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Tagung „Chancen für Frauen im Digitalisierungsprozess“ Digitalisierung: Wie Frauen gewinnen können Hannover, 29.4.1017 Landesfrauenrat Niedersachsen e.V. / Friedrich-Ebert- Stiftung, Landesbüro Niedersachsen Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission Arbeit der Zukunft“, Hans-Böckler-Stiftung

Digitalisierung: Wie Frauen gewinnen können · Digitalisierung verändert über die Vetriebsformen in Richtung Internethandel das Gesicht der Berufe: 10,7 -> 10,1 % (-> Logistik,

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Tagung „Chancen für Frauen im Digitalisierungsprozess“

Digitalisierung: Wie Frauen gewinnen können

Hannover, 29.4.1017

Landesfrauenrat Niedersachsen e.V. / Friedrich-Ebert-

Stiftung, Landesbüro Niedersachsen

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“, Hans-Böckler-Stiftung

Seite 2

Die Rolle von Gender im digitalen Wandel

• Phänomene: -> Was meinen wir mit Digitalisierung – und was bedeutet das für

die Geschlechterverhältnisse?

• Chancen und Mythen

• Noch viel zu tun … (Befunde aus dem DGB-Index „gute Arbeit“)

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 3

Umkämpftes Feld: Bedeutung der Digitalisierung

Digitalisierung als markanteste Veränderung der Arbeit: Wir betreten soeben das »Zweite

Maschinenzeitalter« (Erik Brynjolfsson/Andrew McAfee, MIT).

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 4

Umkämpftes Feld: Bedeutung der Digitalisierung

„Don‘t believe the Hype!“

(Evgeny Morozov)

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 5

Umkämpftes Feld: Bedeutung der Digitalisierung

Digitalisierung =

• umfassender Transformationsprozess

• betrifft nahezu alle Branchen &

• die gesamte Gesellschaft (Alltagspraktiken, kulturelle Veränderung)

• verändert Produktionsweisen, Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten,

Arbeitskulturen und Denkweisen ….

… und somit natürlich auch: Geschlechterfragen!

Digitalisierungsdebatte war zunächst:

• Technikzentriert (acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften)

• „Industrie 4.0“-zentriert (Rationalisierung, Flexibilisierung, vernetzte Wertschöpfung)

• Wettbewerbszentriert

• männlich (= geschlechterblind)

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 6

Technologisierungsschübe -> Neuverhandlung von Geschlechterverhältnissen,

Aufbrechen alter Strukturen?

„Jede neue Technologie kann Anlass sein,

Geschlechterverhältnisse neu zu verhandeln,

Machtverhältnisse, Rollenzuschreibungen,

Arbeitsteilung zu hinterfragen.“

(Judy Wajcmann 1994, nach Tanja Carstensen 2015)

Judy Wajcman ist Professorin an der London School of Economics and Political Science und ist Leiterin

des Departments für Soziologie. Sie kann als eine der wichtigsten Vertreterinnen der feministischen

Techniksoziologie bezeichnet werden.

Tanja Carstensen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Soziologie der Ludwig-Maximilian-

Universität München

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Fortschritt – auch für das Geschlechterverhältnis?

Seite 7

Wofür steht 4.0? – neue Stufe von was?

1.0: Dampfmaschine, Webstuhl, Fabrikarbeit (Männer, Frauen, Kinder)

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 8

Wofür steht 4.0? – neue Stufe von was?

2.0: Fließband, Fordismus, Taylorismus, Trennung der Sphären/Geschlechter

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 9

Digitalisierung – hat das was mit „Gender“ zutun?

3.0: Einzug des Computers in die Produktion und das halbmodernisierte

Geschlechterverhältnis

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 10

Digitalisierung – hat das was mit „Gender“ zutun?

4.0: Vernetzung von allem mit allem; Verflüssigung alter Strukturen

(Branchengrenzen, Abteilungsgrenzen etc.) => Gender 4.0?

Die Janus-köpfige Digitalisierung

Chancen: Digitalisierung als Prozess, der dazu führen kann,

Geschlechterungleichheit zu verringern -> „Disruption“ von Branchen,

Arbeitsorganisation, Machtverhältnissen.

Risiken: Digitalisierung als Prozess, der dazu führen kann, dass sich

Geschlechterungleichheit verfestigt.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 11

Quelle: BMAS

Technologie und Globalisierung verändern

Wirtschaft und Gesellschaft

Exponentielle Steigerung der Leistung der IT-Systeme

Vernetzung von Menschen

und Dingen

Big Data

Clouds

Neue Technologien: Mobile Geräte, Robotik, 3-D-

Druck

Wandel des Konsums

Seite 12

Kommission „Arbeit der Zukunft“: 4 Perspektiven

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Seite 13

- Mythos 1: Im Zuge der Digitalisierung verschwinden hauptsächlich

„Männerarbeitsplätze“.

- Mythos 2: Mobiles Arbeit löst (alle) Vereinbarkeitsprobleme.

