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Fakultät Mathematik Institut für Numerische Mathematik DIFFERENTIALGLEICHUNGEN UND DIFFERENTIALRECHNUNG FÜR FUNKTIONEN MEHRERER VARIABLER 9. Gewöhnliche Differentialgleichungen Prof. Dr. Gunar Matthies Sommersemester 2018

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Fakultät Mathematik Institut für Numerische Mathematik

DIFFERENTIALGLEICHUNGENUND DIFFERENTIALRECHNUNGFÜR FUNKTIONEN MEHRERERVARIABLER9. Gewöhnliche Differentialgleichungen

Prof. Dr. Gunar Matthies

Sommersemester 2018

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Differentialgleichungen

bisher:• Gleichungen für Zahlen• Beispiel: Finde eine Zahl x ∈ R mit

ax2 + bx + c = 0• algebraische Gleichung

jetzt:• Gleichungen für Funktionen und deren Ableitung(en)• Beispiel: Finde eine Funktion y : Rm → Rn mit der Eigen-

schaft . . .• Differentialgleichung

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 2/156

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Beispiel: Radioaktiver Zerfall

Depot mit radioaktiver Substanz• Gesamtmenge zum aktuellen Zeitpunkt t0 bekannt• Radioaktive Substanzen zerfallen:

Die Gesamtmenge nimmt ab.• Wie groß ist die Menge zu einem beliebigen Zeitpunkt t > t0?

Gesucht:• Funktion m : R→ R+, so dass m(t) die Menge an radioak-

tiver Substanz zum Zeitpunkt t angibt.

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Differentialgleichung: Radioaktiver Zerfall

Modellannahme:• sei h > 0 eine Zeitspanne• von der Substanz zerfällt im Zeitintervall [t, t + h] ein fester

Bruchteil, der proportional zur Zeitspanne h ist• somit

m(t + h) ≈ m(t)− αh ·m(t),wobei α ∈ R eine positive Konstante ist

Differentialgleichung• Umstellen und Division durch h

m(t + h)−m(t)

h= −αm(t)

• Grenzübergang h→ 0m′(t) = −αm(t)

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Beispiel: Federschwinger

an einer Spiralfeder aufgehängtes Massestück• schwingt auf und ab• seitliche Schwingung wird ignoriert• Position und Geschwindigkeit zum aktuellen

Zeitpunkt t0 bekannt• Wie sind Position und Geschwindigkeit zum

Zeitpunkt t > t0?

Gesucht:• Funktion s : R → R derart, dass s(t) die vertikale Auslen-

kung des Massestücks zum Zeitpunkt t angibt.• Geschwindigkeit v(t) = s ′(t).

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Differentialgleichung: Federschwinger I

Modellannahme: masselose Feder

wirkende Kräfte• Gewichtskraft: proportional zur Masse m

FG = mg

• Federkraft: proportional zur AuslenkungFF = −ks

• Trägheitskraft: hängt von Massem und Beschleunigung s ′′ ab

FT =12ms ′′

• Luftreibung: proportional zur Geschwindigkeit s ′

FR = rs ′

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Differentialgleichung: Federschwinger II

Kräftegleichgewicht• Alle anliegenden Kräfte summieren sich zu 0:

FG + FF + FT + FR = 0

Differentialgleichung• Finde s : R→ R, so dass

mg − ks(t) +12ms ′′(t) + rs ′(t) = 0

für alle t ∈ R.

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Differentialgleichungen

Definition

Eine Differentialgleichung ist eine Gleichung zur Bestimmung ei-ner Funktion von einer oder mehreren Variablen, wobei in derGleichung auch Ableitungen der zu bestimmenden Funktion auf-treten.

Definition

Falls die gesuchte Funktion der Differentialgleichung nur von einerVariablen abhängt, so wird die Gleichung als gewöhnliche Differen-tialgleichung bezeichnet. Ist die gesuchte Funktion eine Funktionmehrerer Variablen, so sprechen wir von einer partiellen Differen-tialgleichung.

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Beispiele

gewöhnliche Differentialgleichung:

Gesucht ist y : R→ R mity ′(t) = −αy(t),

wobei α ∈ R eine gegebene Konstante ist.

partielle Differentialgleichung (Poisson-Gleichung)

Gesucht ist u : R3 → R mit∂2u

∂x2+∂2u

∂y2+∂2u

∂z2= f (x , y , z),

wobei f : R3 → R eine gegebene Funktion ist.

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Implizite Differentialgleichungen

Definition

Seien n ∈ N, D ⊂ Rn+2 und F : D → R. Eine skalare impliziteDifferentialgleichung n-ter Ordnung hat die Gestalt

F(x , y(x), y ′(x), . . . , y (n)(x)

)= 0.

Wenn die Funktion y : I → R auf dem Intervall I ⊂ R n-malstetig differenzierbar ist und

F(x , y(x), y ′(x), . . . , y (n)(x)

)= 0

für alle x ∈ I gilt, dann heißt y Lösung der impliziten Differenti-algleichung auf dem Intervall I .

Beispiel

Die Funktion y : [0, 1] → R mit y(x) = x2 ist Lösung der impli-ziten Differentialgleichung dritter Ordnung

x4√

y ′′′(x) + y ′(x)2 − y ′(x)3y(x) + 6x5 = 0.

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Explizite Differentialgleichungen

Definition

Seien n ∈ N, D ⊂ Rn+1 und f : D → R. Eine skalare expliziteDifferentialgleichung n-ter Ordnung hat die Gestalt

y (n)(x) = f(x , y(x), y ′(x), . . . , y (n−1)(x)

).

Wenn die Funktion y : I → R auf dem Intervall I n-mal stetigdifferenzierbar ist und

y (n)(x) = f(x , y(x), y ′(x), . . . , y (n−1)(x)

)für alle x ∈ I gilt, dann heißt y Lösung der expliziten Differenti-algleichung auf dem Intervall I .

Beispiel

Die Funktion y : [0, 1] → R mit y(x) = x + 1 ist Lösung derexpliziten Differentialgleichung

y ′′(x) = y(x)− y ′(x)− x .

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Lösungskurve

Definition

Wenn y : I → R Lösung einer (impliziten oder expliziten) Diffe-rentialgleichung ist, dann wird der Graph

G :={

(x , y(x)) : x ∈ I}

von y als Lösungskurve der Differentialgleichung bezeichnet.

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Eindeutigkeit

Lösungen von Differentialgleichungen sind nicht eindeutig:

Für jede Konstante c ∈ R ist die Funktiony(x) = ceαx

eine Lösung der Differentialgleichungy ′(x) = αy(x).

Nutze Zusatzinformationen wie• Wert der gesuchten Funktion y an einer Stelle x0,

um eindeutige Lösung zu erhalten.

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Beispiel

Finde eine Funktion y : [t0,∞)→ R mit• y ′(t) = αy(t) für alle t > t0• y(t0) = y0

Für beliebiges c ∈ R lösty(t) = ceαt

die Differentialgleichung

Bestimme c mit Hilfe der Anfangsbedingung y(t0) = y0

y0 = y(t0) = ceαt0 =⇒ c = y0e−αt0

eindeutige Lösung des Anfangswertproblems:y(t) = y0e

−αt0 eαt = y0eα(t−t0)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 14/156

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Anfangswertprobleme

Definition

Eine gewöhnliche (implizite oder explizite) Differentialgleichungn-ter Ordnung zusammen mit den Anfangsbedingungen

y(x0) = y0, y′(x0) = y1, . . . , y

(n−1)(x0) = yn−1

nennen wir Anfangswertproblem (AWP) oder Anfangswertaufgabe(AWA).

Beispiel

Anfangswertproblem für eine implizite Differentialgleichung drit-ter Ordnung

y ′′′(x) + y(x)− x = 0, y(1) = 1, y ′(1) = 2, y ′′(1) = 1

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Explizite Differentialgleichungssysteme erster Ordnung

Definition

Seien n ∈ N, D ⊂ Rn+1 und f : D → Rn. Ein (explizites)System von gewöhnlichen Differentialgleichungen erster Ordnungist durch

y ′(t) = f(t, y(t)

)gegeben, wobei y(t) =

(y1(t), . . . , yn(t)

)T ist. Wenn y : I → Rn

auf dem Intervall I ⊂ R einmal stetig differenzierbar ist undy ′(t) = f

(t, y1(t), . . . , yn(t)

)für alle t ∈ I gilt, dann heißt y Lösung des expliziten Differenti-algleichungssystems erster Ordnung auf dem Intervall I .

Beispiel

System erster Ordnung mit zwei Komponenten

y ′(t) =

(y ′1(t)y ′2(t)

)=

(y1(t)y2(t)

y1(t)2 − cos(t)

)= f(t, y(t)

)G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 16/156

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Anfangswertprobleme für Systeme

Definition

Ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen erster Ordnungzusammen mit den Anfangsbedingungeny1(t0) = y01 , . . . , yn(t0) = y0n oder kurz y(t0) = y0 ∈ Rn

heißt Anfangswertproblem oder Anfangswertaufgabe für das Sys-tem gewöhnlicher Differentialgleichungen erster Ordnung.

Beispiel

Anfangswertproblem für ein System erster Ordnung mit drei Kom-ponenten:y ′1(t)

y ′2(t)y ′3(t)

=

y2(t)3y3(t)2

y1(t)2 − cos(t)y1(t)y2(t)

, y(2) =

y1(2)y2(2)y3(2)

=

345

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Umwandlung in ein System

Satz

Jede explizite gewöhnliche Differentialgleichung n-ter Ordnungy (n)(x) = f

(x , y(x), y ′(x), . . . , y (n−1)(x)

)ist in ein äquivalentes System von Differentialgleichungen ersterOrdnung überführbar. Gleiches gilt für die zugehörigen Anfangs-wertprobleme.

Führe die Funktioneny1(x) = y(x), y2(x) = y ′(x), . . . , yn(x) = y (n−1)(x)

ein. Dann gilty ′1(x)y ′2(x)...

y ′n−1(x)y ′n(x)

=

y2(x)y3(x)...

yn(x)f(x , y1(x), . . . , yn(x)

)

.

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Autonomie

Definition

Eine Differentialgleichung oder ein System von Differentialglei-chungen heißt autonom, wenn die unabhängige Variable nicht ex-plizit auftritt.

