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Z Rheumatol 2006 · 65:604–609 DOI 10.1007/s00393-006-0110-z Online publiziert: 6. Oktober 2006 © Springer Medizin Verlag 2006 H.-I. Huppertz Professor-Hess-Kinderklinik, Klinikum Bremen-Mitte Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache Leitthema Fieber gehört zu den häufigsten Grün- den für die Vorstellung eines Kindes in der Notfallambulanz und beim niederge- lassenen Kinder- und Jugendarzt [5]. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle kann die Ursache rasch erkannt und be- handelt werden, oft ein „viraler Infekt“, der nach wenigen Tagen abgeklungen ist. Die symptomatische, bei bakteriellen Er- krankungen manchmal auch antibiotische Therapie einschließlich Beruhigung der Eltern wird es dem erkrankten Kind er- leichtern, die Zeit des Krankseins zu über- stehen und nach der Rekonvaleszenz ei- ne vollständige Wiederherstellung zu er- reichen [7]. In seltenen Fällen bleibt die Ursa- che auch nach Beobachtung des fortbe- stehenden Fiebers unklar. In dieser Situ- ation kommt es darauf an, weitere Un- tersuchungen in Abhängigkeit vom kli- nischen Zustand des Kindes zu planen und mit Gründlichkeit und Erfahrung und manchmal auch mit etwas Intuition zügig zu korrekter Diagnose und Thera- pie zu kommen [8, 9]. Definition Fieber ist keine Diagnose, sondern eines der wichtigsten Symptome in der Pädia- trie. Die untere Temperaturgrenze, ab der eine erhöhte Temperatur Fieber genannt wird, ist uneinheitlich definiert. Diese Temperatur muss bei rektaler Messung mindestens 38,0°C betragen. Fieber ist die Folge einer zytokinver- mittelten Sollwerterhöhung der Körper- temperatur im Hirnstamm. Es kommt zur Vasokonstriktion, die beim Säugling und Kleinkind mit kühlen Extremitäten trotz hoher Kerntemperatur einhergehen kann und Zentralisation genannt wird. Der All- gemeinzustand kann stark beeinträchtigt sein. Bewusstseinsstörungen einschließ- lich Halluzinationen sind möglich, unab- hängig von der zugrunde liegenden Er- krankung, z. B. einer Meningoenzephali- tis. Nicht selten treten bei hohem Fieber und beim raschen Fieberanstieg Krampf- anfälle auf mit einem Prädilektionsalter von 6 Monaten bis 5 Jahren. Durch den erhöhten Flüssigkeitsverlust können die Kinder rasch dehydrieren. Die begleiten- de Verhaltensänderung äußert sich als Wärmesuchen und Frösteln. Bei der Hyperthermie hingegen ist die Temperaturerhöhung Folge zu ho- her Wärmeproduktion (z. B. Thyreoto- xikose), mangelnder Wärmeableitung (z. B. Hypohidrose) oder exzessiver Wär- mezufuhr von außen (z. B. zu hoch ein- gestellter Inkubator). Hier liegt also keine Verstellung der Solltemperatur vor, viel- mehr wird diese überschritten. In einem anderen Sprachgebrauch wird jede Tem- peraturerhöhung über 41°C als Hyper- thermie bezeichnet. Temperaturmessung Die Messung der Körpertemperatur er- folgt am besten rektal mit einem da- für geeichten Thermometer. In der Kli- nik werden meist elektronische Geräte mit Messkappen für den einmaligen Ge- brauch verwandt. Wird die Temperatur auf andere Art gemessen, müssen spezi- fische Einschränkungen berücksichtigt werden. Die axillär gemessene Temperatur, von Schulkindern oft bevorzugt, unter- liegt großen Schwankungen und kann die tatsächliche Temperatur auch nach langer Kontaktzeit mit der Haut unterschätzen. Beim initialen Temperaturanstieg kann die axilläre Temperatur noch normal sein, während die Kerntemperatur schon fieb- rig ist. Die oral gemessene Temperatur liegt et- wa 0,3–0,6°C unter der rektal gemessenen Temperatur und kann noch niedriger aus- fallen bei Atmung durch den Mund oder nach Genuss kalter Getränke. Die Messung der Temperatur des Trommelfells mit einem speziellen Gerät kann die Temperatur unterschätzen, wenn das Gerät versehentlich auf die Haut des Gehörgangs eingestellt wird. Fieber ohne Fokus „Fieber ohne Fokus“ wird bei einem Pa- tienten diagnostiziert, bei dem trotz kli- nischer Untersuchung und Durchführung Tab. 1 Nichtinfektiöse Ursachen von Fieber im Kindesalter [7, 9] Entzündliche Erkrankungen Kawasaki-Erkrankung Chronisch entzündliche Darmerkrankung M. Still (systemische Form der juvenilen idio- pathischen Arthritis) Systemischer Lupus erythematodes Juvenile Dermatomyositis Purpura Schönlein-Henoch Sarkoidose Akutes rheumatisches Fieber Metabolische Erkrankungen Entgleister Diabetes mellitus Durstfieber Maligne Hyperthermie Thyreotoxikose Neoplastische Erkrankungen Akute lymphatische Leukämie Lymphom Ewing-Sarkom Neuroblastom 604 | Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2006

Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

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Page 1: Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

Z Rheumatol 2006 · 65:604–609

DOI 10.1007/s00393-006-0110-z

Online publiziert: 6. Oktober 2006

© Springer Medizin Verlag 2006

H.-I. Huppertz

Professor-Hess-Kinderklinik, Klinikum Bremen-Mitte

Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

Leitthema

Fieber gehört zu den häufigsten Grün-

den für die Vorstellung eines Kindes in

der Notfallambulanz und beim niederge-

lassenen Kinder- und Jugendarzt [5]. In

der überwiegenden Mehrzahl der Fälle

kann die Ursache rasch erkannt und be-

handelt werden, oft ein „viraler Infekt“,

der nach wenigen Tagen abgeklungen ist.

Die symptomatische, bei bakteriellen Er-

krankungen manchmal auch antibiotische

Therapie einschließlich Beruhigung der

Eltern wird es dem erkrankten Kind er-

leichtern, die Zeit des Krankseins zu über-

stehen und nach der Rekonvaleszenz ei-

ne vollständige Wiederherstellung zu er-

reichen [7].

In seltenen Fällen bleibt die Ursa-

che auch nach Beobachtung des fortbe-

stehenden Fiebers unklar. In dieser Situ-

ation kommt es darauf an, weitere Un-

tersuchungen in Abhängigkeit vom kli-

nischen Zustand des Kindes zu planen

und mit Gründlichkeit und Erfahrung

und manchmal auch mit etwas Intuition

zügig zu korrekter Diagnose und Thera-

pie zu kommen [8, 9].

Definition

Fieber ist keine Diagnose, sondern eines

der wichtigsten Symptome in der Pädia-

trie. Die untere Temperaturgrenze, ab der

eine erhöhte Temperatur Fieber genannt

wird, ist uneinheitlich definiert. Diese

Temperatur muss bei rektaler Messung

mindestens 38,0°C betragen.

Fieber ist die Folge einer zytokinver-

mittelten Sollwerterhöhung der Körper-

temperatur im Hirnstamm. Es kommt zur

Vasokonstriktion, die beim Säugling und

Kleinkind mit kühlen Extremitäten trotz

hoher Kerntemperatur einhergehen kann

und Zentralisation genannt wird. Der All-

gemeinzustand kann stark beeinträchtigt

sein. Bewusstseinsstörungen einschließ-

lich Halluzinationen sind möglich, unab-

hängig von der zugrunde liegenden Er-

krankung, z. B. einer Meningoenzephali-

tis. Nicht selten treten bei hohem Fieber

und beim raschen Fieberanstieg Krampf-

anfälle auf mit einem Prädilektionsalter

von 6 Monaten bis 5 Jahren. Durch den

erhöhten Flüssigkeitsverlust können die

Kinder rasch dehydrieren. Die begleiten-

de Verhaltensänderung äußert sich als

Wärmesuchen und Frösteln.

Bei der Hyperthermie hingegen ist

die Temperaturerhöhung Folge zu ho-

her Wärmeproduktion (z. B. Thyreoto-

xikose), mangelnder Wärmeableitung

(z. B. Hypo hidrose) oder exzessiver Wär-

mezufuhr von außen (z. B. zu hoch ein-

gestellter Inkubator). Hier liegt also keine

Verstellung der Solltemperatur vor, viel-

mehr wird diese überschritten. In einem

anderen Sprachgebrauch wird jede Tem-

peraturerhöhung über 41°C als Hyper-

thermie bezeichnet.