- Mythos 3: In Zukunft kommt in erster Linie darauf an, programmieren zu lernen.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft

Mythen des Digitalisierungsdiskurses

Seite 14

Mythos 1:

Im Zuge der Digitalisierung verschwinden hauptsächlich

„Männerarbeitsplätze“.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft

Beschäftigungsprognosen

Seite 15

Trend 1: Abnahme Fertigungsberufe

Produktionsbezogene Berufe bei der Rohstoffgewinnung, den be-, verarbeitenden und

instandsetzenden Tätigkeiten sowie den Maschinen und Anlagen steuernden und

wartenden Arbeiten

-> Rückgang zwischen 2005 und 2030 um 3,2 Prozentpunkte -> auf 19 Prozent der

Beschäftigten.

Trend 2: (Leichte) Zunahme MINT-Berufe

(Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik)

-> Von 8,5 auf 8,6 Prozent

-> Engpässe erwartet

-> Frauenanteil wächst zurzeit nicht.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Verschwinden nur typische „Männerberufe“?

Seite 16

Projektion der Beschäftigung bis 2030 (QuBe-Projekt)

Dienstleistungsberufe: Polarisierung (marktnahe -> personenbezogene DL)

Trend 3: Feminisierung des Arbeitsmarktes:

Stärkste Expansion: personenbezogene Dienstleistungen

-> Beherbergungsgewerbe und Gastronomie: Anstieg von 10 Prozent

-> Bildung, Erziehung, Gesundheit, Pflege -> auf zwischen1/3 und ¼ der

Erwerbsbevölkerung

-> Interaktion als dominante Erwerbsform.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Verschwinden nur typische „Männerberufe“?

Seite 17

Trend 4: Automatisierung der „Lieblings-Frauenberufe“:

Warenhandel und Vertrieb + Büro- und Verwaltungstätigkeit

Beide Berufshauptfelder verlieren sowohl absolut als auch relativ in ihrem Anteil an den

Gesamterwerbstätigen an Gewicht.

Büro- und Verwaltungstätigkeiten: 17,5 -> 13,7 % (Rationalisierung / Digitalisierung)

Warenhandel: Schon immer im Wandel: -> Einführung der Selbstbedienung seit Ende der

50er

Digitalisierung verändert über die Vetriebsformen in Richtung Internethandel das Gesicht

der Berufe: 10,7 -> 10,1 % (-> Logistik, Lager, Verpackung); nächste Welle der

Selbstbedienung in Sicht

Chancen: Neue Berufsfelder für Frauen in den MINT-Berufen + Aufwertung der sozialen

Dienstleistungen!

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Verschwinden nur typische „Männerberufe“?

Seite 18

Mythos 2:

Mobiles Arbeit löst (alle) Vereinbarkeitsprobleme.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft

Mobiles Arbeiten

Seite 19

„Telearbeit 4.0“: Dank Internet und Smartphone: Arbeit entkoppelt sich von Ort und Zeit –

zumindest teilweise und potenziell.

BMAS: Monitor „Mobiles und entgrenztes Arbeiten“:

In Deutschland herrscht immer noch eine starke Anwesenheitskultur. In vielen Berufen

fehlen die technischen oder strukturellen Voraussetzungen für mobiles Arbeit.

1/3 Betriebe bietet Beschäftigten die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten. Bei

Betrieben mit über 500 Beschäftigten ist es die Hälfte.

In den meisten Unternehmen, die Homeoffice anbieten, ist dies keine Arbeitsform für

den Alltag und nur unregelmäßig möglich.

Nutzung von Homeoffice hat seit 2013 nicht zugenommen.

Wir wissen nicht, wer mobil arbeitet und wie oft -> 2. IG Metall Beschäftigtenbefragung im

Mai!

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Mobiles Arbeiten löst alle Vereinbarkeitsprobleme?

Seite 20

Außerdem:

- Totale Entgrenzung ist das Gegenteil von Vereinbarkeit.

- Auch droht eine neue Individualisierung der Vereinbarkeitsdebatte nach dem Motto:

„Technik macht es möglich; wer es nicht hinbekommt, ist selber Schuld.“

- Homeoffice bzw. mobiles Arbeiten als Vereinbarkeitsstrategie ist zweischneidiges

Schwert: „unsichtbare“ Arbeit am Küchentisch bei gleichzeitiger Präsenzkultur mindert

möglicherweise Aufstiegschancen im Betrieb.

- Wichtig: Begrenzte Entgrenzung, Erwartungs-Management, Betriebsvereinbarungen

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Mobiles Arbeiten löst alle Vereinbarkeitsprobleme?

Seite 21

Ungleiche Effekte von mobilem Arbeiten:

Studie zu flexiblen Arbeitszeiten: Dr. Yvonne Lott (HBS) und Dr. Heejung Chung (Univ. of Kent):

- selbstbestimmte Arbeitszeiten verstärken die bestehende Geschlechterungleichheit

- Daten des sozio-oekonomischen Panels (SOEP) aus den Jahren 2003 bis 2011: 45

Prozent haben feste Arbeitszeiten; ein Fünftel hat wechselnde Arbeitszeiten, die der

Arbeitgeber vorgibt; knapp ein Viertel Gleitzeit; ein Zehntel hat volle Autonomie über die

Arbeitszeit

- Gravierende Unterschiede zwischen Frauen und Männern gibt es hier kaum.

