56 - 72 .

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4.2.1 Voraussetzungen: Verhand-lungen mit der Verwaltung

Das einfache Erscheinungsbild der Stelenreihetäuscht darüber hinweg wie aufwändig es wardie Genehmigungen einzuholen, um eine fastununterbrochene Reihe von 2 .500 Stelen in600 Meter Länge durch das Zentrum der Stadtzu legen. Bei Privateigentümern, Landes- Kreis-und Stadtämtern war Überzeugungsarbeit zu lei-sten. Die Schwierigkeiten Privateigentümer zurEinwilligung in eine auch nur temporäre Nut-zung ihrer Flächen zu bewegen, sind allgemeinbekannt; die Angst vor einer sich verstetigendenInbesitznahme vielleicht auch verständlich.Dennoch konnten in mehreren Gesprächen unddurch die Präzisierung des Vorhabens Bedenkenzerstreut werden. Bei einer klar beschriebenenAktion mit fester zeitlicher Begrenzung stimmtenselbst die Privateigentümer und die übergeord-nete Verkehrsbehörde der Nutzung ihrer Flächezu. Jedoch an der Stelle, an der die Stelenreihedie Bundesstraße überqueren und sich auf einerVerkehrsinsel fortsetzen sollte, wollte die zustän-dige Verkehrsbehörde die Straße auch für weni-ge Stunden nicht verengen. Im H inblick daraufist der mögliche Verbleib von Stelen auf diesemAbschnitt im Stadtraum ein erfreuliches Ergeb-nis. Der Bürgermeister selbst stellte den Antragbeim zuständigen Straßenbaulastträger, der eineunbefristete Nutzungsdauer des Mittelstreifensschließlich bewilligte.

4.2.2 Entgegensetzung: Kosten-faktor

Während der Planung konkretisierten sich dieAusgaben für weitere Aktionen im Rahmen derStelensetzung. Aus Zeitgründen konnte nichtabgewartet werden, bis alle Schulklassen bereitwaren, sich an der Malaktion zu beteiligen.Dann hätte man auf professionelle H ilfe zu-rückgreifen müssen. Auf Grund dessen ent-schied die Projektsteuerungsgruppe, die Zahlder Stelen von 10 .000 auf 5 .000 zu reduzie-ren, die Zahl der aufgestellten Stelen auf 2 .500zu beschränken und die übrigen zum Absteckender Parzellen in Reserve zu halten. Zunächstwar vorgesehen, symbolisch für jeden Haushalteine Stele, also 10 .000 Stelen aufzustellen.

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4.2 SETZUNG DER STELENREIHE

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4.2.3 Inszenesetzung des Pro-zesses

Die Bemalung der Stelen bewirkte die Einbin-dung von Jugendgruppen wie der Lernwerkstattin Dietzenbach, die problematischen Schulkin-dern handwerkliche Kenntnisse vermittelt. Mitden SchulleiterInnen musste abgestimmt wer-den, zu welcher Zeit im Rahmen des jeweiligenLehrprogramms der Einsatz erbracht werdenkonnte. Die Malaktion fand auf den Brachen im Zen-trum statt, erzeugte Neugier und vermittelteeine Offenheit zum Mitmachen. Dies geschahdurch unser Angebot an Interessierte, denPinsel in die Hand zu nehmen. Die Malaktion lieferte mittels dessen, was dageschah, Bilder mit wichtigen Inhalten des Pro-jektes. Der ungezwungene Pinselstrich und dasSignieren verdeutlichten das Individuelle. DasMalen in Gruppen von Schulkindern und ihrselbst auferlegter Wettstreit, wer die meistenStelen bemalen wird, verdeutlichte ihnen dasleichtere Weiterkommen durch Kommunikationund Kooperation. Die einheitliche Farbauswahlund die einfache Gesamtform vermittelten, dasses sich um eine die gesamte Stadt betreffendeAktion handelt. Die kreisrunde bzw. sternförmi-ge Aufstellung der Malwerkstatt zeigte, dassauch das Improvisierte und Temporäre schönund kommunikativ sein kann. Kinder kamenfreiwillig außerhalb der Schulzeit wieder, umweitere Stelen zu bemalen.

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Abb. 42. Bildcollage Anlieferung

Folgende Seiten Abb. 43. Bildcollage“Malaktion”

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88 4.2.4 Einsetzung: Aufbau derStelenreihe

Die Aufstellung der Stelen war technisch bedingteine professionelle Aufgabe. Das Bohren verliefentsprechend der Bodenschichtung und parallelzum Fortschritt der Malaktion.Dadurch konnten die Kinder während sie mal-ten, die Stelenreihe entstehen sehen. Dies warfür die Kinder ein Ansporn zum Weitermachen.Der ganze Prozess dauerte lange genug, um alseine weitere Etappe der Vermittlung, sowohl fürdie Kinder als auch für Erwachsene, zu dienen.Viele PassantInnen stellten Fragen über die ent-stehende Reihe und diskutierten über den Sinnoder Unsinn eines solchen Vorhabens in Diet-zenbach. In der Regel waren sie vor allem umdie Unversehrtheit der Stelenreihe besorgt - inDietzenbach eine nicht unbegründete Sorge.Der befürchtete Vandalismus trat jedoch nuräußerst geringfügig ein, da nur wenige Stelenumgestoßen wurden. Sobald die Verbindung zwischen der Stelenreiheund den 100 qm Parzellen verstanden wurde,wurden wir mit Fragen überschüttet wie das vorsich gehen könnte. Besonders Kinder warenwährend der Malaktion eifrig dabei sich auszu-malen, was sie alles mit 100 qm anfangenkönnten. Dadurch bot die Malaktion eine weite-re Gelegenheit zum sich Austoben. Manche Fra-gen wurden von unserer Seite beantwortet an-sonsten verwiesen wir auf den Infowagen naheder Mitte der Stelenreihe. Damit wurde aucheine weitere Phase des Projektes aktiviert, diejetzt gleichzeitig mit der Malaktion und demAufbau lief. Diese Art von Vielschichtigkeit der Aktionen undAngebote beim Aufbau der Stelenreihe stärktedie Vermittlung des Projektes an die Bevölke-rung.

oben: Abb. 44. BohrerSeite 89:Abb. 45. Bildcollage “Stelensetzung”

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Abb.46. Stelenreihe im Winter

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Abb.47. Stelenreihe im Sommer

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4.2.5 Entsetzung: Reaktionen

Die Errichtung der Stelenreihe wurde feierlichzunächst durch ein "Richtfest" nach dem Auf-stellen der ersten 500 Stelen, dann einer Presse-konferenz und einer Vernissage begleitet. Dabeistellte sich das Projekt der Öffentlichkeit undder überregionalen Presse vor. Die geringe Zahl an AbonnentInnen in Dietzen-bach selbst ließ wenig Hoffnung auf eine Wir-kung in der Stadt durch die Berichterstattung.Dennoch gab es durch Leserbriefe beachtlicheReaktionen. Sie waren in der Regel positiv,obwohl die übliche Kritik von Geldverschwen-dung nicht ausgeblieben ist.13 Schlagwörter wieStelenzauber und Riesenmikado zeigten Ver-ständnis für den spielerischen Charakter desProjektes und belegten die Stelenreihe mit posi-tiven Assoziationen.An der Fußgängerbrücke über die Bundesstraßeformten sich acht Stelen zu einer Art Torgebilde,ein Schlussstein in der geographischen Mitteder Stelenreihe, gut sichtbar sowohl für Fußgän-gerInnen als auch für AutofahrerInnen auf derBundesstraße. Trotz der professionellen Befes-tigung deklarierte das Ordnungsamt die Stelenzu einer großen Gefahr für klettermutige Kinder.Wegen der Vorbehalte ordnete das Stadtpla-nungsamt ihre Entfernung an.Große Bedenken äußerten die städtischen Be-triebe, als es darum ging, einen mit hochge-wachsenen Büschen belegten Randstreifen derBundesstraße mit Stelen zu besetzen. Um dieStelen zu setzen und dann sichtbar werden zulassen, mussten die Büsche zurückgeschnittenwerden. Dazu bedurfte es mehrerer Gesprächeund Ortsbesichtigungen, bis der Stadtrat alszuständiger Dezernent seine Einwilligung gab.Heute, nach einem Jahr, wachsen die Büschewieder und scheinen bald die zurückgelasseneLeere zu füllen.

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13 Vgl. Kap. 4 .1 .1 .

Presseartikel, AusschnitteAbb. 48. Dreieich Spiegel 28.10.02

Abb. 49. Offenbach Post 15.10.02Abb. 50. Dreieich Spiegel 15.10.02

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4.2.6 Versetzung: Transformationder Stelenreihe

Ein weiteres Ritual geschah an den Tagen derEntnahme von Stelen für das Abstecken der100-qm-Parzellen. Zu diesem Anlass waren dieneuen PächterInnen der Parzellen eingeladen,selbst die Stelen aus der Stelenreihe zu entneh-men und sie in einen Transportwagen zu laden.Dabei kamen sie in Kontakt mit Gleichgesinn-ten, wodurch eine Gelegenheit zur Kommuni-kation gegeben war. Die Erzeugung von Lückenin der Stelenreihe, als sichtbares Zeichen derProjektannahme, konnte in der Folgezeit nochUnentschlossene animieren. In diesem Sinne ist zu unterstreichen, dass dieStelenreihe als sichtbares Objekt im öffentli-chem Raum wertvolle Dienste leistete, umeinem Projekt über einen längeren ZeitraumPräsenz im Bewusstsein der Bevölkerung zuverschaffen.

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Abb. 51. Collage: Stelenentnahme undVersetzung

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4.2.7 Zeichensetzung: IndividuelleTeilnahme

Im Rahmen der Kampagne 100 qm errichteteine Familie einen temporären Hühnerstall. Diesorgfältige Gestaltung bis hin zur Hühnerleiterzeugt von der Vielfalt der Möglichkeiten, zudenen das einfache Element der Stele die Bür-gerInnen anregte.

Über die Claimabsteckung mittels der Stelenaus der Reihe auf einer ersten Brachfläche inder Waldstrasse wurde die temporäre Inbesitz-nahme der Parzellen für alle wahrnehmbar.Da die Umsetzung auf den 100-qm-Parzellenim vorhandenen Zeitraum kaum stattfand, wur-de Interessierten in der Schlussphase des Pro-jektes die Mehrzahl der Stelen ohne Auflageeiner Parzellennutzung angeboten.

Es gab lediglich die Vorgabe, die Stelen sichtbarim öffentlichen Raum zu verwenden. Binnenweniger Tage waren die Stelen vergriffen.BürgerInnen setzten Stelen dazu ein, Heckeneiner öffentlichen Grünanlage vor unsanftenPflegeschnitten zu schützen.

Auch das Gartenamt, das die Stelen zuProjektbeginn als unbrauchbar abgewiesenhatte, sicherte sich am Ende eine große Anzahlvon Stelen, u. a. als Anwachsstütze jungerBäume. Zwar gab es auch einige wenige, dieBäume im eigenen Garten abstützen wollen,doch die Mehrzahl der Anfragen war gemein-nützig ausgerichtet.

Abb. 52. / Abb. 53. Individuelle Anlage

Abb. 54. / Abb. 55. Claimbesetzung

Abb. 56. / Abb. 57. Öffentliche Grünanlage

Abb. 58. / Abb. 59. Pflanzhilfen

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Von der Malaktion inspiriert, gestalten Schülerim Kunstunterricht über 50 Stelen und diskutie-ren dabei über das Miteinander der Kulturen inder Stadt.

Pfadfinder errichteten mittels der Stelen einenWindschutz auf ihrem bereits genutzten Grund-stück auf einer Hügelkuppe und bereichertenihre Außenanlagen durch einen aus Stelen kon-struierten Grill.

Ein Sportverein aus Steinberg markierte mit denStelen einen bestehenden Rundlauf im Wald,um auch den nicht vereinsgebundenenSportlern eine bessere Orientierung zu ermög-lichen.

Die Sportvereinigung Dietzenbach vereinheitlichtmit Stelen die Umfassung ihres Außenbereichssamt Biergarten und gestaltet damit gleichzeitigeinen Stadteingang an einer großen Kreuzungnach Dietzenbach.

Abb. 65. Stadteingang

Abb. 63 / Abb. 64. Orientierung

Abb. 61. / Abb. 62. Vereinsdarstellung

Abb. 60. Gedankenstütze

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4.3.1 Faltblatt und Plakate

Als Informationsgrundlage für die Kampagne"100 qm" diente ein Faltblatt, auf dem einepolemisch verfälschte Stadtkarte abgebildet war.Darin waren auffallend leere Flächen herausge-hoben und damit in das Zentrum der Wahr-nehmung gerückt. In einer Darstellung wurdeeine F läche beispielhaft in 100-qm-Parzellenaufgeteilt dargestellt. Den leeren Flächen wur-den Nummern gegeben, um sie identifizierbar,benennbar und handhabbar zu machen. Die Kartierung auf dem Faltblatt wurde als stra-tegisches Instrument eingesetzt, um Potenzialein der Stadt auszuloten und sichtbar zu machen.Die "gefälschte Karte" wurde 10 .000-mal durchSchülerinnen und Schüler an DietzenbacherHaushalte verteilt. In sieben Sprachen rief dasFaltblatt die Bürgerinnen und Bürger auf, leereFlächen in ihrer Stadt zu entdecken, dafür Ideenzu entwickeln und sie zu besetzen. Vorangegangen war der Verteilung eine intensi-ve Recherche über die Dietzenbacher Brachen,über ihre Besitzverhältnisse und ihren Planungs-stand. Flächencharaktere wurden herausgear-beitet, Gespräche über Vergangenheit, Statusund Zukunft der F lächen geführt, die F lächenwurden ausgewählt und gewertet bis hin zuSzenarien und Empfehlungen hinsichtlichNutzungs- und Besetzungschancen.

Während dieser Gespräche wurde das Thema also schon bei vielen Beteiligten vorbereitet.Zeitgleich mit den Faltblättern wurden an unter-schiedlichen Stellen im Stadtraum Plakate auf-gestellt. In vier Motiven, Paradies auf 100 qm,Stadion auf 100 qm, Königreich auf 100 qm,und Basar auf 100 qm, haben sie auf die Op-tion zur Nutzung von Brachflächen hingewiesenund auf die Internetseite des Projektes aufmerk-sam gemacht. Die Plakataktion hatte dabeiwenig Öffentlichkeitswirksamkeit. Das MotivBasar wurde vom Ordnungsamt wegen Aufrufszu illegaler Handelstätigkeit untersagt. Die übri-gen Plakate verschwanden äußerst schnell undwurden teilweise in Privatwohnungen als Wand-schmuck wieder gesehen.

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4.3 ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

Abb. 66. Paradies auf 100 qmAbb. 67. Stadion auf 100 qm

Abb. 68. Königreich auf 100 qmFolgende Seite : Abb. 69. Faltblatt

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4.3.2 Arbeiten im öffentlichenRaum - der Bauwagen

4.3.2.1 Beschreibung des AnsatzesUm eine Diskussion über Brachflächen undtemporäre Nutzungen vor Ort zu ermöglichen,wurde ein Büro in einem Bauwagen an derRakovnikpassage - in der Mitte der Stelenachse- eingerichtet. Wichtig war hierbei, außer derNähe zur Stelenreihe, dass der Standort aucham zentralen Fußweg für alle DietzenbacherStadtteile westlich der "Neuen Mitte", der Altstadtund Hexenberg lag. Die Bürgerinnen und Bürger Dietzenbachskonnten in diesem Projektbüro von August bisDezember 2002 an sechs Tagen in der Wocheeinen Nutzungswunsch äußern, die Größe derFläche konnte maximal 100 qm pro Person be-tragen, um möglichst vielen Dietzenbacherinnenund Dietzenbachern die Chance der Teilnahmezu ermöglichen. Die Nutzungswünsche wurdenim Projektbüro aufgenommen und dokumen-

tiert. Bezüglich dieser Wünsche wurden keiner-lei Vorgaben gemacht. Dieser niedrigschwellige Beteiligungsansatzsetzte ein hohes Maß an Eigeninitiative derBürgerinnen und Bürger voraus, die Menschenwurden gerade nicht aufgesucht, sondern wur-den selbst initiativ. Unter diesen Bedingungenist es als bemerkenswert anzusehen, dass sichso viele Menschen interessiert und beteiligthaben. Das Projektbüro vor Ort diente auch der nichtstandardisierten teilnehmenden, unmittelbarenBeobachtung der Kommunikationsprozesse zwi-schen den Akteurinnen und Akteuren. Durchdas Angebot - der Möglichkeit der temporärenF lächennutzung - wurde ein Schlüsselreiz ge-setzt und der daraufhin folgende Verlauf beob-achtet. Bei der verwendeten Kombination von teilneh-mender Beobachtung und nicht standardisier-tem Verfahren nahmen die Projektmitarbeiter-innen und -mitarbeiter vor Ort unmittelbar anden zu erforschenden Lebenszusammenhängenteil. Für die nicht standardisierte Beobachtungwurde eine vollkommene Offenheit in jederBeziehung angenommen, erst im Feld entwi-ckelten sich Gegenstände und Perspektiven.Die Feldbeobachtungen wurden chronologischprotokolliert.

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Abb. 70. Büro im Bauwagen

Abb. 71. Standort desBauwagens an der

Kreuzung von Stelen-reihe und Fußweg

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4.3.2.2 Struktur des Publikums Die Mobilisierung von Teilen der DietzenbacherBevölkerung kann als gelungen angesehen wer-den: Während des Projektzeitraums wurde dasProjektbüro vor Ort von ca. 1 .000 Menschenfür Fragen, Anregungen und Kritik genutzt, 260Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger melde-ten sich dort bzw. beim Stadtplanungsamt zurNutzung einer Parzelle an. Überraschend ist hier die Beteiligungsstruktur.Ganz offensichtlich gelang die Mobilisierungbislang wenig eingebundener Gruppen inner-halb der Stadtbevölkerung. So nutzten zu einemGroßteil Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgermit Migrationshintergrund das Vor-Ort-Büro alsAnlaufstelle, vor allem muslimische Migran-tinnen und Migranten aus dem Spessartviertelund dem benachbarten Westend. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass sich vomProjekt viele Frauen, insbesondere Migrantinnenangesprochen fühlten, die als besonders schwererreichbare Gruppe gelten. Auch den vermehrtpräsenten älteren deutschen Frauen mit ihreneher privaten Netzwerken wurde mit diesemniedrigschwelligen Beteiligungsmodell ein Zu-gang zu Öffentlichkeit und eine Anlaufstelle ge-boten, an der sie ihre Interessen artikulierenkonnten. In der Anfangsphase des Projektes erfolgte dieKontaktaufnahme zum Bauwagenteam überwie-gend durch Frauen, Kinder und Jugendliche mitMigrationshintergrund sowie durch ältere deut-sche Frauen. Diese nutzten das Projektbürozum Einholen von Projekt-Informationen undübernahmen somit die Funktion von Multiplika-torinnen. H ier wurde die Erfahrung gemacht,dass über die Frauen oftmals die Familien alsGanzes zu erreichen waren. Nach dieser Anfangsphase wurde das Bau-wagen-Team vermehrt von Männern mit Migra-tionshintergrund aufgesucht, die sich und ihreFamilien zur Nutzung einer Parzelle anmelde-ten. Daraus lässt sich jedoch weniger ein nach-lassendes Interesse von Seiten der zumeistmuslimischen Frauen ableiten, vielmehr erklärtsich dies mit dem Normen- und Wertesystem

einer muslimischen Gesellschaft, wonach auchoder gerade in der Migration der Mann immernoch als Oberhaupt der Familie gilt und diesenach außen repräsentiert.14 Dies zeigte sichauch daran, dass die Frauen weiterhin präsentblieben.Viele der Migrantinnen und Migranten suchtenden Bauwagen zu zweit oder in Gruppen mitBekannten oder Familienmitgliedern auf. Derislamisch-türkische Kulturverein meldete Inter-esse an der Nutzung einer Parzelle an, ebensoVertreter der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft.Ebenfalls wurden Flugblätter über das Projektzur Verteilung in der türkischen Moschee ausge-geben. Eine komplette Hausgemeinschaft mel-dete sich über ihren Hausmeister für die Nut-zung einer Parzelle an.Im Laufe des Projektzeitraums wurde der Bau-wagen von den Frauen, Männern und Kindernoft mehrmals aufgesucht, etwa um Erkundigun-gen nach dem Projektstand, nach der Resonanzinnerhalb der Bevölkerung oder um weitere Falt-blätter zur Weitergabe an interessierte Bekannteeinzuholen. Diese "Mund-zu-Mund-Propaganda"der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren er-wies sich als äußerst erfolgreich.Durch den niedrigschwelligen Ansatz eines Pro-jektbüros vor Ort haben wir somit gerade dieMenschen erreicht, die normalerweise durchkonventionelle partizipative Methoden nichtangesprochen werden. 15 Verstärkt wurde dieserEffekt sicher noch dadurch, dass das Beteili-gungsmodell nicht zu sehr auf die deutscheSprache fixiert war, so dass sich auch Bürge-rinnen und Bürger mit geringeren deutschenSprachkenntnissen beteiligten - obwohl natür-

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14 Waltz, Viktoria. Muss das Kopftuch herunter? Zur Situationder Migrantinnen in unseren Städten, in: Bauhardt, Christine, Becker, Ruth (Hg.). Durch die Wand! Feministische Konzepte zur Raumentwicklung. Stadt, Raum, Gesellschaft, Bd. 7 . Hg. Hartmut Häusermann u.a., Pfaffenweiler 1997 , S. 123 ff..

15 Zahlreiche Beteiligungsverfahren, wie z. B . Bürgersprech-stunden etc., werden vermehrt von der klassischen bürger-lichen Mittelschicht wahrgenommen, die diese Äußerungs-formen gewohnt ist, und grenzen sozial Benachteiligte, ins-besondere auch Migrantinnen und Migranten, aus.

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lich auch teilweise die klassische bürgerlicheMittelschicht angesprochen wurde. So suchtenim Projektverlauf vermehrt Menschen mit ehergeringen Deutschkenntnissen das Projektbüroauf, um sich für die Nutzung einer Parzelle regi-strieren zu lassen.Auch die Defizite herkömmlicher Beteiligungs-praxis in Bezug auf das Engagement von Frauenkonnten durch die Möglichkeit, im Projektbürovor Ort Frauen getrennt von Männern anzuspre-chen, ausgeglichen werden. 16

4.3.2.3 Ablauf der GesprächeDie jeweilige Gesprächsdauer zwischen denBürgerinnen und Bürgern sowie den Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern im Projektbüro vor Ortvariierte, je nach Interessenlage und auchSprachkenntnis, von ca. zehn Minuten bis zuüber einer Stunde. Teilweise waren die Menschen durch die Stelen-reihe aufmerksam geworden, ein Teil hattedurch die örtliche Presse davon erfahren, einTeil kam zufällig vorbei. In den folgenden Wo-chen suchten immer mehr Menschen das Vor-Ort-Büro auf, die über "Mund-zu-Mund-Propa-ganda" vom Projekt erfahren hatten. Zu Ge-sprächsbeginn stand immer die Erläuterung desProjektkonzeptes durch die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter vor Ort.Vielen Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgern,aber auch auswärtigen, in Dietzenbach arbei-tenden oder zu Besuch weilenden Menschen,waren die Stelen aufgefallen und wurden als"tolle Idee" positiv kommentiert. Die zeitliche Befristung des Projektes wurde vonvielen Interessierten als negativ angesehen undauch von denjenigen bemängelt, die sich nichtzur Nutzung einer Parzelle gemeldet hatten.Der größte Teil der Nutzungswünsche für eineParzelle bezog sich auf Gärten bzw. Grabelandsowie Spielplätze für die Kinder. H ier wurde vonvielen der Projektteilnehmerinnen und -teilneh-mer mit Migrationshintergrund, die die größteNachfragergruppe stellten, der Wunsch geäußert,ihre Kinder sollten das Wachsen von Pflanzenkennen lernen, "damit sie wissen, dass das Ge-

müse nicht aus dem Supermarkt kommt". OderProjektteilnehmerinnen und -teilnehmer, in ihrerHeimat als Landwirte tätig, bekundeten jetzt alsRentnerinnen bzw. Rentner ein starkes Interesseam Gemüseanbau. Oft wurde genau erläutert,was angepflanzt werden soll. Auch wurde vonden oft kinderreichen Familien die Enge derWohnungen beklagt, auch hier versprach mansich durch einen Garten einige Besserung.Die das Bauwagenteam aufsuchenden jungendeutschen Familien zeigten ein großes Interessean dem Projekt und der Stadtentwicklung Diet-zenbachs, auch das multikulturelle Miteinanderin Dietzenbach wurde oft positiv hervorgeho-ben. Auch von den älteren deutschen Frauenkamen vermehrt positive Rückmeldungen.Aber auch für Kritik und Anregungen bot derBauwagen eine niedrigschwellige Anlaufstelle,die solche Äußerungen ermöglichte:Die den Bauwagen aufsuchenden älteren deut-schen Männer sowie die älteren deutschen Ehe-paare waren teilweise sehr skeptisch und be-zweifelten, ob sich in Dietzenbach noch etwaszum Positiven verändern lasse. Auch die ver-meintlich zu hohen Kosten des Projektes, unterVerweis auf Presseartikel, waren oft ein Kritik-punkt. H ier wurde nach Erläuterung des Kon-zeptes und durchaus auch kontroverser Diskus-sion oft eine positive Meinung gefasst. Einige deutsche Dietzenbacherinnen äußertenihre Enttäuschung und Frustration über den inDietzenbach trotz persönlichem Engagementsseit Jahren ergebnislos verlaufenden LokalenAgenda-21-Prozess. Es wurde befürchtet, dieskönnte sich wiederholen und so nur zu weitererFrustration der Bürgerinnen und Bürger beitra-gen, im Sinne: Es passiert ja sowieso nichts. Die älteren deutschen Frauen kritisierten, dasssich das Stadtzentrum von der Altstadt zur"Neuen Mitte" hin verlagere. Die damit verbun-

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16 Vgl. hierzu auch Rodenstein, Marianne. Beteiligungsfor-men von Frauen an der Stadtplanung am Beispiel Frank-furts, in: Gesündere Zukunft für Hamburg (Hg.). Frauen-blicke auf die Großstadt. Dokumentation des Symposiums "Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen an einer gesund-heitsfördernden Stadtentwicklung". Hamburg 1993 , S. 30 ff.

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denen längeren Wege stellen offensichtlich gera-de für in der Altstadt wohnende ältere Dietzen-bacherinnen ein Problem dar.Viele Frauen, deutsche wie nicht-deutsche,bemängelten, dass es nichts für Erwachsenegäbe, "nichts, wo man hingehen kann, ohneGeld zu bezahlen". Gerade von den Migrantin-nen wurden häufig die fehlenden Treffpunkte fürErwachsene bzw. Wünsche nach einem Parkmit Aufenthaltsqualität angesprochen.Männliche jugendliche Migranten, die sich teil-weise auch für die Nutzung einer Parzelle regi-strieren ließen, um einen Bolzplatz oder einenGrillplatz anzulegen, kritisierten oft das fehlendeFreizeitangebot für Jugendliche in Dietzenbach.Auch bezüglich der künftigen Nutzung der Frei-fläche zwischen Toom-Einkaufszentrum undKreishaus kamen häufig Nachfragen. Positiv er-wähnt wurde hier auch des Öfteren die Archi-tektur des neuen Kreishauses sowie dessenBürgernähe, Behördengänge nach Offenbacherübrigten sich nunmehr.Die Probleme, die das Wohnen im ehemaligenStarkenburgring mit vielen verschiedenen Kul-turen auf engem Raum offensichtlich mit sichbringt, fanden ebenfalls Gehör (viele der Pro-jektteilnehmerinnen und -teilnehmer mit Migra-tionshintergrund haben dort Wohneigentum er-worben). H ier wurden sehr oft die positiven Ver-änderungen der letzten Zeit angesprochen aberauch die Hoffnung auf weitere zukünftige Ver-besserung geäußert.Auch ganz private Geschichten wurden erzählt:von Krankheit und Arztbesuchen, Flucht undVertreibung. Gerade von den Männern mitMigrationshintergrund wurde oft die Angst vorder Arbeitslosigkeit betont.

4.3.3 Struktur und Umgang mitNutzungswünschen

4.3.3.1. Struktur der NutzungswünscheDie im Projektbüro, über Postkarten und überTelefonate geäußerten Nutzungswünsche wur-den umgehend bei der Stadtverwaltung EDV-technisch erfasst und ausgewertet. Insgesamtgingen 260 Anfragen ein, wobei die Zahl deram Projekt Teilnehmenden wesentlich höherliegt, da es sich häufig um gemeinsame Anfra-gen von Ehepartnerin und -partner oder Fami-lien handelt. Es kann davon ausgegangen wer-den, dass die Anfragen von Einzelpersonenebenfalls in vielen Fällen mit der Familie abge-sprochen sind. Im Folgenden wird die Geschlechterverteilungderjenigen aufgezeigt, die im Verlauf des Pro-jektes ihre Nutzungswünsche aufnehmen lie-ßen. H ierbei wurde die Kategorie "Familie" ein-geführt, um gemeinsame Anfragen vonEhepaaren darzustellen. Bei den Anfragen, die von einer Person genanntwurden, kann nicht eindeutig gesagt werden, obsich dieser Wunsch ausschließlich auf die Vor-stellungen einer Person bezieht oder ob sichebenfalls "Familienwünsche" dahinter verbergen.Deshalb kann keine eindeutige Aussage darübergetroffen werden, wie viele Personen an demProjekt tatsächlich teilgenommen haben. Ausdiesem Grund wird die den nachfolgenden Dia-grammen zu Grunde liegende Anzahl der Anfra-gen im Folgenden als Anzahl der beteiligtenHaushalte bezeichnet.Die Auswertung zeigt, dass Nutzungswünschein deutlich mehr als der Hälfte der Fälle alleinvon Männern geäußert worden sind (58 ,46 %).Nur in etwas mehr als einem Viertel der Fällewurden Nutzungswünsche allein von Frauengeäußert (26 ,92 %). In rund einem Siebtel derFälle wurden die Nutzungswünsche von Ehe-paaren gemeinsam, teilweise auch in Beglei-tung ihrer Kinder, geäußert und deutlich alsWunsch der Familie artikuliert.Wie in Kapitel 4 .3 .2 .2 bereits angedeutet, kanndavon ausgegangen werden, dass ein

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erheblicher Teil der am Projekt Teilnehmendenvermutlich auf einen Migrationshintergrund zu-rückblicken kann. Diesbezüglich wurden jedoch keine Erhebungen bei der Aufnahme der Nut-zungswünsche durchgeführt. Zur Einschätzung

eines Migrationshintergrunds wurden daher dieFamilien- und Vornamen herangezogen. DieseMethode führte zu dem Ergebnis, dass fast 90 % der Teilnehmenden vermutlich einenMigrationshintergrund haben. Selbst bei einerfür ausgesprochen unwahrscheinlich gehaltenenFehleinschätzung in 50 % der Fälle läge dieseQuote immer noch bei fast 45 % und damitdeutlich über dem prozentualen Anteil von Aus-länderinnen und Ausländern an der Gesamtbe-völkerung Dietzenbachs. Es wird jedoch aufGrund persönlicher Kontakte zu den Teilneh-menden von einer deutlich geringeren Fehler-einschätzungsquote ausgegangen, so dass derAnteil der Personen mit Migrationshintergrundauf mindestens 80 % eingeschätzt wird.Auffallend ist auch die räumliche Verteilung derWohnquartiere der am Projekt teilnehmendenPersonen. H ierzu wurde das Stadtgebiet inWohnquartiere eingeteilt. Über 28 % der teilnehmenden Personen kamaus den fünf Hochhausblocks des östlichenSpessartviertels. Ebenso hoch war der Anteil derPersonen aus dem restlichen Spessartviertel.Eine plausible Erklärung ist die Aufstellung desBauwagens, in dem sich das Projektbüro alsAnsprechstelle befand, an der sog. Rakovnik-passage, welche als Fußgängerüberführungüber die B 459 das Spessartviertel mit demStadtzentrum verbindet. Die Bewohnerinnenund Bewohner der genannten Wohnquartierekamen hier beim Weg zum Einkaufen wieselbstverständlich vorbei und suchten den Bau-wagen daher auch auf. Auffallend ist jedochauch die Häufigkeit der Wohnquartiere Stein-berg, Stadtzentrum und Westend. Für dieseWohnquartiere liegt der Bauwagen weniger gün-stig. Eine detailliertere Untersuchung nachStraßen mit H ilfe eines geographischen Infor-mationssystems17 konnte in Steinberg keineneindeutigen Beleg dafür liefern, dass vorwie-gend die Bewohnerinnen und Bewohner ausden Hochhäusern im Bauwagen vorsprachen.

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17 Die Untersuchung wurde mit H ilfe des Bürger-GIS desKreises Offenbach, www.kreis-offenbach.de, durchgeführt.

Abb. 72. Personen, die Nutzungswünschegeäußert haben (260 beteiligte Haushalte ins-gesamt)

Abb. 73. Äußerung von Wünschen -Migrationshintergrund vorhanden? (260 betei-ligte Haushalte insgesamt)

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Vielmehr verteilten sich die Einwohnerinnenund Einwohner auf verschiedene BereicheSteinbergs, wobei einige auch in Einfamilien-häusern wohnen. Anders ist es bei den Vor-sprechenden aus dem Westend. H ier kann fürmindestens 70 % der insgesamt zwanzig Anfra-gen aus diesem Wohnquartier festgestellt wer-den, dass sie in Hochhäusern leben. Die Aus-wertung des Kartenmaterials lässt auch die

Vermutung zu, dass vier der fünf nicht eindeutigzuzuordnenden Anfragen vermutlich im Ge-schosswohnungsbau leben18, so dass insgesamtachtzehn teilnehmende Personen aus diesemWohnquartier, das sind 85 %, vermutlich imGeschosswohnungsbau wohnen. Dies ist umsobemerkenswerter, als im Westend auch ein gro-ßer Anteil an Eigenheimen vorhanden ist. Ausdem Wohnquartier Stadtzentrum haben eben-

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Restl. SpessartviertelZwischen Spessart-viertel und Altstadt

Altstadt

Östl. Spessartviertel

Gewerbegebiet SüdWingertsberg

Westend

Steinberg

Stadtzentrum

Hexenberg

Abb. 74. Einteilung Dietzenbachs in Wohnquartiere zur Untersuchung der Herkunft der Teilneh-menden am Projekt (260 beteiligte Haushalte insgesamt)

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falls zwanzig Personen Nutzungsvorschläge fürdas Projekt "Stadt 2030" geäußert. Von diesenleben sechzehn Personen (80 %) im Geschoss-wohnungsbau, zwei in Einfamilienhäusern, zweikonnten nicht eindeutig zugeordnet werden(jeweils 10 %). Allerdings befinden sich in die-sem Wohnquartier vorwiegend Wohnungen imGeschosswohnungsbau. Dennoch ist bemer-kenswert, dass ein Großteil der Teilnehmendenaus Stadtquartieren mit einem hohen Anteil anGeschosswohnungsbau kommt (östliches undübriges Spessartviertel, Stadtmitte) oder aber imGeschosswohnungsbau lebt, selbst wenn derGeschosswohnungsbau nicht die dominanteWohnform in dem jeweiligen Stadtquartier ist(Westend). Trotzdem scheint auch die räumlicheNähe des Projektbüros im Bauwagen zu denjeweiligen Wohnquartieren ein wesentlicherFaktor für die Teilnahme am Projekt gewesen zusein. Die Anzahl der telefonischen und postali-schen Meldungen von Wünschen sind zumin-dest vernachlässigbar gering.Bei der Kategorisierung der Nutzungswünschelassen sich eindeutige Schwerpunkte der Nach-fragen feststellen. Da bei den 260 Anfragen teil-

weise mehr als ein Nutzungswunsch geäußertwurde, liegt hier die zu Grunde liegende Grund-gesamtheit im Gegensatz zu den vorherigenAuswertungen höher als 260 . Insgesamt wur-den 292 Nutzungswünsche geäußert.Augenfällig ist die Schwerpunktsetzung auf dieNutzung "Kleingarten/Grabeland", die rund 73 %der Nennungen ausmacht. Mit deutlichem Ab-stand folgt der Nutzungswunsch "Spielplatz,etwas für Kinder" mit rund 10 %. Die verblei-benden 17 % verteilen sich auf andere Nut-zungswünsche, wobei Grillplätze, Sportplätze,Projektbeiträge mit stadtgestalterischem oderkünstlerischem Bezug und Themengärten nocham häufigsten genannt werden.

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Abb. 75. Anfragen nach Wohnquartieren (260 Haushalte insgesamt)

18 Die Auswertung nach Straßen kam für das Westend zu fol-genden Ergebnissen: Insgesamt kamen zwanzig Anfragen aus dem Westend, vierzehn der Teilnehmenden aus die-sem Wohnquartier leben in Hochhäusern (70 %), fünf las-sen sich mit der gewählten Untersuchungsmethode nicht eindeutig zuordnen (25 %), wobei bei drei von diesen aufGrund der in der Karte ablesbaren Baustruktur die Wahr- scheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie im Geschosswoh-nungsbau leben. Eine Person konnte als in einem Einfami-lienhaus lebend zugeordnet werden (5 %). Daraus ergibtsich, dass 85 % der Teilnehmenden aus dem Westend im Geschosswohnungsbau lebt.

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Geäußerte NutzungswünscheAuffällig ist der Punkt Themengärten. Von ein-zelnen Bürgerinnen und Bürgern sind verschie-dene Themengärten vorgeschlagen worden, dieöffentlichen Charakter haben. Themengärtenund stadtgestalterische bzw. künstlerische Pro-jektbeiträge nehmen somit immerhin fast 5 %der Nennungen ein und lassen ein Interesse derBevölkerung, die eigene städtische Umwelt auf-zuwerten, vermuten. Im Einzelnen wurden fol-gende Themengärten genannt:• Apothekergarten (Vorschlag eines Dietzen-

bacher Apothekers),• Zengarten• Mittelalterlicher Kräutergarten,• Internationaler Garten (Pflanzen aus allen

Teilen der Welt),• Bildungsgarten (Beschilderung von Pflanzen

in deutscher und englischer Sprache),• Garten in Form eines Dietzenbacher Stadt-

plans (Vorschlag eines Eigentümers eines kar-tographischen Verlages).

Bezüglich der Lage zur Realisierung der Nut-zungswünsche wurden von den Teilnehmendenhäufig keine konkreten Vorschläge gemacht.

Zumeist wurde der Wunsch geäußert, die Flä-chen mögen in der Nähe der Wohnungen lie-gen, häufig kam auch die Antwort, der Standortsei "egal". Als bekannt wurde, dass erstes Gra-beland auf der Parzelle 20 realisiert werdensoll, wurde dieser Standort sehr häufig genannt,vermutlich weil viele der Teilnehmenden sicherhofften, auf diese Art ihren Wunsch schnellerrealisieren zu können.

Die Ergebnisse der statistischen Auswertunglassen sich knapp wie folgt zusammenfassen:• Männliche Personen äußerten weitaus häufi-

ger Nutzungswünsche als Frauen.• Das Projekt hat überwiegend Personen mit

Migrationshintergrund erreicht.• Das Projekt hat vorwiegend Personen erreicht,

die ihren Wohnstandort räumlich nah am Projektbüro haben.

• Das Projekt hat viele Menschen erreicht, dieim Geschosswohnungsbau wohnen.

• Die Nutzungswünsche stehen meistens in direktem Zusammenhang mit Grün- und Freizeitnutzungen, wie Gärten, Spielplätze, Grillplätze, Sportplätze o.ä.

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Abb. 76. Nachgefragte Nutzungen (Mehrfachnennungen möglich - 260 beteiligte Haushalte insg.)

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• Die Teilnehmenden wollen häufig, dass ihreNutzungswünsche in der Nähe ihrer Wohn-standorte realisiert werden.

4.3.3.2 Umsetzungs- und AbstimmungsprozessDie Nutzungswünsche erreichten das Projekt-team auf verschiedene Arten: Am häufigstenmeldeten sich Personen direkt im Projektbüroim Bauwagen, entweder weil die Stelenreihe sieaufmerksam machte oder der Bauwagen selbst,oder weil sie über den an die Haushalte verteil-ten Flyer oder über Kommunikation mit Drittenvon dem Projekt erfahren hatten. Weitaus selte-ner wurde die dem Flyer beigefügte Postkartemit Nutzungswünschen versehen und an dieStadt zurückgesendet. Sehr selten war die tele-fonische Äußerung von Nutzungswünschen.Jeder einzelne Nutzungswunsch wurde mit derzugehörigen Kontaktadresse oder -telefonnum-mer erfasst. Dann erfolgte die Prüfung, ob derNutzungswunsch auf der genannten Fläche rea-lisiert werden kann. Da häufig keine Flächen-wünsche geäußert wurden, musste in der Regellediglich nach einem geeigneten Standort fürdie Nutzungswünsche gesucht werden.Wurde zu Beginn des Projektes noch davon aus-gegangen, dass die Flächen je nach Nutzungs-und auch Flächenwunsch einzeln an die Inter-essierten vergeben werden können, so stelltesich bald heraus, dass angesichts des großenAndrangs, vor allem mit dem Wunsch nachKleingärten, diese Vorgehensweise nicht prakti-kabel war. Stattdessen wurden einzelne Blöckevon Projekten ausgewählt, die zügig umgesetztwerden sollten. Auf Grund der großen Nach-frage sollten zunächst einige F lächen mit Grabe-land realisiert werden. Zudem gaben einige deran Grabeland Interessierten zu verstehen, dasssie schon seit Jahren auf einen Kleingarten war-ten. Die Liste mit den damaligen Nutzungswünschenwurde dem Bürgermeister vorgelegt, der imNamen der Stadt zunächst eine Fläche in einemGewerbegebiet für die Nutzung als Grabelandfreigab (F läche Nr. 20). H ier sollten zeitlich be-fristet Grabelandparzellen vergeben werden.

Nutzungswünsche mit einem Nutzen für dieAllgemeinheit - wie z.B . der Garten in Form desDietzenbacher Stadtplans - sollten an öffent-licheren Stellen realisiert werden, wie z.B . demStadtpark.19

Da die Stadtverordnetenversammlung allein dar-über entscheiden kann, welche Nutzungen anwelchem Standort im Stadtgebiet zugelassenwerden können20, ließ das Projektteam noch vorder Übergabe der Stelenreihe und Öffnung desProjektbüros über acht von dreißig vorgeschla-genen Flächen beschließen, dass eine Vergabeder Flächen über den Magistrat ausreichend ist.Damit sollte die Flächenvergabe beschleunigtwerden, da die Stadtverordnetenversammlungnur alle sechs bis sieben Wochen tagt, derMagistrat hingegen einmal wöchentlich. DieFlächen wurden zuvor unter Rücksprache mitdem Bürgermeister, dem Hauptamt und derEntwicklungsträgerin DSK bestimmt, die Eigen-tümerin der betreffenden F lurstücke ist.Um den Magistrat über die Vergabe der Flächenan einzelne Nutzerinnen und Nutzer endgültigbeschließen lassen zu können und die Verträgemit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzernder 100 qm großen Flächen abschließen zukönnen, galt es, zunächst von behördlicherSeite Einverständnis einzuholen. H ier sind ins-besondere die Untere Naturschutzbehörde und

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19 Bei dem Dietzenbacher Stadtpark - dem sog. Hessentags-park - handelt es sich nicht um eine intensiv gepflegte Parkanlage, sondern eher um extensiv gepflegte Wiesenflä-chen, die vom B ieberbach durchflossen werden. Teile des Parks dienen als Hochwasserrückhaltebecken. Es gibt Pläne, den Park in Teilen umzugestalten und ihm einen parkähnlicheren Charakter zu verleihen. Es gab währenddes Projekts "Stadt 2030" Ideen, einige Projektbeiträge - wie z.B . die Themengärten - für eine Aufwertung des Parks zu nutzen.

20 In der Regel geschieht dies mit einer Abstimmung übereinen Satzungsbeschluss für einen Bebauungsplan gemäß §10 Abs. 1 BauGB

21 Grob betrachtet ist die gesamte GemarkungsflächeDietzenbachs Wasserschutzgebiet, wobei der größte Teil auf die Schutzzonen III a und III b entfällt, wo die Realisierung von Projekten weitaus unproblematischer istals in der Schutzzone II oder I, welche zum Teil mit erheb-lichen Nutzungsbeschränkungen bis hin zur Unnutzbarkeit - mit Ausnahme der Wassergewinnung - belegt sind.

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die Untere Wasserbehörde beim Kreis Offenbachsowie die Vertreter der örtlichen Landwirtschaftzu nennen. Hausintern war vor allem der Fach-bereich Städtische Betriebe mit einzubeziehen,da dieser u.a. für die Pflege der öffentlichenFlächen zuständig ist. Diese Aufgaben wurdenvorzugsweise vom städtischen Fachbereich fürStadtplanung und Bauen übernommen.Das Beispiel "Kleingärten / Grabeland" verdeut-licht den notwendigen Abstimmungsbedarf:Zunächst stimmte der Bürgermeister zu, dassF lächen für "Kleingärten" an die Teilnehmendendes Projektes vergeben werden dürfen. Auflagenwaren der temporäre Charakter der Gartenflä-chen, was beinhaltete, dass die Einzelgärtennicht durch Zäune voneinander getrennt wurdenund dass keine einzelnen Hütten pro Garten-parzelle errichtet werden dürfen.Im nächsten Schritt waren Abstimmungen mitder Unteren Wasserbehörde und der UnterenNaturschutzbehörde, welche beim Kreis Offen-bach angesiedelt sind, notwendig. Hatte dieUntere Naturschutzbehörde keine größeren Be-denken gegen das Vorhaben, so hatte die UntereWasserbehörde Bedenken, da der Standort fürdie "Kleingärten" unmittelbar an die SchutzzoneII eines Wasserschutzgebiets angrenzte.21 Erst indiesem Abstimmungsschritt wurde festgelegt,dass keine "Kleingärten", sondern nur "Grabe-land" umgesetzt wird. Dieses Entgegenkommendes Projektteams war notwendig, da ansonsteneine kostenintensive Toilettenanlage hätte errich-tet werden müssen, um einer Verunreinigungdes Grundwassers vorzubeugen.Da der Standort zudem unmittelbar an landwirt-schaftlich genutzte Flächen und Wegeverbin-dungen angrenzt, war ebenfalls eine Abstim-mung mit dem Ortslandwirt notwendig, der dieInteressen der örtlichen Landwirtschaft zu ver-treten hat.N icht zuletzt war aber auch Abstimmungsbedarfmit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzernnotwendig. Diese waren mit den Auflagen derStadt keineswegs einverstanden. So wurde nichtnur der kurze Bewirtschaftungszeitraum, son-dern auch das Verbot einzelner Hütten, ein feh-

lender Wasseranschluss und das Verbot der Ab-grenzung einzelner Gartenparzellen mit Zäunenkritisiert. Trotz des Bemühens um eine kosten-günstige Herrichtung der Wasserversorgungkonnte diese nicht realisiert werden.Bei anderen Projektbeiträgen - insbesondere beisolchen, die nach dem Willen der Politik aufGrund ihres ortsbildverbessernden Charaktersauf öffentlich gut wahrnehmbaren F lächen reali-siert werden sollten - war eine Abstimmung mitdem Fachbereich Öffentliche Dienste, der diePflegearbeiten für öffentliche Grünflächen wahr-nimmt, notwendig. Häufig wurden die Ideen alsstörend für die Pflege benachbarter F lächen an-gesehen. Zudem wurde befürchtet, dass dieFlächen bei nachlassendem Interesse seitensder Nutzenden vom Fachbereich ÖffentlicheDienste weiter gepflegt oder entfernt werdenmüssten und dies im Haushalt des Fachbe-reichs nicht vorgesehen ist.Das Projektteam versuchte auch Parzellen aufan Privatpersonen verpachtete Flurstücke zuvermitteln, wobei hier keine Einigung mit demPächter erzielt werden konnte. Ein weiteres Pro-blem, welches alle zu vergebenen Flächen be-trifft, war die Haftungsfrage im Schadensfall. Dadie zur Vergabe freigegebenen Flächen sich nichtim Eigentum der Stadt Dietzenbach, sondernder Treuhandgesellschaft für die Entwicklungs-maßnahme DSK befinden, war mit dem Ver-sicherungsträger der Stadt eine Abstimmungüber die Schadensregulierung notwendig.

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Die Kampagne "100 qm" hatte zur BesetzungDietzenbacher Brachflächen aufgerufen.Innerhalb der Projektlaufzeit kam es zu fünfFlächenbesetzungen. Drei weitere Besetzungenwurden konzipiert und werden voraussichtlichüber den Projektzeitraum hinaus weiterverfolgt. Die F lächen und die auf ihnen durchgeführtenbzw. geplanten Einzelprojekte lassen sich inForm von Situationstypen beschreiben. DieGenese eines jeden Typs zeigt, welche charakte-ristischen Chancen und Probleme auftreten,wenn einem umsetzungsorientierten Handelnseitens der Bürgerinnen und Bürger und dendazugehörenden Aushandlungsprozessen mitPolitik und Verwaltung Raum gegeben wird.

4.4.1 Temporäre Flächenbeset-zungen

Diesem Situationstyp lassen sich zwei Beispielezuordnen. Es wird im Folgenden zunächst einHühnerhof für Kinder beschrieben und dann dieUmsetzung von Grabelandparzellen für sechs-undzwanzig Familien.

HühnerhofDer Hühnerhof für Kinder ist in einem Dietzen-bacher Wohngebiet entstanden, das durch seineStadtrandlage und die erst wenige Jahre alteReihenhausbebauung geprägt ist. Das Projektwurde von einer Familie in enger Abstimmungmit den Nachbarn konzipiert. Zusätzlich ver-schaffte sich die Familie für die zu besetzendeFläche alle benötigten Informationen zu Ver-marktungs- und Planungsstand. Die Fläche liegtim direkten Wohnumfeld und befindet sich ineinem Bebauungsplanverfahren, das zeitnahrealisiert werden soll. Es ist dort eine Erwei-terung des Wohngebietes vorgesehen. Die zeitli-che Befristung der Flächenbesetzung wurde vonder Familie als Rahmenbedingung akzeptiert,weit wichtiger war die direkte Nähe zum eige-nem Haus. Die Kinder wurden von Beginn anmit der Tatsache der zeitlichen Befristung kon-frontiert und akzeptierten diese mit dem H in-weis auf die wohlschmeckende Hühnersuppe,die nach einem halben Jahr entstehen würde.

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4.4 UMSETZUNGEN UND UMSET-ZUNGSPLÄNE DER KAMPA GNE100 Q M"

Abb. 77. Brachfäche

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Das Projekt wurde im nächsten Schritt in derVerwaltung vorgestellt. Da die Vorbereitung idealgeleistet worden war, passierte der Vorschlagdie Verwaltung binnen weniger Tage und wurdemit großer Unterstützung in den Magistrat ein-gebracht. Alle vom Projektteam etablierten Struk-turen und Abläufe funktionierten schnell undreibungslos, bis der Bürgermeister die Umset-zung mit dem H inweis auf potenzielle Nach-ahmerInnen und dem Schreckbild von Dietzen-bach als Bauernhof untersagte. Die Diskussionmit der Familie wurde abgebrochen. Die Familieakzeptierte diese Entscheidung jedoch nicht. Siewurde durch den das Projekt begleitenden Do-kumentarfilmer darauf aufmerksam gemacht,dass die Stadtverordnetenversammlung eineBürgersprechstunde anbietet. Eines der Kindererläuterte das Projekt kompetent und einpräg-sam vor den Stadtverordneten.Es gewann danach, wie deren Vorsitzendersagte, in einem historischen Moment der ge-sunde Menschenverstand und die Stadtverord-neten billigten das Projekt.22 Der Bürgermeisterkonnte sich mit seiner Ablehnung trotz allerPolemik nicht durchsetzen. Allerdings legte eram nächsten Tag fest, dass für alle zu verge-benden Parzellen in Zukunft eine Kaution inHöhe von 1 .000 Euro als "Abräumpauschale"aufzubringen sei. Das Projektteam konnte dieseSumme in Diskussionen mit dem Bürgermeisterzwar halbieren und auf die Parzellen beschrän-

ken, deren Nutzung ein vornehmlich privatesInteresse zugrunde lag (Hühnerhof, Grabeland).Angesichts der Höhe der Kaution von 500 Eurokam sie jedoch für viele Interessentinnen undInteressenten einem Ende der Option für kurzfri-stige Flächennutzungen gleich. Die Familie warin der Lage, die Kaution aufzubringen, so dassfür ein halbes Jahr auf 100 qm Boden ein Frei-gehege für Hühner entstand. Es wurde mit einerkleinen Besucherbank erweitert, einer Feuer-stelle und ab und an steht das Zelt der Kinderneben ihm und lädt zum Übernachten auf demFeld ein. Die Kinder des Quartiers nutzen denHühnerhof mittlerweile als Treffpunkt. Aus einerAktion zum privaten Nutzen entwickelte sicheine Veränderung für das angrenzende Quartier.Damit ist das Projekt ein Musterprojekt für tem-poräre Flächennutzung. Das Projekt verdeutlichtzudem in aller Schärfe, dass Stadtplanung ausden Verwaltungen und der Politik wieder in dieMitte öffentlichen Interesses gerückt werdenmuss, um einen Städtebau auf "Gutsherrenart"23

zu verhindern. In diesem Herbst sollen die Hühner nun "derNahrungskette zugeführt" werden. 24

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Abb. 78. Vortrag in der Stadtverordnetenver-sammlung

Abb. 79. Hühnerhof

22 Dokumentiert in: Dietzenbach sucht seine Mitte, F ilm von Wolf Lindner, Frankfurt 2003 .

23 Formulierung des Bürgermeisters, um sein Verständnis vonStadtplanung zum Ausdruck zu bringen, Gedächtnisproto-koll Martin Wilhelm, Gespräch mit dem Bürgermeister,2002 .

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GrabelandDie bei weitem größte Zahl von Anfragen vonBürgerinnen und Bürgern betraf Gärten. Dies istbei der räumlichen Situation in Dietzenbachnicht erstaunlich, handelt es sich doch um eineländlich geprägte Stadt, in deren Mitte Groß-wohnanlagen stehen. Daraus folgt für viele Bür-gerinnen und Bürger ein Defizit an verfügbarem

Außenraum.25 Als erste Fläche innerhalb derKampagne "100 qm" wurde eine schlecht zuvermarktende Gewerbefläche für temporäreGrabelandnutzung durch den Magistrat bereitge-stellt. Ausgerechnet diese Fläche entwickeltesich im Verlauf des Projektzeitraums zur Pro-blemfläche für das Projektteam. Sechsund-zwanzig Familien übernahmen die Fläche nach

einer zuvor durchgeführten und gut besuchtenInformationsveranstaltung. Sie grenzten die Par-zellen mit Stelen voneinander ab, organisiertenselbst einen Traktor zum Umpflügen des starkverdichteten Bodens. Dann stoppte der Prozess.Die verständlichen Wünsche der Bürgerinnenund Bürger nach einer gewissen längerfristigenSicherheit für ihre Mühe und Investitionen, wiez.B . ein geplanter Wasseranschluss, standen in

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Abb. 81. Gestaltungsvorschlag für Grabeland-parzellen

24 Zitat des Kindes in der Stadtverordnetenversammlung, vgl.Video: Dietzenbach sucht seine Mitte, Wolf Lindner,Frankfurt 2003 .

25 Im Kleingartenleitplan Hessen, hrsg. v. Hessischen Landes-amt für Regionalentwicklung und Landwirtschaft aus demJahr 2000 , wird der Bedarf an Kleingärten für einzelneKommunen dargelegt. H ier wird von einem Fehlbestand von 984 Kleingärten in Dietzenbach ausgegangen.

Abb. 80. Lageplan

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direktem Konflikt mit dem nach wie vor auf-rechterhaltenen Ziel der Stadt, die Fläche lang-fristig zu vermarkten. Es wurde den Bürgerinnenund Bürgern keine Erlaubnis für das Errichtenvon Zäunen, Hütten und einem Grillplatz gege-ben, um langfristig die Vermarktungschancennicht zu mindern. Andererseits wollten die Inter-essentinnen und Interessenten sich nicht aufein Provisorium einlassen. 26 Es war ihnen nichtzu vermitteln, dass es nichts Dauerhafteres alsProvisorien gibt. Nachrückende Interessiertewurden von der neu eingeführten Kaution von500 Euro abgeschreckt.Trotz eines viel versprechenden Anfangs liegtheute genau diese Fläche wieder brach, es ge-lang nicht, einen für beide Seiten akzeptablenModus der Zwischennutzung zu finden. Flexi-bilität ist eben nicht nur auf Seite der Stadt ein-zufordern, sondern auch von den Nutzerinnenund Nutzern zu erlernen, gerade wenn es umdie Aufgabe von lieb gewonnenen Maximal-forderungen, wie in diesem Fall unbegrenzterNutzungsdauer, Hüttenbau, hohe Zäune, geht.Einzelpersonen, die sich mit großem Engage-ment für einen Aushandlungsprozess mit denstädtischen Interessen einsetzten, konnten sichin dem gruppendominierten Prozess nicht durch-setzen. Durch die Diskussionen über dieseFläche kam es jedoch zu einer Thematisierungder Entwicklungsmaßnahme. Letztlich entstandeine intensive auch öffentlich geführte Diskus-sion über die Notwendigkeit von mehr Gärten inder Stadt, die bis in das Stadtparlament reich-te.27 Die Aktivitäten rund um die F läche 20haben letztlich den Blick auf Grundstücke ge-lenkt, die sich langfristig für Gartennutzungenanbieten wie F läche 22 , ein Grundstück, fürdas ein rechtsgültiger Bebauungsplan für Klein-gärten seit vierundzwanzig Jahren existiert,diese aber für die Stadt aus finanziellen Grün-den nicht mehr umsetzbar waren. Gleichzeitig

wird über die geeignete Organisationsform derInteressentinnen und Interessenten nachge-dacht. Vorbild für eine gelungene Umsetzungvon Gärten durch Bürgerinnen und Bürger sindin diesem Zusammenhang die "InternationalenGärten Göttingen".28

Der Erfolg temporärer F lächenbesetzung istdemnach stark von der Art der Einzelnutzungabhängig. Als Flächen wurden sowohl auf einemittelfristig nicht zu vermarktende städtischeFläche (Fläche 20 , Grabeland) als auch aufeine Fläche (Fläche 2 , Hühnerhof) zugegriffen,die zeitnah bebaut werden wird. Es scheint einVorteil zu sein, wenn sich Beginn und Ende derBesetzung klar benennen lassen, die Wieder-herstellung der Fläche geklärt ist und die Rah-menbedingungen von den beteiligten AkteurIn-nen eindeutig entwickelt und formuliert werdenkönnen.Es muss für eine erfolgreiche Umsetzung zu-dem beides, die geeignete Fläche und die ge-eignete Organisationsform der Interessentinnenund Interessenten, gefunden oder entwickeltwerden.

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Abb. 82. Stelenentnahme Abb. 83. und Abb. 84. Absteckung der Grabelandparzellen

26 Vgl. im Gegensatz dazu "Internationale Gärten Göttingen",www.internationale-gaerten.de.

27 Vgl. "Für mehr Gärten in der Stadt", in: Dietzenbacher Stadtpost, 24 .10 .2002 .

28 Internationale Gärten Göttingen, a.a.O.

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4.4.2. Übernahme öffentlicherAufgaben in Form von Gestaltungöffentlicher Flächen

Mehrere Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgerbrachten ihren Wunsch zum Ausdruck, kleineöffentliche Gärten in der Stadt anzulegen undzu pflegen. Es wurde ein internationaler Garten,eine Kräuterspirale und ein Apothekergarten vor-geschlagen.

Eine Familie konzipierte einen Abenteuerspiel-platz für Kinder in ihrem Quartier. Ein Geschäfts-inhaber schlug einen gepflanzten Stadtplan Diet-zenbachs vor, wollte aber selbst für die Umset-zung und Pflege keine Verantwortung überneh-men. Die Bürgerin, die eine Kräuterspirale pflan-zen wollte, artikulierte den H intergrund für ihrEngagement am deutlichsten aus: Sie sei pen-sioniert, aber tatkräftig und ideenreich, wie ihrerMeinung nach unzählige weitere Dietzenbache-rinnen und Dietzenbacher, und sie würde lie-bend gerne für ihre Stadt Verantwortung über-nehmen und selbst tätig werden. Allerdings ver-

misst sie den Anknüpfungspunkt für ihre Ideen.Die Kampagne "100 qm" hat vorübergehendsolch einen Anknüpfungspunkt geschaffen. In-nerhalb der oben genannten Einzelprojekte wol-len Bürgerinnen und Bürger Energie, Aktivitätund Geld für ihre Stadt investieren und Aufga-ben der Stadt übernehmen. Bei diesen rein fürdie Öffentlichkeit bestimmten Einzelprojektengibt es in der Umsetzung trotzdem unzähligeSchwierigkeiten und Verzögerungen. Ein Magis-tratsbeschluss ermöglichte die Gärten in einemersten Schritt auf F läche 18 , einem im Bebau-ungsplan festgelegten, jedoch nur in Ansätzenumgesetzten Park. Seitens der ExpertInnen inder Verwaltung war einer der größten Vorbehalte,dass es keinerlei Sicherheit gäbe, dass die Bür-gerinnen und Bürger von ihnen angelegte Gär-ten auch dauerhaft pflegen würden. Es entstanddie Angst, dass die Stadt langfristig die Gärtenpflegen und sichern müsste. Zusätzlich wurdestets mit dem H inweis auf die Gefahr von Van-dalismus gegen die Gärten argumentiert. Soentstand eine für die Interessierten frustrierendeSituation, in der die Probleme für eine Umset-zung immer größer wurden, bis letztendlich kei-ner der Gärten realisiert wurde. Eine ortsbekannte sehr aktive Familie hatte dasProjekt Abenteuerspielplatz mit klaren Vorstel-lungen begonnen, die Kinder hatten sogar zweiModelle von dem Spielplatz gebaut und Zeich-nungen angefertigt. Schnell entstanden dann im Herbst die erstenzwei Indianertipis. Die Familie hatte in der

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Abb. 85. eingereichte Darstellung der Kräuter-spirale

Abb. 86. Kinderzeichnung: Indianerspielplatz

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Nachbarschaft um Unterstützung bei weiterenBauten geworben, diese allerdings nicht im ge-wünschten Umfang erhalten, so dass den Indi-anertipis keine weiteren Spielgeräte folgten. Zusammen mit den Themengärten gab es je-doch an dieser Stelle die Möglichkeit, auf einerin einer Nachbarschaft gelegenen öffentlichen,im Bebauungsplan ebenfalls als Parkanlage

festgelegten aber heute nur als Hundewiese ge-nutzten Fläche ein erstes Beispiel dafür entste-hen zu lassen, dass tatsächlich Aufgaben, dievon der Stadt nicht mehr geleistet werden kön-nen, wie eben die geplante Umsetzung eineröffentlichen Parkfläche, von den Bürgerinnenund Bürgern geleistet werden können.Beide Beispiele verdeutlichen auch, wie wichtiges ist, dass innerhalb der Einzelprojekte relativschnell Strukturen entstehen, die das Projektüber eine erste Begeisterung hinaus tragen kön-nen. Allerdings hat es anhand der Indianerzelteund des Spaliers aus Stelen auch deutlich ge-macht, mit wie viel Phantasie selbst bei be-schränkten finanziellen Mitteln das Umfeld an-geeignet, genutzt und aufgewertet werden kann.Generell stehen Verwaltung, Politik und Exper-tInnen vor der Aufgabe, die "individualisierteGesellschaft" als Partnerin im Planungsprozessund als Ressource für Umsetzungen zu akzep-tieren. Damit geht natürlich eine gewisse Kon-trolle und das Ausführungsmonopol der Stadtim öffentlichen Raum verloren. Es kann aber

eine schlummernde Quelle für Stadtentwick-lungsdynamik innerhalb der Stadtgesellschaft er-schlossen werden, die gerade in von externenEntwicklungen so geprägten Städten wie Diet-zenbach bisher zu wenig ernst genommenwurde.