Temperaturmessung

Die Messung der Körpertemperatur er-

folgt am besten rektal mit einem da-

für geeichten Thermometer. In der Kli-

nik werden meist elektronische Geräte

mit Messkappen für den einmaligen Ge-

brauch verwandt. Wird die Temperatur

auf andere Art gemessen, müssen spezi-

fische Einschränkungen berücksichtigt

werden.

Die axillär gemessene Temperatur,

von Schulkindern oft bevorzugt, unter-

liegt großen Schwankungen und kann die

tatsächliche Temperatur auch nach langer

Kontaktzeit mit der Haut unterschätzen.

Beim initialen Temperaturanstieg kann

die axilläre Temperatur noch normal sein,

während die Kerntemperatur schon fieb-

rig ist.

Die oral gemessene Temperatur liegt et-

wa 0,3–0,6°C unter der rektal gemessenen

Temperatur und kann noch niedriger aus-

fallen bei Atmung durch den Mund oder

nach Genuss kalter Getränke.

Die Messung der Temperatur des

Trommelfells mit einem speziellen Gerät

kann die Temperatur unterschätzen, wenn

das Gerät versehentlich auf die Haut des

Gehörgangs eingestellt wird.

Fieber ohne Fokus

„Fieber ohne Fokus“ wird bei einem Pa-

tienten diagnostiziert, bei dem trotz kli-

nischer Untersuchung und Durchführung

Tab. 1 Nichtinfektiöse Ursachen von

Fieber im Kindesalter [7, 9]

Entzündliche Erkrankungen

Kawasaki-Erkrankung

Chronisch entzündliche Darmerkrankung

M. Still (systemische Form der juvenilen idio-

pathischen Arthritis)

Systemischer Lupus erythematodes

Juvenile Dermatomyositis

Purpura Schönlein-Henoch

Sarkoidose

Akutes rheumatisches Fieber

Metabolische Erkrankungen

Entgleister Diabetes mellitus

Durstfieber

Maligne Hyperthermie

Thyreotoxikose

Neoplastische Erkrankungen

Akute lymphatische Leukämie

Lymphom

Ewing-Sarkom

Neuroblastom

604 | Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2006

Page 2: Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache
Page 3: Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

weiterer Untersuchungen wie Urinstix

und Röntgenthoraxaufnahme kein Ent-

zündungsherd als Ursache für das neu

aufgetretene Fieber gefunden werden

kann. Diese Art von Fieber ist beson-

ders bedeutsam in den ersten 2–3 Lebens-

jahren, da eine okkulte Bakteriämie vor-

liegen kann [1]. Die am häufigsten in der

Blutkultur gefundenen Keime sind Pneu-

mokokken, Meningokokken, Salmonellen

und bei ungeimpften Kindern Haemophi-

lus influenzae. Der Begriff „okkulte Bak-

teriämie“ bringt zum Ausdruck, dass bei

diesen Patienten der Allgemeinzustand

gut ist, also kein Hinweis für eine Sep-

sis besteht, dass keine fokale Ursache zu

finden ist, dass aber trotzdem die Gefahr

der bakteriellen Absiedlung gegeben ist

[2]. Die Ursache dafür ist die immunolo-

gische Unreife dieser Kinder in den Funk-

tionen von Neutrophilen, Makrophagen,

Milz und Opsonisierung. Orale Antibio-

tika können die Absiedelung nicht sicher

abwenden.

Persistierendes Fieber

Der Begriff „persistierendes Fieber“ be-

schreibt, dass nach der anfänglichen Di-

agnostik und evtl. auch therapeutischen

Versuchen das Fieber bestehen bleibt.

Wenn das Fieber als das eigentliche Pro-

blem erkannt wird, spricht man von

„Fieber ungeklärter Ursache“ („fever of

unknown origin“). Im Allgemeinen ist

damit Fieber gemeint, das trotz einer

Phase der Diagnostik und/oder des Ab-

wartens weiter besteht und für das kei-

ne Ursache gefunden wurde. Dabei kann

das Fieber erst seit einigen Tagen, meist

mindestens 5–7 Tage, oder bereits seit

Monaten bestehen. „Fieber ungeklär-

ter Ursache“ ist zunächst eine Arbeits-

diagnose, und es sollte alles unternom-

men werden, um die Ursache zu finden

[3]. Es kommt vor, dass auch nach lan-

gen diagnostischen Bemühungen keine

Ursache für das Fieber ungeklärter Ur-

sache gefunden werden kann; dann wird

„Fieber ungeklärter Ursache“ zur Haupt-

diagnose.