Satz

Jedes System gewöhnlicher Differentialgleichungen erster Ord-nung lässt sich äquivalent in ein autonomes System von gewöhn-lichen Differentialgleichungen erster Ordnung überführen.

neue Funktion

z(x) =

z1(x)...

zn(x)zn+1(x)

=

y1(x)...

yn(x)x

nutzenG. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 19/156

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Richtungsfeld

Geometrische Interpretation von y ′(t) = f(t, y(t)

)• f(t, y(t)

): Steigung der Funktion y(t) im Punkt

(t, y(t)

)• Visualisierung: Richtungsfeld

Lösungen von y ′(t) = f(t, y(t)

)„passen“ in Richtungsfeld

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Lösung von Anfangswertproblemen

Definition

Gegeben sei das Anfangswertproblemy ′(t) = f

(t, y(t)

), y(t0) = y0

mit f : D → Rn und D ⊂ Rn+1. Weiterhin seien I ⊂ R ein abge-schlossenes Intervall positiver Länge mit t0 ∈ I und (t0, y0) ∈ D.Eine Funktion y : I → Rn heißt Lösung des Anfangswertproblems,wenn die Bedingungen1. graph(y) :=

{(t, y(t)

): t ∈ I

}⊂ D,

2. y ′(t) = f(t, y(t)

)für alle t ∈ I ,

3. y(t0) = y0,erfüllt sind.

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Lokale Lösbarkeit

Anhand des Richtungsfeldes kann man sich klar machen, dassLösungen nicht für alle t existieren müssen.

Alle Lösungskurven im Richtungsfeld f (t, y) =1tder Differenti-

algleichung y ′(t) = f(t, y(t)

)=

1tenden bei t = 0.

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Satz von Peano

Satz

Gegeben sei das Anfangswertproblemy ′(t) = f

(t, y(t)

), y(t0) = y0.

Die Funktion f sei auf dem (n + 1)-dimensionalen ZylinderZ :=

{(t, y) ∈ R× Rn : |t − t0| < α, |y − y0| < β

}stetig. Dann existiert mindestens eine Lösung y des Anfangswert-problems auf dem Intervall [t0 − T , t0 + T ], wobei T > 0 dieBedingung

T < min

(α,

β

M

), M := sup

(t,y)∈Z|f (t, y)|

erfüllt.

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Fortsetzungssatz

Satz

Sei die Funktion f auf D ⊂ R×Rn stetig. Zudem sei (t0, y0) ∈ D.Die lokale Lösung y auf dem Intervall [t0 − T , t0 + T ] lässt sichsolange nach links und rechts auf ein maximales ExistenzintervallImax = (t0−T∗, t0 +T ∗) stetig differenzierbar fortsetzen, wie derGraph von y nicht an den Rand von D stößt.

Folgerung

Eine Lösung kann nicht im Inneren von D enden.

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Beschränkte Lösung

f (t, y) = sin(t) cos(y)

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Unbeschränkte Lösung

f (t, y) = y2

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Rand des Definitionsbereichs

f (t, y) = − 1√y

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Zur Eindeutigkeit der Lösung von Anfangswertproblemen I

autonomes Anfangswertproblemy ′(x) =

√|y(x)|, y(0) = 0

Lösung 1:y1(x) = 0 für alle x ∈ R

Lösung 2:

y2(x) =

0, x < 0,x2

4, x ≥ 0,

Lösung 3:

y3(x) =

−(x − a)2

4, x < a,

0, a ≤ x ≤ b,

(x − b)2

4, x > b,

mit a < 0 < b beliebig

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Zur Eindeutigkeit der Lösung von Anfangswertproblemen II

Anfangswertprobleme mit mehreren Lösungen sind unerwünscht.

• Welche der Lösungen ist die physikalisch richtige?

Woran erkennt man, dass ein Anfangswertproblem nur eine einzigeLösung hat?• Stetigkeit von f ist zu wenig.• Stetige Differenzierbarkeit von f ist zu viel.• Kompromiss?

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Lipschitz-Stetigkeit I

Definition

Sei D ⊂ Rn. Eine Funktion h : D → Rn heißt Lipschitz-stetig,falls es eine Konstante L ≥ 0 derart gibt, dass

|h(x)− h(y)| ≤ L|x − y |für alle x , y ∈ D gilt.

Vorstellung: Alle Sekanten haben beschränkte Steigung.

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Lipschitz-Stetigkeit II

Beispiel

Die Funktion h : R→ R mit h(x) = x2 ist nicht Lipschitz-stetig:

Wähle y = 0 und x →∞.

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Lokale Lipschitz-Stetigkeit I

Definition

Sei D ⊂ Rn. Eine Funktion h : D → Rn heißt lokal Lipschitz-stetig, wenn für jedes x ∈ D eine Umgebung existiert, in der hLipschitz-stetig ist.

Vorstellung: Alle Sekanten haben beschränkte Steigung, falls xund y nicht zu weit auseinander liegen.

Bemerkung

Stetig differenzierbare Funktionen sind stets lokal Lipschitz-stetig.Die Umkehrung gilt nicht.

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Lokale Lipschitz-Stetigkeit II

Beispiel

Die Funktion

h : R→ R, h(x) =

{3√x , x ≥ 0,− 3√−x , x < 0,

ist nicht lokal Lipschitz-stetig:

Für x 6= 0 gilt: h′(x) =1

3 3√x2

. Somit: h′(x)→∞ für x → 0.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 33/156

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Eindeutigkeit von Lösungen I

Definition

Seien I ⊂ R ein offenes Intervall und U ⊂ Rn eine offene Men-ge. Die Funktion f : I × U → Rn erfüllt eine lokale Lipschitz-Bedingung bezüglich des zweiten Arguments, wenn es zu jedemy0 ∈ U eine offene Menge V ⊂ U mit y0 ∈ V und eine ZahlL > 0 derart gibt, dass

|f (x , y)− f (x , z)| ≤ L|y − z |für alle x ∈ I und alle y , z ∈ V gilt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 34/156

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Eindeutigkeit von Lösungen II

Satz (Picard-Lindelöf)

Sei die rechte Seite f des Anfangswertproblemsy ′(t) = f

(t, y(t)

), y(t0) = y0

stetig und bezüglich des zweiten Arguments lokal Lipschitz-stetig.Dann hat das Anfangswertproblem eine eindeutige Lösung.

Satz

Sei die rechte Seite f des Anfangswertproblemsy ′ = f (t, y), y(t0) = y0

stetig und bezüglich y stetig differenzierbar. Dann hat das An-fangswertproblem eine eindeutige Lösung.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 35/156

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Lösen von Differentialgleichungen

Lösen von Differentialgleichungen verwandt mit Bestimmung vonIntegralen:

• für bestimmte Klassen von Differentialgleichungen gibt esLösungsverfahren

• allgemeine Lösungstechniken gibt es nicht

• Approximation der Lösung durch numerische Verfahren

Zunächst betrachten wir Lösungsverfahren für skalare gewöhnli-che Differentialgleichungen.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 36/156

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Differentialgleichung mit trennbaren Variablen

Definition

Eine Differentialgleichung der Form

y ′(x) =g(x)

h(y(x)

)heißt Differentialgleichung mit trennbaren Variablen.

Beispiel

Die Differentialgleichungy ′ = sin(x) cos(y)

ist eine Differentialgleichung mit trennbaren Variablen:

g(x) = sin(x) und h(y) =1

cos(y).

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 37/156

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Trennung der Variablen I

gegeben: Differentialgleichung mit trennbaren Variablen

y ′(x) =g(x)

h(y(x)

)Wenn g und h stetig sind und h keine Nullstellen hat, dann sichertder Satz von Peano die Existenz einer Lösung.

Schritt 1: Multipliziere mit h(y(x)

):

h(y(x)

)y ′(x) = g(x)

Schritt 2: Integriere auf beiden Seiten:∫h(y(x)

)y ′(x) dx =

∫g(x) dx

Substitutionsregel: η := y(x)∫h(η) dη =

∫g(x) dx

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 38/156

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Trennung der Variablen II

Substitutionsregel: η := y(x)∫h(η) dη =

∫g(x) dx

Seien G und H Stammfunktionen von g bzw. h. Dann folgtH(η) = G (x) + C

Rücksubstitution:

H(y(x)

)= G (x) + C

bei Anfangswertproblemen: C durch Anfangsbedingung fixieren

Schritt 3: Löse, falls möglich, nach y(x) auf

Formal:y(x) = H−1(G (x) + C )

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 39/156

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Lineare Substitution

Gegeben: Differentialgleichungy ′(x) = f

(ax + by(x) + c

)mit Konstanten a, b, c ∈ R

Lösungsweg• Substitution

u(x) = ax + by(x) + c

• Differenzierenu′(x) = a + bf

(u(x)

)• Trennung der Veränderlichen möglich• Rücksubstitution• Konstante durch Anfangsbedingung fixieren

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 40/156

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Ähnlichkeitsdifferentialgleichung

Definition

Sei ϕ stetig. Dann wird

y ′(x) = ϕ

(y(x)

x

)als Ähnlichkeitsdifferentialgleichung bezeichnet.

Lösungsweg• definiere v(x) := y(x)

x• Produktregel auf y(x) = v(x)x anwenden:

y ′(x) = v ′(x)x + v(x)

• für v ergibt sich die Differentialgleichung

v ′(x) =ϕ(v(x)

)− v(x)

x,

die sich mittels Trennung der Veränderlichen lösen lässt• Rücksubstitution liefert Lösung des Ausgangsproblems• Anfangsbedingung zur Fixierung der Konstante nutzen

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 41/156

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Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung

Definition

Eine Differentialgleichung der Forma(x)y ′(x) + b(x)y(x) = f (x)

wird lineare Differentialgleichung erster Ordnung genannt. Wennf ≡ 0 ist, dann sprechen wir von einer homogenen Differential-gleichung. Andernfalls nennen wir die Differentialgleichung inho-mogen.

Bemerkung

Der Begriff „linear“ bezieht sich auf die Linearität der Gleichungin y und y ′. Die Funktionen a, b und f dürfen nichtlinear von xabhängen.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 42/156

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Beispiele

Die Gleichungx2y ′(x) + y(x) ln(x) =

√x

ist eine lineare Differentialgleichung erster Ordnung, obwohl dieKoeffizienten

a(x) = x2, b(x) = ln(x), f (x) =√x

nichtlinear sind.