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Abb. 87. Stelenentnahme für Indianertipi Abb. 88. Stelen zur Markierung der Spielfläche

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4.4.3. Veränderung undUmsetzung überambitionierter,nicht realisierter Planungen

Die Kampagne "100 qm" rief anhand dreier Pro-jektideen von Bürgerinnen und Bürgern eineAuseinandersetzung mit alten, nicht realisiertenPlanungen in der Verwaltung hervor. Die Bürge-rinnen und Bürger schlugen vor, in EigenarbeitKleingärten, einen Bolzplatz für Jugendlicheund ein Festzelt zu realisieren. Im Folgendensollen die drei Projektideen kurz vorgestellt wer-den.

KleingartenanlageIm Rahmen der Kampagne "100 qm" wurde an-hand der Rückmeldungen aus der Bürgerschaftsehr schnell deutlich, dass es einen großen Be-darf an Gärten in der Stadt gibt. Der hessischeKleingartenleitplan unterstützt diese Beobach-tung, indem dort für Dietzenbach 984 fehlendeKleingärten festgestellt werden. 29 Gärten tempo-rär anzulegen schien dem Projektteam nachden Erfahrungen auf F läche 20 zumindest pro-blematisch, weshalb für den Gartenmangel einelängerfristige Lösung gesucht wurde. Durch dieintensive Diskussion der leeren Flächen in Diet-zenbach rückte die Fläche 22 in das Bewusst-sein des Projektteams. Dort ist laut F lächennut-zungs- und Bebauungsplan eine Kleingartenan-

lage vorgesehen. 1979 wurde ein kleiner Teildes Bebauungsplanes in Form von achtund-zwanzig Kleingärten umgesetzt. Die Gärten sindsehr großzügig geschnitten und erschlossen, fürjede Gartenparzelle besteht die Versorgung mitWasser und Strom. Da die weitere Umsetzungdes Bebauungsplanes, d.h. die Herstellung die-ser Anlage für die Stadt, nicht zu finanzierenwar, liegt die restliche Fläche brach. Zudemwurde sie für den Bau der S-Bahn als Lager-und Arbeitsfläche vorgehalten. An weitere Gär-ten war nicht zu denken. Erst im Rahmen desProjektes wurde die Sinnhaftigkeit der Vorhal-tung überprüft. Bei Überprüfung des F lächen-bedarfes für den S-Bahn-Bau wurde deutlich,dass schon ein kleiner Teil der Fläche ausrei-chend Lagerfläche für Erdaushub darstellenwürde. Es wurde im Projektteam, Verwaltungund Politik begonnen, über Umsetzungsmög-lichkeiten für die Gärten nachzudenken. Inmehreren alternativen Projektskizzen wurde eineGartenanlage dargestellt, die durch eine Verrin-gerung der Gartengröße und des Erschließungs-luxus (gebündelte Wasserversorgung statt Was-serversorgung für jede Parzelle, Verzicht aufStrom) kostengünstig für bis zu 150 GärtenRaum schaffen könnte. Derzeit wird kontroversdiskutiert, wie man mit dieser Projektidee unddem bestehendem Bebauungsplan weiterarbei-ten kann. Da sich die Umsetzung dieses Pro-jektes nicht mehr innerhalb des Projektzeit-raumes verwirklichen lässt, erklärte sich derAusländerbeirat dazu bereit, die Umsetzung vonGärten auf dieser F läche weiter zu verfolgenund den Kontakt zu den interessierten Bürgerin-nen und Bürgern zu halten. Der Ausländerbeiratwird diesen Herbst eine Anfrage zu den Gärtenauf dieser Fläche in den Magistrat einbringen.

BolzplatzDer Ausländerbeirat übernimmt neben den Gär-ten auf F läche 22 auch eine Vermittlerfunktionfür den türkisch-islamischen Kulturverein inDietzenbach. Der Kulturverein möchte für Ju-

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Abb. 89. Projektskizze für die Anlage vonGärten

29 Kleingartenleitplan Hessen, a.a.O.

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gendliche einen Bolzplatz betreiben. Dieser sollmit Fußballtoren, Basketballkörben und evtl.einer Tischtennisplatte ausgestattet werden. Fürden Verein von großer Bedeutung ist die Lagedes Bolzplatzes in unmittelbarer Nähe zurMoschee, um den Jugendlichen einen mög-lichst unkomplizierten Übergang von Weiter-bildungsangeboten des Vereins zu sportlichenAktivitäten zu ermöglichen. In der Nähe desVereins befindet sich eine Sportfläche, derenGliederung schon durch einen Bebauungsplanfestgelegt ist. Auch hier verfügt die Stadt nichtüber die finanziellen Ressourcen, den Bebau-ungsplan alleine umzusetzen. Bisher wurde aufeinen Investor von außen gehofft, der das Ge-lände z.B . als Golfplatz entwickelt. Derzeit wer-den in dieser Richtung Verhandlungen geführt.Der Kulturverein könnte hingegen sofort auf derF läche aktiv werden. Er verfügt über die nötigenfinanziellen und zeitlichen Ressourcen, ein sol-ches Vorhaben umzusetzen, und würde durchein solches Engagement enger in die städtischeWahrnehmung eingebunden. Die Auseinander-setzungen zwischen Ausländerbeirat, Verein,Verwaltung und Politik anhand dieses Projekteserzeugen einen Aushandlungsprozess zwischenden Akteurinnen und Akteuren. Es geht um dieZugänglichkeit der Sportanlage, Förderungsportlicher Aktivitäten islamischer Frauen unddie Einbindung des Vereins in die Stadt. Auchdieses Projekt ist innerhalb des Förderzeitraumesvon "Stadt 2030" nicht umzusetzen, es hat viel-mehr einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt,der mit offenem Ergebnis andauert.

FestzeltDer von Bürgerinnen und Bürgern geäußerteWunsch nach einem Festzelt für große Familien-feste erzeugte im Gegensatz zu den zwei ande-ren Projekten keine andauernde Diskussion,sondern wurde relativ schnell innerhalb derVerwaltung abgeblockt. Zu groß erschienen hierdie infrastrukturellen Probleme wie Abfallentsor-gung, Wasserver- und -entsorgung, Strom etc.Verstärkt wurde diese Haltung durch negativeErfahrungen solcher Großfeste im Hessentags-

park, die durch die ungelösten strukturellen Pro-bleme entstanden sind. H ierfür bietet auch derbestehende Bebauungsplan für ein Festzeltkeine Lösungsansätze an. Bei Fragen der tech-nischen Infrastruktur scheint zudem die Grenzeder finanziellen Belastbarkeit der Bürgerinnenund Bürger rasch erreicht.30

Diese zwei nicht realisierten Bebauungspläne(Bolzplatz und Festzelt sind innerhalb einesBebauungsplanes festgesetzt) sind Beispiele fürüberdimensioniert angelegte Planungen in derstark sozialdemokratisch geprägten Stadt Diet-zenbach. Die Stadt war schon sehr bald nachder ursprünglichen Planung bis heute nicht inder Lage, diese Bebauungspläne in Eigenregieumzusetzen, da unklar ist, wie die Kosten fürErstellung, Unterhalt und Pflege getragen wer-den können. Gleichwohl gibt es einen großen,bekannten Bedarf an den festgesetzten Nut-zungsmöglichkeiten. Die Kampagne "100 qm"hat hier eine neue Dynamik erzeugt mit der ein-fachen Anregung und Erkenntnis, dass die Bür-gerinnen und Bürger und interessierten Vereineund Gruppierungen die Umsetzung gerne undproblemlos selbst bewerkstelligen können. Dasstellt einen wichtigen Neubeginn für die Ent-wicklung dieser Grundstücke unter Einbezie-hung der finanziellen und zeitlichen Ressourcenvon Bürgerinnen und Bürgern dar. Die Stadtsowie die ExpertInnen sind dabei nach wie vorstark gefragt in ihrer Rolle als ManagerIn derAbläufe und als PlanerIn für die geändertenRahmenbedingungen.

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30 Diskussion im Rahmen des Verwaltungstreffens vom 21 .Mai 2003 .

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Im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Pro-jektbegleitung wurde erstens überprüft, inwie-weit sich die öffentlichen Aktivitäten des Pro-jektteams (Stelenreihe, Kampagne 100 qm) inder Medienöffentlichkeit und bei der Bevölke-rung verankern ließen und Widerhall fanden.Wurden durch diese Diskurse ausgelöst undwenn ja, worüber? Zur Beantwortung dieserFragen diente in erster Linie eine Inhaltsanalyseder lokalen Presse, aber auch die zwei im Fol-genden erwähnten Befragungsreihen. Zweitenswurde die Bevölkerung Dietzenbachs in denverschiedenen Ortsteilen sozialstrukturell sowienach ihren Bildern über die Stadt untersucht.H ierzu wurden in den verschiedenen QuartierenDietzenbachs 160 Personen befragt. Ziel war esnicht, räumliche und/oder soziale Fragmentie-rung, Segmentierung oder Segregation nachzu-weisen, da diese Begriffe nur dann sinnvoll fürAnalysen verwendbar sind, wenn man sie voreinem H intergrund von räumlicher bzw. sozialerEinheit verwenden kann. Sie implizieren einDefizit an möglicher Integration. Solche Vorstel-lungen von Einheit bzw. Integration werden je-doch der Dietzenbacher Situation nicht gerecht.Die auf Dietzenbacher Gemarkung Lebendensind weder als eine soziale, politische nochräumlich integrierte Einheit anzusehen. Deshalbwurden die Ergebnisse dieser Untersuchung alsDifferenzierungen innerhalb der Bevölkerungund als potenzieller Reichtum interpretiert.Drittens wurde analysiert, welche sozialenCharakteristiken diejenige Gruppe hat, die sichzur Teilnahme am Projekt entschloss. Deshalbwurde eine telefonische Befragung bei 124 ander Kampagne 100 qm Dietzenbach beteiligtenPersonen durchgeführt.

4.5.1 Inhaltsanalyse der Presse-veröffentlichungen - öffentlicheDiskurse Im Rahmen der Projektarbeit wurden unter-schiedliche Strategien der Öffentlichkeitsarbeitverfolgt.31 Ein zentraler Baustein war dieKooperation mit der lokalen Presse ("FrankfurterRundschau", "Offenbach Post", "FrankfurterNeue Presse", "Frankfurter Allgemeine Zeitung","Dreieichspiegel", "Dietzenbacher Stadtpost").Bei FR, FNP und FAZ handelt es sich um über-regionale Zeitungen mit eigenem kurzen Lokal-teil für den Landkreis Offenbach. "Dreieich-spiegel" und "Dietzenbacher Stadtpost" sindlokale Anzeigenblätter, während die "OffenbachPost" das eigentliche Lokalblatt darstellt, aller-dings auch nur seitenweise aus Dietzenbachberichtet. Insofern ist zunächst anzumerken,dass es sich in Dietzenbach um eine mengen-mäßig begrenzte Medienlandschaft handelt.Eine weitere Randbedingung stellt die geringeAbonnentenzahl in der Dietzenbacher Bevölke-rung dar. So zählt die "Offenbach Post" ca.1 .400 und die "Frankfurter Rundschau" ca. 400Abonnentinnen und Abonnenten. Die Zahl deranderen Zeitungen ist in ihrer Dimension ver-nachlässigbar. Das bedeutet, dass nur etwa einFünftel der Dietzenbacher Haushalte über einAbonnement einer Tageszeitung verfügt. Dies istbei der Betrachtung der Presseöffentlichkeit undderen Reichweite sicherlich zu bedenken. Wiean anderer Stelle erwähnt, ist dies auch einMerkmal der jungen Stadt Dietzenbach und derdaraus resultierenden Struktur der lokalenÖffentlichkeit, die kaum als Einheit zu fassenist.Im Rahmen der Inhaltsanalyse wurden fünfund-vierzig Presseartikel aus dem Zeitraum vonAugust 2002 bis April 2003 untersucht. In derquantitativen Dimension umfassen diese Artikeleine Bandbreite von kurzen Notizen bis hin zu

4.5 DIE SOZIALWISSENSCHAFTLICHEPROJEKTBEGLEITUNG

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31 Die vollständige Übersicht über Verteilungen und relevante Beziehungen finden sich im Tabellenteil im Anhang des Berichts.

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fast halbseitigen Artikeln. Insgesamt ist anzu-merken, dass zumindest im Jahr 2002 undgegen Ende des Projekts in 2003 umfänglichberichtet wurde. Die Anzahl von fünfundvierzigPressemeldungen in einem Zeitraum von siebenMonaten läßt Rückschlüsse darauf zu, dass dasProjekt von öffentlichem Interesse gewesen ist.Ausgewertet wurden die Artikel, um öffentlicheBewertungen, Beschreibungen und auch initi-ierte Diskurse des Projektes zu messen. Es soll-te nachvollzogen werden, ob die Zielsetzung,die Stadt als Gesamtheit in die Betrachtung derBewohnerinnen und Bewohner zu rücken, mit-tels des Instrumentariums als gelungen zu be-zeichnen ist.Grundlage zur Bildung der Kategorien warenunterschiedliche Dimensionen.32

• In seiner Ursprungsformulierung gingen so-wohl der Dachantrag des Projekts und noch vielmehr der Antrag des Projektpartners UniversitätFrankfurt davon aus, dass mittels des ProjektsDiskurse zu erzeugen seien, die die festgestellteFragmentierung als Fakt und mögliche Norma-lität anzuerkennen hätten. Andererseits sollteversucht werden, über die Diskurse einen ge-meinsamen Bezugsrahmen hinsichtlich des Ge-samtgebildes Dietzenbach herzustellen. DieserAbsicht wurde in der vorliegenden AuswertungRechnung getragen.• "Öffentliche Reduzierungen" des Projekts wur-den erwartet. Diese waren vor allem an denThemen "Kunst" und "Geldverschwendung" fest-stellbar. Die etwaige Dominanz und die damitaus Projektsicht Blockade des eigentlichen An-liegens wurde in den Auswertungskategorienberücksichtigt.• Im Projektverlauf wurde recht schnell einneuer Diskursstrang eröffnet, der sich auf kon-krete Nutzungen bezog. Insbesondere das The-ma Garten/Grabeland wurde schnell zu einemdominierenden Thema. Das Anliegen, einen ge-meinsamen diskursiven Bezugsrahmen herzu-stellen, wurde dadurch stark in den H intergrundgedrängt. Das Projekt bewegte sich sozusagenim Bestand Dietzenbachs und entlang der all-täglichen Wünsche und Bedürfnisse eines Teils

der Bewohnerinnen und Bewohner. Diese "prag-matische Lawine" fand in zweierlei H insicht Be-achtung. Einerseits wurde durch das Bilden an-gemessener Kategorien versucht, den Stellen-wert dieses Pragmatismus zu messen. Anderer-seits wurde versucht, den Effekt auf das ur-sprünglich formulierte Projektziel, der diskursi-ven Bezugnahme auf die Stadt, darzustellen.

4.5.1.1 Initiierung von DiskursenZielsetzung des Forschungsprojektes war es,über das Instrument der Stelenreihe Diskurse zuinitiieren. Im Rahmen der vorliegenden Auswer-tung wurde versucht, entsprechende Kategorienzu definieren und zu überprüfen, inwiefern eineVerknüpfung von Projekt und Diskursentwick-lung in der Presseöffentlichkeit einen N ieder-schlag fand. Die Verteilung der Kategorie "Stadt-entwicklung" in der Auswertung gibt hierübererste Aufschlüsse:

Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dassdie Verknüpfung des Themas Stadtentwicklungmit dem Projekt nur begrenzt gelungen ist. Inetwa 40 % der Veröffentlichungen tauchen Be-griffe aus der Kategorie Stadtentwicklung nichtauf. Dies wird deutlicher, betrachtet man dieVerteilung auf unterschiedliche Zeiträume mitdifferenzierten Aktivitäten des Projektteams inder Öffentlichkeit. Die folgende Übersicht (Tab.10 .) verdeutlicht, dass es zu einer Konzentration

119

32 Insgesamt wurden 29 Kategorien gebildet, die unter-schiedliche Facetten des Projekts und seiner öffentlichenDiskussion beleuchten sollten. Diesen Kategorien wurdenwiederum unterschiedliche Begriffe zugeordnet, die dieseKategorien mindestens in Teilen ausfüllen sollten. Zur Aus-wertung wurden dann die Begriffe in den Artikeln ausge-zählt. Die Kategorien wurden als normativ gerichtete Kate-gorien von Aussagezusammenhängen gebildet, was in der Auswertung verdeutlicht und betont wird.

Tab. 9. Nennungen von Begriffen der KategorieStadtentwicklung in Presseartikeln

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 6

18 12 10 4 1

Page 120: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

der Begriffe aus der Kategorie Stadtentwicklungin den ersten drei Monaten kommt.

Es sind dies die Monate, in denen seitens desProjektteams begleitende Veranstaltungen (Richt-fest, Vernissage, erste Flächenvergaben) statt-fanden. Diese waren immer mit inhaltlichemInput seitens des Projektteams versehen. Mankann den Schluß ziehen, dass man in den Pres-severöffentlichungen die Begriffe des Teams wie-derfindet. In späteren Zeiträumen verschwindetdie Kategorie Stadtentwicklung fast völlig ausder Öffentlichkeit. Offensichtlich ist es nicht ge-lungen, das Projekt mit dem Thema Stadtent-wicklung zu verbinden und einen sich selbststabilisierenden und befeuernden Diskurs in derÖffentlichkeit zu initiieren.Ähnliches gilt für Begriffe aus der Kategorie "Ge-danken, Diskurse". H ier wurden eher abstraktgehaltene Begriffe kategorisiert, die sich mitdem Gedankenmachen über die Stadt, dem Ge-spräch über die Stadt und über Bilder von derStadt befassen. Eigentlich ist naheliegend, dasseine solche offene Kategorie, die nicht so starkan Begriffen aus dem Planungsbereich hängt,stärker besetzt sein sollte als die Kategorie"Stadtentwicklung". Zumindest dann, wenn esin der Öffentlichkeit Diskurse geben sollte, dennes handelt sich um eine abstrakte, lebenswelt-lich orientierte Kategorie, die reichlich Anknüp-

fungspunkte bietet. Wie die Übersicht zeigt, istgenau das Gegenteil der Fall. In mehr als 50 %der Artikel tauchen Begriffe aus dieser Kategorieüberhaupt nicht auf:

Zudem beschränkt sich die maximale Häufigkeitauf drei Begriffe je Veröffentlichung. Deutlichwird im Vergleich zur Kategorie "Stadtentwick-lung", dass die fachlichen Begriffe des Projekt-teams erstens überhaupt öffentlich benutzt undauch aufgegriffen werden, während die lebens-weltlichen Begriffe der diskursiv zu Infizierendenentweder überhaupt nicht auftauchen oder aberuninteressant für die Presseöffentlichkeit sind,wobei ersteres zu vermuten ist. Als Schlussließe sich daraus ziehen, und das bestätigt denSchluss aus der Auswertung der Kategorie"Stadtentwicklung", dass diskursive Momentekaum hergestellt werden konnten.Eine weitere Kategorie, die in diesem Zusam-menhang zu nennen ist, ist die der "Eigeninitia-tive". Diese besteht aus Begriffen, die mit demselbständigen und eigenverantwortlichen Gestal-ten von Stadt zu tun haben, ohne dass ein kon-kretes Projekt benannt wird. Nennungen ausdiesem Bereich sind verschwindend gering, wiefolgende Übersicht zeigt:

Das Moment der Eigenintiative, des Engage-ments, bezogen auf die Gesamtstadt Dietzen-bach, ist in der öffentlichen Diskussion nur rudi-mentär vorhanden.

120Tab. 10. Stadtentwicklung als Nennung imZeitverlauf

Tab. 11. Nennungen der Kategorie Gedanken,Diskurse in Presseartikeln

Tab. 12. Nennung der Kategorie Eigeninitiative

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 60 2 3 1 06 5 1 0 03 1 4 2 14 1 1 0 03 0 0 0 00 0 1 0 01 1 0 0 00 1 0 0 01 1 0 1 0

18 12 10 4 1

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3

24 13 6 2

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 4

33 6 5 1

Page 121: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.1.2 Diskussion über NutzungenAuch wenn es wie gezeigt nicht gelang, Dis-kurse zu initiieren, so hat das DietzenbacherProjekt doch für rege Öffentlichkeit gesorgt. Wieder folgende Abschnitt zeigt, verschob sich derProjektverlauf von der recht abstrakten Idee,Bewohnerinnen und Bewohner für die Entwick-lung begeistern zu können, recht schnell zusehr konkreten Nutzungsvorstellungen. Wie inder Auswertung der begleitenden Befragungendargestellt, wurde das Thema "Boden" sehrschnell von einem Teil der Dietzenbacherinnenund Dietzenbacher auf Nutzung reduziert.Boden als abstrakter Gegenstand wurde durchsehr konkrete Aneignungsvorstellungen undInteressenartikulation ersetzt. Auch wenn dieszu Beginn des Projekts nicht in dieser Form ge-plant war, so entwickelte sich ein spannenderProzess ungewöhnlicher Partizipation, wie auchdie Presseveröffentlichungen aufzeigen:

Bei diesen Nennungen handelt es sich um Nen-nungen des Themas "Boden", die aus Begriffenwie Claim und Parzelle bestehen. Begriffe also,die aneignungsbezogen sind, ohne in die Kon-kretion der je spezifischen Nutzung zu gehen.Die Häufigkeit ist im Vergleich mit den Häufig-keiten der im vorherigen Kapitel dargestellteneher abstrakten Kategorien sehr hoch. In mehrals 80 % aller Artikel taucht diese Thematisie-rung auf. Zwar findet man auch hier die zeitli-che Konzentration auf den Beginn des Projektsmit zahlreichen Events, doch im Gegensatz zuden Kategorien "Stadtentwicklung" und "Gedan-ken, Diskurse" ziehen sich die Nennungendurch den gesamten Projektzeitraum (siehe Tab. 14 .)Das Thema Boden lässt sich in einem konkre-ten, nutzenorientierten Sinne also als dominie-rendes inhaltliches Thema fassen. Es geht hier-

bei um die ganz konkrete Aneignung, die durchdas Projekt und den Diskussionsverlauf initiiert

wurde. Diese Diskussion scheint alle denkbarenDiskursstränge zu den Themen "Stadt", "Stadt-entwicklung" und "Gedanken" überlagert zuhaben.Deutlicher wird dies an der zugespitzten Dis-kussion über Gartennutzungen. Wünsche einerGartennutzung tauchten wie aus dem N ichtsmassenhaft auf und wurden ebenso jäh, poli-tisch motiviert, gestoppt. Nach wie vor, betrach-tet man die Artikel zum Projektende hin, istGartennutzung eines von zwei dominierendenIdentifikationsmomenten mit dem Projekt:

Der zeitliche Verlauf zu diesem Thema ist inter-essant. So ist zu Beginn von Garten oder Gra-beland überhaupt nicht die Rede, während imSeptember, Oktober und November 2002 dasThema förmlich explodiert, um dann nach derpolitischen Intervention fast völlig zu verschwin-den. In der öffentlichen Reflexion zum Ende des

121

Tab. 13. Nennungen der Kategorie Boden

Tab. 14. Boden als Nennung im Projektzeit-raum

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 4 50 2 1 1 2 01 5 4 0 1 14 1 4 2 0 01 3 1 0 0 11 0 1 0 0 10 0 1 0 0 01 1 0 0 0 00 0 1 0 0 00 0 3 0 0 0

8 12 16 3 3 3

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 4 5

8 12 16 3 3 3

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 4 6 7 9

22 9 2 5 3 1 1 2

Tab. 15. Nennungen der KategorieGartennutzung

Page 122: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Projekts hingegen ist das Thema wieder prä-sent.

4.5.1.3 Reflexe: Geldverschwendung,Provokation und KunstDrei weitere Stränge lassen sich im Verlauf desProjekts finden, die zeitweise strukturierendenEinfluss auf die Diskussion hatten. Es sind diesdie Thematisierungen "Kunst", "Provokation" und"Geldverschwendung". Insbesondere hinsichtlichder Fragestellung der Übertragbarkeit einer He-rangehensweise wie im Dietzenbacher Projektsind diese Thematisierungen sicherlich nichtsingulär, sondern an anderen Orten wiederkeh-rend - somit auch kalkulierbar - und zudemÖffentlichkeit verstärkend, also durchaus instru-mentell einsetzbar.In der Sprache des Projektteams tauchte dieBegrifflichkeit "Kunst", bezogen auf die Stelen-reihe, überhaupt nicht auf. Die Kategorie "Kunst"wurde bei Eröffnung der Stelenreihe öffentlichseitens der Politik eingeführt, wohl um dasetwas unübliche Projekt zu legitimieren.Interessant ist die Reaktion in der Presseöffent-lichkeit, die das Thema "Kunst" im Sinne einerspektakulären Aktion, eines Events deutlich indie Öffentlichkeit brachte. Mit dem konkretenZugang von Nutzerinnen und Nutzern veränder-

te sich die Diktion der Beschreibung, bis schließ-lich im Jahr 2003 überhaupt keine Nennungdes Themas "Kunst" mehr erfolgte.Zugleich muß festgehalten werden, dass dieThematisierung "Kunst" das Projekt in deutlichpositivem Sinne beförderte. Eine nahe liegendeVermutung ist, dass die ursprüngliche Absicht,Diskurse zu initiieren, bei einem Teil der Diet-zenbacher Bevölkerung sicher einfacher überdie forcierte Thematisierung mittels der Kate-gorie "Kunst" möglich gewesen wäre. Allerdingsist ebenso anzunehmen, dass mittels einer sol-chen Herangehensweise die "klassische Mittel-schichtsklientel" erreicht worden wäre und dasErgebnis damit in dieser H insicht nicht denAnforderungen der besonderen räumlichen undSozialstruktur Dietzenbachs entsprochen hätte.Ähnliches gilt für die Kategorie "Provokation".Diese wurde anfangs durch das Projektteam indie Öffentlichkeit geschoben und findet sichanalog zum Strang "Kunst" über den Zeitraumverteilt. Auch hier war es der Fall, dass dieseBegrifflichkeit durch die Presse aufgegriffen wurde und mit den konkreten Nutzungsan-sprüchen verschwand.

Eine wesentliche Kategorie, die als Reflex aufdie anfangs erhebliche Öffentlichkeit zu verste-hen ist, ist die der "Geldverschwendung". Inhalt-lich oft auf die Begriffe "Kunst" und "Provokation"

122Tab. 16. Garten/Grabeland als Nennung imProjektzeitraum

Tab. 17. Kunst als Nennung imProjektzeitraum

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 4 6 7 96 0 0 0 0 0 0 07 4 0 0 1 0 0 01 3 1 2 1 1 1 13 1 0 0 1 0 0 12 0 0 1 0 0 0 01 0 0 0 0 0 0 01 0 1 0 0 0 0 00 0 0 1 0 0 0 01 1 0 1 0 0 0 0

22 9 2 5 3 1 1 2

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 60 3 1 1 17 2 3 0 011 0 0 0 05 0 1 0 02 1 0 0 01 0 0 0 02 0 0 0 01 0 0 0 03 0 0 0 0

32 6 5 1 1

Page 123: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

123

Abb. 90. Presseartikel:Dreieichspiegel28.09.2002

Page 124: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

124

Abb. 91. PressebildAbb. 92. Presseartikel:

Dreieichspiegel14.12.02

Abb. 93. Presseartikel:Frankfurter Rundschau

17.08.02

Page 125: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

bezogen, unterstützte diese Thematisierung dieVerankerung in der Öffentlichkeit. Vermeidbar isteine solche Thematisierung bei Projekten dieserArt wohl kaum. Mit der Konkretion von Nut-zungsansprüchen verschwand dieses Themaebenfalls fast gänzlich.

4.5.1.4. Zentrale Dimension: Das Stelen-projektÜber all diese Thematisierungen hinaus domi-nierte in der Presseöffentlichkeit ein Thema.Lassen sich im Projektzeitraum vielfältigeSchwankungen in den dominierenden Thema-tisierungen feststellen, so zog sich eine Kategoriedurch den gesamten Zeitraum. Das eigentlicheMedium und Instrument des Projekts, die ästhe-tische Setzung in Form der Stelenreihe, war undist das dominierende Identifikationsmerkmal mitdem Projekt Dietzenbach 2030 . Dies gilt zu-nächst für die Zahl der absoluten Nennungen(siehe Tab.19 .).Die Gründe lagen wohl in den zahlreichenAnknüpfungspunkten, die die Stelenreihe bot.Sowohl Themenschwankungen von "Kunst" und"Provokation" hin zu "Nutzungsorientierung" lie-ßen sich mit dem Bild der Stelenreihe verknüp-fen, wie auch kritische Stimmen, die die Geld-verschwendung am verbauten Holz festmach-

ten. Ebenso die verspielten Momente, die sichin Form des Verbauens des Holzes nach Ab-schluss des Projektes im Dietzenbacher Stadt-bild wiederfanden. Insofern erfüllte die Stelen-

reihe ihre Funktion als ästhetisches Instrumentvorzüglich durch die Breite der Anknüpfungs-möglichkeiten. Ein Blick auf den Verlauf ver-deutlicht dies:

Die Stelenreihe wurde mit zahlreichen "Kose-namen" versehen, wie etwa "Riesenmikado","Stelenzauber" oder "Dietzenbach im Stelen-taumel", was die Intensität der Wahrnehmungzusätzlich verdeutlicht. Dies unterstreicht dieMöglichkeit und die Reichweite eines solchenProjektzugangs.

125Tab. 18. Geldverschwendung als Nennung imProjektzeitraum

Tab. 20. Stele als Nennung über Projektverlauf

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 4 5 6 7 8 90 0 1 2 2 1 0 0 0 02 2 1 2 3 2 0 0 0 00 3 2 0 4 0 1 0 1 00 4 0 2 0 0 0 0 0 00 0 1 0 0 1 0 0 1 01 0 0 0 0 0 0 0 0 00 1 0 1 0 0 0 0 0 00 0 0 1 0 0 0 0 0 00 0 0 1 0 0 0 1 0 2

3 10 5 8 9 4 1 1 2 2

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 44 2 0 0 07 4 1 0 08 0 1 0 26 0 0 0 02 0 1 0 00 1 0 0 01 0 0 1 01 0 0 0 03 0 0 0 0

32 7 3 1 2

Tab. 19. Nennungen der Kategorie Stele

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

3 10 5 8 9 4 1 1 2 2

Page 126: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.2 Facetten der Differenz unddes Reichtums - die Befragung derStadtbevölkerung

Im Rahmen des Projektes fand eine Befragungim Stadtraum statt, die die fragmentierte sozialeStruktur belegen sollte und diesbezüglich meh-rere Zielsetzungen verfolgte. So wurde einerseitsversucht, mittels der Befragung Vorstellungen,Bilder und Wahrnehmungen der Stadt seitensder Bevölkerung zu erheben. Ferner ging es da-rum, Nutzungsansprüche an den Stadtraum derunterschiedlichen Teile der Stadtbevölkerung inden Blick zu nehmen. Letztlich wurde mittelsder Befragung auch der Versuch unternommen,die Reichweite des Projekts 2030 in die städti-sche Öffentlichkeit hinein abzuschätzen undsomit zu einer Einschätzung der Tragweite dergewählten Strategie zu gelangen.

4.5.2.1 Methodische AnmerkungenDie Befragung fand in den Monaten Januar bisMärz 2003 statt und wurde an unterschied-lichen Orten in den Quartieren Dietzenbachsdurchgeführt. Befragt wurden 160 Personen.Aufgrund von Mängeln in einigen Fragebögengingen jedoch lediglich 149 Fragebögen in dieAuswertung ein.Die Befragung war nicht im klassischen Sinneeiner Zufallsstichprobe angelegt. Vielmehr wurdesie inhaltlich begründet geschichtet. Einerseitswurde versucht, der in Kapitel 2 .2 .2 vorgenom-men Gebietstypisierung (traditionelle Quartiere,"Neue Mitte", Spessartviertel) Rechnung zu tra-gen, da von der Hypothese ausgegangen wurde,dass sich die Bevölkerung dieser unterschied-lichen Quartierstypen hinsichtlich ihrer Nut-zungsinteressen an der Stadt wie auch ihrerBilder von der Stadt differenzieren läßt.Entsprechend wurden die Anteile der Quartierean der Gesamtbevölkerung gewichtet. Die Ent-scheidung, die Befragung in diesem Sinne zustrukturieren, trägt mit der oben genanntenHypothese dem zentralen Anliegen des Projekt-antrags Rechnung, dass bei Vorliegen einer

baulich wie sozial heterogenen Struktur, wiedies in Dietzenbach der Fall ist, mit stark diffe-rierenden Einschätzungen der Stadt zu rechnenist, diese jedoch unterschiedlich stark in diestädtische Öffentlichkeit kommuniziert werden.Eben diese differenzierten Einschätzungen auf-zuspüren, sie sichtbar zu machen und im Sinnedes Projektanliegens der "Ressourcenentwick-lung" aufzugreifen, war ein zentrales Merkmalder Befragtenauswahl.Zudem wurde versucht, in der Stichprobe dieAltersstruktur der Stadt zu repräsentieren, wasauch wesentlich gelungen ist. Die zu Grundeliegende Annahme bestand darin, dass in einerdynamisch gewachsenen Stadt das Alter einenwesentlichen Faktor der Wohndauer darstellt.Mit der Wohndauer wiederum lassen sich klas-sischerweise Indikatoren der Integration in dieStruktur einer Stadt (etwa: politische Teilhabe,Vereinsmitgliedschaften, ehrenamtliches Enga-gement) verbinden. Über die Schichtung nachdem Alter wurde in der Tat die im Sozialstruktur-atlas des Landkreises beschriebene Wohndauerin Dietzenbach abgebildet.Kritisch ist bei der Betrachtung der Befragten-auswahl anzumerken, dass die Geschlechter-relation mit anteilig 41 % Frauen und 59 %Männern nicht abgebildet wurde, was der stär-keren Präsenz und Ansprechbarkeit von Män-nern im öffentlichen Raum geschuldet ist. DieInterviews fanden in öffentlichen Räumen dereinzelnen Quartiere statt.

4.5.2.2 Quartierstypische DifferenzenEin Ziel der Befragung war es, die Quartiers-struktur Dietzenbachs abzubilden. Dies gelangin etwa (siehe Tab. 21 .).Wie oben angedeutet, war ein zentrales Ziel derBefragung, die Wohndauer der befragtenBevölkerung zu messen. Diese stellt sich in derAuswertung wie folgt dar (siehe Tab. 22 .).Als erstes Ergebnis läßt sich festhalten, dassknapp 50 % aller Befragten weniger als zehnJahre in Dietzenbach leben, was den Vergleichs-zahlen des Sozialberichts des Landkreises Offen-bachs entspricht.33 Setzt man diese Zahlen in

126

Page 127: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Relation zu den in Kapitel 2 .2 .2 .2 definiertenGebietstypen (traditionelle Quartiere, "NeueMitte", Spessartviertel), so ergibt sich folgendesBild (siehe Tab. 23 .).Deutlich zeigen sich die Verteilungsunterschiede.Während erwartungsgemäß die Verweildauer inden traditionellen Quartieren am höchsten ist,unterscheiden sich Spessartviertel und "NeueMitte" deutlich. Bei beiden handelt es sich umQuartiere, die während der vergangenen fünf-undzwanzig Jahre entstanden sind. Das Spes-sartviertel ist, zumindest im östlichen Teil, dasdeutlich ältere Quartier und gleichwohl ist dieVerweildauer hier niedriger. Das Spessartviertelscheint für viele Bewohnerinnen und Bewohnereher eine Durchgangsstation zu sein, währendder Bereich "Neue Mitte", der durch Eigentums-wohnungsbau geprägt ist, sich als ein dauerhaf-ter Siedlungsbereich zu entwickeln scheint.N immt man die Ergebnisse der Frage "Sind Siein Dietzenbach geboren?" hinzu, so verstärktsich zunächst das Bild der schnell gewachsenenStadt, die fast einer Stadtneugründung gleich-kommt. Lediglich 10 ,1 % bejahen diese Frage,bei knapp 90 % der Befragten handelt es sichum Zugezogene. Interessant ist auch hier derBlick auf quartiersspezifische Verteilungen(siehe Tab. 24 .).Deutlich wird, dass die Verteilung zwischen dentraditionellen Quartieren und der "Neuen Mitte"annähernd gleich ist, also auch gebürtige Diet-zenbacherinnen und Dietzenbacher die "NeueMitte" als Wohnquartier in Anspruch nehmenAuffällig ist hingegen, dass keine befragte Personaus dem Spessartviertel in Dietzenbach geborenist.Untersucht man ferner die Herkunft der Befra-gten, so zeigen sich weitere Unterschiede (sieheTab. 25 .).Deutlich wird an diesen Zahlen einerseits dieKonzentration der Bevölkerung mit Migrations-hintergrund im Spessartviertel, andererseits derstark unterdurchschnittliche Anteil am Gesamt-anteil nicht-deutscher Bevölkerung im Eigen-tumsgebiet "Neue Mitte". Der Anteil für dieGesamtstadt liegt bei 28 ,7 % nicht-deutscher

127Tab. 21. Prozentualer Anteil Befragte undStadtbevölkerung*

Tab. 24. Gebürtig in Dietzenbach in Prozentnach Quartierstypen

Tab. 22. Wohndauer in Jahren in Prozent

< 1 Jahr

12 ,1 %

5-10 Jahre

13 ,4 %

> 10 Jahre

53 ,7 %

1-5 Jahre

20 ,8 %

Tab. 23. Wohndauer in Jahren in Prozentinnerhalb der Quartierstypen

33 Vgl. hierzu auch Kapitel 2 .2 .2 .

Anteil Stadt-bevölkerung

Anteil in derBefragung

TraditionelleQuartiere

63 ,3 %

67 ,7 %

"NeueMitte"

11 ,7 %

13 ,4 %

Spessart-viertel

25 %

18 ,9 %

< 1 Jahr1-5 Jahre

5-10 Jahre> 10 Jahre

TraditionelleQuartiere

8 %18 %15 %59 %

"NeueMitte"

20 %20 %15 %45 %

Spessart-viertel

25 %37 ,5 %

8 ,3 %29 ,2 %

* laut Sozialbericht 99 / 00

Geboren in Dietzenbach

Nicht geboren inDietzenbach

TraditionelleQuartiere

12 ,4 %

87 ,6 %

"NeueMitte"

10 %

90 %

Spessart-viertel

0 %

100 %

Page 128: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Bevölkerung. Bezogen auf Bevölkerungsanteile mit Migrationshintergrund ist also eine deutlicheSpreizung der Verteilung zwischen den Quar-tieren festzustellen.Ähnlich signifikante Verteilungen lassen sich fürdie Bereiche Schul- und Berufsausbildung fest-stellen. So verfügen in den Quartieren "NeueMitte" und traditioneller Bereich jeweils etwa 70 % der Befragten über eine Berufsausbildung,während sich das Verhältnis im Spessartviertelfast umkehrt - hier verfügen lediglich 35 ,8 %der Befragten über eine Berufsausbildung.Aber auch die Betrachtung der Schulabschlüsseeröffnet interessante Eindrücke (siehe Tab. 26 .).

Zunächst ist auffällig, dass der Anteil der Befrag-ten ohne Abschluss oder mit Hauptschulab-schluss im Spessartviertel bei exakt 50 % liegt.Im zweiten Zuwandererquartier, der "NeuenMitte", liegen diese Merkmalsausprägungen beilediglich 5 %. Auffällig ist auch die relative Nor-malverteilung der Bewohnerinnen und Bewoh-ner der traditionellen Quartiere.Auf der anderen Seite ist der Anteil der Personen

mit Studienabschluss im Spessartviertel amhöchsten.

4.5.2.3 Bewegungsräume in der StadtDie Betrachtung der quartiersspezifisch genutz-ten Bewegungsräume in der Stadt stützt dasBild der unzusammenhängenden Stadtinseln.Am höchsten frequentiert sind dabei die Quar-tiere mit Zentrenfunktion, also Altstadt und"Neue Mitte". So bewegen sich 57 ,7 % allerBefragten häufig in der Altstadt und 71 ,8 % imBereich "Neue Mitte". Neben diesen zentralenQuartieren finden sich nennenswerte Bewegun-gen lediglich zwischen den Quartieren Steinbergund Altstadt. Eine kleinere Zahl Nennnungenverteilten sich von unterschiedlichen Quartierenauf den Bereich Wingertsberg, dies immer imZusammenhang mit Freizeitbewegungen.Ansonsten finden sich kaum Anhaltspunkte da-für, dass Quartiersbewohner und -bewohnerin-nen in anderen Quartieren häufiger unterwegswären. So bewegt sich keine/r der Befragtenaus dem Bereich der Altstadt im Spessartviertel,obwohl beide Quartiere unmittelbar nebenein-ander liegen.Für die Befragungsreihe lässt sich für einigeStadtteile ein Beziehungsparameter berechnen.Diesen erhält man, indem man die Häufigkeitdes Besuchs quartiersfremder Personen in Rela-tion zur Gesamtmenge der quartiersfremdenPersonen in der Befragung setzt. Durch die Mul-tiplikation mit dem Kehrwert des Quartiersanteilsder Befragung an der Gesamtbefragung erhältman einen standardisierten Wert. Bei Erhaltendes Werts 1 wäre der Stadtteil innerhalb derBefragung durchschnittlich häufig als Ort vonQuartiersfremden aufgesucht. Ist der Wert klei-ner 1 , so wird er unterdurchschnittlich häufigvon Quartiersfremden aufgesucht. Entsprechendumgekehrt verhält es sich bei einem Wert grö-ßer 1 , der Ort wird relativ häufiger aufgesucht.Seriöserweise lässt sich ein solcher Wert nur beieiner Mindestanzahl von Befragten berechnen,der für einzelne Stadtteile gegeben ist und fol-gendes Bild vermittelt (siehe Tab. 27 .).Deutlich wird an dieser Maßzahl die Zentralität

128

Tab. 26. Schulabschlüsse nach Quartierstypen

K. AbschlussHauptschule

RealschuleAbitur

Studium

TraditionelleQuartiere

6 ,8 %29 ,8 %28 ,8 %21 ,2 %14 ,3 %

"NeueMitte"

0 ,0 %5 ,0 %

55 ,0 %25 ,0 %15 ,0 %

Spessart-viertel

16 ,7 %33 ,3 %20 ,8 %12 ,5 %16 ,7 %

Tab. 25. Nationalität der Befragten nachQuartierstypen

Deutschland

AndererStaat

TraditionelleQuartiere

79 ,8 %

20 ,2%

"NeueMitte"

90 %

10 %

Spessart-viertel

50 %

50 %

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des Bereichs der "Neuen Mitte". Ebenso die re-lative Häufigkeit von Besuchen in der Altstadtsowie die Beziehungen nach Steinberg. Ebensodeutlich werden aber auch die geringen Bezie-hungen einzelner Quartiere in die anderenWohnstandorte.Dieses Bild wird durch die Antworten auf dieFrage "Welche Orte besuchen Sie in Dietzenbachhäufig?" unterstützt. Auch hier ging es darum,Bewegungen in der Stadt zu lokalisieren. Zu-nächst verblüfft, dass fast 30 % der Bewohne-rinnen und Bewohner der traditionellen Quar-tiere und 22 % des Spessartviertels diese Fragemit "Zuhause" beantworten. N immt man denexpliziten Ausschluss irgendeines Ortes hinzu,so addieren sich diese Nennungen in beidenQuartierstypen auf um etwa je 40 %. Die Fragenach (öffentlichen) Orten wird also mit privatemRückzug oder der N icht-Existenz beantwortet.Deutlich unterschiedlich fallen die Antworten

aus dem Bereich der "Neuen Mitte" aus. Siesind auf öffentliche Räume orientiert (häufigsteNennungen sind hier Theatervorstellungen imBürgerhaus, Kino, Besuch von Stadtfesten etc.)oder nutzen eine wesentliche Ressource derStadt, die Lage im Grünen (siehe Tab.28 .).Die Gruppen der traditionellen Quartiere benen-nen zu 50 % traditionelle Orte als Bewegungs-raum. Kneipen als privat-öffentliche Orte desMeinungsaustauschs, die Altstadt als Kerngebietdes alten Dietzenbachs und der Besuch beiFreundinnen und Freunden in anderen Stadt-teilen sind hier neben der privaten Orientierungdominierend. Deutlich am wenigsten im Dietzen-bacher Kontext bewegen sich die Bewohnerin-nen und Bewohner des Spessartviertels imöffentlichen Raum. Über 40 % nennen direktoder indirekt ihr Zuhause als wichtigstenBezugspunkt in Dietzenbach.

4.5.2.4 Wahrnehmung der StadtIm Rahmen der Befragung wurde gefragt, wel-chen Namen die Befragten einem Bild gebenwürden, das sie von ihrer Stadt zeichnen wür-den. Die vorgeschlagenen Bilder trugen dieNamen "Brache", "Heimat", "Ghetto", "Provinz","Langeweile" und "Ruhe/Grün". H ier wurde dieZustimmung oder Ablehnung zu jedem Bild ein-zeln abgefragt, so dass in der Auswertung Mehr-fachnennungen auftreten.Bei der Beantwortung dieses Fragenkomplexeslassen sich nur Tendenzen feststellen, die seltensignifikant sind, aber immerhin Einschätzungenzulassen. Auszuschließen ist einerseits das Bildder Brache, das nur 6 % der Befragten für sinn-voll hielten. Das eigentliche Thema des Projekts,die Brachen und der Boden der Stadt, scheinenin dieser Form zunächst einmal zu abstrakt füreine alltägliche Wahrnehmung zu sein, um anRelevanz zu gewinnen. Gleiches gilt für das Bild"Ruhe/Grün", das lediglich für 17 ,4 % derBefragten eine Rolle spielt.Differenzierungen findet man jedoch auch beiden Bewohnerinnen und Bewohnern unter-schiedlicher Quartierstypen. Das mit Abstandnegativste Bild der Stadt besteht bei den Bewoh-

129

Tab. 28. Häufig besuchte Orte nach Stadtteilen

Tab. 27. Beziehungsparameter ausgewählterDietzenbacher Quartiere

SteinbergAltstadt"Neue Mitte"WestendSpessartviertel

1 ,041 ,404 ,350 ,350 ,25

ÖffentlicheRäumeKneipen etc.NaturNaherholungAltstadtAndereStadtteileExplizit:Kein OrtZuhause

TraditionelleQuartiere

11 ,3 %22 ,5 %

5 ,6 %5 ,6 %

15 ,5 %

12 ,7 %

9 ,9 %29 ,6 %

"NeueMitte"

27 ,3 %9 ,1 %

27 ,3 %9 ,1 %

18 ,2 %

0 %

0 %9 ,1 %

Spessart-viertel

16 ,7 %16 ,7 %11 ,1 %

5 ,6 %5 ,6 %

0 %

22 ,2 %22 ,2 %

Page 130: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

nerinnen und Bewohnern des Quartiers "NeueMitte". H ier dominiert das B ild des Ghettos,dem 65 % der Befragten zustimmen. Die zweit-und dritthäufigste Nennung erhielten die eben-falls negativ anmutenden Bilder "Provinz" mit35 % und "Langeweile" mit 25 % Zustimmung.Das Bild des Ghettos ist auch für die Bewohne-rinnen und Bewohner der traditionellen Quar-tiere mit 36 ,2 % und des Spessartviertels mit37 ,5 % das am häufigsten genannte Bild. Beibeiden Quartieren erfolgt aber als zweithäufig-stes Bild ein positives, das der "Heimat". 30 ,5 %der Befragten aus den traditionellen Quartierenstimmen dem zu und 27 ,5 % des Spessartvier-tels. Verstärkt wird dieser Eindruck mit den Antwor-ten auf die Frage "Was gefällt Ihnen an Dietzen-bach besonders gut?", so lassen sich auch hierdie Konnotationen der Antworten differenzieren.Orientieren sich die Antworten bei den Bewoh-nerinnen und Bewohnern der traditionellenQuartiere hier auf Kategorien "Vereine" und"Freunde", so orientieren sich die Antworten imBereich des Spessartviertels auf die Kategorie"Nachbarschaft", die sehr viel mehr den Charak-ter eines stützenden Netzwerks als der persön-lichen sozialen Nähe beinhaltet.Abgefragt wurde mit mehreren Fragen die per-

sönliche Zufriedenheit in Dietzenbach. Dies ge-schah zunächst durch eine Gesamteinschätzungauf einer Skala von eins bis sechs, von sehrpositiv bis sehr negativ. H ier ergibt sich folgen-des Bild:Deutlich wird an dieser Übersicht vor allem,dass die Bewohnerinnen und Bewohner der tra-ditionellen Quartiere die höchste Zufriedenheitaufweisen. Mehr als 65 % sind mit ihrer Situ-ation in Dietzenbach zufrieden. Die tendenziellgeringste Zufriedenheit findet sich bei den Be-wohnerinnen und Bewohnern des Spessartvier-tels, während die Befragten aus dem Bereich"Neue Mitte" zu Aussagen im mittleren Bereichtendieren.N immt man eine weitere Frage hinzu, die Frage"Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft in Diet-zenbach?", so wird das oben beschriebene Bildim Kern bestätigt. Allerdings sind die Erwartun-

gen an die Zukunft schlechter als das Bild derGegenwart. Dies betrifft alle Gruppen gleicher-maßen, wenn auch die Befragten der traditio-nellen Quartiere nach wie vor eine positive Er-wartung hegen.Das gleiche Bild findet sich bei einer weiterenzukunftsgerichteten Frage, nämlich danach wiewohl Dietzenbach in zehn Jahren aussehenwird. Auch hier sind die Antworten eher skep-tisch. Offensichtlich sind die Erwartungen andie Zukunft in Dietzenbach häufig mit negativenVorstellungen belegt. Dies betrifft insbesonderedie Gruppen der Zugezogenen aus den Berei-

130

Tab. 29. Persönliche Zufriedenheit in Dietzen-bach nach Quartieren

Sehr zufrie-denZufriedenEher zufrie-denEher unzu-friedenUnzufriedenSehr unzu-frieden

TraditionelleQuartiere

0 ,95 %17 ,1 %

47 ,6 %

21 %8 ,6 %

4 ,8 %

"NeueMitte"

0 %15 %

30 %

45 %10 %

0 %

Spessart-viertel

0 %8 ,3 %

33 ,3 %

41 ,7 %8 ,3 %

8 ,3 %

Tab.30. Persönliche Zukunft in Dietzenbachnach Quartieren

Sehr positivPositivEher positivEher negativNegativSehr negativ

TraditionelleQuartiere

2 %16 %41 %24 %15 %

2 %

"NeueMitte"

0 %5 %

25 %55 %10 %

Spessart-viertel

0 %8 ,3 %

24 ,9 %24 ,9 %33 ,6 %

8 ,3 %

Page 131: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

chen Spessartviertel und "Neue Mitte". Anzu-merken ist hier noch, dass eine Abhängigkeitder Zufriedenheit und der Zukunftserwartungenweder vom Alter noch von der Wohndauer inDietzenbach festzustellen ist. Es handelt sichalso in der Tat um quartierspezifische Merkmals-ausprägungen.

Ein weiterer Fragekomplex, der in diesemZusammenhang zu nennen ist, ist der nach denBesonderheiten der Stadt. Es handelt sich umdie Fragen "Was fehlt in Dietzenbach?" und"Besonders gut in Dietzenbach finde ich...?".(siehe Tab. 31 . und Tab. 32 .)Zunächst springt die Übereinstimmung ins Auge,die darin besteht, dass alle Gruppen mit etwa30 % Anteil den größten Mangel in fehlendenFreizeitmöglichkeiten sehen. Da die Frage offengestellt wurde und erst während der Auswertungkategorisiert wurde, lassen sich hier Beispielebenennen, die vor allem die Bereiche Sport,Kino und Ausgehen in den Vordergrund rücken.Übereinstimmung lässt sich auch im Mangelder Ästhetik des Stadtbilds feststellen. Jeweils

etwa 20 % der Befragten benennen dies alszentrales Problem. Eher generationen- als quartiersspezifisch lässtsich der Unterschied zwischen den traditionel-len Quartieren und den Quartieren "Neue Mitte"und Spessartviertel benennen. Im Durchschnittder Befragung, wie auch im Durchschnitt der

Dietzenbacher Bevölkerung, sind die Bewohne-rinnen und Bewohner der letztgenannten Quar-tiere jünger und in der Regel in der Familien-phase mit Kindern. Ihnen fehlen Einrichtungenfür Kinder und Jugendliche. Etwas differenzierter zeigt sich das Bild, wenndie Vorzüge Dietzenbachs benannt werden sol-len. Übereinstimmung herrscht zunächst beijeweils über 30 % der Befragten gruppenüber-greifend, dass "nichts" an Dietzenbach positivsei.Auch die mengenmäßig zweithäufig besetzteKategorie ist mit "Freunde/Nachbarn" identisch.Allerdings variiert hier der prozentuale Anteil von37 ,5 % im Spessartviertel bis 20 % im Bereich"Neue Mitte". Auch die inhaltliche Belegung,wieder wurde offen gefragt und bei der Auswer-tung kategorisiert, ist zu differenzieren. Wie obenbeschrieben beziehen sich die Nennungen imBereich Spessartviertel sehr stark auf die Begriffe

131

Tab. 31. In Dietzenbach fehlt... nach Quartie-ren

NichtsGuteSchulenFür Kinder/-Jugendl.Einkaufs-möglk.Zu vieleAusländerFreizeitmög-lichkeitVerkehrs-anbindungSchönesStadtbild

TraditionelleQuartiere

17 ,1 %

3 ,8 %

12 ,4 %

5 ,7 %

4 ,8 %

30 ,5 %

4 ,8 %

21 %

"NeueMitte"

0 %

10 %

25 %

10 %

5 %

30 %

0 %

20 %

Spessart-viertel

15 %

0 %

30 %

0 %

4 ,2 %

33 ,3 %

4 ,2 %

21 %

Tab. 32. Positiv an Dietzenbach nach Quartie-ren

NichtsNähe zuFrankfurtGrünVereineVeranstal-tungenFreundeNachbarnGünstigeMieten

TraditionelleQuartiere

34 ,3 %

8 ,6 %13 ,3 %15 ,2 %

7 ,6 %

24 ,8 %

1 ,9 %

"NeueMitte"

30 %

20 %10 %

5 %

5 %

20 %

10 %

Spessart-viertel

37 ,5 %

12 ,5 %0 %

4 ,2 %

4 ,2 %

37 ,5 %

4 ,2 %

Page 132: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Nachbarschaft, kultureller Kontext und die Mög-lichkeit, eigene Traditionen leben zu können.Für die Bewohnerinnen und Bewohner der tra-ditionellen Quartiere haben eher Begriffe wieFreunde, öffentliches Leben und dörfliche Iden-tität Bedeutung. Ähnlich zu typisieren ist für denBereich "Neue Mitte" nicht möglich, hier streuendie Aussagen erheblich.Deutlich ist der Bezug der Bewohnerinnen undBewohner des Quartiers "Neue Mitte" nachFrankfurt. 20 % benennen es als den zentralenVorzug, dass Dietzenbach nah an Frankfurtliege. Dies korrespondiert sehr stark mit demAnteil des Arbeitsortes Frankfurt von 35 % anallen Arbeitsorten in diesem Quartier, der ge-genüber 21 % im Spessartviertel und 12 ,4 %in den traditionellen Quartieren deutlich überdiesen liegt. Der Vorzug Dietzenbachs ist fürdiese Gruppe also auch etwas Äußerliches,seine Lage im Verhältnis zum Arbeitsplatz.Zusammenfassend lassen sich also folgendeMuster nachvollziehen:• Die Quartiere sind durch eine unterschiedli-che durchschnittliche Wohndauer zu kennzeich-nen. Der Bereich "Neue Mitte" scheint sich dabeials dauerhafter Wohnstandort zu entwickeln,während das Spessartviertel eher von Zu- undWegzügen gekennzeichnet ist.• Bewegungen in der Stadt finden höchst seltenzwischen unterschiedlichen Quartieren, alsWohnstandorte verstanden, statt. Es ist dieZentralitätsfunktion des Bereichs "Neue Mitte"und eingeschränkt der Altstadt, die diese Ortezu höher frequentierten Orten macht.• Öffentliche Orte werden nur eingeschränktgenutzt. Eigentlich sind es nur die Bewohnerin-nen und Bewohner der "Neuen Mitte", die dieseals relevant benennen. Dominierend ist hingegenbei der anderen Gruppe der Rückzug in das Pri-vate oder die explizite Nennung, dass kein Ortin Dietzenbach häufig besucht wird. Am wenig-sten in der Öffentlichkeit bewegen sichBewohnerinnen und Bewohner des Spessart-viertels.• In der bildhaften Beschreibung Dietzenbachsist die negative Einschätzung seitens der Bewoh-

nerinnen und Bewohner der "Neuen Mitte" auf-fällig, während für die anderen Quartiere dieEinbindung über das Bild "Heimat" sehr vielstärker ausgeprägt ist.• Durchgängig als größter Mangel der Stadtwerden die geringen Freizeitmöglichkeiten be-nannt. Gleiches trifft für das als schlecht emp-fundene Stadtbild zu. • Wertschätzung genießt die Stadt in unter-schiedlicher Art und Weise. Für die Gruppender traditionellen Quartiere wie des Spessart-viertels liegt die größte Bedeutung im Eingelas-sensein in die je spezifischen Communities. Fürden Bereich "Neue Mitte" ist einer der zentralenVorzüge ein ortsfremder, die Nähe zu Frankfurt.Die Befragung zeigt, dass es eine quartierstypi-sche Differenzierung der Dietzenbacher Bevölke-rung gibt. Sie zeigt auch, dass die negativeSelbsteinschätzung der Stadt, die in öffentlichenDiskursen über die Stadt dominiert, in einemViertel, der "Neuen Mitte" mit einer Vielzahl vonPendlerinnen und Pendlern, besonders ausge-prägt ist. Aber auch positive Selbsteinschätzun-gen der Stadt lassen sich feststellen. Sie sindvor allem im Spessartviertel bei einer Bevölke-rung zu finden, die aufgrund ihrer Arbeits- undLebenssituation viel abhängiger von der städti-schen Umwelt und ihren Möglichkeiten ist, alsdies etwa bei Pendlerinnen und Pendlern derFall ist. Diese relativ positive Einschätzung derStadt Dietzenbach durch eine Bevölkerung, dieim politischen Raum und in den lokalen Ver-einen wenig vertreten ist (vgl. hierzu Kap.2 .2 .2 .2), ist ein erster Fingerzeig auf den uner-kannten Reichtum der Stadt, den das Projekt2030 mobilisieren konnte.

4.5.2.5 Wahrnehmung des Projekts Stadt2030Im Rahmen der Erhebung sollte auch ermitteltwerden, wie das Projekt 2030 in die Stadt hin-eingewirkt hat. In der Befragung äußerten 52 ,3 % der Befragten, Kenntnis vom ProjektDietzenbach 2030 zu besitzen. Die Befragtengaben ferner Auskunft darüber, was sie dennvom Projekt 2030 wissen. Bei den Befragten,

132

Page 133: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

die Kenntnis des Projekts besaßen, ergab sichdabei folgende Verteilung:Wie schon in der Inhaltsanalyse deutlich wurde,so ist auch bei der Befragung bei der Fragenach Kenntnis von Projektteilen die Stelenreihedas dominierende Element. Alle Befragten, dieKenntnis vom Projekt besitzen, kennen auch dieStelenreihe. Anscheinend handelt es sich beieiner solchen Installation um ein ideales Instru-ment, Aufmerksamkeit zu erzeugen und dieseauch nachhaltig zu verankern.Aber auch die anderen Bestandteile des Projektswurden hinreichend transportiert. Immerhinkennt fast die Hälfte das Thema Flächenverga-be, so dass nicht nur Aufmerksamkeit erzeugtwurde, sondern eben auch die Inhalte und Ab-sichten vermittelt wurden. Selbst etwas Ferneswie die Verbindung mit einem Forschungsprojektist einem Viertel der Befragten präsent.Die daran anschließende Frage war die, wieman denn von dem Projekt erfahren habe. ImRahmen des Projekts erfolgte eine rege Öffent-lichkeitsarbeit, die sowohl Pressearbeit überPressemitteilungen und Veranstaltungen alsauch eigene Medien einschloß. Die Befragtenmachten hierzu folgende Angaben (siehe Tab. 34 .) Das Projekt wurde also offensichtlich wesentlichüber die Presse transportiert. Aber auch bei die-ser Frage spielt die Stelenreihe als Medium miteinem Drittel an Nennungen eine Rolle, wäh-rend die Bemühungen, über eigene Medien(Plakate und F lugblätter) Öffentlichkeit herzu-stellen, nicht funktioniert haben.Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus den28 ,2 % der Nennungen, man habe von Be-

kannten über das Projekt erfahren. Eine zentraleZielsetzung des Projekts 2030 war es, Diskursein der Stadtbevölkerung zu erzeugen. H ier findensich erste H inweise darauf, dass dies zumindestbei einem Teil der Bevölkerung funktioniert hat.Die gemeinsame Rede über das Stelenprojekteröffnet einen ersten Zugang. Bei dieser Gruppehandelt es sich vornehmlich um Bewohnerinnenund Bewohner der Quartiere Altstadt, Steinbergund der "Neuen Mitte", die mit Anteilen zwi-schen 33 % und 38 % über Bekannte vom Pro-jekt erfahren haben. Im Vergleich hierzu sind esim Spessartviertel lediglich 8 ,3 %.H ieran schließt sich unmittelbar die Frage an, obdas Projekt nach Kenntnisnahme weiter disku-tiert wurde. 68 ,2 % der Befragten bejahen dies.In den traditionellen Quartieren geben 74 % an,mit Bekannten im Fortgang über das Projekt ge-sprochen zu haben, im Bereich der "NeuenMitte" 50 % und im Bereich des Spessartvier-tels 66 ,3 %. Über das Interessewecken hinausist es also gelungen, in erheblichem Maße Ge-spräche in der Stadt zu erzeugen.Gefragt wurden die Personen auch, wie sie dasProjekt insgesamt einschätzen. H ier verteilensich die Antworten folgendermaßen. Am häufig-sten erfolgt die etwas unscharfe Antwort "ver-ständnislos" mit 38 ,2 %, die keineswegs mitnegativ gleichgesetzt werden kann. H ier ist imNachhinein ein Defizit in der Projektkommunika-tion festzustellen. Offenkundig wurde das Projektzu wenig erklärt. Die Waage halten sich die Ant-worten "neutral" und "eher negativ" mit 21 ,8 %,

133Tab. 33. Kenntnis von Bestandteilen aus demProjekt 2030

StelenFlächenvergabeBauwagenForschungsprojekt

Nein

0 %53 ,8 %77 ,9 %75 ,4 %

Ja

100 %46 ,2 %32 ,1 %24 ,6 %

Tab. 34. Kenntnis des Projekts über...