Fieber ungeklärter Ursache

Wenn die initiale Diagnose und daraus

abgeleitete Therapie nicht zum erwarteten

Verschwinden des Fiebers führen, müssen

Compliance, Therapiemodalitäten, mög-

liche Komplikationen oder ungewöhn-

liche Verlaufsformen der korrekten Dia-

gnose und die Diagnose überprüft bzw.

erwogen werden. Schließlich muss bei

fortbestehendem Fieber der Fall wieder

neu aufgerollt werden und man stellt die

Tab. 2 Ursachen des Fiebers ungeklärter Ursache mit der Gefahr einer bleibenden

Schädigung [9]

Diagnose Gefahr bei Übersehen dieser Diagnose

Sepsis Schock, Tod, fokale Schäden

Endokarditis Klappenzerstörung

Meningitis Taubheit, Hydrozephalus, Krampfleiden, Tod

Arthritis Knorpelzerstörung, Arthrose

Osteomyelitis Osteolyse

Pyelonephritis Sepsis, Hypertonie, eingeschränkte Nierenfunktion

Peritonitis Ileus, Schock, Tod, Briden

Mastoiditis Meningitis, Sinusvenenthrombose

Typhus Blutung, Perforation, Endokarditis, Meningitis, Schock, Tod

Tuberkulose Miliartuberkulose, Hydrozephalus, Tod

Kawasaki-Erkrankung Koronaraneurysmen, Infarkt, Tod

Systemischer Lupus erythema-

todes

Akutes Nierenversagen, zerebrale Krise, Tod

Hämophagozytose-/Makropha-

genaktivierungssyndrom

Zytokinsturm, Multiorganversagen, Tod

Malaria Tod

Leukämie Verschlechterung der Prognose

Lymphom Verschlechterung der Prognose

Neuroblastom Verschlechterung der Prognose

Tab. 3 Diagnostisches Vorgehen bei

Fieber ungeklärter Ursache [8, 9]

Anamnese

Vorgeschichte erneut erheben, evtl. auch von

anderen Bezugspersonen

Reiseanamnese; Tierkontakte; Medikamente;

Nahrungsgewohnheiten

Familienstammbaum

Untersuchung

Physikalische Untersuchung täglich wieder-

holen und allen Details nachgehen

Fiebermessung mehrfach täglich, evtl. auch

durch eine erfahrene Kinderkrankenschwes-

ter, evtl. nach 30 min Ruhepause

Wachstumskurven einschließlich Perzentilen

aktualisieren

Labor

Großes Blutbild mit Ausstrich

Blutchemie

Blutgase

Urin

Entzündungsparametera

Eisenstoffwechsel

Test auf okkultes Blut

Gerinnung einschließlich D-Dimere

Infektionsdiagnostik

Blutkulturen

RT23-Hauttest

Lumbalpunktion

Urin- und Stuhlkultur

Rachenabstrich

Serologie auf EBV, CMV, HIV, Hepatitisviren,

Yersinien, Toxoplasma

Apparative Untersuchungen

Röntgenthorax

Ultraschall Abdomen

EKG und Echokardiographie

EEG und kranielle Bildgebung

Augenhintergrund- und Spaltlampenunter-

suchunga Meist reichen CRP und BSG zur Verlaufsbeur-teilung der Entzündungsaktivität. Die Zytokine IL-6 und IL-8, Prokalzitonin und andere Marker sind bisher überwiegend in der Abklärung des akut aufgetretenen Fiebers bei Patienten mit iatrogener Neutropenie oder systemischem Lupus erythematodes untersucht worden. Eine Reihe weiterer Marker wie Ferritin, Fibrinogen und Haptoglobin sind als Akute-Phase-Prote-ine hochreguliert. Extrem hohe Ferritinwerte (>1000) sind in Abwesenheit einer Hämoside-rose pathognomonisch für das Hämophagozy-tosesyndrom

606 | Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2006

Leitthema

Page 4: Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

Arbeitsdiagnose „Fieber ungeklärter Ur-

sache“ [4].

Als häufigste Ursache findet sich schließ-

lich doch eine Infektion, besonders bei

Kindern unter 6 Jahren. Als zweithäufigs-

te Ursache entpuppen sich Autoimmun-

erkrankungen, besonders bei Kindern, die

älter als 6 Jahre sind. . Tab. 1 zeigt eine

Reihe nichtinfektiöser Ursachen.