Die Gleichungy ′(x) = 3

√y(x)

ist keine lineare Differentialgleichung, da der Ausdruck√y(x)

keine lineare Funktion in y ist.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 43/156

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Lösbarkeit von linearen Differentialgleichungen

Allgemeine Form:a(x)y ′(x) + b(x)y(x) = f (x)

Annahmen:• a, b, f sind stetig• a(x) 6= 0 für alle x

Äquivalente Form:

y ′(x) =f (x)

a(x)− b(x)

a(x)y(x)

rechte Seite stetig und Lipschitz-stetig bezüglich y

Satz von Picard-Lindelöf ⇒ eindeutig lösbar

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 44/156

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Linearität

Sind y1 und y2 Lösungen der homogenen Differentialgleichung,dann ist auch die Linearkombination αy1 +βy2 mit α, β ∈ R eineLösung der homogenen Differentialgleichung.

Folgerung

Seien yh eine nichttriviale Lösung der homogenen Differentialglei-chung (ay ′h + byh = 0, yh 6≡ 0) und yp eine beliebige (partikuläre)Lösung der inhomogenen Differentialgleichung (ay ′p + byp = f ).Dann ist die allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialglei-chung durch

y = αyh + yp, α ∈ R,gegeben.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 45/156

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Lösungsverfahren I

Bestimme eine nichttriviale Lösung yh der zugehörigen homoge-nen Differentialgleichung

a(x)y ′h(x) + b(x)yh(x) = 0,was mittels Trennung der Veränderlichen auf

yh(x) = exp

(−∫

b(x)

a(x)dx

)führt, wobei nur eine Stammfunktion zu bestimmen ist.

Alle Lösungen der homogenen Differentialgleichung ergeben sichgemäß

yallgh (x) = αyh(x), α ∈ R,d. h., sie sind Vielfache der ermittelten Funktion yh.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 46/156

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Lösungsverfahren II

Bestimmung einer partikulären Lösung der inhomogenen Differen-tialgleichung durch Variation der Konstanten

Ansatzyp(x) = C (x)yh(x), y ′p(x) = C ′(x)yh(x) + C (x)y ′h(x)

in inhomogene Differentialgleichung einsetzen:f (x) = a(x)

(C ′(x)yh(x) + C (x)y ′h(x)

)+ b(x)C (x)yh(x)

= C (x)(a(x)y ′h(x) + b(x)yh(x)

)+ C ′(x)a(x)yh(x)

= C ′(x)a(x)yh(x)

Integration liefert

C (x) =

∫f (x)

a(x)yh(x)dx ,

wobei nur eine Stammfunktion zu ermitteln ist. Wir erhalten

yp(x) = yh(x)

∫f (x)

a(x)yh(x)dx .

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 47/156

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Lösungsverfahren III

allgemeine Lösung:y(x) = yallgh (x) + yp(x) =

(α + C (x)

)yh(x)

mit α ∈ R

Probe!!

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 48/156

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Gleichungen vom Typ F (x, y ′, y ′′) = 0

Gegeben: Differentialgleichung der FormF(x , y ′(x), y ′′(x)

)= 0

Eigenschaften• Differentialgleichung zweiter Ordnung• Funktion y selbst kommt nicht vor

Lösungsweg:• Mittels der Substitution v := y ′ entsteht mit

F(x , v(x), v ′(x)

)= 0

eine Differentialgleichung erster Ordnung!• bestimme allgemeine Lösung v mit Integrationskonstante C

• allgemeine Lösung y der Ausgangsgleichung ergibt sich durchIntegration von v nach x , wodurch eine weitere Integrations-konstante C1 hinzukommt• Integrationskonstanten durch Anfangsbedingungen fixieren

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 49/156

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Gleichungen vom Typ F (y , y ′, y ′′) = 0

Unabhängige Variable x tritt nicht explizit auf:F(y(x), y ′(x), y ′′(x)

)= 0

Lösungsweg:• betrachte y ′ als Funktion von y : y ′(x) := v

(y(x)

)• Kettenregel

y ′′(x) =d

dxv(y(x)

)= v ′(y)y ′(x) = v ′(y)v(y)

• es entsteht Differentialgleichung erster Ordnung für v(y)

F(y , v(y), v ′(y)v(y)

)= 0

• nach Bestimmung von v ist dann die Differentialgleichungy ′(x) = v

(y(x)

)zur Bestimmung von y zu lösen• Die Integrationskonstanten in v und y werden durch die bei-

den Anfangsbedingungen bestimmt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 50/156

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Bernoulli-Differentialgleichung

Definition

Eine Differentialgleichung der Form

a(x)y ′(x) + b(x)y(x) = f (x)(y(x)

)k, k 6= 0, 1,

mit gegebenen stetigen Funktionen a, b, f und einer reellen Kon-stanten k ∈ R heißt Bernoulli-Differentialgleichung.

k = 0: rechte Seite wird zu f (x)→ inhomogene lineare Differentialgleichung

a(x)y ′(x) + b(x)y(x) = f (x)

k = 1: rechte Seite wird zu f (x)y(x)→ homogene lineare Differentialgleichung

a(x)y ′(x) +(b(x)− f (x)

)y(x) = 0

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 51/156

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Lösung der Bernoulli-Differentialgleichung

sei k 6= 0 und k 6= 1

Substitutionz(x) =

(y(x)

)1−kführt zu

z ′(x) = (1− k)(y(x)

)−ky ′(x) bzw.

11− k

z ′(x) =y(x)

yk(x)

Einsetzen in durch yk(x) dividierte Bernoulli-Differentialgleichungliefert

a(x)

1− kz ′(x) + b(x)z(x) = f (x),

inhomogene lineare Differentialgleichung erster Ordnung für z ,danach durch Rücksubstitution die Lösung y ermitteln

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 52/156

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Riccati-Differentialgleichung

Definition

Seien a, b und f stetige Funktionen. Dann wird eine Differential-gleichung der Form

y ′(x) = a(x)y(x) + b(x)y2(x) + f (x)

Riccati-Differentialgleichung genannt.

Bemerkung

Im Fall f ≡ 0 ergibt sich eine Bernoulli-Gleichung mit k = 2.Für Riccati-Differentialgleichungen mit f 6≡ 0 ist kein allgemeinesLösungsverfahren bekannt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 53/156

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Lösung von Riccati-Differentialgleichungen

Sei yp eine Lösung der Riccati-Differentialgleichung, d. h.,y ′p(x) = a(x)yp(x) + b(x)y2p (x) + f (x).

Ansatz:

v(x) :=1

y(x)− yp(x)bzw. y(x) = yp(x) +

1v(x)

Einsetzen, Zusammenfassen und Ausnutzen von „yp ist Lösung“:0 = −y ′(x) + a(x)y(x) + b(x)y2(x) + f (x)

=v ′(x)

v2(x)+

a(x)

v(x)+ 2b(x)

yp(x)

v(x)+

b(x)

v2(x).

Multiplikation mit v2(x):v ′(x) +

(a(x) + 2b(x)yp(x)

)v(x) + b(x) = 0

(lineare Differentialgleichung erster Ordnung für v)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 54/156

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Exakte Differentialgleichung

Definition

Eine Differentialgleichung der FormP(x , y(x)

)+ Q

(x , y(x)

)y ′(x) = 0

heißt exakte Differentialgleichung, wenn es eine Funktion F mit∂F

∂x(x , y) = P(x , y),

∂F

∂y(x , y) = Q(x , y)

gibt.

Dies ist immer dann der Fall, wenn∂P

∂y(x , y) =

∂Q

∂x(x , y)

erfüllt ist (Integrabilitätsbedingung).

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 55/156

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Lösung von exakten Differentialgleichungen

Lösungen ergeben sich durch Auflösen vonF(x , y(x)

)= C

nach y(x), wobei C eine beliebige reelle Konstante ist.

Begründung: Differenzieren liefert

0 =d

dxC

=d

dxF(x , y(x)

)=∂F

∂x

(x , y(x)

)+∂F

∂y

(x , y(x)

)y ′(x)

= P(x , y(x)

)+ Q

(x , y(x)

)y ′(x)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 56/156

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Integrierender Faktor

Definition

Wenn für die DifferentialgleichungP(x , y(x)

)+ Q

(x , y(x)

)y ′(x) = 0

eine nichttriviale Funktion µ, d. h. µ 6≡ 0, derart existiert, dassµ(x , y(x)

)P(x , y(x)

)+ µ

(x , y(x)

)Q(x , y(x)

)y ′(x) = 0

eine exakte Differentialgleichung ist, dann wird µ als integrieren-der Faktor oder Eulerscher Multiplikator bezeichnet.

Ansätze• µ = µ(x)

• µ = µ(y)

• µ = µ(x + y)

• µ = µ(xy)

probierenG. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 57/156

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Lineare Differentialgleichungssysteme

Definition

Sei I ⊂ R ein nichtleeres Intervall. Weiterhin seien aij : I → R,i , j = 1, . . . , n, und bi : I → R, i = 1, . . . , n, stetige Funktionen.Dann ist

y ′i (x) =n∑

j=1

aij(x)yj(x) + bi (x), i = 1, . . . , n,

ein lineares Differentialgleichungssystem erster Ordnung.

Definition

Sind alle bi , i = 1, . . . , n, auf I identisch 0, dann heißt das lineareDifferentialgleichungssystem homogen, sonst wird es inhomogengenannt.

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Darstellung und Lösbarkeit

Ein lineares Differentialgleichungssystem erster Ordnung lässt sichin der Form

y ′(x) = A(x)y(x) + b(x)mit den stetigen Funktionen A : I → Rn×n, b : I → Rn undy : I → Rn gemäß

A(x)=

a11(x) . . . a1n(x)...

. . ....

an1(x) . . . ann(x)

, b(x)=

b1(x)...

bn(x)

, y(x)=

y1(x)...

yn(x)

schreiben.

Satz

Jedes Anfangswertproblem eines linearen Differentialgleichungs-systems erster Ordnung mit dem Anfangswert y(x0) = y0 ∈ Rn,x0 ∈ I , ist auf dem Intervall I eindeutig lösbar.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 59/156

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Superpositionsprinzip

Satz

Seien y : I → Rn und z : I → Rn. Dann gelten für lineareDifferentialgleichungssysteme erster Ordnung die Aussagen:1. Sind y und z zwei Lösungen des homogenen Differentialglei-

chungssystems, dann ist auch die Linearkombination αy+βzmit α, β ∈ R eine Lösung des homogenen Differentialglei-chungssystems.