ZeitungFlugblätterPlakateÜber BekannteNeugierde durchStelenreiheBauwagen

Nein

33 ,3 %97 ,4 %94 ,9 %71 ,8 %

66 ,7 %91 ,0 %

Ja

66 ,7 %2 ,6 %5 ,1 %

28 ,2 %

33 ,3 %9 ,0 %

Mehrfachnennungen möglich

Page 134: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

während 18 ,2 % das Projekt als "eher positiv"einschätzen.Kenntnis von den Nutzungswünschen anderer,eine Frage also, die sich mit dem befasst, wasin der Stadt durch andere initiiert wird, hatten42 ,3 % der Befragten mit Kenntnis des Projekts.Die Informationen von Realisierungsvorschlägenkamen dabei zu 75 % aus der Zeitung. H ier istalso festzustellen, dass die Kommunikation zu-nehmend medial vermittelt geschehen ist.Eigene Flächenwünsche oder die Vorstellung,Flächenwünsche zu äußern, wurden hingegenlediglich von 8 ,1 % der Befragten kundgetan.Zusammenfassend ist zu sagen;• Es ist gelungen, das Projekt in die Öffentlich-keit zu transportieren. H ierbei spielten vor allemdie klassischen Medien und die Installation eineRolle.• Ebenfalls gelungen ist es, Diskussionen inGang zu setzen, die sich mit der Stadt und ihrerNutzung befassen.• Diese Diskussionen scheinen aber im nahenBekanntenkreis der befragten Personen hängengeblieben zu sein. Darauf weisen zwei Punktehin. Erstens der große Anteil derjenigen, die kei-nen Zugang durch mangelnde Erklärung desProjekts gefunden haben, und ferner die abneh-mende Kenntnis dessen, was in der Stadtgeschieht, je weiter es aus dem persönlichenNahbereich entrückt.

4.5.3 Befragung der Projektteil-nehmerinnen und Projektteilnehmer

Von August bis Dezember 2002 konnten dieBürgerinnen und Bürger Dietzenbachs an sechsTagen in der Woche im Vor-Ort Büro im Bauwa-gen an der Rakovnikpassage einen Nutzungs-wunsch für eine Parzelle äußern.34 In diesemZeitraum haben sich dort bzw. direkt beimStadtplanungsamt insgesamt 260 Personen fürdie Nutzung einer Parzelle angemeldet. Von diesen Projektteilnehmerinnen und -teilneh-mern standen 124 für ein Telefoninterview zurVerfügung.35 Die Erhebung erfolgte im Zeitraumvon Januar bis März 2003 . Erhebungseinheitwaren Einzelpersonen, diese standen für jeweilseinen Haushalt.Zur Erhebung des Datenmaterials wurde dieMethode des quantitativen Interviews gewählt.Die Daten wurden in Form strukturierter Inter-views anhand eines standardisierten Fragebo-gens überwiegend mit geschlossenen sowie ein-zelnen offenen Fragen erfasst.36

4.5.3.1 NutzungsnachfrageVon den interviewten Männern und Frauen, dieerwartungsgemäß alle das Projekt Stadt 2030und den Bauwagen kannten, hat über die Hälftedie Stelenreihe wahrgenommen und weiß, dasses sich bei dem Projekt um ein Forschungspro-jekt handelt. Mit 96 % findet ein Großteil der Interviewtendas Projekt interessant, nur ein sehr geringerTeil hält es für unsinnig bzw. für Geldver-schwendung.Die Bevölkerung Dietzenbachs wurde mittels derStelenreihe, Plakaten, Flugblättern, einer Inter-netseite sowie durch Berichte in der lokalenPresse über das Projekt informiert. ZusätzlicheInformationen konnten im Bauwagen-Büro an

134

34 Vgl. hierzu Punkt 4 .3 .2 .35 Der Rest entfiel aufgrund Doppel-Anmeldungen, unzurei-

chender Deutschkenntnisse, die ein Interview verunmög-lichten, bzw. war telefonisch nicht erreichbar.

36 Vgl. hierzu den Fragebogen im Anhang.

Page 135: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

der Rakovnikpassage eingeholt werden.Mit fast zwei Drittel hat der überwiegende Teilder interviewten Frauen und Männer von derF lächenvergabe zuerst über Bekannte erfahren,der Bauwagen war 28 ,2 % aufgefallen. Nur eingeringerer Teil (je 10 ,5 %) wurde über Zeitun-gen und F lugblätter erreicht. Die Stelenreihehatte 7 ,3 % der TeilnehmerInnen neugierig ge-macht. Die Plakate fielen nur 4 ,8 % der Befrag-ten auf. 71 ,8 % der interviewten Frauen und Männerhaben auch mit ihren Bekannten über das Pro-jekt gesprochen. Auch hier fiel die Beurteilungmit über 80 % überwiegend positiv aus. Die Aktivierung zur Teilnahme an unserem Pro-jekt erfolgte in unserer Stichprobe somit über-wiegend durch "Mund-zu-Mund-Propaganda"über Verwandte, NachbarInnen, FreundInnen,ArbeitskollegInnen etc. Auch bei der Frage, wasbesonders gut in Dietzenbach gefällt, wurdenan erster Stelle die hier lebenden FreundInnenund Bekannten genannt.37 Dieser Sachverhaltlässt auf gut funktionierende soziale Netzwerkeschließen, so dass hier von einer eher kleinstäd-tisch bis dörflich organisierten Öffentlichkeits-struktur ausgegangen werden kann.

4.5.3.2 NutzungswünscheDie vielfältigen Nutzungswünsche für die Zwi-schennutzung einer Parzelle reichten von einemSchulprojekt der Ernst-Reuter-Schule, initiiertvon zwei Lehrern, über Themengärten (Apothe-kergarten, mittelalterlicher Kräutergarten, inter-nationale Gärten, Kräuterspirale), einem gepflan-zten Stadtplan Dietzenbachs, Kunstprojekten,Bolzplätzen für Jugendliche, einem Hühnerhofbis hin zu einem Abenteuerspielplatz. Mit über 80 % bezog sich jedoch der größte Teilder Nutzungsanfragen auf eine Kleingartennut-zung sowie Spielmöglichkeiten für die Kinder.Nur ein geringer Teil war an Nachbarschaft,Kunst oder Sonstigem interessiert. Bezüglich der Nutzungswünsche ist eine starkeKonzentration auf wenige Bevölkerungsgruppenbzw. wenige Wohnquartiere festzustellen:Das Interesse an einem Garten bzw. an Spiel-

möglichkeiten für Kinder ist für die Projektteil-nehmerinnen und -teilnehmer mit Migrations-hintergrund am größten. Fast die Hälfte der tür-kischstämmigen und über ein Viertel der Frauenund Männer marokkanischer Abstammung äu-

ßern einen solchen Wunsch. Im Gegensatz dazumeldeten 60 % der in Deutschland GeborenenInteresse an einem Kunstprojekt an.Über die Hälfte der Garten-Wünsche wurde vonden Bewohnerinnen und Bewohnern des Spes-sartviertels geäußert, über die Hälfte wünschtsich auch einen Platz zum Spielen für die Kin-der. Knapp ein Viertel der Garten- bzw. Spiel-platz-Wünsche kommt von Bewohnerinnen undBewohnern des Westends. Ein Großteil der o. a.Migrantinnen und Migranten gibt diese beidenQuartiere als Wohnort an.38

Es ist also davon auszugehen, dass die bekann-ten Defizite dieser Siedlungen mit ihrem ver-dichteten Geschosswohnungsbau, wie geringeAufenthaltsqualität, mangelhafte Infrastrukturoder mangelnde Freizeitangebote, vor allem fürKinder und Jugendliche, erhebliche Auswirkun-gen auf die Struktur der geäußerten Nutzungs-wünsche hatten. Die große Nachfrage nacheinem Garten bzw. einem Spielplatz deckt somitdie nicht ganz unbekannten Defizite im Wohn-bereich von Migrantinnen und Migranten inDietzenbach auf. Auffällig ist das große Interesse der zumeistmuslimischen Frauen an einem Garten: Dieser

135

37 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .4 "Was gefällt Ihnen besonders gutin Dietzenbach".

38 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .3 . "Wohnort"

Abb. 94. Nutzungsvorstellungen

Mehrfachnennungenmöglich

Page 136: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Wunsch ist bei den befragten Frauen mit 90 %erheblich stärker ausgeprägt als bei den Män-nern (79 ,7 %). Für die befragten Männer wie-derum ist ein Platz zum Spielen für die Kinderwichtiger, über die Hälfte äußern einen solchenWunsch, bei den Frauen sind dies nur 42 %.Dieses Ergebnis macht somit die spezifischenProbleme dieser Frauen mit der Nutzung desöffentlichen und privaten Raums deutlich: Zwartreffen die zuvor beschriebenen Defizite derWohngebiete verstärkt alle vor Ort lebendenFrauen. Jedoch fehlen gerade den muslimi-schen Frauen ganz offensichtlich die für sie sowichtigen öffentlichen und halböffentlichenRäume, wie sie Gärten bzw. Grabeland darstel-len, als eine Art Übergangszone zwischen Pri-vatheit und Öffentlichkeit.39

Neben dem individuellen Nutzen - der überwie-gende Teil der Flächenwünsche soll mit der ei-genen Familie umgesetzt werden - fördern sol-che Gärten bzw. Grabeland auch Anknüpfungs-punkte für Gespräche und den Austausch, auchüber kulturelle Grenzen hinweg.

4.5.3.3 Strukturmerkmale

NutzerstrukturEs wurden mit 59 ,7 % mehr Männer als Frauen(40 ,3 %) und zu über 62 % jüngere Bewohne-rinnen und Bewohner Dietzenbachs interviewt.Die Kohorte der 1930 bis 1940 Geborenen setztsich nur aus Frauen zusammen. Drei Viertel der InterviewteilnehmerInnen sindverheiratet. Über 80 % der Befragten haben Kin-der, davon über ein Viertel mehr als drei (sieheTab. 35 .). Es wurden somit folglich überwiegend kinderrei-che junge Familien erreicht.

Ethnizität Mit 97 ,6 % ist der größte Teil der befragtenFrauen und Männer nicht in Dietzenbach gebo-

39 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .5 .

100 %

90 %

80 %

70 %

60 %

50 %

40 %

30 %

20 %

10 %

0 %

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

136Abb. 95. Nutzungswünsche

Abb. 96. Geburtsjahr

Männer

Frauen

Männer

Frauen

Mehrfachnennungen möglich

Page 137: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

ren, sondern zugezogen. H ier fällt der hohe Anteil von Menschen mitMigrationshintergrund auf: Von den zugezoge-nen Frauen und Männern sind 83 ,1 % nicht inDeutschland geboren, sondern zu 39 ,5 % inder Türkei und zu 24 ,2 % in Marokko. WeitereHerkunftsländer in der Reihenfolge ihres Anteilssind Afghanistan, Jugoslawien, Pakistan, Ägyp-ten, Algerien, England, Indien, Jordanien, Kroa-tien, Libanon, Liberia, N igeria, Slowakei, Togound Vietnam. Der größte Teil der Befragten stammt somit ausder Türkei, aus Marokko und aus Deutschland.Differenziert nach Geschlecht ist fast die Hälfteder teilnehmenden Frauen in der Türkei geboren,fast ein Viertel in Deutschland und 14 % in Ma-rokko. Von den teilnehmenden Männern gibtüber ein Drittel als Geburtsland die Türkei an,gefolgt von Marokko und Deutschland (sieheAbb. 71 .). Fast die Hälfte der nicht in Deutschland gebore-nen Befragten besitzt die deutsche Staatsange-hörigkeit. Unter den in Deutschland geborenenBefragten mit deutscher Staatsangehörigkeitbefinden sich auch junge Frauen und Männermit Migrationshintergrund.

WohnortFast die Hälfte der befragten Projektteilnehme-rinnen und -teilnehmer wohnt im Spessartvier-tel, ein Viertel im angrenzenden Westend und je11 ,3 % in den Stadtteilen Steinberg und "NeueMitte", der Rest verteilt sich auf die Altstadt,Hexenberg bzw. sonstige Wohngebiete (sieheTab. 36 .). Differenziert nach Ethnizität wohnt über dieHälfte der interviewten Migrantinnen und Mi-granten im Spessartviertel, fast ein Viertel imWestend. Der Rest verteilt sich auf die "NeueMitte" (9 ,7 %), Steinberg (7 ,8 %), die Altstadt(3 ,9 %) sowie auf Hexenberg und sonstigeWohngebiete. Die in Deutschland geborenen Projektteilneh-merinnen und -teilnehmer wohnen zu jeweilsüber einem Viertel im Westend oder in Stein-berg, jeweils knapp ein Fünftel gibt die "Neue

13750 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 97. Geburtsland

Männer

Frauen

Kategorienein1 Kind2 Kinder3 Kindermehr als 3 Kinder

Total

Häufigkeit2317282432

124

Prozent18 ,513 ,722 ,619 ,425 ,8

100 ,0

Tab. 35. Kinder

KategorieAltstadtSteinbergHexenbergNeue MitteWestendSpessartviertelSonstiges

Total

Häufigkeit5

141

143157

2

124

Prozent4 ,0

11 ,30 ,8

11 ,325 ,046 ,0

1 ,6

100 ,0

Tab. 36. Wohnort nach Stadtteilen

Page 138: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Mitte" oder das Spessartviertel als Wohnort an,4 ,8 % leben in der Altstadt.Die Mehrzahl der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer, überwiegend Migrantinnen und Mi-granten, lebt somit in den Siedlungen mit hoch-verdichtetem Geschosswohnungsbau, die, nebenden schon erwähnten baulichen Defiziten, zu-sätzlich durch hohe Arbeitslosigkeit, einen hohenAnteil einkommensschwacher Haushalte sowiedurch eine überproportional starke Zuwanderungvon benachteiligten Haushalten und solchen mitMigrationshintergrund gekennzeichnet sind. Sowohnen im Spessartviertel fast zwei Drittel der

befragten Arbeiterinnen und Arbeiter sowie 44 %der befragten Arbeitslosen - alle mit Migrations-hintergrund. Auch die Hälfte der im Haushalttätigen Frauen wohnen in diesem Viertel.

WohndauerÜber 70 % der befragten Frauen und Männerleben schon länger als 10 Jahre in Dietzenbach(siehe Tab. 37 .). Im Spessartviertel beläuft sichdieser Anteil sogar auf 77 ,2 %. Die lange Wohndauer der befragten Frauen undMänner im Spessartviertel überrascht, da imAllgemeinen die durchschnittliche Verweildauerin diesem Quartier erheblich geringer ausfällt.40

Dieser Sachverhalt lässt darauf schließen, dassdie im Spessartviertel lebenden Projektteilneh-merinnen und -teilnehmer, zumeist Migrantin-nen und Migranten, Dietzenbach dauerhaft alsWohnstandort gewählt haben.

ArbeitsortWeit über ein Drittel der interviewten Frauenund Männer pendelt zum Arbeiten ins Umlandoder nach Frankfurt, nur bei einem geringen Teilbefindet sich der Arbeitsplatz wohnortnah inDietzenbach (siehe Tab. 38 .).

Bildungsstand, BerufsausbildungFast die Hälfte der befragten Frauen und Männerder Stichprobe besitzen einen Hauptschulab-schluss, nur ein geringer Teil hat studiert bzw.hat das Abitur bzw. einen Realschulabschlusserreicht. 9 ,7 % haben keinen Schulabschluss(siehe Tab. 39 .). Mit 43 ,5 % verfügt ein hoher Prozentsatz derbefragten Frauen und Männer über keine Be-rufsausbildung. H ier ist der Anteil der in derTürkei Geborenen mit 40 ,7 % am größten, ge-folgt von den in Marokko Geborenen (31 ,5 %).Bei den in Deutschland geborenen Befragtenbeträgt dieser Anteil nur 11 ,1 %.

138

Kategorie1 Jahr1-5 Jahre5-10 Jahre> 10 Jahre

Total

Häufigkeit3

142087

124

Prozent2 ,4

11 ,316 ,170 ,2

100 ,0

Tab. 37. Wohndauer

Kategoriekein SchulabschlussHauptschuleRealschuleAbiturStudiumk. A.

Total

Häufigkeit1258171719

1

124

Prozent9 ,7

46 ,813 ,713 ,715 ,3

0 ,8

100 ,0

Tab. 39. Bildungsstand

40 Sie beträgt im Spessartviertel üblicherweise nur ein bis fünfJahre, nur 29 ,2 % der Bevölkerung leben in diesemQuartier schon länger als zehn Jahre (vgl. hierzu Punkt 2 .2 .2 .2).

KategorieDietzenbachFrankfurtLandkreis OffenbachRhein-Main-Gebietkein Arbeitsort

Total

Häufigkeit1917181258

124

Prozent15 ,313 ,714 ,5

9 ,746 ,8

100 ,0

Tab. 38. Arbeitsort

Page 139: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Erwerbsstatus Fast die Hälfte der befragten Frauen und Männerist nicht erwerbstätig, hiervon ist der größte Teilarbeitslos oder im Haushalt tätig. Der Rest ver-teilt sich auf SchülerInnen, RentnerInnen, Stu-dentInnen und Auszubildende. Über ein Fünftelder Befragten sind als Arbeiterinnen bzw. Arbei-ter, 14 ,5 % sind als Angestellte beschäftigt. Nurein geringer Teil ist selbstständig tätig oder ver-beamtet (siehe Tab. 40 .).

Alle Arbeitslosen, alle Arbeiterinnen und Arbeitersowie über 80 % der im Haushalt tätigen Frau-en und Männer sind nicht in Deutschland gebo-ren. Differenziert nach Geschlecht ist mit knappeinem Drittel der größte Teil der befragten Män-ner als Arbeiter beschäftigt, über ein Viertel istarbeitslos. Mit 42 % ist der größte Teil der be-fragten Frauen im Haushalt tätig.Der hohe Anteil von Menschen unter den Pro-jektteilnehmerinnen und -teilnehmern ohne Be-rufsausbildung41 in Verbindung mit einem ver-muteten eher traditionellen Rollenverständnis -ein Großteil der befragten Frauen ist im Haus-halt tätig - lässt den Rückschluss zu, dass hierdie Familienväter oftmals als an- oder ungelern-te Arbeiter sowie "Alleinernäherer" der Familiebeschäftigt sind. Dieser Sachverhalt sowie diehohe Zahl an, überwiegend männlichen, Ar-beitslosen kann als Indikator für eine vermuteteArmutssituation angesehen werden.

KategorieselbstständigangestelltArbeiterverbeamtetarbeitslosim Haushalt tätigSchuleStudiumAzubiin Rentek. A.

Total

Häufigkeit121826

22522

63361

124

Prozent9 ,7

14 ,521 ,0

1 ,620 ,217 ,7

4 ,82 ,42 ,44 ,80 ,8

100 ,0

Tab. 40. Erwerbsstatus

41 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .3 . "B ildungsstand, Berufsausbil-dung"

Abb. 98. Erwerbsstatus

Männer

Frauen

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

139

Page 140: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.3.4 Wahrnehmung von Dietzenbach

"Was sind für Sie wichtige Orte inDietzenbach, an denen Sie sich gerneund häufig aufhalten?"Für drei Viertel der Befragten gibt es in Dietzen-bach wichtige Orte, an denen sich gerne undhäufig aufgehalten wird. An erster Stelle wirdhier die Natur genannt, der Rest der Antwortenbezieht sich auf andere Stadtteile, öffentlicheund privat-öffentliche Räume sowie das Zu-hause. Für ein Viertel gibt es keine wichtigenOrte in Dietzenbach (siehe Tab. 41 .).

Es gibt jedoch keine wichtigen Orte, denen mehrals 50 % der Befragten zustimmen könnten, d. h. es fehlt ein Ort, an dem sich die Mehrheitder befragten Frauen und Männer gerne undhäufig aufhält. Die Dietzenbacher Altstadt, ein Traditionsbereichder alteingesessenen Bevölkerung mit eher dörf-licher Struktur, wird hier von den befragtenHaushalten eher weniger aufgesucht. Vielmehrbewegt man sich in bestimmten Gruppen undin bestimmten Teilen der Stadt.

"In welchen Stadtteilen Dietzenbachsbewegen Sie sich Ihrer Einschätzungnach häufig?"Knapp zwei Drittel der Befragten sind häufig in der "Neuen Mitte" von Dietzenbach unterwegs.In Steinberg bewegen sich 43 ,5 % der Befrag-ten häufig, in der Altstadt und im Spessartvier-tel sind jeweils gut ein Drittel häufig unterwegs.Die Stadtteile Wingertsberg, Hexenberg undWestend werden von den befragten Männernund Frauen eher selten aufgesucht. Befragt nach ihrem Einkaufsverhalten suchen fast 80 % der Befragten die Geschäfte der"Neuen Mitte" auf, über zwei Drittel kaufen au-ßerhalb Dietzenbachs ein. Seltener (18 ,5 %)wird hier die Dietzenbacher Altstadt genannt.Fast 90 % der befragten Frauen und Männergeben unter "Sonstiges" einen Discounter alsEinkaufsort an. Auch türkische Läden in Woh-nungsnähe werden häufiger genutzt.

"Wenn Sie ein Bild von Dietzenbachentwerfen würden, wie würden Siedieses benennen?" Für mehr als zwei Drittel der befragten Frauenund Männer (69 ,7 %) entsteht auf diese Frageein positives Bild von Dietzenbach. Sie antwor-ten auf diese Frage mit "Ruhe/Grün", gefolgt von"Heimat". Positiv hervorgehoben wird hier auchdie multikulturelle, viele Kulturen umfassendeSeite Dietzenbachs.Für deutlich weniger Frauen und Männer ent-steht bei dieser Frage ein eher negatives Diet-zenbach-Bild wie "Ghetto" (18 ,5 %), "Provinz"(12 ,1 %), "Ödlandschaft, Brache" (11 ,3 %)oder "Langeweile" (7 ,3 %). Letzeres wird über-wiegend von den jüngeren Befragten genanntmit dem H inweis auf fehlendeFreizeiteinrichtungen. Differenziert nach Geschlecht entwerfen dieMänner bei dieser Frage ein etwas positiveresBild von Dietzenbach. Für die Frauen entsteht

140

Mehrfachnennungen möglich

Kategorie

öffentliche RäumeKneipen, priv.-öffent.RäumeNaturNaherholungAltstadtSteinbergNeue Mitteandere Stadtteilezu Hausekeiner

Total

Häufigkeit

9

1624

6112012 161443

171

Prozent

5 ,3

9 ,414 ,0

3 ,56 ,4

11 ,77 ,09 ,48 ,2

25 ,1

100 ,0

Tab. 41. Häufig besuchte Orte

Page 141: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

hier an erster Stelle das B ild Heimat, für dieMänner, vermehrt für die als Arbeiter tätigen,der Aspekt Ruhe bzw. Grün. Bei den Nega-tivausprägungen fällt das Urteil der befragtenFrauen pessimistischer aus (siehe Abb. 73 .).Diese markanten Negativ-Ausprägungen könnenals H inweis darauf gewertet werden, dass dieFrauen, durch ihre Zuständigkeit für die Erzie-hung der Kinder und größtenteils für die Versor-gung der Familie viel im Stadtteil unterwegs, dienegativen Seiten dieser Wohngebiete deutlicherals die Männer wahrnehmen. Gerade auch dieausgeprägte Differenz beim Aspekt "Langeweile"lässt auf Mängel im näheren Wohnumfeldbe-reich bzw. auf fehlende Angebote für Frauenschließen. 42 Gleichwohl wird Dietzenbach ver-stärkt auch unter dem Aspekt "Heimat" gesehen.H ierbei spielen für die Frauen ganz offensicht-lich die in der Nähe lebenden Verwandten eineherausragende Rolle.

"Was gefällt Ihnen besonders gut inDietzenbach?"

Für einen Großteil der befragten Männer undFrauen sind die Familienbeziehungen von zen-traler Bedeutung: So gefällt an erster Stellebesonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-wandte, Nachbarn und Freunde leben.43 17 ,5Prozent der Befragten gefällt die Ruhe und dasGrün besonders gut an Dietzenbach (siehe Tab. 42 .). Differenziert nach Geschlecht sind sowohl fürdie Frauen wie für die Männer die in Dietzen-bach lebenden Verwandten und Bekannten vonentscheidender Bedeutung. Dieser Aspekt wur-de jedoch von den interviewten Frauen häufigergenannt. Auch die Mobilität vor Ort ohne Pkw,die guten Einkaufsmöglichkeiten sowie Veran-staltungen spielen für die Frauen eine größereRolle.

141

Mehrfachnennungen möglich

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 99. Bild von Dietzenbach

Männer

Frauen

Mehrfachnennungen möglich

Kategorie

nichtsZentralität zu FrankfurtRuhe/GrünVereineVeranstaltungenNachbarn/Freundemultikulturellkein Pkw nötigEK-MöglichkeitenallesSonstiges

Total

Häufigkeit

281128

14

408886

17

160

Prozent

17 ,56 ,9

17 ,50 ,62 ,5

25 ,05 ,05 ,55 ,03 ,8

11 ,2

100 ,0

Tab. 42. Positiv an Dietzenbach

Page 142: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

"Was fehlt in Dietzenbach?"

An erster Stelle fehlen den interviewten Frauenund Männern ausreichende Einkaufsmöglich-keiten. Bemängelt werden auch die fehlendenFreizeiteinrichtungen für Erwachsene sowie diefehlenden Einrichtungen für Kinder und Jugend-liche, gefolgt von der schlechten Verkehrsan-bindung Dietzenbachs (siehe Tab. 43 .). Von den befragten Frauen wurden also verstärktdie vorhandenen Defizite im Reproduktionsbe-reich, wie fehlende Einkaufsmöglichkeiten44,fehlende Freizeiteinrichtungen sowie fehlendeEinrichtungen für Kinder und Jugendliche,angesprochen. Mehr Frauen als Männer vermis-sen auch fehlende Nachbarn und Freunde. Die befragten Männer, wiederum verstärkt dienicht erwerbstätigen, bemängeln eher die feh-lende gute Verkehrsanbindung sowie die fehlen-den Einkaufsmöglichkeiten, für die erwerbstäti-gen Männer, verstärkt für die Arbeiter unterihnen, ist die Ruhe und das Grün, das ein eige-ner Garten bietet, wichtiger. Diese Ausprägungen lassen darauf schließen,dass ganz offensichtlich die negativen Aspekteder betroffenen Gebiete wie schlechte Versor-gungsinfrastruktur, mangelnde Freizeitangeboteoder fehlende Einrichtungen für Kinder undJugendliche die Frauen in viel stärkerem Maßetreffen als die Männer. Auch fehlen offensicht-lich den Frauen, trotz der konstatierten sozialenNetzwerke, zum Teil die außerfamiliären sozia-len Beziehungsnetze. Aber auch die arbeitslosen

142

42 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .4 "Was fehlt in Dietzenbach?".43 Für die Wohnortwahl von Migrantinnen und Migranten

spielt die Nähe zu Familienangehörigen und Bekannteneine herausragende Rolle. Ebenso sind gerade die nachbar-schaftlichen Selbsthilfestrukturen für sozio-ökonomisch schwächere Migrantengruppen von besonderer Bedeutung. Jedoch können sich durch diese räumliche Trennung auchdie Abkopplungsprozesse zur deutschen Bevölkerung ver-stärken und zur Stigmatisierung der räumlichen Umgebungund somit auch ihrer Bevölkerung führen. Vgl. hierzu Insti-tut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des LandesNordrhein-Westfalen (Hg.), Integration von Migrantinnenund Migranten im Wohnbereich. ILS Nr. 180 . Dortmund2002 , S. 22 f.

44 H ier wurde oft der Wunsch nach einem Einkaufszentrummit einem Angebot an auch höherwertiger Kleidung geäußert.Mehrfachnennungen möglich

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 101. Was fehlt in Dietzenbach

Männer

Frauen

Mehrfachnennungen möglich

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 100. Besonders gut gefällt in Dietzenbach

Männer

Frauen

Page 143: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Männer sind von diesen Defiziten betroffen, fürsie spielt jedoch die fehlende Mobilität eine grö-ßere Rolle.

"Wie zufrieden sind Sie mit demLeben in Dietzenbach?"

Über 80 % der befragten Frauen und Männersind mit dem Leben in Dietzenbach zufrieden.Differenziert nach Geschlecht ist hier die Zufrie-denheit bei den Männern mit 85 ,2 % etwasstärker ausgeprägt als bei den Frauen (80 %).

"Wie sehen Sie Ihre Zukunft inDietzenbach?"

Über zwei Drittel der befragten Frauen undMänner sehen ihre Zukunft in Dietzenbach po-sitiv. H ier wird oft betont, dauerhaft in Dietzen-bach leben zu wollen, die (zukünftigen) Kindersollten hier aufwachsen. Oft wurde Wohnungs-eigentum erworben oder ein solcher Erwerb istfür die Zukunft geplant.Differenziert nach Geschlecht sehen auch hiermit 69 ,1 % die Männer ihre Zukunft etwaspositiver als die Frauen (67 ,3 %).

"Wenn Sie sich Dietzenbach in zehnJahren vorstellen, wie wird die Stadtaussehen?"

Über 70 % der befragten Frauen und Männerstellt sich Dietzenbach in zehn Jahren positivvor und geht von mehr Größenwachstum derStadt aus. Differenziert nach Geschlecht erwarten mit 32 % jedoch fast doppelt so viele Frauen wieMänner (16 ,3 %) eine eher negative Entwick-lung.Fast ein Drittel der interviewten Frauen sehenihre Zukunft also durchaus pessimistischer alsdie Männer. Sie vermuteten vor allem eine fürsie offensichtlich negative Entwicklung Dietzen-bachs in Richtung Verdichtung, verbunden mit zu vielen Häusern und wenigen Grünflächen.

143

Mehrfachnennungen möglich

Kategorie

nichtsgute SchulenEinr.f.Kinder/Jugendl.Einkaufsmöglichkeitenzu viele AusländerFreizeiteinrichtungenVerkehrsanbindungStadtbildNachbarn/FreundeGartenSonstiges

Total

Häufigkeit

291

1533

51614

19

1326

162

Prozent

17 ,90 ,69 ,4

20 ,43 ,19 ,98 ,60 ,65 ,68 ,0

16 ,0

100 ,0

Tab. 43. In Dietzenbach fehlt...

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 102. Einschätzung in 10 Jahren

Männer

Frauen

Page 144: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Auch ein Wachstum ohne Zentrum wurde be-fürchtet. Die Männer bewerten das erwartete Wachstumder Stadt eher positiv und erwarten diesbezüg-lich, auch durch den Bau der S-Bahn, positiveAnstöße.Generell kann jedoch davon ausgegangen wer-den, dass bei den Projektteilnehmerinnen und -teilnehmern unserer Stichprobe ein positivesDietzenbach-Bild bei gleichzeitiger großer Zufrie-denheit mit dem Leben in dieser Stadt vor-herrscht, auch die Zukunft wird überwiegendpositiv gesehen. Es kann somit konstatiert wer-den, dass sich bei den interviewten Projektteil-nehmerinnen und -teilnehmern das in der Au-ßenwahrnehmung vorherrschende NegativimageDietzenbachs in der Innenwahrnehmung nichtin gleichem Maße abbildet.

4.5.3.5 Fazit Durch unsere aktive und aktivierende Beteili-gungsform haben wir einen Teil der Dietzen-bacher Bürgerinnen und Bürger selbst zu Wortkommen lassen und dadurch offenkundig Men-schen erreicht, die normalerweise durch Status,Geschlecht oder ihre Lebenssituation strukturellvon gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabeausgegrenzt sind, nämlich Frauen, Kinder, Ju-gendliche, MigrantInnen, alte Menschen undErwerbslose. Auffallend ist hier die hohe Zahl überwiegendjunger kinderreicher Familien mit Migrations-hintergrund unter den Nutzungsinteressentinnenund -interessenten, von denen die Mehrzahl -und somit auch ein Großteil der Kinder - in denSiedlungen mit hochverdichtetem Geschosswoh-nungsbau und seinen schon ausgeführten Defi-ziten lebt. Diese Defizite sind u. a. ein Erklä-rungsansatz für den stark ausgeprägten Wunscheines Großteils der InteressentInnen nach einemGarten bzw. einem Spielplatz für die Kinder. Ebenfalls ist ein hoher Beteiligungsgrad bei denFrauen zu konstatieren. Erreicht wurde dieszum einen durch die niedrigschwellige Beteili-gungsform des Vor-Ort-Büros, die den Fraueneine Möglichkeit bot, ihre Interessen zu artiku-

lieren. Zum anderen entsprach der Ansatz zeit-lich, räumlich und organisatorisch den Alltags-geschäften der betroffenen Frauen.Verstärkt wurden zwei Gruppen von Frauenmobilisiert, die normalerweise nicht in her-kömmlichen Beteiligungsverfahren zum Zugekommen: ältere Frauen sowie muslimischeMigrantinnen. Die vor Ort lebenden Frauen, insbesondere dieälteren Frauen mit ihren altersbedingten Mobi-litätseinbußen, sind von der Verfügbarkeit klein-räumiger Strukturen, kurzer Wege und guterVerbindungen abhängig. Ebenso müssen sozialeund kulturelle Einrichtungen am Wohnort vor-handen bzw. leicht zu erreichen sein. 45 Diediesbezüglich in Dietzenbach vorhandenen Defi-zite wie bspw. die Verlagerung des Stadtzen-trums von der Altstadt in die Neue Mitte unddie damit für sie verbundenen längeren Wegewurden von den älteren Diezenbacherinnen imProjektverlauf immer wieder kritisiert.46

Bei den muslimischen Frauen fällt das großeInteresse an einem eigenen Garten auf. Auchwurden in unserem Projektbüro vor Ort geradevon den Migrantinnen häufig die fehlenden Treff-punkte für Erwachsene bzw. Wünsche nacheinem Park mit Aufenthaltsqualität angespro-chen.47 Dies lässt den Rückschluss zu, dass denmuslimischen Frauen ganz offensichtlich die fürsie so wichtigen öffentlichen und halböffent-lichen Räume fehlen.

144

45 Auch die älteren Frauen stellen eine zukünftig nicht zuübersehende Größe dar, die es einzubinden gilt. Zwar wurde bislang das Umland der Großstädte fast ausschieß-lich als Region der Familien mit kleinen Kindern angese-hen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der demogra-phische Alterungsprozess, der zunächst die Kernstädteerfasst hat, auch das Umland erreichen wird. Vgl. hierzuEngel, Frank u. a. Weiblich, ledig, kinderlos und alt.Soziale Netzwerke und Wohnbiographien alter alleinstehen-der Frauen. Opladen 1996 .

46 Vgl. hierzu Punkt 4 .3 .2 .347 Ebd.48 Vgl. hierzu Waltz, Viktoria. Sozialraumanalyse aus der Sicht

sozial engagierter Raumplanung - am Beispiel Migration. In: http://www.raumplanung.uni-dortmund.de/pz/download/vik/ raumanalysedoc.pdf, 17 .03 .2003 , S. 8 ff.

Page 145: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

B isher differiert die Nutzung des öffentlichenund privaten Raumes durch muslimische Frauenund Männer aufgrund des kulturellen Rollenver-ständnisses und gesellschaftlicher Zwänge stark.Typische Männerräume sind eher die Moscheen-und Vereinsräume, Spiel- und Teestuben, Boule-plätze etc.48 Gerade den arbeitslosen Muslimen,ebenso wie die Frauen verstärkt im Quartier prä-sent, bieten solche Räume wichtige Treffpunkt-und Rückzugmöglichkeiten. Frauen aus demislamischen Kulturkreis, die sich ihrer kulturel-len Tradition verbunden fühlen, sind stärker aufdie halböffentlichen Räume als verdeckte Frau-enräume angewiesen, die Art des Raumes hateine extreme Bedeutung für das Netz und dieArt sozialer Beziehungen dieser Frauen. Im traditionellen Herkunftsort oder Stadtteil be-reitet das keine Schwierigkeiten: Ein ausgespro-chener Frauenraum ist hier das Haus. Diesesmuss neben dem Männerbereich die Möglich-keit von Frauenbereichen zulassen. 49 Ebenfallsausgesprochene Frauenräume sind beispielswei-se Innenhöfe oder hausbezogene Gärten. Aus-gesprochene Männerräume sind die Moscheeoder das Kaffee- oder Teehaus. Zwischenräumesind die öffentlichen Wege und dörflichen Orte,die gemeinsam mit Männern genutzt werden.In der Emigration fehlt jedoch das soziale undsichere Netz der Beziehungen zwischen öffent-lich und privat völlig. H inzu kommt, dass imGeschosswohnungsbau die für Frauen zu nut-zenden Räume katastrophal eingeengt werden.Diese werden durch eine oft viel zu kleine Woh-nung ersetzt und die Kommunikationsräumebeschränkt auf das Wohnzimmer. Die Arbeits-bereiche der Frauen im halböffentlichen Raumwie z. B . Felder, Hauswirtschaftsräume oder derMarkt, fehlen im Allgemeinen völlig. Gerade dievorherrschende Funktionstrennung zwischenWohnen, Arbeiten und Freizeit verstärkt dieseReduzierung des Frauenraums noch. Dies hatzur Folge, dass den Frauen die geschlechtsspe-zifisch genutzten öffentlichen und halböffent-lichen Räume als wichtige Identifikationsortevöllig fehlen.Die muslimischen Migrantinnen, die auf die tra-

ditionellen Lebensgewohnheiten ihrer Herkunfts-kultur Rücksicht nehmen, sind dementspre-chend ausgegrenzt und beschränkt auf die eige-ne Wohnung. Aufgrund dieser fehlenden Öffent-lichkeit mangelt es den Frauen an Gelegen-heiten zur Kontaktaufnahme und sie sind dies-bezüglich auf die H ilfe durch den Ehemannbzw. ihre schulpflichtigen Kinder angewiesen. Die große Anzahl der geäußerten Garten-Wün-sche kann folglich, neben den Defiziten des Ge-schosswohnungsbaus, auch als ein H inweis aufsolche zur Zeit noch fehlenden öffentlichen undhalböffentlichen Räume, wie sie Gärten oderGrabeland darstellen, interpretiert werden.Diesem Defizit könnte durch die Umwandlungdes bislang unstrukturierten und weitgehendungenutzten Raumes in öffentliche und halböf-fentliche, vor allem von Frauen genutzte, sozialeRäume abgeholfen und somit eine wichtige An-forderung an eine geschlechtergerechte Stadt-planung erfüllt werden.50

145

49 Die Trennung hat auch etwas mit dem Schutz der Frauen und mit festen sozialen Beziehungsregeln zu tun. Männer haben diese Räume zu respektieren.

50 Vgl. hierzu auch Punkt 4 .5 .4 .4 .

Page 146: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.4 Die Entdeckung des "Reich-tums". Die Besonderheiten derGruppe der Nutzungsinteressierten- Vergleich der beiden Befragungs-reihen

Die strukturell relevante Differenz der beidenBefragungsreihen besteht darin, dass einerseitsvon einer definierten Gruppe - der Interessiertenan dem Projekt 2030 - und andererseits voneiner nach Stadtquartieren geschichteten Grund-gesamtheit ausgegangen wurde. Im Folgendenwerden zentrale Unterschiede zwischen den Be-fragungsergebnissen herausgearbeitet, um dieBesonderheiten der Gruppe der Nutzungsinter-essierten im Rahmen des Projekts 2030 gegen-über der Gesamtbevölkerung zu verdeutlichen.Die Unterschiede lassen sich zwar aus der Dar-stellung der Ergebnisse der beiden Befragungenherauslesen, werden hier aber an den Punkten"Sozialstruktur" und "Wahrnehmung Dietzen-bachs" durch Gegenüberstellung pointiert.

4.5.4.1 SozialstrukturIn den beiden Befragungsreihen ist der Frauen-bzw. Männeranteil unter den Befragten in etwagleich groß, es wurden zu 60 % Männer undzu 40 % Frauen interviewt. Bezüglich der Strukturmerkmale gibt es inner-halb der beiden Gruppen folgende Besonder-heiten:Der Großteil (97 ,6 %) der Nutzungsinteressier-ten ist nicht in Dietzenbach geboren, darunterein hoher MigrantInnenanteil (89 ,9 %), größ-tenteils aus der Türkei und Marokko. Auch dieBefragung innerhalb der Quartiere Dietzenbachsergab einen hohen, wenn auch im Vergleich et-was geringeren Anteil Zugezogener (89 ,9 %).Der Anteil der Migrantinnen und Migranten liegtbei 24 ,5 %. Diese kommen ebenfalls überwie-gend aus der Türkei und Marokko, zudem aberauch aus Italien.Von den befragten Nutzungsinteressierten sindüber drei Viertel verheiratet, 80 % haben Kin-der, über ein Viertel mehr als drei. H ier unter-

scheidet sich die Bevölkerungsbefragung deut-lich: Nur 43 % sind verheiratet und 42 ,3 %ledig. Fast die Hälfte hat keine Kinder, 43 ,6 %haben ein bis zwei Kinder, nur 5 ,4 % habendrei, ein verschwindend geringer Anteil (2 %)hat mehr als drei Kinder.Von den Nutzungsinteressierten lebt fast dieHälfte im Spessartviertel, das einen Gesamtbe-völkerungsanteil von 25 % an der Stadt-bevölkerung ausmacht, sowie ein Viertel imWestend. 70 % der potenziellen Nutzerinnen und Nutzerlebt schon länger als zehn Jahre in Dietzenbach,die BewohnerInnen des Spessartviertels sogarzu 77 ,2 %. Das Ergebnis der Bevölkerungsbe-fragung ergibt, dass etwas über die Hälfte schonlänger als zehn Jahre in der Stadt leben. Diffe-renziert nach Quartieren wohnen in den traditio-nellen Quartieren 59 % schon länger als zehnJahre hier, in der "Neuen Mitte" sind dies 45 %im Spessartviertel nur 29 ,2 %.Unter den Nutzungsinteressierten gibt es einenhohen Anteil (46 ,8 %) mit Hauptschulab-schluss, nur 13 ,7 % haben die Realschule ab-solviert oder besitzen das Abitur, nur 15 ,3 %haben studiert. Bei der Bevölkerungsbefragunghaben 30 ,9 % die Realschule und 26 ,8 % dieHauptschule absolviert, 20 ,1 % besitzen Abitur.Der Anteil der Menschen mit einem Studienab-schluss fällt hier mit 14 ,8 % etwas geringer aus.Bei den Nutzungsinteressierten ist der Anteil(43 ,5 %) von Menschen ohne Berufsausbildungrecht hoch. Bezogen auf die Gesamtstadtbevöl-kerung fällt dieser Anteil deutlich geringer aus,nur knapp ein Drittel verfügt über keine Ausbil-dung.Bei den Nutzungsinteressierten ist fast die Hälftenicht erwerbstätig, davon der größte Teil arbeits-los oder im Haushalt tätig. Von den Erwerbstä-tigen ist mit über einem Fünftel der größte Teilals ArbeiterIn tätig. Der größte Teil der Befragtenauf die Gesamtstadt bezogen (43 ,6 %) ist alsAngestellte/r tätig. 41 ,6 % sind nicht erwerbstä-tig, den größten Anteil stellen hier mit 15 ,4 %die RentnerInnen, nur ein geringer Teil (7 ,4 %)ist arbeitslos.

146

Page 147: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Kennzeichnen kann man die Nutzungsinteres-sierten in Relation zu den Ergebnissen der Be-völkerungsbefragung also folgendermaßen:• Der Anteil der Personen mit Migrationshinter-

grund ist größer.• Der Anteil der in Dietzenbach geborenen Per-

sonen ist geringer.• Sie sind häufiger verheiratet und kinderreicher.• Sie leben vor allem im Spessartviertel.• Sie leben recht lange in Dietzenbach.• Sie sind weniger gebildet.• Sie sind häufiger ohne Berufsausbildung.• Sie können mehrheitlich ihre Interessen auf

dem Weg der Wahl politischer Parteien in die Stadtverordnetenversammlung nicht wahrneh-men.

4.5.4.2. Wahrnehmung DietzenbachsFür drei Viertel der befragten Nutzungsinteres-sierten gibt es wichtige Orte, an denen sie sichgerne und häufig aufhalten. H ier wird an ersterStelle die Natur genannt, der Rest der Antwortenbezieht sich auf andere Stadtteile, öffentlich undprivat-öffentliche Räume sowie das Zuhause. Esfehlt aber an einem gemeinsamen Bezugspunkt,es gibt keine wichtigen Orte, denen die Mehr-heit zustimmen könnte. In der Bevölkerungsbefragung ist auffällig, dasses einerseits oftmals keine explizit benanntenOrte gibt, am liebsten hält man sich zu Hauseauf. Meist sind sie auf den jeweiligen Stadtteilbezogen. Öffentliche Orte (Kino, Bürgerhaus)werden mitunter als wesentliche Orte benannt.Mehr als zwei Drittel der befragten Nutzungsin-teressierten entwerfen ein eher positives B ildvon Dietzenbach, sie antworten auf diese Fragemit "Ruhe/Grün", gefolgt von "Heimat". Positivhervorgehoben wird auch die multikulturelle,viele Kulturen umfassende Seite der Stadt. ImRahmen der Befragung der Stadtbevölkerungentsteht für einen Großteil der Befragten einnegatives Bild Dietzenbachs. Größtenteils wirdDietzenbach als Ghetto wahrgenommen (40 ,3 %), gefolgt von "Provinz" (29 ,5 %) und"Langeweile "(23 ,5 %). Positive Zuschreibungenwie "Heimat" nur zu 27 ,5 %, "Ruhe/Grün" sogar

nur zu 17 ,4 %.Für einen Großteil der befragten Nutzungsinter-essierten sind die sozialen Beziehungen vonzentraler Bedeutung: So gefällt an erster Stellebesonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-wandte, NachbarInnen und FreundInnen leben.17 ,5 % der Befragten gefällt die Ruhe und dasGrün besonders gut an Dietzenbach. Über 80 % der Nutzungsinteressierten sind mitdem Leben in der Stadt zufrieden.Bei der Stadtbevölkerung sind es nur 43 %, fastein Drittel (27 ,5 %) ist eher unzufrieden.Dies gilt auch für die individuelle Zukunftspers-pektive in Dietzenbach. Über zwei Drittel derNutzungsinteressierten sehen ihre Zukunft inDietzenbach positiv, innerhalb der Stadtbevöl-kerung sind dies nur etwas über die Hälfte.Ebenso trifft dies für die Einschätzung "Wie wirdDietzenbach in zehn Jahren aussehen?" zu.Über 70 % der Nutzungsinteressierten stellensich Dietzenbach in zehn Jahren positiv vor, ver-bunden mit einem verstärkten Wachstum derStadt. Bei der Befragung in der Gesamtstadtsieht auch hier das Bild anders aus. Über dieHälfte sehen ihre Zukunft in der Stadt eher ne-gativ, nur 46 % gehen von einer positiven Ent-wicklung aus.Zusammenfassend lässt sich über die Gruppeder Nutzungsinteressierten in Relation zurBefragung der Gesamtbevölkerung sagen:• Sie haben ein positiveres Bild von der Stadt.• Ihre Zukunftseinschätzungen sind deutlich

positiver.

4.5.4.3 ResümeeDeutlich wird im Vergleich, dass mit dem Pro-jektansatz 2030 in Dietzenbach eine besondereGruppe erreicht wurde. Man kann sie als Kernevon Aktivität und Selbstorganisation in Stadt-vierteln des Geschoßwohnungsbau ansehen, diesich auf Grund langer Wohndauer vor der Folieeines fast durchgängig vorhandenen Migrations-hintergrunds diese Orte angeeignet haben. Siesind mit ihrem Wohnort vielfältig verbunden.Dies betrifft soziale Netzwerke wie Freundinnen,Freunde und Nachbarinnen, Nachbarn. Dies

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betrifft aber auch Wahrnehmungen und Bilderder Stadt, die im Kontrast zur Betrachtung derGesamtbevölkerung völlig aus dem Rahmen fal-len - in einem deutlich positiven Sinne. Insofern gehört diese Gruppe der kinderreichenarmen Bevölkerung Dietzenbachs mit Migra-tionshintergrund, die keine politischen Mitbe-stimmungsrechte in der Kommune hat und instarker ökonomischer Abhängigkeit von denMöglichkeiten, die die Stadt bietet, steht, zum"Reichtum" der Stadt. Hat sie doch nicht nur einpositiveres Bild von der Stadt, sondern ist auchbereit, statt einer passiven Versorgungsmentali-tät zu frönen, das Angebot der Verbesserung dereigenen Situation durch Projekte wie Dietzen-bach 2030 anzunehmen. Die große Bedeutung,die dabei den Frauen zukommt, ist besonderszu beachten.Durch das Projekt 2030 wurde auf diese Weiseeine Bevölkerungsgruppe identifiziert, die fürden "aktivierenden Staat"51, für den die personel-le und finanzielle Entlastung durch tätige Mitge-staltung der Bürgerinnen und Bürger angesichtsgrundsätzlich veränderter ökonomischer undsozialer Bedingungen immer bedeutsamer wird,eine Bereicherung darstellen kann. Vom Versor-gungsstaat hingegen wird diese Gruppe immernoch eher als Belastung empfunden.

4.5.4.4 EmpfehlungenDie große Zahl der Garten-Wünsche für die Nut-zung einer brach liegenden Parzelle wurde vonpolitischer Seite zwar negativ bewertet, weil hierVorstellungen von Schmuck bzw. Verschönerungvorherrschten. Jedoch könnten gerade Gärtenund Grabeland als Anforderung an eine integra-tionswillige Politik und eine geschlechtergerech-te Stadtplanung begriffen werden. Durch eine "Rückeroberung" des bislang unstruk-turierten und weitgehend ungenutzten Raumesbzw. der Brachflächen durch öffentliche undhalböffentliche, vor allem von Frauen genutztesoziale Räume, könnte das Quartier attraktivund belebt und die Wohn- und Lebensqualitäterhöht werden. Auch bietet gerade der halböf-fentliche Raum der Gärten Anknüpfungspunkte

für nachbarliche Kontakte, die offenkundigeinem Teil der befragten Migrantinnen zur Zeitnoch fehlen. Bezüglich der Nutzung des öffentlichen und pri-vaten Raumes wäre damit eine wesentliche Ziel-setzung von Gender Mainstreaming52 erreicht,nämlich Frauen und Männern die gleichberech-tigte Nutzung des öffentlichen und privatenRaumes zu ermöglichen und somit die Stadt fürFrauen und Männer gleichermaßen lebenswertzu gestalten.Zusammenfassend kann festgehalten werden,dass unsere Vorgehensweise mit ihrer Möglich-keit der temporären Flächennutzungen Politik,Verwaltung sowie die Bürgerinnen und Bürgerzu durchaus unüblichen Handlungen herausfor-derte. Es wurden Bedürfnisse artikuliert, diesich auf den Reichtum der Stadt und die unge-nutzten Ressourcen beziehen: den Boden unddie Bevölkerung. Dieses bislang noch brach lie-gende Potenzial könnte und müsste bessergenutzt werden.Eines dieser bisher ungenutzten Potenziale stel-len die in Dietzenbach lebenden Migrantinnenund Migranten dar. Die Belange und speziellenAnsprüche dieser Bevölkerungsgruppe - einGroßteil besitzt die deutsche Staatsangehörigkeitund hat Dietzenbach als dauerhaften Wohn-standort bzw. Lebensmittelpunkt gewählt -auch

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51 v. Bandemer, Stephan/H ilbert, Josef; Vom expandierenden zum aktivierenden Staat; in: v. Bandemer u.a. (Hrsg.),Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen 1998 , S. 29 .

52 Mit dem Begriff wird eine Strategie zur nachhaltigen Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Män-nern bezeichnet. Diese Top-down-Strategie wurde in fast allen EU-Staaten, so auch in der Bundesrepublik, auf Grund von Vorgaben der Vereinten Nationen und der Europäischen Union implementiert oder befindet sich der-zeit in der Implementationsphase. Zielsetzung ist hierbei,dass die Akteurinnen und Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in alle Entscheidungsprozesse die Perspektivedes Geschlechterverhältnisses einbeziehen und alle Ent-scheidungsprozesse für die Gleichstellung der Geschlechternutzbar machen. D. h. die möglicherweise unterschied-lichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Politikensind zu berücksichtigen. Auch im Bereich der Stadtent-wicklungspolitik besteht daher auf allen politischen Hand-lungsebenen die Anforderung, Gender Mainstreaming inVerwaltungshandeln umzusetzen.

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in H insicht auf die Stadtentwicklung, wurdenbisher noch zu wenig berücksichtigt. Insbesondere die Migrantinnen, die nicht nurdie negativen Aspekte ihrer Wohnumgebungeher wahrnehmen, sondern sich auch von posi-tiven Veränderungen stärker angesprochen füh-len, könnten hier eine wichtige Rolle als Akteu-rinnen in Erneuerungs- und Veränderungspro-zessen einnehmen. Auch ihre stabilisierendeFunktion für die Stadtteile sollte genutzt werden. Als handlungsleitend für die künftige Stadtent-wicklung Dietzenbachs gilt es also, an vorhan-dene Interessen, Aktivitäten und Bedürfnislagenanzuknüpfen, um diese bisher ungenutzte Res-source für das Zusammenleben im Gemein-wesen nutzbar zu machen.

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PROJEKTREALISIERUNG

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4.1 METHODIK, STRATEGIE UNDGENESE

71Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv un-vollendet" bestand aus zwei Projektteilen, dieeng miteinander verknüpft waren. Auf der einenSeite stand das Thema - der Boden in Dietzen-bach mit der Option zur Besetzung durch dieBürgerinnen und Bürger - und auf der anderenSeite die Vermittlungsaktion - die ästhetischeSetzung der Stelenreihe in der Stadtmitte mitder Option zur Transformation. Beide zusammenboten den Bürgerinnen und Bürgern an, für ihreStadt Verantwortung zu übernehmen, und for-derten von ExpertInnen, Verwaltung und Politikfür diese Übernahme von Verantwortung An-knüpfungspunkte zu erstellen.

4.1.1 Ästhetische Setzung

4.1.1.1 Das Medium: Ästhetik und SymbolDas Medium der Kommunikation war eine"ästhetische Setzung" im Stadtraum. Beim Pro-jekt Dietzenbach 2030 handelte es sich umeine Stelenreihe, die sich zwischen den unter-schiedlichen Verkehrsbändern in der Stadtmitteaufspannte. In der Achse der Einflugschneisezum Rhein-Main-F lughafen symbolisierte siedas Ankommen, das (noch) N icht-verwurzelt-Sein der Dietzenbacher Bürgerinnen und Bür-ger, die zum großen Teil "H inzugezogene" sind.1

Damit wurde das zu verhandelnde städtebauli-che Thema, der temporäre Umgang mit unge-nutzten F lächen, sowohl durch den StandortBrachfläche als auch durch die Objektteileselbst versinnbildlicht: Die 2 .500 Holzstelenstanden für die Option eines jeden Bürgers undeiner jeden Bürgerin, sich mittels einer Steleeinen Claim auf einer 100 qm großen Parzelleauf den ausgewiesenen Brachflächen abzuste-cken.Die Präsenz der Stelenreihe im öffentlichenRaum war Zeichen für eine konkrete Hand-lungsoption in der Gegenwart und nicht für einkünftiges Planungsziel, das mit einem Leitbildin der Regel intendiert wird. Als erstes Anzeichen einer Besetzung der F lächelöste die Stelenreihe Nachfragen über die Be-bauung dieses Grundstückes aus. Die an dieser

Stelle verstandene Botschaft ließ sich auf dieBrachflächen in der gesamten Stadt übertragen.Nach der Transformation stellte die individuelleBesetzung einer Parzelle mit vier Stelen quasidie Einfriedung der Brache dar und kann auchals Symbol temporärer Verwurzelung eines Diet-zenbacher Bewohners oder einer Bewohneringelesen werden.

Abb. 30. Montage StelenreiheAbb. 31. Montage Claimabsteckung

gegenüberliegende Seite: KonzeptAbb. 27. Montage der Stelenreihen zwischenden Verkehrsachsen: Kreisstrasse, S-Bahn-trasse, EinflugschneiseAbb. 28. Montage: Stelenreihe durch den OrtAbb. 29. Montage: Stelenreihe als Setzung aufden Brachen in der Neuen Mitte

1 Lt. der durchgeführten Befragung sind nur etwa 10 % der

Bewohnerinnen und Bewohner Dietzenbachs in Dietzen-

bach geboren. Vgl. Kap. 4 .1 .2 .2 .

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4.1.1.2 Der Einfluss der KunstMehrfach wurde die Frage aufgeworfen, ob essich bei der Setzung um Kunst handle oder umeine Installation, um eine Provokation oder umeinen Überraschungscoup.

7.000 Eichen von BeuysInspiriert wurde das Projekt von Josef Beuys'documenta-Werk der 7 .000 Eichen: Ein "Stein-haufen" aus 7 .000 Basaltblöcken wurde vordas Museum Friedericianum gesetzt.2 Dieser be-legte und veränderte den Platz sichtbar, der nurdurch privates Engagement zurückgewonnenund "in Ordnung gebracht" werden konnte. DasKonzept sah das aktive Auftreten der Bürgerin-nen und Bürger vor, die die Entfernung jeweilseines Basaltblockes veranlassen konnten, indemsie den öffentlichen Raum mit einer Baumpflan-zung bereicherten. Die große Anzahl der Elemente - 7 .000 Basalt-blöcke und 7 .000 Eichen - spielte eine nichtunerhebliche Rolle, denn nur so war die Wahr-

nehmung der Störung sowie der nachfolgendenVerteilung über die gesamte Stadt gegeben.Daneben wurde der Aufruf durch Informationenim "Bürgerbüro" für alle verdeutlicht. Jedem undjeder Einzelnen wurde die Chance zur Teilnahmean der Kunstaktion gegeben sowie die Möglich-keit, auf die Gestaltung ihrer Stadt nachhaltigeinzuwirken. Die Bürgerinnen und Bürger in diese Rolle ein-treten zu lassen war auch das stadtplanerischeZiel in Dietzenbach. Ihre Einwirkung wurdeaber nicht als einmalige Aktion, sondern alskontinuierlicher Einsatz in der Stadt gedacht.Analog zu den Basaltblöcken wurde vom Pro-jektteam - also von außen - eine kleinteiligeInstallation in den öffentlichen Raum der MitteDietzenbachs gesetzt. Diese sollte sich - ver-gleichbar mit den Beuys'schen Eichen - durchindividuelles Handanlegen über den gesamtenStadtraum verteilen und dadurch positiv auf dasVerhältnis zur eigenen Stadt einwirken. Durchdie bewusste Übertragung eines künstlerischenKonzeptes auf die Stadtentwicklung wurde dieStadtverwaltung konsequenterweise als Mit-spielerin in das Projekt integriert.

Weitere provokative KunstaktionenDer Künstler Olaf Metzel bringt Menschen, dieAusstellungen in der Regel nicht besuchen, zuvon ihm zuvor veränderten Orten. So bestückteer für die vierte Biennale 1995 in Istanbul einenKiosk mit Devotionalien eines türkischen Fuß-ballvereins und führte dadurch Fußballer undihre Fachpresse ins Museum.Wie Reaktionen auf Projekte eine Eigendynamikentwickeln können, zeigt auf besondere Weiseeine Arbeit des Berliner Künstlerduos p.t.t.red.Zu ihrem Langenhagener Projekt von 1997 , beidem auf dem Marktplatz ein Podium aufgebautwurde und Plakate den Auftritt von U lrike Mein-hof verkündeten, strömten die Massen und ge-rieten in heftige Diskussionen. Die KünstlerInnen provozieren mit ihren Aktio-nen, intendieren jedoch nicht explizit eine Ver-

72

Abb. 32. Beuysprojekt zur dokumenta 1982Basaltblöcke vor dem Friedericianum in Kassel

2 dokumenta-Arbeit, Hrsg. Veit Loers, Pia Witzmann, 1993 .

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änderung, die sie nach eigenen Aussagen nichtvorhersehen können und wollen. Die Ergebnissehaben keinerlei Einfluss auf die Gültigkeit undOriginalität der Idee. Anders die Stelenreihe als Setzung im öffentli-chem Raum im Rahmen des Projektes Stadt2030: Eine ausbleibende Reaktion der Bürger-Innen würde die Stelenreihe als Instrument derStadtplanung disqualifizieren. H ier waren alsodie Ergebnisse ausschlaggebend für die Bewer-tung der Idee.

4.1.1.3 Der Grad des Reizes Durch die Transformation der Installation solltensich einerseits individuelle Handlungsräume fürBürgerinnen und Bürger erschließen und solltesich andererseits das Stadtbild verändern. Esstellt sich die Frage, ob zur Erreichung der not-wendigen Aufmerksamkeit in der Bürgerschaftheute noch eine möglichst provokative Installa-tion - ähnlich dem Beuysprojekt - maßgeblichist.In der heutigen Zeit der Reizüberflutung unddes anything goes vermag man mit Provokatio-nen bestenfalls eine kurzzeitige Verwunderungauslösen. Zumal sich in einer fragmentiertenStadt ohne Mitte und Identifikationsangebote soschnell keine persönliche Betroffenheit wegeneines "Haufens" o. ä. erzeugen lässt - dazu sinddiese in Dietzenbach zu alltäglich. Ziel war esalso vielmehr, den Bürgerinnen und Bürgern dieErnsthaftigkeit des Angebotes und der Aufnahmeihrer Interessen zu vermitteln.Um die Aufmerksamkeit zu erhöhen, sollte an-stelle einer Provokation ein Überraschungscoup,die Installation in einer Nacht-und-Nebel-Aktion,erfolgen. Letztlich war diese Umsetzung aufGrund der Menge der aufzustellenden Stelentechnisch nicht zu bewältigen.Im Nachhinein lässt sich feststellen, dass dasmit der Überraschungsabsicht praktizierte Still-schweigen über die Aktion dem Projekt nichtförderlich war. Denn dies schränkte die Kom-munikation vorab ein, die gerade auf der politi-schen Ebene notwendig gewesen wäre, umweitere Förderer sowie MultiplikatorInnen zu ge-winnen. So beschränkte sich die Kommunikation auf diePartnerInnen im Stadtplanungsamt und auf denBürgermeister, dem die Schlüsselrolle in derUnterstützung zugedacht wurde. Auf das Ange-bot, das Projekt zu dem Seinigen zu machenund sich mit dem Erfolg in der Stadt zu profilie-ren, ging er nicht ein.