Oft ist die Ursache des Fiebers kei-

ne sehr seltene Erkrankung, sondern die

Erkrankung tritt nur in ungewöhnlicher

Gestalt auf. Die Differenzialdiagnose soll-

te breit angelegt sein.

Die Behandlung von Kindern mit Fie-

ber ungeklärter Ursache gehört zu den

großen Herausforderungen des Faches,

die dem Kinderarzt die Kenntnis der ge-

Zusammenfassung · Abstract

Z. Rheumatol. 2006 · 65:604–609

DOI 10.1007/s00393-006-0110-z

© Springer Medizin Verlag 2006

H.-I. Huppertz

Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

Zusammenfassung

Fieber gehört zu den wichtigsten und häu-

figsten Krankheitssymptomen im Kindes-

und Jugendalter. Meist sind selbstbegrenz-

te virale oder gut behandelbare bakteriel-

le Infektionen die Ursache. Wenn sich nach

5–7 Tagen keine Ursache des fortbestehen-

den Fiebers findet, spricht man Fieber unge-

klärter Ursache, das häufig eine diagnosti-

sche Herausforderung darstellt. Bei der wei-

teren Abklärung findet sich eine Infektion, ei-

ne entzündliche Systemerkrankung, ein Ma-

lignom oder eine andere seltene Erkrankung.

Die Ursache bleibt unklar oder das Fieber ver-

schwindet schließlich doch von selbst. Das di-

agnostische Vorgehen und die symptoma-

tische Behandlung werden erläutert.

Schlüsselwörter

Fieber · Fieber ungeklärter Ursache ·

Diagnostik

Differential diagnosis in fever of unknown origin

Abstract

Fever is one of the most frequent and impor-

tant symptoms in pediatrics. Most cases are

caused by self-limiting viral or easily treat-

able bacterial infections. If after 5–7 days no

cause of the ongoing fever has been found,

the condition is termed fever of unknown or-

igin, a working diagnosis which often poses a

diagnostic challenge. The ultimate cause may

be an infectious disease, a chronic inflamma-

tory disorder, a malignancy, or another rare

disease. The cause may also remain obscure

or the fever can finally disappear. Here we

elaborate the diagnostic work-up and symp-

tomatic treatment.

Keywords

Fever · Fever of unknown origin · Diagnostic

work-up

Tab. 4 Symptomkombination mit möglicher Ursache des Fiebers ungeklärter Ursache

[8, 9]

Befund 1 Befund 2 Verdachtsdiagnose

Kopfschmerzen Erbrechen Meningitis

Eintrübung Meningitis, Typhus

Fokal-neurologischer Befund Hirnabszess, Tuberkulose

Husten Chlamydieninfektion

Husten, nasale Sprache Sinusitis

Schwellung retroau-

rikulär

Beschleunigte BSG Mastoiditis

Zustand nach Tonsillitis Schwellung im Kieferwinkel Peritonsillarabszess

Husten Expektorationen Bronchiektasen

Gewichtsabnahme Tuberkulose, Mukoviszidose

Dyspnoeanamnese Fremdkörperaspiration

Meningitis Tuberkulose, Mykoplasmeninfektion

Zustand nach Sterno-

tomie

Thoraxschmerzen Mediastinitis

Vitium cordis Petechien Endokarditis

Nephritis/Perikarditis Zytopenie Systemischer Lupus erythematodes

Perikarditis Hepatomegalie, Exanthem Still-Syndrom

Bauchschmerzen Ileus Peritonitis, perforierte Appendizitis

Wachstumsstillstand, Anämie,

Pubertas tarda

M. Crohn

Juckreiz Cholangitis

Druckschmerz Unterbauch Yersiniose, Kolitis, M. Crohn, gynäkolo-

gische Ursache

Diarrhö Salmonellose

Knochenschmerzen Metaphysärer Druckschmerz Osteomyelitis

Akute lymphatische Leukämie

Gelenkschmerzen Erguss Septische Arthritis

Rückenschmerzen Lokaler Druckschmerz Spondylodiszitis

Bewegungsschmerz Iliosakralosteomyelitis

Exanthem Hepatomegalie Still-Syndrom

Konjunktivitis Exanthem Masern

Lacklippen Kawasaki-Erkrankung

Pyurie Reiter-Syndrom

Arthritis Sarkoidose

Lymphknotenschwel-

lung

Palpation schmerzlos Lymphom

Tonsillitis Mononukleose

Toxoplasmose

Positiver RT23-Test,

unauffälliger Rönt-

genthorax

Sterile Pyurie oder Rücken-,

Bauch- oder Kopfschmerzen

Tuberkulose

Ikterus Panzytopenie, Hepatospleno-

megalie

Hämophagozytosesyndrom

Petechien Husten, Erythrozyturie Vaskulitis

607Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2006 |

Page 5: Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

samten Pädiatrie abverlangt. Nicht sel-

ten ist in dieser Situation der Kinder-

und Jugendrheumatologe der Fallführer.