2. Ist y eine Lösung des homogenen Differentialgleichungssys-tems und z eine Lösung des inhomogenen Differentialglei-chungssystems, so ist αy + z mit α ∈ R auch eine Lösungdes inhomogenen Differentialgleichungssystems.

3. Sind y und z zwei Lösungen des inhomogenen Differential-gleichungssystems, so ist y − z eine Lösung des homogenenDifferentialgleichungssystems.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 60/156

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Struktur der Lösungsmenge

Bemerkung

Sind y1, . . . , yk mit yi : I → Rn, i = 1, . . . , k , Lösungen deshomogenen Differentialgleichungssystems, so ist jede Linearkom-bination

y = α1y1 + · · ·+ αkyk , α1, . . . , αk ∈ R,auch eine Lösung des homogenen Differentialgleichungssystems.

Satz

Die Gesamtheit der Lösungen des inhomogenen Differentialglei-chungssystems ergibt sich als Summe einer speziellen Lösung desinhomogenen Differentialgleichungssystems und der Gesamtheitder Lösungen des homogenen Differentialgleichungssystems.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 61/156

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Linear unabhängige Lösungen I

Definition

Die Lösungen y1, . . . , yk mit yi : I → Rn, i = 1, . . . , k , des ho-mogenen Differentialgleichungssystems heißen linear unabhängig,wenn aus

k∑i=1

αiyi (x) = 0

für alle x ∈ I folgt, dass αi = 0, i = 1, . . . , k, gilt. Sind dieLösungen in diesem Sinn nicht linear unabhängig, dann nennenwir die Lösungen linear abhängig.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 62/156

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Linear unabhängige Lösungen II

Lemma

Seien y1, . . . , yk mit yi : I → Rn, i = 1, . . . , k , Lösungen deshomogenen Differentialgleichungssystems. Gibt es ein x∗ ∈ I undα1, . . . , αk ∈ R mit k∑

i=1

αiyi (x∗) = 0,

dann giltk∑

i=1

αiyi (x) = 0

für alle x ∈ I .

Folgerung

Die Lösungen y1, . . . , yk des homogenen Differentialgleichungs-systems sind genau dann linear (un)abhängig, wenn die Vektoreny1(x∗), . . . , yk(x∗) ∈ Rn linear (un)anhängig sind.

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Fundamentalsystem

Definition

Wir bezeichnen n linear unabhängige Lösungen des homogenenDifferentialgleichungssystems als Fundamentalsystem von Lösun-gen (des homogenen Differentialgleichungssystems).

Satz

Es gibt stets ein Fundamentalsystem von Lösungen des homo-genen Differentialgleichungssystems. Jede Lösung des homoge-nen Differentialgleichungssystems kann als Linearkombination derFunktionen des Fundamentalsystems mit konstanten Koeffizien-ten dargestellt werden.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 64/156

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Wronski-Matrix und Wronski-Determinante

Definition

Seien y1, . . . , yn mit yi : I → Rn, i = 1, . . . , n, Lösungen deshomogenen Differentialgleichungssystems. Dann definieren wirdurch

Y (x) :=(y1(x) · · · yn(x)

)=

y1,1(x) · · · yn,1(x)...

. . ....

y1,n(x) · · · yn,n(x)

die Wronski-Matrix Y : I → Rn×n und durch

W (x) = detY (x)

die Wronski-Determinante W : I → R.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 65/156

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Wronski-Determinante und lineare Unabhängigkeit

Satz

Sind y1, . . . , yn mit yi : I → Rn, i = 1, . . . , n, Lösungen deshomogenen Differentialgleichungssystems, dann tritt genau einerder beiden folgenden Fälle auf:

1. W (x) 6= 0 für alle x ∈ I undy1, . . . , yn sind linear unabhängig;

2. W (x) = 0 für alle x ∈ I undy1, . . . , yn sind linear abhängig.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 66/156

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Vorgehen zur Lösung

Die Lösung eines linearen Differentialgleichungssystems erfolgt inden folgenden Schritten:1. Bestimmung eines Fundamentalsystems von Lösungen des

homogenen Problems2. Ermittlung der allgemeinen Lösung des homogenen Problems3. Bestimmung einer partikulären Lösung des inhomogenen Sys-

tems4. Darstellung der allgemeinen Lösung des inhomogenen Sys-

tems als Summe der allgemeinen Lösung des homogenenProblems und einer partikulären Lösung des inhomogenenSystems

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 67/156

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Allgemeine Lösung des homogenen Problems

Wronski-Matrix des Fundamentalsystems y1, . . . , ynY (x) =

(y1(x) · · · yn(x)

)mit yi : I → Rn, i = 1, . . . , n

Dann gilt:Y ′(x) =

(y ′1(x) · · · y ′n(x)

)=(A(x)y1(x) · · · A(x)yn(x)

)= A(x)Y (x).

allgemeine Lösung des homogenen Problems:

yh(x) =n∑

i=1

ci yi (x) = Y (x) c , c ∈ Rn

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 68/156

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Variation der Konstanten

Ansatz für eine partikuläre Lösung des inhomogenen Systems:

yp(x) =n∑

i=1

ci (x)yi (x) = Y (x)

c1(x)...

cn(x)

= Y (x)c(x)

Differenzieren:y ′p(x) = Y ′(x)c(x) + Y (x)c ′(x)

= A(x)Y (x)c(x) + Y (x)c ′(x).

Einsetzen in inhomogenes Problem y ′p(x) = A(x)yp(x)+b(x) undUmstellen:

Y (x)c ′(x) = b(x)Integration:

c(x) =

∫Y (x)−1b(x) dx

Es wird komponentenweise integriert, wobei je Komponente nureine Stammfunktion zu bestimmen ist.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 69/156

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Allgemeine Lösung des inhomogenen Problems

partikuläre Lösung des inhomogenen Systems:

yp(x) = Y (x)

∫Y (x)−1b(x) dx

allgemeine Lösung des inhomogenen Systems

y(x) =n∑

i=1

ciyi (x) + yp(x)

= Y (x)

(c +

∫Y (x)−1b(x) dx

),

wobei c ∈ Rn ein beliebiger Vektor ist

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 70/156

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Lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten

Definition

Ein System der Formy ′1(x) = a11y1(x) + a12y2(x) + · · ·+ a1nyn(x) + b1(x),

y ′2(x) = a21y1(x) + a22y2(x) + · · ·+ a2nyn(x) + b2(x),

...y ′n(x) = an1y1(x) + an2y2(x) + · · ·+ annyn(x) + bn(x)

mit reellen Konstanten aij , i , j = 1, . . . , n, und stetigen Funktio-nen bi , i = 1, . . . , n, heißt lineares Differentialgleichungssystemerster Ordnung mit n Gleichungen und konstanten Koeffizien-ten. Wir nennen das Differentialgleichungssystem homogen, wennbi ≡ 0 für alle i = 1, . . . , n gilt, sonst heißt das Differentialglei-chungssystem inhomogen.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 71/156

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Matrix-Vektor-Schreibweise

Bemerkung

Mit den BezeichnungenA = (aij) ∈ Rn×n,

y(x) =(y1(x) . . . yn(x)

)T,

b(x) =(b1(x) . . . bn(x)

)Tlässt sich das System kurz als

y ′(x) = Ay(x) + b(x)schreiben.

Bemerkung

Ist ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenen Systemsbekannt, kann mittels Variation der Konstanten eine partikuläreLösung des inhomogenen Systems bestimmt werden.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 72/156

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Zugang zu Lösungen des homogenen Problems

homogenes System:y ′(x) = Ay(x)

Ansatz:y(x) = u(x)v

mit Eigenvektor v von A zum Eigenwert λ, wobei u eine zunächstbeliebige reellwertige Funktion ist

Eingesetzt:u′(x)v = y ′(x) = Ay(x) = u(x)Av = u(x)λv ,

ergibt:u′(x) = λu(x) bzw. u(x) = eλx

somit:y(x) = eλxv

löst das homogene Differentialgleichungssystem

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 73/156

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Fundamentalsystem

Satz

Hat die Matrix A n verschiedene Eigenwerte λ1, . . . , λn mit zuge-hörigen Eigenvektoren v1, . . . , vn, dann bilden die Funktionen

y1(x) := eλ1xv1, . . . , yn(x) := eλnxvn

ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenen Differen-tialgleichungssystems und jede Lösung des homogenen Systemslässt sich in der Form

c1eλ1xv1 + · · ·+ cne

λnxvn

mit c1, . . . , cn ∈ R schreiben.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 74/156

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Diagonalisierbare Matrizen

Satz

Die Matrix A habe r verschiedene Eigenwerte λ1, . . . , λr mit denalgebraischen Vielfachheiten σ1, . . . , σr . Gibt es zu den Eigenwer-ten λi jeweils σi linear unabhängige Eigenvektoren vi ,1, . . . , vi ,σi ,dann bilden die Funktionen

eλ1xv1,1, . . . , eλ1xv1,σ1 , . . . eλrxvr ,1, . . . , e

λrxvr ,σr

ein Fundamentalsystem des homogenen Systems.

Bemerkung

Hier stimmen für jeden Eigenwert jeweils algebraische Vielfachheitund geometrische Vielfachheit überein, d. h., die Matrix A istdiagonalisierbar. Dies tritt zum Beispiel dann auf, wenn die MatrixA symmetrisch ist.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 75/156

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Hauptvektoren

Definition

Seien A eine n × n-Matrix, λ ein Eigenwert von A und k ∈ N.Dann heißt ein Vektor v 6= 0 Hauptvektor von A, wenn

(A− λE )kv = 0erfüllt ist. Wir nennen v Hauptvektor k-ter Stufe, wenn

(A− λE )kv = 0 und (A− λE )k−1v 6= 0gilt, wobei wir (A− λE )0 = E vereinbaren.