73

Abb. 33. Beuysprojekt: Versetzen einesBasaltsteins und Pflanzen einer Eiche

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4.1.1.4 Die Partizipation am AufbauUm das Projekt in einem ersten Schritt in dieBevölkerung zu tragen, wurden im Sinne einerklassischen Beteiligungsstrategie zahlreicheMitmach-Aktionen organisiert. Von Beginn anboten die Stelen die Möglichkeit des Handelns:Schulkinder und Jugendliche waren eingeladen,Hand anzulegen und die Stelen zu bemalen.Von Anfang August bis Mitte September 2002beteiligten sich Gruppen aus den Ferienspielenund der Lernwerkstatt, später kamen Schul-klassen aus verschiedenen Schulen hinzu.Die Vor- und Nachbereitung der Aktionen sowiedie Begleitung der Durchführung erforderteneinen erheblichen Aufwand, der die eigentlichesowie die beauftragte Planungsleistung bei wei-tem überstieg. Auch der Kommunikationsauf-wand, um die Werkstatt- und Schulleiter für dieMitwirkung zu gewinnen, war beträchtlich. DieBeteiligung der Kinder und Jugendlichen solltedas Projekt sowohl in ihrem Umfeld (Eltern,FreundInnen) bekannt machen als auch diePartizipationsprojekten innewohnende Strategievon Akzeptanz und Identifikation bewirken.

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Abb. 34. Faltblatt zur Beteiligung der Schulenan den Aktionen der Stelenbemalung

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4.1.1.5 Die Ritualisierung der TransformationSobald die Aufstellung der ersten 500 Stelendie weitere Reihung erahnen ließ, diente ein"Richtfest" dazu, das Projekt durch den Bürger-meister und das Projektteam der Presse und der

Öffentlichkeit vorzustellen. Von da an konntenWünsche für die Parzellennutzung im Projekt-büro, das in der Mitte der Stelenreihe in einemBauwagen eröffnet wurde, eingereicht werden. Die Fertigstellung der Stelenreihe bot Gelegen-heit, mittels einer Vernissage Presse und Bevöl-kerung über den Stand und den weiteren Pro-jektverlauf zu informieren sowie erste Nutzungs-wünsche als Inspiration zur Teilnahme weitererBürgerinnen und Bürger zu vermelden.Mit der Versetzung der Stelen von der Reihe aufdie Parzelle wurde - wiederum als Event mitPolitik, Presse und Fernsehen - die Inbesitz-nahme ritualisiert und der Claim anschließendvisualisiert. So fanden im Laufe des ProjektesTransformationen auf zwei Ebenen statt: DieStelen verteilten sich von der in der Stadtmitte

konzentrierten Reihe punktuell über die gesam-te Stadt. Brachliegende Freiflächen wurdeneiner temporären Nutzung zugeführt. Permanentist nur der Prozess des Nutzungswandels, denes zu kultivieren gilt.

4.1.1.6 Die Zeichen des HandelnsDie ästhetische Setzung löste in Verbindung mitdem Bauwagenbüro ca. 1 .000 Anfragen aus,die mit annähernd 300 Eingaben zur konkretenNutzung von Parzellen verbunden waren. Als be-greifbares Angebot hielt die Stelenreihe Schwel-lenängste und Verständigungsschwierigkeitengering und förderte so die Vermittlung der Inhal-te gerade auch für viele ausländische Bürgerin-nen und Bürger.Die Stelen bleiben nach Abschluss des Projektsversetzt als sichtbares Zeichen in der Stadt:Einerseits als Zeichen der Teilnahme Einzelnerund ihrer individuellen Übernahme von Verant-wortung für ein Stück Stadt. Gleichzeitig auchals Zeichen des realisierten Gesamtprojektes,das hier von außen initiiert wurde und andern-orts in anderer Form und mit anderem Themavon einer Kommune initiiert werden kann.

76

Abb. 35. Eine Stele als Angebot für jede/n ein-zelne/n BürgerIn zur Projektteilnahme

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Abb. 36. und Abb. 37.Transformation der Stelenaus der Reihe in derStadtmitte auf dasgesamte Stadtgebiet

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4.1.2 Die Kampagne "100 qm"

Das Thema des Bodens wurde in der Kampa-gne "100 qm" umsetzungsorientiert aufgegriffen.Die Kampagne "100 qm" rief zur temporärenBesetzung Dietzenbacher Brachflächen auf unddamit zur Übernahme von Verantwortung fürdie Flächen. Verstärkt und im Stadtraum sicht-bar wurde das Thema durch die Aktion in Formder Stelenreihe. Die Stelenreihe spiegelte dieseneu geschaffene Handlungsoption, indem dieStelen aus der Reihe entnommen und zum Ab-stecken der zu besetzenden 100 qm Dietzen-bacher Boden genutzt werden konnten. Mit dem Thema des Bodens wurde ein Aspektder Stadt und ihrer Geschichte aufgegriffen, andem sich vielfältige Probleme der Vergangen-heit, aber auch Chancen der Zukunft erkennenlassen. Der Boden als für Verkehrsflächen ver-brauchtes Gut, als Gegenstand von Gerichts-verfahren, als Brachfläche und Zeichen für sto-ckende Entwicklung, aber auch als Chance fürdie Bürgerinnen und Bürger, ihren Raum abzu-stecken, sich niederzulassen und heimisch zufühlen. Die Stelenreihe durch die Stadtmitte ver-deutlichte diese Chancen: Mit den Stelen ließensich Claims abstecken, die große Zahl der Ste-len symbolisierte dabei die unglaubliche Anzahlabsteckbarer Claims und damit Handlungsop-tionen der Bürgerinnen und Bürger in der Stadt.Die Kampagne "100 qm" und die Stelenreihebezogen sich aufeinander, verstärkten sich underhielten so städtebauliche Relevanz.Die F lächenbesetzungen der Bürgerinnen undBürger, ihre Projekte auf 100 qm Boden, wur-den Gegenstand von Diskussionen über dieStadt. Die Einzelprojekte wurden zwischenunterschiedlichen AkteurInnen der Stadt verhan-delt, um eine Realisierung der Projekte durchdie Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichenund einen Interessenausgleich zwischen denAkteurInnen zu erlangen. Die Diskussionsgrund-lage war nicht mehr die Projektion einer zukünf-tigen und als ideal gedachten Umwelt in dieGegenwart, sondern das Handeln Einzelner unddamit die Vielzahl der Einzelprojekte.

Diese Herangehensweise erforderte von Exper-tinnen und Experten, Planerinnen und Planernwie von Politikerinnen und Politikern eine par-tielle Abkehr von der Haltung, die diese Gruppenbisher oft als "Katalysator schöpferischer Synthe-se, Verfechter des allgemeinen Wohls und Ver-treter benachteiligter Gruppen" verstanden hat.3

Stattdessen wurde eine Aushandlungskulturnötig, die, statt Gemeinwohldefinition anzustre-ben, der Konsensfindung dienen sollte.

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3 Spiegel, Erika; Konzepte und Modelle zur Gestaltung desPlanungsprozesses, Manuskript, Hamburg im Juni 1992 , zitiert nach Düwel, Jörn und Gutschow, N iels; Städtebau inDeutschland im 20 . Jahrhundert, Verlag B .G. Teubner, Stuttgart 2001 , S.170 .

Abb. 38. Paradies auf 100 qm

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4.1.2.1 StrategieDie entwickelte Strategie lässt sich in fünfArbeitsphasen gliedern:

Beschreibung des Themas oder "Nervs" derStadtIn einem ersten Schritt wurde das zentrale The-ma der Stadt gesucht. Dazu wurden Einzelbeob-achtungen mit H ilfe von Methoden wie Back-casting und Scapes identifiziert und extrapoliert.In der anschließenden Diskussion der gewonne-nen Ergebnisse wurde das zentrale Thema defi-niert. Als Thema wurde der Boden in Dietzen-bach aufgegriffen.Innerhalb des Entwicklungsbereiches ist er alsBrache und Leere präsent.4 In Vorbereitung aufdie Kampagne "100 qm" befasste sich das Pro-jektteam intensiv mit den Eigentumsverhältnis-sen, mit dem Stand der Entwicklungsmaßnah-me, mit den politischen Einflussnahmen auf dieEntwicklung und der städtebaulichen Relevanzeinzelner Flächen innerhalb des Projektes. InGesprächen mit AkteurInnen in der Stadt wieVerwaltung, EigentümerInnen sowie Vereinenwurden dreißig F lächen identifiziert, die inner-halb des Projektes diskutiert werden sollten.Diese Auswahl verstand sich als vorläufig.Auffallend war allerdings, dass weder F lächenhinzugefügt wurden noch alle genanntenFlächen innerhalb des Projektes in die öffent-liche Diskussion gerieten.

Transformation des Themas in eine umset-zungsorientierte Kampagne Das Thema wurde durch den Aufruf zur Beset-zung des Bodens von einer reflektierenden Be-trachtung der Situation in eine konkrete Hand-lungsoption transformiert. In intensiven Diskus-sionen wurden Gefahren und Chancen einessolchen Aufrufs vom Projektteam gegeneinanderabgewogen. Die rechtlichen Konsequenzen wur-den mit H ilfe von ExpertInnen in der Verwaltungbedacht und ein Vertragsmuster für eine tempo-räre Bodennutzung entworfen. Versicherungsrechtliche Fragen wurden sowohlbei Grundstücken in städtischem Eigentum als

auch bei Grundstücken in Privateigentum relativschnell und unbürokratisch gelöst.Sehr viel kontroverser wurde die Art der tempo-rären Nutzung diskutiert. Die Angst vor Kontroll-verlust seitens der Verwaltung und vor allem derPolitik beschnitt hier die Nutzungsvielfalt schonim Vorfeld erheblich. Bei den durchgeführtenProjekten sollte sich diese Vorsicht als unbe-gründet herausstellen. Es kam bisher weder zurZerstörung von Projekten noch zu Problemenbei der Wiederherstellung der Flächen.

Entwurf eines Prozesses zur Umsetzung Für die in dieser Form neue Zusammenarbeitvon Politik, Verwaltung, Bürgerinnen und Bür-gern wurde ein Vorgehen konzipiert, das dieVerwaltungsabläufe beschleunigen und trans-parent gestalten sollte. Die Abstimmung zwi-schen Verwaltung und Politik wurde zeitlichengmaschig angelegt. Das frühzeitige Aufgreifenvon Bürgerideen stand im Mittelpunkt diesesVorgehens.

Das Thema in die Stadtöffentlichkeit bringenDas Thema Boden wurde in enger Abstimmungmit der Stelenreihe in Form von 10 .000 F lug-blättern sowie 400 Plakaten mit dem Aufruf zurBesetzung und mit Informationen über Ablaufund AnsprechpartnerInnen in die Öffentlichkeitgetragen.Verstärkt wurde die Kampagne durch die ästhe-tische Setzung, die das Thema des Bodens auf-greift und stadträumlich sichtbar werden lässt.Sie zeigte durch die Stelen auch die Handlungs-optionen für jede einzelne Bürgerin und jedeneinzelnen Bürger auf, mit vier Stelen aus derStelenreihe ihre/seine 100 qm Boden absteckenzu können.

79

4 Vgl. Kapitel 2: Baustruktur, Fragmentierung.

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Begleitung der Umsetzung und Anstoßen vonlangfristigen ProzessenDie Beratung der Bürgerinnen und Bürger beider Umsetzung ihrer Ideen stellte sich als sinn-voll heraus, da der Vorgang selbst nicht einge-übt war.Parallel zur Besetzung einzelner Flächen wur-den die für das Projekt notwendigen Verfahrenin Politik und Verwaltung der jeweiligen Aufgabeangepasst. Die Presse wurde möglichst weitge-hend über den jeweiligen Stand des Projektesinformiert.Das Entstehen langfristiger Strukturen, z.B . inForm von neu zu gründenden Vereinen, oderEngagement im Rahmen bestehender Struk-turen wie dem Ausländerbeirat wurde geför-dert. 5

Das Projekt wurde durch einen Bauwagenergänzt, in dem von ProjektmitarbeiterInnenInformationen zur Kampagne "100 qm" und derStelenreihe weitergegeben wurden. Er erwiessich als sehr gut angenommenes, niedrig-schwelliges Angebot für Bürgerinnen undBürger.6

4.1.2.2 Thema finden - Nerv treffenDas Thema des Bodens wurde nach einer Rei-he von Vorarbeiten, die an der TU Darmstadterfolgten, festgelegt. Eine Annäherung an dieDietzenbacher Situation und für die Stadt städ-tebaulich relevante Themen wurde in Zusam-menarbeit mit Studierenden erbracht. Im Winter 2001 wurde an der FachgruppeStadt eine städtebauliche Übung herausgege-ben, die es zur Aufgabe hatte, kleine Entwick-lungen in Dietzenbach aufzuspüren und dieseEinzelentwicklung in einer Projektion auf dasJahr 2030 fortzuschreiben. Die Ergebnisse die-ser Fortschreibung sollten dann zurückgebro-chen werden auf Erkenntnisse oder Empfeh-lungen für die Gegenwart.

Die studentischen Arbeiten griffen sehr unter-schiedliche Beobachtungen auf. Ein Team, daszusammen mit einem Mathematiker arbeitete,errechnete unter statistischer Modifikation einesParameters, dass Dietzenbach mit einiger Wahr-

80

5 Vgl. hierzu: Internationale Gärten Göttingen, www.interna-tionale-gaerten.de.

6 Vgl. Kapitel 4 .3 .3: 1 .000 Stellungnahmen, 292 konkrete Nutzungsideen.

Abb. 39. Statistik, Studentenarbeit TUD

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scheinlichkeit im Jahr 2030 die gesamte ar-beitsfähige Bevölkerung Hessens beheimatenkönnte. Andere Teams thematisierten die Ju-gend der Bevölkerung. Ein Team schrieb die mitdem Hessentag eindrucksvoll begonnene Festi-valisierung der Stadt fort mit dem Ergebnis,dass die Stadt im Jahr 2030 die olympischenSpiele ausloben könnte. Die Ausbildung voneiner großen Zahl von Zentren stand im Mittel-punkt einer Arbeit, mit dem Ergebnis der Frag-mentierung in kleinste Dorfeinheiten bis zumJahr 2030 . Ein Team schließlich schlussfolgerteaus Videointerviews mit Bürgerinnen undBürgern die Umlagerung der Großwohnanlagenauf die dünn besiedelten oder brachliegendenFlächen der Stadt. In der Diskussion über diese erarbeiteten Scapeskristallisierten sich über einen langen Zeitraumdie für das Projekt 2030 relevanten Themenheraus. Dazu gehört die demographische Ent-wicklung, die für Dietzenbach eine extrem junge

Bevölkerung ergibt, sowie die Asymmetrie vonWohnform und Bodennutzung bzw. fehlendeVerfügbarkeit von Boden für einen großen Teilder Bevölkerung. Die Studentinnen und Studenten erarbeitetendiese Projektionen in Anlehnung an aktuelleniederländische Beispiele. Diese extremenSzenarios oder Scapes behandeln ein jedes denEinfluss von nur einer Einzelentwicklung bzw.

Beobachtung auf die Stadtplanung und projizie-ren diese auf lange Zeiträume. Die Scapes wan-dern dabei auf dem Grat zwischen ernsthafterKritik und Polemik.7 Aus den aus den Scapesentwickelten Argumenten in der städtebaulichenDiskussion folgt dann eine konkrete gegenwärti-ge Form, die sich direkt aus den Scapes ablei-ten lässt, und in sich das Argument als fiktiveFunktion widerspiegelt. Form follows fiction stattform follows function.8

In einer Weiterentwicklung der niederländischenBeispiele wurden im vorliegendem Projekt dieaus den Scapes gewonnenen Anregungen in derKampagne "100 qm" aufgegriffen. Die Kampag-ne bot Bürgerinnen und Bürgern einen Anlass,in ihrer Stadt und in ihrem Interesse aktiv zuwerden. Politik und Verwaltung wurden gefor-dert, dafür Abläufe und Strukturen zu entwi-ckeln. Verstärkend wurde zeitgleich die Wahr-nehmung des Stadtraumes durch das Einfügeneiner symbolisch mit dem Thema verbundenenästhetischen Setzung verändert. Es wurden also die Beobachtungen jenseitsihrer Wertung auf ihr Umsetzungspotenzial hinuntersucht. Eine städtebaulich relevante Um-setzung, ein Anstoßen von Prozessen war dasZiel der Strategie. Damit wurde das Handelnnicht auf ein "Später" verschoben, sondern eswurden konkrete Herausforderungen geschaffenund Druck erzeugt, mit diesen Herausforde-rungen umzugehen. These war, dass aus die-sem Umgang eine Auseinandersetzung mitstädtebaulichen Themen abgeleitet werdenwürde.

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7 Vgl. MVRDV; METACITY / DATATOWN , 010 Publishers, Rotterdam, 1999 , S. 64 - 93

8 Bosman, Jos; form follows fiction, von der Meta City zur Mega City in: Daidalos 74 , Berlin, 2000 .

Abb. 40. Studentenarbeit TUD

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4.1.2.3 VorbilderVorbilder für diesen Ansatz lassen sich sowohlin der Kunst als auch in Architektur- und Pla-nungstheorie finden. Im Bereich der Kunst seineben der schon beschriebenen Beuys Aktion‚7000 Eichen' auf folgende KünstlerInnen undihre Arbeit verwiesen:9

WochenklausurDie derzeit aktive österreichische KünstlergruppeWochenklausur agiert ebenfalls im städtischenRaum.10 Sie arbeitet jeweils für acht Wochen aneinem Ort. Im Vorfeld ihrer Arbeit versucht sieden Ort zu analysieren, sie sucht nach einemAspekt des Ortes, d.h. auch der Stadt, der dannin einem Projekt aufgegriffen wird. Es ist ihnenwichtig, zu einer Veränderung der Situation vorOrt beizutragen. Die Situation wird dabei meistals soziale Situation beschrieben. Sie versuchendurch ihren Blick von außen Dinge in Bewe-gung zu bringen, die von den städtischen Ak-teurinnen und Akteuren nicht mehr wahrge-nommen werden oder für die bisher keine Lö-sung entwickelt werden konnte. Innerhalb deracht Wochen setzen sie dann ein Projekt wiez.B . die ärztliche Betreuung von Obdachlosenum und versuchen eine Struktur zu entwickeln,die das Projekt auch langfristig trägt. Nach achtWochen verlassen sie die Stadt wieder.In der Architektur- und Planungstheorie lassensich ähnliche Tendenzen beobachten. Allerdingsfokussieren diese in der Regel auf den Stadt-raum und weniger auf den sozialen oder politi-schen Raum der Stadt. Gemeinsam ist ihnen,dass sie versuchen, die Diskussion über Inhalteabzulösen durch eine Betonung des Prozesses.Sie geben damit den keinen Veränderungen denVorzug vor nicht zu realisierenden Zukunfts-räumen. 11

Chora / BunschoutenChora untersucht akribisch die Möglichkeit,durch Mini-Szenarios im städtischen Raum neueEntwicklungsoptionen, Potenziale auf ihre Wirk-samkeit, Kommunizierbarkeit hin auszutesten.Die Mini-Szenarios können sich zu Erzählungenund Geschichten entfalten. Akteure in der Stadtkommen durch diese Szenarios in Kontakt mit-einander. Im günstigsten Fall entstehen durchdie Szenarios neue Entwicklungsdynamiken und

82

9 Vgl. Kap. 4 .1 .1 .2 .10 www.wochenklausur.at.11 Vgl. auch Spiegel, Erika in: Planung + Projekte, Verständi-

gungsversuche zum Wandel der Planung, Hrsg. Donald A.Keller, Michael Koch, Klaus Selle, Dortmunder Vertrieb fürBau- und Planungsliteratur, Dortmund 1998 , S.16 - 21 .

Abb. 41. Urban Flotsam, Chora, RaoulBanschouten

Textures of the Loom: some elements for weavingA Pull of the Mountain. Desire for paradise. The Wilderness.

The Landscape.B The fold as the gate, regulating the pull towards the lands-

cape. Existing institutions as "gatekeepers"C The river, origin of Linz, source of the floodplane. Horizon

of the second frame. The river creates the open space.D F issure: singularity of the earth, geomorphic boundary of

the Traun basin.E Industrial cores, economic engines, city blight, ecological

banes, complex symbols, architectural showcases.F Gardening, model airplanes and other leisure.G The Euro-harbour, Pearl of the Loom, music theatre, fringe

culture, living on the water.H Living in the Loom, housing estates and other residential

use.

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Diskurse in der Stadt. In daraus entstehendenKonflikten wird die Chance zur Reorganisation,d.h. Veränderung, gesehen. In der Stadtplanunggilt es die Dynamiken zu erkennen, die sich fürsolch eine Entwicklung eignen, und diese Dyna-mik in ihrer Entwicklung zu fördern. Die Stadtplanerinnen und Stadtplaner tretennicht mehr als ideale EntwerferInnen auf, son-dern als OrganisatorInnen inhaltsoffener Pro-zesse. Sie greifen informelle, Bunschoutennennt sie weiche Strukturen in der Stadt, auf,aus denen ein neues Szenario in der Stadt unddamit eine neue Entwicklungsdynamik entste-hen könnte.

KönigsKönigs betont ähnlich wie Chora die Prozess-haftigkeit von Stadtentwicklung. Eine Zielformu-lierung für die Zukunft wird abgelehnt.Stadtplanung wird mit einem Open-Source-Projekt verglichen. Qualität und Verbesserungenwerden durch die Teilnahme vieler Menschengarantiert, die ihre Ideen und Kompetenzen indas Projekt einbringen können. Voraussetzungist eine Offenlegung der bisherigen Projektstruk-tur und des vorhandenen Wissens.12

MVRDVDie Architektengruppe MVRDV macht durch dra-matische Hochprojektionen und deren plakativeDarstellung auf planungsrelevante Entwicklun-gen aufmerksam. Es entstehen als Darstellunggut gestaltete Entwürfe, so zum Beispiel "pigcity", zu gigantischen Hochhäusern gestapelteSchweinekoben, die auf die ungebremste Aus-weitung der Schweinemast in der niederländi-schen Landwirtschaft hinweisen, oder dieN iederlande als ein einziges Häusermeer alslangfristige Fortschreibung der ungebremstenZersiedelung der Landschaft. Diese Entwürfesind keineswegs als die Lösung eines Problemsgedacht, sondern als die mehr oder wenigerzynische und aufrüttelnde Ästhetisierung vonFehlentwicklungen. Über erfolgreiche Ausstel-lungen vermitteln diese Entwürfe die zu Grundeliegenden Tatsachen an ExpertInnen und die

Öffentlichkeit.Aus der Auseinandersetzung mit diesen Ein-flüssen entstand eine Strategie, die maßgeblicheCharaktere von diesen Beispielen übernimmt:• Sie hat die Fähigkeit, einen Diskurs zu initi-

ieren.• Sie trägt die Möglichkeit der Transformation

in sich.• Sie fordert nichts, ermöglicht aber vieles.• Sie identifiziert ein Thema und verbindet es

mit einer konkreten Handlungsoption für Bürgerinnen und Bürger und schafft damitAnknüpfungspunkte zwischen verschiedenenAkteurInnen in der Stadt.

• Sie verwirklicht mit der ästhetischen Setzungeine sinnlich wahrnehmbare und symbolischmit dem Thema verbundene Aktion in derStadt.

• Sie lebt von zufälligen Einflüssen und emp-findet diese nicht als störend.

• Sie verändert die Rolle der ExpertInnen von klassischen EntwerferInnen zu Organisa-torInnen der Prozesse und sich entwickeln-den Dynamik.

Die Strategie macht es sich zum Ziel, über denProjektzeitraum hinaus städtebaulich nachhalti-ge Entwicklungen anzustoßen und damit Dyna-mik zu erzeugen.

83

12 Königs, U lrich; Divercity - Strategien zur Entwicklung desurbanen Raumes in: strategischer Raum, Urbanität im ein-undzwanzigsten Jahrhundert, Internationales Forum für Gestaltung, Süddeutsche Verlagsgesellschaft, U lm 2000 ,S.56 - 72 .

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4.2.1 Voraussetzungen: Verhand-lungen mit der Verwaltung

Das einfache Erscheinungsbild der Stelenreihetäuscht darüber hinweg wie aufwändig es wardie Genehmigungen einzuholen, um eine fastununterbrochene Reihe von 2 .500 Stelen in600 Meter Länge durch das Zentrum der Stadtzu legen. Bei Privateigentümern, Landes- Kreis-und Stadtämtern war Überzeugungsarbeit zu lei-sten. Die Schwierigkeiten Privateigentümer zurEinwilligung in eine auch nur temporäre Nut-zung ihrer Flächen zu bewegen, sind allgemeinbekannt; die Angst vor einer sich verstetigendenInbesitznahme vielleicht auch verständlich.Dennoch konnten in mehreren Gesprächen unddurch die Präzisierung des Vorhabens Bedenkenzerstreut werden. Bei einer klar beschriebenenAktion mit fester zeitlicher Begrenzung stimmtenselbst die Privateigentümer und die übergeord-nete Verkehrsbehörde der Nutzung ihrer Flächezu. Jedoch an der Stelle, an der die Stelenreihedie Bundesstraße überqueren und sich auf einerVerkehrsinsel fortsetzen sollte, wollte die zustän-dige Verkehrsbehörde die Straße auch für weni-ge Stunden nicht verengen. Im H inblick daraufist der mögliche Verbleib von Stelen auf diesemAbschnitt im Stadtraum ein erfreuliches Ergeb-nis. Der Bürgermeister selbst stellte den Antragbeim zuständigen Straßenbaulastträger, der eineunbefristete Nutzungsdauer des Mittelstreifensschließlich bewilligte.

4.2.2 Entgegensetzung: Kosten-faktor

Während der Planung konkretisierten sich dieAusgaben für weitere Aktionen im Rahmen derStelensetzung. Aus Zeitgründen konnte nichtabgewartet werden, bis alle Schulklassen bereitwaren, sich an der Malaktion zu beteiligen.Dann hätte man auf professionelle H ilfe zu-rückgreifen müssen. Auf Grund dessen ent-schied die Projektsteuerungsgruppe, die Zahlder Stelen von 10 .000 auf 5 .000 zu reduzie-ren, die Zahl der aufgestellten Stelen auf 2 .500zu beschränken und die übrigen zum Absteckender Parzellen in Reserve zu halten. Zunächstwar vorgesehen, symbolisch für jeden Haushalteine Stele, also 10 .000 Stelen aufzustellen.

84

4.2 SETZUNG DER STELENREIHE

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4.2.3 Inszenesetzung des Pro-zesses

Die Bemalung der Stelen bewirkte die Einbin-dung von Jugendgruppen wie der Lernwerkstattin Dietzenbach, die problematischen Schulkin-dern handwerkliche Kenntnisse vermittelt. Mitden SchulleiterInnen musste abgestimmt wer-den, zu welcher Zeit im Rahmen des jeweiligenLehrprogramms der Einsatz erbracht werdenkonnte. Die Malaktion fand auf den Brachen im Zen-trum statt, erzeugte Neugier und vermittelteeine Offenheit zum Mitmachen. Dies geschahdurch unser Angebot an Interessierte, denPinsel in die Hand zu nehmen. Die Malaktion lieferte mittels dessen, was dageschah, Bilder mit wichtigen Inhalten des Pro-jektes. Der ungezwungene Pinselstrich und dasSignieren verdeutlichten das Individuelle. DasMalen in Gruppen von Schulkindern und ihrselbst auferlegter Wettstreit, wer die meistenStelen bemalen wird, verdeutlichte ihnen dasleichtere Weiterkommen durch Kommunikationund Kooperation. Die einheitliche Farbauswahlund die einfache Gesamtform vermittelten, dasses sich um eine die gesamte Stadt betreffendeAktion handelt. Die kreisrunde bzw. sternförmi-ge Aufstellung der Malwerkstatt zeigte, dassauch das Improvisierte und Temporäre schönund kommunikativ sein kann. Kinder kamenfreiwillig außerhalb der Schulzeit wieder, umweitere Stelen zu bemalen.

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Abb. 42. Bildcollage Anlieferung

Folgende Seiten Abb. 43. Bildcollage“Malaktion”

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88 4.2.4 Einsetzung: Aufbau derStelenreihe

Die Aufstellung der Stelen war technisch bedingteine professionelle Aufgabe. Das Bohren verliefentsprechend der Bodenschichtung und parallelzum Fortschritt der Malaktion.Dadurch konnten die Kinder während sie mal-ten, die Stelenreihe entstehen sehen. Dies warfür die Kinder ein Ansporn zum Weitermachen.Der ganze Prozess dauerte lange genug, um alseine weitere Etappe der Vermittlung, sowohl fürdie Kinder als auch für Erwachsene, zu dienen.Viele PassantInnen stellten Fragen über die ent-stehende Reihe und diskutierten über den Sinnoder Unsinn eines solchen Vorhabens in Diet-zenbach. In der Regel waren sie vor allem umdie Unversehrtheit der Stelenreihe besorgt - inDietzenbach eine nicht unbegründete Sorge.Der befürchtete Vandalismus trat jedoch nuräußerst geringfügig ein, da nur wenige Stelenumgestoßen wurden. Sobald die Verbindung zwischen der Stelenreiheund den 100 qm Parzellen verstanden wurde,wurden wir mit Fragen überschüttet wie das vorsich gehen könnte. Besonders Kinder warenwährend der Malaktion eifrig dabei sich auszu-malen, was sie alles mit 100 qm anfangenkönnten. Dadurch bot die Malaktion eine weite-re Gelegenheit zum sich Austoben. Manche Fra-gen wurden von unserer Seite beantwortet an-sonsten verwiesen wir auf den Infowagen naheder Mitte der Stelenreihe. Damit wurde aucheine weitere Phase des Projektes aktiviert, diejetzt gleichzeitig mit der Malaktion und demAufbau lief. Diese Art von Vielschichtigkeit der Aktionen undAngebote beim Aufbau der Stelenreihe stärktedie Vermittlung des Projektes an die Bevölke-rung.

oben: Abb. 44. BohrerSeite 89:Abb. 45. Bildcollage “Stelensetzung”

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Abb.46. Stelenreihe im Winter

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Abb.47. Stelenreihe im Sommer

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4.2.5 Entsetzung: Reaktionen

Die Errichtung der Stelenreihe wurde feierlichzunächst durch ein "Richtfest" nach dem Auf-stellen der ersten 500 Stelen, dann einer Presse-konferenz und einer Vernissage begleitet. Dabeistellte sich das Projekt der Öffentlichkeit undder überregionalen Presse vor. Die geringe Zahl an AbonnentInnen in Dietzen-bach selbst ließ wenig Hoffnung auf eine Wir-kung in der Stadt durch die Berichterstattung.Dennoch gab es durch Leserbriefe beachtlicheReaktionen. Sie waren in der Regel positiv,obwohl die übliche Kritik von Geldverschwen-dung nicht ausgeblieben ist.13 Schlagwörter wieStelenzauber und Riesenmikado zeigten Ver-ständnis für den spielerischen Charakter desProjektes und belegten die Stelenreihe mit posi-tiven Assoziationen.An der Fußgängerbrücke über die Bundesstraßeformten sich acht Stelen zu einer Art Torgebilde,ein Schlussstein in der geographischen Mitteder Stelenreihe, gut sichtbar sowohl für Fußgän-gerInnen als auch für AutofahrerInnen auf derBundesstraße. Trotz der professionellen Befes-tigung deklarierte das Ordnungsamt die Stelenzu einer großen Gefahr für klettermutige Kinder.Wegen der Vorbehalte ordnete das Stadtpla-nungsamt ihre Entfernung an.Große Bedenken äußerten die städtischen Be-triebe, als es darum ging, einen mit hochge-wachsenen Büschen belegten Randstreifen derBundesstraße mit Stelen zu besetzen. Um dieStelen zu setzen und dann sichtbar werden zulassen, mussten die Büsche zurückgeschnittenwerden. Dazu bedurfte es mehrerer Gesprächeund Ortsbesichtigungen, bis der Stadtrat alszuständiger Dezernent seine Einwilligung gab.Heute, nach einem Jahr, wachsen die Büschewieder und scheinen bald die zurückgelasseneLeere zu füllen.

92

13 Vgl. Kap. 4 .1 .1 .

Presseartikel, AusschnitteAbb. 48. Dreieich Spiegel 28.10.02

Abb. 49. Offenbach Post 15.10.02Abb. 50. Dreieich Spiegel 15.10.02

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4.2.6 Versetzung: Transformationder Stelenreihe

Ein weiteres Ritual geschah an den Tagen derEntnahme von Stelen für das Abstecken der100-qm-Parzellen. Zu diesem Anlass waren dieneuen PächterInnen der Parzellen eingeladen,selbst die Stelen aus der Stelenreihe zu entneh-men und sie in einen Transportwagen zu laden.Dabei kamen sie in Kontakt mit Gleichgesinn-ten, wodurch eine Gelegenheit zur Kommuni-kation gegeben war. Die Erzeugung von Lückenin der Stelenreihe, als sichtbares Zeichen derProjektannahme, konnte in der Folgezeit nochUnentschlossene animieren. In diesem Sinne ist zu unterstreichen, dass dieStelenreihe als sichtbares Objekt im öffentli-chem Raum wertvolle Dienste leistete, umeinem Projekt über einen längeren ZeitraumPräsenz im Bewusstsein der Bevölkerung zuverschaffen.

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Abb. 51. Collage: Stelenentnahme undVersetzung

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4.2.7 Zeichensetzung: IndividuelleTeilnahme

Im Rahmen der Kampagne 100 qm errichteteine Familie einen temporären Hühnerstall. Diesorgfältige Gestaltung bis hin zur Hühnerleiterzeugt von der Vielfalt der Möglichkeiten, zudenen das einfache Element der Stele die Bür-gerInnen anregte.

Über die Claimabsteckung mittels der Stelenaus der Reihe auf einer ersten Brachfläche inder Waldstrasse wurde die temporäre Inbesitz-nahme der Parzellen für alle wahrnehmbar.Da die Umsetzung auf den 100-qm-Parzellenim vorhandenen Zeitraum kaum stattfand, wur-de Interessierten in der Schlussphase des Pro-jektes die Mehrzahl der Stelen ohne Auflageeiner Parzellennutzung angeboten.

Es gab lediglich die Vorgabe, die Stelen sichtbarim öffentlichen Raum zu verwenden. Binnenweniger Tage waren die Stelen vergriffen.BürgerInnen setzten Stelen dazu ein, Heckeneiner öffentlichen Grünanlage vor unsanftenPflegeschnitten zu schützen.

Auch das Gartenamt, das die Stelen zuProjektbeginn als unbrauchbar abgewiesenhatte, sicherte sich am Ende eine große Anzahlvon Stelen, u. a. als Anwachsstütze jungerBäume. Zwar gab es auch einige wenige, dieBäume im eigenen Garten abstützen wollen,doch die Mehrzahl der Anfragen war gemein-nützig ausgerichtet.

Abb. 52. / Abb. 53. Individuelle Anlage

Abb. 54. / Abb. 55. Claimbesetzung

Abb. 56. / Abb. 57. Öffentliche Grünanlage

Abb. 58. / Abb. 59. Pflanzhilfen

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Von der Malaktion inspiriert, gestalten Schülerim Kunstunterricht über 50 Stelen und diskutie-ren dabei über das Miteinander der Kulturen inder Stadt.

Pfadfinder errichteten mittels der Stelen einenWindschutz auf ihrem bereits genutzten Grund-stück auf einer Hügelkuppe und bereichertenihre Außenanlagen durch einen aus Stelen kon-struierten Grill.

Ein Sportverein aus Steinberg markierte mit denStelen einen bestehenden Rundlauf im Wald,um auch den nicht vereinsgebundenenSportlern eine bessere Orientierung zu ermög-lichen.

Die Sportvereinigung Dietzenbach vereinheitlichtmit Stelen die Umfassung ihres Außenbereichssamt Biergarten und gestaltet damit gleichzeitigeinen Stadteingang an einer großen Kreuzungnach Dietzenbach.

Abb. 65. Stadteingang

Abb. 63 / Abb. 64. Orientierung

Abb. 61. / Abb. 62. Vereinsdarstellung

Abb. 60. Gedankenstütze

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4.3.1 Faltblatt und Plakate

Als Informationsgrundlage für die Kampagne"100 qm" diente ein Faltblatt, auf dem einepolemisch verfälschte Stadtkarte abgebildet war.Darin waren auffallend leere Flächen herausge-hoben und damit in das Zentrum der Wahr-nehmung gerückt. In einer Darstellung wurdeeine F läche beispielhaft in 100-qm-Parzellenaufgeteilt dargestellt. Den leeren Flächen wur-den Nummern gegeben, um sie identifizierbar,benennbar und handhabbar zu machen. Die Kartierung auf dem Faltblatt wurde als stra-tegisches Instrument eingesetzt, um Potenzialein der Stadt auszuloten und sichtbar zu machen.Die "gefälschte Karte" wurde 10 .000-mal durchSchülerinnen und Schüler an DietzenbacherHaushalte verteilt. In sieben Sprachen rief dasFaltblatt die Bürgerinnen und Bürger auf, leereFlächen in ihrer Stadt zu entdecken, dafür Ideenzu entwickeln und sie zu besetzen. Vorangegangen war der Verteilung eine intensi-ve Recherche über die Dietzenbacher Brachen,über ihre Besitzverhältnisse und ihren Planungs-stand. Flächencharaktere wurden herausgear-beitet, Gespräche über Vergangenheit, Statusund Zukunft der F lächen geführt, die F lächenwurden ausgewählt und gewertet bis hin zuSzenarien und Empfehlungen hinsichtlichNutzungs- und Besetzungschancen.

Während dieser Gespräche wurde das Thema also schon bei vielen Beteiligten vorbereitet.Zeitgleich mit den Faltblättern wurden an unter-schiedlichen Stellen im Stadtraum Plakate auf-gestellt. In vier Motiven, Paradies auf 100 qm,Stadion auf 100 qm, Königreich auf 100 qm,und Basar auf 100 qm, haben sie auf die Op-tion zur Nutzung von Brachflächen hingewiesenund auf die Internetseite des Projektes aufmerk-sam gemacht. Die Plakataktion hatte dabeiwenig Öffentlichkeitswirksamkeit. Das MotivBasar wurde vom Ordnungsamt wegen Aufrufszu illegaler Handelstätigkeit untersagt. Die übri-gen Plakate verschwanden äußerst schnell undwurden teilweise in Privatwohnungen als Wand-schmuck wieder gesehen.

98

4.3 ÖFFENTLICHKEITSARBEIT

Abb. 66. Paradies auf 100 qmAbb. 67. Stadion auf 100 qm

Abb. 68. Königreich auf 100 qmFolgende Seite : Abb. 69. Faltblatt

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4.3.2 Arbeiten im öffentlichenRaum - der Bauwagen

4.3.2.1 Beschreibung des AnsatzesUm eine Diskussion über Brachflächen undtemporäre Nutzungen vor Ort zu ermöglichen,wurde ein Büro in einem Bauwagen an derRakovnikpassage - in der Mitte der Stelenachse- eingerichtet. Wichtig war hierbei, außer derNähe zur Stelenreihe, dass der Standort aucham zentralen Fußweg für alle DietzenbacherStadtteile westlich der "Neuen Mitte", der Altstadtund Hexenberg lag. Die Bürgerinnen und Bürger Dietzenbachskonnten in diesem Projektbüro von August bisDezember 2002 an sechs Tagen in der Wocheeinen Nutzungswunsch äußern, die Größe derFläche konnte maximal 100 qm pro Person be-tragen, um möglichst vielen Dietzenbacherinnenund Dietzenbachern die Chance der Teilnahmezu ermöglichen. Die Nutzungswünsche wurdenim Projektbüro aufgenommen und dokumen-

tiert. Bezüglich dieser Wünsche wurden keiner-lei Vorgaben gemacht. Dieser niedrigschwellige Beteiligungsansatzsetzte ein hohes Maß an Eigeninitiative derBürgerinnen und Bürger voraus, die Menschenwurden gerade nicht aufgesucht, sondern wur-den selbst initiativ. Unter diesen Bedingungenist es als bemerkenswert anzusehen, dass sichso viele Menschen interessiert und beteiligthaben. Das Projektbüro vor Ort diente auch der nichtstandardisierten teilnehmenden, unmittelbarenBeobachtung der Kommunikationsprozesse zwi-schen den Akteurinnen und Akteuren. Durchdas Angebot - der Möglichkeit der temporärenF lächennutzung - wurde ein Schlüsselreiz ge-setzt und der daraufhin folgende Verlauf beob-achtet. Bei der verwendeten Kombination von teilneh-mender Beobachtung und nicht standardisier-tem Verfahren nahmen die Projektmitarbeiter-innen und -mitarbeiter vor Ort unmittelbar anden zu erforschenden Lebenszusammenhängenteil. Für die nicht standardisierte Beobachtungwurde eine vollkommene Offenheit in jederBeziehung angenommen, erst im Feld entwi-ckelten sich Gegenstände und Perspektiven.Die Feldbeobachtungen wurden chronologischprotokolliert.

100

Abb. 70. Büro im Bauwagen

Abb. 71. Standort desBauwagens an der

Kreuzung von Stelen-reihe und Fußweg

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4.3.2.2 Struktur des Publikums Die Mobilisierung von Teilen der DietzenbacherBevölkerung kann als gelungen angesehen wer-den: Während des Projektzeitraums wurde dasProjektbüro vor Ort von ca. 1 .000 Menschenfür Fragen, Anregungen und Kritik genutzt, 260Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürger melde-ten sich dort bzw. beim Stadtplanungsamt zurNutzung einer Parzelle an. Überraschend ist hier die Beteiligungsstruktur.Ganz offensichtlich gelang die Mobilisierungbislang wenig eingebundener Gruppen inner-halb der Stadtbevölkerung. So nutzten zu einemGroßteil Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgermit Migrationshintergrund das Vor-Ort-Büro alsAnlaufstelle, vor allem muslimische Migran-tinnen und Migranten aus dem Spessartviertelund dem benachbarten Westend. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass sich vomProjekt viele Frauen, insbesondere Migrantinnenangesprochen fühlten, die als besonders schwererreichbare Gruppe gelten. Auch den vermehrtpräsenten älteren deutschen Frauen mit ihreneher privaten Netzwerken wurde mit diesemniedrigschwelligen Beteiligungsmodell ein Zu-gang zu Öffentlichkeit und eine Anlaufstelle ge-boten, an der sie ihre Interessen artikulierenkonnten. In der Anfangsphase des Projektes erfolgte dieKontaktaufnahme zum Bauwagenteam überwie-gend durch Frauen, Kinder und Jugendliche mitMigrationshintergrund sowie durch ältere deut-sche Frauen. Diese nutzten das Projektbürozum Einholen von Projekt-Informationen undübernahmen somit die Funktion von Multiplika-torinnen. H ier wurde die Erfahrung gemacht,dass über die Frauen oftmals die Familien alsGanzes zu erreichen waren. Nach dieser Anfangsphase wurde das Bau-wagen-Team vermehrt von Männern mit Migra-tionshintergrund aufgesucht, die sich und ihreFamilien zur Nutzung einer Parzelle anmelde-ten. Daraus lässt sich jedoch weniger ein nach-lassendes Interesse von Seiten der zumeistmuslimischen Frauen ableiten, vielmehr erklärtsich dies mit dem Normen- und Wertesystem

einer muslimischen Gesellschaft, wonach auchoder gerade in der Migration der Mann immernoch als Oberhaupt der Familie gilt und diesenach außen repräsentiert.14 Dies zeigte sichauch daran, dass die Frauen weiterhin präsentblieben.Viele der Migrantinnen und Migranten suchtenden Bauwagen zu zweit oder in Gruppen mitBekannten oder Familienmitgliedern auf. Derislamisch-türkische Kulturverein meldete Inter-esse an der Nutzung einer Parzelle an, ebensoVertreter der Ahmadiyya-Religionsgemeinschaft.Ebenfalls wurden Flugblätter über das Projektzur Verteilung in der türkischen Moschee ausge-geben. Eine komplette Hausgemeinschaft mel-dete sich über ihren Hausmeister für die Nut-zung einer Parzelle an.Im Laufe des Projektzeitraums wurde der Bau-wagen von den Frauen, Männern und Kindernoft mehrmals aufgesucht, etwa um Erkundigun-gen nach dem Projektstand, nach der Resonanzinnerhalb der Bevölkerung oder um weitere Falt-blätter zur Weitergabe an interessierte Bekannteeinzuholen. Diese "Mund-zu-Mund-Propaganda"der Multiplikatorinnen und Multiplikatoren er-wies sich als äußerst erfolgreich.Durch den niedrigschwelligen Ansatz eines Pro-jektbüros vor Ort haben wir somit gerade dieMenschen erreicht, die normalerweise durchkonventionelle partizipative Methoden nichtangesprochen werden. 15 Verstärkt wurde dieserEffekt sicher noch dadurch, dass das Beteili-gungsmodell nicht zu sehr auf die deutscheSprache fixiert war, so dass sich auch Bürge-rinnen und Bürger mit geringeren deutschenSprachkenntnissen beteiligten - obwohl natür-

101

14 Waltz, Viktoria. Muss das Kopftuch herunter? Zur Situationder Migrantinnen in unseren Städten, in: Bauhardt, Christine, Becker, Ruth (Hg.). Durch die Wand! Feministische Konzepte zur Raumentwicklung. Stadt, Raum, Gesellschaft, Bd. 7 . Hg. Hartmut Häusermann u.a., Pfaffenweiler 1997 , S. 123 ff..

15 Zahlreiche Beteiligungsverfahren, wie z. B . Bürgersprech-stunden etc., werden vermehrt von der klassischen bürger-lichen Mittelschicht wahrgenommen, die diese Äußerungs-formen gewohnt ist, und grenzen sozial Benachteiligte, ins-besondere auch Migrantinnen und Migranten, aus.

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lich auch teilweise die klassische bürgerlicheMittelschicht angesprochen wurde. So suchtenim Projektverlauf vermehrt Menschen mit ehergeringen Deutschkenntnissen das Projektbüroauf, um sich für die Nutzung einer Parzelle regi-strieren zu lassen.Auch die Defizite herkömmlicher Beteiligungs-praxis in Bezug auf das Engagement von Frauenkonnten durch die Möglichkeit, im Projektbürovor Ort Frauen getrennt von Männern anzuspre-chen, ausgeglichen werden. 16

4.3.2.3 Ablauf der GesprächeDie jeweilige Gesprächsdauer zwischen denBürgerinnen und Bürgern sowie den Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern im Projektbüro vor Ortvariierte, je nach Interessenlage und auchSprachkenntnis, von ca. zehn Minuten bis zuüber einer Stunde. Teilweise waren die Menschen durch die Stelen-reihe aufmerksam geworden, ein Teil hattedurch die örtliche Presse davon erfahren, einTeil kam zufällig vorbei. In den folgenden Wo-chen suchten immer mehr Menschen das Vor-Ort-Büro auf, die über "Mund-zu-Mund-Propa-ganda" vom Projekt erfahren hatten. Zu Ge-sprächsbeginn stand immer die Erläuterung desProjektkonzeptes durch die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter vor Ort.Vielen Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgern,aber auch auswärtigen, in Dietzenbach arbei-tenden oder zu Besuch weilenden Menschen,waren die Stelen aufgefallen und wurden als"tolle Idee" positiv kommentiert. Die zeitliche Befristung des Projektes wurde vonvielen Interessierten als negativ angesehen undauch von denjenigen bemängelt, die sich nichtzur Nutzung einer Parzelle gemeldet hatten.Der größte Teil der Nutzungswünsche für eineParzelle bezog sich auf Gärten bzw. Grabelandsowie Spielplätze für die Kinder. H ier wurde vonvielen der Projektteilnehmerinnen und -teilneh-mer mit Migrationshintergrund, die die größteNachfragergruppe stellten, der Wunsch geäußert,ihre Kinder sollten das Wachsen von Pflanzenkennen lernen, "damit sie wissen, dass das Ge-

müse nicht aus dem Supermarkt kommt". OderProjektteilnehmerinnen und -teilnehmer, in ihrerHeimat als Landwirte tätig, bekundeten jetzt alsRentnerinnen bzw. Rentner ein starkes Interesseam Gemüseanbau. Oft wurde genau erläutert,was angepflanzt werden soll. Auch wurde vonden oft kinderreichen Familien die Enge derWohnungen beklagt, auch hier versprach mansich durch einen Garten einige Besserung.Die das Bauwagenteam aufsuchenden jungendeutschen Familien zeigten ein großes Interessean dem Projekt und der Stadtentwicklung Diet-zenbachs, auch das multikulturelle Miteinanderin Dietzenbach wurde oft positiv hervorgeho-ben. Auch von den älteren deutschen Frauenkamen vermehrt positive Rückmeldungen.Aber auch für Kritik und Anregungen bot derBauwagen eine niedrigschwellige Anlaufstelle,die solche Äußerungen ermöglichte:Die den Bauwagen aufsuchenden älteren deut-schen Männer sowie die älteren deutschen Ehe-paare waren teilweise sehr skeptisch und be-zweifelten, ob sich in Dietzenbach noch etwaszum Positiven verändern lasse. Auch die ver-meintlich zu hohen Kosten des Projektes, unterVerweis auf Presseartikel, waren oft ein Kritik-punkt. H ier wurde nach Erläuterung des Kon-zeptes und durchaus auch kontroverser Diskus-sion oft eine positive Meinung gefasst. Einige deutsche Dietzenbacherinnen äußertenihre Enttäuschung und Frustration über den inDietzenbach trotz persönlichem Engagementsseit Jahren ergebnislos verlaufenden LokalenAgenda-21-Prozess. Es wurde befürchtet, dieskönnte sich wiederholen und so nur zu weitererFrustration der Bürgerinnen und Bürger beitra-gen, im Sinne: Es passiert ja sowieso nichts. Die älteren deutschen Frauen kritisierten, dasssich das Stadtzentrum von der Altstadt zur"Neuen Mitte" hin verlagere. Die damit verbun-

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16 Vgl. hierzu auch Rodenstein, Marianne. Beteiligungsfor-men von Frauen an der Stadtplanung am Beispiel Frank-furts, in: Gesündere Zukunft für Hamburg (Hg.). Frauen-blicke auf die Großstadt. Dokumentation des Symposiums "Beteiligungsmöglichkeiten für Frauen an einer gesund-heitsfördernden Stadtentwicklung". Hamburg 1993 , S. 30 ff.

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denen längeren Wege stellen offensichtlich gera-de für in der Altstadt wohnende ältere Dietzen-bacherinnen ein Problem dar.Viele Frauen, deutsche wie nicht-deutsche,bemängelten, dass es nichts für Erwachsenegäbe, "nichts, wo man hingehen kann, ohneGeld zu bezahlen". Gerade von den Migrantin-nen wurden häufig die fehlenden Treffpunkte fürErwachsene bzw. Wünsche nach einem Parkmit Aufenthaltsqualität angesprochen.Männliche jugendliche Migranten, die sich teil-weise auch für die Nutzung einer Parzelle regi-strieren ließen, um einen Bolzplatz oder einenGrillplatz anzulegen, kritisierten oft das fehlendeFreizeitangebot für Jugendliche in Dietzenbach.Auch bezüglich der künftigen Nutzung der Frei-fläche zwischen Toom-Einkaufszentrum undKreishaus kamen häufig Nachfragen. Positiv er-wähnt wurde hier auch des Öfteren die Archi-tektur des neuen Kreishauses sowie dessenBürgernähe, Behördengänge nach Offenbacherübrigten sich nunmehr.Die Probleme, die das Wohnen im ehemaligenStarkenburgring mit vielen verschiedenen Kul-turen auf engem Raum offensichtlich mit sichbringt, fanden ebenfalls Gehör (viele der Pro-jektteilnehmerinnen und -teilnehmer mit Migra-tionshintergrund haben dort Wohneigentum er-worben). H ier wurden sehr oft die positiven Ver-änderungen der letzten Zeit angesprochen aberauch die Hoffnung auf weitere zukünftige Ver-besserung geäußert.Auch ganz private Geschichten wurden erzählt:von Krankheit und Arztbesuchen, Flucht undVertreibung. Gerade von den Männern mitMigrationshintergrund wurde oft die Angst vorder Arbeitslosigkeit betont.

4.3.3 Struktur und Umgang mitNutzungswünschen

4.3.3.1. Struktur der NutzungswünscheDie im Projektbüro, über Postkarten und überTelefonate geäußerten Nutzungswünsche wur-den umgehend bei der Stadtverwaltung EDV-technisch erfasst und ausgewertet. Insgesamtgingen 260 Anfragen ein, wobei die Zahl deram Projekt Teilnehmenden wesentlich höherliegt, da es sich häufig um gemeinsame Anfra-gen von Ehepartnerin und -partner oder Fami-lien handelt. Es kann davon ausgegangen wer-den, dass die Anfragen von Einzelpersonenebenfalls in vielen Fällen mit der Familie abge-sprochen sind. Im Folgenden wird die Geschlechterverteilungderjenigen aufgezeigt, die im Verlauf des Pro-jektes ihre Nutzungswünsche aufnehmen lie-ßen. H ierbei wurde die Kategorie "Familie" ein-geführt, um gemeinsame Anfragen vonEhepaaren darzustellen. Bei den Anfragen, die von einer Person genanntwurden, kann nicht eindeutig gesagt werden, obsich dieser Wunsch ausschließlich auf die Vor-stellungen einer Person bezieht oder ob sichebenfalls "Familienwünsche" dahinter verbergen.Deshalb kann keine eindeutige Aussage darübergetroffen werden, wie viele Personen an demProjekt tatsächlich teilgenommen haben. Ausdiesem Grund wird die den nachfolgenden Dia-grammen zu Grunde liegende Anzahl der Anfra-gen im Folgenden als Anzahl der beteiligtenHaushalte bezeichnet.Die Auswertung zeigt, dass Nutzungswünschein deutlich mehr als der Hälfte der Fälle alleinvon Männern geäußert worden sind (58 ,46 %).Nur in etwas mehr als einem Viertel der Fällewurden Nutzungswünsche allein von Frauengeäußert (26 ,92 %). In rund einem Siebtel derFälle wurden die Nutzungswünsche von Ehe-paaren gemeinsam, teilweise auch in Beglei-tung ihrer Kinder, geäußert und deutlich alsWunsch der Familie artikuliert.Wie in Kapitel 4 .3 .2 .2 bereits angedeutet, kanndavon ausgegangen werden, dass ein

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erheblicher Teil der am Projekt Teilnehmendenvermutlich auf einen Migrationshintergrund zu-rückblicken kann. Diesbezüglich wurden jedoch keine Erhebungen bei der Aufnahme der Nut-zungswünsche durchgeführt. Zur Einschätzung

eines Migrationshintergrunds wurden daher dieFamilien- und Vornamen herangezogen. DieseMethode führte zu dem Ergebnis, dass fast 90 % der Teilnehmenden vermutlich einenMigrationshintergrund haben. Selbst bei einerfür ausgesprochen unwahrscheinlich gehaltenenFehleinschätzung in 50 % der Fälle läge dieseQuote immer noch bei fast 45 % und damitdeutlich über dem prozentualen Anteil von Aus-länderinnen und Ausländern an der Gesamtbe-völkerung Dietzenbachs. Es wird jedoch aufGrund persönlicher Kontakte zu den Teilneh-menden von einer deutlich geringeren Fehler-einschätzungsquote ausgegangen, so dass derAnteil der Personen mit Migrationshintergrundauf mindestens 80 % eingeschätzt wird.Auffallend ist auch die räumliche Verteilung derWohnquartiere der am Projekt teilnehmendenPersonen. H ierzu wurde das Stadtgebiet inWohnquartiere eingeteilt. Über 28 % der teilnehmenden Personen kamaus den fünf Hochhausblocks des östlichenSpessartviertels. Ebenso hoch war der Anteil derPersonen aus dem restlichen Spessartviertel.Eine plausible Erklärung ist die Aufstellung desBauwagens, in dem sich das Projektbüro alsAnsprechstelle befand, an der sog. Rakovnik-passage, welche als Fußgängerüberführungüber die B 459 das Spessartviertel mit demStadtzentrum verbindet. Die Bewohnerinnenund Bewohner der genannten Wohnquartierekamen hier beim Weg zum Einkaufen wieselbstverständlich vorbei und suchten den Bau-wagen daher auch auf. Auffallend ist jedochauch die Häufigkeit der Wohnquartiere Stein-berg, Stadtzentrum und Westend. Für dieseWohnquartiere liegt der Bauwagen weniger gün-stig. Eine detailliertere Untersuchung nachStraßen mit H ilfe eines geographischen Infor-mationssystems17 konnte in Steinberg keineneindeutigen Beleg dafür liefern, dass vorwie-gend die Bewohnerinnen und Bewohner ausden Hochhäusern im Bauwagen vorsprachen.

104

17 Die Untersuchung wurde mit H ilfe des Bürger-GIS desKreises Offenbach, www.kreis-offenbach.de, durchgeführt.

Abb. 72. Personen, die Nutzungswünschegeäußert haben (260 beteiligte Haushalte ins-gesamt)

Abb. 73. Äußerung von Wünschen -Migrationshintergrund vorhanden? (260 betei-ligte Haushalte insgesamt)

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Vielmehr verteilten sich die Einwohnerinnenund Einwohner auf verschiedene BereicheSteinbergs, wobei einige auch in Einfamilien-häusern wohnen. Anders ist es bei den Vor-sprechenden aus dem Westend. H ier kann fürmindestens 70 % der insgesamt zwanzig Anfra-gen aus diesem Wohnquartier festgestellt wer-den, dass sie in Hochhäusern leben. Die Aus-wertung des Kartenmaterials lässt auch die

Vermutung zu, dass vier der fünf nicht eindeutigzuzuordnenden Anfragen vermutlich im Ge-schosswohnungsbau leben18, so dass insgesamtachtzehn teilnehmende Personen aus diesemWohnquartier, das sind 85 %, vermutlich imGeschosswohnungsbau wohnen. Dies ist umsobemerkenswerter, als im Westend auch ein gro-ßer Anteil an Eigenheimen vorhanden ist. Ausdem Wohnquartier Stadtzentrum haben eben-

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Restl. SpessartviertelZwischen Spessart-viertel und Altstadt

Altstadt

Östl. Spessartviertel

Gewerbegebiet SüdWingertsberg

Westend

Steinberg

Stadtzentrum

Hexenberg

Abb. 74. Einteilung Dietzenbachs in Wohnquartiere zur Untersuchung der Herkunft der Teilneh-menden am Projekt (260 beteiligte Haushalte insgesamt)

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falls zwanzig Personen Nutzungsvorschläge fürdas Projekt "Stadt 2030" geäußert. Von diesenleben sechzehn Personen (80 %) im Geschoss-wohnungsbau, zwei in Einfamilienhäusern, zweikonnten nicht eindeutig zugeordnet werden(jeweils 10 %). Allerdings befinden sich in die-sem Wohnquartier vorwiegend Wohnungen imGeschosswohnungsbau. Dennoch ist bemer-kenswert, dass ein Großteil der Teilnehmendenaus Stadtquartieren mit einem hohen Anteil anGeschosswohnungsbau kommt (östliches undübriges Spessartviertel, Stadtmitte) oder aber imGeschosswohnungsbau lebt, selbst wenn derGeschosswohnungsbau nicht die dominanteWohnform in dem jeweiligen Stadtquartier ist(Westend). Trotzdem scheint auch die räumlicheNähe des Projektbüros im Bauwagen zu denjeweiligen Wohnquartieren ein wesentlicherFaktor für die Teilnahme am Projekt gewesen zusein. Die Anzahl der telefonischen und postali-schen Meldungen von Wünschen sind zumin-dest vernachlässigbar gering.Bei der Kategorisierung der Nutzungswünschelassen sich eindeutige Schwerpunkte der Nach-fragen feststellen. Da bei den 260 Anfragen teil-

weise mehr als ein Nutzungswunsch geäußertwurde, liegt hier die zu Grunde liegende Grund-gesamtheit im Gegensatz zu den vorherigenAuswertungen höher als 260 . Insgesamt wur-den 292 Nutzungswünsche geäußert.Augenfällig ist die Schwerpunktsetzung auf dieNutzung "Kleingarten/Grabeland", die rund 73 %der Nennungen ausmacht. Mit deutlichem Ab-stand folgt der Nutzungswunsch "Spielplatz,etwas für Kinder" mit rund 10 %. Die verblei-benden 17 % verteilen sich auf andere Nut-zungswünsche, wobei Grillplätze, Sportplätze,Projektbeiträge mit stadtgestalterischem oderkünstlerischem Bezug und Themengärten nocham häufigsten genannt werden.

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Abb. 75. Anfragen nach Wohnquartieren (260 Haushalte insgesamt)

18 Die Auswertung nach Straßen kam für das Westend zu fol-genden Ergebnissen: Insgesamt kamen zwanzig Anfragen aus dem Westend, vierzehn der Teilnehmenden aus die-sem Wohnquartier leben in Hochhäusern (70 %), fünf las-sen sich mit der gewählten Untersuchungsmethode nicht eindeutig zuordnen (25 %), wobei bei drei von diesen aufGrund der in der Karte ablesbaren Baustruktur die Wahr- scheinlichkeit sehr hoch ist, dass sie im Geschosswoh-nungsbau leben. Eine Person konnte als in einem Einfami-lienhaus lebend zugeordnet werden (5 %). Daraus ergibtsich, dass 85 % der Teilnehmenden aus dem Westend im Geschosswohnungsbau lebt.

