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EVANGELISCHE HOCHSCHULE LUDWIGSBURG Hochschule für Soziale Arbeit, Diakonie und Religionspädagogik University of Applied Siences Diplomarbeit von Christian Hofer Pfadfinderpädagogik ein ganzheitliches handlungsorientiertes Erziehungskonzept . Auseinandersetzung auf der Grundlage von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in aktuellem Scoutismus und moderner Erlebnispädagogik. Gegenüberstellung der historischen Erziehungsentwürfe und dem Leben der jeweils zentralen Personen, Kurt Hahn und Robert Baden-Powell. Betreut von: Albrecht Walter Dr. Thomas Fliege

Diplomarbeit - DPSG · PDF fileihrem Gründer Robert Baden-Powell, sowie mit modernen Weltpfadfinderbewegungen und einem ihrer Verbände, der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg

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EVANGELISCHE HOCHSCHULE LUDWIGSBURG

Hochschule für Soziale Arbeit, Diakonie und Religionspädagogik

University of Applied Siences

Diplomarbeit

von Christian Hofer

Pfadfinderpädagogik

ein ganzheitliches handlungsorientiertes Erziehungskonzept.

Auseinandersetzung auf der Grundlage von

…Gemeinsamkeiten und Unterschieden in aktuellem Scoutismus und moderner

Erlebnispädagogik.

…Gegenüberstellung der historischen Erziehungsentwürfe und dem Leben der jeweils

zentralen Personen, Kurt Hahn und Robert Baden-Powell.

Betreut von:

Albrecht Walter

Dr. Thomas Fliege

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Vorgelegt am Freitag den 27. November 2009

von Christian Hofer

Panoramastr. 40

71263 Weil der Stadt

Glücklich zu sein ist nicht das Wichtigste im Leben,

sondern lebendig zu sein. Zu leiden ist nicht das

Schlimmste im Leben, das Schlimmste ist die

Gleichgültigkeit. Leiden wir, dann können wir versuchen,

die Ursache des Leides zu beseitigen. Fühlen wir

hingegen gar nichts, sind wir gelähmt.

Erich Fromm

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Widmung:

Den wichtigen Menschen meines Lebens:

Widmen möchte ich diese Arbeit all den Menschen,

Die mir persönlich auf meinem Weg durch ihre Gesellichkeit

zu so mancher Entwickelung verhalfen.

Den Personen die mir in Nöten mit konkreten

Handlungen und weiterer Orientierung zur Seite standen,

um auch im Dunkeln den rechten Pfad zu finden.

Auch den Menschen mit denen ich

intensive Erlebnisse während meines Studiums der Pädagogik teilte,

der Spaß in bierseliger Runde zeugte von guter Gesellschaft

Ein Reim zu guter letzt:

Vom nächtelangen Stündchen im Laster

bis zum Raki im Pinar,

Leute es war wunderbar.

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Gliederung:

1. Einleitung 1 2. Der Ursprung der Pfadfinderbewegung 3 2.1 Zeitgeschichtliche Einordnung: 3

2.2 Baden-Powells Lebenslauf 4

2.3 Einordnung und Wurzeln Baden-Powells Gedankenguts 5

2.4 Lebensphilosophie Baden-Powells 7

3. Die Grundlagen der Pfadfinderbewegung 9 3.1 Pfadfindererziehung im Wandel 9

3.2 Die Säulen Baden-Powells staatsbürgerliche Erziehung durch Scouting 9

3.2.1 Charakter 10

3.2.2 Gesundheit / körperliche Entwicklung 11

3.2.3 Karriere/ handwerkliches Können 12

3.2.4 Nächstendienst 13

4. Pfadfindererziehung heute 15 4.1 Die Welt der Pfadfinderbewegung 15

4.1.1 Prinzipien 16

4.1.2 Ziele 18

4.1.3 Methode 20

4.2 Die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg 22

4.2.1 Selbstverständnis des Verbandes 23

4.2.2 Grundorientierungen der DPSG: 24

4.2.3 Pfadfinderische Methode in der DPSG 25

4.2.4 Ausbildungssystem 25

4.2.5 Ordnung und Wirklichkeit 27

5. Hirnforschung 29 6. Erlebnispädagogik 32 6.1 Der Begriff Erlebnis 32

6.2 Definitionen von Erlebnispädagogik 33

6.3 Entwicklung der Erlebnispädagogik: 34

6.3.1 Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) 34

6.3.2 David Henry Thoreau (1817 – 1862) 35

6.3.3 Die Reformpädagogik 1890 - 1933 36

6.3.3 Kurt Hahn (1886 - 1974) 38

6.4 Die moderne Erlebnispädagogik 40

6.4.1 Grundlagen und Ziele von Erlebnispädagogik 40

6.4.2 Wirkungsmodelle der Erlebnispädagogik 43

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7. Erlebnispädagogik und Pfadfinderpädagogik im Vergleich 46 7.1 Historischer Vergleich 46

7.1.1 Gesellschaftliche Missstände als Ausgangssituation für die Überlegungen

Hahns und B.P.s 47

7.1.2 Vergleich von Hahns Erlebnistherapie und Baden-Powells Erziehungszielen 48

7.2 Methodische Parallelen 53

7.2.1 Learning by doing (Vergleiche 4.1.3) 55

7.2.2 Gruppensteuerung / Selbsterziehung 56

7.2.3 Ganzheitliches Lernen 57

7.2.4 Reflexion 57

7.2.6 Vermittlung von Einfachheit 58

7.2.5 Herausforderungen 58

7.2.6 Religiöse Dimension 61

7.2.7 Abenteuer 62

7.4.8 Zeitrahmen 63

7.3 Vergleich der Praktischen Ausformung 64

7.4.1 Unterschiede von Erlebnispädagogik und Pfadfinderpädagogik 65

7.4.2 Ehrenamt oder Erwerbsarbeit 66

7.4.3 Ethos 67

7.4.4 Pfadfinder - ein Erziehungskonzept, Erlebnispädagogik - eine Methode 67

7.4.5 Fokus Transfer 68

7.4.6 Gesellschaftliches und politisches Engagement 69

7.4.7 Theoretische Fundierung 69

7.4.8 Authentische Situationen 69

8. Exkurs: Ganzheitlicher Bildungsansatz (Gesamtgesellschaftlich) 71 8.1 Kann die Pfadfinderpädagogik als ganzheitlicher Bildungsansatz

wirken und lässt sie in der Umsetzung diesen Grundsatz zu?

73

9. Schluss 76 9.1 Wo liegen die wichtigen Momente der Arbeit? Was kommt mir am

Ende in den Sinn?

76

9.2 Wie haben sich meine zu Anfang der Diplomarbeitszeit gestellten

Arbeitshypothesen entwickelt?

77

9.3 Zu guter letzt 80

10. Erklärung über die eigenständige Anfertigung dieser Diplomarbeit 81

11. Literaturliste 82

Anhang

Interview

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1. Einleitung

Wer bist du, wo stehst du, wie stehst du da, was zeichnet dich aus, wie bist du an diesen

Punkt gelangt? Wer oder was hat dich auf diesem Weg besonders beeinflusst?

Die Antwort auf diese Fragen sind in jedem Fall gefühlsbetont. Klassische Faktoren

sind, besonders enge Bindungen zu bestimmten Personen (meist Familie) und intensive

Erlebnisse (positiv sowie negativ).

Für meine Entwicklung würde ich, nach meiner Familie, die Pfadfinder als

entscheidenden Faktor nennen. Ab meinem 8. Lebensjahr war ich bei den Pfadfindern

und durchlief sämtliche Altersstufen, bis hin zu einer über sieben Jahre andauernden

Leitertätigkeit. Von 2007 bis 2009 fand ich mich im Vorstand wieder.

Es ist schwer einem `nicht Pfadfinder´ zu beschreiben, was dies für das eigene Leben

bedeutet. Ich wäre sicher ein ganz anderer Mensch geworden und stände wahrscheinlich

nicht vor dem Abschluss meines Sozialpädagogik Studiums.

Meine Begeisterung für Outdoor Sport, meine Sozialkompetenz, mein Habitus, die

Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit Problemlagen und viele weitere meiner

Charakterzüge wurden durch die Pfadfinder stark beeinflusst. Damit hat diese

Bewegung meinen Lebensweg entscheidend geprägt.

Schließlich sind die Pfadfinder auch meine Eintrittskarte zum weiten Berufsfeld der

erlebnispädagogischen Aktivitäten, da sie mir die nötigen Fähigkeiten dafür vermittelt

haben.

Daher lag auch der Entschluss zu diesem Diplomarbeitsthema nahe.

Die Erschließung der Thematik ist folgendermaßen aufgebaut:

In Teil zwei bis vier beschäftige ich mich mit der Vergangenheit der Pfadfinder und

ihrem Gründer Robert Baden-Powell, sowie mit modernen Weltpfadfinderbewegungen

und einem ihrer Verbände, der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg.

In Teil fünf werfe ich einen kleinen Blick auf aktuelle Entwicklungen der

Neurowissenschaften und stelle die relevanten Erkenntnisse in Bezug zur Thematik.

Der sechste Teil gibt mit geschichtlichen Aspekten, insbesondere der Person Kurt

Hahn, und einem Einblick in die moderne Erlebnispädogogik einen Überblick über

diese Form der Pädagogik.

Im umfangreichen siebten Teil werden Pfadfinder- und Erlebnispädagogik

nebeneinander gestellt und verglichen. Zuerst die historische Betrachtung, Baden-

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Powells und Hahns, samt ihren Erziehungsmodellen, dann die aktuellen

Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Unter Punkt Acht findet sich ein Exkurs zu einem aktuellen Thema in der

Pfadfinderbewegung, das nur sekundär mit dieser Arbeit zu tun hat. Es wird der Aspekt

des Zugangs untersucht. Welche Kinder und Jugendlichen finden sich in der DPSG

wieder, was können wir daraus schließen und was heißt das für die weitere

Entwicklung.

Ich habe das Thema aufgrund meines großen Interesses, nach dem Scheitern der

geplanten quantitativen Erhebung, trotzdem bearbeitet, da es die gesellschaftspolitische

Komponente aufgreift und ein Beispiel für die permanente Weiterentwicklung der

Pfadfinderbewegung ist.

Anmerkungen zu dieser Arbeit:

Ein Körnchen Subjektivität wirkt als Geschmacksverstärker.

Aufgrund meiner persönlichen Verbindung betrachte ich möglicherweise die

Pfadfinderbewegung an manchen Stellen aus einem voreingenommenen Blickwinkel.

Ich habe mich um Objektivität bemüht, halte es dennoch für nötig das an dieser Stelle

zu erwähnen.

Ich habe versucht meine Aussagen möglichst literarisch zu belegen, doch an einigen

Stellen gehen sie zurück auf mein Wissen über die Pfadfinderbewegung und über die

Erlebnispädagogik aus der Praxis, sowie aus zurückliegender theoretischer

Beschäftigung aus persönlichem Interresse.

Ich habe in dieser Arbeit, aufgrund meiner Prägung und Gewöhnung, die in diesem Fall

kritisch zu betrachten ist, zumeist die männliche Ausdrucksform verwendet. Ich bitte

um Nachsicht und halte fest, dass trotz dieser einseitigen Formulierung immer beide

Geschlechter gemeint sind.

Diese Ausarbeitung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll einen Einblick

in verschiedene Bereiche und ihre Vernetzung geben, und zur weiteren Beschäftigung

mit dem Thema anregen.

Auch wird eine gewisse Vorkenntnis bezüglich mancher Begriffe, die nicht alle erklärt

werden können, vorausgesetzt.

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2. Der Ursprung der Pfadfinderbewegung

2.1 Zeitgeschichtliche Einordnung:

Das Leben Baden-Powells und die Gründung der Pfadfinder fallen in die Viktorianische

Epoche. Charakteristisch für diese Epoche sind wachsender Wohlstand, imperialistische

Expansion und kulturelle Verflachung. Die strenge Beachtung gesellschaftlicher

Konventionen, wie Frömmigkeit und Rechtschaffenheit, wurde, zumindest nach außen

hin, hoch gehalten. Die Prüderie war offiziell verordnet und kann als Kennwort der Zeit

gesehen werden. Das äußerst konservative Viktorianische Bürgertum versuchte sich

nach Kräften gegenüber niederen Klassen abzuschotten. Äußerlich zeigten sie dies

durch eine strenge Kleiderordnung.

England entwickelte sich zur größten politischen Weltmacht, deren Antrieb die

Kolonialisierung, technologischer Fortschritt und die damit verbundene

Industrialisierung waren. Aufgrund von wissenschaftlichen und technischen

Errungenschaften entstand ein rascher Wandel von Lebensgewohnheiten, verbunden mit

einem Gefühl des Sieges über die Natur.

(Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Viktorianische_Epoche)

In der Anfangszeit der Kolonialwirtschaft wurden unbekannte Gebiete durch

Geographen und Abenteurer, beispielsweise Henry, erforscht. Christliche Missionare,

wie David Livingstone, zogen aus, um die `Christliche Heilslehre´ zu verbreiten. Zur

damaligen Zeit blickten die englischen Jungen mit Bewunderung und

Nacheiferungswillen zu diesen Vorbildern auf. Auch in Baden-Powells Schriften

werden diese `Prototypen des Pfadfinders´ mit erstrebenswerten Eigenschaften

idealisiert. Die Kehrseiten dieser Politik wurden weder angeprangert, noch moralisch

verurteilt. Wo es zum Widerstand kam, wurde dieser mit militärischer Überlegenheit

niedergeschlagen. (Vgl.: Johannes Winter S.59)

Die Industrialisierung brachte gravierende gesellschaftliche Umschichtungen mit sich.