Bemerkung

Im Sinne obiger Definition sind Eigenvektoren genau die Haupt-vektoren erster Stufe.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 76/156

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Hauptvektoren und Fundamentalsysteme

Satz

Die Matrix A habe r verschiedene Eigenwerte λ1, . . . , λr mit denalgebraischen Vielfachheiten σ1, . . . , σr . Zu λi seien vi ,1, . . . , vi ,σilinear unabhängige Hauptvektoren von A mit

(A− λiE )σi vi ,j = 0, j = 1, . . . , σi .Dann bilden die Funktionen

eλ1xσ1−1∑j=0

x j

j!(A− λ1E )jv1,1, . . . , e

λ1xσ1−1∑j=0

x j

j!(A− λ1E )jv1,σ1

...

eλrxσr−1∑j=0

x j

j!(A− λrE )jvr ,1, . . . , e

λrxσr−1∑j=0

x j

j!(A− λrE )jvr ,σr

ein Fundamentalsystem des homogenen Differentialgleichungssys-tems.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 77/156

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Berechnung von Hauptvektoren

Satz

Sei λ Eigenwert der n× n-Matrix A. Dann lassen sich die Haupt-vektoren v1, . . . , vq gemäß

(A− λE )v1 = 0, (Eigenvektor)(A− λE )v2 = v1, (Hauptvektor 2. Stufe)

...(A− λE )vq = vq−1, (Hauptvektor q-ter Stufe)

bestimmen.

Bemerkung

Die Berechnung der Hauptvektoren bricht spätestens dann ab,wenn q der algebraischen Vielfachheit entspricht.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 78/156

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Lösungsdarstellung

Satz

Wenn für den Eigenwert λ mit algebraischer Vielfachheit σ dieHauptvektoren v1, . . . , vσ der Stufen 1, . . . , σ existieren, dann las-sen sich die zugehörigen Funktionen des Fundamentalsystems als

eλxk−1∑j=0

x j

j!vk−j , k = 1, . . . , σ,

schreiben.

Bemerkung

Es gibt Matrizen A mit Eigenwert λ der Vielfachheit σ und zuge-hörigem Eigenvektor v derart, dass kein Hauptvektor der Stufe σexistiert. Dieser Fall soll hier aber nicht betrachtet werden.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 79/156

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Lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung

Definition

Eine Differentialgleichung der Forman(x)y (n)(x) + · · ·+ a1(x)y ′(x) + a0(x)y(x) = f (x)

mit stetigen Funktionen a0, . . . , an, an 6≡ 0, und f wird lineare Dif-ferentialgleichung n-ter Ordnung genannt. Gilt f ≡ 0, so nennenwir die Differentialgleichung homogen, sonst inhomogen.

Beispiel

inhomogene lineare Differentialgleichung dritter Ordnungx2y ′′′(x)− cos(x)y ′(x) + ln(x + 1)y(x) = esin(x)

zugehörige homogene Differentialgleichung dritter Ordnungx2y ′′′(x)− cos(x)y ′(x) + ln(x + 1)y(x) = 0

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 80/156

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Superposition

Für lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung gilt das Super-positionsprinzip:1. Jede Linearkombination von zwei Lösungen der homogenen

Differentialgleichung ist auch wieder Lösung der homogenenDifferentialgleichung.

2. Die Differenz von zwei Lösungen der inhomogenen Differen-tialgleichung löst die homogene Differentialgleichung.

3. Die Summe aus einer Lösung der inhomogenen Differential-gleichung und einem Vielfachen einer Lösung der homogenenDifferentialgleichung ist selbst Lösung der inhomogenen Dif-ferentialgleichung.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 81/156

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Umwandlung in System

Setzey1(x) = y(x), y2(x) = y ′(x), . . . , yn(x) = y (n−1)(x),

äquivalentes Systemy ′1y ′2...y ′n

=

0 1 0 . . . 00 0 1 . . . 0...

......

...−a0an−a1an−a2an

. . . −an−1an

y1y2...yn

+

00...f

an

Damit sind alle Ergebnisse von Systemen übertragbar.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 82/156

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Linear unabhängige Lösungen

Definition

Die Lösungen y1, . . . , yk mit yi : I → R, i = 1, . . . , k, einerhomogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung heißenlinear unabhängig, wenn aus

k∑i=1

αiyi (x) = 0

für alle x ∈ I folgt, dass αi = 0, i = 1, . . . , k , gilt.

Definition

Wir sagen, n linear unabhängige Lösungen der homogenen linea-ren Differentialgleichung n-ter Ordnung bilden ein Fundamental-system.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 83/156

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Wronski-Determinante

Definition

Seien y1, . . . , yn mit yi : I → R, i = 1, . . . , n, Lösungen derhomogenen linearen Differentialgleichung n-ter Ordnung. Dannheißt

W (x) = det

y1 y2 . . . yny ′1 y ′2 . . . y ′n...

.... . .

...y(n−1)1 y

(n−1)2 . . . y

(n−1)n

die Wronski-Determinante zu den Lösungen y1, . . . , yn.

Satz

Die n Funktionen y1, . . . , yn sind genau dann linear unabhängig,wenn die zugehörige Wronski-Determinante W (x) für mindestensein x ∈ I von 0 verschieden ist.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 84/156

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Reduktionsprinzip

Satz (Reduktionsprinzip)

Sei u 6≡ 0 eine nicht-verschwindende Lösung der homogenen li-nearen Differentialgleichung

an(x)y (n)(x) + an−1(x)y (n−1)(x) + · · ·+ a0(x)y(x) = 0.Dann führt der Produktansatz

y(x) = u(x) v(x)auf die homogene lineare Differentialgleichung (n−1)-ter Ordnung

bn−1(x)w (n−1)(x) + bn−2(x)w (n−2)(x) + · · ·+ b0(x)w(x) = 0für w := v ′ mit geeigneten Funktionen b0, . . . , bn−1.Bilden w1, . . . ,wn−1 ein Fundamentalsystem dieser Gleichung,dann bilden die n Funktionen

u, u v1, . . . , u vn−1ein Fundamentalsystem der Ausgangsdifferentialgleichung, wobeiv1, . . . , vn−1 Stammfunktionen von w1, . . . ,wn−1 sind.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 85/156

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Lineare Dgl. n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Gegeben: Konstanten a0, . . . , an ∈ R mit an 6= 0, Funktion fGesucht: Lösung der Differentialgleichung

any(n)(x) + an−1y

(n−1)(x) + · · ·+ a1y′(x) + a0y(x) = f (x)

Lösungsansatz für homogene Differentialgleichungy(x) = eλx

mit einer Konstanten λ ∈ R

Bestimmung der Ableitungeny ′(x) = λeλx , y ′′(x) = λ2eλx , . . . , y (k)(x) = λkeλx

Einsetzen liefert0 = anλ

neλx + an−1λn−1eλx + · · ·+ a1λe

λx + a0eλx

=(anλ

n + an−1λn−1 + · · ·+ a1λ+ a0

)eλx

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 86/156

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Charakteristisches Polynom

charakteristisches Polynomp(λ) = anλ

n + an−1λn−1 + · · ·+ a1λ+ a0

Fundamentalsatz der Algebra:Es gibt genau n (nicht notwendig verschiedene) Nullstellenλ1, . . . , λn ∈ C des Polynoms p.

Basislösungen der homogenen Differentialgleichung in Abhängig-keit der Aufteilung der Nullstellen1. λ ∈ R ist k-fache Nullstelle von p

eλx , xeλx , . . . , xk−1eλx

2. λ = α± βi ist Paar konjugierter k-facher Nullstellen von p

eαx sin(βx), xeαx sin(βx), . . . , xk−1eαx sin(βx),

eαx cos(βx), xeαx cos(βx), . . . , xk−1eαx cos(βx),

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 87/156

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Bestimmung einer partikulären Lösung I

spezielle Inhomogenität f : Ansätze für partikuläre Lösung

λ sei jeweils keine Nullstelle des charakteristischen Polynoms p:

1. f (x) = pk(x), λ = 0yp(x) = Akx

k + Ak−1xk−1 + · · ·+ A1x + A0

2. f (x) = eαxpk(x), λ = α

yp(x) = eαx(Akx

k + Ak−1xk−1 + · · ·+ A1x + A0

)pk ist ein Polynom vom Grad k.

Die Koeffizienten A0, . . . ,Ak sind so zu bestimmen, dass die Funk-tion yp eine Lösung der inhomogenen Differentialgleichung ist.

Auch wenn in pk nur einige Potenzen von x auftreten, ist immerdas vollständige Polynom im Ansatz zu verwenden.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 88/156

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Bestimmung einer partikulären Lösung II

3. f (x) = pk(x) cos(βx) + q`(x) sin(βx), λ = ±βiyp(x) = PM(x) cos(βx) + QM(x) sin(βx)

4. f (x) = eαx(pk(x) cos(βx) + q`(x) sin(βx)

), λ = α± βi

yp(x) = eαx(PM(x) cos(βx) + QM(x) sin(βx)

)pk und q` sind Polynome vom Grad k bzw. `. Sei M := max(k, `).Die Koeffizienten A0, . . . ,AM und B0, . . . ,BM der Polynome

PM(x) = AMxM + · · ·+ A0, QM(x) = BMxM + · · ·+ B0

sind zu bestimmen.

Auch wenn in pk und q` nur einige Potenzen von x auftreten, sindimmer die vollständigen Polynome mit dem maximal vorkommen-den Grad im Ansatz zu verwenden. Auch wenn in f nur Sinus-oder nur Kosinus-Ausdrücke vorkommen, müssen beide Winkel-funktionen im Ansatz berücksichtigt werden.G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 89/156

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Lösungsverfahren I

Ist das λ, das zur Inhomogenität gehört, eine m-fache Nullstelledes charakteristischen Polynoms p, so sprechen wir von Reso-nanz. In diesem Fall ist der übliche Ansatz mit xm zu multiplizie-ren.

Der jeweils gewählte Ansatz wird in die inhomogene Differential-gleichung eingesetzt. Ein Koeffizienten-Vergleich erlaubt die Be-stimmung der Koeffizienten des Ansatzes.