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Geäußerte NutzungswünscheAuffällig ist der Punkt Themengärten. Von ein-zelnen Bürgerinnen und Bürgern sind verschie-dene Themengärten vorgeschlagen worden, dieöffentlichen Charakter haben. Themengärtenund stadtgestalterische bzw. künstlerische Pro-jektbeiträge nehmen somit immerhin fast 5 %der Nennungen ein und lassen ein Interesse derBevölkerung, die eigene städtische Umwelt auf-zuwerten, vermuten. Im Einzelnen wurden fol-gende Themengärten genannt:• Apothekergarten (Vorschlag eines Dietzen-

bacher Apothekers),• Zengarten• Mittelalterlicher Kräutergarten,• Internationaler Garten (Pflanzen aus allen

Teilen der Welt),• Bildungsgarten (Beschilderung von Pflanzen

in deutscher und englischer Sprache),• Garten in Form eines Dietzenbacher Stadt-

plans (Vorschlag eines Eigentümers eines kar-tographischen Verlages).

Bezüglich der Lage zur Realisierung der Nut-zungswünsche wurden von den Teilnehmendenhäufig keine konkreten Vorschläge gemacht.

Zumeist wurde der Wunsch geäußert, die Flä-chen mögen in der Nähe der Wohnungen lie-gen, häufig kam auch die Antwort, der Standortsei "egal". Als bekannt wurde, dass erstes Gra-beland auf der Parzelle 20 realisiert werdensoll, wurde dieser Standort sehr häufig genannt,vermutlich weil viele der Teilnehmenden sicherhofften, auf diese Art ihren Wunsch schnellerrealisieren zu können.

Die Ergebnisse der statistischen Auswertunglassen sich knapp wie folgt zusammenfassen:• Männliche Personen äußerten weitaus häufi-

ger Nutzungswünsche als Frauen.• Das Projekt hat überwiegend Personen mit

Migrationshintergrund erreicht.• Das Projekt hat vorwiegend Personen erreicht,

die ihren Wohnstandort räumlich nah am Projektbüro haben.

• Das Projekt hat viele Menschen erreicht, dieim Geschosswohnungsbau wohnen.

• Die Nutzungswünsche stehen meistens in direktem Zusammenhang mit Grün- und Freizeitnutzungen, wie Gärten, Spielplätze, Grillplätze, Sportplätze o.ä.

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Abb. 76. Nachgefragte Nutzungen (Mehrfachnennungen möglich - 260 beteiligte Haushalte insg.)

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• Die Teilnehmenden wollen häufig, dass ihreNutzungswünsche in der Nähe ihrer Wohn-standorte realisiert werden.

4.3.3.2 Umsetzungs- und AbstimmungsprozessDie Nutzungswünsche erreichten das Projekt-team auf verschiedene Arten: Am häufigstenmeldeten sich Personen direkt im Projektbüroim Bauwagen, entweder weil die Stelenreihe sieaufmerksam machte oder der Bauwagen selbst,oder weil sie über den an die Haushalte verteil-ten Flyer oder über Kommunikation mit Drittenvon dem Projekt erfahren hatten. Weitaus selte-ner wurde die dem Flyer beigefügte Postkartemit Nutzungswünschen versehen und an dieStadt zurückgesendet. Sehr selten war die tele-fonische Äußerung von Nutzungswünschen.Jeder einzelne Nutzungswunsch wurde mit derzugehörigen Kontaktadresse oder -telefonnum-mer erfasst. Dann erfolgte die Prüfung, ob derNutzungswunsch auf der genannten Fläche rea-lisiert werden kann. Da häufig keine Flächen-wünsche geäußert wurden, musste in der Regellediglich nach einem geeigneten Standort fürdie Nutzungswünsche gesucht werden.Wurde zu Beginn des Projektes noch davon aus-gegangen, dass die Flächen je nach Nutzungs-und auch Flächenwunsch einzeln an die Inter-essierten vergeben werden können, so stelltesich bald heraus, dass angesichts des großenAndrangs, vor allem mit dem Wunsch nachKleingärten, diese Vorgehensweise nicht prakti-kabel war. Stattdessen wurden einzelne Blöckevon Projekten ausgewählt, die zügig umgesetztwerden sollten. Auf Grund der großen Nach-frage sollten zunächst einige F lächen mit Grabe-land realisiert werden. Zudem gaben einige deran Grabeland Interessierten zu verstehen, dasssie schon seit Jahren auf einen Kleingarten war-ten. Die Liste mit den damaligen Nutzungswünschenwurde dem Bürgermeister vorgelegt, der imNamen der Stadt zunächst eine Fläche in einemGewerbegebiet für die Nutzung als Grabelandfreigab (F läche Nr. 20). H ier sollten zeitlich be-fristet Grabelandparzellen vergeben werden.

Nutzungswünsche mit einem Nutzen für dieAllgemeinheit - wie z.B . der Garten in Form desDietzenbacher Stadtplans - sollten an öffent-licheren Stellen realisiert werden, wie z.B . demStadtpark.19

Da die Stadtverordnetenversammlung allein dar-über entscheiden kann, welche Nutzungen anwelchem Standort im Stadtgebiet zugelassenwerden können20, ließ das Projektteam noch vorder Übergabe der Stelenreihe und Öffnung desProjektbüros über acht von dreißig vorgeschla-genen Flächen beschließen, dass eine Vergabeder Flächen über den Magistrat ausreichend ist.Damit sollte die Flächenvergabe beschleunigtwerden, da die Stadtverordnetenversammlungnur alle sechs bis sieben Wochen tagt, derMagistrat hingegen einmal wöchentlich. DieFlächen wurden zuvor unter Rücksprache mitdem Bürgermeister, dem Hauptamt und derEntwicklungsträgerin DSK bestimmt, die Eigen-tümerin der betreffenden F lurstücke ist.Um den Magistrat über die Vergabe der Flächenan einzelne Nutzerinnen und Nutzer endgültigbeschließen lassen zu können und die Verträgemit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzernder 100 qm großen Flächen abschließen zukönnen, galt es, zunächst von behördlicherSeite Einverständnis einzuholen. H ier sind ins-besondere die Untere Naturschutzbehörde und

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19 Bei dem Dietzenbacher Stadtpark - dem sog. Hessentags-park - handelt es sich nicht um eine intensiv gepflegte Parkanlage, sondern eher um extensiv gepflegte Wiesenflä-chen, die vom B ieberbach durchflossen werden. Teile des Parks dienen als Hochwasserrückhaltebecken. Es gibt Pläne, den Park in Teilen umzugestalten und ihm einen parkähnlicheren Charakter zu verleihen. Es gab währenddes Projekts "Stadt 2030" Ideen, einige Projektbeiträge - wie z.B . die Themengärten - für eine Aufwertung des Parks zu nutzen.

20 In der Regel geschieht dies mit einer Abstimmung übereinen Satzungsbeschluss für einen Bebauungsplan gemäß §10 Abs. 1 BauGB

21 Grob betrachtet ist die gesamte GemarkungsflächeDietzenbachs Wasserschutzgebiet, wobei der größte Teil auf die Schutzzonen III a und III b entfällt, wo die Realisierung von Projekten weitaus unproblematischer istals in der Schutzzone II oder I, welche zum Teil mit erheb-lichen Nutzungsbeschränkungen bis hin zur Unnutzbarkeit - mit Ausnahme der Wassergewinnung - belegt sind.

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die Untere Wasserbehörde beim Kreis Offenbachsowie die Vertreter der örtlichen Landwirtschaftzu nennen. Hausintern war vor allem der Fach-bereich Städtische Betriebe mit einzubeziehen,da dieser u.a. für die Pflege der öffentlichenFlächen zuständig ist. Diese Aufgaben wurdenvorzugsweise vom städtischen Fachbereich fürStadtplanung und Bauen übernommen.Das Beispiel "Kleingärten / Grabeland" verdeut-licht den notwendigen Abstimmungsbedarf:Zunächst stimmte der Bürgermeister zu, dassF lächen für "Kleingärten" an die Teilnehmendendes Projektes vergeben werden dürfen. Auflagenwaren der temporäre Charakter der Gartenflä-chen, was beinhaltete, dass die Einzelgärtennicht durch Zäune voneinander getrennt wurdenund dass keine einzelnen Hütten pro Garten-parzelle errichtet werden dürfen.Im nächsten Schritt waren Abstimmungen mitder Unteren Wasserbehörde und der UnterenNaturschutzbehörde, welche beim Kreis Offen-bach angesiedelt sind, notwendig. Hatte dieUntere Naturschutzbehörde keine größeren Be-denken gegen das Vorhaben, so hatte die UntereWasserbehörde Bedenken, da der Standort fürdie "Kleingärten" unmittelbar an die SchutzzoneII eines Wasserschutzgebiets angrenzte.21 Erst indiesem Abstimmungsschritt wurde festgelegt,dass keine "Kleingärten", sondern nur "Grabe-land" umgesetzt wird. Dieses Entgegenkommendes Projektteams war notwendig, da ansonsteneine kostenintensive Toilettenanlage hätte errich-tet werden müssen, um einer Verunreinigungdes Grundwassers vorzubeugen.Da der Standort zudem unmittelbar an landwirt-schaftlich genutzte Flächen und Wegeverbin-dungen angrenzt, war ebenfalls eine Abstim-mung mit dem Ortslandwirt notwendig, der dieInteressen der örtlichen Landwirtschaft zu ver-treten hat.N icht zuletzt war aber auch Abstimmungsbedarfmit den potenziellen Nutzerinnen und Nutzernnotwendig. Diese waren mit den Auflagen derStadt keineswegs einverstanden. So wurde nichtnur der kurze Bewirtschaftungszeitraum, son-dern auch das Verbot einzelner Hütten, ein feh-

lender Wasseranschluss und das Verbot der Ab-grenzung einzelner Gartenparzellen mit Zäunenkritisiert. Trotz des Bemühens um eine kosten-günstige Herrichtung der Wasserversorgungkonnte diese nicht realisiert werden.Bei anderen Projektbeiträgen - insbesondere beisolchen, die nach dem Willen der Politik aufGrund ihres ortsbildverbessernden Charaktersauf öffentlich gut wahrnehmbaren F lächen reali-siert werden sollten - war eine Abstimmung mitdem Fachbereich Öffentliche Dienste, der diePflegearbeiten für öffentliche Grünflächen wahr-nimmt, notwendig. Häufig wurden die Ideen alsstörend für die Pflege benachbarter F lächen an-gesehen. Zudem wurde befürchtet, dass dieFlächen bei nachlassendem Interesse seitensder Nutzenden vom Fachbereich ÖffentlicheDienste weiter gepflegt oder entfernt werdenmüssten und dies im Haushalt des Fachbe-reichs nicht vorgesehen ist.Das Projektteam versuchte auch Parzellen aufan Privatpersonen verpachtete Flurstücke zuvermitteln, wobei hier keine Einigung mit demPächter erzielt werden konnte. Ein weiteres Pro-blem, welches alle zu vergebenen Flächen be-trifft, war die Haftungsfrage im Schadensfall. Dadie zur Vergabe freigegebenen Flächen sich nichtim Eigentum der Stadt Dietzenbach, sondernder Treuhandgesellschaft für die Entwicklungs-maßnahme DSK befinden, war mit dem Ver-sicherungsträger der Stadt eine Abstimmungüber die Schadensregulierung notwendig.

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Die Kampagne "100 qm" hatte zur BesetzungDietzenbacher Brachflächen aufgerufen.Innerhalb der Projektlaufzeit kam es zu fünfFlächenbesetzungen. Drei weitere Besetzungenwurden konzipiert und werden voraussichtlichüber den Projektzeitraum hinaus weiterverfolgt. Die F lächen und die auf ihnen durchgeführtenbzw. geplanten Einzelprojekte lassen sich inForm von Situationstypen beschreiben. DieGenese eines jeden Typs zeigt, welche charakte-ristischen Chancen und Probleme auftreten,wenn einem umsetzungsorientierten Handelnseitens der Bürgerinnen und Bürger und dendazugehörenden Aushandlungsprozessen mitPolitik und Verwaltung Raum gegeben wird.

4.4.1 Temporäre Flächenbeset-zungen

Diesem Situationstyp lassen sich zwei Beispielezuordnen. Es wird im Folgenden zunächst einHühnerhof für Kinder beschrieben und dann dieUmsetzung von Grabelandparzellen für sechs-undzwanzig Familien.

HühnerhofDer Hühnerhof für Kinder ist in einem Dietzen-bacher Wohngebiet entstanden, das durch seineStadtrandlage und die erst wenige Jahre alteReihenhausbebauung geprägt ist. Das Projektwurde von einer Familie in enger Abstimmungmit den Nachbarn konzipiert. Zusätzlich ver-schaffte sich die Familie für die zu besetzendeFläche alle benötigten Informationen zu Ver-marktungs- und Planungsstand. Die Fläche liegtim direkten Wohnumfeld und befindet sich ineinem Bebauungsplanverfahren, das zeitnahrealisiert werden soll. Es ist dort eine Erwei-terung des Wohngebietes vorgesehen. Die zeitli-che Befristung der Flächenbesetzung wurde vonder Familie als Rahmenbedingung akzeptiert,weit wichtiger war die direkte Nähe zum eige-nem Haus. Die Kinder wurden von Beginn anmit der Tatsache der zeitlichen Befristung kon-frontiert und akzeptierten diese mit dem H in-weis auf die wohlschmeckende Hühnersuppe,die nach einem halben Jahr entstehen würde.

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4.4 UMSETZUNGEN UND UMSET-ZUNGSPLÄNE DER KAMPA GNE100 Q M"

Abb. 77. Brachfäche

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Das Projekt wurde im nächsten Schritt in derVerwaltung vorgestellt. Da die Vorbereitung idealgeleistet worden war, passierte der Vorschlagdie Verwaltung binnen weniger Tage und wurdemit großer Unterstützung in den Magistrat ein-gebracht. Alle vom Projektteam etablierten Struk-turen und Abläufe funktionierten schnell undreibungslos, bis der Bürgermeister die Umset-zung mit dem H inweis auf potenzielle Nach-ahmerInnen und dem Schreckbild von Dietzen-bach als Bauernhof untersagte. Die Diskussionmit der Familie wurde abgebrochen. Die Familieakzeptierte diese Entscheidung jedoch nicht. Siewurde durch den das Projekt begleitenden Do-kumentarfilmer darauf aufmerksam gemacht,dass die Stadtverordnetenversammlung eineBürgersprechstunde anbietet. Eines der Kindererläuterte das Projekt kompetent und einpräg-sam vor den Stadtverordneten.Es gewann danach, wie deren Vorsitzendersagte, in einem historischen Moment der ge-sunde Menschenverstand und die Stadtverord-neten billigten das Projekt.22 Der Bürgermeisterkonnte sich mit seiner Ablehnung trotz allerPolemik nicht durchsetzen. Allerdings legte eram nächsten Tag fest, dass für alle zu verge-benden Parzellen in Zukunft eine Kaution inHöhe von 1 .000 Euro als "Abräumpauschale"aufzubringen sei. Das Projektteam konnte dieseSumme in Diskussionen mit dem Bürgermeisterzwar halbieren und auf die Parzellen beschrän-

ken, deren Nutzung ein vornehmlich privatesInteresse zugrunde lag (Hühnerhof, Grabeland).Angesichts der Höhe der Kaution von 500 Eurokam sie jedoch für viele Interessentinnen undInteressenten einem Ende der Option für kurzfri-stige Flächennutzungen gleich. Die Familie warin der Lage, die Kaution aufzubringen, so dassfür ein halbes Jahr auf 100 qm Boden ein Frei-gehege für Hühner entstand. Es wurde mit einerkleinen Besucherbank erweitert, einer Feuer-stelle und ab und an steht das Zelt der Kinderneben ihm und lädt zum Übernachten auf demFeld ein. Die Kinder des Quartiers nutzen denHühnerhof mittlerweile als Treffpunkt. Aus einerAktion zum privaten Nutzen entwickelte sicheine Veränderung für das angrenzende Quartier.Damit ist das Projekt ein Musterprojekt für tem-poräre Flächennutzung. Das Projekt verdeutlichtzudem in aller Schärfe, dass Stadtplanung ausden Verwaltungen und der Politik wieder in dieMitte öffentlichen Interesses gerückt werdenmuss, um einen Städtebau auf "Gutsherrenart"23

zu verhindern. In diesem Herbst sollen die Hühner nun "derNahrungskette zugeführt" werden. 24

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Abb. 78. Vortrag in der Stadtverordnetenver-sammlung

Abb. 79. Hühnerhof

22 Dokumentiert in: Dietzenbach sucht seine Mitte, F ilm von Wolf Lindner, Frankfurt 2003 .

23 Formulierung des Bürgermeisters, um sein Verständnis vonStadtplanung zum Ausdruck zu bringen, Gedächtnisproto-koll Martin Wilhelm, Gespräch mit dem Bürgermeister,2002 .

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GrabelandDie bei weitem größte Zahl von Anfragen vonBürgerinnen und Bürgern betraf Gärten. Dies istbei der räumlichen Situation in Dietzenbachnicht erstaunlich, handelt es sich doch um eineländlich geprägte Stadt, in deren Mitte Groß-wohnanlagen stehen. Daraus folgt für viele Bür-gerinnen und Bürger ein Defizit an verfügbarem

Außenraum.25 Als erste Fläche innerhalb derKampagne "100 qm" wurde eine schlecht zuvermarktende Gewerbefläche für temporäreGrabelandnutzung durch den Magistrat bereitge-stellt. Ausgerechnet diese Fläche entwickeltesich im Verlauf des Projektzeitraums zur Pro-blemfläche für das Projektteam. Sechsund-zwanzig Familien übernahmen die Fläche nach

einer zuvor durchgeführten und gut besuchtenInformationsveranstaltung. Sie grenzten die Par-zellen mit Stelen voneinander ab, organisiertenselbst einen Traktor zum Umpflügen des starkverdichteten Bodens. Dann stoppte der Prozess.Die verständlichen Wünsche der Bürgerinnenund Bürger nach einer gewissen längerfristigenSicherheit für ihre Mühe und Investitionen, wiez.B . ein geplanter Wasseranschluss, standen in

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Abb. 81. Gestaltungsvorschlag für Grabeland-parzellen

24 Zitat des Kindes in der Stadtverordnetenversammlung, vgl.Video: Dietzenbach sucht seine Mitte, Wolf Lindner,Frankfurt 2003 .

25 Im Kleingartenleitplan Hessen, hrsg. v. Hessischen Landes-amt für Regionalentwicklung und Landwirtschaft aus demJahr 2000 , wird der Bedarf an Kleingärten für einzelneKommunen dargelegt. H ier wird von einem Fehlbestand von 984 Kleingärten in Dietzenbach ausgegangen.

Abb. 80. Lageplan

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direktem Konflikt mit dem nach wie vor auf-rechterhaltenen Ziel der Stadt, die Fläche lang-fristig zu vermarkten. Es wurde den Bürgerinnenund Bürgern keine Erlaubnis für das Errichtenvon Zäunen, Hütten und einem Grillplatz gege-ben, um langfristig die Vermarktungschancennicht zu mindern. Andererseits wollten die Inter-essentinnen und Interessenten sich nicht aufein Provisorium einlassen. 26 Es war ihnen nichtzu vermitteln, dass es nichts Dauerhafteres alsProvisorien gibt. Nachrückende Interessiertewurden von der neu eingeführten Kaution von500 Euro abgeschreckt.Trotz eines viel versprechenden Anfangs liegtheute genau diese Fläche wieder brach, es ge-lang nicht, einen für beide Seiten akzeptablenModus der Zwischennutzung zu finden. Flexi-bilität ist eben nicht nur auf Seite der Stadt ein-zufordern, sondern auch von den Nutzerinnenund Nutzern zu erlernen, gerade wenn es umdie Aufgabe von lieb gewonnenen Maximal-forderungen, wie in diesem Fall unbegrenzterNutzungsdauer, Hüttenbau, hohe Zäune, geht.Einzelpersonen, die sich mit großem Engage-ment für einen Aushandlungsprozess mit denstädtischen Interessen einsetzten, konnten sichin dem gruppendominierten Prozess nicht durch-setzen. Durch die Diskussionen über dieseFläche kam es jedoch zu einer Thematisierungder Entwicklungsmaßnahme. Letztlich entstandeine intensive auch öffentlich geführte Diskus-sion über die Notwendigkeit von mehr Gärten inder Stadt, die bis in das Stadtparlament reich-te.27 Die Aktivitäten rund um die F läche 20haben letztlich den Blick auf Grundstücke ge-lenkt, die sich langfristig für Gartennutzungenanbieten wie F läche 22 , ein Grundstück, fürdas ein rechtsgültiger Bebauungsplan für Klein-gärten seit vierundzwanzig Jahren existiert,diese aber für die Stadt aus finanziellen Grün-den nicht mehr umsetzbar waren. Gleichzeitig

wird über die geeignete Organisationsform derInteressentinnen und Interessenten nachge-dacht. Vorbild für eine gelungene Umsetzungvon Gärten durch Bürgerinnen und Bürger sindin diesem Zusammenhang die "InternationalenGärten Göttingen".28

Der Erfolg temporärer F lächenbesetzung istdemnach stark von der Art der Einzelnutzungabhängig. Als Flächen wurden sowohl auf einemittelfristig nicht zu vermarktende städtischeFläche (Fläche 20 , Grabeland) als auch aufeine Fläche (Fläche 2 , Hühnerhof) zugegriffen,die zeitnah bebaut werden wird. Es scheint einVorteil zu sein, wenn sich Beginn und Ende derBesetzung klar benennen lassen, die Wieder-herstellung der Fläche geklärt ist und die Rah-menbedingungen von den beteiligten AkteurIn-nen eindeutig entwickelt und formuliert werdenkönnen.Es muss für eine erfolgreiche Umsetzung zu-dem beides, die geeignete Fläche und die ge-eignete Organisationsform der Interessentinnenund Interessenten, gefunden oder entwickeltwerden.

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Abb. 82. Stelenentnahme Abb. 83. und Abb. 84. Absteckung der Grabelandparzellen

26 Vgl. im Gegensatz dazu "Internationale Gärten Göttingen",www.internationale-gaerten.de.

27 Vgl. "Für mehr Gärten in der Stadt", in: Dietzenbacher Stadtpost, 24 .10 .2002 .

28 Internationale Gärten Göttingen, a.a.O.

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4.4.2. Übernahme öffentlicherAufgaben in Form von Gestaltungöffentlicher Flächen

Mehrere Dietzenbacher Bürgerinnen und Bürgerbrachten ihren Wunsch zum Ausdruck, kleineöffentliche Gärten in der Stadt anzulegen undzu pflegen. Es wurde ein internationaler Garten,eine Kräuterspirale und ein Apothekergarten vor-geschlagen.

Eine Familie konzipierte einen Abenteuerspiel-platz für Kinder in ihrem Quartier. Ein Geschäfts-inhaber schlug einen gepflanzten Stadtplan Diet-zenbachs vor, wollte aber selbst für die Umset-zung und Pflege keine Verantwortung überneh-men. Die Bürgerin, die eine Kräuterspirale pflan-zen wollte, artikulierte den H intergrund für ihrEngagement am deutlichsten aus: Sie sei pen-sioniert, aber tatkräftig und ideenreich, wie ihrerMeinung nach unzählige weitere Dietzenbache-rinnen und Dietzenbacher, und sie würde lie-bend gerne für ihre Stadt Verantwortung über-nehmen und selbst tätig werden. Allerdings ver-

misst sie den Anknüpfungspunkt für ihre Ideen.Die Kampagne "100 qm" hat vorübergehendsolch einen Anknüpfungspunkt geschaffen. In-nerhalb der oben genannten Einzelprojekte wol-len Bürgerinnen und Bürger Energie, Aktivitätund Geld für ihre Stadt investieren und Aufga-ben der Stadt übernehmen. Bei diesen rein fürdie Öffentlichkeit bestimmten Einzelprojektengibt es in der Umsetzung trotzdem unzähligeSchwierigkeiten und Verzögerungen. Ein Magis-tratsbeschluss ermöglichte die Gärten in einemersten Schritt auf F läche 18 , einem im Bebau-ungsplan festgelegten, jedoch nur in Ansätzenumgesetzten Park. Seitens der ExpertInnen inder Verwaltung war einer der größten Vorbehalte,dass es keinerlei Sicherheit gäbe, dass die Bür-gerinnen und Bürger von ihnen angelegte Gär-ten auch dauerhaft pflegen würden. Es entstanddie Angst, dass die Stadt langfristig die Gärtenpflegen und sichern müsste. Zusätzlich wurdestets mit dem H inweis auf die Gefahr von Van-dalismus gegen die Gärten argumentiert. Soentstand eine für die Interessierten frustrierendeSituation, in der die Probleme für eine Umset-zung immer größer wurden, bis letztendlich kei-ner der Gärten realisiert wurde. Eine ortsbekannte sehr aktive Familie hatte dasProjekt Abenteuerspielplatz mit klaren Vorstel-lungen begonnen, die Kinder hatten sogar zweiModelle von dem Spielplatz gebaut und Zeich-nungen angefertigt. Schnell entstanden dann im Herbst die erstenzwei Indianertipis. Die Familie hatte in der

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Abb. 85. eingereichte Darstellung der Kräuter-spirale

Abb. 86. Kinderzeichnung: Indianerspielplatz

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Nachbarschaft um Unterstützung bei weiterenBauten geworben, diese allerdings nicht im ge-wünschten Umfang erhalten, so dass den Indi-anertipis keine weiteren Spielgeräte folgten. Zusammen mit den Themengärten gab es je-doch an dieser Stelle die Möglichkeit, auf einerin einer Nachbarschaft gelegenen öffentlichen,im Bebauungsplan ebenfalls als Parkanlage

festgelegten aber heute nur als Hundewiese ge-nutzten Fläche ein erstes Beispiel dafür entste-hen zu lassen, dass tatsächlich Aufgaben, dievon der Stadt nicht mehr geleistet werden kön-nen, wie eben die geplante Umsetzung eineröffentlichen Parkfläche, von den Bürgerinnenund Bürgern geleistet werden können.Beide Beispiele verdeutlichen auch, wie wichtiges ist, dass innerhalb der Einzelprojekte relativschnell Strukturen entstehen, die das Projektüber eine erste Begeisterung hinaus tragen kön-nen. Allerdings hat es anhand der Indianerzelteund des Spaliers aus Stelen auch deutlich ge-macht, mit wie viel Phantasie selbst bei be-schränkten finanziellen Mitteln das Umfeld an-geeignet, genutzt und aufgewertet werden kann.Generell stehen Verwaltung, Politik und Exper-tInnen vor der Aufgabe, die "individualisierteGesellschaft" als Partnerin im Planungsprozessund als Ressource für Umsetzungen zu akzep-tieren. Damit geht natürlich eine gewisse Kon-trolle und das Ausführungsmonopol der Stadtim öffentlichen Raum verloren. Es kann aber

eine schlummernde Quelle für Stadtentwick-lungsdynamik innerhalb der Stadtgesellschaft er-schlossen werden, die gerade in von externenEntwicklungen so geprägten Städten wie Diet-zenbach bisher zu wenig ernst genommenwurde.

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Abb. 87. Stelenentnahme für Indianertipi Abb. 88. Stelen zur Markierung der Spielfläche

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4.4.3. Veränderung undUmsetzung überambitionierter,nicht realisierter Planungen

Die Kampagne "100 qm" rief anhand dreier Pro-jektideen von Bürgerinnen und Bürgern eineAuseinandersetzung mit alten, nicht realisiertenPlanungen in der Verwaltung hervor. Die Bürge-rinnen und Bürger schlugen vor, in EigenarbeitKleingärten, einen Bolzplatz für Jugendlicheund ein Festzelt zu realisieren. Im Folgendensollen die drei Projektideen kurz vorgestellt wer-den.

KleingartenanlageIm Rahmen der Kampagne "100 qm" wurde an-hand der Rückmeldungen aus der Bürgerschaftsehr schnell deutlich, dass es einen großen Be-darf an Gärten in der Stadt gibt. Der hessischeKleingartenleitplan unterstützt diese Beobach-tung, indem dort für Dietzenbach 984 fehlendeKleingärten festgestellt werden. 29 Gärten tempo-rär anzulegen schien dem Projektteam nachden Erfahrungen auf F läche 20 zumindest pro-blematisch, weshalb für den Gartenmangel einelängerfristige Lösung gesucht wurde. Durch dieintensive Diskussion der leeren Flächen in Diet-zenbach rückte die Fläche 22 in das Bewusst-sein des Projektteams. Dort ist laut F lächennut-zungs- und Bebauungsplan eine Kleingartenan-

lage vorgesehen. 1979 wurde ein kleiner Teildes Bebauungsplanes in Form von achtund-zwanzig Kleingärten umgesetzt. Die Gärten sindsehr großzügig geschnitten und erschlossen, fürjede Gartenparzelle besteht die Versorgung mitWasser und Strom. Da die weitere Umsetzungdes Bebauungsplanes, d.h. die Herstellung die-ser Anlage für die Stadt, nicht zu finanzierenwar, liegt die restliche Fläche brach. Zudemwurde sie für den Bau der S-Bahn als Lager-und Arbeitsfläche vorgehalten. An weitere Gär-ten war nicht zu denken. Erst im Rahmen desProjektes wurde die Sinnhaftigkeit der Vorhal-tung überprüft. Bei Überprüfung des F lächen-bedarfes für den S-Bahn-Bau wurde deutlich,dass schon ein kleiner Teil der Fläche ausrei-chend Lagerfläche für Erdaushub darstellenwürde. Es wurde im Projektteam, Verwaltungund Politik begonnen, über Umsetzungsmög-lichkeiten für die Gärten nachzudenken. Inmehreren alternativen Projektskizzen wurde eineGartenanlage dargestellt, die durch eine Verrin-gerung der Gartengröße und des Erschließungs-luxus (gebündelte Wasserversorgung statt Was-serversorgung für jede Parzelle, Verzicht aufStrom) kostengünstig für bis zu 150 GärtenRaum schaffen könnte. Derzeit wird kontroversdiskutiert, wie man mit dieser Projektidee unddem bestehendem Bebauungsplan weiterarbei-ten kann. Da sich die Umsetzung dieses Pro-jektes nicht mehr innerhalb des Projektzeit-raumes verwirklichen lässt, erklärte sich derAusländerbeirat dazu bereit, die Umsetzung vonGärten auf dieser F läche weiter zu verfolgenund den Kontakt zu den interessierten Bürgerin-nen und Bürgern zu halten. Der Ausländerbeiratwird diesen Herbst eine Anfrage zu den Gärtenauf dieser Fläche in den Magistrat einbringen.

BolzplatzDer Ausländerbeirat übernimmt neben den Gär-ten auf F läche 22 auch eine Vermittlerfunktionfür den türkisch-islamischen Kulturverein inDietzenbach. Der Kulturverein möchte für Ju-

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Abb. 89. Projektskizze für die Anlage vonGärten

29 Kleingartenleitplan Hessen, a.a.O.

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gendliche einen Bolzplatz betreiben. Dieser sollmit Fußballtoren, Basketballkörben und evtl.einer Tischtennisplatte ausgestattet werden. Fürden Verein von großer Bedeutung ist die Lagedes Bolzplatzes in unmittelbarer Nähe zurMoschee, um den Jugendlichen einen mög-lichst unkomplizierten Übergang von Weiter-bildungsangeboten des Vereins zu sportlichenAktivitäten zu ermöglichen. In der Nähe desVereins befindet sich eine Sportfläche, derenGliederung schon durch einen Bebauungsplanfestgelegt ist. Auch hier verfügt die Stadt nichtüber die finanziellen Ressourcen, den Bebau-ungsplan alleine umzusetzen. Bisher wurde aufeinen Investor von außen gehofft, der das Ge-lände z.B . als Golfplatz entwickelt. Derzeit wer-den in dieser Richtung Verhandlungen geführt.Der Kulturverein könnte hingegen sofort auf derF läche aktiv werden. Er verfügt über die nötigenfinanziellen und zeitlichen Ressourcen, ein sol-ches Vorhaben umzusetzen, und würde durchein solches Engagement enger in die städtischeWahrnehmung eingebunden. Die Auseinander-setzungen zwischen Ausländerbeirat, Verein,Verwaltung und Politik anhand dieses Projekteserzeugen einen Aushandlungsprozess zwischenden Akteurinnen und Akteuren. Es geht um dieZugänglichkeit der Sportanlage, Förderungsportlicher Aktivitäten islamischer Frauen unddie Einbindung des Vereins in die Stadt. Auchdieses Projekt ist innerhalb des Förderzeitraumesvon "Stadt 2030" nicht umzusetzen, es hat viel-mehr einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt,der mit offenem Ergebnis andauert.

FestzeltDer von Bürgerinnen und Bürgern geäußerteWunsch nach einem Festzelt für große Familien-feste erzeugte im Gegensatz zu den zwei ande-ren Projekten keine andauernde Diskussion,sondern wurde relativ schnell innerhalb derVerwaltung abgeblockt. Zu groß erschienen hierdie infrastrukturellen Probleme wie Abfallentsor-gung, Wasserver- und -entsorgung, Strom etc.Verstärkt wurde diese Haltung durch negativeErfahrungen solcher Großfeste im Hessentags-

park, die durch die ungelösten strukturellen Pro-bleme entstanden sind. H ierfür bietet auch derbestehende Bebauungsplan für ein Festzeltkeine Lösungsansätze an. Bei Fragen der tech-nischen Infrastruktur scheint zudem die Grenzeder finanziellen Belastbarkeit der Bürgerinnenund Bürger rasch erreicht.30

Diese zwei nicht realisierten Bebauungspläne(Bolzplatz und Festzelt sind innerhalb einesBebauungsplanes festgesetzt) sind Beispiele fürüberdimensioniert angelegte Planungen in derstark sozialdemokratisch geprägten Stadt Diet-zenbach. Die Stadt war schon sehr bald nachder ursprünglichen Planung bis heute nicht inder Lage, diese Bebauungspläne in Eigenregieumzusetzen, da unklar ist, wie die Kosten fürErstellung, Unterhalt und Pflege getragen wer-den können. Gleichwohl gibt es einen großen,bekannten Bedarf an den festgesetzten Nut-zungsmöglichkeiten. Die Kampagne "100 qm"hat hier eine neue Dynamik erzeugt mit der ein-fachen Anregung und Erkenntnis, dass die Bür-gerinnen und Bürger und interessierten Vereineund Gruppierungen die Umsetzung gerne undproblemlos selbst bewerkstelligen können. Dasstellt einen wichtigen Neubeginn für die Ent-wicklung dieser Grundstücke unter Einbezie-hung der finanziellen und zeitlichen Ressourcenvon Bürgerinnen und Bürgern dar. Die Stadtsowie die ExpertInnen sind dabei nach wie vorstark gefragt in ihrer Rolle als ManagerIn derAbläufe und als PlanerIn für die geändertenRahmenbedingungen.

117

30 Diskussion im Rahmen des Verwaltungstreffens vom 21 .Mai 2003 .

Page 200: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Im Rahmen der sozialwissenschaftlichen Pro-jektbegleitung wurde erstens überprüft, inwie-weit sich die öffentlichen Aktivitäten des Pro-jektteams (Stelenreihe, Kampagne 100 qm) inder Medienöffentlichkeit und bei der Bevölke-rung verankern ließen und Widerhall fanden.Wurden durch diese Diskurse ausgelöst undwenn ja, worüber? Zur Beantwortung dieserFragen diente in erster Linie eine Inhaltsanalyseder lokalen Presse, aber auch die zwei im Fol-genden erwähnten Befragungsreihen. Zweitenswurde die Bevölkerung Dietzenbachs in denverschiedenen Ortsteilen sozialstrukturell sowienach ihren Bildern über die Stadt untersucht.H ierzu wurden in den verschiedenen QuartierenDietzenbachs 160 Personen befragt. Ziel war esnicht, räumliche und/oder soziale Fragmentie-rung, Segmentierung oder Segregation nachzu-weisen, da diese Begriffe nur dann sinnvoll fürAnalysen verwendbar sind, wenn man sie voreinem H intergrund von räumlicher bzw. sozialerEinheit verwenden kann. Sie implizieren einDefizit an möglicher Integration. Solche Vorstel-lungen von Einheit bzw. Integration werden je-doch der Dietzenbacher Situation nicht gerecht.Die auf Dietzenbacher Gemarkung Lebendensind weder als eine soziale, politische nochräumlich integrierte Einheit anzusehen. Deshalbwurden die Ergebnisse dieser Untersuchung alsDifferenzierungen innerhalb der Bevölkerungund als potenzieller Reichtum interpretiert.Drittens wurde analysiert, welche sozialenCharakteristiken diejenige Gruppe hat, die sichzur Teilnahme am Projekt entschloss. Deshalbwurde eine telefonische Befragung bei 124 ander Kampagne 100 qm Dietzenbach beteiligtenPersonen durchgeführt.

4.5.1 Inhaltsanalyse der Presse-veröffentlichungen - öffentlicheDiskurse Im Rahmen der Projektarbeit wurden unter-schiedliche Strategien der Öffentlichkeitsarbeitverfolgt.31 Ein zentraler Baustein war dieKooperation mit der lokalen Presse ("FrankfurterRundschau", "Offenbach Post", "FrankfurterNeue Presse", "Frankfurter Allgemeine Zeitung","Dreieichspiegel", "Dietzenbacher Stadtpost").Bei FR, FNP und FAZ handelt es sich um über-regionale Zeitungen mit eigenem kurzen Lokal-teil für den Landkreis Offenbach. "Dreieich-spiegel" und "Dietzenbacher Stadtpost" sindlokale Anzeigenblätter, während die "OffenbachPost" das eigentliche Lokalblatt darstellt, aller-dings auch nur seitenweise aus Dietzenbachberichtet. Insofern ist zunächst anzumerken,dass es sich in Dietzenbach um eine mengen-mäßig begrenzte Medienlandschaft handelt.Eine weitere Randbedingung stellt die geringeAbonnentenzahl in der Dietzenbacher Bevölke-rung dar. So zählt die "Offenbach Post" ca.1 .400 und die "Frankfurter Rundschau" ca. 400Abonnentinnen und Abonnenten. Die Zahl deranderen Zeitungen ist in ihrer Dimension ver-nachlässigbar. Das bedeutet, dass nur etwa einFünftel der Dietzenbacher Haushalte über einAbonnement einer Tageszeitung verfügt. Dies istbei der Betrachtung der Presseöffentlichkeit undderen Reichweite sicherlich zu bedenken. Wiean anderer Stelle erwähnt, ist dies auch einMerkmal der jungen Stadt Dietzenbach und derdaraus resultierenden Struktur der lokalenÖffentlichkeit, die kaum als Einheit zu fassenist.Im Rahmen der Inhaltsanalyse wurden fünfund-vierzig Presseartikel aus dem Zeitraum vonAugust 2002 bis April 2003 untersucht. In derquantitativen Dimension umfassen diese Artikeleine Bandbreite von kurzen Notizen bis hin zu

4.5 DIE SOZIALWISSENSCHAFTLICHEPROJEKTBEGLEITUNG

118

31 Die vollständige Übersicht über Verteilungen und relevante Beziehungen finden sich im Tabellenteil im Anhang des Berichts.

Page 201: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

fast halbseitigen Artikeln. Insgesamt ist anzu-merken, dass zumindest im Jahr 2002 undgegen Ende des Projekts in 2003 umfänglichberichtet wurde. Die Anzahl von fünfundvierzigPressemeldungen in einem Zeitraum von siebenMonaten läßt Rückschlüsse darauf zu, dass dasProjekt von öffentlichem Interesse gewesen ist.Ausgewertet wurden die Artikel, um öffentlicheBewertungen, Beschreibungen und auch initi-ierte Diskurse des Projektes zu messen. Es soll-te nachvollzogen werden, ob die Zielsetzung,die Stadt als Gesamtheit in die Betrachtung derBewohnerinnen und Bewohner zu rücken, mit-tels des Instrumentariums als gelungen zu be-zeichnen ist.Grundlage zur Bildung der Kategorien warenunterschiedliche Dimensionen.32

• In seiner Ursprungsformulierung gingen so-wohl der Dachantrag des Projekts und noch vielmehr der Antrag des Projektpartners UniversitätFrankfurt davon aus, dass mittels des ProjektsDiskurse zu erzeugen seien, die die festgestellteFragmentierung als Fakt und mögliche Norma-lität anzuerkennen hätten. Andererseits sollteversucht werden, über die Diskurse einen ge-meinsamen Bezugsrahmen hinsichtlich des Ge-samtgebildes Dietzenbach herzustellen. DieserAbsicht wurde in der vorliegenden AuswertungRechnung getragen.• "Öffentliche Reduzierungen" des Projekts wur-den erwartet. Diese waren vor allem an denThemen "Kunst" und "Geldverschwendung" fest-stellbar. Die etwaige Dominanz und die damitaus Projektsicht Blockade des eigentlichen An-liegens wurde in den Auswertungskategorienberücksichtigt.• Im Projektverlauf wurde recht schnell einneuer Diskursstrang eröffnet, der sich auf kon-krete Nutzungen bezog. Insbesondere das The-ma Garten/Grabeland wurde schnell zu einemdominierenden Thema. Das Anliegen, einen ge-meinsamen diskursiven Bezugsrahmen herzu-stellen, wurde dadurch stark in den H intergrundgedrängt. Das Projekt bewegte sich sozusagenim Bestand Dietzenbachs und entlang der all-täglichen Wünsche und Bedürfnisse eines Teils

der Bewohnerinnen und Bewohner. Diese "prag-matische Lawine" fand in zweierlei H insicht Be-achtung. Einerseits wurde durch das Bilden an-gemessener Kategorien versucht, den Stellen-wert dieses Pragmatismus zu messen. Anderer-seits wurde versucht, den Effekt auf das ur-sprünglich formulierte Projektziel, der diskursi-ven Bezugnahme auf die Stadt, darzustellen.

4.5.1.1 Initiierung von DiskursenZielsetzung des Forschungsprojektes war es,über das Instrument der Stelenreihe Diskurse zuinitiieren. Im Rahmen der vorliegenden Auswer-tung wurde versucht, entsprechende Kategorienzu definieren und zu überprüfen, inwiefern eineVerknüpfung von Projekt und Diskursentwick-lung in der Presseöffentlichkeit einen N ieder-schlag fand. Die Verteilung der Kategorie "Stadt-entwicklung" in der Auswertung gibt hierübererste Aufschlüsse:

Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dassdie Verknüpfung des Themas Stadtentwicklungmit dem Projekt nur begrenzt gelungen ist. Inetwa 40 % der Veröffentlichungen tauchen Be-griffe aus der Kategorie Stadtentwicklung nichtauf. Dies wird deutlicher, betrachtet man dieVerteilung auf unterschiedliche Zeiträume mitdifferenzierten Aktivitäten des Projektteams inder Öffentlichkeit. Die folgende Übersicht (Tab.10 .) verdeutlicht, dass es zu einer Konzentration

119

32 Insgesamt wurden 29 Kategorien gebildet, die unter-schiedliche Facetten des Projekts und seiner öffentlichenDiskussion beleuchten sollten. Diesen Kategorien wurdenwiederum unterschiedliche Begriffe zugeordnet, die dieseKategorien mindestens in Teilen ausfüllen sollten. Zur Aus-wertung wurden dann die Begriffe in den Artikeln ausge-zählt. Die Kategorien wurden als normativ gerichtete Kate-gorien von Aussagezusammenhängen gebildet, was in der Auswertung verdeutlicht und betont wird.

Tab. 9. Nennungen von Begriffen der KategorieStadtentwicklung in Presseartikeln

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 6

18 12 10 4 1

Page 202: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

der Begriffe aus der Kategorie Stadtentwicklungin den ersten drei Monaten kommt.

Es sind dies die Monate, in denen seitens desProjektteams begleitende Veranstaltungen (Richt-fest, Vernissage, erste Flächenvergaben) statt-fanden. Diese waren immer mit inhaltlichemInput seitens des Projektteams versehen. Mankann den Schluß ziehen, dass man in den Pres-severöffentlichungen die Begriffe des Teams wie-derfindet. In späteren Zeiträumen verschwindetdie Kategorie Stadtentwicklung fast völlig ausder Öffentlichkeit. Offensichtlich ist es nicht ge-lungen, das Projekt mit dem Thema Stadtent-wicklung zu verbinden und einen sich selbststabilisierenden und befeuernden Diskurs in derÖffentlichkeit zu initiieren.Ähnliches gilt für Begriffe aus der Kategorie "Ge-danken, Diskurse". H ier wurden eher abstraktgehaltene Begriffe kategorisiert, die sich mitdem Gedankenmachen über die Stadt, dem Ge-spräch über die Stadt und über Bilder von derStadt befassen. Eigentlich ist naheliegend, dasseine solche offene Kategorie, die nicht so starkan Begriffen aus dem Planungsbereich hängt,stärker besetzt sein sollte als die Kategorie"Stadtentwicklung". Zumindest dann, wenn esin der Öffentlichkeit Diskurse geben sollte, dennes handelt sich um eine abstrakte, lebenswelt-lich orientierte Kategorie, die reichlich Anknüp-

fungspunkte bietet. Wie die Übersicht zeigt, istgenau das Gegenteil der Fall. In mehr als 50 %der Artikel tauchen Begriffe aus dieser Kategorieüberhaupt nicht auf:

Zudem beschränkt sich die maximale Häufigkeitauf drei Begriffe je Veröffentlichung. Deutlichwird im Vergleich zur Kategorie "Stadtentwick-lung", dass die fachlichen Begriffe des Projekt-teams erstens überhaupt öffentlich benutzt undauch aufgegriffen werden, während die lebens-weltlichen Begriffe der diskursiv zu Infizierendenentweder überhaupt nicht auftauchen oder aberuninteressant für die Presseöffentlichkeit sind,wobei ersteres zu vermuten ist. Als Schlussließe sich daraus ziehen, und das bestätigt denSchluss aus der Auswertung der Kategorie"Stadtentwicklung", dass diskursive Momentekaum hergestellt werden konnten.Eine weitere Kategorie, die in diesem Zusam-menhang zu nennen ist, ist die der "Eigeninitia-tive". Diese besteht aus Begriffen, die mit demselbständigen und eigenverantwortlichen Gestal-ten von Stadt zu tun haben, ohne dass ein kon-kretes Projekt benannt wird. Nennungen ausdiesem Bereich sind verschwindend gering, wiefolgende Übersicht zeigt:

Das Moment der Eigenintiative, des Engage-ments, bezogen auf die Gesamtstadt Dietzen-bach, ist in der öffentlichen Diskussion nur rudi-mentär vorhanden.

120Tab. 10. Stadtentwicklung als Nennung imZeitverlauf

Tab. 11. Nennungen der Kategorie Gedanken,Diskurse in Presseartikeln

Tab. 12. Nennung der Kategorie Eigeninitiative

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 60 2 3 1 06 5 1 0 03 1 4 2 14 1 1 0 03 0 0 0 00 0 1 0 01 1 0 0 00 1 0 0 01 1 0 1 0

18 12 10 4 1

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3

24 13 6 2

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 4

33 6 5 1

Page 203: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.1.2 Diskussion über NutzungenAuch wenn es wie gezeigt nicht gelang, Dis-kurse zu initiieren, so hat das DietzenbacherProjekt doch für rege Öffentlichkeit gesorgt. Wieder folgende Abschnitt zeigt, verschob sich derProjektverlauf von der recht abstrakten Idee,Bewohnerinnen und Bewohner für die Entwick-lung begeistern zu können, recht schnell zusehr konkreten Nutzungsvorstellungen. Wie inder Auswertung der begleitenden Befragungendargestellt, wurde das Thema "Boden" sehrschnell von einem Teil der Dietzenbacherinnenund Dietzenbacher auf Nutzung reduziert.Boden als abstrakter Gegenstand wurde durchsehr konkrete Aneignungsvorstellungen undInteressenartikulation ersetzt. Auch wenn dieszu Beginn des Projekts nicht in dieser Form ge-plant war, so entwickelte sich ein spannenderProzess ungewöhnlicher Partizipation, wie auchdie Presseveröffentlichungen aufzeigen:

Bei diesen Nennungen handelt es sich um Nen-nungen des Themas "Boden", die aus Begriffenwie Claim und Parzelle bestehen. Begriffe also,die aneignungsbezogen sind, ohne in die Kon-kretion der je spezifischen Nutzung zu gehen.Die Häufigkeit ist im Vergleich mit den Häufig-keiten der im vorherigen Kapitel dargestellteneher abstrakten Kategorien sehr hoch. In mehrals 80 % aller Artikel taucht diese Thematisie-rung auf. Zwar findet man auch hier die zeitli-che Konzentration auf den Beginn des Projektsmit zahlreichen Events, doch im Gegensatz zuden Kategorien "Stadtentwicklung" und "Gedan-ken, Diskurse" ziehen sich die Nennungendurch den gesamten Projektzeitraum (siehe Tab. 14 .)Das Thema Boden lässt sich in einem konkre-ten, nutzenorientierten Sinne also als dominie-rendes inhaltliches Thema fassen. Es geht hier-

bei um die ganz konkrete Aneignung, die durchdas Projekt und den Diskussionsverlauf initiiert

wurde. Diese Diskussion scheint alle denkbarenDiskursstränge zu den Themen "Stadt", "Stadt-entwicklung" und "Gedanken" überlagert zuhaben.Deutlicher wird dies an der zugespitzten Dis-kussion über Gartennutzungen. Wünsche einerGartennutzung tauchten wie aus dem N ichtsmassenhaft auf und wurden ebenso jäh, poli-tisch motiviert, gestoppt. Nach wie vor, betrach-tet man die Artikel zum Projektende hin, istGartennutzung eines von zwei dominierendenIdentifikationsmomenten mit dem Projekt:

Der zeitliche Verlauf zu diesem Thema ist inter-essant. So ist zu Beginn von Garten oder Gra-beland überhaupt nicht die Rede, während imSeptember, Oktober und November 2002 dasThema förmlich explodiert, um dann nach derpolitischen Intervention fast völlig zu verschwin-den. In der öffentlichen Reflexion zum Ende des

121

Tab. 13. Nennungen der Kategorie Boden

Tab. 14. Boden als Nennung im Projektzeit-raum

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 4 50 2 1 1 2 01 5 4 0 1 14 1 4 2 0 01 3 1 0 0 11 0 1 0 0 10 0 1 0 0 01 1 0 0 0 00 0 1 0 0 00 0 3 0 0 0

8 12 16 3 3 3

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 4 5

8 12 16 3 3 3

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 4 6 7 9

22 9 2 5 3 1 1 2

Tab. 15. Nennungen der KategorieGartennutzung

Page 204: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Projekts hingegen ist das Thema wieder prä-sent.

4.5.1.3 Reflexe: Geldverschwendung,Provokation und KunstDrei weitere Stränge lassen sich im Verlauf desProjekts finden, die zeitweise strukturierendenEinfluss auf die Diskussion hatten. Es sind diesdie Thematisierungen "Kunst", "Provokation" und"Geldverschwendung". Insbesondere hinsichtlichder Fragestellung der Übertragbarkeit einer He-rangehensweise wie im Dietzenbacher Projektsind diese Thematisierungen sicherlich nichtsingulär, sondern an anderen Orten wiederkeh-rend - somit auch kalkulierbar - und zudemÖffentlichkeit verstärkend, also durchaus instru-mentell einsetzbar.In der Sprache des Projektteams tauchte dieBegrifflichkeit "Kunst", bezogen auf die Stelen-reihe, überhaupt nicht auf. Die Kategorie "Kunst"wurde bei Eröffnung der Stelenreihe öffentlichseitens der Politik eingeführt, wohl um dasetwas unübliche Projekt zu legitimieren.Interessant ist die Reaktion in der Presseöffent-lichkeit, die das Thema "Kunst" im Sinne einerspektakulären Aktion, eines Events deutlich indie Öffentlichkeit brachte. Mit dem konkretenZugang von Nutzerinnen und Nutzern veränder-

te sich die Diktion der Beschreibung, bis schließ-lich im Jahr 2003 überhaupt keine Nennungdes Themas "Kunst" mehr erfolgte.Zugleich muß festgehalten werden, dass dieThematisierung "Kunst" das Projekt in deutlichpositivem Sinne beförderte. Eine nahe liegendeVermutung ist, dass die ursprüngliche Absicht,Diskurse zu initiieren, bei einem Teil der Diet-zenbacher Bevölkerung sicher einfacher überdie forcierte Thematisierung mittels der Kate-gorie "Kunst" möglich gewesen wäre. Allerdingsist ebenso anzunehmen, dass mittels einer sol-chen Herangehensweise die "klassische Mittel-schichtsklientel" erreicht worden wäre und dasErgebnis damit in dieser H insicht nicht denAnforderungen der besonderen räumlichen undSozialstruktur Dietzenbachs entsprochen hätte.Ähnliches gilt für die Kategorie "Provokation".Diese wurde anfangs durch das Projektteam indie Öffentlichkeit geschoben und findet sichanalog zum Strang "Kunst" über den Zeitraumverteilt. Auch hier war es der Fall, dass dieseBegrifflichkeit durch die Presse aufgegriffen wurde und mit den konkreten Nutzungsan-sprüchen verschwand.

Eine wesentliche Kategorie, die als Reflex aufdie anfangs erhebliche Öffentlichkeit zu verste-hen ist, ist die der "Geldverschwendung". Inhalt-lich oft auf die Begriffe "Kunst" und "Provokation"

122Tab. 16. Garten/Grabeland als Nennung imProjektzeitraum

Tab. 17. Kunst als Nennung imProjektzeitraum

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 4 6 7 96 0 0 0 0 0 0 07 4 0 0 1 0 0 01 3 1 2 1 1 1 13 1 0 0 1 0 0 12 0 0 1 0 0 0 01 0 0 0 0 0 0 01 0 1 0 0 0 0 00 0 0 1 0 0 0 01 1 0 1 0 0 0 0

22 9 2 5 3 1 1 2

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 60 3 1 1 17 2 3 0 011 0 0 0 05 0 1 0 02 1 0 0 01 0 0 0 02 0 0 0 01 0 0 0 03 0 0 0 0

32 6 5 1 1

Page 205: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

123

Abb. 90. Presseartikel:Dreieichspiegel28.09.2002

Page 206: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

124

Abb. 91. PressebildAbb. 92. Presseartikel:

Dreieichspiegel14.12.02

Abb. 93. Presseartikel:Frankfurter Rundschau

17.08.02

Page 207: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

bezogen, unterstützte diese Thematisierung dieVerankerung in der Öffentlichkeit. Vermeidbar isteine solche Thematisierung bei Projekten dieserArt wohl kaum. Mit der Konkretion von Nut-zungsansprüchen verschwand dieses Themaebenfalls fast gänzlich.

4.5.1.4. Zentrale Dimension: Das Stelen-projektÜber all diese Thematisierungen hinaus domi-nierte in der Presseöffentlichkeit ein Thema.Lassen sich im Projektzeitraum vielfältigeSchwankungen in den dominierenden Thema-tisierungen feststellen, so zog sich eine Kategoriedurch den gesamten Zeitraum. Das eigentlicheMedium und Instrument des Projekts, die ästhe-tische Setzung in Form der Stelenreihe, war undist das dominierende Identifikationsmerkmal mitdem Projekt Dietzenbach 2030 . Dies gilt zu-nächst für die Zahl der absoluten Nennungen(siehe Tab.19 .).Die Gründe lagen wohl in den zahlreichenAnknüpfungspunkten, die die Stelenreihe bot.Sowohl Themenschwankungen von "Kunst" und"Provokation" hin zu "Nutzungsorientierung" lie-ßen sich mit dem Bild der Stelenreihe verknüp-fen, wie auch kritische Stimmen, die die Geld-verschwendung am verbauten Holz festmach-

ten. Ebenso die verspielten Momente, die sichin Form des Verbauens des Holzes nach Ab-schluss des Projektes im Dietzenbacher Stadt-bild wiederfanden. Insofern erfüllte die Stelen-

reihe ihre Funktion als ästhetisches Instrumentvorzüglich durch die Breite der Anknüpfungs-möglichkeiten. Ein Blick auf den Verlauf ver-deutlicht dies:

Die Stelenreihe wurde mit zahlreichen "Kose-namen" versehen, wie etwa "Riesenmikado","Stelenzauber" oder "Dietzenbach im Stelen-taumel", was die Intensität der Wahrnehmungzusätzlich verdeutlicht. Dies unterstreicht dieMöglichkeit und die Reichweite eines solchenProjektzugangs.

125Tab. 18. Geldverschwendung als Nennung imProjektzeitraum

Tab. 20. Stele als Nennung über Projektverlauf

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 4 5 6 7 8 90 0 1 2 2 1 0 0 0 02 2 1 2 3 2 0 0 0 00 3 2 0 4 0 1 0 1 00 4 0 2 0 0 0 0 0 00 0 1 0 0 1 0 0 1 01 0 0 0 0 0 0 0 0 00 1 0 1 0 0 0 0 0 00 0 0 1 0 0 0 0 0 00 0 0 1 0 0 0 1 0 2

3 10 5 8 9 4 1 1 2 2

Nennung08 .0209 .0210 .0211 .0212 .0201 .0302 .0303 .0304 .03

Gesamt

Gesamt6

1211

631213

45

0 1 2 3 44 2 0 0 07 4 1 0 08 0 1 0 26 0 0 0 02 0 1 0 00 1 0 0 01 0 0 1 01 0 0 0 03 0 0 0 0

32 7 3 1 2

Tab. 19. Nennungen der Kategorie Stele

Häufigkeit

Nennungen

Gesamt

45

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

3 10 5 8 9 4 1 1 2 2

Page 208: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.2 Facetten der Differenz unddes Reichtums - die Befragung derStadtbevölkerung

Im Rahmen des Projektes fand eine Befragungim Stadtraum statt, die die fragmentierte sozialeStruktur belegen sollte und diesbezüglich meh-rere Zielsetzungen verfolgte. So wurde einerseitsversucht, mittels der Befragung Vorstellungen,Bilder und Wahrnehmungen der Stadt seitensder Bevölkerung zu erheben. Ferner ging es da-rum, Nutzungsansprüche an den Stadtraum derunterschiedlichen Teile der Stadtbevölkerung inden Blick zu nehmen. Letztlich wurde mittelsder Befragung auch der Versuch unternommen,die Reichweite des Projekts 2030 in die städti-sche Öffentlichkeit hinein abzuschätzen undsomit zu einer Einschätzung der Tragweite dergewählten Strategie zu gelangen.

4.5.2.1 Methodische AnmerkungenDie Befragung fand in den Monaten Januar bisMärz 2003 statt und wurde an unterschied-lichen Orten in den Quartieren Dietzenbachsdurchgeführt. Befragt wurden 160 Personen.Aufgrund von Mängeln in einigen Fragebögengingen jedoch lediglich 149 Fragebögen in dieAuswertung ein.Die Befragung war nicht im klassischen Sinneeiner Zufallsstichprobe angelegt. Vielmehr wurdesie inhaltlich begründet geschichtet. Einerseitswurde versucht, der in Kapitel 2 .2 .2 vorgenom-men Gebietstypisierung (traditionelle Quartiere,"Neue Mitte", Spessartviertel) Rechnung zu tra-gen, da von der Hypothese ausgegangen wurde,dass sich die Bevölkerung dieser unterschied-lichen Quartierstypen hinsichtlich ihrer Nut-zungsinteressen an der Stadt wie auch ihrerBilder von der Stadt differenzieren läßt.Entsprechend wurden die Anteile der Quartierean der Gesamtbevölkerung gewichtet. Die Ent-scheidung, die Befragung in diesem Sinne zustrukturieren, trägt mit der oben genanntenHypothese dem zentralen Anliegen des Projekt-antrags Rechnung, dass bei Vorliegen einer

baulich wie sozial heterogenen Struktur, wiedies in Dietzenbach der Fall ist, mit stark diffe-rierenden Einschätzungen der Stadt zu rechnenist, diese jedoch unterschiedlich stark in diestädtische Öffentlichkeit kommuniziert werden.Eben diese differenzierten Einschätzungen auf-zuspüren, sie sichtbar zu machen und im Sinnedes Projektanliegens der "Ressourcenentwick-lung" aufzugreifen, war ein zentrales Merkmalder Befragtenauswahl.Zudem wurde versucht, in der Stichprobe dieAltersstruktur der Stadt zu repräsentieren, wasauch wesentlich gelungen ist. Die zu Grundeliegende Annahme bestand darin, dass in einerdynamisch gewachsenen Stadt das Alter einenwesentlichen Faktor der Wohndauer darstellt.Mit der Wohndauer wiederum lassen sich klas-sischerweise Indikatoren der Integration in dieStruktur einer Stadt (etwa: politische Teilhabe,Vereinsmitgliedschaften, ehrenamtliches Enga-gement) verbinden. Über die Schichtung nachdem Alter wurde in der Tat die im Sozialstruktur-atlas des Landkreises beschriebene Wohndauerin Dietzenbach abgebildet.Kritisch ist bei der Betrachtung der Befragten-auswahl anzumerken, dass die Geschlechter-relation mit anteilig 41 % Frauen und 59 %Männern nicht abgebildet wurde, was der stär-keren Präsenz und Ansprechbarkeit von Män-nern im öffentlichen Raum geschuldet ist. DieInterviews fanden in öffentlichen Räumen dereinzelnen Quartiere statt.