Die wichtigsten Merkmale waren die rasant fortschreitende Landflucht,

beziehungsweise Metropolisierung, Bevölkerungswachstum und eine radikale Zwei-

Klassen-Gesellschaft. Es gab einerseits großen, schnell wachsenden Reichtum und auf

der anderen Seite bittere Armut in den Elendsvierteln der Arbeiter, wo Menschen

verhungerten und Seuchen kursierten.

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Den Kindern der Unterschicht ging es zu dieser Zeit besonders schlecht. Sie wurden oft

zu schwerer Arbeit gezwungen, da ihre Eltern sie nicht ernähren konnten. Waisenkinder

wurden in Arbeitshäusern ausgebeutet. Im Allgemeinen wurden kindliche

Eigenschaften, wie Verspieltheit, Vergnügtheit und Unbeschwertheit, als

auszutreibende Verhaltensweisen betrachtet.

Ab 1850 wurde die außenpolitische Situation immer unruhiger. In den Kolonien

formierte sich Widerstand und auch mit den anderen Kolonialmächten waren

Auseinandersetzungen zu befürchten. Überall drohten Kriege. Innenpolitisch gab es

Spannungen zwischen den höheren Klassen und den Armen, die mit der Kraft der

Verzweiflung aufbegehrten.

2.2 Baden-Powells Lebenslauf

Der Lebenslauf dient der Einordnung von B.P.sLebensstationen. Eine ausführliche

biographische Auseinandersetzung mit seinem außerordentlich erfüllten, abwechslungs-

und erlebnisreichen Lebens, würde den Rahmen dieser Arbeit übersteigen. Im Buch

`Der Wolf, der nie schläft´ werden Teile seines Leben in Erzählform ansprechend

wiedergegeben.

Am 22. Febr. 1857 wird Robert Stephenson Smyth Powell in London geboren. Von

1870-1876 besucht er die Charterhouse-Schule. Aufgrund seiner mittelmäßigen Noten

bleibt ihm ein Studium verwährt, weshalb er sich 1876 für eine militärische Laufbahn

entscheidet (Ableistung des Militärdienstes in Indien und Afrika; Erfahrungen in der

Kundschaftertätigkeit und -ausbildung) entscheidende Stationen dieser sind: 1899

Verteidigung von Mafeking im Burenkrieg (B.-P. wird zum Kriegsheld und zum Idol

der englischen Jugend); 1900 Beförderung zum Generalmajor mit 43 Jahren und Beginn

des Aufbaus der südafrikanischen Polizeitruppe (S.A.C.) 1903 Ernennung zum

Generalinspekteur der Kavallerie für Großbritannien und Irland.

Auf der Basis seiner Erfahrungen im Aufbau S.A.C.- und Kundschafterausbildung, und

Aufgrund der indirekten Aufforderung der englischen Jugend, für die sein Buch zum

Kundschafterwesen als Spielanleitung dient, erkennt B.-P. die Möglichkeiten einer

erzieherischen Einflussnahme durch Scouting. Er konkretisiert seine Ideen 1907 auf

einem Probelager mit den ersten Boy Scouts auf der Insel Brownsea und schreibt

danach sein Hauptwerk `Scouting for Boys´, welches 1908 erscheint. 1910 nimmt B.-P.

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endgültig Abschied von der Armee, um sich ganz dem Aufbau der Pfadfinderbewegung

widmen zu können. 1916 Ausarbeitung eines Konzepts für die weitere Ausweitung der

Pfadfinderbewegung auf jüngere Kinder und Mädchen (Wölflingsstufe u. Girl Guides).

1919 weitere methodische Ausarbeitung, bezogen auf ältere Pfadfinder (Roverstufe).

1920 findet das erste World Jamboree in der Olympiahalle in London statt (ca. 5000

Teilnehmer aus 34 Staaten). 1929 wird B.-P. in den Adelsstand erhoben. Bis 1937 setzt

sich Baden-Powell mit zahlreichen Veröffentlichungen und seinem praktischen Einsatz

für die Weiterentwicklung der Weltpfadfinderbewegung ein. Seinen Lebensabend

verbringt er mit seiner Frau in Nyeri (am Fuße des Mount Kenya). Am 8. Jan. 1941

stirbt Robert Stephenson Smith Baden-Powell loard of Gilwell in Nyeri/Kenia und wird

dort beerdigt. (Vgl. Gerr 2009 S. 106f)

2.3 Einordnung und Wurzeln Baden-Powells Gedankenguts

Die Entwicklung Baden-Powells Erziehungssystems muss hauptsächlich vor seinem

familiären und militärischen Hintergrund gesehen werden.

Sein Vater, als fortschrittlicher Pädagoge, der sich immer im Diskurs mit

Gleichgesinnten befand, hatte aufgrund seines frühen Todes keinen direkten Einfluss

auf die Entwicklung von B.P.s pädagogischen Erwägungen. Allerdings war das Baden-

Powellsche Haus, da auch seine Mutter in diesen Kreisen geschätzt war, auch nach dem

Tod des Vaters Treffpunkt für Gelehrte und Freidenker. Diese Kontakte und vor allem

der Habitus seiner Mutter spielen in B.P.s Persönlichkeitsentwicklung eine Rolle.

Seine militärische Laufbahn und die Entwicklung der Kundschafterausbildung stehen in

vielen Punkten im diekten Zusammenhang zur Pfadfinder Methode. „Während die

straffe Methodisierung innerhalb des Scoutismus auf Baden-Powlls Erfahrungen in der

Militärpraxis zurückgeführt werden kann, entsprechen die Hereinnahme des englischen

`Geltelman-Ideals´ und die stärkere Betonung der Charakterbildung vor der

Charakterbildung der Englischen Tradition. Einen Starken Einfluss auf das höhere

britische Erziehungswesen übte u.a. John Lockes aus.“ (Gerr 1983 S.114) Dieser

wiederum ist von J.J. Russeau inspiriert, womit sich zumindest eine indirekte

Beeinflussung durch diese Wegbereiter der Reformpädagogik vermuten lässt.

Der Gentleman verkörpert nach B. P. `ritterliche Eigenschaften´, von denen einige in

abgewandelter Form in den Pfadfindergesetzen wieder zu finden sind. Entscheidend

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sind natürlich Baden-Powells militärische Erfahrungen als englischer Offizier, vor

allem in den Kolonien. Viele der ursprünglichen Pfadfinderaktivitäten erinnern an das

militärische Kundschafterwesen. Nach Gerr sind die militärischen Einflüsse besonders

in vier Bereichen feststellbar:

- im Bereich der Realisierung von Erziehungsgrundsätzen

- im Bereich der Anwendung von Scout Techniken

- im Bereich der Durchführung organisatorischer Regelungen

- im Bereich der Erziehungszielsetzung

Direkte Einflüsse bestimmter pädagogischer Theorien auf die ursprüngliche

Scoutbewegung sind nicht nachzuweisen. Alle wesentlichen Elemente der

scoutistischen Erziehung sind von B. P. bereits vor seinen privaten Pädagogikstudien in

seinem ersten Pfadfinderbuch `Scouting for Boys´ publiziert. (Vgl.:Gerr 1983 S. 157)

Dies ändert sich im Laufe der weiteren Entwicklung. Aspekte, die auf die Absicherung

des britischen Imperiums und nationale Bedürfnisse abgestimmt sind, werden zugunsten

des Gedankens der weltweiten Pfadfindergemeinschaft weiterentwickelt und verändert.

In der Baden Powells späteren Veröffentlichungen lässt sich seine explizite

Auseinandersetzung mit Philosophen und pädagogischen Strömungen seiner Zeit

erkennen.

Nach Gerr ist die Pädagogik Baden-Powells „ein Teil der Reformpädagogik, und wenn

auch in den bekanntesten deutschen Werken der 'Geschichte der Pädagogik' (Reble,

Blättner u.a.) Baden-Powells Name nicht erwähnt wird, so wird aufgrund seines

theoretischen und praktischen Erziehungswerkes kaum bestritten werden können, daß

ihm ein Platz in der Reihe einflussreicher 'Reformpädagogen' zugebilligt werden muss."

(Gerr 1983, S.13, Ausl. v. M. M.). Weiter heißt es: „Am Beispiel der Baden-

Powellschen Auffassung von Kindererziehung kann besonders deutlich die Richtigkeit

einer pädagogischen Einordnung der Scouterziehung in die reformpädagogische

Strömung der Zeit aufgezeigt werden. Im Hinblick auf seine erzieherische

Grundeinstellung ist B. -P. ein Vertreter der 'Pädagogik vom Kinde aus“ (Gerr, 1983,

S. 158). Das zeigt auch Baden-Powells Schlagwort: „Look at the boy“, später ergänzt

mit „girl“, ein klassischer Ausdruck, „eine der Grundlagen pfadfinderischer Erziehung,

die bedeutet, daß Leiter und Leiterinnen bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

unabdingbar von deren Bedürfnissen und Wünschen ausgehen müssen.“ (Röser/Römer

1999, S. 125)

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Unter anderem in diesem Punkt zeig sich auch die nahe geistige Verwandtschaft

zwischen Baden-Powell und Montessori. „Mit seiner ständigen Beaufsichtigung, seinen

unausgesetzten Ermahnungen und seinen willkürlichen Befehlen stört und hindert der

Erwachsene die Entwicklung des Kindes. Alle aufkeimenden guten Kräfte werden

erstickt, nur eins bleibt dem Kind: der heftige Wunsch, sich möglichst von allem und

von allen zu befreien. Geben wir also die Rolle des Kerkermeisters auf und bemühen

wir uns stattdessen, ihm eine Umgebung zu schaffen, in der man, soweit es irgend

möglich ist, darauf verzichtet, es mit Überwachung und Belehrung zu ermüden.“

(Montessori 1954, S. 48; in Gerr S. 159). Einer der Beweise für Baden-Powells

Auseinandersetzung mit Montessoris reformpädagogischem Gedankengut ist seinem

Buch `Aids to Scoutmastership´ zu entnehmen. B. P. schreibt über das Verhältnis von

scoutistischer Erziehung und Montesoripädagogik: „Diese Erziehungsform entspricht

ganz den Grundsätzen von Frau Dr. Montessori. Sie wurde einmal gefragt, wie Ihr

System auf Kinder anzuwenden wäre, die das erste Kindesalter von 6 – 7 Jahren

überschritten haben. Sie antwortete: in England habt ihr die Boy Scouts und ihre

Ausbildung ist die natürliche Fortsetzung dessen, was ich den Kindern gebe. Es ist der

weg, den die Erziehung nehmen wird, wenn sie richtig erneuert ist.“ (B. P. 1944a, S.16

in Gerr, 1983, S. 160)

2.4 Lebensphilosophie Baden-Powells

Baden-Powell ist in seiner Grundhaltung ein Idealist. Dies wird deutlich, wenn man

zum Beispiel sein Buch „Glück auf die Lebensfahrt" (Rovering to success), speziell das

Vorwort `Wie man glücklich sein kann, ob reich oder arm´, liest. Dort wird die

Metapher des Kanufahrens für die Lebensfahrt des Menschen benutzt. „Dieses Bild

eurer Fahrt nach Glück und Erfolg zeigt einige der größeren Klippen, auf die ihr zu

achten habt. Sie mögen wohl finster drohen; aber vergeßt nicht, daß das sonnige Ziel,

nach dem ihr steuert, jenseits liegt; wenn ihr sie überwunden habt, wenden sie euch

daher ihre lichte Seite zu. Das erkennt ihr, wenn ihr euch nicht auf sie zutreiben laßt,

sondern euer Fahrzeug klug an ihnen vorbeilenkt. Damit meine ich zwei tröstliche Ein-

sichten: auch die dunkelste Klippe hat ihre Sonnenseite; und es lohnt sich, tätig sein

Ziel zu erarbeiten, statt sich tatenlos dem Verderben zutreiben zu lassen - man gewinnt

Charakter mit jeder Klippe; die man überwindet, und man gewinnt sein Ziel, das

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Glück.[…] Siehst du übrigens jenen Stern hoch am Himmel? Richte dein Schifflein auf

ihn. Nimm den Stern zum Führer. Mit anderen Worten: 'Ziele hoch'." (B.-P. 1948,

Erklärung d. Titelbildes)

Dieses, und viele weitere Zitate verdeutlichen die optimistische Lebenseinstellung

Baden-Powells. Er spricht sich immer wieder dafür aus, sich den Schwierigkeiten des

Lebens zu stellen, denn je selbstbewusster man auf sie zugeht, desto kleiner werden sie.

Dabei ist er nicht bescheiden, und empfiehlt sich an den Sternen auszurichten, mit

anderen Worten nach den Sternen zu greifen. Obwohl man weiß, dass man sie nie

erreichen wird, lohnt es sich sie als hohes Ziel vor Augen zu haben und sich so weit wie

nur möglich danach zu strecken. Gelassenheit als Tugend und die Liebe als Leitmotiv

liegen für B.-P. auf dem Weg zum Glück.

„Zwei Schlüssel zum Glück liegen zum einen darin, die Dinge nicht zu ernst zu nehmen,

sie so zu nehmen wie sie kommen - also eine gewisse Seelenruhe, und zum anderen, sich

in Wort und Tat von der Liebe leiten zu lassen.“ (B.-P. 1948, S. 11f.)

Glück ist ein zentrales Moment in Baden-Powells Schriften. Er meint, dass jeder

glücklich leben kann, wenn man es nur will und sich positiv darauf einlässt. Damit

meint er, man solle mit offenen Augen durch das Leben gehen, die Schönheit der Dinge

sehen und durch die eigene Lebensfreude andere glücklich machen – was das größte

Glück darstellt.