Ist die rechte Seite der Differentialgleichung eine Summe von Ter-men der obigen Formen, dann wird für jeden einzelnen Term einepartikuläre Lösung bestimmt. Deren Summe ist dann die partiku-läre Lösung für die gesamte rechte Seite.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 90/156

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Lösungsverfahren II

1. allgemeine Lösung yh der zugehörigen homogenen Differen-tialgleichung bestimmen

2. eine partikuläre Lösung yp der inhomogenen Differentialglei-chung ermitteln

3. allgemeine Lösung der inhomogenen Differentialgleichungy(x) = yh(x) + yp(x)

4. bei Anfangswertproblemen nun die Konstanten in der allge-meinen Lösung mittels der Anfangsbedingungen bestimmen

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 91/156

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Eulersche Differentialgleichung

Gegeben: Konstanten a0, . . . , an ∈ R mit an 6= 0, Funktion fGesucht: Lösung der Differentialgleichung

anxny (n)(x) + an−1x

n−1y (n−1)(x) + · · ·+ a1xy′(x) + a0y(x) = f (x)

Substitution: t = ln(x) bzw. x = et , neue Funktion z(t) = y(et)

Schritte:

1. Ansatz für z insgesamt n-mal nach t ableiten

2. nach xky (k)(x) umgestellt in Differentialgleichung einsetzen

3. lineare Differentialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffi-zienten für z(t) entsteht

4. Differentialgleichung lösen

5. Rücksubstitution von z und t auf y und x

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 92/156

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Bezeichnungen

Seien I := [a, b] ⊂ R ein nichtleeres Intervall undL[u] := a2(x)u′′(x) + a1(x)u′(x) + a0(x)u(x),

R1[u] := α1u(a) + α2u′(a), (α1, α2) 6= (0, 0)

R2[u] := β1u(b) + β2u′(b), (β1, β2) 6= (0, 0),

Beispiel

Seien I = [0, 1], v(x) = x2 undL[u] = sin(x)u′′(x)− exu′(x) + ln(x)u(x),

R1[u] = 2u(0)− u′(0),

R2[u] = −u(1) + 3u′(1).

Dann sindL[v ] = 2 sin(x)− 2xex + x2 ln(x), R1[v ] = 0, R2[v ] = 5.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 93/156

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Lineare Randwertprobleme zweiter Ordnung

Definition

Die Aufgabenstellung

Finde eine zweimal stetig differenzierbare skalare Funk-tion u : [a, b]→ R mit

L[u](x) = f (x)

für alle x ∈ (a, b) undR1[u] = %1, R2[u] = %2

heißt lineares Randwertproblem zweiter Ordnung. Gilt f (x) = 0für alle x ∈ (a, b), sprechen wir von einem homogenen Problem.Im Fall %1 = %2 = 0 liegen homogene Randbedingungen vor.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 94/156

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Lösbarkeit I

Bemerkung

Im Gegensatz zu linearen Anfangswertproblemen können Rand-wertprobleme auch nicht lösbar sein oder unendlich viele Lösungenbesitzen:• Das Randwertproblem

u′′(x) = 0, u′(0) = 0, u′(1) = 1auf dem Intervall [0, 1] hat keine Lösung.

• Das Randwertproblemu′′(x) = 0, u′(0) = 0, u′(1) = 0

auf dem Intervall [0, 1] hat unendlich viele Lösungen, nämlichalle konstanten Funktionen u(x) = c ∈ R.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 95/156

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Lösbarkeit II

Satz

Sei (u1, u2) ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenenProblems L[u] = 0. Dann ist das Randwertproblem genau danneindeutig lösbar, wenn

det

(R1[u1] R1[u2]

R2[u1] R2[u2]

)6= 0

gilt.

Satz

Das lineare Randwertproblem hat genau dann eine eindeutige Lö-sung, wenn das zugehörige vollhomogene Randwertproblem

L[u] = 0, R1[u] = 0, R2[u] = 0nur die triviale Lösung u ≡ 0 besitzt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 96/156

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Transformation auf homogene Randbedingungen

Satz

Ist v auf I = [a, b] zweimal stetig differenzierbar mitR1[v ] = %1, R2[v ] = %2

und löst w das homogene RandwertproblemL[w ] = f − L[v ], R1[w ] = 0, R2[w ] = 0,

dann ist u := v + w die Lösung des linearen RandwertproblemsL[u] = f , R1[u] = %1, R2[u] = %2.

Bemerkung

Da sich eine Funktion, die die Randbedingungen erfüllt, oft ein-fach finden lässt, werden wir uns nun auf homogene Randbedin-gungen konzentrieren.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 97/156

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Sturm-Liouville-Gleichung

Definition

Die Aufgabenstellung

Finde eine zweimal stetig differenzierbare skalare Funk-tion u : [a, b]→ R mit(

p(x)u′(x))′

+ q(x)u(x) = f (x)

für alle x ∈ (a, b) undR1[u] = R2[u] = 0

heißt Sturm-Liouville-Gleichung.

Bemerkung

Nach Multiplikation mit einer geeignet gewählten Funktion lässtsich jedes lineare Randwertproblem zweiter Ordnung mit homo-genen Randbedingungen als Sturm-Liouville-Gleichung schreiben.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 98/156

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Transformation des Fundamentalsystems

Satz

Sei (u1, u2) ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenenProblems L[u] = 0, wobei

det

(R1[u1] R1[u2]

R2[u1] R2[u2]

)6= 0

erfüllt sei. Dann ist auch (v1, v2) mitv1 := R1[u2]u1 − R1[u1]u2, v2 := R2[u2]u1 − R2[u1]u2

ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenen ProblemsL[u] = 0. Weiterhin sind die Bedingungen

R1[v1] = R2[v2] = 0erfüllt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 99/156

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Wronksi-Determinante

Definition

Sei (v1, v2) ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenenProblems L[u] = 0, die

R1[v1] = R2[v2] = 0erfüllen. Dann heißt

W (x) := det

(v1(x) v2(x)v ′1(x) v ′2(x)

)= v1(x)v ′2(x)− v ′1(x)v2(x)

Wronski-Determinante.

Satz

Für die Wronski-Determinante W und die Funktion p aus derSturm-Liouville-Gleichung gilt

p(x)W (x) = p(a)W (a)

für alle x ∈ [a, b], d. h., das Produkt Wp ist auf [a, b] konstant.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 100/156

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Greensche Funktion

Definition

Sei (v1, v2) ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenenProblems L[u] = 0, die

R1[v1] = R2[v2] = 0erfüllen. Dann definieren wir mittels

G (x , t) :=

v1(x)v2(t)

p(a)W (a), a ≤ x ≤ t ≤ b,

v1(t)v2(x)

p(a)W (a), a ≤ t ≤ x ≤ b,

die Greensche Funktion G : [a, b]× [a, b]→ R.

Bemerkung

Die Greensche Funktion ist stetig und auf jedem Teilgebiet zwei-mal stetig differenzierbar.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 101/156

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Eigenschaften der Greenschen Funktion

Satz

Die partielle Ableitung Gx der Greenschen Funktion hat einenSprung entlang der Geraden x = t. Dort gilt

Gx(x + 0, x) =v1(x)v ′2(x)

p(a)W (a), a ≤ x < b,

Gx(x − 0, x) =v ′1(x)v2(x)

p(a)W (a), a < x ≤ b.

Die Sprungrelation

Gx(x + 0, x)− Gx(x − 0, x) =v1(x)v ′2(x)− v ′1(x)v2(x)

p(a)W (a)

=W (x)

p(a)W (a)=

1p(x)

ist für a < x < b erfüllt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 102/156

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Lösungsformel

Satz

Sei (v1, v2) ein Fundamentalsystem von Lösungen des homogenenProblems L[u] = 0, die

R1[v1] = R2[v2] = 0erfüllen. Dann lässt sich die Lösung der Sturm-Liouville-Gleichungin der Form

u(x) =

b∫a

G (x , t)f (t) dt

angeben, wobei G die Greensche Funktion darstellt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 103/156

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Eigenwertprobleme

Erinnerung: Eigenwerte und Eigenvektoren von Matrizen

Finde zu gegebener Matrix A eine Zahl λ und einennicht-trivialen Vektor x 6= 0 mit Ax = λx .

Definition

Eine reelle Zahl λ heißt Eigenwert des linearen Randwertproblemszweiter Ordnung, wenn es eine nicht überall verschwindende, zwei-mal stetig differenzierbare Funktion u : [a, b]→ R mit

L[u](x) = λu(x), x ∈ (a, b), R1[u] = 0, R2[u] = 0gibt. Die Funktion u nennen wir Eigenfunktion zum Eigenwert λ.

Bemerkung

Die Funktion u : [a, b]→ R mit u(x) = 0 für alle x ∈ [a, b] wärefür jedes λ stets Lösung des obigen Problems. Deshalb wird sieausgeschlossen.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 104/156

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Lösungen einiger Eigenwertprobleme

Sei L > 0 eine Konstante. Wir betrachten die Eigenwertaufgabe−u′′(x) = λu(x), x ∈ (0, L).

(a) Randbedingungen: u(0) = 0, u(L) = 0

Eigenwerte: λn =n2 π2

L2, n ∈ N

Eigenfunktionen: un(x) = sin(n π

Lx), n ∈ N

(b) Randbedingungen: u′(0) = 0, u(L) = 0

Eigenwerte: λn =(2n − 1)2 π2

4L2, n ∈ N

Eigenfunktionen: un(x) = cos

((2n − 1)π

2Lx

), n ∈ N

Bei anderen Randbedingungen können sich andere Eigenwerte undandere Eigenfunktionen ergeben.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 105/156

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Eigenschaften der Eigenfunktionen

Satz

Seien λ und µ zwei verschiedene Eigenwerte der zuvor betrachte-ten Eigenwertprobleme. Weiterhin seien u und v Eigenfunktionenzu λ bzw. µ. Dann gilt:∫ L

0u(x)v(x) dx = 0,

die Eigenfunktionen sind also im obigen Sinne orthogonal.

Bemerkung

Die Orthogonalität der Eigenfunktionen wird wesentlich durch dieverwendeten Randbedingungen bestimmt.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 106/156

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Taylor-Entwicklung von Lösungen

Anfangswertproblemy ′(x) = f

(x , y(x)

), y(x0) = y0

Idee: Taylor-Entwicklung der Lösung

y(x) ≈ y0 + y ′(x0)(x − x0) +y ′′(x0)

2(x − x0)2 + . . .

