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Jobkiller Die kommen FEINDBILD ROBOTER. Die digitale Revolution bringt immer bessere Maschinen hervor, die in wenigen Jahren Millionen von Menschen arbeitslos machen werden. 22 FORMAT 44.2014

Digitale Revolution: Die Jobkiller kommen

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Karl-Heinz Land im Interview mit Business Cover zum Thema Digitale Revolution. Warum die dunkle Seite des zweiten Zeitalter der Maschinen in wenigen Jahren weit über 100 Millionen arbeitslos machen wird. (von Rainer Himmelfreundpointner)

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FEINDBILD ROBOTER. Die digitale Revolution bringt immer bessere Maschinen hervor, die in wenigen Jahren Millionen von Menschenarbeitslos machen werden.

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PROGNOSEKahlschlag bei KopfarbeiternDie gängige Annahme, dass Digitalisierung und Automatisierung fast ausschließlich schlecht bezahlte, weniger an-spruchsvolle Jobs ver-nichtet, lässt sich nach jüngsten Forschungen nicht mehr aufrecht er-halten. In spätestens ein, zwei Dekaden sind auch die Arbeitsplätze von Millionen hochqualifi -zierten Fachkräfte, teils mit jahrelanger akademi-scher Ausbildung, durch immer bessere Compu-ter und Roboter extrem gefährdet. McKinsey rechnet mit bis zu 140 Millionen Kopfarbeiter-Jobs, die bis 2025 durch sie zerstört werden.

Digitale Revolution. Warum die dunkle Seite des zweiten Zeitalters der Maschinen in wenigen Jahren weit über 100 Millionen Menschen arbeitslos machen wird. Von Rainer Himmelfreundpointner

Manchmal kommt das Schlimmste ganz am Schluss. Zum Beispiel in der Stu-die „Die Zukunft der Beschäftigung“

der Oxford-Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne von Ende 2013. Darin ana-lysieren sie anhand des US-Arbeitsmarkts 702 unterschiedliche Berufe darauf hin, wie leicht oder wie schwer deren Tätigkeiten computeri-siert, automatisiert, digitalisiert werden kön-nen. Und so potenziell besser, schneller und bil-liger von Maschinen und Robotern zu erledigen wären. Nicht irgendwann, sondern bereits, wie Frey und Osborne prophezeien, in den nächsten zehn, maximal 20 Jahren.

Erst am Ende ihrer Untersuchung wagen sie eine Aufzählung all dieser aussterbenden Beru-fe – es ist ein grimmige rote Liste der Jobs ohne Zukunft. Als Ersten wird es wahrscheinlich Callcenter-Keilern, Verkäufern, Kreditsachbe-arbeitern, Versicherungsgutachtern oder Bib-liothekaren an den Kragen gehen. Bald darauf folgen Buchhalter in Steuerberatungskanzleien, so manche Pharma-, Agrar-, Lebensmittel- oder Zahntechniker, Kraftfahrzeuglenker sowie viele Jobs im Transport- oder Speditionswesen. Selbst Köche, Ärzte oder Juristen – also Berufs-gruppen mit einem hohen Maß an Talent, Ausbildung und Spezialistentum – sind nicht davor gefeit, von digitalen Robotern ersetzt zu werden.

Laut dieser Horrorstudie wären mehr als die Hälfte dieser Berufe relativ leicht „computeri-sierbar“. Ihr zufolge fallen in den USA 47 Pro-zent der insgesamt 150 Millionen Beschäftigten (siehe Grafi k Seite 24) in die „Hochrisikogrup-pe“ – ein Befund, der mit regionalen Ab-stufungen für alle entwickelten Länder der westlichen Welt gilt.

„In der ersten Welle werden vor allem Arbeiter, die in den Bereichen Trans-port und Logistik, Büro- und Verwal-tungsadministration und maschineller Produktion tätig sind, von Computern und Robotern ersetzt werden“, so Frey/Osborne. In der zweiten Welle der Com-puterisierung, deren Einsetzen davon abhängt, wie schnell die Forschung „di-gitale Flaschenhälse“ wie kreative und soziale Intelligenz in Bits und Bytes übersetzen kann, seien auch all jene ge-

fährdet, für deren Arbeit Eigenschaften wie Kunstfertigkeit, Verhandlungsgeschick, Über-zeugungsfähigkeit, Einfühlungsvermögen oder soziale Kompetenz gefordert sind – Therapeu-ten, Manager, Kopfarbeiter aller Art.

