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48 | W&V 9-2015 Tradition A Die bewährten Sinus-Milieus gibt es jetzt auch für Onlinekampagnen. Die Frage ist nur: Bietet das Internet nicht bereits viel bessere Datensätze? Kartoffeln für die Onliner DIGITALES TARGETING TEXT: Kay Städele Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln. Und weil Kartof- feln gemeinhin keine Hirnstimulan- zien enthalten, bleiben Bauern dumm. Hieß es. Manchmal aber können die Knollen tatsächlich schlauer machen. Dann nämlich, wenn sie vom Heidel- berger Sinus-Institut Marketern zur Verfügung gestellt werden. In ihrem sogenannten „Kartoffelmodell“ teilen die Marktforscher Zielgruppen in zehn sozioökonomische Milieus ein – in Hedonisten, Traditionelle, Expediti- ve oder Prekäre etwa. Neu daran ist, dass sie ihre Milieus nun ins Digitale übertragen haben und Mediaagenturen auch Onlinekampagnen nach dieser Zielgruppengrafik aussteuern. Allerdings müssen die Digital- planer von der Güte der Kartoffeln erst noch vollends überzeugt werden. Mit den Sinus-Milieus kommt ein jahr- zehntelang bewährtes Zielgruppen- modell ins digitale Zeitalter. Das klas- sische Marketing nutzt die Zielgrup- pen, um Produkte zu positionieren und Kampagnen zu konzipieren. In der Internetwerbung hatten die Milieus mit ihren Lebenswelten allerdings nie diese Bedeutung: Das Web bietet auf- grund seiner Datenfülle weit mehr Möglichkeiten gezielter Ansprache als die klassischen Kanäle. So stehen mit

Digitales targeting Kartoffeln für die Onliner...Die Sinus-Milieus sind ein Tool von vorgestern. 8 % Das gilt für digitale wie für klassische Kanäle. Die Sinus-Milieus sind ein

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Page 1: Digitales targeting Kartoffeln für die Onliner...Die Sinus-Milieus sind ein Tool von vorgestern. 8 % Das gilt für digitale wie für klassische Kanäle. Die Sinus-Milieus sind ein

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Tradition

A

Die bewährten Sinus-Milieus gibt es

jetzt auch für Onlinekampagnen. Die Frage ist nur:

Bietet das Internet nicht bereits viel

bessere Datensätze?

Kartoffeln für die Onliner

D i g i t a l e s t a r g e t i n g

TEXT: Kay Städele

Die dümmsten Bauern haben die dicksten Kartoffeln. Und weil Kartof­feln gemeinhin keine Hirnstimulan­zien enthalten, bleiben Bauern dumm. Hieß es. Manchmal aber können die Knollen tatsächlich schlauer machen. Dann nämlich, wenn sie vom Heidel­berger sinus­institut Marketern zur Verfügung gestellt werden. in ihrem sogenannten „Kartoffelmodell“ teilen die Marktforscher Zielgruppen in

zehn sozioökonomische Milieus ein – in Hedonisten, traditionelle, expediti­ve oder Prekäre etwa. neu daran ist, dass sie ihre Milieus nun ins Digitale übertragen haben und Mediaagenturen auch Onlinekampagnen nach dieser Zielgruppengrafik aussteuern.

allerdings müssen die Digital­planer von der güte der Kartoffeln erst noch vollends überzeugt werden. Mit den sinus­Milieus kommt ein jahr­

zehntelang bewährtes Zielgruppen­modell ins digitale Zeitalter. Das klas­sische Marketing nutzt die Zielgrup­pen, um Produkte zu positionieren und Kampagnen zu konzipieren. in der internetwerbung hatten die Milieus mit ihren lebenswelten allerdings nie diese Bedeutung: Das Web bietet auf­grund seiner Datenfülle weit mehr Möglichkeiten gezielter ansprache als die klassischen Kanäle. so stehen mit

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Oberschicht/ obere Mittelschicht

Mittlere Mittelschicht

Untere Mittelschicht/Unterschicht

Modernisierung/Individualisierung

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Daten aus User­registrierungen etwa harte angaben zu geschlecht und Wohnort zur Verfügung. Hinzu kom­men informationen aus Cookies, die surfvorlieben verraten. Facebook wie­derum kennt Freunde und interessen der nutzer, amazon die einkäufe, google die suchanfragen. smart­phones liefern Bewegungsprotokol­le  zu, und die digitale anzeigen­buchung erfolgt über programmatische