Differentialgleichung lieferty ′(x0) = f

(x0, y(x0)

)= f (x0, y0)

Ableiten der Differentialgleichung ergibt (Kettenregel beachten!)

y ′′(x) =∂f

∂x

(x , y(x)

)+∂f

∂y

(x , y(x)

)y ′(x)

und somit

y ′′(x0) =∂f

∂x(x0, y0) +

∂f

∂y(x0, y0)y ′(x0),

weitere Terme durch weiteres Ableiten der Differentialgleichung

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 107/156

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Beispiel: y ′(x) = y(x)2, y(1) = 1

p6(x)=x+(x−1)2+(x−1)3+(x−1)4+(x−1)5+(x−1)6

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 108/156

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Potenzreihenansatz I

Lösung einer Differentialgleichung lässt sich auch als Potenzreihedarstellen

Anfangswertproblem für lineare Differentialgleichung 2. Ordnungy ′′(x) + f (x)y ′(x) + g(x)y(x) = h(x), y(0) = y0, y

′(0) = y1.

Koeffizientenfunktionen f , g und h in U = K (0, r) in konvergentePotenzreihen entwickelbar:

f (x) =∞∑k=0

fk xk , g(x) =

∞∑k=0

gk xk , h(x) =

∞∑k=0

hk xk

Lösungsansatz

y(x) =∞∑k=0

ak xk .

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 109/156

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Potenzreihenansatz II

Formales Differenzieren

y ′(x) =∞∑k=1

kak xk−1 =

∞∑k=0

(k + 1)ak+1 xk ,

y ′′(x) =∞∑k=2

k(k − 1)ak xk−2 =

∞∑k=0

(k + 2)(k + 1)ak+2 xk .

Cauchy-Produkte ausrechnen und zusammenfassen∞∑k=0

(k + 2)(k + 1)ak+2xk +

∞∑k=0

(k∑`=0

(`+ 1)fk−`a`+1

)xk

+∞∑k=0

(k∑`=0

gk−`a`

)xk =

∞∑k=0

hkxk

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 110/156

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Potenzreihenansatz III

Koeffizientenvergleich liefert Rekursionsformel für k = 0, 1, . . .

ak+2 =1

(k + 2)(k + 1)

(hk−

k∑`=0

(`+ 1)fk−`a`+1−k∑`=0

gk−`a`

)

allgemein: a0 und a1 unabhängig und beliebig wählbar

Bei Anfangswertproblemen mit den Anfangsbedingungeny(0) = y0, y

′(0) = y1

ergibt sicha0 = y0, a1 = y1.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 111/156

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Grenzen der bisherigen Ergebnisse

Lösungstechniken für gewöhnliche Differentialgleichungen• Lösung in geschlossener Form möglich• viele verschiedene Verfahren und Tricks• finden (häufig) alle Lösungen einer Gleichung

ABER: für viele wichtige Gleichungen keine Techniken bekannt

Modifikation der Problemstellung• Suche (die) eine Lösung eines Anfangswertproblems• Approximation der Lösung soll/muss reichen!

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 112/156

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Prototyp eines Anfangswertproblems

Beschränkung auf skalare Gleichungen erster Ordnungu′(t) = f

(t, u(t)

),

u(t0) = u0

• Gleichungen höherer Ordnung auf Systeme erster Ordnungtransformieren• Verfahren entsprechend auf Systeme von Gleichungen erster

Ordnung anwendbar

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 113/156

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Numerisches Lösen von Anfangswertproblemen

Gegeben: AnfangswertproblemFinde u : [t0,T ]→ R mit

u′(t) = f(t, u(t)

), t ∈ (t0,T )

u(t0) = u0,

wobei f lokal Lipschitz-stetig ist

Idee: Unterteile [t0,T ] mittels Stützstellentk := t0 + kh, k = 0, 1, 2, . . . ,

in Teilintervalle der Länge h > 0

Gesucht: Approximation uk , k = 1, 2, . . . , mituk ≈ u(tk).

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 114/156

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Illustration

Stützstellen: tk := t0 + kh, h > 0, k = 0, 1, 2, . . .Gesucht: Approximation uk mit uk ≈ u(tk)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 115/156

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Idee des expliziten Euler-Verfahrens

Leonhard Euler, 1768

Gegeben: Stützstellen tk = t0 + hk, k = 0, 1, 2, . . . ,Startwert u0 ∈ R

Gesucht: Näherungen uk ∈ R für u(tk), k = 1, 2, . . .

Idee zur Bestimmung der Näherung u1 ≈ u(t1)

1. Startwert u0 bekannt2. Steigung von u in t0 durch

u′(t0) = f (t0, u(t0)) = f (t0, u0)

gegeben3. Ersetze Graph von u in der Nähe von (t0, u0) durch Gerade

mit Steigung f (t0, u0)

4. Wahl: u1 Wert dieser Gerade in t1

u1 := u0 + hf (t0, u0)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 116/156

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Explizites Euler-Verfahren

Gegeben: Stützstellen tk = t0 + hk, k = 0, 1, 2, . . . ,Startwert u0 ∈ R

Gesucht: Näherungen uk ∈ R für u(tk), k = 1, 2, . . .

Explizites Euler-Verfahren:uk+1 = uk + hf (tk , uk), k = 0, 1, 2, . . .

Bemerkung

Die Punkte (tk , uk), k ≥ 1, liegen im Allgemeinen nicht auf demGraphen der tatsächlichen Lösung u. Trotzdem liefert das Rich-tungsfeld für alle (tk , uk) eine Steigung f (tk , uk).

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 117/156

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Illustration des expliziten Euler-Verfahrens

Lösung des AnfangswertproblemsApproximation durch das explizite Euler-Verfahren

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 118/156

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Integrationsmethode

Integriere Differentialgleichung über [tk , tk+1]

u(tk+1)− u(tk) =

∫ tk+1

tk

u′(t) dt =

∫ tk+1

tk

f(t, u(t)

)dt

Approximation des Integrals liefert numerische Verfahren• linksseitige Rechteckformel

∫ ba ϕ(t) dt = (b − a)ϕ(a)

uk+1 = uk + hf (tk , uk)

• rechtsseitige Rechteckformel∫ ba ϕ(t) dt = (b − a)ϕ(b)

uk+1 = uk + hf (tk+1, uk+1)

• Trapezformel∫ ba ϕ(t) dt = b−a

2

(ϕ(a) + ϕ(b)

)uk+1 = uk +

h

2(f (tk , uk) + f (tk+1, uk+1)

)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 119/156

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Implizites Euler-Verfahren

Gegeben: Stützstellen tk = t0 + hk, k = 0, 1, 2, . . . ,Startwert u0 ∈ R

Gesucht: Näherungen uk ∈ R für u(tk), k = 1, 2, . . .

Implizites Euler-Verfahren:uk+1 = uk + hf (tk+1, uk+1), k = 0, 1, 2, . . .

Bemerkung

Zur Bestimmung von uk+1 muss beim impliziten Euler-Verfahreneine nichtlineare Gleichung (skalares Problem) bzw. ein nichtlinea-res Gleichungssystem (vektorwertiges Problem) gelöst werden.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 120/156

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Illustration des impliziten Euler-Verfahrens

Lösung des AnfangswertproblemsApproximation durch das implizite Euler-VerfahrenApproximation durch das explizite Euler-VerfahrenG. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 121/156

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Trapez-Verfahren

Gegeben: Stützstellen tk = t0 + hk, k = 0, 1, 2, . . . ,Startwert u0 ∈ R

Gesucht: Näherungen uk ∈ R für u(tk), k = 1, 2, . . .

Trapez-Verfahren

uk+1 = uk +h

2(f (tk , uk) + f (tk+1, uk+1)

), k = 0, 1, 2, . . .

Bemerkung

Zur Bestimmung von uk+1 muss beim Trapez-Verfahren einenichtlineare Gleichung (skalares Problem) bzw. ein nichtlinearesGleichungssystem (vektorwertiges Problem) gelöst werden.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 122/156

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Illustration des Trapez-Verfahrens

Lösung des AnfangswertproblemsApproximation durch das implizite Euler-VerfahrenApproximation durch das explizite Euler-VerfahrenApproximation durch das Trapez-VerfahrenG. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 123/156

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Einschritt-Verfahren

Definition

Ein numerisches Verfahren der Formuk+1 = uk + hΦ(tk , uk , uk+1, h)

heißt Einschritt-Verfahren. Hängt die Verfahrensfunktion Φ nichtvon uk+1 ab, heißt das Verfahren explizit, sonst implizit.

Explizites Euler-Verfahren:Φ(tk , uk , uk+1, h) = f (tk , uk)

Implizites Euler-Verfahren:Φ(tk , uk , uk+1, h) = f (tk + h, uk+1)

Trapez-Verfahren:

Φ(tk , uk , uk+1, h) =12(f (tk , uk) + f (tk + h, uk+1)

)G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 124/156

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Güte der Approximation

Einschritt-Verfahrenuk+1 = uk + hΦ(tk , uk , uk+1, h)

Fragen:• Wie groß ist der Fehler durch die numerische Approximation?• Wie verhält sich der Fehler als Funktion von h?• Geht er gegen 0, wenn h→ 0?• Wenn ja, wie schnell?

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 125/156

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Lokaler Diskretisierungsfehler

Definition

Unter dem lokalen Diskretisierungsfehler versteht man die Größedk+1 := u(tk+1)−

(u(tk) + hΦ(tk , u(tk), uk+1, h)

),

also den Fehler, der durch Ausführung eines Schrittes des Verfah-rens, ausgehend von uk = u(tk), entsteht.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 126/156

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Globaler Diskretisierungsfehler

Definition

Unter dem globalen Diskretisierungsfehler versteht man die Größegk := u(tk)− uk ,

also den Fehler zwischen der tatsächlichen Lösung und der nume-rischen Approximation.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 127/156

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Illustration zu den Diskretisierungsfehlern

Bemerkung

Der globale Fehler ergibt sich nicht einfach durch Summation derlokalen Fehler. Die lokalen Fehler können sich verstärken.

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 128/156

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Konsistenzordnung

Definition

Ein Einschritt-Verfahren besitzt die Konsistenzordnung p, falls fürden maximalen lokalen Diskretisierungsfehler dk die Abschätzung

max1≤k≤n

|dk | ≤ const hp+1 = O(hp+1)

gilt.