Am Anfang des Buches definiert Baden-Powell `glücklich sein´ folgendermaßen:

„Mein Glaube ist, daß wir in diese Welt voller Wunder und Schönheit gestellt wurden

mit der besonderen Anlage, sie zu schätzen, in gewissen Fällen sogar zu mehren, und

mit der Fähigkeit, den Mitmenschen zu helfen, statt sie zu überflügeln, zur eigenen

Lebensfreude zu gelangen“. […] "Die Wahrheit ist, daß es gar keinen Zweck hat, das

Glücklichsein auf den kommenden Tag zu verschieben; der richtige Weg ist vielmehr,

sein Leben zu jeder Zeit zu genießen". (B.P. 1948 S.9)

Dieser philosophische Aspekt in Baden Powells Schriften, wird in keinem der mir

vorliegenden Bücher gebührend behandelt. Am ehesten noch in Johannes Winters Buch

`Auf dem Weg zu Gesundheit und Glück´; jedoch bezieht er sich hauptsächlich auf die

erzieherischen Aspekte, die zum Glück führen sollen, und betont sehr stark den Aspekt

der Gesundheitserziehung Baden-Powells. Über seine Lebensphilosophie ließe sich eine

eigene Abhandlung schreiben, gerade in den vielen Metaphern oder gefühlsbetonten,

bildlich beschriebenen Erlebnisberichten gewährt Robert Baden-Powell tiefe Einblicke

in sein Innerstes.

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3. Die Grundlagen der Pfadfinderbewegung

3.1 Pfadfindererziehung im Wandel

Die pfadfinderischen Erziehungsziele Baden-Powells umfassen hauptsächlich die

Entwicklung einer charakterfesten, gesunden, handwerklich geschickten Jugend, die für

die Gesellschaft von nutzen ist und sich gegenüber dem Heimatland loyal und gehorsam

verhält. Nach BP schloss dies auch „Aufopferungsbereitschaft“ und

„Dienstbereitschaft“ ein, also das „Vaterland gegen fremde Angriffe zu schützen“.

(Vgl. Baden-Powell 1953 S. 89 in Gerr 2009 S.11) Heute werden diese Aspekte im

zeitgeschichtlichen Hintergrund interpretiert indem man, beispielsweise dem heutigen

Gemeinwesen, als demokratiefähiger Bürger dienen kann. Diese Weiterentwicklung

war von Baden-Powell eindeutig gewollt. Er hat seinen Erziehungsentwurf nicht zur

absoluten Norm für die Pfadfinderische Erziehungspraxis erhoben, sondern mit der

Einordnung als Bewegung bewusst die Weiterentwicklungspflicht hervorgehoben. B.-

P.schreibt „We are a movement not a Organisation.“ (B.-P. 1941 S.99 in Gerr 1983 S.

137) In den von der WOSM herausgebenden Grundlagen der Pfadfinderbewegung heißt

es zum Beispiel, „Jede Pfadfinderorganisation muss gewährleisten, dass ihr Gesetz und

Versprechen in einer modernen, der jeweiligen Kultur angepassten Sprache abgefasst

wird…“ (Zit WOSM 1997)

3.2 Die Säulen Baden-Powells staatsbürgerlicher Erziehung durch Scouting

B.-P. formuliert in allen seinen scoutistischen Büchern Ziele oder Verhaltensmuster, die

sich ein Pfadfinder zueigen machen soll. Im Speziellen formuliert er unter anderem in

`Aids to Scoutmastership 1919´ Erziehungsziele der Pfadfinderbewegung.

„Bei der Bewertung der Erziehungsziele rangierte für ihn die Erziehung zur

Charakterstärke eindeutig an erster Position, gefolgt von der Ausbildung zu

körperlicher Tüchtigkeit (Gesundheitserziehung). Der Wissensvermittlung räumte er im

Hinblick auf eine anzustrebende Erziehung zur Lebenstüchtigkeit den letzen Platz ein“

(Gerr 1983, S. 158). Charakter, Gesundheit / körperliche Entwicklung, Karriere /

handwerkliches Können und Nächstendienst bilden die Säulen der pädagogischen

Konzeption Baden-Powells (vgl. B.-P. 1963 in Gerr 1983, S. 41). In seinem Buch Aids

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to Scoutmastership (1919) schreibt er: „Hier also liegt das wichtigste Ziel des

Pfadfindertums: zu erziehen, nicht nach deinem Willen formen, sondern erziehen, das

heißt befähige den Jungen, für sich selbst, durch eigene Ansprüche die Dinge zu lernen,

die dazu beitragen, seinen Charakter zu bilden.“ (Vgl. WOSM 1997)

3.2.1 Charakter

„Die Charakterausbildung ist von höchstem Wert, sowohl für den Einzelnen als auch

für ein Volk, denn ein Volk verdankt seinen Erfolg nicht so sehr der Stärke seiner

Waffenrüstung; als der Charakterstärke seiner Bürger. Zum Lebenserfolg eines Mannes

ist der Charakter wesentlicher als seine Gelehrsamkeit.“ (B.-P. 1963, S. 37). Baden-

Powell sieht die Pfadfinderei als ersten Schritt zur Charakterbildung, als ersten Schritt

zu gutem Bürgertum, wobei das wichtigste Ziel dieser Ausbildung ist: „Im Jungen den

Trieb zu wecken, für sich selbst, aus eigenem Verlangen das zu lernen, was seinen

Charakter aufbauen hilft“ (B.-P. 1963, S. 38). Dies soll nicht im militärischen Stil

geschehen, denn „Charakter kann man nicht in den Jungen hineindrillen. Der Keim

steckt schon in ihm; man braucht ihn nur herauszulocken“. (B.-P. 1963, S. 37).

Einzelne Instrumente der Charakterbildung sind Ehrgefühl, Selbstvertrauen, Intelligenz

und Lebensfreude. Das Ehrgefühl soll dadurch entstehen, dass der Junge Verantwortung

übertragen bekommt und ihm freie Hand gelassen wird beim Lösen einer ihm

auferlegten Aufgabe. Er soll nicht belauscht und beobachtet werden. „Gestattet ihm

seine eigenen Wege zu gehen und heulend zurückzukommen, wenn es sein muß,

jedenfalls lasst ihn allein und traut ihm zu, daß er sein Bestes leistet.“ (B.-P. 1963, S.

42). Was heute so selbstverständlich erscheint, enthält 1930 eine zwar nicht mehr ganz

neue, aber dennoch revolutionäre Dimension.

Selbstvertrauen findet der Junge auch durch das Erleben der eigenen Fähigkeiten, die

durch die Aktivitäten der Pfadfinder ans Licht kommen. „Wenn der Junge das

Bewusstsein erlangt, nicht länger ein Zartfuß zu sein, sondern eine verantwortliche und

Vertrauen genießende Persönlichkeit, mit Macht, etwas zu unternehmen, dann bekommt

er Selbstvertrauen. Hoffnung und Ehrgeiz dämmern in ihm auf.“ (B.-P. 1963, S. 44).

Intelligenz sieht Baden-Powell in der Übung, Beobachtung - Schlussfolgerung beim

Spuren- und Zeichenlesen, und im Training des `Gesunden Menschenverstands´

geschärft. Die Lebensfreude als letzte Komponente der Charakterbildung wird gespeist

aus Heiterkeit, Naturverbundenheit, Dichtung und Musik. Die Lebensfreude, der

Genuss am Leben soll dem Charakter den letzten ästhetischen Schliff geben (vgl. B.-P.

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1963, S. 45f.). Diese Komponente des glücklichen Lebens schwingt in allen Schriften

von und über Baden-Powell mit, wird aber nur an wenigen Stellen explizit zum

Ausdruck gebracht. Für mich ist diese letztlich die entscheidende Charaktereigenschaft,

die sich auf alle anderen auswirkt, ihre Ausprägung bedingt oder erst ermöglicht.

3.2.2 Gesundheit / körperliche Entwicklung

Die Gesundheitserziehung und die körperliche Entwicklung sind als Thema fast so

wichtig wie die Charakterausbildung. Um gesund und kräftig zu werden empfiehlt

Baden-Powell Übungen zur Stärkung des Herzens, der Lunge, zur ordentlichen

Darmtätigkeit und zum Training aller Muskelpartien. Zu allen Übungsteilen werden

genaue Trainingsanleitungen, oft illustriert, dargestellt. (Vgl. Johannes Winter 1986

S.69) Über den Sport und Freiluftspiele soll die körperliche Ertüchtigung erreicht

werden, wobei die Form des militärischen Drills, wie gesagt, abgelehnt wird. „Sie bleibt

vollkommen künstlich, und vermag nur das herauszuholen, was nicht auf natürliche

Wege erworben worden ist. Gott erfand keine ruckartigen Bewegungen.“ (B. P.1963, S.

53). Weiter heißt es: „Ich habe zu meiner Zeit genügend mit Drill zu tun gehabt; wenn

jemand glaubt, daß er die Körperkraft und Haltung eines Jungen durch eine

wöchentliche Drillstunde entwickelt, der wird Täuschungen erleben.“ (B. P.1963, S.

63). Außerdem sei Drill eine „Instruktionssache, ein Einhämmern" und „keineswegs

eine Erziehung, bei welcher der Knabe aus eigenem Antrieb lerne“ (vgl. B. P.1963, S.

63). Baden-Powell sieht den Aspekt der Gesundheit und körperlichen Kraft

hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt der Prävention von Schäden britischer

Staatsbürger (vgl. Gerr 1983, S. 45). Geordnete Spiele (Fußball, Baseball, Korbball etc.)

sind der Weg zu einerseits körperlicher Kraft und Gesundheit, andererseits enthalten sie

auch Elemente der Charaktererziehung und der Bildung von Selbstvertrauen. Die zwei

Grundsätze dieser Erziehung sind Selbstzucht und Energie. In der Selbstzucht ist

Mäßigkeit in Essen und Trinken enthalten, mit einer Lehre von gesunder Ernährung.

Gerade bei der Selbstzucht ist eine Parallele zu einem anderen Pädagogen, den Baden-

Powell studierte, aufzuzeigen, nämlich: John Locke. „Bei einem Vergleich der

Erziehungslehren Lockes mit dem Baden-Powellschen Erziehungssystem ist eine

Übereinstimmung von einigen Elementen besonders evident.“ (Gerr 1983, S. 128f.) Der

erste Satz in Lockes `Gedanken über Erziehung´ beginnt mit dem altrömischen

Sprichwort: „Ein gesunder Geist in einem gesunden Leib“ (Locke 1966, S. 8). „Es läuft

alles auf diese wenigen und leicht zu befolgenden Regeln hinaus: viel frische Luft,

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körperliche Bewegung und Schlaf, einfaches Essen, kein Wein oder alkoholische

Getränke und sehr wenig oder gar keine Medizin, nicht zu warme oder zu enge

Kleidung, besonders Kopf und Füße kühl halten und die Füße oft an kaltes Wasser

gewöhnen und der Nässe aussetzen.“ (Locke 1966, S. 24). Weiter verurteilt Baden-

Powell alles was den Körper seiner Ansicht nach schaden könnte. Dabei setzt er auf die

Einsicht jedes einzelnen. B.-P. ist zum Beispiel zum Thema Rauchen gegen offene

Verbote und Strafen, da es den Anreiz nur vergrößere. „Ratet von etwas ab, sagt ihnen,

es sei verächtlich oder töricht.“ Weiter heißt es scherzhaft in diesem Zusammenhang,

das `elfte Pfadfindergesetz´lautet: „A Scout is not a Fool“ (B. P.zit. n. Gerr 1983, S.

48). Auch hier gibt es eine Parallele zu Locke, der sich ebenfalls strikt gegen

übermäßige Strenge beim Strafen ausspricht: „Wenn [...] der Geist der Kinder zu sehr

gezügelt und gedemütigt wird, wenn ihre Lebensgeister durch eine zu streng auf ihnen

lastende Hand niederdrückt, dann verlieren sie alle Kraft und Strebsamkeit.“ ( Locke

1966, S. O 32, Ausl.). Achtung, Schande und Beschämung (vgl. Locke 1966, S. 78) sind

die konditionierenden Erziehungsmethoden Lockes, welche Baden-Powell in stark

abgemildeter Form, zumindest in der Gesundheitserziehung, einfließen läßt.

Abschließend ist noch zu erwähnen, daß Baden-Powell auch körper- und

geistesbehinderte Jungen einbezieht. „Hier ist ein Arbeitsgebiet ersten Ranges für

Rover, aber sie müssen dabei ihr Bestes hergeben. Manche von diesen Jungen sind

keineswegs leicht zu behandeln und verlangen viel mehr Geduld und individuelle

Aufmerksamkeit als gewöhnliche Buben. Aber der Erfolg wiegt alles auf.[...] Was an

diesen Knaben so wunderbar ist, das ist ihre Fröhlichkeit und ihr Eifer, so viel, als

ihnen nur möglich ist, an Pfadfinderarbeit zu tun“ (B. P.1963, S. 68).

3.2.3 Karriere/ handwerkliches Können

„Vom nationalen Standpunkt aus haben wir zu viele Drohnen in unserem

Volksbienenstock [...] Der großen Masse der Jungen wird keine Liebe zur Arbeit

beigebracht. [...] Man unterlässt es auch, die Flamme des Ehrgeizes in ihnen

anzufachen. Wenn sie zufällig viereckige Pflöcke sind, steckt man sie ausgerechnet in

runde Löcher“ (B. P.1963, S. 71,). Dabei schwingt auch eine Kritik an den

arbeitspolitischen und gesellschaftlichen Strukturen mit. Also sieht Baden-Powell hier

eine staatsbürgerliche Aufgabe dem Abhilfe zu schaffen. Der zweite Grund ist, gerade

für die Jungen aus den ärmeren Schichten, eine Grundlage zu schaffen und aufgrund

ihrer handwerklichen Qualifikation eine bessere Ausgangsposition im Arbeitsmarkt zu

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verschaffen (vgl. B. P.1963, S. 71). Auf die Frage, wie man Karriere macht, gibt er die

Antwort: „Halte durch und mach dich unentbehrlich!“ (B. P.1963, S. 74). Daneben

kommen Mut und Heiterkeit, Hoffnung und Geduld in die Auswahl karrierefördernder

Eigenschaften (vgl. B. P.1948, S. 56). Die Instrumente dazu sind Tatkraft und wieder

Selbstzucht. In der Selbstzucht liegen immanent „Gehorsam“, „Sparsamkeit“,

„Nüchternheit“, „Gute Laune“ und „Seelenstärke“. Die Tatkraft bezeichnet „Ehrgeiz“,

„Gesundheit“, „Findigkeit“, „Handfertigkeit“, „Fröhlichkeit“ (vgl. B. P.1963, S. 73).