Werbeplattformen quasi in echtzeit. schwer vorzustellen, dass die im Ver­gleich groben lebenswelt­Zielgruppen in diesem Umfeld überhaupt einen Platz haben.

entsprechend uneins sind die Mediaplaner über die sinnhaftigkeit des Vorstoßes aus Heidelberg. Beim telekommunikationsunternehmen Mobilcom­Debitel kommt das Kar­toffelmodell zwar bei Produktent­

wicklung und klassischer Kampa­gnenkonzeption zum einsatz. Mar­ketingleiterin Kerstin Köder hält allerdings nichts von der Übertragung der Zielgruppen ins digitale targeting: „Online werbung kann bereits viel spitzer aussteuern und Werbung personalisieren“, sagt sie. gerade in sachen leistungsorientiertes Marke­ting glaubt sie nicht, dass die sinus­Milieus die ansprüche erfüllen.

Das Sinus- oder Kartoffelmodell teilt Konsumenten in zehn Milieus.Entwickelt wurde es 1982

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genauso denkt einer exklusiven snap­shot­Umfrage von W&V und roland Berger zufolge rund ein Viertel der Marketer in Deutschland (siehe grafik rechts). allerdings ist genau die Hälfte der Meinung, das sinus­Konzept passe auch in die digitale Welt. Denn Online­daten sind zwar stark personalisiert, aber auch sehr granular, geben also nur selten ein genaues Bild der lebens­situation des einzelnen nutzers und seiner einstellungen wider. Die erd­äpfel hingegen bieten genau das. sie können Onlinedaten also entsprechend ergänzen.

erstmals 1982 fassten die sinus­Forscher Menschen mit ähnlicher le­bensauffassung und ­weise in Milieus zusammen. Wichtig dafür sind alltags­einstellungen zu arbeit, Familie, Frei­zeit, geld und Konsum. nach zwei Jahren Vorarbeit und Daten aus über 10 000 interviews gibt es nun die digi­talen entsprechungen. Diese Über­setzung leisten Wahrscheinlichkeits­algorithmen, die das Klickverhalten analysieren. Da es sich bei den digita­len sinus­Milieus um dieselben zehn offline etablierten Zielgruppen han­delt, können Planer diese nun auch crossmedial erreichen.

Websites sollen sich automatisch anpassennicht nur die Werbebranche soll nach Wunsch der Heidelberger die Milieus online einsetzen. Publisher und Händ­ler etwa können ihre Websites auto­matisch den Besuchern anpassen, wenn die informationen zur Zielgrup­pe vorhanden sind: Die spaßorientier­

ten „Hedonisten“ erhalten dann bei einem tourismusanbieter zum Beispiel Unterhaltsames, die „expeditiven“ be­kommen angebote, um an ihre gren­zen gehen zu können.

Die Forscher um sinus­gesell­schafter norbert schäuble kooperie­ren mit dem targeting­spezialisten nugg.ad, einer tochter der Deutschen Post, die fürs Datensammeln zustän­dig ist. auf Planerseite machen OMs, axel springer Media impact, Mi­crosoft advertising und iQ Digital das sinus­targeting mit. Die große nach­frage nach den neuen digitalen Ziel­gruppen „zeigt uns, dass der Bedarf für intelligente targeting­Produkte da ist“, sagt stephan noller, CeO von nugg.ad.

auf Kundenseite nutzen vor al­lem jene Marketer die digitalen Mili­eus, die bereits im klassischen Bereich damit arbeiten, sagt linda Mozham, Commercial Director beim Zeitungs­vermarkter OMs. etwa der tourismus­anbieter tirol Werbung. Der lang­jährige sinus­Kunde hat seine Positi­onierung und sein Portfolio mit den einzelnen segmenten offline fest­gelegt  und kann jetzt bei Digital­kampagnen prüfen, ob die richtigen Zielgruppen auf die ihnen zugedach­ten angebote klicken. Der targeting­aufpreis lohne sich, sagt eckard speckbacher, leiter Medien bei tirol Werbung: Mit den neuen informa­tionen könnten das themensetting und die Produkt entwicklung ange­passt werden. Die „adaptive Website“ mit ausgesteuerten inhalten ist das nächste Ziel.