Kurzum: Selbst wer sich in dieser Gruppe mit heute noch geringem Risiko befi ndet, also vielfach Akademiker oder Fachleute mit hohem Bildungsgrad, könnte in gar nicht so ferner Zeit seinen Job an einen Computer verlieren. Der in-ternationale Unternehmensberater McKinsey hat dieses „Chips statt Grips“-Szenario in höchst unerfreuliche Zahlen gegossen. Er schätzt, dass bis zum Jahr 2025 auch in teils hochqualifi zierten Sektoren wie Verwaltung & Vertrieb, Bildung & Gesundheit, Management, Forschung & Entwicklung, IT, Finanzen und Recht weltweit zwischen 110 und 135 Millionen Arbeitsplätze durch Computer, Roboter oder digitale Maschinen substituiert werden.

„Viele Menschen werden feststellen müssen“, so der renommierte Ökonom Tyler Cowen von der George Mason University bei Washington,

„dass ihre Ausbildung obsolet wird.“ Auch werde diese digitale Revolution „bald mehr Arbeits-plätze zerstören, als der Markt neue Stellen scha« en kann“, befürchtet Kenneth Brant, For-schungschef bei Marktanalyse-Multi Gartner.

Exponentielle Sprengkraft. Nur zögerlich drin-gen solche düsteren Expertenschätzungen ins Bewusstsein einer breiteren Ö« entlichkeit. „Viel zu langsam“, sagt der deutsche IT-Unterneh-mensberater Karl-Heinz Land, der sich landauf, landab – wie auch kürzlich beim „Austrian In-

novation Forum“ in Wien – über deren potenzielle gesellschaftliche Spreng-kraft den Mund fusselig redet. „Unsere jetzt drei Millionen Arbeitslosen in Deutschland verkraften wir ja locker, aber bei fünf beginnt das Land zu krib-beln, bei sieben brennt der Prenzlauer Berg, und bei neun, zehn Millionen Ar-beitslosen stehen München, Köln und Stuttgart ebenfalls in Flammen“ (siehe auch Interview Seite 25).

Wie realistisch eine solche Bedro-hung ist, haben erstmals die beiden MIT-Professoren Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee in ihrem Anfang 2014

Verluste der Arbeitsplätze nach Sektoren

Quelle: McKinsey

Verwaltung, Kundendienst, Vertrieb50–60 Mio.

Bildung, Gesundheit20–30 Mio.

Management15–20 Mio.

Forschung, Entwicklung, IT

15 Mio.

Finanzen, Recht10 Mio. >

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Hohes Risiko47 % der Beschäftigten

Mittleres Risiko20 % der Beschäftigten

Geringes Risiko33 % der Beschäftigten

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Jobs die verschwinden, Jobs die bleiben Quelle: The Future of Employment, Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne

Geringste Jobgefährdung Höchste Jobgefährdung

Management und FinanzwesenComputer, Ingenieurwesen und WissenschaftBildung, Recht, Soziales, Kunst und MedienGesundheit, Pflege und MedizintechnikDienstleistungenVerkauf und VertriebBüro und VerwaltungLandwirtschaft, Fischerei und ForstwesenBau und BergbauHaustechnik, Wartung und ReparaturProduktionTransport und Spedition

auf Englisch, vor wenigen Wochen auch deutsch erschienenen Buch „The Second Maschine Age“ klargemacht. Darin schildern sie packend und verstörend zugleich, wie sich „Arbeit, Fort-schritt und Wohlstand in einer Zeit brillanter Technologien“, so der Untertitel, entwickeln werden und was auf die Menschheit im zweiten Zeitalter der Maschinen zukommt.

Die Zusammenfassung: Immer mehr Leute werden mit immer besseren, immer billigeren Hightech-Gadgets herumlaufen. Aber nur eine kleine Elite an Technologie-Superstars wird durch deren Entwicklung und Herstellung reich, während die breite Masse gleichzeitig ohne Ar-beit dastehen wird, weil ihnen überlegenere Ro-boter und Computer fast alle Jobs wegnehmen.