Was Heiterkeit, gute Laune und Fröhlichkeit mit Beruf und Arbeit zu tun haben, erklärt

Baden-Powell folgendermaßen: „Die besten Arbeiter wie die glücklichsten Menschen

betrachten ihre Arbeit als eine Art Spiel; je intensiver sie spielen, desto mehr

Vergnügen finden sie daran“ (B. P.1948, S. 54).

3.2.4 Nächstendienst

Während die anderen Erziehungsziele auf die Vervollkommnung des Einzelnen

abzielen, kommt hier erstmals der Mitmensch in den Blickpunkt. Die Dienstbereitschaft

ist somit eine tragende Säule der staatsbürgerlichen Erziehung (vgl. Gerr 1983, S. 53).

Der Dienst am Nächsten ist für Baden-Powell untrennbar mit der Religion verbunden.

Ehrfurcht und Selbstlosigkeit sind die Grundlagen einer Erziehung zum Nächstendienst.

(vgl. B. P.1963, S. 79). „Die Entwicklung der Erkenntnis beginnt natürlicherweise mit

der Achtung vor Gott, die wir am besten mit 'Ehrfurcht' bezeichnen. Ehrfurcht gegen

Gott, Ehrfurcht gegen den Nächsten und sich selbst als Diener Gottes, das ist die

Grundlage aller Religion“ (B. P.1963, S. 80). Da Religion die moralische Grundlage

des Dienens darstellt, soll einer atheistischen Haltung entgegengewirkt werden durch

eine scoutistisch - religiöse Erziehung (vgl. B. P.1963, S. 83 - 86). B.-P. gibt auch

Ratschläge für Wege, wie den Kindern und Jugendlichen eine religiöse Lebensweise

näher zu bringen ist.

- Das Vorangehen mit gutem Beispiel des Feldmeisters - Nicht durch Worte und schöne

Reden lernt der Junge, sondern durch die Tat.

- Das Naturstudium - Durch die Schönheit und den Wundern der Natur kann man Gott

am besten erfahren, im Gegensatz zum trockenen Bibelunterricht.

- Die täglich gute Tat ist „der beste Weg um Christen der Tat und nicht bloß der

Theorie heranzuziehen. Der Junge hat ein natürliches Gefühl für das Gute, aber er muß

einen gangbaren Weg vor sich sehen, wie er sich im Guten üben kann. Die Übung der

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Tat kommt diesem Gefühl entgegen, entwickelt es und erzeugt dabei den Geist der

christlichen Nächstenliebe“ (B. P.1963, S. 85).

Die Roverstufe (Jugendliche ab ca. 16) definiert Baden-Powell, als eine „Brüderschaft

der freien Natur und des Dienens“ (B. P.1948, S. 191). Weiter heißt es: „Ein Pfadfinder

ist verpflichtet, sich nützlich zu erweisen und ändern zu helfen. Dein höchstes Ziel als

Rover heißt: Dienen. Es wird dir zugetraut, jederzeit bereit zu sein, Zeit, Ruhe, ja im

Notfalle selbst das Leben für andere zu opfern. 'Opfer ist das Salz des Dienstes.' „ (B.

P.1948, S. 201).

Für die Ausbildung des Pflichtgefühls gegenüber der Gemeinschaft nennt B. P.unter

anderem folgende „öffentliche Dienste“:

- Erste Hilfe bei Unglücksfällen aller Art,

- Helfer von Wohlfahrtsbeamten in Fabriken, auf Spielplätzen …,

- Küstenwächter oder Helfer der Küstenwache,

- Depeschenträger mit Fahrrädern oder Motorfahrzeugen (Nachrichten)

- Feuerwehr in Dorf, Stadt, Fabrik …,

- Bemannung oder Aussetzungsmannschaft eines Rettungsbootes,

- Spezialschutzleute oder Polizeiassistenten, …

(vgl. B. P.1964b, S. 207f.)

Neben der Ehrfurcht tritt ja wie erwähnt die Selbstlosigkeit an die Stelle der zu

entwickelnden Eigenschaften. Diese impliziert die „Ritterlichkeit“ „Güte“

„Selbstaufopferung“ „Vaterlandsliebe“ „Treue" und „Gerechtigkeit“. Diese Punkte

lassen sich in etwa festmachen in folgender Aussage: „Königstreue bedeutet Treue

gegen unser Vaterland und unser Volk. [...] Nächstendienst und Selbstaufopferung

müssen notwendigerweise die Bereitschaft in sich schließen, dem Vaterland zu dienen,

falls sich die Notwendigkeit zeigt, es gegen fremde Einflüsse zu verteidigen. Das ist die

Pflicht jeden Bürgers“ B. P.1963, S. 89). Das Gegenteil der Selbstlosigkeit ist die

Selbstsucht und das Hauptübel schlechthin. „Selbstsucht ist der Schürherd der Kriege

unter den Völkern, weil keines - geblendet vom eigenen Interesse - fähig ist, den

Standpunkt des anderen zu verstehen. So entstehen auch Klassenunterschiede, weil

jeder nur seinen eigenen Standpunkt sieht und den des anderen verachtet“(B. P.1963,

S. 91).

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4. Pfadfindererziehung heute

4.1 Die Welt der Pfadfinderbewegung

Heute zählt die weltweite Pfadfinderbewegung mehr als 30 Millionen Mitglieder in 163

Ländern(Offizielle Zahlen von WOSM). Sie ist in ihren Mitgliedsverbänden und diese

wiederum, in sich äußerst heterogen. Die Ausgestaltung des pfadfinderischen Lebens in

allen seinen Facetten ist systemisch zu betrachten und letztendlich eine Frage der

Auslegung und Umsetzung jedes einzelnen Mitglieds. Diese persönliche Ebene ist

natürlich stark beeinflusst durch den eigenen Stamm. Dieser wiederum fügt sich in

einen Verband (zum beispiel DPSG, VCP, BDP…), die im Ring Deutscher

Pfadfinder(RDP) organisiert sind, ein. Über diesen sind sie Mitglied in WOSM (World

Organisation of the Scout Movement) und WAGGGS (World Association of Girl

Guides and Girl Scouts ).

Alle diese Systeme haben Ihre eigenen Traditionen, und bedingt durch die aktiven

Mitglieder / Mitarbeiter, sowie strukturelle, kulturelle und soziale Bedingungen,

unterschiedliche Entwicklungstendenzen. Letztendlich berufen sich alle auf Baden-

Powell als Gründer und seine Ideen.

Diese Vielfalt der Pfadfinderbewegung macht eine ausdiferenzierte Ordnung des

Weltverbandes schwierig oder sogar un-sinnig. Umso wichtiger ist dafür eine

Grundsatzordnung, um das pfadfinderspezifische Profil zu wahren. Zu diesem Zweck

wurden 1989 das Heft `Fundamental Principals´ -in der Übersetzung 'die Grundlagen

der Pfadfinderbewegung'- herausgegeben. In der Einleitung heißt es: „Obwohl das

Pfadfindertum, je nach den Bedürfnissen der jeweiligen Gesellschaft, in vielen

verschiedenen Formen existiert, sind dies die allgemein gültigen Grundlagen, die die

Pfadfinderbewegung weltweit verbinden.“ weiter heißt es „Diese Grundlagen sind in

der Satzung der Weltorganisation der Pfadfinderbewegung festgelegt und

charakterisieren alle Mitgliedsorganisationen von WOSM.“ (WOSM 1997) Damit ist

auch der Ausschluss, beziehungsweise nicht Aufnahme, derer beschrieben, die in ihrer

Ausrichtung die Grundlagen nicht beherzigen. Der Begriff Pfadfinder ist kein

geschützter Begriff (wie auch Erlebnispädagogik). Die Mitgliedschaft im Weltverband

ist aussagekräftiger über deren Ausrichtung als die Bezeichnung Pfadfinder.

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4.1.1 Prinzipien

Die Prinzipien der Pfadfindererziehung sind aufgebaut auf der Grundidee einer

Wertevermittlung, die ein Fundament für ein glückliches und Wert-volles Leben geben

soll. Dazu hat B.-P. drei Grundsätze formuliert, die sehr breit in ihren

Auslegungsspielräumen sind, und damit nie an Aktualität verlieren. „In `Aids to

scoutmastership´(1920, S.92) spricht er von `reverence to god´, `reference to one s

neighbour´ und `Reference for ouerselves´. Pfadfinderische Werte und Normen können

aus diesen drei fundamentalen Prinzipien,..., abgeleitet werden (s. Schema 6!)“ (Gerr

2009)

Grafik aus (Gerr 1999 S. 23)

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Diese Prinzipien wurden bereits unzählige Male ausgelegt und jeder setzt seine Akzente

etwas anders. Am allgemein gültigsten, und trotzdem konkret, sind die ausführlichen

Formulierungen in den `Grundlagen der Pfadfinderbewegung´. Sie bilden das Herzstück

dieses Grundsatzpapiers. Im Folgenden gebe ich die Definitionen, und die von mir als

wichtig zum richtigen Verständnis erachteten, Formulierungen wieder.

Die Pflicht gegenüber Gott beschreibt die persönliche Beziehung zu den geistigen

Werten des Lebens. Sie wird definiert als „Festhalten an geistlichen Grundsätzen,

Treue zur Religion, die diese ausdrückt, und Anerkennen von Verpflichtungen, die

daraus erwachsen.“… „Im Gegensatz zum Titel, enthält der eigentliche Text das Wort

»Gott« nicht Dadurch soll klar werden, daß dies Beschreibung auch Religionen

einschließt, die nicht an einen Gott glauben, wie z.B. der Hinduismus, oder solche, die

keinen festen Gott kennen, wie z. B. der Buddhismus.“(WOSM 1997 S.5)

Eine sorgfältige Analyse der Schriften des Gründers zeigt, dass das Konzept einer

übermenschlichen Macht grundlegend für das Pfadfindertum ist. Das ganze

erzieherische Bemühen der Bewegung zielt darauf, jungen Menschen zu helfen über die

materialistische Welt hinaus die spirituellen Werte des Lebens zu finden. (Vgl. WOSM

1997 S.5-6)

Die Pflicht gegenüber Dritten wird definiert als

- „Treue gegenüber dem eigenen Land in Übereinstimmung mit dem Wirken für

örtlichen, nationalen und internationalen Frieden, für Verständigung und

Zusammenarbeit.

- Mitarbeit an der Weiterentwicklung einer Gesellschaft mit Achtung und Ehrfurcht vor

der Würde des Mitmenschen und der Unversehrtheit der Natur.“ (WOSM 1997 S.6)

Die Formulierungen entsprechen der Philosophie des Gründers, der im Pfadfindertum

der Förderung von Brüderlichkeit und der Verständigung junger Menschen aller

Nationen große Wichtigkeit zuspricht. (Auf dieser Grundlage wird Nationalistischen

Pfadfinder-gruppierungen, die mit aus dem Kontext gerissenen patriotischen und

militaristischen Aussagen Baden-Powells argumentieren, die Mitgliedschaft im

Weltverband verwehrt.)

Der zweite Spiegelstrich drückt das Grundprinzip der Pflicht gegenüber Dritten

umfassender aus: Erstens ist Pflicht gegenüber Dritten in einem weiteren Sinn als ein

Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft zu sehen und Zweitens kann diese

Entwicklung aber nicht um jeden Preis durchgeführt werden. Sie muß auf der Achtung

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der Menschenwürde und auf der Unversehrtheit der Natur basieren. (Vgl. WOSM 1997

S.6-7)

Die Pflicht gegenüber sich selbst wird definiert als: „Verantwortlichkeit für die eigene

Weiterentwicklung“ (WOSM 1997 S.7)

Die Erziehungsabsicht der Pfadfinderbewegung ist die Unterstützung junger Menschen

in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit. In dieser Hinsicht spielen Gesetz und

Versprechen eine grundlegende Rolle. (Vgl. WOSM 1997 S.7)

4.1.2 Ziele

Vordergründig wollen die Pfadfinder für ihre Bewegung begeistern, die Kinder dort

abholen wo sie stehen und mit attraktiven Programmen die Freude an der Pfadfinderei,

Naturverbundenheit und Gemeinschaft vermitteln.

Wenn man jedoch hinter das Offensichtliche schaut entdeckt man eine ausdifferenzierte

pädagogische Konzeption, die auf vielschichtige Persönlichkeitsförderung des

Individuums abzielt. In den „Grundlagen der Pfadfinderbewegung“ wird als „Zweck“

pfadfinderischer Erziehung gesehen, „zur Entwicklung junger Menschen beizutragen,

damit sie ihre vollen körperlichen, intellektuellen, sozialen und geistigen Fähigkeiten

als Persönlichkeiten, als verantwortungsbewusste Bürger und als Mitglieder ihrer

örtlichen, nationalen und internationalen Gemeinschaft einsetzen können“ (WOSM

1997, S. 4).

Dieses Zitat zeigt bereits verschiedene Bereiche der Persönlichkeitsförderung auf, von

denen jeder ein vielschichtiger Überbegriff ist. Weiter bezieht sich das Kapitel zum

`Zweck der Pfadfinderbewegung´ auf die ganzheitliche Erziehung des Individuums.