Dies ist Folge der Häufigkeit chronisch

entzündlicher Erkrankungen als Ursa-

che des Fiebers, der fehlenden Organzu-

gehörigkeit des Fiebers und der notwen-

digen Kenntnis einer Vielzahl seltener

Erkrankungen. In der Abklärung muss

man auch mit dem „Unmöglichen“ rech-

nen und scheinbar unwichtigen Details

nachgehen. Es kann sinnvoll sein, den

Patienten in einer Fallkonferenz mit Ver-

tretern mehrerer pädiatrischer Diszipli-

nen zu präsentieren oder den Patienten

an ein entsprechend ausgestattetes Zen-

trum zu verlegen.

Da einige Erkrankungen zu bleibenden

Schäden führen, wenn sie nicht rasch er-

kannt und behandelt werden, sollten diese

zuerst ausgeschlossen werden (. Tab. 2;

[6]).

Im weiteren Vorgehen kommt es auf

Sorgfalt und Systematik an, damit wich-

tige Details nicht übersehen werden.

. Tab. 3 zeigt das Vorgehen. Weitere Un-

tersuchungen ergeben sich aus den Ergeb-

nissen der beschriebenen Basisuntersu-

chungen. Die in . Tab. 3 dargestellte Di-

agnostik wird man anhand der erhobenen

Daten erweitern oder abkürzen. . Tab. 4

zeigt einige typische Symptomkombinati-

onen, die auf eine mögliche Ursache des

Fiebers hinweisen.

Häufig leidet der Patient sehr unter

dem Fieber und weist Flüssigkeits- und

Energiemangel auf. Je nach Zustand kann

eine intensivmedizinische Betreuung not-

wendig sein einschließlich parenteraler

Ernährung. Zur Fiebersenkung können

frühzeitig Paracetamol, Ibuprofen und als

Reservemittel Metamizol versucht wer-

den. Bei bedrohlichem Zustand des Kin-

des kann man nach Abnahme mehre-

rer Blutkulturen eine empirische antibio-

tische Therapie versuchen.

Wenn nach mindestens 5 Tagen anti-

biotischer Therapie keine Besserung ein-

tritt, sich der Zustand des Patienten ver-

schlechtert und bereits viele Tage erfolg-

loser Suche nach der Ursache des Fiebers

vergangen sind, kann man evtl. nach Aus-

schluss einer malignen Erkrankung mit-

tels Knochenmarkspunktion und aus-

führlicher, evtl. auch externer Beratung

eine probatorische Steroidtherapie z. B.

mit 2 mg/kg Körpergewicht Prednison

in verteilten Dosen versuchen. Eine Un-

terdrückung des Fiebers durch die Stero-

ide schließt eine infektiöse Ursache nicht

aus; vielmehr sollte man weiter nach ei-

ner fokalen infektiösen Ursache der Er-

krankung suchen. Fehlendes Ansprechen

auf die Steroide schließt eine immunolo-

gische Ursache nicht aus.

Ein gutes Ansprechen auf die Steroi-

de kann für den Patienten eine Erlösung

sein, hilft aber nur z. T. bei der Diagno-

sefindung weiter. Wenn beim Ausschlei-

chen der Steroide das Fieber wiederkehrt,

man aber wegen des sich entwickelnden

Cushingoids nicht in der früher effektiven

Dosis weiterbehandeln kann, stellt sich

erneut die Frage nach der Fieberursache

und des weiteren Managements.

Ist der Patient steroidabhängig gewor-

den, kann es außerordentlich schwierig

sein, noch zu einer Diagnose zu kommen,

wenn die Diagnostik vor Beginn der Ste-

roidtherapie unzureichend war. Es bleibt

fraglich, ob nachträglich unter Steroiden

gewonnene und möglicherweise unauf-

fällige Ergebnisse überhaupt aussagekräf-

tig sind. Die allmähliche Beendigung der

Steroidtherapie kann aber auch erfolg-

reich verlaufen und das Fieber nicht wie-

derkehren, ohne dass eine Diagnose ge-

stellt werden konnte.