Während es im ersten Zeitalter der Maschi-nen, der industriellen Revolution ab Ende des 18. Jahrhunderts, „vorrangig darum ging, menschliche Muskelkraft durch mechanische Kraft zu ersetzen“, sagt McAfee, „brauchte es da-

TOP TENWelche Jobs gekillt werden1. KFZ-LENKER Egal ob Taxi oder Lkw – Kraftwagen fahren bald autonom.2. MAKLER, VERKÄUFER Face-to-Face-Transaktio-nen werden von Online-diensten ersetzt.3. AUTOINDUSTRIE Car-sharing kappt die Produk-tion um bis zu 30 Prozent.4. STAHLINDUSTRIE Jobab-bau durch 3D-Druck und weniger Nachfrage.5. BAUINDUSTRIE Maurer, Verputzer, Installateure – in Zukunft Roboter.6. MECHANIKER Roboter werden immer geschick-ter, Techniker arbeitslos.7. FINANZWESEN Bank-sachbearbeiter, Versi-cherungsgutachter: Ade.8. WERKZEUGBAU Jobver-luste wegen Produkti-onsabbau und 3D-Druck.9. BILDUNG Lehrer werden durch global verfügbare Online-Tutorials ersetzt.10. PFLEGE Selbst diese Boom-Branche sehen Experte durch Pflege-roboter bedroht.

mals immer noch Menschen für die Entwick-lung, Bedienung und Kontrolle der Maschinen.“ Mensch und Maschine waren komplementär.

Nicht jedoch in der neuen, aktuellen Ära. Durch die Fortschritte in der Erforschung der künstlichen Intelligenz werden Maschinen ei-genständig lernen, so mehr und mehr kognitive Aufgaben schneller, besser und günstiger als Menschen übernehmen und folglich in bisher ungeahntem Ausmaß humane Arbeit ersetzen.

Noch dazu in einem a�enartigem Tempo. Brauchte es damals etwa 70 Jahre, allein um die Leistungsfähigkeit der Dampfmaschine zu ver-doppeln, erfolgen die technologischen Quanten-sprünge in viel kürzeren Zeiträumen, weil sich gemäß des sogenannten „Moor’schen Gesetzes“ die Rechenleistung von Computerchips etwa alle 18 Monate verdoppelt. Warum das gerade jetzt von Bedeutung ist, erklären Brynjolfsson und McAfee sehr anschaulich am berühmten Schachbrett-Beispiel.

So habe der Erfinder des Spiels als Lohn von seinem König bloß Reiskörner erbeten, um sei-ne Familie ernähren zu können. Allerdings: ein Reiskorn für das erste Schachfeld, zwei für das zweite, vier für das dritte, acht für das vierte und so weiter und so fort. Für Feld 64 ergab das die aberwitzige Summe von 18 Quintilliarden Reis-körnern, und der König war pleite.

Übersetzt auf die Welt der Computer sei die technische Entwicklung gerade eben in die zweite Hälfte des Schachbrettes vorgedrungen. Und mit jeder Verdoppelung der Menge der be-herrschbaren Daten wird die „Digitalisierung von praktisch nun exponentiell und kombinato-risch“ voranschreiten und gleichzeitig aufgrund der Regeln der „Economies of scale“ die Kosten der jeweiligen digitalen Einheiten gegen Null treiben.

Bedrohte Ärzte, gefährdete Juristen. All dies, kombiniert mit der Verbreitung des Internets, das die Welt zu einem globalen Dorf verdichtet,

VORREITER AIRBNB. Die Online-Ferienwohnungsplatt-form hat 2013 in den USA erstmals mehr Übernachtun-gen vermittelt als die gesamte Hilton-Gruppe weltweit.

VORREITER AMAZON. Der Onlinehändler hat das traditionelle Buchhandelsgeschäft ins Wanken gebracht und ist einer Haupttreiber der digitalen Revolution.

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führe zu immer smarteren, preiswerteren und schnelleren Innovationen, denen der Mensch nichts mehr entgegenzusetzen habe. Es werde ihm, zitieren sie den berühmten Ökonomie-Kol-legen Wassily Leontief, ergehen wie dem Pferd, das nie und nimmer gegen den Traktor an-kommt, so sehr es sich auch anstrengt oder gar verschenkt wird.