Dabei sind die verschiedenen Bereiche eines Menschen nicht isoliert voneinander zu

betrachten, sondern im Zusammenhang weiterzuentwickeln. (Vgl.: WOSM 1997 S.4-5)

Es gibt viele Ausdifferenzierungen, beziehungsweise Ausformulierungen, dieser

Erziehungsziele von unterschiedlichen Personen und Verbänden. Eine aktuelle

prägnante Ausdifferenzierung wurde von H.E.Gerr in seinem Buch `Einführung in die

`Pfadfinderpädagogik´´ in tabellarischer Form verfasst.

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Grafik aus (Gerr 1999 S. 10)

Wichtig in diesem pädagogisierten Konzept ist der Hinweis, dass die Pfadfinder nicht

Familie, Schule, religiöse oder soziale Einrichtungen ersetzen, sondern die

Erziehungsbemühungen dieser Einrichtungen ergänzen.

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4.1.3 Methode

„Die pfadfinderische Methode ist definiert als ein System fortschreitender

Selbsterziehung durch:

- Gesetz und Versprechen

- Learning by doing

- Bildung kleiner Gruppen (z. B. Sippen), welche, unter Führung

Erwachsener, fortschreitendes Entdecken und Übernehmen von

Verantwortung sowie die Erziehung zu Selbständigkeit durch die

Entwicklung des Charakters, Anerkennung von Verantwortlichkeit,

Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit und Bereitschaft zur Zusammenarbeit und

Führung, einbeziehen.

- Fortschreitende und attraktive Programme verschiedenartiger Aktivitäten,

die auf den Interessen der Teilnehmer beruhen, wie Spiele, sinnvolle

Fertigkeiten, Dienst im Gemeinwesen, die weitgehend in engem Kontakt mit

Natur und Umwelt stattfinden.“ (WOSM 1997, S. 9).

Die Kernaussage in dieser Definition ist, dass die pfadfinderische Methode ein System

fortschreitender Selbsterziehung ist. Dazu werden verschiedene Instrumente an die

Hand gegeben, die hier noch näher beschrieben werden sollen:

Pfadfindergesetz und Versprechen sind seit der Gründung zwei Grundelemente der

scoutistischen Bewegung.

Es gibt keine weltweit gültige Formulierung des Pfadfindergesetzes, da jede

Pfadfinderorganisation im Bezug auf ihre Kultur und Zivilisation ihr Pfadfindergesetz

erarbeitet und von der Weltorganisation bestätigen lässt. Deshalb ist hier die

Übersetzung der Urform von 1923 zusammen mit der Versprechensformel

wiedergegeben.

„Ich verspreche bei meiner Ehre, mein bestes zu tun, meine Pflicht gegenüber Gott und

dem Vaterland, meinen Mitmenschen jederzeit zu helfen und den Pfadfindergesetzen zu

gehorchen.“

1. Auf eines Pfadfinders Ehre ist Verlaß.

2. Ein Pfadfinder ist treu dem König, seinem Lande, seinen Führern, seinen Eltern,

seinen Meistern und Untergebenen.

3. Eines Pfadfinders Pflicht ist es, sich nützlich zu erweisen und anderen zu helfen.

4. Ein Pfadfinder ist der Freund aller und jedem anderen Pfadfinder ein Bruder,

gleichgültig zu welcher Gesellschaftsklasse der andere gehört.

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5. Ein Pfadfinder ist höflich.

6. Ein Pfadfinder ist ein Freund der Tiere.

7. Ein Pfadfinder gehorcht ohne Widerrede seinen Eltern, seinem Patrouillenchef oder

Feldmeister.

8. Ein Pfadfinder lächelt und pfeift bei allen Schwierigkeiten.

9. Ein Pfadfinder ist sparsam.

10. Ein Pfadfinder ist sauber in Gedanken, Wort und Tat"

(B.-P. 1977 S. 8).

Das Versprechen ist auf der ganzen Welt elementarer Bestandteil der Pfadfinder, das,

auch wenn es in vielen individuellen Formen durchgeführt wird, als derartiges Ritual

ein Gemeinschaftsgefühl erzeugt, das Grenzen überwindet. Es beinhaltet immer eine

Auseinandersetzung mit den darin enthaltenen Wertvorstellungen und den Versuch das

eigene Leben bestmöglich danach auszurichten, und ist damit ein höchst wirksames

Instrument für die Entwicklung junger Menschen.

„Durch Gesetz und Versprechen gibt ein junger Mensch freiwillig eine Verpflichtung

ab, sich selbst an einen Verhaltenskodex zu halten. Er erklärt gegenüber einer Gruppe

von Gleichgesinnten, für die Einhaltung dieser Selbstverpflichtung verantwortlich zu

sein.“

(WOSM 1997, S. 9).

Learning by doing ist mittlerweile ein Eckpfeiler jeder modernen Erziehung geworden.

Dieses Konzept erscheint überall in den Schriften des Gründers. Lernen durch Handeln

und Erfahren ist die natürlichste Form des Lernens. B.-P. schreibt dazu: „Der natürliche

Instinkt des Kindes ist es, sich durch eine Beschäftigung selbst zu entwickeln, die wir

`Spiel´ nennen“( B.-P. 1941 S.58 in Gerr 2009) „ Ein Konzept, das nicht auf dem

Prinzip learning by doing basiert kann nicht als Pfadfindeprogramm bezeichnet

werden.“ (WOSM 1997, S. 9).

Bildung kleiner Gruppen, hat B.-P. als bewährtes System aus seiner militärischen

Kundschafter-Ausbildung übernommen. Die Vorteile liegen in den stärkeren sozialen

Beziehungen in der Kleingruppe, der besseren Handlungsfähigkeit und der

Berücksichtigung der Bedürfnisse und Kompetenzen jedes einzelnen. Über die

wechselnden demokratisch gewählten Sippensprecher entwickelt sich ein Verhältnis zu

Verantwortlichkeit und Selbstbestimmung. Die Sippen zusammen ergeben einen Trupp,

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von denen es meist einen pro (Alters-) Stufe gibt (je nach Mitgliederzahl). Alle Stufen,

inklusive der Leiterrunde, die auch als Stufe gesehen wird, sind gemeinsam ein Stamm.

„Die kleine Gruppe gibt jungen Menschen die Möglichkeit, Verantwortlichkeit zu

entdecken und zu akzeptieren. Sie können ihre Selbstbestimmung entwickeln. Dies

begünstigt die charakterliche Bildung junger Menschen und hilft ihnen, Kompetenz,

Selbstvertrauen, Zuverlässigkeit und die Fähigkeit zur Kooperation und Führung zu

erwerben“

(WOSM 1997, S. 10).

Fortschreitende und attraktive Programme heißt, daß sie in einem

Gesamtzusammenhang stehen sollen. Dies kann ein thematischer Zusammenhang

zwischen mehreren Programmen sein und/oder deren aufeinander aufbauender

Anspruch. Die Aktivitäten sollen ansprechend für die Gruppe sein, durch eine

Verknüpfung mit ihrer Lebenswelt und unter Beachtung ihres Entwicklungsstands.

Große Bedeutung wird dem Aktionsraum Natur beigemessen, da dieser Phantasie,

Aktivität und Kreativität anregt und damit intellektuelle und körperliche Entwicklung

begünstigt. Durch gemeinsames Bewältigen von Risiken und Herausforderungen wird

die soziale Entwicklung gestärkt. Auch der spirituelle Aspekt der Natur ist ein

eindrückliches und attraktives Lernfeld.

„Zu einer ausgeglichenen Kombination von verschiedenen Aktivitäten gehören die drei

Hauptbereiche Spiele, das Erlernen nützlicher Fähig- und Fertigkeiten und der Dienst

an der Gemeinschaft“

(WOSM 1997, S. 11).

4.2 Die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg

Am Beispiel der DPSG gebe ich noch einen Einblick in die Ordnung und die praktische

Arbeit der Pfadfinder, in der ich verwurzelt bin. Einerseits, um einen der vier

(anerkannten) Deutschen Pfadfinderverbände exemplarisch zu betrachten, andererseits,

um meine auf Erfahrung basierenden Ausführungen auf ein theoretisches Fundament zu

stellen.

Gegründet wurde der Verband 1929. Seit 1993 ist die Zahl der Mitglieder wieder unter

die 100.000er Marke gesunken, und stagniert bis heute Jährlich um einen unbedeutend

geringen Prozentsatz.

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Die aktuelle Ordnung der DPSG wurde in einem Leitbildprozess von 2001 bis 2005 von

der Basis aus entwickelt. Sie beschreibt Grundlagen, Auftrag und Ziele, gibt

Orientierung und benennt Verpflichtungen. (Vgl.:DPSG 2006 S.4)

Dieses Werk ist ein beeindruckendes Leitbild für einen Jugendverband. Auf 84 Seiten

bezeugen pädagogisch fundierte, thematisch und sprachlich aktuelle Formulierungen zu

allen Bereichen der Verbandsarbeit einen gelungenen Leitbildprozess.

Im Folgenden gehe ich auf einzelne Teilbereiche der Ordnung und auf für die Thematik

bedeutsame Punkte ein. Die Zusammenfassung dieses Dokuments fällt besonders

schwer, da es bereits viel Information kompakt formuliert enthält.

4.2.1 Selbstverständnis des Verbandes

„Die DPSG ist Teil einer weltweiten Erziehungsbewegung, die sich an alle jungen

Menschen wendet. Der Verband eröffnet ihnen im Rahmen der Prinzipien der

Pfadfinderbewegung und auf der Grundlage der biblischen Botschaft die Chance, durch

selbstgesetzte Ziele und prägende Erlebnisse die eigene Persönlichkeit zu entdecken

und zu entwickeln.“

(Zit: DPSG 2006 S.9)

Im Selbstverständnis des Verbandes ist die Aufforderung an ihre Mitglieder zu Teilhabe

und Mitgestaltung als Teil der internationalen Pfadfinderbewegung, der Gesellschaft

und der Katholischen Kirche enthalten.

Internationale Aspekte sind Interkulturelle Kompetenz und Verständnis, Befähigung zur

Mitgestaltung der Globalisierung und weltweite Friedensarbeit.

Mitverantwortung und Mitgestaltung im gesellschaftlichen Leben, im Kleinen wie im

Großen, ermöglicht die Erprobung politischen Verhaltens und fördert die persönliche

Meinungsbildung. Dadurch wird die Teilhabe an einer demokratischen Kultur gefördert

und ein Beitrag dazu geleistet, diese zu entwickeln und zu stabilisieren.

Als katholischer Verband vertritt die DPSG ein christliches Weltbild und die Mitglieder

sind aufgefordert sich mit spirituellen Fragen zu beschäftigen und den christlichen

Glauben durch die Tat lebendig zu machen und zu gestalten. Dabei ist die DPSG offen

für alle Menschen und die Mitglieder sind aufgerufen den Dialog zwischen den

Konfessionen und Religionen zu führen. (Vgl.:DPSG 2006 S.12-14)

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4.2.2 Grundorientierungen der DPSG:

„Die DPSG regt junge Menschen an, ihr Leben nach den Prinzipien der

Weltpfadfinderbewegung und der christlichen Lebensorientierung zu gestalten. Aus

diesen beiden Wurzeln leiten sich das Gesetz der Pfadfinderinnen und Pfadfinder sowie

die Handlungsfelder ab, die allen Mitgliedern des Verbandes zur Orientierung dienen.“

(Zit: DPSG 2006 S.16)

Die Prinzipien der Weltpfadfinderbewegung werden in der DPSG mit Verantwortung

gegenüber Gott, Verantwortung gegenüber anderen und Verantwortung gegenüber sich

selbst übersetzt und in einfachen Formulierungen treffend erklärt. (Vgl. 4.4.1)

Aus der Christlichen Lebensorientierung werden lebenspraktische Grundhaltungen

abgeleitet, die mit Unterwegs sein im Glauben, - in Hoffnung , - in Freiheit und - Liebe

überschrieben sind. (Vgl.:DPSG 2006 S.16-17)

Das Gesetz der Pfadfinderinnen und Pfadfinder(Vgl. 4.1.3), in der Urform von BP

formuliert, wurde in der DPSG immer wieder zeitgemäß und bezogen auf die

Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen weiterentwickelt.

„Verantwortlich gegenüber sich und anderen zu leben und Gesellschaft mitzugestalten,

bedeutet klare Orientierungspunkte für das eigene und das Handeln der eigenen

Gruppe zu haben. Das Gesetz der Pfadfinderinnen und Pfadfinder beschreibt Regeln,

an die sich alle Mitglieder des Verbandes aus eigener Überzeugung halten.“ (Zit:

DPSG 2006 S.16)

„Als Pfadfinderin … Als Pfadfinder …

… begegne ich allen Menschen mit Respekt und habe alle Pfadfinder und

Pfadfinderinnen als Geschwister.

… gehe ich zuversichtlich und mit wachen Augen durch die Welt.

… bin ich höflich und helfe da, wo es notwendig ist.

… mache ich nichts halb und gebe auch in Schwierigkeiten nicht auf.

… entwickle ich eine eigene Meinung und stehe für diese ein.

… sage ich, was ich denke, und tue, was ich sage.

… lebe ich einfach und umweltbewusst.

… stehe ich zu meiner Herkunft und zu meinem Glauben.“ (DPSG 2006 S.6)

Aus den Prinzipien der Weltpfadfinderbewegung und der christlichen

Lebensorientierung und dem Gesetz der Pfadfinderinnen und Pfadfinder ergeben sich

Handlungsfelder in Gesellschaft und Kirche, die beschrieben sind unter den

Stichworten: Geschwisterlich leben, Friedensbedingungen schaffen, nachhaltig leben

und Freiheit wagen. (Vgl.:DPSG 2006 S.12-14)

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4.2.3 Pfadfinderische Methode in der DPSG

Die pfadfinderische Erziehung in der DPSG bekam 2006 eine neue akzentuierte und

detaillierte Beschreibung ihrer Kennzeichen.