Rezidivierendes Fieber

„Rezidivierendes Fieber“ meint eine auf-

fällige Häufung immer wieder auftre-

tender Fieberepisoden. Dabei kommt es

auf die Beschreibung auslösender Fak-

toren (oder ihr Fehlen), die Dauer und

Tab. 5 Immundefekte als Ursache episodischen Fiebers in unterschiedlichen Lebens-

altern [9]

Zusätzliche klinische Befunde Verdachtsdiagnose

Säuglinge

Hypokalzämie, Vitium cordis, Fazies DiGeorge-Syndrom

Verspäteter Abfall der Nabelschnur (>3 Wochen)

und bakterielle Hautinfektionen

Störung der Leukozytenadhäsion

Gedeihstörung, Durchfall, Soor Schwerer kombinierter Immundefekt

Makulopapulöser Ausschlag, Hepatospleno-

megalie

Graft-vs.-host-Reaktion durch mütterliche Lym-

phozyten bei kombiniertem Immundefekt

Ekzem, Thrombopenie Wiskott-Aldrich-Syndrom

Albinismus, Neutropenie Chediak-Higashi-Syndrom

Foudroyante Sepsis mit bekapselten Bakterien Kongenitale Asplenie

Schwere bakterielle Infektionen ohne Eiter Schwere konnatale Neutropenie (Kostmann)

Kleinkinder

Progrediente Mononukleose X-chromosomal erbliche lymphoproliferative

Erkrankung

Kutane, narbenbildende Infektionen mit Sta-

phylococcus aureus

Hyper-IgE-Syndrom

Soor, Nageldystrophie, Endokrinopathien Mukokutane Candidiasis

Tiefe Haut- und Organabszesse Granulozytendefekte wie septische Granulo-

matose

Septische Infektionen durch bekapselte Bak-

terien

Asplenie

Neigung zu bakteriellen Infektionen, Pneumo-

nie, Arthritis

X-verbundene Agammaglobulinämie

Schulkinder

Pneumonien, Ataxie, Teleangiektasien Louis-Bar-Syndrom

Lymphadenopathie, Dermatitis, Pneumonien,

mangelhafte Eiterbildung

Septische Granulomatose

Rezidivierende Meningitiden Komplementdefekt, Liquorfistel

Malabsorption, Pneumonien, Splenomegalie Antikörpermangelsyndrom

Pneumonie, Durchfall IgA-Mangel (meist asymptomatisch)

Rezidivierende Pneumonien IgG-Subklassendefekt

Rezidivierende bakterielle Infekte nach unauffäl-

ligem Kleinkindalter

„Common variable immunodeficiency“ (CVID)

608 | Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2006

Leitthema

Page 6: Differenzialdiagnose des Fiebers unklarer Ursache

Charakterisierung einer Fieberepisode

und Dauer des symptomfreien Intervalls

an. Bei den meist genetisch fixierten epi-

sodischen Fiebersyndromen ist die Dau-

er des Intervalls variabel, nur wenige Pa-

tienten bieten tatsächlich ein periodisches

Fiebersyndrom mit strenger zeitlicher Ab-

folge.

> Bei rezidivierendem Fieber können Immunfefekte vorliegen

Bei rezidivierendem Fieber liegen zwi-

schen den Zeiten mit Fieber Intervalle

ohne Temperaturauffälligkeiten. In der

Anamneseerhebung kommt es darauf an,

das Fiebergeschehen z. B. des letzten hal-

ben Jahres zu objektivieren:

F Fieberhöhe im Verlauf,

F Fieberdauer,

F Begleitsymptome während des Fie-

bers,

F Dauer des fieberfreien Intervalls,

F Zustand des Kindes zwischen den

Fieberepisoden.

Oft ist die Anamnese unsicher und nicht

mehr korrekt zu rekonstruieren, sodass

man, wenn sich dies nicht wegen des

schlechten Zustandes des Kindes verbie-

tet, das Fieber prospektiv dokumentieren

und das Kind bei jeder weiteren Fieber-

episode erneut untersuchen wird.

Nur bei wenigen Erkrankungen wie

der zyklischen Neutropenie und dem

PFAPA-Syndrom findet man eine von der

Malaria bekannte Periodizität, also regel-

mäßige Wiederkehr der Fieberepisoden.