Etliche neue, immer leistungsstärkere Pro-dukte belegen diese Entwicklung: Bald werden dank der Forschungen des Suchmaschinen-Gi-ganten Google Autos von selbst fahren. Roboter bauen solche Fahrzeuge fast autonom zusam-men. Handys werden zum Standard, neben de-nen jeder Tricorder aus „Raumschi� Enterprise“ wie Kinderspielzeug aussieht. Allein in Apples iPhone 4 war mehr Rechenleistung eingebaut als im schnellsten, fünf Millionen Dollar teuren Supercomputer 20 Jahre zuvor.

Im Medizinbereich erstellen inzwischen Computer wie etwa der Watson von IBM, die vorher sämtliche Gesundheitsdatenbanken in sich hineingesaugt haben, binnen Sekunden Diagnosen, für die Ärzte 160 Stunden lang Fachliteratur lesen müssen, Roboter führen chirurgische Operationsschritte durch, Scan-Software wie R2 Digital spürt in Rönt-genbildern für das menschliche Auge un-sichtbare Krebsanzeichen auf.

Auch die Juristen-Gilde wird von der di-gitalen Revolution durcheinandergewir-belt werden, wie das Beispiel des US-Energiekonzerns Constellation Ener-gy zeigt: Bis vor Kurzem waren dort 30 Anwälte damit beschäftigt, Berge von Dokumenten nach juristischen Zweifelsfällen durchzustöbern. Das beschäftigte sie bis zu 45.000 Arbeitsstunden im Jahr. Nun er-ledigt die Juristen-Suchsoft-ware Clearwell die Arbeit von Tagen in wenigen Minuten. McKinsey schätzt, dass al-

INTERVIEW

„Anpassen oder untergehen“Der deutsche IT-Unternehmensberater Karl-Heinz Land – Selbstbezeichnung: digitaler Darwinist und Evangelist – über die Folgen der digitalen Revolution.

von Rainer Himmelfreundpointner

FORMAT: Herr Land, Sie bezeichnen sich selbst als digitalen Darwinisten. Was meinen Sie damit?Land: Dass wir heute, da immer mehr Tätigkeiten, Produkte und Dienstleistungen digitalisiert wer-den, nur eine Chance haben: Adapt or die. Entweder die Menschen und die Unternehmen passen sich die-ser digitalen Revolution an, oder sie werden arbeitslos und gehen unter. Wir haben es mit einem immens disruptiven technologischen und gesellschaftlichen Trend zu tun.

Woran machen Sie das fest?Nehmen sie etwa AirBnB. Dieses Online-Ferienwohnungsportal hat gerade mal 140 Beschäftigte, aber im Vorjahr mehr Übernachtungen vermittelt als die komplette Hilton-Gruppe mit 800.000 Beschäftigten. Nehmen sie den neuen Taxidienst Uber, der überall in der Welt diesen geschützten Sektor aufmischt. Oder nehmen Sie einfach nur Ihr Handy: Das wird bald Ihre Kreditkarte, Ihre Schlüssel, Ihre Ausweise, Ihr Bank-konto und was weiß ich ersetzen.

Das heißt?Dass all die Menschen, die Sie

früher in den Bankfi lialen be-treut haben, die an der Her-stellung der Schlüssel und Ausweise arbeiten, und die

komplette Infrastruktur da-hinter, wegen der Digitali-

sierung kaum noch ge-braucht werden. Und

jetzt rede ich noch gar nicht von gro-ßen Branchen wie etwa der Auto- und Stahlindustrie, wo

die Produktion we-

gen der neuen Sharing-Angebote um 30, 40 Prozent zurückgehen wird. Und zwar in den nächsten 15, 20 Jahren.

Ist das Ihr Evangelium: Massenar-beitslosigkeit durch Digitalisierung?Nein: Mein Evangelium lautet, dass sich dadurch auch jede Menge Chancen ergeben und auf die Men-schen bessere Produkte zukommen. Aber nur dann, wenn sich die Politik und die Gesellschaft auf die enorme Sprengkraft dieser Entwicklung vorbereiten. In Deutschland ver-kraften wir unsere momentan drei Millionen Arbeitslosen jetzt ja noch locker. Aber bei fünf beginnt das Land zu kribbeln, bei sieben brennt der Prenzlauer Berg, und bei neun, zehn Millionen Arbeitslosen stehen München, Köln und Stuttgart eben-falls in Flammen.