Auch hier eröffnet sich, wie in so vielen der angerissenen Bereiche, ein unheimlich

weites Themengebiet, das einer eigenständigen Arbeit würdig wäre. Deshalb werde ich

diese hier nicht ausführlich darlegen. In den Grundzügen sind die Kennzeichnen

vergleichbar mit der Pfadfindermethode, wie sie in den `Grundlagen der

Weltpfadfinderbewegung´(WOSM 1997) festgehalten ist. Diese habe ich in 4.1.3

behandelt.

Die folgenden zwei Zitate, sollen zumindest einen kurzen Einblick geben.

„Die Kennzeichen pfadfinderischer Erziehung ermöglichen die Eroberung des eigenen

Lebens: etwas wagen und sich engagieren, sich einmischen und handeln, etwas

entdecken und Abenteuer bestehen, Beziehungen aufnehmen und Solidarität üben,

Erfahrungen machen und sie durch Reflexion in die eigene Entwicklung integrieren,

Ziele setzen und sich für diese mit Nachdruck einsetzen.“ (DPSG 2006 S.27)

„Die pfadfinderische Methode in der DPSG ist durch folgende Kennzeichen ein System

fortschreitender Selbsterziehung junger Menschen:

– Aufeinander aufbauende und attraktive, an der Lebenswelt der Mitglieder orientierte

Programme

– Gesetz der Pfadfinderinnen und Pfadfinder und das Versprechen

– Prinzip „Learning by Doing“

– Arbeit im Wechselspiel von Klein- und Großgruppen, die das fortschreitende

Entdecken und die Übernahme von Verantwortung sowie die Erziehung zur

Selbstständigkeit fördert.

Unter der Leitung Erwachsener unterstützen die Aktivitäten und Programme der DPSG

die persönliche Entwicklung ihrer Mitglieder.“ (DPSG 2006 S.22)

4.2.4 Ausbildungssystem

Die Leiterausbildung ist die Fortführung des Entwicklungsbezugs aus der

Teilnehmerzeit des Pfadfinders. Sie ist Anreiz zum Engagement.

Die erste `Scoutmasterausbildung´ führte B.-P. 1919 im Glwell-Park bei London mit

Pfadfindern, die Führungspositionen einnehmen sollten, durch. Den Absolventen dieses

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Lehrgangs verlieh er je ein Stück einer Holzkette, die er einst vom Häuptling der Zulus

geschenkt bekommen hatte. Nach diesen Holzabzeichen wurde der Lehrgang

woodbadge-course genannt und deren Nachbildungen werden noch heute den

Absolventen eines international anerkannten Scoutmaster Lehrgangs verliehen.

Das Ausbildungskonzept der DPSG ist praxisnah und pädagogisch fundiert, da es über

Jahrzehnte erprobt und stetig weiterentwickelt wurde. Die Auseinandersetzung mit dem

System und seinen Inhalten wäre ein interessantes Thema für eine weitere

Diplomarbeit.

Aus Handbuch zur Woodbadge Ausbildung.

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4.2.5 Ordnung und Wirklichkeit

Inwiefern sind die hohen Ansprüche der Ordnung und der `Grundlagen der

Pfadfinderbewegung´ in der alltäglichen Jugendarbeit impliziert? Die Beantwortung

dieser Frage lässt sich nicht literarisch belegen. Ich greife dabei auf meinen

Erfahrungsschatz aus langjähriger Erfahrung im Pfadfinderstamm Weil der Stadt und

zahlreichen Blicken über die Stadtmauern hinaus, bei Diözesan -, Bezirks - und Bundes

- Aktionen.

Ausgehend von der Wissensvermittlung hat jeder Leiter mehrfach im Jahr die

Gelegenheit an Aus - und Fortbildungen teilzunehmen. Dieses breite Angebot wird

stammes - und personenabhängig mehr oder weniger genutzt. Insgesamt gesehen sind

die Ausbildungen fester Bestandteil des Leiterdaseins, die auch wahrgenommen

werden. Es werden zum einen Methoden und Handlungsformen mit praktischen

Elementen vermittelt, zum anderen auch Grundsätze, Selbstverständnis und die

Ausformungen des selbst gegebenen Erziehungsauftrages. Damit bietet die Ausbildung

pädagogisch fundierte Handlungsformen, die aus der Ordnung entnommen, oder auf

diese aufgebaut sind. Wie viel des Gelernten sich letzten Endes in der praktischen

Arbeit wiederfindet, ist abhängig vom Leiter. Mein Eindruck ist, dass in etwa die Hälfte

der pädagogischen Elemente, mit denen die Leiter mehr oder weniger auf Widerstände

bei den Kindern und Jugendlichen stoßen, wieder fallengelassen werden. Reflexionen,

die zumindest am Ende jeder Aktion dazugehören, werden zum Teil aus Zeitgründen

vergessen oder bewusst weggelassen. So oder so ähnlich verhält es sich auch mit

anderen Handlungsformen. Allerdings geraten Elemente, die dem Leiter oder der

Gruppe wichtig sind, nicht in Gefahr und drohen nicht, vergessen zu werden. Damit

sind nicht nur Aktionen, welche mit Spaß und Action verbunden sind, gemeint.

Elemente, wie zum Beispiel das Versprechen und die Vorbereitungen dazu; sie sind

meist als eindrückliche Erinnerungen positiv besetzt, obwohl intensive konzentrierte

Auseinandersetzung mit Inhalten und sich selbst gefordert sind.

Es gibt zwar aufgearbeitete Versionen mit methodischen Vorschlägen zur Erarbeitung

der Ordnung mit Kindern und Jugendlichen, doch ich weiß von keinem, der sie

angewandt hat. Möglicherweise aufgrund des fehlenden Wissens, dass es diese gibt.

Auch die meisten Leiter haben sich noch nie in die Ordnung eingelesen; sie wissen zwar

dass sie existiert und dass sie eine Grundlage unserer Arbeit ist, doch die Motivation zur

theoretischen Auseinandersetzung unter Eigeninitiative fehlt meist.

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Das heißt nicht, dass sich die Ordnung nicht in der praktischen Arbeit wiederfindet.

Dazu verhelfen die Ausbildungen und deren Teilnehmer als Multiplikatoren, die durch

ihre praktische Umsetzung ein Lernen an ihrem Beispiel ermöglichen.

Auch die meisten Jungleiter, die noch nicht zu einer Ausbildung gekommen sind,

beherrschen meist die praktische Leitertätigkeit schon ganz gut, da sie diese meist

jahrelang bei ihren Leitern gesehen haben und auch als Rover bereits Verantwortung für

Jüngere übernommen haben.

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5. Hirnforschung

In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Disziplin der Neurowissenschaften in

rasantem Tempo weiterentwickelt und seit dem Jahrtausendwechsel steht sie immer

wieder mit neuen Erkenntnissen und Verfahren im Blick der breiten Öffentlichkeit.

Dabei ist ein Bereich dieser jungen Wissenschaft die Neurologische Analyse von

Lernvorgängen. Manfred Spitzer ist wohl der bekannteste deutsche Hirnforscher,

wahrscheinlich nicht zuletzt aufgrund von provokanten Thesen wie „Fernsehen macht

dick, dumm, gewalttätig“. (vgl. Stuttgarter Zeitung 24.12.2005, S. 35ff). In seinem

Buch, „Gehirnforschung und die Schule des Lebens (2002)“, widmete er sich dem

menschlichen Lernverhalten. Mit seinen Forschungsergebnissen und Thesen stärkt er

dem ganzheitlichen Handlungslernen im sozialen Gefügen den Rücken. Im Bezug auf

die Handlungsorientierung schreibt Spitzer „Lernen erfolgt nicht passiv, sondern ist ein

aktiver Vorgang, in dessen Verlauf sich Veränderungen im Gehirn des Lernenden

abspielen. […]Wer Lernen für einen passiven Vorgang hält, der sucht nach dem

richtigen Trichter. Wer aber Lernen als eine Aktivität versteht, […] der sucht keinen

Trichter, sondern denkt über die Rahmenbedingungen nach, unter denen diese Aktivität

am besten stattfinden kann.“ (Spitzer 2002, S. 4) Die Verfestigung neuronaler

Verbindungen geschieht durch die Wiederholung und Verknüpfung von Erfahrungen.

Im Resultat führen sie zu erlernten Handlungsweisen. Das verdeutlicht Spitzer, am

Beispiel des Laufenlernens:

„Die Möglichkeit, laufen zu lernen, ist angeboren. Sie wird dann zur Wirklichkeit des

Laufenkönnens, wenn das Kind zur richtigen Zeit die richtigen Erfahrungen macht.

Derjenige, der dafür sorgt, dass dies geschieht, ist vor allem das Kind selbst. Was wir

tun können, beschränkt sich im Wesentlichen auf das Bereitstellen der geeigneten

Randbedingungen“ (Spitzer 2002, S. 205 f.)

Unter diesen Rahmenbedingungen für erfolgreiches und effektives Lernen nimmt die

Emotion einen besonderen Stellenwert ein. Emotionen bringen die Ausschüttung von

Hormonen und Neurotransmittern mit sich, die sich direkt auf Aumerksamkeit

Motivation und die Intensität der Erinnerung bzw. des Gelernten auswirkt. Besonders

hervorzuheben aus dem Cocktail an Botenstoffen, der durch unseren Körper flutet ist

das Dopamin. Es wird unter anderem dann ausgeschüttet, wenn etwas besser ist / besser

bewertet wird als zuvor erwartet und erzeugt zur Belohnung ein Hochgefühl (Vgl.

Heckmair/Michl 2008, S. 83) „Gleichzeitig wirkt der Botenstoff als „Türöffner" für die

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Verarbeitung von Informationen: Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass Informationen

oder bestimmte Erfahrungen abgespeichert werden, wird in diesem Zustand drastisch

erhöht. Andererseits werden auch negative Ereignisse bzw. Erfahrungen ebenfalls mit

Hilfe von Botenstoffen langfristig abgespeichert. So schütten die Mandelkerne Hormone

wie Cortisol aus, die dann dafür sorgen, dass sowohl explizite als auch implizite

Erinnerungen (also Verknüpfungen und Bewertungen des Erlebten) nicht verblassen

können.“ (Heckmair/Michl 2008, S. 83). Laut Spitzer wirken sich positive Emotionen

förderlich auf die Speicherung der zu lernenden Inhalte aus. Angst kann zwar kurzfristig

förderlich sein, führt jedoch langfristig zu negativen Effekten. (Vgl. Spitzer 2002 S.171)

Eine weitere neurobiologische Erkenntnis besagt, daß auch Kooperationsverhalten zur

Ausschüttung von Dopamin führt. Erforscht wurde das unter anderem an verschiedenen

Säugetieren, deren Sozialverhalten auch den Verzicht auf persönliche Vorteile

beinhaltet. Kooperation in sozialen Systemen löst Glücksgefühle aus, die wiederum eine

stärkere positiv besetzte Erinnerung hervorrufen. (Vgl. Heckmair/Michl 2008, S. 83ff)

Neue Forschungsergebnisse belegen außerdem, daß körperliche Bewegung im

allgemeinen und insbesondere komplexe Bewegungsmuster das Erinnerungsvermögen

fördern. Bei sportlichen Aktivitäten werden Neurotransmitter ausgeschüttet, die

besonders für die Hirnentwicklung wichtig sind. (Vgl. Heckmair/Michl 2008, S. 81ff)

Eine weitere Folgerung Spitzers besagt, dass sich Motivation nicht von außen

vermitteln lässt. Das Interne Belohnungssystem hat die Gefühlsebene unter Kontrolle.

Anspannung, Vorfreude, Ehrgeiz,…, können nicht in jemandem indiziert werden,

sondern kommen wenn dann von der Person selbst. Zum Beispiel durch eine positiv

besetzte Assoziation (Vgl. Spitzer 2002 S.192).

Heckmair und Michel haben die für die Pädagogik als zentral betrachteten

Neurowissenschaftlichen Erkenntnisse aufgelistet. Hier die, auf die Kernaussage

reduzierten, Punkte:

Wissen kann nicht vermittelt werden. Der Lernende muss es jeweils neu schaffen.

Eine herausragende Rolle beim Lernen spielen die Emotionen.

„Das Gehirn lernt immer“(Spitzer 2006,23).

Motivation ist ein körpereigener Belohnungsprozess, der dann einsetzt, wenn etwas

besser gelingt als erwartet.

Lernen funktioniert dann besonders gut, wenn der Lernende selbst aktiv ist,

Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten nutzen kann.

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Das Gehirn von Säugetieren ist auf gemeinschaftliches Handeln ausgerichtet.

Interaktion und Kommunikation sind bedeutende „Lernkraftverstärker“.

Dass eine auf Körper und Bewegung basierende Pädagogik die

`spielentscheidenden´ Gefühle besonders gut aktivieren dürfte.

Wenn etwas als neu, bedeutsam und herausfordernd wahrgenommen wird, setzen

Neurotransmitter und Hormone den Körper in gespannte Erwartung. Wenn dem

Lernenden dann etwas besser gelingt als zuvor erwartet, wird er mit körpereigenen

Opioiden belohnt.

(Vgl. Heckmair/Michl 2008, S. 85f)

All diese Erkenntnisse bestärken Handlungsorientierte-, Erfahrungsorientierte- in

sozialen Systemen agierende Lernmethoden. Die Neurowissenschaften können nun

belegen, warum diese Konzepte erfolgreich und legitim sind. Sie haben aufgezeigt, dass

das Emotionsschwere der Entscheidende Faktor in diesen pädagogischen Methoden ist.