Satz

Besitzt ein Einschritt-Verfahren die Konsistenzordnung p, dannbesitzt es die Konvergenzordnung p, d. h., es gilt

max1≤k≤n

|gk | = O(hp)

für den maximalen globalen Diskretisierungsfehler.

explizites und implizites Euler-Verfahren: p = 1Trapez-Verfahren: p = 2G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 129/156

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Freier Fall mit Luftwiderstand

Welche Geschwindigkeit erreicht der fallende Körper maximal?

Beschreibung der Bewegung durch Differentialgleichung

mv ′(t) = mg −cv2(t)︸ ︷︷ ︸Luftwiderstand bremst

bzw. v ′(t) = g − c

mv2(t)

Anfangsbedingungv(0) = 0

Lösung des Anfangswertproblems

v(t) = tanh

(t

√gc

m

)√mg

c

maximal erreichbare Geschwindigkeit

v∞ := limt→∞

v(t) =

√mg

c

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 130/156

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Explizites Euler-Verfahren

Parameter: g = 9.81, c = m = 1 ⇒ v∞ ≈ 3.13209

Näherungen des expliziten Euler-Verfahrens

v0 = v(0) = 0, vk+1 = vk + hg − ch

mv2k , k = 0, 1, . . .

h = 0.01k vk0 0.000001 0.0981010 0.9543420 1.7526850 2.88469

100 3.12194150 3.13169

......

250 3.13209

h = 0.1k vk0 0.000001 0.981002 1.865763 2.498664 2.855335 3.021046 3.08937...

...15 3.13209

h = 0.2k vk0 0.000001 1.962002 3.154113 3.126434 3.133525 3.131736 3.13219...

...10 3.13209

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 131/156

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Veranschaulichung

Schrittweite h:110,15,14

bei großen Schrittweiten h kommt es zu Oszillationen

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 132/156

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Federschwinger

Oszillation eines Federschwingers (ohne Reibung)

Differentialgleichungs ′′(t) = −s(t)

Anfangsbedingungens(0) = 1,s ′(0) = 0

mit Geschwindigkeit vv(t) = s ′(t),

v ′(t) = s ′′(t) = −s(t)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 133/156

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Numerische Verfahren

Anfangswertproblem(s ′(t)v ′(t)

)=

(v(t)−s(t)

),

(s(0)v(0)

)=

(10

)

Explizites Euler-Verfahensk+1 = sk + hvk , vk+1 = vk − hsk

Implizites Euler-Verfahensk+1 = sk + hvk+1, vk+1 = vk − hsk+1

Trapez-Verfahren

sk+1 = sk +h

2(vk + vk+1

), vk+1 = vk −

h

2(sk + sk+1

)

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 134/156

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Explizites Euler-Verfahren

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 135/156

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Implizites Euler-Verfahren

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Trapez-Verfahren

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 137/156

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Beobachtungen

alle Verfahren reproduzieren Schwingung

explizites Euler-Verfahren„erzeugt“ Energie

implizites Euler-Verfahren„vernichtet“ Energie

Trapez-Verfahrenerhält Energie

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 138/156

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Modellproblem

Anfangswertproblemu′(t) = λu(t), u(0) = 1

analytische Lösungu(t) = eλt

Verhalten für λ ∈ R mit λ < 0

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Verhalten der Verfahren

• explizites Euler-Verfahren: uk+1 = uk + hλuk

uk = (1 + hλ)ku0 = (1 + hλ)k

Lösung beschränkt für h < −2/λ

• implizites Euler-Verfahren: uk+1 = uk + hλuk+1

uk =

(1

1− hλ

)k

u0 =

(1

1− hλ

)k

Lösung beschränkt für alle h > 0

• Trapez-Verfahren: uk+1 = uk +h

2(λuk + λuk+1)

uk =

(1 + hλ/21− hλ/2

)k

u0 =

(1 + hλ/21− hλ/2

)k

Lösung beschränkt für alle h > 0

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 140/156

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Idee zur Herleitung weiterer Verfahren

Ziel: Konstruktion von Verfahren mit Konsistenzordnung p > 1

Idee: Integrationsmethode

u(tk+1)− u(tk) =

∫ tk+1

tk

f (t, u(t)) dt

Verfahrensfunktion Φ so wählen, dass

hΦ(tk , u(tk), u(tk+1), h

)=

∫ tk+1

tk

f (t, u(t))dt +O(hp+1)

gilt, dazu numerische Quadratur hoher Ordnung verwenden

G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 141/156

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Mittelpunktsformel

Illustration:

Mittelpunktsformel für das Integral:∫ tk+1

tk

f (t, u(t))dt ≈ hf

(tk +

h

2, u

(tk +

h

2

))

Mittelpunktsformel für die Differentialgleichung:

uk+1 = uk + hf

(tk +

h

2, u

(tk +

h

2

))G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 142/156

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Das Verfahren von Runge

Verfahren

uk+1 = uk + hf

(tk +

h

2, u

(tk +

h

2

))so nicht durchführbar, da u

(tk + h

2

)nicht bekannt!

Ausweg: expliziten Euler-Schritt zur Approximation anwenden:

u

(tk +

h

2

)≈ uk +

h

2f (tk , uk)

Verfahren von Runge

uk+1 = uk + hf

(tk +

h

2, uk +

h

2f (tk , uk)

)Konsistenzordnung: p = 2

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Umformulierung

Verfahren von Runge

uk+1 = uk + hf

(tk +

h

2, uk +

h

2f (tk , uk)

)lässt sich schreiben als:

1) K1 = f (tk , uk)

2) K2 = f

(tk +

h

2, uk +

h

2K1

)3) uk+1 = uk + hK2

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Verallgemeinerung von Kutta

allgemeines SchemaK1 = f (tk , uk)

K2 = f (tk + c2h, uk + ha21K1)

K3 = f (tk + c3h, uk + ha31K1 + ha32K2)

...Ks = f (tk + csh, uk + has1K1 + has2K2 + · · ·+ has,s−1Ks−1)

uk+1 = uk + h(b1K1 + b2K2 + · · ·+ bsKs)

Kurzform:

Ki = f

(tk + cih, uk + h

s∑j=1

aijKj

), uk+1 = uk + h

s∑i=1

biKi

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Übersichtliche Darstellung

Zusammenfassen der Koeffizienten als Matrix und VektorenA = (aij) ∈ Rs×s , b ∈ Rs , c ∈ Rs

Invarianzüberlegungen (Autonomisierung):

ci =s∑

j=1

aij , i = 1, . . . , s

Darstellung im Butcher-Schema

c A

b

c1 a11 a12 · · · a1sc2 a21 a22 · · · a2s...

......

. . ....

cs as1 as2 · · · assb1 b2 . . . bs

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Allgemeine Runge-Kutta-Verfahren

Allgemeines Verfahren

Ki = f

tk + cih, uk + hs∑

j=1

aijKi

, i = 1, . . . , s

uk+1 = uk + hs∑

i=1

biKi

explizites Euler-Verfahren:uk+1 = uk + hf (tk , uk)

Butcher-Schema (s = 1):

0 01

implizites Euler-Verfahren:uk+1 = uk + hf (tk+1, uk+1)

Butcher-Schema (s = 1):

1 11

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Klassisches Runge-Kutta-Verfahren

Butcher-Schema (s = 4):

012

12

12 0 1

2

1 0 0 1

16

13

13

16

Eigenschaften:• 4 Auswertungen von f pro Schritt• Konvergenzordnung p = 4

Halbierung der Schrittweite (=Verdopplung der Schrittanzahl)

führt zu einer Fehlerreduktion um den Faktor124

=116

.

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Verhalten der verschiedenen Verfahren I

u′(t) = −10u(t), u(0) = 1 mit Lösung u(t) = e−10t

Schrittweite: h = 0.05G. Matthies Differentialgleichungen und Differentialrechnung im Rn 149/156

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Verhalten der verschiedenen Verfahren II

u′(t) = −41u(t), u(0) = 1 mit Lösung u(t) = e−41t

Schrittweite: h = 0.1

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Differenzen-Verfahren für Randwertprobleme

Randwertproblema2(x)u′′(x) + a1(x)u′(x) + a0(x)u(x) = f (x),

u(a) = A, u(b) = B

Idee: Unterteile [a, b] mittels Stützstellenxk := a + kh, k = 0, . . . , n + 1,

in (n + 1) Teilintervalle der Länge h :=b − a

n + 1.

Approximation der Ableitungen durch Differenzenquotienten

u′′(xi ) ≈u(xi+1)− 2u(xi ) + u(xi−1)

h2,

u′(xi ) ≈u(xi+1)− u(xi−1)

2h

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Struktur des diskretisierten Problems

Diskretisierung

a2(xi )ui+1−2ui +ui−1

h2+a1(xi )

ui+1−ui−12h

+a0(xi )ui = f (xi )

für i = 1, . . . , n mit den Randbedingungenu0 = A, un+1 = B

lineares Gleichungssystem für die n Unbekannten u1, . . . , un(a2(xi )

h2− a1(xi )

2h

)ui−1 +

(−2a2(xi )

h2+ a0(xi )

)ui

+

(a2(xi )

h2+

a1(xi )

2h

)ui+1 = f (xi )

tridiagonal

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Illustration I

Randwertproblem u′′(x) + u′(x) = 1, u(0) = 0, u(1) = 0 mitLösung

u(x) = x − e−x − 1e−1 − 1

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Illustration II

Randwertproblem 0.01u′′(x) + u′(x) = 1, u(0) = 0, u(1) = 0 mitLösung

u(x) = x − e−100x − 1e−100 − 1

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Modifikation des diskretisierten Problems

andere Approximation der ersten Ableitung

u′(xi ) ≈u(xi+1)− u(xi )

hmodifizierte Diskretisierung

a2(xi )ui+1−2ui +ui−1

h2+a1(xi )

ui+1−uih

+a0(xi )ui = f (xi )

für i = 1, . . . , n mit den Randbedingungenu0 = A, un+1 = B

tridiagonales lineares Gleichungssystem für u1, . . . , una2(xi )

h2ui−1 +

(−2a2(xi )

h2− a1(xi )

h+ a0(xi )

)ui

+

(a2(xi )

h2+

a1(xi )

h

)ui+1 = f (xi )

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Illustration III

Randwertproblem 0.01u′′(x) + u′(x) = 1, u(0) = 0, u(1) = 0 mitLösung

u(x) = x − e−100x − 1e−100 − 1

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