4.5.2.2 Quartierstypische DifferenzenEin Ziel der Befragung war es, die Quartiers-struktur Dietzenbachs abzubilden. Dies gelangin etwa (siehe Tab. 21 .).Wie oben angedeutet, war ein zentrales Ziel derBefragung, die Wohndauer der befragtenBevölkerung zu messen. Diese stellt sich in derAuswertung wie folgt dar (siehe Tab. 22 .).Als erstes Ergebnis läßt sich festhalten, dassknapp 50 % aller Befragten weniger als zehnJahre in Dietzenbach leben, was den Vergleichs-zahlen des Sozialberichts des Landkreises Offen-bachs entspricht.33 Setzt man diese Zahlen in

126

Page 209: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Relation zu den in Kapitel 2 .2 .2 .2 definiertenGebietstypen (traditionelle Quartiere, "NeueMitte", Spessartviertel), so ergibt sich folgendesBild (siehe Tab. 23 .).Deutlich zeigen sich die Verteilungsunterschiede.Während erwartungsgemäß die Verweildauer inden traditionellen Quartieren am höchsten ist,unterscheiden sich Spessartviertel und "NeueMitte" deutlich. Bei beiden handelt es sich umQuartiere, die während der vergangenen fünf-undzwanzig Jahre entstanden sind. Das Spes-sartviertel ist, zumindest im östlichen Teil, dasdeutlich ältere Quartier und gleichwohl ist dieVerweildauer hier niedriger. Das Spessartviertelscheint für viele Bewohnerinnen und Bewohnereher eine Durchgangsstation zu sein, währendder Bereich "Neue Mitte", der durch Eigentums-wohnungsbau geprägt ist, sich als ein dauerhaf-ter Siedlungsbereich zu entwickeln scheint.N immt man die Ergebnisse der Frage "Sind Siein Dietzenbach geboren?" hinzu, so verstärktsich zunächst das Bild der schnell gewachsenenStadt, die fast einer Stadtneugründung gleich-kommt. Lediglich 10 ,1 % bejahen diese Frage,bei knapp 90 % der Befragten handelt es sichum Zugezogene. Interessant ist auch hier derBlick auf quartiersspezifische Verteilungen(siehe Tab. 24 .).Deutlich wird, dass die Verteilung zwischen dentraditionellen Quartieren und der "Neuen Mitte"annähernd gleich ist, also auch gebürtige Diet-zenbacherinnen und Dietzenbacher die "NeueMitte" als Wohnquartier in Anspruch nehmenAuffällig ist hingegen, dass keine befragte Personaus dem Spessartviertel in Dietzenbach geborenist.Untersucht man ferner die Herkunft der Befra-gten, so zeigen sich weitere Unterschiede (sieheTab. 25 .).Deutlich wird an diesen Zahlen einerseits dieKonzentration der Bevölkerung mit Migrations-hintergrund im Spessartviertel, andererseits derstark unterdurchschnittliche Anteil am Gesamt-anteil nicht-deutscher Bevölkerung im Eigen-tumsgebiet "Neue Mitte". Der Anteil für dieGesamtstadt liegt bei 28 ,7 % nicht-deutscher

127Tab. 21. Prozentualer Anteil Befragte undStadtbevölkerung*

Tab. 24. Gebürtig in Dietzenbach in Prozentnach Quartierstypen

Tab. 22. Wohndauer in Jahren in Prozent

< 1 Jahr

12 ,1 %

5-10 Jahre

13 ,4 %

> 10 Jahre

53 ,7 %

1-5 Jahre

20 ,8 %

Tab. 23. Wohndauer in Jahren in Prozentinnerhalb der Quartierstypen

33 Vgl. hierzu auch Kapitel 2 .2 .2 .

Anteil Stadt-bevölkerung

Anteil in derBefragung

TraditionelleQuartiere

63 ,3 %

67 ,7 %

"NeueMitte"

11 ,7 %

13 ,4 %

Spessart-viertel

25 %

18 ,9 %

< 1 Jahr1-5 Jahre

5-10 Jahre> 10 Jahre

TraditionelleQuartiere

8 %18 %15 %59 %

"NeueMitte"

20 %20 %15 %45 %

Spessart-viertel

25 %37 ,5 %

8 ,3 %29 ,2 %

* laut Sozialbericht 99 / 00

Geboren in Dietzenbach

Nicht geboren inDietzenbach

TraditionelleQuartiere

12 ,4 %

87 ,6 %

"NeueMitte"

10 %

90 %

Spessart-viertel

0 %

100 %

Page 210: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Bevölkerung. Bezogen auf Bevölkerungsanteile mit Migrationshintergrund ist also eine deutlicheSpreizung der Verteilung zwischen den Quar-tieren festzustellen.Ähnlich signifikante Verteilungen lassen sich fürdie Bereiche Schul- und Berufsausbildung fest-stellen. So verfügen in den Quartieren "NeueMitte" und traditioneller Bereich jeweils etwa 70 % der Befragten über eine Berufsausbildung,während sich das Verhältnis im Spessartviertelfast umkehrt - hier verfügen lediglich 35 ,8 %der Befragten über eine Berufsausbildung.Aber auch die Betrachtung der Schulabschlüsseeröffnet interessante Eindrücke (siehe Tab. 26 .).

Zunächst ist auffällig, dass der Anteil der Befrag-ten ohne Abschluss oder mit Hauptschulab-schluss im Spessartviertel bei exakt 50 % liegt.Im zweiten Zuwandererquartier, der "NeuenMitte", liegen diese Merkmalsausprägungen beilediglich 5 %. Auffällig ist auch die relative Nor-malverteilung der Bewohnerinnen und Bewoh-ner der traditionellen Quartiere.Auf der anderen Seite ist der Anteil der Personen

mit Studienabschluss im Spessartviertel amhöchsten.

4.5.2.3 Bewegungsräume in der StadtDie Betrachtung der quartiersspezifisch genutz-ten Bewegungsräume in der Stadt stützt dasBild der unzusammenhängenden Stadtinseln.Am höchsten frequentiert sind dabei die Quar-tiere mit Zentrenfunktion, also Altstadt und"Neue Mitte". So bewegen sich 57 ,7 % allerBefragten häufig in der Altstadt und 71 ,8 % imBereich "Neue Mitte". Neben diesen zentralenQuartieren finden sich nennenswerte Bewegun-gen lediglich zwischen den Quartieren Steinbergund Altstadt. Eine kleinere Zahl Nennnungenverteilten sich von unterschiedlichen Quartierenauf den Bereich Wingertsberg, dies immer imZusammenhang mit Freizeitbewegungen.Ansonsten finden sich kaum Anhaltspunkte da-für, dass Quartiersbewohner und -bewohnerin-nen in anderen Quartieren häufiger unterwegswären. So bewegt sich keine/r der Befragtenaus dem Bereich der Altstadt im Spessartviertel,obwohl beide Quartiere unmittelbar nebenein-ander liegen.Für die Befragungsreihe lässt sich für einigeStadtteile ein Beziehungsparameter berechnen.Diesen erhält man, indem man die Häufigkeitdes Besuchs quartiersfremder Personen in Rela-tion zur Gesamtmenge der quartiersfremdenPersonen in der Befragung setzt. Durch die Mul-tiplikation mit dem Kehrwert des Quartiersanteilsder Befragung an der Gesamtbefragung erhältman einen standardisierten Wert. Bei Erhaltendes Werts 1 wäre der Stadtteil innerhalb derBefragung durchschnittlich häufig als Ort vonQuartiersfremden aufgesucht. Ist der Wert klei-ner 1 , so wird er unterdurchschnittlich häufigvon Quartiersfremden aufgesucht. Entsprechendumgekehrt verhält es sich bei einem Wert grö-ßer 1 , der Ort wird relativ häufiger aufgesucht.Seriöserweise lässt sich ein solcher Wert nur beieiner Mindestanzahl von Befragten berechnen,der für einzelne Stadtteile gegeben ist und fol-gendes Bild vermittelt (siehe Tab. 27 .).Deutlich wird an dieser Maßzahl die Zentralität

128

Tab. 26. Schulabschlüsse nach Quartierstypen

K. AbschlussHauptschule

RealschuleAbitur

Studium

TraditionelleQuartiere

6 ,8 %29 ,8 %28 ,8 %21 ,2 %14 ,3 %

"NeueMitte"

0 ,0 %5 ,0 %

55 ,0 %25 ,0 %15 ,0 %

Spessart-viertel

16 ,7 %33 ,3 %20 ,8 %12 ,5 %16 ,7 %

Tab. 25. Nationalität der Befragten nachQuartierstypen

Deutschland

AndererStaat

TraditionelleQuartiere

79 ,8 %

20 ,2%

"NeueMitte"

90 %

10 %

Spessart-viertel

50 %

50 %

Page 211: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

des Bereichs der "Neuen Mitte". Ebenso die re-lative Häufigkeit von Besuchen in der Altstadtsowie die Beziehungen nach Steinberg. Ebensodeutlich werden aber auch die geringen Bezie-hungen einzelner Quartiere in die anderenWohnstandorte.Dieses Bild wird durch die Antworten auf dieFrage "Welche Orte besuchen Sie in Dietzenbachhäufig?" unterstützt. Auch hier ging es darum,Bewegungen in der Stadt zu lokalisieren. Zu-nächst verblüfft, dass fast 30 % der Bewohne-rinnen und Bewohner der traditionellen Quar-tiere und 22 % des Spessartviertels diese Fragemit "Zuhause" beantworten. N immt man denexpliziten Ausschluss irgendeines Ortes hinzu,so addieren sich diese Nennungen in beidenQuartierstypen auf um etwa je 40 %. Die Fragenach (öffentlichen) Orten wird also mit privatemRückzug oder der N icht-Existenz beantwortet.Deutlich unterschiedlich fallen die Antworten

aus dem Bereich der "Neuen Mitte" aus. Siesind auf öffentliche Räume orientiert (häufigsteNennungen sind hier Theatervorstellungen imBürgerhaus, Kino, Besuch von Stadtfesten etc.)oder nutzen eine wesentliche Ressource derStadt, die Lage im Grünen (siehe Tab.28 .).Die Gruppen der traditionellen Quartiere benen-nen zu 50 % traditionelle Orte als Bewegungs-raum. Kneipen als privat-öffentliche Orte desMeinungsaustauschs, die Altstadt als Kerngebietdes alten Dietzenbachs und der Besuch beiFreundinnen und Freunden in anderen Stadt-teilen sind hier neben der privaten Orientierungdominierend. Deutlich am wenigsten im Dietzen-bacher Kontext bewegen sich die Bewohnerin-nen und Bewohner des Spessartviertels imöffentlichen Raum. Über 40 % nennen direktoder indirekt ihr Zuhause als wichtigstenBezugspunkt in Dietzenbach.

4.5.2.4 Wahrnehmung der StadtIm Rahmen der Befragung wurde gefragt, wel-chen Namen die Befragten einem Bild gebenwürden, das sie von ihrer Stadt zeichnen wür-den. Die vorgeschlagenen Bilder trugen dieNamen "Brache", "Heimat", "Ghetto", "Provinz","Langeweile" und "Ruhe/Grün". H ier wurde dieZustimmung oder Ablehnung zu jedem Bild ein-zeln abgefragt, so dass in der Auswertung Mehr-fachnennungen auftreten.Bei der Beantwortung dieses Fragenkomplexeslassen sich nur Tendenzen feststellen, die seltensignifikant sind, aber immerhin Einschätzungenzulassen. Auszuschließen ist einerseits das Bildder Brache, das nur 6 % der Befragten für sinn-voll hielten. Das eigentliche Thema des Projekts,die Brachen und der Boden der Stadt, scheinenin dieser Form zunächst einmal zu abstrakt füreine alltägliche Wahrnehmung zu sein, um anRelevanz zu gewinnen. Gleiches gilt für das Bild"Ruhe/Grün", das lediglich für 17 ,4 % derBefragten eine Rolle spielt.Differenzierungen findet man jedoch auch beiden Bewohnerinnen und Bewohnern unter-schiedlicher Quartierstypen. Das mit Abstandnegativste Bild der Stadt besteht bei den Bewoh-

129

Tab. 28. Häufig besuchte Orte nach Stadtteilen

Tab. 27. Beziehungsparameter ausgewählterDietzenbacher Quartiere

SteinbergAltstadt"Neue Mitte"WestendSpessartviertel

1 ,041 ,404 ,350 ,350 ,25

ÖffentlicheRäumeKneipen etc.NaturNaherholungAltstadtAndereStadtteileExplizit:Kein OrtZuhause

TraditionelleQuartiere

11 ,3 %22 ,5 %

5 ,6 %5 ,6 %

15 ,5 %

12 ,7 %

9 ,9 %29 ,6 %

"NeueMitte"

27 ,3 %9 ,1 %

27 ,3 %9 ,1 %

18 ,2 %

0 %

0 %9 ,1 %

Spessart-viertel

16 ,7 %16 ,7 %11 ,1 %

5 ,6 %5 ,6 %

0 %

22 ,2 %22 ,2 %

Page 212: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

nerinnen und Bewohnern des Quartiers "NeueMitte". H ier dominiert das B ild des Ghettos,dem 65 % der Befragten zustimmen. Die zweit-und dritthäufigste Nennung erhielten die eben-falls negativ anmutenden Bilder "Provinz" mit35 % und "Langeweile" mit 25 % Zustimmung.Das Bild des Ghettos ist auch für die Bewohne-rinnen und Bewohner der traditionellen Quar-tiere mit 36 ,2 % und des Spessartviertels mit37 ,5 % das am häufigsten genannte Bild. Beibeiden Quartieren erfolgt aber als zweithäufig-stes Bild ein positives, das der "Heimat". 30 ,5 %der Befragten aus den traditionellen Quartierenstimmen dem zu und 27 ,5 % des Spessartvier-tels. Verstärkt wird dieser Eindruck mit den Antwor-ten auf die Frage "Was gefällt Ihnen an Dietzen-bach besonders gut?", so lassen sich auch hierdie Konnotationen der Antworten differenzieren.Orientieren sich die Antworten bei den Bewoh-nerinnen und Bewohnern der traditionellenQuartiere hier auf Kategorien "Vereine" und"Freunde", so orientieren sich die Antworten imBereich des Spessartviertels auf die Kategorie"Nachbarschaft", die sehr viel mehr den Charak-ter eines stützenden Netzwerks als der persön-lichen sozialen Nähe beinhaltet.Abgefragt wurde mit mehreren Fragen die per-

sönliche Zufriedenheit in Dietzenbach. Dies ge-schah zunächst durch eine Gesamteinschätzungauf einer Skala von eins bis sechs, von sehrpositiv bis sehr negativ. H ier ergibt sich folgen-des Bild:Deutlich wird an dieser Übersicht vor allem,dass die Bewohnerinnen und Bewohner der tra-ditionellen Quartiere die höchste Zufriedenheitaufweisen. Mehr als 65 % sind mit ihrer Situ-ation in Dietzenbach zufrieden. Die tendenziellgeringste Zufriedenheit findet sich bei den Be-wohnerinnen und Bewohnern des Spessartvier-tels, während die Befragten aus dem Bereich"Neue Mitte" zu Aussagen im mittleren Bereichtendieren.N immt man eine weitere Frage hinzu, die Frage"Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft in Diet-zenbach?", so wird das oben beschriebene Bildim Kern bestätigt. Allerdings sind die Erwartun-

gen an die Zukunft schlechter als das Bild derGegenwart. Dies betrifft alle Gruppen gleicher-maßen, wenn auch die Befragten der traditio-nellen Quartiere nach wie vor eine positive Er-wartung hegen.Das gleiche Bild findet sich bei einer weiterenzukunftsgerichteten Frage, nämlich danach wiewohl Dietzenbach in zehn Jahren aussehenwird. Auch hier sind die Antworten eher skep-tisch. Offensichtlich sind die Erwartungen andie Zukunft in Dietzenbach häufig mit negativenVorstellungen belegt. Dies betrifft insbesonderedie Gruppen der Zugezogenen aus den Berei-

130

Tab. 29. Persönliche Zufriedenheit in Dietzen-bach nach Quartieren

Sehr zufrie-denZufriedenEher zufrie-denEher unzu-friedenUnzufriedenSehr unzu-frieden

TraditionelleQuartiere

0 ,95 %17 ,1 %

47 ,6 %

21 %8 ,6 %

4 ,8 %

"NeueMitte"

0 %15 %

30 %

45 %10 %

0 %

Spessart-viertel

0 %8 ,3 %

33 ,3 %

41 ,7 %8 ,3 %

8 ,3 %

Tab.30. Persönliche Zukunft in Dietzenbachnach Quartieren

Sehr positivPositivEher positivEher negativNegativSehr negativ

TraditionelleQuartiere

2 %16 %41 %24 %15 %

2 %

"NeueMitte"

0 %5 %

25 %55 %10 %

Spessart-viertel

0 %8 ,3 %

24 ,9 %24 ,9 %33 ,6 %

8 ,3 %

Page 213: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

chen Spessartviertel und "Neue Mitte". Anzu-merken ist hier noch, dass eine Abhängigkeitder Zufriedenheit und der Zukunftserwartungenweder vom Alter noch von der Wohndauer inDietzenbach festzustellen ist. Es handelt sichalso in der Tat um quartierspezifische Merkmals-ausprägungen.

Ein weiterer Fragekomplex, der in diesemZusammenhang zu nennen ist, ist der nach denBesonderheiten der Stadt. Es handelt sich umdie Fragen "Was fehlt in Dietzenbach?" und"Besonders gut in Dietzenbach finde ich...?".(siehe Tab. 31 . und Tab. 32 .)Zunächst springt die Übereinstimmung ins Auge,die darin besteht, dass alle Gruppen mit etwa30 % Anteil den größten Mangel in fehlendenFreizeitmöglichkeiten sehen. Da die Frage offengestellt wurde und erst während der Auswertungkategorisiert wurde, lassen sich hier Beispielebenennen, die vor allem die Bereiche Sport,Kino und Ausgehen in den Vordergrund rücken.Übereinstimmung lässt sich auch im Mangelder Ästhetik des Stadtbilds feststellen. Jeweils

etwa 20 % der Befragten benennen dies alszentrales Problem. Eher generationen- als quartiersspezifisch lässtsich der Unterschied zwischen den traditionel-len Quartieren und den Quartieren "Neue Mitte"und Spessartviertel benennen. Im Durchschnittder Befragung, wie auch im Durchschnitt der

Dietzenbacher Bevölkerung, sind die Bewohne-rinnen und Bewohner der letztgenannten Quar-tiere jünger und in der Regel in der Familien-phase mit Kindern. Ihnen fehlen Einrichtungenfür Kinder und Jugendliche. Etwas differenzierter zeigt sich das Bild, wenndie Vorzüge Dietzenbachs benannt werden sol-len. Übereinstimmung herrscht zunächst beijeweils über 30 % der Befragten gruppenüber-greifend, dass "nichts" an Dietzenbach positivsei.Auch die mengenmäßig zweithäufig besetzteKategorie ist mit "Freunde/Nachbarn" identisch.Allerdings variiert hier der prozentuale Anteil von37 ,5 % im Spessartviertel bis 20 % im Bereich"Neue Mitte". Auch die inhaltliche Belegung,wieder wurde offen gefragt und bei der Auswer-tung kategorisiert, ist zu differenzieren. Wie obenbeschrieben beziehen sich die Nennungen imBereich Spessartviertel sehr stark auf die Begriffe

131

Tab. 31. In Dietzenbach fehlt... nach Quartie-ren

NichtsGuteSchulenFür Kinder/-Jugendl.Einkaufs-möglk.Zu vieleAusländerFreizeitmög-lichkeitVerkehrs-anbindungSchönesStadtbild

TraditionelleQuartiere

17 ,1 %

3 ,8 %

12 ,4 %

5 ,7 %

4 ,8 %

30 ,5 %

4 ,8 %

21 %

"NeueMitte"

0 %

10 %

25 %

10 %

5 %

30 %

0 %

20 %

Spessart-viertel

15 %

0 %

30 %

0 %

4 ,2 %

33 ,3 %

4 ,2 %

21 %

Tab. 32. Positiv an Dietzenbach nach Quartie-ren

NichtsNähe zuFrankfurtGrünVereineVeranstal-tungenFreundeNachbarnGünstigeMieten

TraditionelleQuartiere

34 ,3 %

8 ,6 %13 ,3 %15 ,2 %

7 ,6 %

24 ,8 %

1 ,9 %

"NeueMitte"

30 %

20 %10 %

5 %

5 %

20 %

10 %

Spessart-viertel

37 ,5 %

12 ,5 %0 %

4 ,2 %

4 ,2 %

37 ,5 %

4 ,2 %

Page 214: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Nachbarschaft, kultureller Kontext und die Mög-lichkeit, eigene Traditionen leben zu können.Für die Bewohnerinnen und Bewohner der tra-ditionellen Quartiere haben eher Begriffe wieFreunde, öffentliches Leben und dörfliche Iden-tität Bedeutung. Ähnlich zu typisieren ist für denBereich "Neue Mitte" nicht möglich, hier streuendie Aussagen erheblich.Deutlich ist der Bezug der Bewohnerinnen undBewohner des Quartiers "Neue Mitte" nachFrankfurt. 20 % benennen es als den zentralenVorzug, dass Dietzenbach nah an Frankfurtliege. Dies korrespondiert sehr stark mit demAnteil des Arbeitsortes Frankfurt von 35 % anallen Arbeitsorten in diesem Quartier, der ge-genüber 21 % im Spessartviertel und 12 ,4 %in den traditionellen Quartieren deutlich überdiesen liegt. Der Vorzug Dietzenbachs ist fürdiese Gruppe also auch etwas Äußerliches,seine Lage im Verhältnis zum Arbeitsplatz.Zusammenfassend lassen sich also folgendeMuster nachvollziehen:• Die Quartiere sind durch eine unterschiedli-che durchschnittliche Wohndauer zu kennzeich-nen. Der Bereich "Neue Mitte" scheint sich dabeials dauerhafter Wohnstandort zu entwickeln,während das Spessartviertel eher von Zu- undWegzügen gekennzeichnet ist.• Bewegungen in der Stadt finden höchst seltenzwischen unterschiedlichen Quartieren, alsWohnstandorte verstanden, statt. Es ist dieZentralitätsfunktion des Bereichs "Neue Mitte"und eingeschränkt der Altstadt, die diese Ortezu höher frequentierten Orten macht.• Öffentliche Orte werden nur eingeschränktgenutzt. Eigentlich sind es nur die Bewohnerin-nen und Bewohner der "Neuen Mitte", die dieseals relevant benennen. Dominierend ist hingegenbei der anderen Gruppe der Rückzug in das Pri-vate oder die explizite Nennung, dass kein Ortin Dietzenbach häufig besucht wird. Am wenig-sten in der Öffentlichkeit bewegen sichBewohnerinnen und Bewohner des Spessart-viertels.• In der bildhaften Beschreibung Dietzenbachsist die negative Einschätzung seitens der Bewoh-

nerinnen und Bewohner der "Neuen Mitte" auf-fällig, während für die anderen Quartiere dieEinbindung über das Bild "Heimat" sehr vielstärker ausgeprägt ist.• Durchgängig als größter Mangel der Stadtwerden die geringen Freizeitmöglichkeiten be-nannt. Gleiches trifft für das als schlecht emp-fundene Stadtbild zu. • Wertschätzung genießt die Stadt in unter-schiedlicher Art und Weise. Für die Gruppender traditionellen Quartiere wie des Spessart-viertels liegt die größte Bedeutung im Eingelas-sensein in die je spezifischen Communities. Fürden Bereich "Neue Mitte" ist einer der zentralenVorzüge ein ortsfremder, die Nähe zu Frankfurt.Die Befragung zeigt, dass es eine quartierstypi-sche Differenzierung der Dietzenbacher Bevölke-rung gibt. Sie zeigt auch, dass die negativeSelbsteinschätzung der Stadt, die in öffentlichenDiskursen über die Stadt dominiert, in einemViertel, der "Neuen Mitte" mit einer Vielzahl vonPendlerinnen und Pendlern, besonders ausge-prägt ist. Aber auch positive Selbsteinschätzun-gen der Stadt lassen sich feststellen. Sie sindvor allem im Spessartviertel bei einer Bevölke-rung zu finden, die aufgrund ihrer Arbeits- undLebenssituation viel abhängiger von der städti-schen Umwelt und ihren Möglichkeiten ist, alsdies etwa bei Pendlerinnen und Pendlern derFall ist. Diese relativ positive Einschätzung derStadt Dietzenbach durch eine Bevölkerung, dieim politischen Raum und in den lokalen Ver-einen wenig vertreten ist (vgl. hierzu Kap.2 .2 .2 .2), ist ein erster Fingerzeig auf den uner-kannten Reichtum der Stadt, den das Projekt2030 mobilisieren konnte.

4.5.2.5 Wahrnehmung des Projekts Stadt2030Im Rahmen der Erhebung sollte auch ermitteltwerden, wie das Projekt 2030 in die Stadt hin-eingewirkt hat. In der Befragung äußerten 52 ,3 % der Befragten, Kenntnis vom ProjektDietzenbach 2030 zu besitzen. Die Befragtengaben ferner Auskunft darüber, was sie dennvom Projekt 2030 wissen. Bei den Befragten,

132

Page 215: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

die Kenntnis des Projekts besaßen, ergab sichdabei folgende Verteilung:Wie schon in der Inhaltsanalyse deutlich wurde,so ist auch bei der Befragung bei der Fragenach Kenntnis von Projektteilen die Stelenreihedas dominierende Element. Alle Befragten, dieKenntnis vom Projekt besitzen, kennen auch dieStelenreihe. Anscheinend handelt es sich beieiner solchen Installation um ein ideales Instru-ment, Aufmerksamkeit zu erzeugen und dieseauch nachhaltig zu verankern.Aber auch die anderen Bestandteile des Projektswurden hinreichend transportiert. Immerhinkennt fast die Hälfte das Thema Flächenverga-be, so dass nicht nur Aufmerksamkeit erzeugtwurde, sondern eben auch die Inhalte und Ab-sichten vermittelt wurden. Selbst etwas Ferneswie die Verbindung mit einem Forschungsprojektist einem Viertel der Befragten präsent.Die daran anschließende Frage war die, wieman denn von dem Projekt erfahren habe. ImRahmen des Projekts erfolgte eine rege Öffent-lichkeitsarbeit, die sowohl Pressearbeit überPressemitteilungen und Veranstaltungen alsauch eigene Medien einschloß. Die Befragtenmachten hierzu folgende Angaben (siehe Tab. 34 .) Das Projekt wurde also offensichtlich wesentlichüber die Presse transportiert. Aber auch bei die-ser Frage spielt die Stelenreihe als Medium miteinem Drittel an Nennungen eine Rolle, wäh-rend die Bemühungen, über eigene Medien(Plakate und F lugblätter) Öffentlichkeit herzu-stellen, nicht funktioniert haben.Ein interessanter Aspekt ergibt sich aus den28 ,2 % der Nennungen, man habe von Be-

kannten über das Projekt erfahren. Eine zentraleZielsetzung des Projekts 2030 war es, Diskursein der Stadtbevölkerung zu erzeugen. H ier findensich erste H inweise darauf, dass dies zumindestbei einem Teil der Bevölkerung funktioniert hat.Die gemeinsame Rede über das Stelenprojekteröffnet einen ersten Zugang. Bei dieser Gruppehandelt es sich vornehmlich um Bewohnerinnenund Bewohner der Quartiere Altstadt, Steinbergund der "Neuen Mitte", die mit Anteilen zwi-schen 33 % und 38 % über Bekannte vom Pro-jekt erfahren haben. Im Vergleich hierzu sind esim Spessartviertel lediglich 8 ,3 %.H ieran schließt sich unmittelbar die Frage an, obdas Projekt nach Kenntnisnahme weiter disku-tiert wurde. 68 ,2 % der Befragten bejahen dies.In den traditionellen Quartieren geben 74 % an,mit Bekannten im Fortgang über das Projekt ge-sprochen zu haben, im Bereich der "NeuenMitte" 50 % und im Bereich des Spessartvier-tels 66 ,3 %. Über das Interessewecken hinausist es also gelungen, in erheblichem Maße Ge-spräche in der Stadt zu erzeugen.Gefragt wurden die Personen auch, wie sie dasProjekt insgesamt einschätzen. H ier verteilensich die Antworten folgendermaßen. Am häufig-sten erfolgt die etwas unscharfe Antwort "ver-ständnislos" mit 38 ,2 %, die keineswegs mitnegativ gleichgesetzt werden kann. H ier ist imNachhinein ein Defizit in der Projektkommunika-tion festzustellen. Offenkundig wurde das Projektzu wenig erklärt. Die Waage halten sich die Ant-worten "neutral" und "eher negativ" mit 21 ,8 %,

133Tab. 33. Kenntnis von Bestandteilen aus demProjekt 2030

StelenFlächenvergabeBauwagenForschungsprojekt

Nein

0 %53 ,8 %77 ,9 %75 ,4 %

Ja

100 %46 ,2 %32 ,1 %24 ,6 %

Tab. 34. Kenntnis des Projekts über...

ZeitungFlugblätterPlakateÜber BekannteNeugierde durchStelenreiheBauwagen

Nein

33 ,3 %97 ,4 %94 ,9 %71 ,8 %

66 ,7 %91 ,0 %

Ja

66 ,7 %2 ,6 %5 ,1 %

28 ,2 %

33 ,3 %9 ,0 %

Mehrfachnennungen möglich

Page 216: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

während 18 ,2 % das Projekt als "eher positiv"einschätzen.Kenntnis von den Nutzungswünschen anderer,eine Frage also, die sich mit dem befasst, wasin der Stadt durch andere initiiert wird, hatten42 ,3 % der Befragten mit Kenntnis des Projekts.Die Informationen von Realisierungsvorschlägenkamen dabei zu 75 % aus der Zeitung. H ier istalso festzustellen, dass die Kommunikation zu-nehmend medial vermittelt geschehen ist.Eigene Flächenwünsche oder die Vorstellung,Flächenwünsche zu äußern, wurden hingegenlediglich von 8 ,1 % der Befragten kundgetan.Zusammenfassend ist zu sagen;• Es ist gelungen, das Projekt in die Öffentlich-keit zu transportieren. H ierbei spielten vor allemdie klassischen Medien und die Installation eineRolle.• Ebenfalls gelungen ist es, Diskussionen inGang zu setzen, die sich mit der Stadt und ihrerNutzung befassen.• Diese Diskussionen scheinen aber im nahenBekanntenkreis der befragten Personen hängengeblieben zu sein. Darauf weisen zwei Punktehin. Erstens der große Anteil derjenigen, die kei-nen Zugang durch mangelnde Erklärung desProjekts gefunden haben, und ferner die abneh-mende Kenntnis dessen, was in der Stadtgeschieht, je weiter es aus dem persönlichenNahbereich entrückt.

4.5.3 Befragung der Projektteil-nehmerinnen und Projektteilnehmer

Von August bis Dezember 2002 konnten dieBürgerinnen und Bürger Dietzenbachs an sechsTagen in der Woche im Vor-Ort Büro im Bauwa-gen an der Rakovnikpassage einen Nutzungs-wunsch für eine Parzelle äußern.34 In diesemZeitraum haben sich dort bzw. direkt beimStadtplanungsamt insgesamt 260 Personen fürdie Nutzung einer Parzelle angemeldet. Von diesen Projektteilnehmerinnen und -teilneh-mern standen 124 für ein Telefoninterview zurVerfügung.35 Die Erhebung erfolgte im Zeitraumvon Januar bis März 2003 . Erhebungseinheitwaren Einzelpersonen, diese standen für jeweilseinen Haushalt.Zur Erhebung des Datenmaterials wurde dieMethode des quantitativen Interviews gewählt.Die Daten wurden in Form strukturierter Inter-views anhand eines standardisierten Fragebo-gens überwiegend mit geschlossenen sowie ein-zelnen offenen Fragen erfasst.36

4.5.3.1 NutzungsnachfrageVon den interviewten Männern und Frauen, dieerwartungsgemäß alle das Projekt Stadt 2030und den Bauwagen kannten, hat über die Hälftedie Stelenreihe wahrgenommen und weiß, dasses sich bei dem Projekt um ein Forschungspro-jekt handelt. Mit 96 % findet ein Großteil der Interviewtendas Projekt interessant, nur ein sehr geringerTeil hält es für unsinnig bzw. für Geldver-schwendung.Die Bevölkerung Dietzenbachs wurde mittels derStelenreihe, Plakaten, Flugblättern, einer Inter-netseite sowie durch Berichte in der lokalenPresse über das Projekt informiert. ZusätzlicheInformationen konnten im Bauwagen-Büro an

134

34 Vgl. hierzu Punkt 4 .3 .2 .35 Der Rest entfiel aufgrund Doppel-Anmeldungen, unzurei-

chender Deutschkenntnisse, die ein Interview verunmög-lichten, bzw. war telefonisch nicht erreichbar.

36 Vgl. hierzu den Fragebogen im Anhang.

Page 217: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

der Rakovnikpassage eingeholt werden.Mit fast zwei Drittel hat der überwiegende Teilder interviewten Frauen und Männer von derF lächenvergabe zuerst über Bekannte erfahren,der Bauwagen war 28 ,2 % aufgefallen. Nur eingeringerer Teil (je 10 ,5 %) wurde über Zeitun-gen und F lugblätter erreicht. Die Stelenreihehatte 7 ,3 % der TeilnehmerInnen neugierig ge-macht. Die Plakate fielen nur 4 ,8 % der Befrag-ten auf. 71 ,8 % der interviewten Frauen und Männerhaben auch mit ihren Bekannten über das Pro-jekt gesprochen. Auch hier fiel die Beurteilungmit über 80 % überwiegend positiv aus. Die Aktivierung zur Teilnahme an unserem Pro-jekt erfolgte in unserer Stichprobe somit über-wiegend durch "Mund-zu-Mund-Propaganda"über Verwandte, NachbarInnen, FreundInnen,ArbeitskollegInnen etc. Auch bei der Frage, wasbesonders gut in Dietzenbach gefällt, wurdenan erster Stelle die hier lebenden FreundInnenund Bekannten genannt.37 Dieser Sachverhaltlässt auf gut funktionierende soziale Netzwerkeschließen, so dass hier von einer eher kleinstäd-tisch bis dörflich organisierten Öffentlichkeits-struktur ausgegangen werden kann.

4.5.3.2 NutzungswünscheDie vielfältigen Nutzungswünsche für die Zwi-schennutzung einer Parzelle reichten von einemSchulprojekt der Ernst-Reuter-Schule, initiiertvon zwei Lehrern, über Themengärten (Apothe-kergarten, mittelalterlicher Kräutergarten, inter-nationale Gärten, Kräuterspirale), einem gepflan-zten Stadtplan Dietzenbachs, Kunstprojekten,Bolzplätzen für Jugendliche, einem Hühnerhofbis hin zu einem Abenteuerspielplatz. Mit über 80 % bezog sich jedoch der größte Teilder Nutzungsanfragen auf eine Kleingartennut-zung sowie Spielmöglichkeiten für die Kinder.Nur ein geringer Teil war an Nachbarschaft,Kunst oder Sonstigem interessiert. Bezüglich der Nutzungswünsche ist eine starkeKonzentration auf wenige Bevölkerungsgruppenbzw. wenige Wohnquartiere festzustellen:Das Interesse an einem Garten bzw. an Spiel-

möglichkeiten für Kinder ist für die Projektteil-nehmerinnen und -teilnehmer mit Migrations-hintergrund am größten. Fast die Hälfte der tür-kischstämmigen und über ein Viertel der Frauenund Männer marokkanischer Abstammung äu-

ßern einen solchen Wunsch. Im Gegensatz dazumeldeten 60 % der in Deutschland GeborenenInteresse an einem Kunstprojekt an.Über die Hälfte der Garten-Wünsche wurde vonden Bewohnerinnen und Bewohnern des Spes-sartviertels geäußert, über die Hälfte wünschtsich auch einen Platz zum Spielen für die Kin-der. Knapp ein Viertel der Garten- bzw. Spiel-platz-Wünsche kommt von Bewohnerinnen undBewohnern des Westends. Ein Großteil der o. a.Migrantinnen und Migranten gibt diese beidenQuartiere als Wohnort an.38

Es ist also davon auszugehen, dass die bekann-ten Defizite dieser Siedlungen mit ihrem ver-dichteten Geschosswohnungsbau, wie geringeAufenthaltsqualität, mangelhafte Infrastrukturoder mangelnde Freizeitangebote, vor allem fürKinder und Jugendliche, erhebliche Auswirkun-gen auf die Struktur der geäußerten Nutzungs-wünsche hatten. Die große Nachfrage nacheinem Garten bzw. einem Spielplatz deckt somitdie nicht ganz unbekannten Defizite im Wohn-bereich von Migrantinnen und Migranten inDietzenbach auf. Auffällig ist das große Interesse der zumeistmuslimischen Frauen an einem Garten: Dieser

135

37 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .4 "Was gefällt Ihnen besonders gutin Dietzenbach".

38 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .3 . "Wohnort"

Abb. 94. Nutzungsvorstellungen

Mehrfachnennungenmöglich

Page 218: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Wunsch ist bei den befragten Frauen mit 90 %erheblich stärker ausgeprägt als bei den Män-nern (79 ,7 %). Für die befragten Männer wie-derum ist ein Platz zum Spielen für die Kinderwichtiger, über die Hälfte äußern einen solchenWunsch, bei den Frauen sind dies nur 42 %.Dieses Ergebnis macht somit die spezifischenProbleme dieser Frauen mit der Nutzung desöffentlichen und privaten Raums deutlich: Zwartreffen die zuvor beschriebenen Defizite derWohngebiete verstärkt alle vor Ort lebendenFrauen. Jedoch fehlen gerade den muslimi-schen Frauen ganz offensichtlich die für sie sowichtigen öffentlichen und halböffentlichenRäume, wie sie Gärten bzw. Grabeland darstel-len, als eine Art Übergangszone zwischen Pri-vatheit und Öffentlichkeit.39

Neben dem individuellen Nutzen - der überwie-gende Teil der Flächenwünsche soll mit der ei-genen Familie umgesetzt werden - fördern sol-che Gärten bzw. Grabeland auch Anknüpfungs-punkte für Gespräche und den Austausch, auchüber kulturelle Grenzen hinweg.

4.5.3.3 Strukturmerkmale

NutzerstrukturEs wurden mit 59 ,7 % mehr Männer als Frauen(40 ,3 %) und zu über 62 % jüngere Bewohne-rinnen und Bewohner Dietzenbachs interviewt.Die Kohorte der 1930 bis 1940 Geborenen setztsich nur aus Frauen zusammen. Drei Viertel der InterviewteilnehmerInnen sindverheiratet. Über 80 % der Befragten haben Kin-der, davon über ein Viertel mehr als drei (sieheTab. 35 .). Es wurden somit folglich überwiegend kinderrei-che junge Familien erreicht.

Ethnizität Mit 97 ,6 % ist der größte Teil der befragtenFrauen und Männer nicht in Dietzenbach gebo-

39 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .5 .

100 %

90 %

80 %

70 %

60 %

50 %

40 %

30 %

20 %

10 %

0 %

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

136Abb. 95. Nutzungswünsche

Abb. 96. Geburtsjahr

Männer

Frauen

Männer

Frauen

Mehrfachnennungen möglich

Page 219: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

ren, sondern zugezogen. H ier fällt der hohe Anteil von Menschen mitMigrationshintergrund auf: Von den zugezoge-nen Frauen und Männern sind 83 ,1 % nicht inDeutschland geboren, sondern zu 39 ,5 % inder Türkei und zu 24 ,2 % in Marokko. WeitereHerkunftsländer in der Reihenfolge ihres Anteilssind Afghanistan, Jugoslawien, Pakistan, Ägyp-ten, Algerien, England, Indien, Jordanien, Kroa-tien, Libanon, Liberia, N igeria, Slowakei, Togound Vietnam. Der größte Teil der Befragten stammt somit ausder Türkei, aus Marokko und aus Deutschland.Differenziert nach Geschlecht ist fast die Hälfteder teilnehmenden Frauen in der Türkei geboren,fast ein Viertel in Deutschland und 14 % in Ma-rokko. Von den teilnehmenden Männern gibtüber ein Drittel als Geburtsland die Türkei an,gefolgt von Marokko und Deutschland (sieheAbb. 71 .). Fast die Hälfte der nicht in Deutschland gebore-nen Befragten besitzt die deutsche Staatsange-hörigkeit. Unter den in Deutschland geborenenBefragten mit deutscher Staatsangehörigkeitbefinden sich auch junge Frauen und Männermit Migrationshintergrund.

WohnortFast die Hälfte der befragten Projektteilnehme-rinnen und -teilnehmer wohnt im Spessartvier-tel, ein Viertel im angrenzenden Westend und je11 ,3 % in den Stadtteilen Steinberg und "NeueMitte", der Rest verteilt sich auf die Altstadt,Hexenberg bzw. sonstige Wohngebiete (sieheTab. 36 .). Differenziert nach Ethnizität wohnt über dieHälfte der interviewten Migrantinnen und Mi-granten im Spessartviertel, fast ein Viertel imWestend. Der Rest verteilt sich auf die "NeueMitte" (9 ,7 %), Steinberg (7 ,8 %), die Altstadt(3 ,9 %) sowie auf Hexenberg und sonstigeWohngebiete. Die in Deutschland geborenen Projektteilneh-merinnen und -teilnehmer wohnen zu jeweilsüber einem Viertel im Westend oder in Stein-berg, jeweils knapp ein Fünftel gibt die "Neue

13750 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 97. Geburtsland

Männer

Frauen

Kategorienein1 Kind2 Kinder3 Kindermehr als 3 Kinder

Total

Häufigkeit2317282432

124

Prozent18 ,513 ,722 ,619 ,425 ,8

100 ,0

Tab. 35. Kinder

KategorieAltstadtSteinbergHexenbergNeue MitteWestendSpessartviertelSonstiges

Total

Häufigkeit5

141

143157

2

124

Prozent4 ,0

11 ,30 ,8

11 ,325 ,046 ,0

1 ,6

100 ,0

Tab. 36. Wohnort nach Stadtteilen

Page 220: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Mitte" oder das Spessartviertel als Wohnort an,4 ,8 % leben in der Altstadt.Die Mehrzahl der Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer, überwiegend Migrantinnen und Mi-granten, lebt somit in den Siedlungen mit hoch-verdichtetem Geschosswohnungsbau, die, nebenden schon erwähnten baulichen Defiziten, zu-sätzlich durch hohe Arbeitslosigkeit, einen hohenAnteil einkommensschwacher Haushalte sowiedurch eine überproportional starke Zuwanderungvon benachteiligten Haushalten und solchen mitMigrationshintergrund gekennzeichnet sind. Sowohnen im Spessartviertel fast zwei Drittel der

befragten Arbeiterinnen und Arbeiter sowie 44 %der befragten Arbeitslosen - alle mit Migrations-hintergrund. Auch die Hälfte der im Haushalttätigen Frauen wohnen in diesem Viertel.

WohndauerÜber 70 % der befragten Frauen und Männerleben schon länger als 10 Jahre in Dietzenbach(siehe Tab. 37 .). Im Spessartviertel beläuft sichdieser Anteil sogar auf 77 ,2 %. Die lange Wohndauer der befragten Frauen undMänner im Spessartviertel überrascht, da imAllgemeinen die durchschnittliche Verweildauerin diesem Quartier erheblich geringer ausfällt.40

Dieser Sachverhalt lässt darauf schließen, dassdie im Spessartviertel lebenden Projektteilneh-merinnen und -teilnehmer, zumeist Migrantin-nen und Migranten, Dietzenbach dauerhaft alsWohnstandort gewählt haben.

ArbeitsortWeit über ein Drittel der interviewten Frauenund Männer pendelt zum Arbeiten ins Umlandoder nach Frankfurt, nur bei einem geringen Teilbefindet sich der Arbeitsplatz wohnortnah inDietzenbach (siehe Tab. 38 .).

Bildungsstand, BerufsausbildungFast die Hälfte der befragten Frauen und Männerder Stichprobe besitzen einen Hauptschulab-schluss, nur ein geringer Teil hat studiert bzw.hat das Abitur bzw. einen Realschulabschlusserreicht. 9 ,7 % haben keinen Schulabschluss(siehe Tab. 39 .). Mit 43 ,5 % verfügt ein hoher Prozentsatz derbefragten Frauen und Männer über keine Be-rufsausbildung. H ier ist der Anteil der in derTürkei Geborenen mit 40 ,7 % am größten, ge-folgt von den in Marokko Geborenen (31 ,5 %).Bei den in Deutschland geborenen Befragtenbeträgt dieser Anteil nur 11 ,1 %.

138

Kategorie1 Jahr1-5 Jahre5-10 Jahre> 10 Jahre

Total

Häufigkeit3

142087

124

Prozent2 ,4

11 ,316 ,170 ,2

100 ,0

Tab. 37. Wohndauer

Kategoriekein SchulabschlussHauptschuleRealschuleAbiturStudiumk. A.

Total

Häufigkeit1258171719

1

124

Prozent9 ,7

46 ,813 ,713 ,715 ,3

0 ,8

100 ,0

Tab. 39. Bildungsstand

40 Sie beträgt im Spessartviertel üblicherweise nur ein bis fünfJahre, nur 29 ,2 % der Bevölkerung leben in diesemQuartier schon länger als zehn Jahre (vgl. hierzu Punkt 2 .2 .2 .2).

KategorieDietzenbachFrankfurtLandkreis OffenbachRhein-Main-Gebietkein Arbeitsort

Total

Häufigkeit1917181258

124

Prozent15 ,313 ,714 ,5

9 ,746 ,8

100 ,0

Tab. 38. Arbeitsort

Page 221: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Erwerbsstatus Fast die Hälfte der befragten Frauen und Männerist nicht erwerbstätig, hiervon ist der größte Teilarbeitslos oder im Haushalt tätig. Der Rest ver-teilt sich auf SchülerInnen, RentnerInnen, Stu-dentInnen und Auszubildende. Über ein Fünftelder Befragten sind als Arbeiterinnen bzw. Arbei-ter, 14 ,5 % sind als Angestellte beschäftigt. Nurein geringer Teil ist selbstständig tätig oder ver-beamtet (siehe Tab. 40 .).

Alle Arbeitslosen, alle Arbeiterinnen und Arbeitersowie über 80 % der im Haushalt tätigen Frau-en und Männer sind nicht in Deutschland gebo-ren. Differenziert nach Geschlecht ist mit knappeinem Drittel der größte Teil der befragten Män-ner als Arbeiter beschäftigt, über ein Viertel istarbeitslos. Mit 42 % ist der größte Teil der be-fragten Frauen im Haushalt tätig.Der hohe Anteil von Menschen unter den Pro-jektteilnehmerinnen und -teilnehmern ohne Be-rufsausbildung41 in Verbindung mit einem ver-muteten eher traditionellen Rollenverständnis -ein Großteil der befragten Frauen ist im Haus-halt tätig - lässt den Rückschluss zu, dass hierdie Familienväter oftmals als an- oder ungelern-te Arbeiter sowie "Alleinernäherer" der Familiebeschäftigt sind. Dieser Sachverhalt sowie diehohe Zahl an, überwiegend männlichen, Ar-beitslosen kann als Indikator für eine vermuteteArmutssituation angesehen werden.

KategorieselbstständigangestelltArbeiterverbeamtetarbeitslosim Haushalt tätigSchuleStudiumAzubiin Rentek. A.

Total

Häufigkeit121826

22522

63361

124

Prozent9 ,7

14 ,521 ,0

1 ,620 ,217 ,7

4 ,82 ,42 ,44 ,80 ,8

100 ,0

Tab. 40. Erwerbsstatus

41 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .3 . "B ildungsstand, Berufsausbil-dung"

Abb. 98. Erwerbsstatus

Männer

Frauen

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

139

Page 222: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.3.4 Wahrnehmung von Dietzenbach

"Was sind für Sie wichtige Orte inDietzenbach, an denen Sie sich gerneund häufig aufhalten?"Für drei Viertel der Befragten gibt es in Dietzen-bach wichtige Orte, an denen sich gerne undhäufig aufgehalten wird. An erster Stelle wirdhier die Natur genannt, der Rest der Antwortenbezieht sich auf andere Stadtteile, öffentlicheund privat-öffentliche Räume sowie das Zu-hause. Für ein Viertel gibt es keine wichtigenOrte in Dietzenbach (siehe Tab. 41 .).

Es gibt jedoch keine wichtigen Orte, denen mehrals 50 % der Befragten zustimmen könnten, d. h. es fehlt ein Ort, an dem sich die Mehrheitder befragten Frauen und Männer gerne undhäufig aufhält. Die Dietzenbacher Altstadt, ein Traditionsbereichder alteingesessenen Bevölkerung mit eher dörf-licher Struktur, wird hier von den befragtenHaushalten eher weniger aufgesucht. Vielmehrbewegt man sich in bestimmten Gruppen undin bestimmten Teilen der Stadt.

"In welchen Stadtteilen Dietzenbachsbewegen Sie sich Ihrer Einschätzungnach häufig?"Knapp zwei Drittel der Befragten sind häufig in der "Neuen Mitte" von Dietzenbach unterwegs.In Steinberg bewegen sich 43 ,5 % der Befrag-ten häufig, in der Altstadt und im Spessartvier-tel sind jeweils gut ein Drittel häufig unterwegs.Die Stadtteile Wingertsberg, Hexenberg undWestend werden von den befragten Männernund Frauen eher selten aufgesucht. Befragt nach ihrem Einkaufsverhalten suchen fast 80 % der Befragten die Geschäfte der"Neuen Mitte" auf, über zwei Drittel kaufen au-ßerhalb Dietzenbachs ein. Seltener (18 ,5 %)wird hier die Dietzenbacher Altstadt genannt.Fast 90 % der befragten Frauen und Männergeben unter "Sonstiges" einen Discounter alsEinkaufsort an. Auch türkische Läden in Woh-nungsnähe werden häufiger genutzt.

"Wenn Sie ein Bild von Dietzenbachentwerfen würden, wie würden Siedieses benennen?" Für mehr als zwei Drittel der befragten Frauenund Männer (69 ,7 %) entsteht auf diese Frageein positives Bild von Dietzenbach. Sie antwor-ten auf diese Frage mit "Ruhe/Grün", gefolgt von"Heimat". Positiv hervorgehoben wird hier auchdie multikulturelle, viele Kulturen umfassendeSeite Dietzenbachs.Für deutlich weniger Frauen und Männer ent-steht bei dieser Frage ein eher negatives Diet-zenbach-Bild wie "Ghetto" (18 ,5 %), "Provinz"(12 ,1 %), "Ödlandschaft, Brache" (11 ,3 %)oder "Langeweile" (7 ,3 %). Letzeres wird über-wiegend von den jüngeren Befragten genanntmit dem H inweis auf fehlendeFreizeiteinrichtungen. Differenziert nach Geschlecht entwerfen dieMänner bei dieser Frage ein etwas positiveresBild von Dietzenbach. Für die Frauen entsteht

140

Mehrfachnennungen möglich

Kategorie

öffentliche RäumeKneipen, priv.-öffent.RäumeNaturNaherholungAltstadtSteinbergNeue Mitteandere Stadtteilezu Hausekeiner

Total

Häufigkeit

9

1624

6112012 161443

171

Prozent

5 ,3

9 ,414 ,0

3 ,56 ,4

11 ,77 ,09 ,48 ,2

25 ,1

100 ,0

Tab. 41. Häufig besuchte Orte

Page 223: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

hier an erster Stelle das B ild Heimat, für dieMänner, vermehrt für die als Arbeiter tätigen,der Aspekt Ruhe bzw. Grün. Bei den Nega-tivausprägungen fällt das Urteil der befragtenFrauen pessimistischer aus (siehe Abb. 73 .).Diese markanten Negativ-Ausprägungen könnenals H inweis darauf gewertet werden, dass dieFrauen, durch ihre Zuständigkeit für die Erzie-hung der Kinder und größtenteils für die Versor-gung der Familie viel im Stadtteil unterwegs, dienegativen Seiten dieser Wohngebiete deutlicherals die Männer wahrnehmen. Gerade auch dieausgeprägte Differenz beim Aspekt "Langeweile"lässt auf Mängel im näheren Wohnumfeldbe-reich bzw. auf fehlende Angebote für Frauenschließen. 42 Gleichwohl wird Dietzenbach ver-stärkt auch unter dem Aspekt "Heimat" gesehen.H ierbei spielen für die Frauen ganz offensicht-lich die in der Nähe lebenden Verwandten eineherausragende Rolle.

"Was gefällt Ihnen besonders gut inDietzenbach?"

Für einen Großteil der befragten Männer undFrauen sind die Familienbeziehungen von zen-traler Bedeutung: So gefällt an erster Stellebesonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-wandte, Nachbarn und Freunde leben.43 17 ,5Prozent der Befragten gefällt die Ruhe und dasGrün besonders gut an Dietzenbach (siehe Tab. 42 .). Differenziert nach Geschlecht sind sowohl fürdie Frauen wie für die Männer die in Dietzen-bach lebenden Verwandten und Bekannten vonentscheidender Bedeutung. Dieser Aspekt wur-de jedoch von den interviewten Frauen häufigergenannt. Auch die Mobilität vor Ort ohne Pkw,die guten Einkaufsmöglichkeiten sowie Veran-staltungen spielen für die Frauen eine größereRolle.

141

Mehrfachnennungen möglich

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 99. Bild von Dietzenbach

Männer

Frauen

Mehrfachnennungen möglich

Kategorie

nichtsZentralität zu FrankfurtRuhe/GrünVereineVeranstaltungenNachbarn/Freundemultikulturellkein Pkw nötigEK-MöglichkeitenallesSonstiges

Total

Häufigkeit

281128

14

408886

17

160

Prozent

17 ,56 ,9

17 ,50 ,62 ,5

25 ,05 ,05 ,55 ,03 ,8

11 ,2

100 ,0

Tab. 42. Positiv an Dietzenbach

Page 224: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

"Was fehlt in Dietzenbach?"

An erster Stelle fehlen den interviewten Frauenund Männern ausreichende Einkaufsmöglich-keiten. Bemängelt werden auch die fehlendenFreizeiteinrichtungen für Erwachsene sowie diefehlenden Einrichtungen für Kinder und Jugend-liche, gefolgt von der schlechten Verkehrsan-bindung Dietzenbachs (siehe Tab. 43 .). Von den befragten Frauen wurden also verstärktdie vorhandenen Defizite im Reproduktionsbe-reich, wie fehlende Einkaufsmöglichkeiten44,fehlende Freizeiteinrichtungen sowie fehlendeEinrichtungen für Kinder und Jugendliche,angesprochen. Mehr Frauen als Männer vermis-sen auch fehlende Nachbarn und Freunde. Die befragten Männer, wiederum verstärkt dienicht erwerbstätigen, bemängeln eher die feh-lende gute Verkehrsanbindung sowie die fehlen-den Einkaufsmöglichkeiten, für die erwerbstäti-gen Männer, verstärkt für die Arbeiter unterihnen, ist die Ruhe und das Grün, das ein eige-ner Garten bietet, wichtiger. Diese Ausprägungen lassen darauf schließen,dass ganz offensichtlich die negativen Aspekteder betroffenen Gebiete wie schlechte Versor-gungsinfrastruktur, mangelnde Freizeitangeboteoder fehlende Einrichtungen für Kinder undJugendliche die Frauen in viel stärkerem Maßetreffen als die Männer. Auch fehlen offensicht-lich den Frauen, trotz der konstatierten sozialenNetzwerke, zum Teil die außerfamiliären sozia-len Beziehungsnetze. Aber auch die arbeitslosen

142

42 Vgl. hierzu Punkt 4 .5 .3 .4 "Was fehlt in Dietzenbach?".43 Für die Wohnortwahl von Migrantinnen und Migranten

spielt die Nähe zu Familienangehörigen und Bekannteneine herausragende Rolle. Ebenso sind gerade die nachbar-schaftlichen Selbsthilfestrukturen für sozio-ökonomisch schwächere Migrantengruppen von besonderer Bedeutung. Jedoch können sich durch diese räumliche Trennung auchdie Abkopplungsprozesse zur deutschen Bevölkerung ver-stärken und zur Stigmatisierung der räumlichen Umgebungund somit auch ihrer Bevölkerung führen. Vgl. hierzu Insti-tut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des LandesNordrhein-Westfalen (Hg.), Integration von Migrantinnenund Migranten im Wohnbereich. ILS Nr. 180 . Dortmund2002 , S. 22 f.

44 H ier wurde oft der Wunsch nach einem Einkaufszentrummit einem Angebot an auch höherwertiger Kleidung geäußert.Mehrfachnennungen möglich

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 101. Was fehlt in Dietzenbach

Männer

Frauen

Mehrfachnennungen möglich

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 100. Besonders gut gefällt in Dietzenbach

Männer

Frauen

Page 225: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Männer sind von diesen Defiziten betroffen, fürsie spielt jedoch die fehlende Mobilität eine grö-ßere Rolle.

"Wie zufrieden sind Sie mit demLeben in Dietzenbach?"

Über 80 % der befragten Frauen und Männersind mit dem Leben in Dietzenbach zufrieden.Differenziert nach Geschlecht ist hier die Zufrie-denheit bei den Männern mit 85 ,2 % etwasstärker ausgeprägt als bei den Frauen (80 %).

"Wie sehen Sie Ihre Zukunft inDietzenbach?"

Über zwei Drittel der befragten Frauen undMänner sehen ihre Zukunft in Dietzenbach po-sitiv. H ier wird oft betont, dauerhaft in Dietzen-bach leben zu wollen, die (zukünftigen) Kindersollten hier aufwachsen. Oft wurde Wohnungs-eigentum erworben oder ein solcher Erwerb istfür die Zukunft geplant.Differenziert nach Geschlecht sehen auch hiermit 69 ,1 % die Männer ihre Zukunft etwaspositiver als die Frauen (67 ,3 %).

"Wenn Sie sich Dietzenbach in zehnJahren vorstellen, wie wird die Stadtaussehen?"

Über 70 % der befragten Frauen und Männerstellt sich Dietzenbach in zehn Jahren positivvor und geht von mehr Größenwachstum derStadt aus. Differenziert nach Geschlecht erwarten mit 32 % jedoch fast doppelt so viele Frauen wieMänner (16 ,3 %) eine eher negative Entwick-lung.Fast ein Drittel der interviewten Frauen sehenihre Zukunft also durchaus pessimistischer alsdie Männer. Sie vermuteten vor allem eine fürsie offensichtlich negative Entwicklung Dietzen-bachs in Richtung Verdichtung, verbunden mit zu vielen Häusern und wenigen Grünflächen.

143

Mehrfachnennungen möglich

Kategorie

nichtsgute SchulenEinr.f.Kinder/Jugendl.Einkaufsmöglichkeitenzu viele AusländerFreizeiteinrichtungenVerkehrsanbindungStadtbildNachbarn/FreundeGartenSonstiges

Total

Häufigkeit

291

1533

51614

19

1326

162

Prozent

17 ,90 ,69 ,4

20 ,43 ,19 ,98 ,60 ,65 ,68 ,0

16 ,0

100 ,0

Tab. 43. In Dietzenbach fehlt...

50 %

45 %

40 %

35 %

30 %

25 %

20 %

15 %

10 %

5 %

0 %

Abb. 102. Einschätzung in 10 Jahren

Männer

Frauen

Page 226: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Auch ein Wachstum ohne Zentrum wurde be-fürchtet. Die Männer bewerten das erwartete Wachstumder Stadt eher positiv und erwarten diesbezüg-lich, auch durch den Bau der S-Bahn, positiveAnstöße.Generell kann jedoch davon ausgegangen wer-den, dass bei den Projektteilnehmerinnen und -teilnehmern unserer Stichprobe ein positivesDietzenbach-Bild bei gleichzeitiger großer Zufrie-denheit mit dem Leben in dieser Stadt vor-herrscht, auch die Zukunft wird überwiegendpositiv gesehen. Es kann somit konstatiert wer-den, dass sich bei den interviewten Projektteil-nehmerinnen und -teilnehmern das in der Au-ßenwahrnehmung vorherrschende NegativimageDietzenbachs in der Innenwahrnehmung nichtin gleichem Maße abbildet.

4.5.3.5 Fazit Durch unsere aktive und aktivierende Beteili-gungsform haben wir einen Teil der Dietzen-bacher Bürgerinnen und Bürger selbst zu Wortkommen lassen und dadurch offenkundig Men-schen erreicht, die normalerweise durch Status,Geschlecht oder ihre Lebenssituation strukturellvon gleichberechtigter gesellschaftlicher Teilhabeausgegrenzt sind, nämlich Frauen, Kinder, Ju-gendliche, MigrantInnen, alte Menschen undErwerbslose. Auffallend ist hier die hohe Zahl überwiegendjunger kinderreicher Familien mit Migrations-hintergrund unter den Nutzungsinteressentinnenund -interessenten, von denen die Mehrzahl -und somit auch ein Großteil der Kinder - in denSiedlungen mit hochverdichtetem Geschosswoh-nungsbau und seinen schon ausgeführten Defi-ziten lebt. Diese Defizite sind u. a. ein Erklä-rungsansatz für den stark ausgeprägten Wunscheines Großteils der InteressentInnen nach einemGarten bzw. einem Spielplatz für die Kinder. Ebenfalls ist ein hoher Beteiligungsgrad bei denFrauen zu konstatieren. Erreicht wurde dieszum einen durch die niedrigschwellige Beteili-gungsform des Vor-Ort-Büros, die den Fraueneine Möglichkeit bot, ihre Interessen zu artiku-

lieren. Zum anderen entsprach der Ansatz zeit-lich, räumlich und organisatorisch den Alltags-geschäften der betroffenen Frauen.Verstärkt wurden zwei Gruppen von Frauenmobilisiert, die normalerweise nicht in her-kömmlichen Beteiligungsverfahren zum Zugekommen: ältere Frauen sowie muslimischeMigrantinnen. Die vor Ort lebenden Frauen, insbesondere dieälteren Frauen mit ihren altersbedingten Mobi-litätseinbußen, sind von der Verfügbarkeit klein-räumiger Strukturen, kurzer Wege und guterVerbindungen abhängig. Ebenso müssen sozialeund kulturelle Einrichtungen am Wohnort vor-handen bzw. leicht zu erreichen sein. 45 Diediesbezüglich in Dietzenbach vorhandenen Defi-zite wie bspw. die Verlagerung des Stadtzen-trums von der Altstadt in die Neue Mitte unddie damit für sie verbundenen längeren Wegewurden von den älteren Diezenbacherinnen imProjektverlauf immer wieder kritisiert.46

Bei den muslimischen Frauen fällt das großeInteresse an einem eigenen Garten auf. Auchwurden in unserem Projektbüro vor Ort geradevon den Migrantinnen häufig die fehlenden Treff-punkte für Erwachsene bzw. Wünsche nacheinem Park mit Aufenthaltsqualität angespro-chen.47 Dies lässt den Rückschluss zu, dass denmuslimischen Frauen ganz offensichtlich die fürsie so wichtigen öffentlichen und halböffent-lichen Räume fehlen.

144

45 Auch die älteren Frauen stellen eine zukünftig nicht zuübersehende Größe dar, die es einzubinden gilt. Zwar wurde bislang das Umland der Großstädte fast ausschieß-lich als Region der Familien mit kleinen Kindern angese-hen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der demogra-phische Alterungsprozess, der zunächst die Kernstädteerfasst hat, auch das Umland erreichen wird. Vgl. hierzuEngel, Frank u. a. Weiblich, ledig, kinderlos und alt.Soziale Netzwerke und Wohnbiographien alter alleinstehen-der Frauen. Opladen 1996 .

46 Vgl. hierzu Punkt 4 .3 .2 .347 Ebd.48 Vgl. hierzu Waltz, Viktoria. Sozialraumanalyse aus der Sicht

sozial engagierter Raumplanung - am Beispiel Migration. In: http://www.raumplanung.uni-dortmund.de/pz/download/vik/ raumanalysedoc.pdf, 17 .03 .2003 , S. 8 ff.