(Vgl. Heckmair/Michl 2008, S. 77ff)

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6. Erlebnispädagogik

6.1 Der Begriff Erlebnis

„Eine Definition von „Erlebnis" herauszuarbeiten, stellt eine fast unmögliche Aufgabe

dar. Jeder Mensch hat ein ganz individuelles Erleben, denn „... was mich packt, muß

Dich noch kaum berühren und umgekehrt, was bei Dir Unschuld ist, kann bei mir

Schuld sein und umgekehrt, was bei Dir folgenlos bleibt, kann mein Sargdeckel

sein.“(Kafka 1995 S.84 in Heckmaier/Michel 2008 S.114) Trotzdem versuche ich, mit

einigen Zitaten und Definitionen den Begriff Erlebnis für die Verwendung in dieser

Arbeit zu umreißen.

Ein Erlebnis wird durch ein außergewöhnliches Ereignis hervorgerufen. Der Philosoph

Anton Neuhäusler interpretiert Erlebnis als „Erlebnis-Ereignis oder Erlebnisganzes“,

welches im Erleben eine exklusive Stellung einnimmt. Es wird vom Menschen als etwas

Außergewöhnliches erlebt. Das Erlebnis hebt sich vom alltäglichen Leben ab.(Vgl.

Neuhäusler 1967 S56 in ebenda S.114). Das besondere Erlebnis kann eine Bergtour am

Morgen sein, bei der man erlebt, wie die Sonne rötlich wie ein riesiger Fußball aufgeht

oder die Klettertour, bei der ein Teilnehmer panische Angst in der Kletterwand

bekommt. Alle diese Augenblicke, ob positiv oder negativ, heben das Leben hervor und

machen etwas besonderes daraus. Jedoch sind die äußeren Umstände nicht immer

entscheidend für das innere Empfinden. Jeder Mensch fühlt anders. Für den Soziologen

Gerhard Schulze ist dies weniger entscheidend, wichtiger ist wie das Erleben verarbeitet

wird. Das hängt aus seiner Sicht von drei Punkten ab:

„1) Jedes äußere Ereignis wird immer erst durch die Integration in einen schon

vorhandenen subjektiven Kontext zum Erlebnis. Es besteht also eine Interaktion

zwischen Situation und Subjekt.

2) Dazu kommt die Reflexion, mittels derer ein Subjekt versucht, sich ein Erlebnis

anzueignen und auch festzuhalten.

3) Das Erlebnisse also für sich selbst wirken („The Mountains Speak for

Themselves",(vgl Punkt 2.3), hält Schulze für nicht möglich. Weil sowohl das äußere

Ereignis nur begrenzt kontrollierbar ist als auch die Verfassung des Subjekts nicht

vorhersehbar, so wird die Planung eines Erlebnisses zu pädagogischen oder sonstigen

Zwecken immer zu einer gewagten Sache.“ .(G. Schulze 1992 in ebenda S.108)

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Demnach kann ein Erlebnis nur zu einem Zeitpunkt von einer bestimmten Person

empfunden werden. Außerdem muss eine wie auch immer geartete Reflexion erfolgen,

damit sich das Erlebte festsetzt. Zudem können Erlebnisse nicht geplant werden,

sondern es können nur die Rahmenbedingungen geschaffen werden es zu ermöglichen.

6.2 Definitionen von Erlebnispädagogik

Wie steht es nun mit dem Begriff der Erlebnispädagogik? Dieser ist auch nur schwer zu

bestimmen, da viele handlungsorientierte Ansätze zum Überbegriff 'Erlebnispädagogik'

gehören und sich immer noch neue Bereiche herausbilden. Deshalb gibt es von

verschiedene Autoren auch unterschiedliche Definitionsansätze. Einige davon sollen

hier angeführt werden. Um sie richtig einzuordnen ist ist es wichtig ihre Datierung zu

beachten.

Durch Jörg Ziegenspeck wird um 1990 der Begriff der modernen Erlebnispädagogik

geprägt. (Vgl. Fischer / Ziegenspeck 2000 S.11) In Anlehnung an Kurt Hahn konnte

man zu dieser Zeit die Erlebnispädagogik als „handlungsorientierte Methode, in der die

Elemente Natur, Erlebnis und Gemeinschaft pädagogisch zielgerichtet miteinander

verbunden werden.“ definieren. (Vgl. Heckmair/Michel 2008 S.115) Diese Definition

schließt jedoch Erlebnisräume, wie die Stadt oder Hochseilgärten, aus. 1994 integrierte

Ziegenspeck diese in seiner Weiterentwicklung:

„Die Erlebnispädagogik versteht sich als Alternative und Ergänzung tradierter und

etablierter Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Hört man heute das Wort

Erlebnispädagogik, so kann davon ausgegangen werden, daß primär natursportliche

Unternehmungen ... gemeint sind. Die einseitige Ausrichtung auf ... Outdoor-Pädagogik

muß aber in Zukunft zugunsten von ... Indoor-Pädagogik abgebaut werden, denn gerade

auch in den künstlerischen, musischen, kulturellen und auch technischen Bereichen gibt

es vielfältige erlebnispädagogische Entwicklungs und Gestaltungsmöglichkeiten.

Erlebnispädagogische Programme ... beziehen die natürliche Umwelt mit ein und

verfolgen damit meist zugleich einen ökologischen Bildungsanspruch.“ (Ziegenspeck

1994 in Fischer / Ziegenspeck 2000 S.11) Fischer stellte seinen auf Methodig und

Zielsetzung bezogenen Deffinitionsversuch von 1999 daneben: „Erziehung im engeren

Sinne der Erlebnispädagogik ist zielgerichtete und auf Ganzheitlichkeit angelegte

Planung, Vorbereitung, Durchführung und Auswertung erlebnispädagogischer

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Prozeßgestaltung mit dem Ziel, Selbst- und Umweltveränderungen im emotional-

erlebnishaften, sozial-kognitiven und praktisch-aktionalen Kontext zu bewirken.“

(Fischer 1999 in Fischer / Ziegenspeck 2000 S.12)

Bei Heckmaie und Michel findet sich die derzeit aktuellste, auch aufgrund des Beisatzes

zur Weiterentwicklung die treffendste, Begriffsbestimmung: „Erlebnispädagogik ist

eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in

denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen

gestellt werden, diese in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu

befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten. Damit bleiben wir angreifbar

und fordern alle Kritiker auf, diese Definition weiterzuentwickeln oder eine diskutable

neue vorzulegen.“ (Heckmair/Michel 2008 S.115)

Festzuhalten bleibt, dass die Erlebnispädagogik sich noch immer in der Entwicklung

befindet.

6.3 Entwicklung der Erlebnispädagogik:

Die Entstehungsgeschichte der Erlebnispädagogik ist eine junge, doch die Grundlagen

dazu wurden schon viel früher geschaffen. Unter den `Vordenkern´ der

Erlebnispädagogik lassen sich bedeutende Wissenschaftler und Philosophen verorten.

Laut Ziegenspeck sind die ersten Ausführungen über das praktische Potential erst Mitte

der 60er von u.a. Hermann Rörs und Wolfgang Scheibe formuliert worden und die

tatsächliche überregionale Ausbreitung in der Praxis ließ noch 20 Jahre auf sich warten.

(Vgl. Fischer / Ziegenspeck 2000 S.11)

Dieser Aussage kann wiedersprochen werden, da handlungsorientiertes

Erfahrungslernen in der Gemeinschaft bereits 1907 von Baden-Powell praktisch

angewandt wurde.

Im Folgenden Teil gehe ich auf einige der Wegbereiter vor und in der

Reformpädagogischen Bewegung ein.

6.3.1 Jean-Jaques Rousseau (1712-1778)

Rousseau ist als ein Vordenker der Erlebnispädagogik zu betrachten. Er entwickelte

viele Gedanken und Ideen, die auf das abzielen, was Erlebnispädagogik heute darstellt,

z. B. „Leben ist nicht atmen, Leben ist handeln“ Seine simplen, aber auch genialen und

bahnbrechenden Ideen, können mit 'Zurück zur Natur' überschrieben werden.

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Er hat formuliert, daß der Mensch nicht nur durch Denken zu seiner Form gelangt,

sondern auch, oder gerade durch, Handeln: „Das Kind will alles berühren, alles

anfassen. Verhindert die Unruhe nicht... Es lernt Wärme, Kälte, Härte, Weichheit,

Schwere, Leichtigkeit der Körper kennen und Größe, Gestalt und alle anderen

Eigenschaften beurteilen, indem es sie betrachtet, befühlt, belauscht.“(Russeau 1975

S.59 in Heckmair/Michel 2008 S.21) Rousseau erkannte die Bedürfnisse der

heranwachsenden Menschen und plädierte dafür, dass sie diese auch ausleben durften.

„Da spielen Lausbuben im Schnee, blau, verfroren und mit klammen Fingern. Sie

könnten sich wärmen gehen, aber sie tun es nicht. Zwingt man sie dazu, so empfinden

sie den Zwang hundertmal mehr als die Kälte.“ (Russeau 1975 S.59 in ebenda S.21)

Rousseau hatte begriffen, dass ein Bestandteil von Erziehung die selbst erfahrenen

Konsequenzen des kindlichen Erlebens und Lebens waren. Die Kinder sollten nicht

immer vom Erzieher oder den Eltern getadelt werden, sondern das Leben selbst sollte

die Kinder erziehen. „Der Knabe soll die natürlichen Folgen seiner Handlungen am

eigenen Leib erfahren. Wenn er die Fensterscheibe zerbricht, so mag der kalte Wind

Tag und Nacht herein blasen, und das Kind sich eine Erkältung holen, denn es ist

besser, daß es verschnupft, als närrisch wird.“ (Russeau 1975 S.59 in ebenda S.21).

Rousseau legt die Reihenfolge der uns erziehenden Umstände folgendermaßen fest: erst

die Natur, dann die Dinge und dann die Menschen. Der Erzieher ist nur da, um die

Erziehung durch die Natur oder die Dinge zu ermöglichen. (Vgl. ebenda S.19f) Hier

haben wir einen ganz klaren Bezug zur Erlebnispädagogik, in der die Natur ein

wichtiger Bestandteil ist und häufig als Medium der erlebnispädagogischen Erziehung

genutzt wird.

6.3.2 David Henry Thoreau (1817 – 1862)

Ein anderer Vordenker der Erlebnispädagogik war David Henry Thoreau, der durch

einen zweieinhalb jährigen Selbstversuch von sich reden machte. Er zog in die Wildnis

an den Waldensee, um „nach den Grundbedürfnissen des Menschen zu forschen und um

zu erfahren, was das eigentlich Wichtige im Leben ist“. Er stellte sich dabei Fragen wie

„Was sind die eigentlichen Lebensbedürfnisse?“ oder „Wie erlangt man wirkliche

Freiheit?“ Thoreau setzt wie Rousseau die Natur an erste Stelle der Umstände, die

einen Menschen erziehen. (vgl. ebenda S.25f) Thoreau war immer auf der Suche nach

Unmittelbarkeit, deren fehlen er u.a. der Bequemlichkeit, der Zivilisation und der

Technik zuschrieb. „Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu

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leben, dem eigentlichen wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen

konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen

müßte, daß ich nicht gelebt hatte.“ (Thoreau 1971 S.184 in ebenda S.26)

Thoreau hielt nicht viel vom technischen Fortschritt seiner Zeit. Er hinterfragte ihn

kritisch, denn ihm war nicht klar, ob er ein Segen oder ein Fluch für die Menschheit

war.

Kritik dieser Art wird auch heute noch in der Erlebnispädagogik geübt: Die

fortschreitende Technik als ein Gegenstand, der den Menschen unfrei und nicht mehr

lebensfähig macht. Technik als Medium, welches den Menschen versklavt und ihn dem

wirkliche Leben entzieht.

Er dokumentierte sein Leben in der Wildnis und kritisierte darin die heranwachsende

Industriegesellschaft in den Vereinigten Staaten und rief zu einem natürlicheren und

bewußteren Leben auf. Er stellte schon damals die Schnelllebigkeit der Gesellschaft fest

und forderte, dass jeder Rechenschaft über seine Bedürfnisse ablegen sollte. (Thoreau

1971 S.57 in ebenda S.28) Thoreau möchte einen neuen Menschen erziehen, der

aufrichtig, einfach, wahrheitsliebend, vertrauenswürdig und weise ist. Während

Rousseau ein Theoretiker blieb gründete Thoreau eine Privatschule, an der er seine

pädagogischen Ideen in der Praxis erprobte.

Er ist bekannt für seine zwei wichtigsten Bücher („Walden oder das Leben in den

Wäldern und „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“) und bietet sich an

als Poet, Philosoph, Pädagoge, Psychologe und Vordenker für die ökologische

Bewegung und die Erlebnispädagogik. (Vgl. ebenda S.22ff)

Die knappen Beschreibungen Rousseaus und Thoreaus geben einen Eindruck in die

Gedankenwelt von zwei der wichtigsten Wegbereiter der Erlebnispädagogik.

Ausführlichere Schilderungen hätten den Rahmen dieser Arbeit gesprengt. Um sie nicht

ganz auszulassen erwähne ich zwei weitere Vordenker der Erlebnispädagogik, William

James und John Dewey. Dewey gilt als Vordenker der handlungsorientierten

Pädagogik. William James ist als einer der geistigen Väter Kurt Hahns zu betrachten.

6.3.3 Die Reformpädagogik 1890 - 1933

Die Reformpädagogik verstand sich als eine Bewegung, die die alten, traditionellen

Erziehungsmethoden verändern und verbessern wollte. Sie machte Front gegen eine

autoritäre Struktur der Schule und eine dem Kinde nicht entsprechende Erziehung. Es

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wurde einerseits die Erziehung vom Kinde aus gefordert, und andererseits wurden die

autoritären Strukturen der Lehranstalten durchbrochen. Der Schüler sollte dazu befähigt

werden zu handeln und zu denken. Ein Vorwurf den die Reformpädagogen an die

Schule richteten war, dass sie den Kindern das Lernen und Urteilsvermögen beibringe,

sie jedoch nicht handlungsfähig mache. (Vgl. A. Reiners 1995 S.12f) Hieraus

entwickelten sich unterschiedliche Bewegungen, die aber im Grunde das gleiche Ziel

verfolgten, nämlich die ganzheitliche Erziehung. Jeder Reformpädagoge bildete nach

seinen Erfahrungen und Kompetenzen eine Richtung der Reformpädagogik aus. Es gibt

einige Begriffe, die in nahezu jeder reformpädagogischen Bewegung als zentral

verstanden werden. Das Erlebnis ist einer dieser, und wird bei den meisten

Reformpädagogen hauptsächlich im Zusammenhang mit der Schulbildung genannt, die

an Erlebnisarmut leidet. Weitere wichtige Begriffe sind der Augenblick,

Unmittelbarkeit, Echtheit und Einfachheit und der Gemeinschaft als Prinzip. (Vgl.