allerdings: ganz neu ist das Milieu­Konzept für die Onlineplaner

Sinus-Forscher Schäuble hat zehn Milieus ins Internet übertragen

In Berlin drängt sich die Digitalszene um Mitte, Kreuzberg und Friedrichs-hain. Großstadt gleich Geschwindig-keit. Dort hat auch der Targeting-Spezialist Nugg.ad seinen Sitz, der neue Partner des Sinus-Instituts. Die Marktforscher arbeiten dagegen in einer Villa in Heidelberg. In der Stadt am Neckar herrscht ein ganz anderes Flair: 150 000 Einwohner, malerische Altstadt und eine der ältesten Univer-sitäten Deutschlands. Die Wissen-schaft gibt den Ton an. Es zählt Ge-nauigkeit, nicht Geschwindigkeit. So konnte die Übersetzung der Milieus ins Digitale auch zwei Jahre dauern.

a M r a n D e

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nicht. Bereits 2004 hatte der Vermark­ter United internet Media (UiM) soge­nannte „Web Milieus“ auf den Markt gebracht. Diese typologie gruppiert nutzer der United­internet­Portale wie Web.de und gMX nach deren Werten und einstellungen sowie deren sozialer situation. Das von der Universität erlangen­nürnberg entwickelte Mo­dell unterscheidet ebenfalls zehn Mili­eus; ein eins­zu­eins­Vergleich mit sinus ist aufgrund verschiedener Defi­nitionen aber nicht möglich.

die schwierige Sache mit den gefühlen

Zuletzt wurden die Zielgruppen der Web Milieus laut UiM durchschnitt­lich von 20 Kunden im Jahr gebucht. Dazu gehören Finanz­, Versicherungs­ und Konsumgüterunternehmen, aber vor allem automobilhersteller. „Hier sind emotionen, einstellung und lifestyle entscheidend – soziodemo­grafische Kriterien rücken eher in den  Hintergrund“, sagt UiM­Chef rasmus giese.

gefühle spielen im schnelllebigen internetgeschäft jedoch meistens eine untergeordnete rolle. Dagegen zählen response­raten, der direkte return on investment und schlichtweg Klicks. sinus­targeting ist aber gerade für

emotionale Markenbildung prädesti­niert. laut anna neite, Director Digital Planning bei der Mediaagentur Minds­hare , kön nte n d i e d i g i t a l e n sinus­Milieus daher vor allem bei Mar­kenherstellern gefallen finden, deren Produkte sich an speziellen lebens­stilen orientieren. „Bei automarken spielt das thema Milieu von jeher eine große rolle und stößt damit natürlich auf offene Ohren“, sagt neite. aber auch bei spirituosen könne es in diese richtung gehen.

Christian Franzen zufolge, spre­cher des Fachkreises Online­Media­agenturen im Bundesverband Digitale Wirtschaft, sieht wiederum große Chancen in der technischen Verknüp­fung der Zielgruppendaten mit den realtime­advertising­Plattformen. noch mehr Onlineübersetzungen klas­sischer Konzepte braucht Franzen al­lerdings nicht: „Viel eher sehe ich den Bedarf, in die Belastbarkeit von beste­henden Konzepten zu investieren“, sagt der Foma­sprecher.

Die Planer mahnen vor allem, die Qualität der Daten zu erhöhen, damit es die Zielgruppenmodelle mit den Datenbeständen der Us­riesen auf­nehmen können. Oder anders ausge­drückt: es obliegt also den Marktfor­schern, für die Branche die Kartoffeln aus dem Feuer zu [email protected]

Das Sinus-Institut hat sein Zielgruppenmodell digitalisiert: Einzelne Milieus wie Hedonisten, Performer und Prekäre lassen sich nun per Targeting direkt ansprechen. Doch brauchen das die Mediaplaner und Marketer überhaupt?

ein zeitgemäßes Modell?

das Umfrageergebnis

Umfrage unter 188 Marketingentscheidern in Deutschland. Teilnehmerbasis: n = 48.Quelle: Roland Berger Strategy Consultants, Münchner Gespräche und W&V ©

27 %Die Hilfskonstruktion Zielgruppe ist überholt. In der digitalen Gegenwart zählt der Abverkauf.

8 %Die Sinus-Milieus sind ein Tool von vorgestern. Das gilt für digitale wie für klassische Kanäle.

50 %Die Sinus-Milieus sind ein wichtiges Tool in der klassischen und digitalen Marketingplanung.

15 %Keine Angaben

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