Die häufigste Ursache sind rezidi-

vierende Infekte z. B. bei Eintritt in den

Kinder garten. Nicht selten liegt gar kein

Fieber vor, sondern eine individuell er-

höhte Temperatur bei Bewegung am

Nachmittag. Wenn das Kind gut gedeiht,

abzulesen an einem unauffälligen Zu-

stand zwischen den Fieberepisoden und

Wachstum und Entwicklung entlang der

dem Kind charakteristischen Perzentilen,

ist ein abwartendes und prospektives Vor-

gehen hinreichend.

Liegt tatsächlich ein rezidivierendes

Fieber vor, müssen Immundefekte

(. Tab. 5) und episodische Fiebersyn-

drome (. Tab. 6) in Erwägung gezogen

werden.

Fazit für die Praxis

Das Fieber ungeklärter Ursache des Kin-

des- und Jugendalters sollte zügig und in

Kenntnis der breiten Differenzialdiagno-

se abgeklärt werden. Dies kann eine Her-

ausforderung darstellen. Wenn sich keine

Ursache findet und der Zustand des Kin-

des sich nicht bessert, kann die weitere

Versorgung unter intensivmedizinischen

Bedingungen in interdisziplinärer Zu-

sammenarbeit mehrerer pädiatrischer

Subdisziplinen in einem pädiatrischen

Zentrum der Maximalversorgung not-

wendig werden.

Korrespondierender AutorProf. Dr. H.-I. HuppertzProfessor-Hess-Kinderklinik, Klinikum Bremen-MitteSankt-Jürgen-Straße 1, 28205 [email protected]

Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkonflikt.

Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Ver-

bindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel

genannt ist, oder einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt

vertreibt, bestehen. Die Präsentation des Themas ist un-

abhängig und die Darstellung der Inhalte produktneutral.

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Diagnostik von Fieber mit unklarer Genese. In:

Wahn V, Dannecker G, Horneff G, Huppertz HI,

Schroten H (Hrsg) Fieber im Kindesalter. Marseille,

München, S 23–41

Tab. 6 Episodische Fiebersyndrome [9]

Diagnose Fiebercharakteristika Assoziierte Symp-

tome

Vererbung; Genort;

Gen; Genprodukt

Familiäres Mittelmeer-

fieber (FMF)

Fieber für 1–3 Tage,

Intervall variabel

Bauchschmerzen,

Brustschmerzen, Ar-

thritis, Erysipelartiger

Ausschlag

Autosomal-rezessiv;

16p13.3; MEFV; Pyrin-

Marenostrin

Hyper-IgD-Syndrom

(HIDS)

Fieber für 3–7 Tage,

Intervall variabel

Polyarthritis, Exan-

them, Lymphadeno-

pathie

Autosomal-rezessiv;

12q24; MVK; Mevalo-

natkinase

TNF-Rezeptor-assozi-

iertes periodisches Fie-

bersyndrom (TRAPS)

Fieber für Tage bis Wo-

chen, Intervall variabel

Arthritis, Pleuritis,

Konjunktivitis

Autosomal-dominant;

12p13; Gen für TNF-

Rezeptor 1; TNF-Re-

zeptor 1

Zyklische Neutropenie Alle 18–22 Tage Fieber

für 4–8 Tage

Stomatitis Autosomal-dominant;

19; ELA2; Neutrophi-

len-Elastase 2

Periodisches Fieber,

aphthöse Stomatitis,

Pharyngitis, Adenitis

(PFAPA-) Syndrom

Fieber für 3–5 Tage,

häufig regelmäßige

Wiederkehr des Fie-

bers

Aphthen, Pharyngitis,

Lymphadenitis

Nicht erblich

Chronisches infan-

tiles neurologisches,

kutanes, artikuläres

(CINCA-) Syndroma

Rezidivierendes Fieber

variabler Dauer

Klassisch: Ausschlag

schon beim Neuge-

borenen, Papillitis,

Uveitis, Meningitis,

Innenohrschwerhörig-

keit, Arthropathie

Autosomal-dominant;

1q44; CIAS1b; Cryo-

pyrin

a Anderer Name: Neonatal beginnende multisystemisch inflammatorische Erkrankung (NOMID).b Kälteinduziertes autoinflammatorisches Syndrom 1. Ein verändertes Gen wird nur bei 1/3 der Patienten mit CINCA gefunden.

609Zeitschrift für Rheumatologie 7 · 2006 |