Wie wäre das zu verhindern?Erstens: ein Bewusstsein für diese Bedrohung scha� en. Zweitens: die Arbeitszeit verkürzen und die ver-bleibende Arbeit auf alle Beschäf-tigten bei vollem Lohnausgleich aufteilen. Das sollte sich ausgehen, denn die Produkte werden ja nach wie vor, halt eben vermehrt von Ma-schinen, hergestellt, und so bleibt die Wertschöpfung vorhanden. Au-ßerdem haben auch vor hundert Jahren viele noch 60, 80 Stunden in der Woche gearbeitet, heute nicht mal mehr 40. Zusätzlich müssen wir uns über ein Grundeinkommen für alle Gedanken machen. Finan-ziert durch progressive Konsum- und Ressourcenverbrauchs-Steu-ern. Wer glaubt, sich fünf Rolls-Roy ces kaufen zu müssen, der wird eben besonders zur Kasse gebeten.

VORREITER AUTOINDUSTRIE. Fließbandroboter gehö-ren hier längst zum Alltag. Bald werden auch die letzten Fabriksarbeiter der Digitalisierung zum Opfer fallen.

„Bei fünf Millionen Arbeitslosen wird Deutschland kribbeln, ab sieben brennen.“Karl-Heinz Land Digitaler Darwinist und IT-Berater

Supercomputer 20 Jahre zuvor.Im Medizinbereich erstellen inzwischen

Computer wie etwa der Watson von IBM, die vorher sämtliche Gesundheitsdatenbanken in sich hineingesaugt haben, binnen Sekunden Diagnosen, für die Ärzte 160 Stunden lang Fachliteratur lesen müssen, Roboter führen chirurgische Operationsschritte durch, Scan-Software wie R2 Digital spürt in Rönt-genbildern für das menschliche Auge un-sichtbare Krebsanzeichen auf.

Auch die Juristen-Gilde wird von der di-gitalen Revolution durcheinandergewir-belt werden, wie das Beispiel des US-Energiekonzerns Constellation Ener-gy zeigt: Bis vor Kurzem waren dort 30 Anwälte damit beschäftigt, Berge von Dokumenten nach juristischen Zweifelsfällen durchzustöbern. Das beschäftigte sie bis zu 45.000 Arbeitsstunden im Jahr. Nun er-ledigt die Juristen-Suchsoft-ware Clearwell die Arbeit von Tagen in wenigen Minuten. McKinsey schätzt, dass al-

Schlüssel, Ihre Ausweise, Ihr Bank-konto und was weiß ich ersetzen.

Das heißt?Dass all die Menschen, die Sie

früher in den Bankfi lialen be-treut haben, die an der Her-stellung der Schlüssel und Ausweise arbeiten, und die

komplette Infrastruktur da-hinter, wegen der Digitali-

sierung kaum noch ge-braucht werden. Und

jetzt rede ich noch gar nicht von gro-ßen Branchen wie etwa der Auto- und Stahlindustrie, wo

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„Bei fünf Millionen Arbeitslosen wird Deutschland kribbeln, ab sieben brennen.“Karl-Heinz Land>

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leine in diesem Bereich die Arbeitsleistung von zehn Millionen Juristen und Finanzexperten bis 2025 digitalisiert werden könnte.

Die Liste ließe sich nahezu endlos fortsetzen: Disponenten im Handels- und Transportwesen dürften ebenso ersetzt werden wie Aktien- und Rohsto�ändler oder Leute am Bankschalter. Sekretariatsarbeiten aller Art übernehmen be-reits jetzt digitale Assistenten, und der Großteil des Verkaufspersonals sollte sich vielleicht ebenfalls lieber warm anziehen. Weil diese Jobs, so das brutale Urteil der Oxord-Forscher Frey und Osborne, trotz des Umgangs mit Menschen

„nicht zwingend hohe soziale Intelligenz erfor-dert“. Wahrscheinlich verkauft die britische En-gineered Arts deswegen ihren Serviceroboter namens Socibot bereits recht gut. Er hat ein Plastikgesicht, Kameraaugen, die die Laune des Kunden erkennen, und er kann einfache Ge-spräche führen. Kosten: Schlappe 17.600 Euro. Auch der Schweizer Lebensmittelriese Nestlé will digital aufrüsten und ab Dezember in Japan 1.000 Roboter als Verkäufer seiner Ka�eema-schinen einsetzen.