- Aber: interessanter geschlechtsspezifischen Effekt bei den Einkommen: Bei

männlichen Beschäftigten steigt der Jahresbruttolohn im Schnitt um 1.200 Euro bei

Gleitzeit und um 2.400 Euro bei vollständiger Arbeitszeitautonomie; bei Frauen:

keine Bewegung

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Mobiles Arbeiten löst alle Vereinbarkeitsprobleme?

Seite 22

Fazit der Studie:

Männer verlängern mit mobilem Arbeiten ihren Arbeitstag und sammeln Punkte im

beruflichen „Rattenrennen“.

Frauen passen mit mobilem Arbeiten ihren Arbeitstag den familiären Bedarfen an.

Also: Rahmenbedingungen müssen sich ebenfalls ändern! -> Gleicher Zugang zu mobilem

Arbeiten (gesetzlicher Anspruch), aber auch: Geschlechterrollen, Abkehr von der

Vollzeitnorm, Familienpolitik (z.B. Familienarbeitszeit), betriebliche Ansprache

Chancen: Bessere Vereinbarkeit für Frauen UND Männer; Schließen des „Gender-Time-

Gaps“; Aufbrechen der Präsenzkultur

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Mobiles Arbeiten löst alle Vereinbarkeitsprobleme?

Seite 23

Mythos 3:

In Zukunft kommt in erster Linie darauf an,

programmieren zu lernen.

.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft

Arbeitsorganisation und Tätigkeiten

Seite 24

Forschungsprojekt: Digitaler Umbruch von Arbeit: Ein neuer Möglichkeitsraum für Frauen?

(in technischen Berufen) – ISF München und Univ. Erlangen / Dr. Kira Marrs

Systeme von Führung, Organisation und Repräsentation verändern sich:

- Flache Hierarchien: Neue Marktdynamik kann man nicht mit hierarchischen Strukturen

bewältigen (zu langsam) – „agile“ Netzwerkstrukturen

- Abschied vom Alpha-Leader: Normalisierung von Führung; primus/prima inter pares,

Führen auf Zeit, „Top-Sharing“– Führung wird „weiblicher“

- Führung als Teamaufgabe: Ende der einsamen Entscheidungen; Komplexität erfordert

plurale Führungsteams: „Der durchsetzungsstarke Macher gehört zur alten Welt.“

- Flüssige Strukturen: Abkehr von Silo-Denken: Abteilungsübergreifende Kooperation

statt „jeder beackert seinen Hinterhof“

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Nur programmieren lernen?

Seite 25

- Neubewertung von weiblich konnotierten Fähigkeiten: Kooperationsfähigkeit nicht „nice

to have“, sondern zentrale Ressource; Kommunikationsfähigkeit zentral im „flow of

informations“

- Abschied von der Technikfixierung; Aufbrechen von homogenen Fachkulturen (bislang

oft Grund von Drop-Outs); der Kunde rückt näher ...

- Abschied von der „Normalbiografie“ als Leitbild: lineare Karrieren sind nicht mehr das

Maß aller Dinge; „männliche Standardkarriere“ als Auslaufmodell

- Abschied von der Präsenzkultur: „always on“, aber nicht immer im Büro (Janina Kugel:

Arbeitsdirektorin Siemens AG: „Mich kann man nicht langen Präsenzzeiten im Büro

beindrucken, ich bin ja selber nie da!“

Chancen: Arbeitsorganisation (bislang „männlich“ strukturiert) wird neu erfunden.

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Nur programmieren lernen?

Seite 26

DGB-Index „Gute Arbeit“

2016: Schwerpunkt Digitalisierung

Anlässlich des Internationalen Frauentags: Sonderauswertung zu den Folgen

der Digitalisierung aus der Perspektive weiblicher Beschäftigter

Zentrale Befunde (geschlechtsspezifisch):

➔ Frauen haben seltener als Männer die Möglichkeit, den Einsatz digitaler Techniken zu

beeinflussen (69% / 79%).

➔ Digitales Arbeiten führt bei Frauen etwas häufiger als bei Männern zu mehr

Arbeitsbelastung (52% / 47%).

➔ Frauen fühlen sich digitalen Techniken öfter als Männer ausgeliefert (52% / 43%).

Christina Schildmann / Leitung wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Noch viel zu tun …

Seite 27

Das wissenschaftliche Sekretariat

Wissenschaftliches Sekretariat der Kommission „Arbeit der Zukunft“

Christina Schildmann (Leitung),

Lisa Schrepf, Annekathrin Müller

Hans-Böckler-Stiftung

Reinhardtstraße 38, 10117 Berlin

Tel.: 0211-7778-654

Mobil: 0170 922 1711

Fax: 0211-7778-4-654

E-Mail: [email protected]

www.kommission-arbeit-der-zukunft.de

www.boeckler.de

Kontakt

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