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B isher differiert die Nutzung des öffentlichenund privaten Raumes durch muslimische Frauenund Männer aufgrund des kulturellen Rollenver-ständnisses und gesellschaftlicher Zwänge stark.Typische Männerräume sind eher die Moscheen-und Vereinsräume, Spiel- und Teestuben, Boule-plätze etc.48 Gerade den arbeitslosen Muslimen,ebenso wie die Frauen verstärkt im Quartier prä-sent, bieten solche Räume wichtige Treffpunkt-und Rückzugmöglichkeiten. Frauen aus demislamischen Kulturkreis, die sich ihrer kulturel-len Tradition verbunden fühlen, sind stärker aufdie halböffentlichen Räume als verdeckte Frau-enräume angewiesen, die Art des Raumes hateine extreme Bedeutung für das Netz und dieArt sozialer Beziehungen dieser Frauen. Im traditionellen Herkunftsort oder Stadtteil be-reitet das keine Schwierigkeiten: Ein ausgespro-chener Frauenraum ist hier das Haus. Diesesmuss neben dem Männerbereich die Möglich-keit von Frauenbereichen zulassen. 49 Ebenfallsausgesprochene Frauenräume sind beispielswei-se Innenhöfe oder hausbezogene Gärten. Aus-gesprochene Männerräume sind die Moscheeoder das Kaffee- oder Teehaus. Zwischenräumesind die öffentlichen Wege und dörflichen Orte,die gemeinsam mit Männern genutzt werden.In der Emigration fehlt jedoch das soziale undsichere Netz der Beziehungen zwischen öffent-lich und privat völlig. H inzu kommt, dass imGeschosswohnungsbau die für Frauen zu nut-zenden Räume katastrophal eingeengt werden.Diese werden durch eine oft viel zu kleine Woh-nung ersetzt und die Kommunikationsräumebeschränkt auf das Wohnzimmer. Die Arbeits-bereiche der Frauen im halböffentlichen Raumwie z. B . Felder, Hauswirtschaftsräume oder derMarkt, fehlen im Allgemeinen völlig. Gerade dievorherrschende Funktionstrennung zwischenWohnen, Arbeiten und Freizeit verstärkt dieseReduzierung des Frauenraums noch. Dies hatzur Folge, dass den Frauen die geschlechtsspe-zifisch genutzten öffentlichen und halböffent-lichen Räume als wichtige Identifikationsortevöllig fehlen.Die muslimischen Migrantinnen, die auf die tra-

ditionellen Lebensgewohnheiten ihrer Herkunfts-kultur Rücksicht nehmen, sind dementspre-chend ausgegrenzt und beschränkt auf die eige-ne Wohnung. Aufgrund dieser fehlenden Öffent-lichkeit mangelt es den Frauen an Gelegen-heiten zur Kontaktaufnahme und sie sind dies-bezüglich auf die H ilfe durch den Ehemannbzw. ihre schulpflichtigen Kinder angewiesen. Die große Anzahl der geäußerten Garten-Wün-sche kann folglich, neben den Defiziten des Ge-schosswohnungsbaus, auch als ein H inweis aufsolche zur Zeit noch fehlenden öffentlichen undhalböffentlichen Räume, wie sie Gärten oderGrabeland darstellen, interpretiert werden.Diesem Defizit könnte durch die Umwandlungdes bislang unstrukturierten und weitgehendungenutzten Raumes in öffentliche und halböf-fentliche, vor allem von Frauen genutzte, sozialeRäume abgeholfen und somit eine wichtige An-forderung an eine geschlechtergerechte Stadt-planung erfüllt werden.50

145

49 Die Trennung hat auch etwas mit dem Schutz der Frauen und mit festen sozialen Beziehungsregeln zu tun. Männer haben diese Räume zu respektieren.

50 Vgl. hierzu auch Punkt 4 .5 .4 .4 .

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4.5.4 Die Entdeckung des "Reich-tums". Die Besonderheiten derGruppe der Nutzungsinteressierten- Vergleich der beiden Befragungs-reihen

Die strukturell relevante Differenz der beidenBefragungsreihen besteht darin, dass einerseitsvon einer definierten Gruppe - der Interessiertenan dem Projekt 2030 - und andererseits voneiner nach Stadtquartieren geschichteten Grund-gesamtheit ausgegangen wurde. Im Folgendenwerden zentrale Unterschiede zwischen den Be-fragungsergebnissen herausgearbeitet, um dieBesonderheiten der Gruppe der Nutzungsinter-essierten im Rahmen des Projekts 2030 gegen-über der Gesamtbevölkerung zu verdeutlichen.Die Unterschiede lassen sich zwar aus der Dar-stellung der Ergebnisse der beiden Befragungenherauslesen, werden hier aber an den Punkten"Sozialstruktur" und "Wahrnehmung Dietzen-bachs" durch Gegenüberstellung pointiert.

4.5.4.1 SozialstrukturIn den beiden Befragungsreihen ist der Frauen-bzw. Männeranteil unter den Befragten in etwagleich groß, es wurden zu 60 % Männer undzu 40 % Frauen interviewt. Bezüglich der Strukturmerkmale gibt es inner-halb der beiden Gruppen folgende Besonder-heiten:Der Großteil (97 ,6 %) der Nutzungsinteressier-ten ist nicht in Dietzenbach geboren, darunterein hoher MigrantInnenanteil (89 ,9 %), größ-tenteils aus der Türkei und Marokko. Auch dieBefragung innerhalb der Quartiere Dietzenbachsergab einen hohen, wenn auch im Vergleich et-was geringeren Anteil Zugezogener (89 ,9 %).Der Anteil der Migrantinnen und Migranten liegtbei 24 ,5 %. Diese kommen ebenfalls überwie-gend aus der Türkei und Marokko, zudem aberauch aus Italien.Von den befragten Nutzungsinteressierten sindüber drei Viertel verheiratet, 80 % haben Kin-der, über ein Viertel mehr als drei. H ier unter-

scheidet sich die Bevölkerungsbefragung deut-lich: Nur 43 % sind verheiratet und 42 ,3 %ledig. Fast die Hälfte hat keine Kinder, 43 ,6 %haben ein bis zwei Kinder, nur 5 ,4 % habendrei, ein verschwindend geringer Anteil (2 %)hat mehr als drei Kinder.Von den Nutzungsinteressierten lebt fast dieHälfte im Spessartviertel, das einen Gesamtbe-völkerungsanteil von 25 % an der Stadt-bevölkerung ausmacht, sowie ein Viertel imWestend. 70 % der potenziellen Nutzerinnen und Nutzerlebt schon länger als zehn Jahre in Dietzenbach,die BewohnerInnen des Spessartviertels sogarzu 77 ,2 %. Das Ergebnis der Bevölkerungsbe-fragung ergibt, dass etwas über die Hälfte schonlänger als zehn Jahre in der Stadt leben. Diffe-renziert nach Quartieren wohnen in den traditio-nellen Quartieren 59 % schon länger als zehnJahre hier, in der "Neuen Mitte" sind dies 45 %im Spessartviertel nur 29 ,2 %.Unter den Nutzungsinteressierten gibt es einenhohen Anteil (46 ,8 %) mit Hauptschulab-schluss, nur 13 ,7 % haben die Realschule ab-solviert oder besitzen das Abitur, nur 15 ,3 %haben studiert. Bei der Bevölkerungsbefragunghaben 30 ,9 % die Realschule und 26 ,8 % dieHauptschule absolviert, 20 ,1 % besitzen Abitur.Der Anteil der Menschen mit einem Studienab-schluss fällt hier mit 14 ,8 % etwas geringer aus.Bei den Nutzungsinteressierten ist der Anteil(43 ,5 %) von Menschen ohne Berufsausbildungrecht hoch. Bezogen auf die Gesamtstadtbevöl-kerung fällt dieser Anteil deutlich geringer aus,nur knapp ein Drittel verfügt über keine Ausbil-dung.Bei den Nutzungsinteressierten ist fast die Hälftenicht erwerbstätig, davon der größte Teil arbeits-los oder im Haushalt tätig. Von den Erwerbstä-tigen ist mit über einem Fünftel der größte Teilals ArbeiterIn tätig. Der größte Teil der Befragtenauf die Gesamtstadt bezogen (43 ,6 %) ist alsAngestellte/r tätig. 41 ,6 % sind nicht erwerbstä-tig, den größten Anteil stellen hier mit 15 ,4 %die RentnerInnen, nur ein geringer Teil (7 ,4 %)ist arbeitslos.

146

Page 229: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Kennzeichnen kann man die Nutzungsinteres-sierten in Relation zu den Ergebnissen der Be-völkerungsbefragung also folgendermaßen:• Der Anteil der Personen mit Migrationshinter-

grund ist größer.• Der Anteil der in Dietzenbach geborenen Per-

sonen ist geringer.• Sie sind häufiger verheiratet und kinderreicher.• Sie leben vor allem im Spessartviertel.• Sie leben recht lange in Dietzenbach.• Sie sind weniger gebildet.• Sie sind häufiger ohne Berufsausbildung.• Sie können mehrheitlich ihre Interessen auf

dem Weg der Wahl politischer Parteien in die Stadtverordnetenversammlung nicht wahrneh-men.

4.5.4.2. Wahrnehmung DietzenbachsFür drei Viertel der befragten Nutzungsinteres-sierten gibt es wichtige Orte, an denen sie sichgerne und häufig aufhalten. H ier wird an ersterStelle die Natur genannt, der Rest der Antwortenbezieht sich auf andere Stadtteile, öffentlich undprivat-öffentliche Räume sowie das Zuhause. Esfehlt aber an einem gemeinsamen Bezugspunkt,es gibt keine wichtigen Orte, denen die Mehr-heit zustimmen könnte. In der Bevölkerungsbefragung ist auffällig, dasses einerseits oftmals keine explizit benanntenOrte gibt, am liebsten hält man sich zu Hauseauf. Meist sind sie auf den jeweiligen Stadtteilbezogen. Öffentliche Orte (Kino, Bürgerhaus)werden mitunter als wesentliche Orte benannt.Mehr als zwei Drittel der befragten Nutzungsin-teressierten entwerfen ein eher positives B ildvon Dietzenbach, sie antworten auf diese Fragemit "Ruhe/Grün", gefolgt von "Heimat". Positivhervorgehoben wird auch die multikulturelle,viele Kulturen umfassende Seite der Stadt. ImRahmen der Befragung der Stadtbevölkerungentsteht für einen Großteil der Befragten einnegatives Bild Dietzenbachs. Größtenteils wirdDietzenbach als Ghetto wahrgenommen (40 ,3 %), gefolgt von "Provinz" (29 ,5 %) und"Langeweile "(23 ,5 %). Positive Zuschreibungenwie "Heimat" nur zu 27 ,5 %, "Ruhe/Grün" sogar

nur zu 17 ,4 %.Für einen Großteil der befragten Nutzungsinter-essierten sind die sozialen Beziehungen vonzentraler Bedeutung: So gefällt an erster Stellebesonders gut, dass in Dietzenbach viele Ver-wandte, NachbarInnen und FreundInnen leben.17 ,5 % der Befragten gefällt die Ruhe und dasGrün besonders gut an Dietzenbach. Über 80 % der Nutzungsinteressierten sind mitdem Leben in der Stadt zufrieden.Bei der Stadtbevölkerung sind es nur 43 %, fastein Drittel (27 ,5 %) ist eher unzufrieden.Dies gilt auch für die individuelle Zukunftspers-pektive in Dietzenbach. Über zwei Drittel derNutzungsinteressierten sehen ihre Zukunft inDietzenbach positiv, innerhalb der Stadtbevöl-kerung sind dies nur etwas über die Hälfte.Ebenso trifft dies für die Einschätzung "Wie wirdDietzenbach in zehn Jahren aussehen?" zu.Über 70 % der Nutzungsinteressierten stellensich Dietzenbach in zehn Jahren positiv vor, ver-bunden mit einem verstärkten Wachstum derStadt. Bei der Befragung in der Gesamtstadtsieht auch hier das Bild anders aus. Über dieHälfte sehen ihre Zukunft in der Stadt eher ne-gativ, nur 46 % gehen von einer positiven Ent-wicklung aus.Zusammenfassend lässt sich über die Gruppeder Nutzungsinteressierten in Relation zurBefragung der Gesamtbevölkerung sagen:• Sie haben ein positiveres Bild von der Stadt.• Ihre Zukunftseinschätzungen sind deutlich

positiver.

4.5.4.3 ResümeeDeutlich wird im Vergleich, dass mit dem Pro-jektansatz 2030 in Dietzenbach eine besondereGruppe erreicht wurde. Man kann sie als Kernevon Aktivität und Selbstorganisation in Stadt-vierteln des Geschoßwohnungsbau ansehen, diesich auf Grund langer Wohndauer vor der Folieeines fast durchgängig vorhandenen Migrations-hintergrunds diese Orte angeeignet haben. Siesind mit ihrem Wohnort vielfältig verbunden.Dies betrifft soziale Netzwerke wie Freundinnen,Freunde und Nachbarinnen, Nachbarn. Dies

147

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betrifft aber auch Wahrnehmungen und Bilderder Stadt, die im Kontrast zur Betrachtung derGesamtbevölkerung völlig aus dem Rahmen fal-len - in einem deutlich positiven Sinne. Insofern gehört diese Gruppe der kinderreichenarmen Bevölkerung Dietzenbachs mit Migra-tionshintergrund, die keine politischen Mitbe-stimmungsrechte in der Kommune hat und instarker ökonomischer Abhängigkeit von denMöglichkeiten, die die Stadt bietet, steht, zum"Reichtum" der Stadt. Hat sie doch nicht nur einpositiveres Bild von der Stadt, sondern ist auchbereit, statt einer passiven Versorgungsmentali-tät zu frönen, das Angebot der Verbesserung dereigenen Situation durch Projekte wie Dietzen-bach 2030 anzunehmen. Die große Bedeutung,die dabei den Frauen zukommt, ist besonderszu beachten.Durch das Projekt 2030 wurde auf diese Weiseeine Bevölkerungsgruppe identifiziert, die fürden "aktivierenden Staat"51, für den die personel-le und finanzielle Entlastung durch tätige Mitge-staltung der Bürgerinnen und Bürger angesichtsgrundsätzlich veränderter ökonomischer undsozialer Bedingungen immer bedeutsamer wird,eine Bereicherung darstellen kann. Vom Versor-gungsstaat hingegen wird diese Gruppe immernoch eher als Belastung empfunden.

4.5.4.4 EmpfehlungenDie große Zahl der Garten-Wünsche für die Nut-zung einer brach liegenden Parzelle wurde vonpolitischer Seite zwar negativ bewertet, weil hierVorstellungen von Schmuck bzw. Verschönerungvorherrschten. Jedoch könnten gerade Gärtenund Grabeland als Anforderung an eine integra-tionswillige Politik und eine geschlechtergerech-te Stadtplanung begriffen werden. Durch eine "Rückeroberung" des bislang unstruk-turierten und weitgehend ungenutzten Raumesbzw. der Brachflächen durch öffentliche undhalböffentliche, vor allem von Frauen genutztesoziale Räume, könnte das Quartier attraktivund belebt und die Wohn- und Lebensqualitäterhöht werden. Auch bietet gerade der halböf-fentliche Raum der Gärten Anknüpfungspunkte

für nachbarliche Kontakte, die offenkundigeinem Teil der befragten Migrantinnen zur Zeitnoch fehlen. Bezüglich der Nutzung des öffentlichen und pri-vaten Raumes wäre damit eine wesentliche Ziel-setzung von Gender Mainstreaming52 erreicht,nämlich Frauen und Männern die gleichberech-tigte Nutzung des öffentlichen und privatenRaumes zu ermöglichen und somit die Stadt fürFrauen und Männer gleichermaßen lebenswertzu gestalten.Zusammenfassend kann festgehalten werden,dass unsere Vorgehensweise mit ihrer Möglich-keit der temporären Flächennutzungen Politik,Verwaltung sowie die Bürgerinnen und Bürgerzu durchaus unüblichen Handlungen herausfor-derte. Es wurden Bedürfnisse artikuliert, diesich auf den Reichtum der Stadt und die unge-nutzten Ressourcen beziehen: den Boden unddie Bevölkerung. Dieses bislang noch brach lie-gende Potenzial könnte und müsste bessergenutzt werden.Eines dieser bisher ungenutzten Potenziale stel-len die in Dietzenbach lebenden Migrantinnenund Migranten dar. Die Belange und speziellenAnsprüche dieser Bevölkerungsgruppe - einGroßteil besitzt die deutsche Staatsangehörigkeitund hat Dietzenbach als dauerhaften Wohn-standort bzw. Lebensmittelpunkt gewählt -auch

148

51 v. Bandemer, Stephan/H ilbert, Josef; Vom expandierenden zum aktivierenden Staat; in: v. Bandemer u.a. (Hrsg.),Handbuch zur Verwaltungsreform, Opladen 1998 , S. 29 .

52 Mit dem Begriff wird eine Strategie zur nachhaltigen Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Män-nern bezeichnet. Diese Top-down-Strategie wurde in fast allen EU-Staaten, so auch in der Bundesrepublik, auf Grund von Vorgaben der Vereinten Nationen und der Europäischen Union implementiert oder befindet sich der-zeit in der Implementationsphase. Zielsetzung ist hierbei,dass die Akteurinnen und Akteure in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in alle Entscheidungsprozesse die Perspektivedes Geschlechterverhältnisses einbeziehen und alle Ent-scheidungsprozesse für die Gleichstellung der Geschlechternutzbar machen. D. h. die möglicherweise unterschied-lichen geschlechtsspezifischen Auswirkungen von Politikensind zu berücksichtigen. Auch im Bereich der Stadtent-wicklungspolitik besteht daher auf allen politischen Hand-lungsebenen die Anforderung, Gender Mainstreaming inVerwaltungshandeln umzusetzen.

Page 231: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

in H insicht auf die Stadtentwicklung, wurdenbisher noch zu wenig berücksichtigt. Insbesondere die Migrantinnen, die nicht nurdie negativen Aspekte ihrer Wohnumgebungeher wahrnehmen, sondern sich auch von posi-tiven Veränderungen stärker angesprochen füh-len, könnten hier eine wichtige Rolle als Akteu-rinnen in Erneuerungs- und Veränderungspro-zessen einnehmen. Auch ihre stabilisierendeFunktion für die Stadtteile sollte genutzt werden. Als handlungsleitend für die künftige Stadtent-wicklung Dietzenbachs gilt es also, an vorhan-dene Interessen, Aktivitäten und Bedürfnislagenanzuknüpfen, um diese bisher ungenutzte Res-source für das Zusammenleben im Gemein-wesen nutzbar zu machen.

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REFLEXIONEN

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5.1.1 Erfolge bei der Beteiligungder Bürgerinnen und Bürger

Aus Sicht der Stadt Dietzenbach konnte mitdem gewählten Projektansatz ein Ziel erreichtwerden, welches für die Stadt Dietzenbach beider Antragstellung von besonderer Bedeutungwar: Ein neuer Kommunikationsansatz zwischenVerwaltung, Politik und Bevölkerung. Die hoheAnzahl der Teilnehmenden zeigt, dass mit demgewählten niedrigschwelligen Ansatz tatsächlicheine Kommunikationsebene zwischen Stadtver-waltung und allen Bevölkerungsgruppen gefun-den werden konnte.Zwar ist es nicht gelungen, die Vorschläge inder kurzen Zeit zu realisieren, die Stadt ist je-

doch bemüht, Netzwerke zwischen interessier-ten Bürgerinnen und Bürgern sowie anderenInstitutionen herzustellen, welche bei der Befrie-digung der geäußerten Nutzungswünsche be-hilflich sein können. H ierzu zählen neben demAusländerbeirat1 oder der Integrationsbeauftrag-ten des Kreises Offenbach auch Kontakte zuVereinen, welche die Bürgerinnen und Bürgerbei der Umsetzung ihrer Wünsche unterstützenkönnen.Die Vereine nutzten die geknüpften Kontakteihrerseits, um ihre eigenen Anliegen in die Ver-waltung hineinzutragen. Die aufgebauten Kom-munikationsstrukturen können so über den Zu-sammenhang des befristeten ForschungsprojektsDietzenbach 2030 hinaus genutzt werden.

5.1 PROJEKTERGEBNISSE AUSSICHT DER STADT DIETZENBA CH

152

WegweisendeStelen im Wald

Grabeland100 qmWaldstrasse

Stelen markierenden Stadteingang

Stelen alsBaumstützen

Windräderaus Stelen

Heckenschutzdurch Stelen

Abenteuer-spielplatz

Stelen alsBaumstützen

Hüherhof100qm

Stelen aufVerkehrsinsel

PfadfinderStelen fürWindschutz

Abb. 103. Übersichts-plan: Umgesetzte

Projekte

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5.1.2 Umgang mit Nutzungs-wünschen

Im Rahmen des Projektes "Dietzenbach 2030 -definitiv unvollendet" wurden nur vier Projekt-beiträge von Bürgerinnen und Bürgern realisiert.H iervon war ein Projektbeitrag nur für sehr kurzeZeit im Stadtraum sichtbar. Bei einem weiterenProjektbeitrag wurde mit der Umsetzung desNutzungswunsches begonnen, er wurde jedochnicht vollständig umgesetzt. Die nicht erfolgteRealisierung vieler angekündigter Projektbeiträgewar Anlass für Kritik an dem Projekt.2 Im Folgen-den wird dargestellt, welche Nutzungswünscheumgesetzt wurden und welche Schwierigkeitendie Umsetzung bei anderen Nutzungswünschenverhindert haben. Die Stadt Dietzenbach war bereit, verschiedeneNutzungswünsche der Bürgerinnen und Bürgerdurch diese umsetzen zu lassen. Dies waren:• 26 Grabelandparzellen an der Waldstraße,• Abenteuerspielplatz (Ufo-Landschaft /

Indianerdorf) am Bieberbach,• Kunstprojekte der Ernst-Reuter-Schule am

Stadtpark,• Anlage eines Blumenbeets in Form eines

Stadtplans von Dietzenbach,• Internationaler Garten,• Mittelalterlicher Kräutergarten,• Kräuterspirale,• Bildungsgarten,• Apothekergarten,• Blumenbeete in der Stadtmitte,• Hühnergehege.Von diesen Projekten sind lediglich das Hühner-gehege und die erste Stufe des Kunstprojektesder Ernst-Reuter-Schule realisiert worden.Darüber hinaus wurde der Abenteuerspielplatzfür sehr kurze Zeit umgesetzt, sowie die Umset-zung der Grabelandparzellen in der Waldstraßebegonnen.

HühnergehegeIm Westen Dietzenbachs wurde, angrenzend anein Neubaugebiet, eine Parzelle zum Bau einesHühnergeheges vergeben. Das Hühnergehegewurde mit einer zusätzlichen Sitz- und Spiel-ecke für Kinder in gemeinschaftlicher Arbeit vonmehreren Nachbarn umgesetzt. Es hat sich zueinem beliebten Treffpunkt für Kinder entwickelt.

Kunstprojekt der Ernst-Reuter-SchuleAn dem Kunstprojekt der Ernst-Reuter-Schulewaren ein fünftes und ein siebtes Schuljahr be-teiligt, wobei lediglich die Kunstwerke der fünf-ten Klasse aufgebaut wurden. Dabei handelte essich um von SchülerInnen farblich individuellgestaltete Holzstelen, an deren Spitze aus ge-brauchten Polyäthylenflaschen hergestellte Wind-rädchen befestigt waren. Nachdem die Stelenim Zuge von Baumaßnahmen in der Nähe der

153

1 Vgl. Kap. 4 .4 .3 .2 Vgl. Christoph Zöllner; "N ichts ist unmöglich". In:

Offenbach-Post, 12 .04 .2003 .

Abb. 104. Hühnergehege

Abb. 105. Individuelle Gestaltung von Stelendurch Schüler

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Flächen beseitigt worden waren, nahm dieSchule Abstand davon, die Kunstwerke der sieb-ten Klassen aufzubauen. Unsicherheiten bezüg-lich der Verfügungsmöglichkeiten über die Flä-che lähmten das Interesse der Schule. Ein Kon-takt zur Stadt oder zur Projektgruppe zur zeitna-hen Klärung dieser Frage wurde nicht gesucht.Die ermöglichte F lächenbesetzung wurde aufGrund der vorliegenden Unsicherheiten nichtvollständig in Anspruch genommen.

AbenteuerspielplatzFür die Nutzung als Abenteuerspielplatz wurdeauf Wunsch der InteressentInnen eine Feucht-wiese am Bachlauf der Bieber vorgesehen. Die

Arbeiten an dem Abenteuerspielplatz begannenrecht euphorisch. Im Herbst wurde ein proviso-risches Indianerzelt aufgebaut. Es fiel jedochnach kurzer Zeit in sich zusammen und wurdeauf der feuchten F läche nicht wieder aufgebaut.Im Winterhalbjahr war die Wiese über-schwemmt, so dass ein Wiederaufbau nur untererschwerten Bedingungen hätte stattfinden kön-nen. Nach der Wintersaison wurde der geäußer-te Nutzungswunsch nicht wieder aufgenommen.Ursprünglich war der Abenteuerspielplatz alsNachbarschaftstreffpunkt von den InitiatorInnengeplant. Für die Umsetzung in einem größerenRahmen fehlten jedoch offenkundig die nach-barschaftlichen Akteurinnen und Akteure.

GrabelandIm Gewerbegebiet Nord im Osten Dietzenbachssollte eine Anlage mit 26 Grabelandparzellenentstehen. Die Fläche wurde für eine Saisonvon November 2002 bis Oktober 2003 für dieInteressierten zur Verfügung gestellt.

Die Arbeiten zur Umsetzung der Anlage wurdenbegonnen. Die Parzellen wurden mittels der Ste-len abgegrenzt und die Teilnehmenden ließendie Fläche mähen. Stadt und Teilnehmendekonnten sich nicht gemeinsam auf die Gestal-tungsmöglichkeiten des Grabelands verständi-gen. Während die Teilnehmenden zum Teil Ein-zelhütten auf jeder der 100 qm großen Parzel-len realisieren wollten, war es - schon auf Grundder kurzfristigen Vergabe von nur einer Saison -der Stadt nur möglich, eine gemeinschaftlicheHütte in Leichtbauweise zuzulassen, um nichthinterher auf einer Vielzahl von Altlasten in Formnicht genutzter Gartenhütten "sitzen" zu bleiben.Eine Einigung konnte hier nicht erzielt werden,so dass viele der ehemals Interessierten ihr In-teresse an dem Grabelandprojekt aufgaben undihre Nutzungsvereinbarung kündigten. Wegender später eingeführten Abräumpauschale inHöhe von 500 Euro3 konnten keine nachrü-ckenden Interessentinnen und Interessenten fürdie freigewordenen Grabelandparzellen gewon-nen werden.

154

Abb. 107. Claimabsteckung Waldstraße

3 Vgl. Kap. 4 .4 .1 .

Abb. 106. Erste Stelen für den geplantenAbenteuerspielplatz

Page 237: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Der Fachbereich Stadtplanung und Bauen hatsich zudem um einen Wasseranschluss auf derF läche bemüht, der jedoch nicht realisiert wer-den konnte. Nach Vergabe und Herrichtung derFläche im Herbst 2002 und den Diskussionenum den Bau von Hütten war ein Bemühen derProjektteilnehmenden auf den ihnen zur Verfü-gung gestellten Flächen nicht mehr feststellbar.Die Flächen wurden nicht als Grabeland genutzt.Auch die sichtbaren Zeichen der Flächenbeset-zung, die Stelen, kamen im Laufe des Projektesabhanden. Intern stand eine Verlängerung des Projekts umeine weitere Saison zur Diskussion, jedoch unterder Voraussetzung einer erfolgreichen und fürdie Stadt problemlosen Umsetzung der Grabe-landparzellen. Wegen des abgenommenen Inter-esses wurde das Projekt nicht über den Zeitraumvon einer Saison hinaus verlängert.

ThemengärtenAuf großes Interesse stießen in Verwaltung undPolitik die hier als "Themengärten" bezeichnetenF lächennutzungswünsche. H ier bestand eingrundsätzliches Interesse seitens der Stadt, dieseProjektbeiträge durch die Bürgerinnen und Bür-ger umsetzen zu lassen, da sich die Stadt hier-durch eine Aufwertung ihres Stadtbildes ver-sprach. Jedoch wurde von Seiten der Stadt vonvornherein klargestellt, dass weder eine Anlagenoch eine Pflege der Themengärten aus finan-ziellen Gründen von städtischer Seite übernom-men werden konnte. Dafür wurde jedoch aufeine Abräumpauschale von vornherein verzich-tet. Bei dem Nutzungswunsch "Anlage eines Blu-menbeetes in Form eines Stadtplanes von Diet-zenbach" wurde von dem interessierten Bürgerdeutlich geäußert, dass er sich eine konkreteUmsetzung seiner Nutzungsidee persönlich nichtvorstellen kann, sondern er sich als Ideengeberfür die ausführende Stadtverwaltung versteht.Dieser Anspruch widersprach jedoch dem Pro-jektansatz und wurde auf Grund der begrenztenkommunalen Ressourcen nicht übernommen.Zwei Teilnehmenden waren wunschgemäß

F lächen zum Anpflanzen von Blumen angebo-ten worden, mit denen sie das "Erscheinungs-bild Dietzenbachs" verbessern wollten. Die Nut-zungsvereinbarungen wurden diesen Interessier-ten zugesandt. Diese sagten telefonisch die Um-setzung zu, realisierten sie dann jedoch nicht,weil sie nicht die Pflege der angelegten F lächenübernehmen wollten. Die InteressentInnen gin-gen davon aus, dass die Stadt die Pflege nachErrichtung der Flächen übernimmt. Der Versuchdes Projektteams, die Pflege durch eine Alten-wohneinrichtung sicherzustellen, scheiterte, dadie der F läche benachbarte Einrichtung nur vonhöchst pflegebedürftigen Personen bewohntwird.Bei einem Nutzungswunsch zur Errichtungeiner Kräuterspirale konnte in Kooperation mitdem Obst- und Gartenbauverein Dietzenbacheine Fläche auf dem Vereinsgelände im Stadt-park angeboten werden. Diese F läche lehnte dieInteressentin ab. Sie betonte ihr Interesse andem besonderen projektgebundenen Zusam-menhang und die damit verbundene Vorstellungnach Kontakten zu anderen engagierten Diet-zenbacherinnen und Dietzenbachern. Sie warnicht bereit, die geplante Kräuterspirale aufeinem Vereinsgelände innerhalb von herkömm-lichen Strukturen umzusetzen. Einem Teilnehmenden wurde zur Anlage einesinternationalen Gartens eine F läche in räum-licher Nähe zur Kläranlage angeboten. Ebenfallsauf dieser Fläche konnte zwischenzeitlich derschon erwähnte Abenteuerspielplatz realisiertwerden. Bei einem verstärkten Engagement warvorgesehen, hier eine Gartenanlage mit mehre-ren Themengärten zuzulassen. Von dem Inter-essenten für einen internationalen Garten wurdedie F läche wegen einer vermuteten Geruchsbe-lästigung nicht angenommen, obwohl er im Ge-spräch sein sehr starkes Bedürfnis nach einerGartenanlage und -pflege aus gesundheitlichenGründen betonte.Einer Familie wurden mehrere Flächenvor-schläge zur Herrichtung des von ihr gewünsch-ten B ildungsgartens (Beschriftung der Pflanzenin englischer Sprache) gemacht. Die Familie

155

Page 238: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

wünschte jedoch eine bestimmte F läche. DemPächter dieser F läche erschien es unwirtschaft-lich, 100 qm dieser Fläche für den Bildungsgar-ten zur Verfügung zu stellen, da jede Anpflan-zung auf der F läche eine maschinelle Landwirt-schaft stark beeinträchtigen könnte. Die ge-wünschte Fläche konnte den Nutzungsinteres-sierten nicht zur Verfügung gestellt werden. Ausdiesem Grund sahen sie von einer Realisierungab.Einem Interessenten, der einen mittelalterlichenKräutergarten anlegen wollte, wurde mitgeteilt,ihm könne eine Fläche zugeteilt werden, derInteressent nahm aber keinen weiteren Kontaktzur Stadt auf.Auch für einen Apothekergarten wurden F lä-chenangebote an den Interessenten unterbreitet,allerdings deckten sich seine Vorstellungen hier-von nicht mit denen der Stadt, weshalb es nachlangen Bemühungen seitens der Stadt nicht zueiner Vermittlung kam.Letzten Endes war niemand der ursprünglichInteressierten bereit, den geäußerten Nutzungs-wunsch "Themengarten" unter den Bedingungendes Projekts Dietzenbach 2030 zu realisieren.Entweder bestand grundsätzlich kein Interesse,diesen Wunsch alleine zu realisieren und zupflegen, oder aber die Teilnehmenden waren mitden angebotenen Flächen oder Bedingungennicht einverstanden. Somit wurde keines derangekündigten Themengartenprojekte realisiert.Einige der Teilnehmenden reagierten auch nichtauf mehrmalige Rückspracheangebote der Stadt.H ierin kann ein herkömmliches Verständnis vonkommunalen Aufgaben gesehen werden. DieBereitschaft der Bürgerinnen und Bürger, überdie traditionellen kommunalen Aufgabenvertei-lungen hinaus Verantwortung zu übernehmen,war im Projekt Dietzenbach 2030 nur sehrbegrenzt vorhanden.Die hier aufgeführten Beispiele bestätigen zu-mindest teilweise die Befürchtungen von man-gelndem ernsthaften Engagement der Bürge-rinnen und Bürger, die viele Kritikerinnen undKritiker am Projekt "Dietzenbach 2030 - defini-tiv unvollendet" geäußert haben.

5.1.3 Defizite in der Stadtentwick-lung Dietzenbachs

Die genannten Nutzungswünsche der Bürge-rinnen und Bürger können als Informationspoolder Verwaltung bezüglich der Interessen ihrerBürgerInnen gesehen werden. Sie müssen auchals Handlungsaufforderung an die Stadt gese-hen werden. Die Umsetzung der städtebaulichen Entwick-lungsmaßnahme ist für die Funktionen Wohnenund Arbeiten bereits sehr weit fortgeschritten.Die Wohngebiete sind zum größten Teil kom-plett erschlossen, für ein Baugebiet dauert der-zeit noch das Verfahren der Bauleitplanung an.4

Die Gewerbegebiete Dietzenbachs sind vollstän-dig erschlossen. Es steht jedoch noch ein gro-ßes F lächenpotenzial zur Verfügung. Auch dieVersorgung mit sozialer Infrastruktur ist relativweit vorangeschritten.5 Es besteht eine breiteVersorgung mit Schulen und Kindertagesstätten,Jugendeinrichtungen sind dagegen noch nichtausreichend vorhanden. Die Umsetzung derVersorgung mit Einzelhandel wird aktuell anvi-siert.6 Wegen der finanziellen Probleme, die ausder Entwicklungsmaßnahme resultieren, wurdenjedoch die Planungsabsichten, die sich auf denErholungsaspekt der ansässigen Bevölkerungbeziehen, zurückgestellt, da hier mit investivenMaßnahmen zu rechnen ist, die keine Gegen-finanzierung durch private Investoren erfahren. Der Gestaltungswille der Stadt Dietzenbach, derdurch die Aufstellung von Bebauungsplänenzum Ausdruck gebracht wird, bezieht sich auchauf Bereiche des Stadtgebiets, die der Naher-holung vorbehalten sind. Der Bebauungsplan46 sieht die Errichtung einer Kleingartenanlageentlang der S-Bahn im östlichen Stadtgebietvor.7 Die Anlage soll sich auf 4 ,82 ha beziehen.Von der Gesamtfläche, die für Kleingärten vor-gesehen ist, ist ein Teilbereich von 1 ,3 ha als

156

4 Baugebiet 70 , vgl. Punkt 2 .2 .3 .3 .5 Vgl. Punkt 2 .1 .4 .2 .6 Vgl. Kap. 2 .2 .1 .3 . 7 Bebauungsplan 46 ist seit 1979 rechtskräftig.

Page 239: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Kleingartenanlage realisiert. Die übrige für eineKleingartennutzung vorgesehene F läche wurdeaus finanziellen Gründen nicht umgesetzt. Füreine Umsetzung gibt es derzeit keine zeitlicheZielvorgabe.Ein weiterer Bebauungsplan setzt im östlichenStadtgebiet Freizeitnutzungen fest.8 Für diesesGebiet sind auf einer Fläche von insgesamt12 ,6 ha ausschließlich Freizeitnutzungen, wieSportanlagen, weitere vereinsgebundene Frei-flächen, Grünflächen mit Grillplatz, Festplatz,sowie die entsprechenden Ausgleichsflächenfestgesetzt. Die Intention dieses Bebauungs-planes war es, den Freiflächenbedarf der starkgewachsenen Gemeinde mit einer Ortsrandein-grünung zu verbinden, so dass hier die Sied-lungsentwicklung abgeschlossen werden kann.Aus den beschriebenen finanziellen Engpässenheraus wurde die vorgesehene Planung bishernicht umgesetzt. Am Rand dieses Geländes ander Oberrodener Straße wurde im Jahr 2003eine Skater-Anlage angebracht. So wurde einkleiner Baustein der dem Bebauungsplan zuGrunde liegenden Planungsabsichten realisiert.Die im Projekt Dietzenbach 2030 geäußertenNutzungswünsche beziehen sich zum überwie-genden Teil auf Freizeitnutzungen. 9 Mit diesenNutzungswünschen wird sehr deutlich, dass derBedarf für die bereits vom Parlament beschlos-senen Nutzungen vorhanden ist. Die hohe An-zahl der geäußerten Nutzungswünsche sowiederen eindeutige Ausrichtung belegen ein Defizitin der Stadtentwicklung Dietzenbachs, das ineiner einseitigen Ausrichtung auf renditeorien-tierte Baumaßnahmen begründet liegt. H ierwird deutlich, dass in der Stadt Dietzenbachdringender Handlungsbedarf besteht, für dieEinwohnerinnen und Einwohner der Stadt Frei-zeiteinrichtungen zu schaffen.

157

Abb. 108. Übersicht über die Geltungs-bereiche der Bebauungspläne 46 und 79

8 Bebauungsplan 79 , seit 1999 rechtskräftig.9 Von den geäußerten Nutzungswünschen können ca. 98 %

einer Freizeitnutzung zugerechnet werden. Die Nutzungen mit einem Bezug zu Tieren wurden hierbei zu den Freizeit-nutzungen hinzugerechnet, vgl. Punkt 4 .3 .3 .1 .

46

79

Page 240: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

5.2 REFLEXIONEN AUS SICHT DESBÜRO TOPOS

158 5.2.1 Erreichung der Zielsetzung

Gleich zu Projektbeginn wurde seitens der Stadtals Problem die allgemein mangelnde Teilnahmeder Bürgerinnen und Bürger an der Stadtent-wicklung hervorgehoben. Um ein Interesse aufSeiten der Bevölkerung anzustoßen, wurde dieästhetische Setzung als neues Kommunikations-medium eingeführt. Damit war die Hoffnung ver-bunden, eine niedrigschwellige Ansprache freivon Sprachbarrieren zu ermöglichen.Dieses Ziel wurde in hohem Maße erreicht unddie Erwartungen durch die ca. 1 .000 Anfragenvon Bürgerinnen und Bürgern während der Pro-jektdauer bei weitem übertroffen. Insbesondere,wenngleich nicht ausschließlich, signalisiertenBürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft,die sich sonst nicht zu Wort melden, ihr Inter-esse an dem Projekt. Dass dies auf dem Medium der Stelenreihe be-ruht, belegt die Auswertung der Presseartikel10,die den hohen Bekanntheitsgrad der Stelenreiheim Vergleich zu den parallel laufenden Ver-suchen mit Flugblättern und Postern nachweist.Die greifbare Stelenreihe wurde so zum sinn-lichen Symbol des Projektes, was auch in dendurch die Presse verbreiteten Kosenamen wie"Stelenzauber" und "Riesenmikado" zum Aus-druck kommt. Das Experiment im Rahmen dieses Forschungs-projektes, die ästhetische Setzung als ein neuesInstrument zum Dialog und als Impuls für bür-gerschaftliches Engagement einzusetzen, kannalso als gelungen bezeichnet werden.

5.2.2 Individuum und Gesellschaft

5.2.2.1 Überprüfung des AnspruchsdenkensAngesichts der Finanzlage der Kommunen wirdes in der Stadtentwicklung künftig verstärktdarum gehen müssen, Gestaltungsfelder fürAkteure der Stadt zu öffnen. Dies erfordert einUmdenken seitens Politik und Verwaltung. Umgekehrt wurde schon zu Beginn der Stelen-aktion deutlich, dass bei vielen Bürgerinnenund Bürgern gegenüber der Kommune die Er-

wartungshaltung vorherrscht, die Stadt sei fürdie Erfüllung ihrer Bedürfnisse zuständig. Dieskam zum Ausdruck, als Kinder und Erwachseneaufgefordert waren, sich eine spätere Parzellen-absteckung durch namentliche Kennzeichnungeiner Stele zu reservieren, stattdessen aber Wün-sche an die Stadt formulierten wie Schwimm-bad, Phantasialand, Radweg, Garten. Auch dieBürgerschaft muss von ihrer Gewohnheit, ihreBedürfnisse durch andere erfüllen zu lassen,Abstand nehmen.Ein nicht unberechtigter Vorwurf der Verwaltungim Rahmen des schon früher begonnenenAgendaprozesses war die fehlende Bereitschaftder teilnehmenden BürgerInnen, Ideen mit ihreneigenen Ressourcen umzusetzen. Das ProjektStadt 2030 zeigte nun aber, dass die erlebteBlockade durch die Stadt und der sich breitmachende Pessimismus nicht nur daran liegenkonnte. Als BürgerInnen im Rahmen des Pro-

Abb. 109. Stelenwünsche

10 Vgl. Tab. 33 . und Tab. 34 ., Seite 133

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jektes Stadt 2030 eigene Ressourcen einbrin-gen wollten, wurden sie nachträglich mit einerKaution von 500 € für die F lächennutzung kon-frontiert, die sich viele nicht leisten konnten.Diese Kaution war ein Beispiel für die distan-zierte Haltung der Politik gegenüber den 260konkreten Eingaben zur Nutzung von Parzellen.Der Vorwurf, die Anfragen seien zu individualis-tisch motiviert und zu stark von Menschen aus-ländischer Herkunft geprägt, stiftete Verwirrungund Entrüstung.Insofern müssen sowohl Bürgerinnen und Bür-ger als auch Politik und Verwaltung ihre gegen-seitigen Ansprüche überprüfen. Einige zeigtenim Rahmen des Projektes ihre Bereitschaft dazu.

5.2.2.2 Gemeinschaftssymbol und HandlungJede Stele wurde mit den Farben der Stadt be-malt, um die Zugehörigkeit einer/s jeden Bür-gerIn zur Stadt und damit ihre/seine Möglichkeitan einer Projektteilnahme zu unterstreichen. Über die symbolische Reservierung einer Stelefür jede/n BürgerIn hinaus wurde erwogen, dieindividuelle Ansprache durch deren Namens-nennung auf den Stelen zu verstärken. Dies er-wies sich jedoch in der Umsetzung als zu auf-wendig. So blieb es den Kindern vorbehalten,am Ende der Malaktion jeweils eine Stele mitihrem Namen zu kennzeichnen. Diesem schein-baren Detail wurde seitens der Kinder eine gro-ße Bedeutung zugemessen, die - im Akt desSichwiederfindens in der Masse - eine Verstär-kung der Identifikation vermuten lässt.

5.2.2.3 Teilhabe über individuelles InteresseMit den ca. 1 .000 erfolgten Anfragen ist die in-dividuelle Ansprache über die ästhetische Set-zung gelungen. Ihr Element, die Stele, steht fürdie Ansprache eines jeden einzelnen Bürgers,jeder einzelnen Bürgerin, sich mit seinen/ihrenindividuellen Interessen in die temporäre Nut-zung und Gestaltung der zur Verfügung gestell-ten Stadträume einzubringen. In einer auf Eigen-verantwortung und Selbstverwirklichung ausge-richteten Gesellschaft ist der/die Einzelne aufge-rufen, individuell zu handeln. Die räumliche

Entwicklung der finanzschwachen und damithandlungseingeschränkten Stadt soll also überindividuelles Handeln geschehen. Eigeninteres-sen können zur Handlungsoption werden, fürdie die Stadt den Spielraum zur Verfügung stellt.

Eine große Nachfrage nach Grabeland bestätigteden der Stadt bereits bekannten Bedarf an Klein-gärten. Dieser wird gerade für die ausländischenMitbürger in den Hochhaussiedlungen ohne pri-vaten Garten weder seitens der Stadt noch vonden bestehenden Kleingartenvereinen befriedigt.Eine Familie wollte auf 100 qm einen Hühner-hof mit Stall für vier Hühner anlegen.Die Vorbehalte seitens der Politik an der Um-setzung jenes individuellen Interesses verdeut-lichen die niedrige Toleranzschwelle und dengeringen individuellen Spielraum, den die Ge-meinschaft dem Einzelnen derzeit einräumt.

5.2.2.4 Chancen für das GemeinwesenPrimär wurde nicht der Versuch unternommen,die Heterogenität der Bevölkerungsgruppen und-interessen aufzuheben und unbedingt einen Ge-meinsinn zu erreichen. Dennoch bestand dieMöglichkeit der gemeinsamen Interessensfin-

159

Abb. 110. Stelenbeschriftung

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dung und -gestaltung durch den Zusammen-schluss von Parzellennutzern und durch dasAustarieren von neuen Beziehungen. So könnennicht nur Nachbarschaftsbeziehungen, sondernauch soziale Beziehungen neu aufgebaut wer-den. Insbesondere bei der Nachfrage nach einemStück eigenem Grabeland äußerten einige über-wiegend ausländische Familien den Wunschnach Zusammenlegung und gemeinsamer Nut-zung von Flächen. Aber auch ein darüber hinausreichendes Bürger-schaftsengagement ist im Projektansatz gegebenund wurde von mehreren einzelnen Bürgern ge-nutzt: Bewohner einer Reihenhaussiedlung wol-len auf mehreren Parzellen mit den Stelen einenAbenteuerspielplatz gestalten. Ebenso gab esden Antrag für ein großes Zelt zur Ausrichtungmuslimischer Hochzeiten. Angesprochen fühltensich auch für das Gemeinwohl engagierte Men-schen, die beispielsweise einen öffentlichen Apo-thekergarten bzw. die Dietzenbacher Stadtkarteals Blumenbeet anlegen wollen. Diese Projekte sind bisher nicht umgesetzt, waszum einen an Widerständen in der Verwaltungund der Politik und auch am nachlassenden In-teresse der AntragstellerInnen liegen mag. Dennes stellte sich schon früh heraus, dass es, nach-dem die Aufmerksamkeit geweckt wurde, einersehr intensiven Kommunikation bedarf. Dies istunter hohem Aufwand bei der Organisation undDurchführung der Malaktionen gelungen. Soknüpften Schulen an den von uns eingefädeltenKontakt an: Sie holten über 50 Stelen für denKunstunterricht ab. Über die Stelenbearbeitungfanden die Schüler dort zur Diskussion über dasZusammenleben der Bewohner aus unterschied-lichen Kulturen. Sie verliehen ihren anschlie-ßend temporär auf einer Brachfläche aufgestell-ten Stelen Flügel in Form von Windrädern.

5.2.2.5 Toleranz und AushandelnEin von vielen als exotisch angesehener Wunscheiner Familie war der Bau eines Hühnerhausesauf einer Parzelle unter Verwendung der Stelen.Dessen Umsetzung musste erst durch den Vor-

trag eines Kindes in der Stadtverordnetenver-sammlung erstritten werden. Im Vorfeld einer gepflegten Reihenhaussiedlungam Rande einer Kleinstadt passt ein Hühnerstallnicht in das Selbstbild der Bewohner - dem Bür-germeister graute vor der Fortsetzung in Formeines Ziegenstalls. Dies, obwohl in der Realitätder fragmentierten Stadt einerseits vieles bezie-hungslos aufeinander trifft und unvermittelt ne-beneinander steht. Andererseits wird der Verlustder historischen Ortsränder mit einem differen-zierten Übergang in die Landschaft beklagt, zudem neben Nutzgärten und Streuobstwiesenauch die Kleintierhaltung gehörte. Dennoch löstnun der kleine Hühnerstall am Stadtrand alsweiteres bezugloses Fragment und gleichzeitigerRückgriff auf Vergangenes Irritationen und Ab-wehr aus. Heute erscheint ungewohnt, was vordem Nor-malität und Alltag war. Und gerade davon - vomDorf - möchte man sich in der Zwischenstadtdistanzieren, bis hin zur gefühlten Entfremdung:Lieber werden weite Wege zurückgelegt, umden Kindern einen kurzen Kontakt mit Tieren imStreichelzoo zu ermöglichen und um ihnen zuzeigen, woher die Nahrungsmittel kommen. Das Zurückweisen der Störung einer vorgestell-ten Ordnung zeigt die geringe Toleranzschwellefür Lebenszeichen der Mitbürger. Also eine ge-ringe Bereitschaft, die Sehnsucht nach der euro-päischen Stadt mit ihrer Dichte und Vielfalt inder erforderlichen Rücksicht und Duldung nochzu leben.

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Abb. 111. Windräderaus Stelen, die im Rah-men des Kunstunter-richts entstanden und ineiner temporären Aus-stellung auf einer Stadt-brache gezeigt wurden

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5.2.3 Ästhetische Setzung alsgeeignetes Instrument

5.2.3.1 Spielerischer InputEigeninitiative, Engagement und Kreativität, wiesie die Erbauer des Hühnerstalls und Schulklas-sen mit der Diskussion um das Zusammenlebenzeigten, sind gefragt, um Bewegung in festge-fahrene Denkweisen zu bringen. Die ästhetischeSetzung erzeugte diese Bewegung und zugleicheine spielerische Atmosphäre, auf die sich eini-ge Bürgerinnen und Bürger einlassen konnten.Die sichtbaren Vorteile einer derartigen Beteili-gung vermögen andere zu animieren, ebenfallseine Teilnahme zu wagen. Auch die Flächeneigner profitieren von der Ak-zeptanz des Temporären als Spielregel.Durch eine derartige Spielanordnung könnenNutzungen und Beziehungen neu gesehen undso Erfahrungen gesammelt werden, die demPrinzip des Temporären eine seriöse Bedeutungin Planungsprozessen jeglicher Art verleihen.

5.2.3.2 AngemessenheitDie ästhetische Setzung erreichte ihr Ziel, dasie, wie die Befragungen ergaben, einen hohenBekanntheitsgrad erzielte und darüber hinausca. 1 .000 Bürgerinnen und Bürger zur Kon-taktaufnahme animierte.Von der Presse wurde die Frage einzelner Bür-gerInnen nach den Kosten der Installation undihrer Angemessenheit aufgegriffen.11 Es liegt

quasi in der Natur der Sache: In der Greifbar-keit des Projektes ist auch seine Angreifbarkeitenthalten. H ier wird das Sichtbare verbundenmit einem Vermuten von Kosten für dessen Her-stellung, auch wenn man deren Höhe nichtkennt, geschweige denn einordnen kann.Das Problem - insbesondere auch für Politiker -ist, dass wer handelt sich auch angreifbar machtim Gegensatz zu dem, der sich durch N ichthan-deln und N ichtunterstützung einer Kritik weit-estgehend entzieht.12 Es bedarf also des Mutesund des Selbstvertrauens der maßgeblichenPolitiker, sich dieser Kritik aus Unwissenheit zustellen, um sie dann mit sachlichen Argumen-ten zu entkräften.Letztendlich summierten sich die Ausgaben fürdie anderen Sachmittel des Projektes (Broschü-ren, Faltblätter, Plakate, Webseite, Veranstaltun-gen, Filme, Fotoaufnahmen etc.) auf den glei-chen Betrag, was jedoch von niemandem wahr-genommen und hinterfragt wurde. Dies gilt auchfür die generell akzeptierten Kosten der städti-schen, wissenschaftlichen und privatwirtschaft-lichen MitarbeiterInnen des Projektes, die abernoch unsichtbarer blieben. Zudem sei an dieserStelle der H inweis erlaubt, dass das Dietzen-bacher Projekt den mit Abstand kleinsten Etatim Forschungsverbund 2030 erhielt.

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11 Die Kosten für die Steleninstallation (Material/Aufbau/ Abbau beliefen sich auf ca. 33 .000 Euro incl. Miete und Nebenkosten für das Bauwagenbüro.

12 Vgl. Sigurd Trommer, "Chancen der Stadt in der Zukunft",Einführungsreferat des 4 . Städtebaulichen Kolloquiums,Darmstadt, 16 .07 .03 .

Abb. 112. Hühnerstall: Kreativer Umgang mitStelen und Brache

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5.2.3.3 Typologischer VergleichEin Vergleich zwischen dem Projekt "Stadt2030", dem Agenda-21-Prozess und dem Hes-sentag in Dietzenbach lässt einen typologischenUnterschied erkennen.Die Gemeinsamkeiten der Projekte "Stadt 2030"und "Agenda 21" liegen in der Prozessorientie-rung und dem Nachhaltigkeitsanspruch, der ent-scheidende Unterschied jedoch in der Planungund Umsetzung.Mit der ästhetischen Setzung instrumentalisiertdas Projekt "Stadt 2030" ein sinnliches Objektals Medium der Kommunikation zwischen Pla-nerIn und BürgerIn sowie BürgerInnen unterein-ander. Dieses Medium vermittelt eine Verbind-lichkeit seitens der Planer aufgrund seiner räum-lichen Präsenz und seiner Beziehung zu einemunmittelbar vorliegenden realen Angebot. DieseQualität lässt die Agenda 21 vermissen, derenabstraktes Medium der Sprache Projekte zwarerdenken lässt, deren Realisierung aber unge-wiss bleibt.Der Hessentag unterscheidet sich von beidendadurch, dass seine Umsetzung als Event ins-zeniert und auf wenige Wochen beschränktwird. Seine Wirkung soll eine kollektive Erfah-rung sein, die möglichst lange in Erinnerungbleibt.Diese unterschiedlichen Eigenschaften prägenauch die Akzeptanz der Bürger gegenüber derProjektfinanzierung. Mit einer sichtbaren Umset-zung als erstem Schritt öffnet sich die ästheti-sche Setzung der Möglichkeit einer Kritik. Ganzanders verhält es sich beim Agenda-21-Prozess,dessen Kommunikationsform, die Sprache, einerModeration bedarf. Dessen Finanzierung erfor-dert zwar erhebliche Personalkosten13, die aberfür den Bürger und die Bürgerin weitaus wenigerfassbar sind als die Realisierungskosten für einObjekt im öffentlichem Raum. Deshalb warenim Rahmen des Agendaprozesses Vorwürfe über"Geldverschwendung" selbst dann nicht zu hö-ren, als sich die Teilnahme an den Veranstaltun-gen auf wenige Bürger und Bürgerinnen (15 -25) beschränkte.Der Hessentag 2001 in Dietzenbach14 zeichnete

sich als Sonderfall aus, dessen F inanzierungund Realisierung von einem starken politischenWillen abhing. Der Hessentag wird in Dietzenbach als Erfolgempfunden, kann aber typologisch gesehen kei-ne Nachhaltigkeit bewirken. Der Erfolg liegt imImagegewinn nach außen und in der Stärkungder Identifikation mit der Stadt in der unmittel-baren Zeit danach. Dieses Gefühl bezieht sichalso auf eine Ausnahmesituation, die der StadtDietzenbach beschert worden ist. Ziel des Pro-jektes "Stadt 2030" ist es aber, positive Entwick-lungen anzuregen, die nicht auf eine Ausnahme-situation beschränkt bleiben.Dagegen versuchte ein Projekt im Rahmen der"Sozialen Stadt" sich verstetigende Ausnahme-situationen, wie die sozialen Brennpunkte inDietzenbach, einzudämmen. Geplant wurde -mit einem Etat von einer Millionen Euro - dieVerschönerung der Außenanlagen von Hoch-häusern im Spessartviertel und ihre Ausstattungmit Freizeitinfrastruktur. Also ein Ansatz, der miteinem konkreten Ergebnisbild arbeitete und we-nig Spielraum für Input aus dem Viertel zuließ. Eine Veränderung der inneren Dynamik im Vier-tel, die selbsttragend sein könnte, kam nicht zu-stande. Doch genau darauf zielt der gewählteAnsatz im Projekt "Stadt 2030", hier langfristigAnknüpfungspunkte zu bieten.

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13 Im Jahr 2000 beantragte Moderationskosten für Agenda 21 in Dietzenbach lagen bei 25 .000 Euro.

14 Die Kosten beliefen sich auf 5 Mio. Euro und bescherten der Stadt ein Defizit von 3 Mio. Euro.

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5.2.4 Übertragbarkeit

Die eingangs beschriebene Problematik, dassimmer weniger Bevölkerungsschichten nochüber herkömmliche Planungsinstrumente wiePlanoffenlegung, Öffentlichkeitsveranstaltungen,Pressemitteilungen zu erreichen sind, ist in Diet-zenbach zwar besonders ausgeprägt, die Ten-denz zur Teilnahmlosigkeit an der Stadtentwick-lung einerseits und die Finanzschwäche derkommunalen Haushalte andererseits sind je-doch generell zu verzeichnen. In Anbetracht ihrer finanziellen Situation werdenKommunen künftig verstärkt darauf angewiesensein, für die Stadtentwicklung die Einsatzbereit-schaft ihrer Bürger zu fördern. Dazu stellt dieästhetische Setzung in idealer Weise ein Me-dium des gegenseitigen Austausches von Inter-essen und Wissen mit einem starken Hand-lungsbezug dar. Das eingesetzte Medium funktionierte und istals Strategie auch auf andere Kommunen über-tragbar.

Dabei seien folgende Vorzüge hervorgehoben:• Die ästhetische Setzung bewährte sich als

Kommunikationsform, um unterschiedliche Bevölkerungsteile zu mobilisieren.

• Durch ihre eigene Symbolhaftigkeit fördert sie die Kreativität der Bürgerinnen und Bürger und liefert Anregungen für bürgerschaftlichesEngagement.

• Mittels der ästhetischen Setzung kann ein konkretes Anliegen der Stadt bereits in der Installation zum Ausdruck kommen und ver-handelt werden

• Vergleicht man die Kosten mit den Ausgabenfür herkömmliche Öffentlichkeitsarbeit (Bro-schüren, Veranstaltungen, Moderationen, interne und externe Personalkosten), so erge-ben sich keine höheren Ausgaben, auch wenn dies so scheinen mag, weil sie hier sichtbar werden. Sie stehen in Relation zu Aufwen-dungen vergleichbarer Öffentlichkeitsarbeit und haben mit diesem Projekt ihre Effizienz bewiesen.

• Ein großer Vorteil der ästhetischen Setzung liegt in ihrer Anschaulichkeit auch im wört-lichen Sinne. Einem städtischen Anliegen ver-leiht sie durch ihre Präsenz im öffentlichen Raum physische Prägnanz.

• Das Medium muß in aller Einfachheit die Zielsetzung vermitteln können. Die wahr-nehmbare Installation bietet der Kommune immer wieder Anknüpfungspunkte für Veran-staltungen und Medienberichte, um das ge-wählte Thema zu transportieren und imöffentlichen Diskurs zu halten.

• Der beabsichtigte Gestaltungs- und Qualitäts-anspruch des städtischen Anliegens wird durch die ästhetische Setzung selbst sichtbar vermittelt.

• Ihre Existenz bewirkt bereits eine erste Ver-änderung des städtischen Kontextes.

• Sie impliziert Handlungsorientierung und Konkretheit.

Da in der Stadtplanung herkömmliche Planungs-instrumente immer seltener greifen, werden sieauch weniger bei Stadtplanungsbüros nachge-fragt.Mit dem Medium der ästhetischen Setzung kön-nen StädtebauerInnen ihr Planungsrepertoire er-weitern und Konzepte einem wesentlich breite-ren Publikum vermitteln. Anders als im neuenAufgabenfeld der Moderation bleibt mit der äs-thetischen Setzung ein wesentlicher Arbeits-schwerpunkt in der Gestaltung und in der kon-kreten Auseinandersetzung mit dem Raum er-halten.Als neues Kommunikationsmedium wirkt dieästhetische Setzung also als Katalysator, umsowohl kommunale Anliegen wahrnehmbar zumachen und zu vermitteln als auch bürger-schaftliches Engagement zu entfalten und frei-zusetzen.

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5.3.1 Was wurde erreicht?

Mit der Kampagne "100 qm" wurde ein zentra-les Thema, die leeren Flächen inmitten derStadt, angesprochen. Dietzenbacher Bürgerin-nen und Bürger entdeckten in den Flächen einPotenzial für eigene Ideen, Vorschläge und Ak-tivitäten.Die Beschäftigung einiger hundert Bürgerinnenund Bürger mit unterschiedlichen Themen derStadt ist ein Erfolg der Projektstrategie. Infolgeder Kampagne entstand in der Presse, Verwal-tung und Teilen der Politik eine kontrovers ge-führte Diskussion über Städtebau in Dietzen-bach.

Bürgerinnen und Bürger als RessourceSchon kurze Zeit nach Projektbeginn regten Diet-zenbacher Bürgerinnen und Bürger neue Nut-zungen auf mehreren Brachflächen an. Im Ver-lauf des Projektes konnten daraus verallgemei-nerbare Situationstypen entwickelt und beschrie-ben werden. Die Bürgerinnen und Bürger stell-ten sich als Ressource für solche Aufgaben inder Stadtentwicklung dar, die von der Kommunealleine nicht mehr geleistet werden können. DieZusammenarbeit von Bürgerinnen, Bürgern undKommune müsste zur Aktivierung dieser Res-sourcen jedoch wesentlich verbessert werden.Oft genug scheiterte die Umsetzung von Nut-zungsideen daran, dass die Bürgerinnen undBürger den Anspruch auf starke Unterstützungder Stadt, z.B . bei der Pflege von neu angeleg-ten Gärten, einforderten. H ier muss ein Be-wusstsein dafür entstehen, dass langfristige Zu-sagen der Stadt nur einzufordern sind, wennjede/jeder Einzelne bereit ist, ebenfalls in einemdefinierten Rahmen langfristig Verantwortungfür bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Für die Akteurinnen und Akteure ist es von ent-scheidendem Vorteil, das Wissen von Expertin-nen und Experten in Anspruch nehmen zu kön-nen, da sie erst so die Möglichkeit erhalten, in-nerhalb der komplexen Verwaltungs- und Politik-zusammenhänge ihre Projektideen zu verwirk-lichen. Auf Seite der Gemeinde ließ sich ein an-

gesichts der leeren Kassen nicht zu tolerierendesDesinteresse erkennen, auf die "Ressource Bür-gerIn" mit einem gewissen Risiko zuzugehenund Anknüpfungspunkte für die Energien derBürgerinnen und Bürger zu entwickeln. Soscheint es noch ein langer Weg bis zur routi-nierten Übernahme von Verantwortung für Be-lange der Stadt durch Bürgerinnen und Bürgerzu sein.Anhand dieser Erfahrung wird deutlich, dasssich für Expertinnen und Experten in Zukunftein neues Aufgabenfeld entwickelt, da ein sol-cher Prozess angestoßen und gegebenenfallsmoderiert werden muss.

Kurzfristige Aktionen - langfristige Veränderun-genFür die Entwicklung der Projektstrategie standenzwei Fragen im Vordergrund: Kann die Initiierung von Prozessen unter be-wusster Ablehnung der Entwicklung neuer Leit-bilder die Zukunft der Stadt gestalten?Können sich aus kurzfristigen Aktionen und Si-tuationsverbesserungen auch langfristige Verän-derungen entwickeln? Zur Beantwortung dieser Frage scheint es sinn-voll, die Akteurinnen und Akteure innerhalb derUmsetzungsprozesse und die über den Projekt-zeitraum hinausgehenden Vorhaben zu betrach-ten. Die Vorhaben stellen sich zum gegenwärtigenZeitpunkt wie folgt dar:• Diskussionen über mögliche Vereinsgründun-

gen durch Bürgerinnen und Bürger (Club 100 , Internationale Gärten Dietzenbach).