The Winner takes it all. Diese Zukunft wird zwei Arten von Gewinnern sehen. Zuerst die Konsu-menten, die sich einer nie erträumten Vielfalt von Science-Fiction-Geräten und günstigen digitalen Dienstleistun-gen erfreuen können. Aber die weit-aus größeren Profiteure dürften jene Handvoll cleverer Zeitgenossen sein, die diese Dinge erfinden, finan-zieren oder zu ihrem Vorteil nutzen. Glaubt man Brynjolfsson und Mc-Afee, werden aber in Zukunft nur noch sehr wenige Menschen den Großteil der „bounty“, der Beute, einfahren.

Zur Illustration vergleichen sie die beiden Fotografie-Unternehmen Instagram und Kodak. Instagram,

mit dessen App bislang etwa 140 Millionen Men-schen rund 17 Billionen Fotos geschossen haben, wurde nur 15 Monate nach seiner Gründung um eine Milliarde Dollar von Facebook gekauft und hat seine gerade mal ein Dutzend Gründungs-mitarbeiter steinreich gemacht. Kodak hatte am Höhepunkt seiner Geschichte 145.000 Men-schen, die meisten davon mit einem stattlichen Mittelklasse-Einkommen, beschäftigt und ist übrigens am gleichen Tag, als Instagram über-nommen wurde, bankrott gegangen.

Abgesehen davon, dass diese heraufziehende „Winner takes it all“-Ökonomie Öl auf dem Feu-er der ohnedies hitzigen Verteilungsdebatte ist, zeigen sich einige der großen volkswirtschaftli-chen Auswirkungen der digitalen Revolution auf den Arbeitmarkt bereits jetzt. Die Ökonomen der Universität Chicago Loukas Karabarbounis und Brent Neiman haben Daten aus 59 Ländern analysiert und den so genannten „Global Labor Share“ berechnet – also, grob gesagt, die Summe der Löhne und Gehälter gemessen am BIP seit 1980. Und der ist von circa 66 Prozent auf etwa 60 Prozent heute gefallen. Wohlgemerkt: Wir sind, was die Digitalisierung betri�t, erst auf der ersten Hälfte des Schachbretts angelangt.

„Die Politik müsste auf diese radikale Ent-wicklung viel schneller reagieren“, sagt Land.

Denn sonst drohe eine neue Ära der Maschinenstürmer wie zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als brotlose Weber die verhassten Webgeräte kurz und klein schlugen. So manch ein Betro�ener liebäugelt bereits jetzt mit diesem Vorbild, beispiels-weise der frühere niederländische Schach-Großmeister Hein Donner. Als er gefragt wurde, wie er sich denn auf ein Match gegen einen Computer wie etwa die Schach-maschine „Deep Blue von IBM vorbereiten würde, meinte er bloß trocken: „Mit einem Hammer.“

RISIKOGRUPPE ÄRZTE. Bereits heute übernehmen Dia gnosecomputer und chirurgische Roboter zumindest in Teilen die Arbeit von vielen Medizinern.

RISIKOGRUPPE BERUFSLENKER. Neues Carsharing, digitale Transportdienste und bald auch selbstfahrende Autos machen den Jobs des Profi-Drivers obsolet.

POLITIK3 Anti-Roboter-StrategienJede Gegenmaßnahme, um die drohende Mas-senarbeitslosigkeit durch die digitale Revolution zu verhindern, gleicht einer politischen Herkulesauf-gabe. Strategie Nummer eins: Arbeitszeitverkür-zung. Wenn immer mehr Roboter Humanarbeiten übernehmen, müsste eben die verbleibende Arbeit neu aufgeteilt werden. Und zwar in Form von kürzeren Ar-beitszeiten für Beschäf-tigte wie im Zuge der in-dustriellen Revolution. Da zumindest ein Großteil der Produkte nach wie vor hergestellt wird, blie-be die Wertschöpfung gleich, die Arbeitszeitver-kürzung könne bei vollem Lohnausgleich erfolgen. Strategie Nummer zwei: Ein vernünftiges Grund-einkommen für alle, fi-nanziert durch Konsum-steuern je nach Ressour-cenverbrauch. Strategie Nummer drei: Eine grundlegende Reform des Bildungssystems, das vorrangig auf Kreativität und Innovation Wert legt – die Hauptvoraus-setzungen, um mit neuen Produkten wie etwa Hilfsrobotern zu reüssieren.

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