• Aufgreifen von Vorhaben durch Ausländerbei-rat (Festzelt, Bolzplatz).

• Gestaltung öffentlicher Freiflächen durch Bürger (Abenteuerspielplatz, Themengärten).

• Mögliche Umsetzung eines seit 24 Jahren bestehenden und zum Großteil nicht umge-setzten Bebauungsplans für Kleingärten durchinteressierte Bürgerinnen und Bürger.

• Geplante Diskussionsrunde auf Initiative ein-zelner Stadtverordneter mit dem Projektteam.

• Andauernder Erfolg des "Hühnerhofes".

5.3 RESÜMEE AUS SICHT DERFA CHGRUPPE STADT,TU DARMSTADT

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Im Verlauf der Einzelprojekte kristallisierten sichAkteurinnen und Akteure heraus, die, aufbauendauf den geäußerten Ideen, die umsetzungsorien-tierte städtebauliche Dynamik über den Projekt-zeitraum weitertragen könnten. Dies sind zumeinen Privatpersonen, die nicht nur einzelneUmsetzungen leisten können, sondern bei de-nen es ein wachsendes Bewusstsein darübergibt, dass sich die Rolle der Bürgerinnen undBürger als konstruktives Gegengewicht zu Ver-waltung und Politik entwickeln könnte. Zumanderen entsteht langsam auch in der Politikein zunehmendes Interesse an einem langfristi-gen strukturellen Wandel der städtebaulichenArbeit. Der Ausländerbeirat bringt sich bei der Umset-zung von Kleingärten und eines Bolzplatzes indie städtebauliche Diskussion ein.Damit sind wichtige Etappenziele erreicht. Aller-dings wird auch deutlich, dass sich noch keinAutomatismus entwickelt hat, der als sinnvollzu erachtende Vorhaben wie etwa die Umset-zung des Bebauungsplans für Kleingärten(Punkt 4) mit H ilfe von Bürgerinnen und Bür-gern nun durch die Hürden des Alltags tragenkönnte. H ier ist der Verdacht angebracht, dassdie Politik mit allen Mitteln das Vorhaben verzö-gert. Ohne bürgerschaftliche Organisation undohne Druck werden sich also solche sinnvollenProjekte nicht durchsetzen lassen. Es ist ein Ver-säumnis des vorliegenden Projektes, diese bür-gerschaftliche Organisation nicht gefördert zuhaben, obwohl mit einigen AkteurInnen zeitwei-lig intensiver Kontakt und Austausch bestand.Diese AkteurInnen nehmen innerhalb der vor-handenen sozialen Netzwerke zumeist Schlüs-selpositionen ein, wodurch die Einzelprojekte anDynamik hätten gewinnen können.Das Projektteam hat sich zu stark von den aktu-ellen Umsetzungen temporärer Nutzungen ver-einnahmen lassen.Im Verlauf der Umsetzungen begannen Bürge-rinnen und Bürger, sich mit dem Thema desStädtebaus zu beschäftigen. Bürgerinnen undBürger äußerten, wie erfreulich es ist, Möglich-keiten der Stadt, wie z.B . die Besetzbarkeit von

Boden, durch das Projekt zu entdecken. Mit einigem Optimismus darf man hoffen, dasssich dieses Erkennen von Chancen in der Stadtsowohl auf Seiten der Bürgerinnen und Bürgerals auch der Politik und Verwaltung weiter aus-breitet. Vor allem aber besteht die Hoffnung,dass sich langfristig, z. B . durch Vereinsgrün-dungen, bürgerschaftliches Engagement als einernst zu nehmendes, konstruktives Gegenüberfür die Stadtplanung in Politik und Verwaltungbildet, ein Gegenüber, das in der Lage ist, wich-tige Impulse für die Stadtentwicklung einzubrin-gen. Mit der Aufnahme der Impulse durch dieStadt würde die Innenentwicklung entscheidendgestärkt, d. h. die Planung setzte sich in einemAushandlungsprozess stärker mit den Anliegenaber auch den Ressourcen der schon ansässi-gen Bevölkerung und Betriebe auseinander. Sokönnte es gelingen, die starke Abhängigkeit vonexternen Faktoren, insbesondere von Entwicklernund Investoren, zu verringern und einer neuenstädtebaulichen Dynamik Raum zu geben.Ähnliche Impulse sind zu erwarten, wenn eta-blierte Akteure wie der Ausländerbeirat ihr Mo-bilisierungspotenzial für konkrete Realisierungenin der gegenwärtigen Situation Dietzenbachsausnutzen würden.Bei der Verwaltung wiederum entstanden mitdem Entwurf eines Vertragsmusters sowie mitder Erprobung von schnellen, umsetzungsorien-tierten Entscheidungsabläufen bei Bürgereinga-ben langsam neue, über die klassische Bürger-beteiligung hinausgehende Anknüpfungspunktefür die Bürgerinnen und Bürger. Noch herrschenBedenken bezüglich eines möglichen Kontroll-verlustes und Zweifel daran, dass bürgerschaft-liches Engagement auch langfristig wirksam ist.In diesem Zusammenhang ist es sehr bedauer-lich, dass der intensiv genutzte Kontaktpunktmit der Stadtplanung durch einen vom Projekt-team besetzten Bauwagen in der Stadtmittenicht über den Projektzeitraum hinaus erhaltenwerden konnte. Durch die Diskussion über ein neues Rollenver-ständnis von ExpertInnen und Verwaltung kannsich die Erkenntnis durchsetzen, dass Städte

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angesichts von F inanzkrisen und Strukturwan-del Umsetzungserfolge dann erzielen werden,wenn sie sich als Managerinnen von Ressour-cen, als Organisatorinnen von Aushandlungs-prozessen und als Wissenspool verstehen undnicht mehr als Monopolistinnen für die Erstel-lung von öffentlichem Wohl. Viele kommunale Aufgaben werden in Zukunfterst durch bürgerschaftliches Engagement um-gesetzt werden können. In Dietzenbach wirddas an dem Thema der fehlenden Kleingärtendeutlich. Ein gültiger Bebauungsplan für Klein-gärten kann seit 24 Jahren für einen Großteildes Geltungsbereichs nicht umgesetzt werden,weil die Kommune nicht in der Lage ist, die fürdie Umsetzung notwendigen Kosten zu über-nehmen.Es bestand die realistische Hoffnung, dieseKleingärten nun unter Einbindung der Eigenini-tiative der interessierten Bürgerinnen und Bür-ger im Rahmen der Kampagne "100 qm" umzu-setzen. Durch den kurzen Projektzeitraum fehltnun sowohl eine treibende Kraft, diese Chanceweiter im politischen Raum zu verfolgen, alsauch das Projektteam, das mit seiner Arbeit dasBewusstsein für die Realisierbarkeit der Gärtenbei Bürgerinnen und Bürgern fördern könnte.Die mit dem Projektende wegfallende Stellebeim Stadtplanungsamt macht sich neben demWegfall der Option für Werkverträge mit freienMitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier besondersnegativ bemerkbar. Gäbe es hier einen kleinenSpielraum, könnte langfristig mit geringem finan-ziellen Aufwand viel bewegt werden. Die Politik in Dietzenbach beginnt sich langsamfür das Thema Innenentwicklung und seineMöglichkeiten zu interessieren. Dieses Interessewurde erst relativ spät geweckt, da das Projekt-team mit dem Ziel der schnellen Umsetzungvon Einzelprojekten und der begrenzten Projekt-laufzeit die zeitaufwendige Diskussion in denpolitischen Gremien vermieden hat.Schließlich weisen Thematisierungen von Stadtund Boden sowie erfolgreiche F lächenbesetzun-gen die Möglichkeiten, die die Stadt ihren Bür-gerinnen und Bürgern bietet, auf. Besonders der

vorbildlich umgesetzte Hühnerhof für Kinderzeigt, wie viel Möglichkeiten die Stadt bietet. Es wird allerdings auch deutlich, wie wichtigWissen und persönliches Engagement, Aus-dauer und eine intensive Kommunikation sind.Eine Zukunftsaufgabe für ExpertInnen und Stadtist es daher, dieses Wissen an die Bürgerinnenund Bürger weiterzugeben.

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5.3.2 Die geänderte Rolle desStädtebauers/der Städtebauerin

Angesichts der Stadtplanungsgeschichte Diet-zenbachs sowie aus Erfahrungen mit einem frü-heren Projekt zur Umgestaltung der StadtmitteDietzenbachs an der Fachgruppe Stadt der TUDarmstadt war eine wichtige Herausforderungdes Projektes, eingeübte städtebauliche Hand-lungsreflexe zu revidieren und wenn nötig aus-zuschalten.

5.3.2.1 Eingeübte städtebauliche Handlungs-muster revidierenDie städtebaulichen Handlungsmuster, die jedeExpertin und jeder Experte schon nach kurzerAnalyse Dietzenbachs entwickelt, sind insbeson-dere, die "Neue Mitte" zu bebauen und damit le-bendig gestalten zu wollen, Großwohnanlagenund Verkehrsanlagen rückbauen zu wollen, diestädtebauliche Entwicklung stärker zu ordnenund eine integrative Lösung für die Gesamtstadtzu entwickeln. Diese städtebaulichen Reflexefinden in der Dietzenbacher Situation aber kaumUmsetzungsressourcen und bleiben deshalb im-mer wieder auf schmerzliche Weise irrelevant.Der fortgesetzte und erfolglose Versuch, die Stadtmit einem aus diesen Reflexen resultierendenstadträumlichen Umbau grundlegend verändernund verbessern zu wollen, führt im Gegenteil zueiner wachsenden Frustration und Handlungs-unfähigkeit.Das vorliegende Forschungsprojekt zeigt in die-ser Situation Alternativen städtebaulichen Han-delns, verbunden mit einer veränderten Rolledes der Städtebauerin/Städtebauers, auf.

5.3.2.2 Akzeptanz des VorhandenenAngesichts der problematischen Erfahrungen mitder Dietzenbacher Planungsgeschichte hatte fürden Städtebauer statt idealistischer, utopischer,leitbildorientierter und auf jeden Fall verändern-der Planung die Akzeptanz der bestehendenStadt Priorität. Konkrete und kurzfristig umset-zungsorientierte Einzelprojekte standen imMittelpunkt, und damit wurde ein großer Schritt

in Richtung der Bürgerinnen und Bürger ge-macht und dem Städtebau Bodenhaftung gege-ben. Die vorgefundenen Strukturen der Stadtund damit die alltägliche Lebensumwelt derDietzenbacher wurden nicht als Ursache derProbleme gesehen, sondern als Chance. Es stelltsich heraus, dass gerade die heute städtebau-lich durchaus problematische Struktur der Stadt,hier vor allem die Brachen, durchaus auch bild-lich gemeint ungeahnte N ischen und Zwischen-räume bieten. Der oft unter Städtebauern alsselbstverständlich angenommene Zusammen-hang zwischen Baustruktur und Gesellschafts-struktur und damit die Verknüpfung, dass diegebaute Struktur der Stadt Ausdruck ihrer ge-sellschaftlichen Realität sei, wurde hier zu Rechtabgelehnt. Damit stellte sich das Projekt nicht ineine Gegnerschaft zu Großwohnanlagen oder zurLogik der Entwicklungsmaßnahme. Der Erfolgdieser Herangehensweise zeigt sich eindrucks-voll in dem großen Interesse der Bürgerinnenund Bürger.

5.3.2.3 Konkrete Umsetzungen undVermeidung von LeitbildernDas Projektteam entwickelte keine Leitbilder,sondern versuchte ohne diese zu arbeiten. Zwarwird die Problematik der Arbeit mit Leitbildernim städtebaulichen Bereich allgemein erkanntund kritisiert, gleichwohl fehlt es an alternativenmethodischen Herangehensweisen. Das vorlie-gende Projekt hat nun statt dem allgemeinenund komplexen Bild den Einzelfall "in die Mittedes Tisches" gelegt und zum Kristallisations-punkt für Diskussionen und Prozesse gemacht.Für die Arbeit der Expertinnen und Experten be-deutet dies, nicht mit den großen Zusammen-hängen zu beginnen und zu hoffen, dass davonin großer zeitlicher Ferne ein Bruchteil realisiertwird, sondern darauf zu setzen, dass sich ausEinzelprojekten und vorhandenen Ressourcenlangfristige und übergeordnete Zusammenhängeentwickeln und eine städtebauliche Dynamikentsteht.Es hat sich herausgestellt, dass schon in denwenigen Monaten der Projektlaufzeit so ent-

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scheidende Themen der Stadt angeschnittenwurden. Diese Themen waren durchaus nichtimmer neu, aber es hat sich durch die hier an-gewandte Strategie eine neue, umsetzungsori-entierte Ungeduld eingestellt, die Themen direktanzugehen, wie zum Beispiel im Fall der seit24 Jahren nicht realisierten Kleingartenanlage.Mit dem Überspringen der oftmals unnötigenKomplexität des langfristigen Städtebaus konntedurch das vorliegenden Projekt eine entschei-dende kommunikative Hürde zwischen Bürge-rInnen und PlanerInnen genommen werden.Wie wichtig aber das Leitbild nach wie vor inder Expertendiskussion ist, zeigt sich an denwiederholten Fragen, ob man mit dieser Kon-zentration auf den Einzelfall nicht doch wiederein Leitbild aufgestellt habe. Das sei hier nocheinmal mit aller Deutlichkeit zurückgewiesen:Leitbilder sind langfristige inhaltliche Festlegun-gen. Genau diese werden mit der vorliegendenStrategie vermieden.

5.3.2.4 Analyse und "positive Provokation"Im vorliegenden Projekt wurde eine "positiveProvokation" konzipiert. Die Stadt wurde dazu in Bezug auf ihre Bau-struktur und Freiflächen, Potenziale und vorlie-genden Planungen analysiert. Es wurden F lä-chen für das Projekt ausgewählt, die als in derStadtstruktur besonders markant bewertet wur-den, oder aufgrund ihrer Planungssituation undEigentumsverhältnisse interessant erschienen. Es wurden F lächen thematisiert, für die es seitJahren gültige Bebauungspläne gibt, die jedochnicht umgesetzt werden können, vergessene,aus dem Bewusstsein verschwundene Flächenwurden in die Diskussion eingebracht. Diese städtebauliche Analyse Dietzenbachs hattedas Ziel, den empfindlichen Nerv der Stadt zufinden und durch eine gezielte Intervention zutreffen.Im nächsten Schritt wurde aus diesem Nerv derStadt ein umsetzungsorientierter Prozess entwi-ckelt.

5.3.2.5 Umsetzungsorientierter Prozess undUmgang mit dem UnerwartetenIn Erweiterung der niederländischen Herange-hensweise, die das Gefundene häufig in starkenBildern polemisiert, wurde aus dem Hauptthemader Stadt, dem Boden, ein umsetzungsorientier-ter Prozess und eine symbolische Aktion konzi-piert. Der Boden wurde besetzbar gemacht unddie ansässige Bevölkerung wurde aufgerufen,sich hier zu betätigen. Die in der Analyse erar-beiteten Themen wurden weder in Leitbilderübersetzt noch zu Problemstellungen und Lö-sungsansätzen weiterentwickelt, sondern nurdazu benutzt, einen inhaltsoffenen Prozess inGang zu setzen. Dieser Prozess wiederum lebtewie jede Strategie vom Zufall und dem Uner-warteten. Sie sind die eigentlichen Kräfte. DieIdeen und die Tatkraft der Bürgerinnen undBürger, die Reaktionen und Diskussionen derExpertInnen und der Politik, die neu entdecktenMöglichkeiten und Probleme haben den Prozessgetragen. Die Aufgabe der Expertinnen und Ex-perten lag in der offenen Reaktion auf das Un-erwartete. Das Unerwartete und Unplanbare,die "Wildcards", sind also nicht das Störende,was die Lösungsfindung behindert, sondern dasKonstituierende des Prozesses und das, was dieArbeit der Expertinnen und Experten auslöst.Damit hat das Projekt aus den unvermeidlichenSchwierigkeiten, die etwa in der DietzenbacherEntwicklungsmaßnahme entstanden, die Konse-quenzen gezogen und hat das inhaltlich Uner-wartete und das nicht Planbare in ein strategi-sches Konzept eingebunden. Dieser Ansatzkann angesichts des gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Strukturwandels als verallge-meinerbar gelten.

5.3.2.6 Prozessplanung und städtebaulicheUnterstützungDie einzelnen Projektteile des Projektes "Dietzen-bach 2030 - definitiv unvollendet" wurden in-tensiv vorbereitet. Das Projektteam analysiertemögliche Gefahren und Chancen sowie die not-wendigen Reaktionen hierauf. Es wurde z. B .sehr kontrovers diskutiert, ob es notwendig

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wäre, leere Flächen von Seiten des Projektteamszu markieren und damit in den Mittelpunkt derWahrnehmung zu rücken, womit die Interes-sensbekundung für die Bürgerinnen und Bürgerstark erleichtert wäre. Allerdings führte die Ent-scheidung für eine Festlegung dazu, dass keineweiteren Flächen von Bürgerinnen und Bürgernin die Diskussion eingebracht wurden.Die Interdisziplinarität des Projektteams hättenoch stärker genutzt werden können, um dieAkteurInnen und ihre Handlungsmuster intensi-ver zu reflektieren und mit diesem Wissen lang-fristige Entwicklungen zu unterstützen.Aus städtebaulicher Sicht wurde die Beschäfti-gung mit dem Ungeplanten notwendig, mit Be-setzungsvorgängen und deren Analyse. DieseVorgänge verlaufen in der Regel nach gewissenSchemata und sind sehr stark selbstregulierend,verlangen aber an bestimmten Punkten nacheinem Minimum an ordnendem Eingreifen. Da-mit verschiebt sich das städtebauliche Aufgaben-feld. Innerhalb der Prozesse wurde vieles zuge-lassen und auf eine Selbstregulierung vertraut,bei konkreten Realisierungen wurde durch dasEinbringen von Wissen helfend und ordnendeingegriffen. Die im Projekt erstellten Planungen und Bilder,etwa für die Verteilung von Grabelandparzellenund Gemeinschaftseinrichtungen oder für dieAnlage von Themengärten, gaben den Absich-ten ein konkretes Gesicht und dienten den Ak-teurInnen als Diskussionsgrundlage und Darstel-lung der Möglichkeiten und Potenziale ihrerIdeen. Ständig lauerte hier die Gefahr der Über-planung durch die Expertinnen und Experten.So wurde die Besetzung von temporärem Gra-beland durch die den Interessen der Bürgerin-nen und Bürger widersprechende Planung vonGemeinschaftseinrichtungen stark verzögert undvielleicht entscheidend geschwächt.

5.3.2.7 Betreuung langfristiger EntwicklungenIn den konkreten Umsetzungen kristallisiertensich Schlüsselpersonen und Ideen heraus. DieReaktionen in der Presse und in der Politik zeig-ten, welche Ideen so nahe liegend und treffend

waren, dass sie mit guter Aussicht auf Erfolgweiterentwickelt werden könnten. Diese Perso-nen und Ideen erforderten eine intensive Exper-tenbegleitung, um ihnen die Möglichkeit einerlangfristigen, über die Arbeit der Expertinnenund Experten hinausgehende Dynamik zu ge-ben. 15 Expertenarbeit kann dabei helfen, Mög-lichkeiten aufzuskizzieren und Pressearbeit zuunterstützen. Expertenarbeit kann aber auch be-deuten, Beispiele aus anderen Städten zu erar-beiten und den Bürgerinnen und Bürgern vorzu-stellen. Ein gutes Beispiel dafür war die Einla-dung von Vertreterinnen und Vertretern der "In-ternationalen Gärten Göttingen" zu einem Vor-trag in Dietzenbach durch das Projektteam. DieSchilderungen, wie einfach es eigentlich ist, sol-che Gärten durchzusetzen, regten das Publikumstark an. Zwar waren kurz danach Ideen für dieGründung eines entsprechender Vereins in Diet-zenbach zu hören, allerdings wird es wohl nochein langer Weg sein, bis die Akteurinnen undAkteure in Dietzenbach willens und fähig seinwerden, sich die notwendigen umsetzungsorien-tierten Strukturen zu geben und innerhalb die-ser Strukturen selbstverantwortlich zu agieren.Dabei sind es diese Zusammenschlüsse, dieStadtentwicklungen heute eine langfristige Per-spektive geben können, und nicht die langfristi-gen Leitbilder vom grünen Tisch. Im bürger-schaftlichen und umsetzungsorientierten Enga-gement für die Stadt kann sich schließlich einneues Stadtverständnis herausbilden, das alsHandlungsleitlinie für Expertinnen, Experten,Verwaltung und Politik wirksam werden kannund als Träger neuer Entwicklungen in Zeitenknapper Mittel an Bedeutung gewinnen wird.

5.3.2.8 Veränderte städtebauliche SichtDurch die vorgestellte Strategie verändert sichder Blick von ExpertInnen und anderen Akteu-

170

15 Vgl. dazu: Hardt-Waltherr Hämer in: Hardt-Waltherr Hämer, Karl Ganser, Wolfgang Roters; Internationale Bauausstellung Berlin und behutsame Stadterneuerung;ils Inovationsforum 1; Institut für Landes- und Stadtent-wicklungsforschung des Landes Nordrheinwestfalen

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rInnen auf die Stadt. Die Wahrnehmung undAktivierung von Potenzialen vor Ort rückt in denVordergrund. Die leeren Flächen in Dietzenbachsind in dieser Sichtweise Träger bestimmterPotenziale, die durchaus im Zusammenhangmit den für sie geltenden Planungen und Eigen-tumsverhältnissen stehen. Die Betrachtung derPotenziale und AkteurInnen einer Stadt wird da-mit zum Ausgangspunkt der Stadtentwicklung.Vereine, aber auch Einzelpersonen, sind poten-zielle AkteurInnen, die mit den Flächen der Stadtin Zusammenhang gebracht werden müssen.Im Rahmen dieses Vorgehens ist eine interdiszi-plinäre Zusammenarbeit von Vorteil. Die Zusam-menarbeit sollte anwendungsbezogen sein unddurch einen Diskurs die Einbindung aller Teil-disziplinen fördern und damit vielfältige Aspekteder Stadt widerspiegeln. Die methodische Auf-arbeitung dieser neuen Interdisziplinarität undihrer Herausforderungen steht noch aus.

5.3.3 Kritik und Empfehlungen

Betrachtet man den Verlauf des Projektes heute,so ist festzustellen, dass die Übertragbarkeit desProjektes nicht in der konkreten Ausgangssitua-tion der Stadt Dietzenbach liegt, sondern in derangewandten Strategie. In Dietzenbach hat die bundesweit größte Ent-wicklungsmaßnahme mit ihrer umfassenden,idealistischen, leitbildorientierten, aber starrenund heute über weite Strecken veralteten Pla-nung zu einem Einfrieren städtebaulicher Dyna-mik und der Beschäftigung mit der Stadt in derBürgerschaft geführt. H ier konnte ein Projekt,das sich gegen diese Art traditioneller Planungstellt, viel bewirken.Für andere Städte und Situationen können diehier gewonnen Erkenntnisse und die erprobteStrategie in erster Linie eine Erweiterung desstädtebaulichen Denkens und Handelns bedeu-ten. Aus dem Projekt "Dietzenbach 2030 - defi-nitiv unvollendet" lassen sich folgende Erkennt-nisse ableiten:

• Die bewusste Aktivierung alternativer Ressour-cen und eine langfristige Einbindung dieser Ressourcen in die Stadtplanung (die im vor-liegenden Projekt durch das Projektende starkgeschwächt wurde) lassen neue Stadtent-wicklungsprozesse entstehen.

• Es ist notwendig und sinnvoll für die Städte, Anknüpfungspunkte für diese Ressourcen sowie Prozess- und Kommuniakationsman-agement bereitzustellen.

• Um diese Prozesse zu initiieren, müssen neueStrategien mit eingeübtem Wissen kombiniert werden und muss sich das Selbstverständnisder Expertinnen und Experten verändern.

• Die Konzentration auf Innenentwicklung stattWachstumsorientierung macht die Städte weniger abhängig von unkontrollierbaren externen Faktoren.

• Man kann Vertrauen in die Selbstregulierungungeordneter Entwicklungen aus der Bürger-schaft haben.

• Mit konkreten Umsetzungen durch die Bür-gerinnen und Bürger beginnt sich ein neues bürgerschaftliches Stadtverständnis herauszu-bilden, das ein konstruktives Gegenüber fürdas Handeln von Verwaltung, Politik und ExpertInnen bilden kann.

Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Po-litik und Bürgern darf sich nicht länger auf all-gemeine Bekenntnisse und Willensbekundungenbeschränken. Die hier vorgestellte Strategie bündelt das Enga-gement und die unterschiedlichen Kompetenzenanhand von Einzelprojekten und unterstützt da-mit eine neue Dynamik in der Stadtentwicklung.

171

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5.4.1 Integration

Man könnte wahrscheinlich einen Slogan ausder Werbung paraphrasieren und sagen "Diet-zenbach, die wahrscheinlich bestgeplantesteStadt im westlichen Nachkriegsdeutschland!"und wäre zugleich konfrontiert mit dem schlech-ten Image der Stadt, der inneren Unzufrieden-heit mit dem Stadtbild wie der Entwicklungs-perspektive, Begriffen wie Identitätslosigkeit undFragmentierung und einem nicht gerade kleinenSet von Vorurteilen. Diese offenkundige Wider-sprüchlichkeit ist Grund genug, eben diese herr-schenden Wahrnehmungen und ihre Logik zuhinterfragen. Es ist zunächst die Arbeit der be-grifflichen Dekonstruktion.Ziel des Projekts war es, Diskurse zu initiieren,Blicke auf die Stadt und ihren unentdeckten"Reichtum" an Boden und zivilgesellschaftlichemPotenzial zu öffnen sowie bestehende Denkwei-sen von städtischer Entwicklung in Frage zustellen. Dies wurde im Zuge der Projektdurch-führung in wesentlichen Teilen erreicht. Es ge-lang auch zu zeigen, dass zwar die Rede überFragmentierung, Identitätslosigkeit, AnästhetikTeil des herrschenden Diskurses über die StadtDietzenbach ist, damit jedoch das für die Stadtpositive Potenzial an bürgerschaftlichem Enga-gement überdeckt wird.Leider konnte dieses Potenzial nicht faktischwirksam werden, hätte es dazu doch des Auf-brechens von Routinen, von Verfahren undauch eines liberalen Verständnisses von Integra-tion einer randständigen Bevölkerung bedurft.Integration wird heute landläufig als die politi-sche Strategie der Anpassung der Migrantinnenund Migranten in die neu gewählte Gesellschaftangesehen, so dass diese ein angemessenesLeben führen können. Die Projektergebnisselegen nahe, dass dieses Verständnis, sei es für-sorgend-sozialstaatlich oder aber einfach mitAnpassungszwängen einer "Leitkultur" versehen,nicht hinreichend ist. Die Wertschätzung, diedie nutzungsinteressierten Migrantinnen undMigranten im Rahmen des Projekts der StadtDietzenbach entgegenbrachten, besteht gerade

darin, dass sie sich auf ihre Art und Weise inDietzenbach "integriert" fühlen. Integriert in dieRäume und Nachbarschaften, die ihnen zur An-eignung zur Verfügung stehen und in denenihnen Raum geboten wird, ihre mitgebrachteIdentität unter veränderten Bedingungen zuleben. Auf der Ebene räumlicher Organisationwird so das "Integrationsproblem", das Teil desschlechten Images der Stadt ist, zu einem gro-ßen Potenzial sozial kompetenter Organisationder eigenen Interessen, die wir als Nutzungsin-teressierte im Rahmen des Dietzenbacher Pro-jekts kennen gelernt haben. Unter vermeintlichwidrigsten Bedingungen (relative Armut, Lebenin räumlicher Enge, Konzentration vermeint-licher Problemgruppen) gelingt es, soziale Netz-werke aufzubauen, die in weiten Teilen selbst-tragend und stützend sind. Es ist die traditionel-le Wahrnehmung von Verwaltung, Politik undeines großen Teils der Bevölkerung, dass diesnicht sein könne, weil die Menschen nicht inder Lage sind, ihre Interessen nach hiesigenMaßstäben zu organisieren und auch gar dazulegitimiert sind. Woher kommt nun dieser verstellte Blick? Deroffensichtlichste Grund liegt in der unzureichen-den Möglichkeit der Interessenartikulation. Diesebegrenzte Möglichkeit beginnt auf einer formalenEbene, der Ebene des Wahlrechts. Interessenar-tikulation wird dann interessant, wenn es ge-lingt, gesellschaftlichen Druck zu entwickeln,Interessen mit Macht zu verknüpfen. Dies ge-schieht klassischerweise durch Wahlen. Füreinen großen Teil der Migrantencommunitybesteht dieser Zugang nicht. Sie sind in dieserH insicht "Lame Ducks". Artikulierte Interessensind lästig, störend und beschneiden unter denBedingungen knapper Kassen die Möglichkeit,die Interessen potenzieller Wählerinnen undWähler zu befriedigen. Sie sind aus der Perspek-tive kurzfristiger politischer Rationalität uninter-essant.Aber auch aus der Perspektive paternalistischerFürsorge kann es nicht sein, dass es Bewohne-rinnen und Bewohnern solcher Quartiere gelin-gen könnte, ihr Leben selbst zu organisieren,

5.4 REFLEXIONEN AUS SICHT DERJOHANN WOLFG ANG G OETHE-UNIVERSITÄT FRANKFURT

172

Page 255: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

denn ein solcher Blick stellt das Selbstverständ-nis ganzer Berufszweige in Frage. Wendet manden Blick weg von der Pädagogisierung hin zurAnerkennung der Interessenartikulation als legi-tim, dann wäre man in der Lage bei diesem Ver-ständnis von Integration, den Reichtum, denkinderreiche engagierte Migrantinnen und Mi-granten für eine Stadt wie Dietzenbach bedeu-ten können, auszuschöpfen.In Dietzenbach war, wie sich zeigte, jedoch dastraditionelle enge Verständnis von Integration alsAnpassung vorhanden. In der Situation der öf-fentlichen Artikulation von Interessen von Mi-grantinnen und Migranten, hervorgerufen durchdas Projekt 2030 , hätte es prinzipiell zwei poli-tische Reaktionsmöglichkeiten gegeben.Die erste Möglichkeit, die sich das Projektteamgewünscht hätte, wäre folgende gewesen. Ob-gleich Migrantinnen und Migranten nach herr-schender Lesart zum schlechten Ruf der Stadtbeitragen, hätten sich die politisch Verantwort-lichen auf die Seite der Nutzungsinteressiertenschlagen können, den Prozess der kurzfristigenLandnahme, der Zwischennutzung von seit überdreißig Jahren brachliegendem Bodens beför-dern und damit herausstellen können, dass dieMigranten und Migrantinnen nicht herrschen-den Vorurteilen entsprechen müssen. Die politi-schen Risiken, die damit verbunden gewesenwären, eine nicht repräsentative Nutzung desöffentlichen Raums durch eine randständige Be-völkerung zuzulassen, wollte der Bürgermeisterjedoch nicht tragen. Damit wäre die Gruppe, dienach herrschender Meinung zum schlechten Rufder Stadt beigetragen hat, unnötig ins Rampen-licht gerückt worden.Deshalb wählte er den zweiten möglichen Weg,durch Aufrichtung einer neuen Hürde, der Kau-tion von 500 Euro pro F läche, die artikuliertenInteressen zumindest vorübergehend zumSchweigen zu bringen und damit nicht nochmehr Aufmerksamkeit auf die das negativeImage seiner Stadt befördernde Bevölkerungs-gruppe zu lenken. Es ist jedoch nicht ausge-schlossen, dass sich die politische Vertretungder Stadt nach eingehender Befassung mit dem

abgeschlossenen Projekt 2030 doch für denersteren Weg entscheidet.Mit der dem Projekt immanenten Annahme,dass das Zulassen von Differenz als Grundlageeines liberalen Integrationsverständnis anzuse-hen ist, stellten sich neue Anforderungen an dieBürgerschaft, die Politik und an das Verwal-tungshandeln. Diese Anforderungen wurden mitzunehmendem Projektverlauf deutlich. BeteiligteBürgerinnen und Bürger, Politik und Verwaltungwurden beständig mit neuen Situationen kon-frontiert, in denen routinierte Handlungsmusternicht griffen und neue Regeln ausgehandelt wer-den mussten. In diesem Sinne entwickelte dasProjekt eine dekonstruktive Praxis.

173

Page 256: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

5.4.2 Ergebnisse dekonstruktivenVorgehens

Im Rahmen des Projektes sind mannigfaltige Er-fahrungen im Einüben eines neuen Verfahrensgesammelt worden, die für alle Beteiligten ausdem Projektteam, der Verwaltung, der Politikund der beteiligten Bevölkerung neu waren. ImFolgenden werden einige Beispiele herausgegrif-fen, um zentrale Erkenntnisse zu dokumentieren.

"Das geht so nicht!"Ein zentrales Muster, um Veränderungen zu blo-ckieren, ist der Verweis auf die Unmöglichkeitdes Anliegens. Das Argument ist vor allem eineseiner klassischen Verwaltung, die zunächst ein-mal gewohnt ist, aus der Perspektive der Regel-haftigkeit heraus zu agieren. Routine strukturiertwesentlich den Arbeitsalltag, macht ihn sicherund schafft individuelle Machtpositionen. Mehr-fach führte das Übergehen eines Amtes in derVerwaltung zur Blockade. Der zentrale H inter-grund der handelnden Personen war jeweils dasN ichtbeteiligtsein. Aufgelöst wurden solche Kon-flikte, nachdem man die ersten Erfahrungen ge-sammelt hatte, durch eine mitunter aufwändigeund breite Information.

"Wir haben da andere Erfahrungen und kennendas schon!"In eine ähnliche Richtung wie die vermeintlicheUnmöglichkeit etwas zu tun geht der H inweisauf Erfahrungen in der Stadt. Jede Veränderungim Ablauf eines Verfahrens stellt das Experten-wissen vorhandener Akteurinnen und Akteure inFrage. Der Ansatz im Rahmen des Projektes, zu-nächst recht abgeschlossen zu agieren, kam alsBumerang zurück. Blockaden entstanden da-durch, dass man sich düpiert, sich mit seinemWissen nicht ernst genommen fühlte. "Da kom-men ahnungslose Spinner, die die Stadt nichtkennen." Im Rahmen von Gesprächen zum Endedes Projektes konnte diese Struktur geöffnet wer-den. Strukturell handelte es sich um ein Problemfehlender Anerkennung.

"Was gibt uns die Stadt?"In recht langwierigen Prozessen waren Selbst-verständnisse beteiligter Bürgerinnen und Bür-ger zu klären. Auch hier ging es um das Verän-dern von Routinen und Selbstverständlichkeiten.In den ersten Nachfragen tauchte zunächst Un-gläubigkeit auf: "Umsonst?", war die erste Ein-schätzung, die am Bauwagen zu hören war. Beider Konkretion in Richtung Umsetzung wardann aber wiederum ein klassisches Muster zuvernehmen. Die Frage danach, was die Stadthinzugibt (auch zu übersetzen mit: bezahlt). DieErklärungen, dass dies in diesem Projekt nichtvorgesehen sei, es vielmehr auf Selbstorganisa-tion ankäme und selbst Dinge in die Hand zunehmen seien, erwies sich keineswegs durch-gängig als selbstverständlich. Ebenso erwiessich als nicht selbstverständlich, dass es einenRahmen mit Regeln gab. Dieser war immer wie-der Gegenstand von Aushandlungsprozessen.

"Dann nicht!"Relativ schnell stellte sich bei potenziellen Nut-zerinnen und Nutzern Frustration ein. Zu Grundelag die Vorstellung, dass es völlig selbstverständ-lich sei, dass die Stadt ihren Boden zur Verfü-gung stellt. Was zunächst unvorstellbar schien,wurde binnen kurzer Zeit zur Selbstverständlich-keit. Mit dieser Selbstverständlichkeit wuchsendie Ansprüche an das Projektteam und dieStadt. Die N ichterfüllung dieser Ansprüche führ-te zu zahlreichen Nutzungsaufgaben.

"Die Verwaltung bin ich!"Konfrontiert wurde das Projektteam auch mitSprunghaftigkeiten. Dies stellte insbesondereein Problem dar, weil der Projektablauf wesent-lich auf weichen Grundlagen wie "Vertrauen"aufgebaut war. Gegenstand des Verfahrens wa-ren Aushandlungsprozesse, die sehr viel mit Ver-bindlichkeit zu tun hatten, die nicht in Schrift-form oder mit Leistungszusagen verbunden wa-ren. Die Botschaft war hier: "Ihr könnt machen,wir haben Möglichkeiten geschaffen und garan-tieren diese." Unglaubwürdig wurde das Projekt-team gegenüber Nutzerinnen und Nutzern, als

174

Page 257: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Zusagen nicht mehr eingehalten werden konn-ten. Die Spitze des Ganzen und die Verkehrungdes Projekts entstand in dem Moment, in demaus dem kostenfreien Projekt ein Projekt mit500 Euro Kaution, verordnet durch die Verwal-tungsspitze, wurde.

"Das interessiert uns nicht"Bestandteil des Projektes war es auch, die loka-le Politik möglichst lange aus dem Verfahrenheraus zu halten. H intergrund war die Befürch-tung, durch lange Debatten im parlamentari-schen und öffentlichen Raum könnte die Reali-sierung verhindert werden. Ein sicher ernst zunehmender Gedanke, der andererseits in der Si-tuation zugespitzter politischer Konflikte in Diet-zenbach zum Desinteresse der politischen Mehr-heit im Parlament führte. In der Situation, dasses einen Bürgermeister mit anderem Parteibuchals die Mehrheit im Parlament gibt, wurde dasProjekt eher als "Bürgermeisterprojekt" betrach-tet, dessen Scheitern man ihm hätte anhängenkönnen. Dies strukturierte ebenso die Handlun-gen des Bürgermeisters und dessen individuelleRisikobereitschaft. Zum Ende des Projekts ge-lang es schließlich, einen Zugang zur Politik zufinden, um das Projekt zu verstetigen. Gesprächemit Parlamentariern, über den Stadtverordneten-vorsteher organisiert, sind nach der Sommer-pause des Parlaments geplant.

Anarchischer InputZentrales Merkmal des dekonstruktiven Vorge-hens ist der immer wieder auftauchende "anar-chische Input" von Unplanbarem. Beispielhaftsei der Auftritt eines kleinen Jungen genannt,der seine Interessen am Hühnerhof in einer Re-de im Stadtparlament auf eine Art und Weisegeltend machte, dass sein Anliegen genehmigtwurde.

5.4.3 Die Verallgemeinerbarkeitdes dekonstruktivenPlanungsprozesses

Das Projekt "Dietzenbach 2030 - definitiv unvoll-endet" ging von der Prämisse aus, auf keinenFall ein Leitbild für künftiges Handeln in einerimaginierten Zukunft entwickeln zu wollen. Ver-schiedene hier im Projektbericht genannte Grün-de sprachen dagegen. Statt dessen war das Ziel,einen Beitrag zur Bewältigung aktueller und ab-sehbarer zukünftiger Probleme16 der Stadt aufeine Weise zu leisten, die aus den eingefahre-nen Gleisen von Stadtplanung und Politik desVersorgungsstaates hinausführen können. Inso-fern ging es um die Entwicklung eines Wegesfür die Stadt Dietzenbach hin zu einer "aktivie-renden Stadt". In Analogie zum "aktivierendenStaat" kann man unter einer "aktivierendenStadt" eine Stadt verstehen, die zwar an eineröffentlichen Verantwortung für gesellschaftlicheAufgaben festhält, jedoch nicht alle Leistungenselbst erbringen muß. Vielmehr sollte sie es alsAufgabe sehen, die städtische Gesellschaft zuaktivieren, zu fordern und zu fördern und sichselbst als Problemlöser zu engagieren. In demSichtbarmachen und Zutagefördern der für dieStadt potenziell nutzbaren gesellschaftlichen undstadtplanerischen Ressourcen im Planungspro-

175

16 Für Dietzenbach relevante Beispiele aktueller wie zukünfti-ger Herausforderungen, die aber durchaus generalisierbarsind, sind etwa folgende: die Ebene der Ökonomie (im Projektkontext etwa der Dynamik und der Beschleunigung der Immobilienverwertung), die Möglichkeit staatlicher Steuerung (Durchgriffsmöglichkeiten mittels Planung,finanzielle Situation der Kommunen) und auch die Frage demographischer Entwicklungen (in einer zunehmend ver-änderten Altersstruktur, wie unter dem Gesichtspunkt derMigration). All diese Beispiele führen zur Notwendigkeit, sich neuen Anforderungen zu stellen, während gleichzeitigin Dietzenbach der Korridor der Entwicklungsmaßnahme in den Köpfen wie in den baulichen Entwicklungen fortbe-steht. Fragestellungen wie die, was mit der Unvollendet-heit einer langfristig angelegten Planung in ökonomischenKrisenzeiten und bei fehlenden Investoren geschieht und wie man mit dem Resultat (hier: die Brache) einer solchen Planung flexibel, gebrauchswertorientiert und im städti-schen Interesse umgeht, ist eine überaus relevante Frage.

Page 258: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

zess sah das Projekt 2030 ein konkretes, aufdie städtische Zukunft gerichtetes Ziel.Auch wenn die Erfahrungen in Dietzenbach we-gen ihrer Besonderheiten nicht eins zu eins aufandere Städte übertragbar sind, so hat sich dochfür das Auffinden solcher Ressourcen ein verall-gemeinerbarer Weg, eine Vorgehensweise ge-zeigt, die hier als dekonstruktiver Planungspro-zess bezeichnet wird.Erster Baustein eines solchen Verfahrens ist dasAufspüren eines zentralen Themas der Stadt.Zweiter Baustein ist die Konstruktion eines Ex-periments, das die dekonstruktiven Prozesseauslösen soll. Im Dietzenbacher Beispiel wurdesich dazu der Stelenreihe und der Kampagne100 qm bedient. Die Stelenreihe bot für vieleGruppen aus unterschiedlichen Motivationenheraus die Chance anzuknüpfen, Äußerungenkundzutun und Engagement zu entfalten. Wares das Thema Boden, das Thema Kunst, dasThema Geldverschwendung oder auch aktiveTeilnahme am Aufbau, der Zugang war überausmannigfaltig und vor allen Dingen offen ange-legt.Dass die gewählte Strategie der Dekonstruktionzu Konflikten führen mußte, lag auf der Handund war intendiert, so dass man als dritten Bau-stein die Konfrontation, den Konflikt und an-schließende Aushandlungsprozesse nennenmuss. Das Brechen mit Verwaltungsroutinen,Versuche, eventuell ungeliebte, mindestens aberandere als gewohnte Gruppen der Stadt zu be-teiligen, Anforderungen an Bürgerinnen und Bür-ger zu stellen, die über die Saturierung ihrerWünsche hinausgehen, vielmehr Engagementfordern, und auch politisch dominierte Macht-und Entscheidungsstrukturen auch nur minimalin Frage zu stellen, verändern die Wirklichkeit.Um es mit den Begrifflichkeiten von Crozier/Friedberg zu benennen:

"Wenn dieser (sozialer Wandel, d. Verf.) aucheine Antwort auf die Veränderung externer Be-dingungen ist, so stellt er doch eine menschli-che Errungenschaft, das heißt eine soziologischeNeuerung dar, die als solche untersucht und

problematisiert werden muß. Mit anderen Wor-ten: Sozialer Wandel muß als soziologisches Pro-blem betrachtet werden, nicht so sehr, weil ernotwendig oder schwierig ist, sondern einfach,weil er weder naturwüchsig noch selbstverständ-lich ist. (...) Er kann nur als Prozess kollektiverSchöpfung verstanden werden, in dessen Ver-lauf die Mitglieder einer bestimmten Gesamtheit(...) eine neue soziale Praxis erlernen, das heißterfinden und festlegen, und in dessen Verlaufsie sich die dafür notwendigen kognitiven, rela-tionalen und organisatorischen Fähigkeiten an-eignen."17

Übersetzt man dies auf die Erfahrungen desDietzenbacher Projekts und die Anforderungenan die Akteurinnen und Akteure, kann man diewesentlichen Schlüsse in folgendem Schaubildzusammenfassen:

176

17 Zit nach: Crozier, Michel/Friedberg, Erhard, Die Zwängekollektiven Handelns, Königstein 1979 , hier: Neuausgabe Frankfurt 1993 , S.19 .

Page 259: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

177Akteurinnen/ Akteure

Anforderung derVerwaltung an...

Anforderung der Politikan...

Anforderung derBürgerschaft an...

Strukturanforderungenan...

Kommunikationsanfor-derungen an...

Verwaltung

• Interne Kooperation• Geringe H ierarchisie-

rung

• Monitoring• Expertise• Zielerreichung als

Maßstab

• DifferenzierteZugänge

• Offenheit• Wahrnehmung

• Kooperation• Konkrete Ansprech-

partnerInnen • Ermöglichungsort• Ansprechbarkeit• N iedrigschwelligkeit

• Anlassorientierung

Politik

• Verbindlichkeit• Zielkorridore• Fachliche Argumente

• Offenheit• Problemorientierung• Kooperationswille

• Wahrnehmung jen-seits von Gremien

• Wahrnehmung diffe-renzierter Lebens-,Einfluss- und Inter-essenlagen sowie Organisationsformen

• Öffnung aus dem parlamentarischen Raum

• Selbstverwaltung jen-seits von Staatlich-keit denken

• Offenheit• Darstellen von Zielen• Einholen von Inter-

essen

Bürgerschaft

• Regelbildung• Verlässlichkeit

• Verantwortungsüber-nahme

• Risikoübernahme

• Wahrnehmung von Differenz

• Legitimität von Differenz

• Selbstorganisation• Kooperationswille• Engagement

• Interessenartikulation• Bereitschaft zum

Öffentlichen

Tab. 44. Anforderungen an eine offene, lernende und bürgerschaftliche Kommune

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ANHANG

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1. Einleitung

Titelbild Büro Topos 9

2. Ausgangslage

Titelbild Büro Topos 15

2.1. Entwicklung der heutigen Struktur Dietzenbachs

Tab. 1 . Einige Stationen der Entwicklung Dietzenbachs nach dem Zweiten Weltkrieg Stadt Dietzenbach 17

Abb. 1 . Luftbild Entwicklungsmaßnahme Stadt Dietzenbach 21Abb. 2 . Übersicht über die Bebauungspläne in Dietzenbach Stadt Dietzenbach 24Tab. 2 . Chronologische Auflistung von Infrastruktureinrichtungen Stadt Dietzenbach 27Abb. 3 . Bevölkerungsentwicklung in Dietzenbach seit 1945 Stadt Dietzenbach 27Tab. 3 . Bevölkerungsentwicklung nach Stadtteilen und Art

des Wohnsitzes Stadt Dietzenbach 28

2.2 Bewertung der Folgen: Die aktuelle Situation der Stadt

Abb. 4 . Schwarzplan: Ortskern Dietzenbach mit Erweiterungen TU Darmstadt 34Abb. 5 . Ortskern Dietzenbach am Stadtbrunnen TU Darmstadt 35Abb. 6 . Dietzenbach Spessartviertel Büro Topos 35Abb. 7 . Schwarzplan: Alter Ortskern Dietzenbach TU Darmstadt 35Abb. 8 . Schwarzplan: Dietzenbach Spessartviertel TU Darmstadt 35Abb. 9 . Schwarzplan Wettbewerbsgebiet TU Darmstadt 36Abb. 10 . Siedlungsrand Stadt Dietzenbach 36Abb. 11 . Ortstrennende Bundesstrasse Büro Topos 37Abb. 12 . Dietzenbach Großwohnanlage Büro Topos 37Abb. 13 . Dietzenbach Blockrandbebauung Büro Topos 38Abb. 14 . Dietzenbach Reihenhausbebauung TU Darmstadt 38Abb. 15 . Stadtbrachen TU Darmstadt 39Abb. 16 . Stadtbrachen TU Darmstadt 39Abb. 17 . Stadtbrachen TU Darmstadt 39Abb. 18 . Innerörtliche Kreuzung TU Darmstadt 39Abb. 19 . Neue Mitte TU Darmstadt 40Abb. 20 . Schwarzplan Soziale Räume Dietzenbachs TU Darmstadt 43Tab. 4 . Durchschnittliches Geburtsjahr nach Quartier J. W. G.-Universität 43Tab. 5 . Wohndauer nach Quartierstypen in Prozent J. W. G.-Universität 44Tab. 6 . Quartierstypen und Kinderanteil J. W. G.-Universität 44Tab. 7 . HLU - Bezug nach Quartierstyp J. W. G.-Universität 45Tab. 8 . Verteilung 'öffentlicher Funktionäre' in den Quartierstypen J. W. G.-Universität 46Abb. 21 . Vorgehensweise Workshopverfahren Baugebiet 70 J. W. G.-Universität 49

6.1 ABBILDUNGS- UND TABELLEN-VERZEICHNIS

180

Page 263: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

3. Projektbeschreibung

Titelbild Büro Topos 55

3.1. Zur Vorgeschichte

Abb. 22 . Schlampis in Dietzenbach(OSA) TU Darmstadt 56

3.4. Zielsetzungen

Abb. 23 . Potential Bürger Stadt Dietzenbach 62Abb. 24 . Dietzenbach Brachfläche Stadt Dietzenbach 63Abb. 25 . Dietzenbach Brachfläche TU Darmstadt 65Abb. 26 . junge Bevölkerung als Potenzial Büro Topos 66

4 Projektrealisierung

Titelbild Büro Topos 69

4.1. Methodik, Strategie und Genese

Abb. 27 . Montage der Stelenreihe zwischen den Verkehrachsen Büro Topos 70Abb. 28 . Montage der Stelenreihe durch den Ort Büro Topos 70Abb. 29 . Montage der Stelenreihe als Setzung auf den Brachen Büro Topos 70Abb. 30 . Montage der Stelenreihe Büro Topos 71Abb. 31 . Claimabsteckung Büro Topos 71Abb. 32 . Beuysprojekt aus: 'dokumenta-Arbeit', Ausstellungskatalog

Museum Friederizianum, Kassel Hrsg. Veit Loers und Pia Witzmann, 1993 , S.223 72

Abb. 33 . Beuysprojekt aus: 'dokumenta-Arbeit', Ausstellungskatalog Museum Friederizianum, Kassel Hrsg. Veit Loers und Pia Witzmann, 1993 , S.223 73

Abb. 34 . Faltblatt zur Beteiligung Bildbearbeitung und Grafik Büro Topos Anja Schilder 74 + 75

Abb. 35 . Eine Stele als Angebot für jeder/jeden einzelnen BürgerIn Anja Schilder 76Abb. 36 . Transformation der Stelen Büro Topos 77Abb. 37 . Transformation der Stelen Büro Topos 77Abb. 39 . Statistik, Studentenarbeit TUD 80Abb. 40 . Studentenarbeit TUD 81Abb. 41 . 'Chora, Urban Flotsam', Raoul Bunschouten. S. 307 82

4.2. Umsetzung der Stelenreihe

Abb. 42 . Bildcollage Anlieferung, Büro Topos (Collage) Anja Schilder 85Abb. 43 . Bildcollage Malaktion, Büro Topos (Collage) Anja Schilder 86 + 87

181

Page 264: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Abb. 44 . Bohrer Anja Schilder 88Abb. 45 . Bildcollage Stelensetzung,Büro Topos (Collage) Anja Schilder 89Abb. 46 . Stelenreihe Winter Stadt Dietzenbach 90Abb. 47 . Stelenreihe Sommer Büro Topos 91Abb. 48 . Presseartikel, Ausschnitte Dreiechspiegel 93Abb. 49 . Presseartikel, Ausschnitte Offenbachpost 93Abb. 50 . Presseartikel, Ausschnitte Dreiechspiegel 93Abb. 51 . Stelenentnahme und Versetzung, Bildcollage Büro Topos Büro Topos 94 + 95Abb. 52 . Individuelle Anlage Stadt Dietzenbach 96Abb. 53 . Individuelle Anlage Stadt Dietzenbach 96Abb. 54 . Claimbesetzung TU Darmstadt 96Abb. 55 . Claimbesetzung TU Darmstadt 96Abb. 56 . Öffentliche Grünanlage Anja Schilder 96Abb. 57 . Öffentliche Grünanlage Anja Schilder 96Abb. 58 . Pflanzhilfen Bürger 96Abb. 59 . Pflanzhilfen Anja Schilder 96Abb. 60 . Gedankenstütze Stadt Dietzenbach 97Abb. 61 . Vereinsdarstellung Büro Topos 97Abb. 62 . Vereinsdarstellung Büro Topos 97Abb. 63 . Orientierung Anja Schilder 97Abb. 64 . Orientierung Anja Schilder 97Abb. 65 . Stadteingang, Montage Büro Topos Büro Topos 97Abb. 66 . Paradies auf 100 qm TU Darmstadt 98Abb. 67 . Stadion auf 100 qm TU Darmstadt 98Abb. 68 . Königreich auf 100 qm TU Darmstadt 98Abb. 69 . Faltblatt für die Kampagne 100 qm TU Darmstadt 99Abb. 70 . Büro im Bauwagen Anja Schilder 100Abb. 71 . Standort des Bauwagens Büro Topos 101

4.3 Öffentlichkeitsarbeit

Abb. 72 . Personen, die Nutzungswünsche geäußert haben Stadt Dietzenbach 104Abb. 73 . Äußerung von Wünschen- Migrationshintergrund vorhanden? Stadt Dietzenbach 104Abb. 74 . Einteilung Dietzenbachs in Wohnquartiere Stadt Dietzenbach 105Abb. 75 . Anfragen nach Wohnquartieren Stadt Dietzenbach 106Abb. 76 . Nachgefragte Nutzungen Stadt Dietzenbach 107

4.4. Umsetzungen und Umsetzungspläne der Kampagne "100qm"

Abb. 77 . Brachfläche TU Darmstadt 110Abb. 78 . Vortrag in der Stadtverordnetenversammlung

Aus dem Film: Dietzenbach sucht seine Mitte Wolf Lindner 111Abb. 79 . Hühnerhof Stadt Dietzenbach 111Abb. 80 . Lageplan TU Darmstadt 112Abb. 81 . Gestaltungsvorschlag für Grabeland Parzellen TU Darmstadt 112Abb. 82 . Stelenentnahme Stadt Dietzenbach 113

182

Page 265: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Abb. 83 . Abstecken der Grabelandparzellen Stadt Dietzenbach 113Abb. 84 . Abstecken der Grabelandparzellen Stadt Dietzenbach 113Abb. 85 . Eingereichte Darstellung der Kräuterspirale private Zeichnung 114Abb. 86 . Kinderzeichnung Indianerspielplatz private Zeichnung 114Abb. 87 . Stelenentnahme für Indianertippi Stadt Dietzenbach 115Abb. 88 . Stelen zur Markierung der Fläche Stadt Dietzenbach 115Abb. 89 . Projektskizze für die Anlage von Gärten TU Darmstadt 116

4.5. Die sozialwissenschaftliche Projektbegleitung

Tab. 9 . Nennungen von Begriffen der Kategorie Stadtentwicklung J. W. G.-Universität 120Tab. 10 . Stadtentwicklung als Nennung im Zeitverlauf J. W. G.-Universität 120Tab. 11 . Nennungen der Kategorie Gedanken, Diskurse J. W. G.-Universität 120Tab. 12 . Nennungen der Kategorie Eigeninitiative J. W. G.-Universität 120Tab. 13 . Nennungen der Kategorie Boden J. W. G.-Universität 121Tab. 14 . Boden als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 121Tab. 15 . Nennungen der Kategorie Gartennutzung J. W. G.-Universität 121Tab. 16 . Garten/Grabeland als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 122Tab. 17 . Kunst als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 122Abb. 90 . Presseartikel Dreieichspiegel 123Abb. 91 . Pressebild FAZ 124Abb. 92 . Presseartikel Dreieichspiegel 124Abb. 93 . Presseartikel Frankf. Rundschau 124Tab. 18 . Geldverschwendung als Nennung im Projektzeitraum J. W. G.-Universität 125Tab. 19 . Nennungen der Kategorie Stele J. W. G.-Universität 125Tab. 20 . Stele als Nennung über Projektverlauf J. W. G.-Universität 125

4.5.2. Facetten der Differenz und des Reichtums - die Befragung der Stadtbevölkerung

Tab. 21 . Prozentualer Anteil Befragte und Stadtbevölkerung J. W. G.-Universität 127Tab. 22 . Wohndauer in Jahren in Prozent J. W. G.-Universität 127Tab. 23 . Wohndauer in Jahren in Prozent innerhalb der Quartierstypen J. W. G.-Universität 127Tab. 24 . Gebürtig in Dietzenbach in Prozent nach Quartierstypen J. W. G.-Universität 127Tab. 25 . Nationalität der Befragten nach Quartierstypen J. W. G.-Universität 128Tab. 26 . Schulabschlüsse nach Quartierstypen J. W. G.-Universität 128Tab. 27 . Beziehungsparameter ausgewählter Dietzenbacher Quartiere J. W. G.-Universität 129Tab. 28 . Häufig besuchte Orte nach Stadtteilen J. W. G.-Universität 129Tab. 29 . Persönliche Zufriedenheit in Dietzenbach nach Quartieren J. W. G.-Universität 130Tab. 30 . Persönliche Zukunft in Dietzenbach nach Quartieren J. W. G.-Universität 130Tab. 31 . In Dietzenbach fehlt... nach Quartieren J. W. G.-Universität 131Tab. 32 . Positiv an Dietzenbach nach Quartieren J. W. G.-Universität 131Tab. 33 . Kenntnis von Bestandteilen aus dem Projekt 2030 J. W. G.-Universität 133Tab. 34 . Kenntnis des Projekts J. W. G.-Universität 133

183

Page 266: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

4.5.3 Befragung der Projektteilnehmerinnen und ProjektteilnehmerAbb. 94 . Nutzungsvorstellungen J. W. G.-Universität 135Abb. 95 . Nutzungswünsche J. W. G.-Universität 136Abb. 96 . Geburtsjahr J. W. G.-Universität 136Abb. 97 . Geburtsland J. W. G.-Universität 137Tab. 35 . Kinder J. W. G.-Universität 137Tab. 36 . Wohnort nach Stadtteil J. W. G.-Universität 137Tab. 37 . Wohndauer J. W. G.-Universität 138Tab. 38 . Arbeitsort J. W. G.-Universität 138Tab. 39 . Bildungsstand J. W. G.-Universität 138Abb. 98 . Erwerbstatus J. W. G.-Universität 139Tab. 40 . Erwerbsstatus J. W. G.-Universität 139Tab. 41 . Häufig besuchte Orte J. W. G.-Universität 140Abb. 99 . B ild von Dietzenbach J. W. G.-Universität 141Tab. 42 . Positiv an Dietzenbach J. W. G.-Universität 141Abb. 100 . Besonders gut gefällt in Dietzenbach J. W. G.-Universität 142Abb. 101 . Was fehlt in Dietzenbach J. W. G.-Universität 142Abb. 102 . Einschätzung in zehn Jahren J. W. G.-Universität 143Tab. 43 . In Dietzenbach fehlt... J. W. G.-Universität 143

5. Reflektion

Titelbild Büro Topos 151

5.1 Projektergebnisse aus Sicht der Stadt DietzenbachAbb. 103 . Übersichtsplan: Umgesetzte Projekte Büro Topos 152Abb. 104 . Hühnergehege Büro Topos 153Abb. 105 . Individuelle Gestaltung von Stelen durch Schüler Stadt Dietzenbach 153Abb. 106 . Erste Stelen für den geplanten Abenteuerspielplatz Stadt Dietzenbach 154Abb. 107 . Claimabsteckung Waldstrasse Büro Topos 154Abb. 108 . Übersicht über die Bebauungspläne 46 und 79 Stadt Dietzenbach 157

5.2 Reflexionen aus Sicht des Büros ToposAbb. 109 . Stelenwünsche Anja Schilder 158Abb. 110 . Stelenbeschriftung Anja Schilder 159Abb. 111 . Windräder, Bildcollage Büro Topos Stadt Dietzenbach 161Abb. 112 . Hühnerstall: Kreativer Umgang mit Stelen und Brache Stadt Dietzenbach 162

5.4 Reflexionen aus sozialwissenschaftlicher PerspektiveTab. 44 . Anforderungen an eine offene, lernende, und

bürgerschaftliche Kommune J. W. G.-Universität 177

184

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185

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187

Page 270: Dietzenbach2030 - definitiv unvollendet; Abschlussbericht

Projektgruppe und Verfasser

Stadtverwaltung DietzenbachFachbereich Stadtplanung und BauenAbteilung Stadtplanung Lic. rer. reg Angela BernhardtDipl.-Ing. Burkhard Huhn (bis 2002)Dipl.-Ing. Claas Bigos (ab 2002)Dipl.-Ing. Stefanie RohbeckOffenbacher Str. 1163128 Dietzenbachunter Mitarbeit von:Daniel GrebeKathrin Rappenecker

Topos, DarmstadtBüro für Architektur und StadtgestaltungDipl.-Ing. Barbara BoczekDipl.-Ing. Vasili SaridisTaunusstr. 5264289 Darmstadtunter Mitarbeit von: Dipl.-Ing. Melanie Klaus

Dokumentation

FotosAnja SchilderFotografin Frauenlobstr. 4055118 Mainzweiter Fotos: Projektteam

Satz und LayoutBüro ToposTaunusstr. 5264289 Darmstadtboczek_topos@ web.de

LektoratPetra Günther, M. A.

Johann Wolfgang Goethe-Universität FrankfurtFachbereich GesellschaftswissenschaftenInstitute für Gesellschafts- und PolitikanalyseArbeitsbereich Stadt- und RegionalforschungProf. Dr. Marianne RodensteinDipl.-Soz. Stefan Böhm-OttPetra Günther, M. A.Robert-Mayer-Str. 560054 Frankfurt/Main

Technische Universität DarmstadtFachbereich Architektur, Fachgruppe StadtEl Lissitzky Str. 1Prof. Stefan Goerner64285 Darmstadtseit 01 .09 .02 vertreten durch:Büro mwas, Frankfurt Dipl.-Ing. Martin WilhelmDipl.-Ing. Claudia BeckerBrönnerstr. 2260313 Frankfurtunter Mitarbeit von: Britta Eiermann, Julia Goldschmidt, Christian Hertweck

DruckLichtpause EinsColoReproBessunger Str. 1064285 Darmstadt

Auflage80 Exemplare

IMPRESSUM

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