Heckmair/Michel 2008 S.31ff) Die Auswirkungen dieser fruchtbaren pädagogischen

Epoche sind noch immer dabei sich zu entfalten. Sie hat bereits etliche alternative

Schulbewegungen und außerschulische Bildungsangebote hervorgebracht, teilweise

auch erst einige Zeit nach dem Ableben ihrer Gedankenväter. Bekannte Beispiele sind

die Waldorfschule, Summerhill, diverse freie Schulen sowie die

Kunsterziehungsbewegung und die Erlebnispädagogik. (Vgl. A. Reiners 1995 S.12f).

Zum Abschluss dieser bedeutenden Epoche eine Auflistung der bekanntesten und der

für die Erlebnispädagogik wichtigen Reformpädagogen mit, ihrem Hauptthema

beziehungsweise Auswirkung auf die heutige Bildungslandschaft.

- John Dewey (Projekt, Demokratisierung),

- Hugo Gaudig (Freie geistige Schularbeit, Gruppenarbeit),

- Kurt Hahn (Schule Schloss Salem, Erlebnispädagogik, Landerziehungsheime),

- Janusz Korczak (Kindergericht, Kinderrechte),

- Alfred Lichtwark (Kunsterziehungsbewegung),

- Maria Montessori (Montessoripädagogik: Freiarbeit, Schulische Integration),

- Herman Nohl (Pädagoge, Philosoph),

- Minna Specht (Landerziehungsheimbewegung, Odenwaldschule),

- Rudolf Steiner (Waldorfschule, Waldorfpädagogik, Anthroposophie),

(Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Reformpädagogik)

und

- Robert Baden-Powell (Pfadfinderbewegung)

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6.3.4 Kurt Hahn (1886 - 1974)

Wenn man die Entstehungsgeschichte der Erlebnispädagogik betrachtet, ist Kurt Hahn

die zentrale Person, bei der Werke verschiedener Philosophen und und Pädagogen auf

fruchtbaren Boden fielen. Als ausgewiesener Praktiker verstand er, aus der Ableitung

von theoretischen Grundlagen, Projekte zu starten und diese in der Durchführung zu

schleifen und meist erst im Nachhinein das Konzept dazu zu verfassen. Röhrs schreibt

hierzu, dass sich Hahns pädagogischer Ansatz „im Schnittpunkt der

geistesgeschichtlichen Linien von Plato und den englischen Public Schools über die

Kulturkritik des ausgehenden 19. Jahrhunderts einerseits sowie vom amerikanischen

Pragmatismus in der Gestalt von William James bis zu den Landerziehungsheimen -

inbesondere in der Lietzschen Prägung – andererseits verorten ließe.“ (Röhrs 1966, 91

in Heckmair/Michel 2008 S.37). Hahn selbst bezeichnete seine Pädagogik als

`keineswegs neu oder originell´ und als konglomerathaftes Konzept, das nur durch seine

Verschachtelung als innovativ bezeichnet werden kann. (Vgl. ebenda S.37) Die heute,

für die Erlebnispädagigik wichtigsten und oft rezitierten Elemente des Hahnschen

Konzepts, sind die von ihm benannten `Gesellschaftlichen Verfallserscheinungen´(Vgl.

7.1.1) und die `Erlebnistherapie´(vgl. 7.1.2) mit ihrem übergeordneten Ziel der

Persönlichkeitsentwicklung, die er ihnen entgegensetzt. Diese sollten an die

`Verborgenen Kräfte der Jugend´, den Schaffensdrang, den Forschungstrieb, und die

Sehnsucht nach Bewährung, ansetzen. Im Allgemein sind viele der Hahnschen

Maximen, Natur als Handlungsfeld, ernsthafte und unmittelbare Lernsituationen,

Echtheit, Direktheit, Authentizität, sowie die Körperlichkeit als lustfolles Erleben

psychischer und physischer Anstrengung, auch in der modernen Erlebnispädagogik

noch immer aktuell. (vgl. ebenda S.41)

Kurt Hahn wurde in Berlin als zweiter Sohn jüdischer Eltern geboren und wuchs in

bürgerlichem Wohlstand auf. Nach dem Abitur studierte er in England Philosophie und

Altphilologie. Nach seiner Rückkehr1914 arbeitete Hahn für das Auswertige Amt, in

dem Prinz Max von Baden sein Vertrauter wurde. Während des ersten Weltkriegs war

er als Englandexperte gefragt und hielt die deutsche Sache für eine Gute. Als die

Möglichkeit der Niederlage deutlicher wurde setzte er sich in einer Gruppe um Max von

Baden mit einer `Rechtfertigungsstrategie für das Zustandekommen der

Kriegshandlungen´ auseinander. Kurt Hahns Weltbild, sowie sein Werteverständnis war

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eher konservativ, doch er sah Handlungsbedarf in der `Erziehung der Gesellschaft´ und

damit Reformbedarf im Schulsystem. 1920 gründete Max von Baden gemeinsam mit

Hahn das Internat Schloss Salem. Damit verfolgten sie in den Ursprüngen die Idee einer

`alternativen Elitenbildung´(Vgl. Fischer / Ziegenspeck 2000 S.223f). In einem Brief an

Eltern und Freunde schrieb Hahn: „Salem wurde gegründet, in Auflehnung gegen den

Versailler Vertrag, .... Wir sind die erste Schule, die öffentlich verkündet hat, ein

Geschlecht heranzuziehen, das bereit ist, die Fesseln zu zerbrechen, wenn sie sich nicht

lösen“ (Hahn, Brief vom 5.6.1933 in ebenda S.227f) Um diese neue Generation

heranzuziehen setzte Hahn auf ein Konzept, das die reformpädagogischen Ideen eines

offenen und sozialen Erfahrungslernens beinhaltete, um Handlungsbereitschaft und

Kooperationsfähigkeit zu fördern. Auch die Organisation Salems als Schulstaat

erscheint unter diesem Aspekt als passendes System. (Vgl. ebenda S.228) Politische

Verantwortung und kooperatives Handeln sollten in einem System aus Ämtern,

Diensten und sonstigen Zuständigkeiten praktisch geübt werden.[…] Soziales und

staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein sollte sich aus den Lerngegenständen

selbst ergeben. (ebenda S.228).

1933 wurde Hahn von den Nationalsozialisten in Schutzhaft genommen, aus der er mit

der Unterstützung des Markgrafen von Baden nach 5 Tagen wieder freikam. Danach

emigrierte er nach Schottland und gründete dort 1934 die British Salem School, die er

nach einem ähnlichen Konzept, des deutschen Gegenstücks aufbaute. (Vgl. ebenda

S.242ff) Mit seiner Charaktererziehung erlangte Hahn das Ansehen verschiedener

einflussreicher Persönlichkeiten. Auf Anraten und mit deren finanzieller Unterstützung

entwickelte Hahn 1941 das Kurtzzeitschul-Konzept. Darin setzte er sein Modell der

Erlebnistherapie (vgl. 7.1.2), das er aus seinen Studien und praktischen Erfahrungen

entwickelt hatte, um. Aus diesem Konzept entwickelten sich die Outward Bound

Schulen, die sich 1951 auch nach Deutschland ausbreiteten. Die Weiterentwicklung der

Kurzzeitschulen integrierte auch das Ziel der Internationalität. Dadurch sollte

Verständigung zwischen den ehemals verfeindeten Nationen betrieben werden. Diese

Veränderung machte den Anfang zu mehr Toleranz und Weltoffenheit. Diese

Entwicklungen wurden in den Hahnschen Internaten fortgesetzt. (Vgl. ebenda S. 252ff)

Kurt Hahn verbrachte seinen Lebensabend in Schloß Salem, auf dessen Leitung er noch

bis zuletzt Einfluss hatte.

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Das Salemer Internat ist damals, wie heute, eine elitäre Einrichtung. Sie öffnet sich

zwar mit einem Stipendium für Kinder weniger wohlhabender Schichten, doch die

Deutsche Bildungselite kommt heute, aufgrund bildungspolitischen Bedingungen,

wieder mehr aus der `Oberschicht´.

6.4 Die moderne Erlebnispädagogik

6.4.1 Grundlagen und Ziele von Erlebnispädagogik

Erlebnispädagogik ist heutzutage eine Methode, die in vielen unterschiedlichen

Zusammenhängen angewandt wird, um gesellschaftlichen und persönlichen Problemen

zu begegnen. Ebenso dient sie nicht nur in Problemzusammenhängen, sondern wird im

allgemeinen meist im Sinne von Stärkung / Entwicklung der Persönlichkeit, sowie der

Optimierung der Teamfähigkeit in einem bestimmten Sozialsystem eingesetzt.

Erlebnispädagogik soll individuelle Weiterbildung sein, mit Zielen wie Stärkung des

Selbstwertgefühls und der Sozialkompetenz, Auseinandersetzung mit der eigenen

Persönlichkeit und Lebenssituation und dem Bewusstmachen der daraus folgenden

eigenen Konsequenzen zur Veränderung.

Alle diese Punkte zielen auf die Verbesserung der Lebensstrategie ab, bereiten uns mehr

Sicherheit und ermöglichen uns ein (er-)Leben mit mehr `Leichtigkeit´.

Einige Schlagwörter, die die moderne Erlebnispädagogik und ihre Arbeitsweise

beschreiben wurden von A. Reiners zusammengestellt.

„ - Learning by doing

- Erleben und Lernen

- Gemeinschaftserlebnis

- Grenzsituation

- Ganzheitlichkeit

- Bezug zum eigenen Körper

- Aktion und Konsequenz

- Aktion und Reflexion

- Praktische Erfahrung und Bewährung statt theoretischer Belehrung

- Auseinandersetzung mit Räumen (Natur/Stadt)“

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(A. Reiners 1995 S.)

Um diesen ersten Eindruck zu vertiefen macht es Sinn nach den Kriterien zu fragen.

Was sollte erlebnispädagogische Arbeit beinhalten? Claudia Kolb beantwortet diese

Frage in ihrer Diplomarbeit von 1992 und Anette Reiners versieht diese in ihrer

Veröffentlichung von 1995 mit Anmerkungen zu aktuelleren Entwicklungen.

Erlebnispädagogische Arbeit muß:

„Erlebnis und Erfahrung der Natur beinhalten; (dies ist aufgrund

erlebnispädagogischer Projekte in der Stadt nicht mehr ausschließlich gültig; Anm.

Reiners)

auf der Mitverantwortung jedes Teilnehmers für das Gelingen des Unternehmens

beruhen;

die Kenntnisse und das Handeln ausdrücklich lehren, die für das Bestehen des

Unternehmens gebraucht werden;

soziale Beziehungen aus der Unternehmung heraus stiften;

sich an Jugendliche an der Schwelle des Erwachsenseins wenden (inzwischen

werden auch Kurse für Erwachsene angeboten; Anm. Reiners)

als Personal nicht nur Pädagogen, sondern wenn angebracht auch Fachleute der

Sache (Seeleute, Bergsteiger u.a.) vorweisen, die sich sachlich und nicht

pädagogisch vermitteln;

ein gewisses Risiko beinhalten, das nach bestem Wissen und Gewissen kontrolliert

und begrenzt, aber nicht völlig ausgeschalten werden kann (und soll; Anm. Reiners)

erzieherisch gemeint sein.“ (Claudia Kolb 1992 S.7 in A. Reiners 1995 S17f)

Heckmair und Michel haben Ende der 90er eine Sammlung von Thesen verfasst, die bis

heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Sie sind eine treffende Beschreibung

von Zielen und Wegen der Erlebnispädagogik. Diese sollen hier zusammengefasst

werden:

Erziehung und Lernen soll Spass machen und soll spannend sein. Kinder,

Jugendliche, Erwachsene finden es dort interessant, wo es nach `Action´ und

`Abenteuer´, nach `Sport, Spiel und Spannung´ riecht.

Erfahrungslernen geht zwar von `Action´ aus, berücksichtigt aber immer auch die

pädagogischen Implikationen, schafft den Zusammenhang zwischen äußerem und

innerem Erleben, zwischen Innenwelt und Außenwelt.

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Die Außenwelt wird dabei umso bewusster und differenzierter wahrgenommen, je

mehr durch `Learning by Doing´ die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen

berührt wird.

Ebenso sollen neue Perspektiven und Rollen entdeckt werden, die im Spiel ein

anderes Raum- und Zeitverständnis ermöglichen. Kinder, Jugendliche und andere

„Kunden“ handlungsorientierter Ansätze können so von außen auf ihren Alltag

blicken und neue Wege und alte Sackgassen erkennen.

Handlungsorientierte Methoden haben die Möglichkeit, die pädagogische

Dimension der Pause, des Ruhens, der Stille, des Müßiggangs, der Langsamkeit und

der Einsamkeit wirksam werden zu lassen. Vielleicht sind die körperliche

Anstrengung und die Leistung Voraussetzung für die pädagogisch wertvollen

Augenblicke der Pause und des Miteinander-Redens.

Wer gemeinsam handelt, den verbindet etwas. So gesehen wird die Brücke zwischen

Teamer und Teilnehmer breiter. Jeder wird leichter `greifbar´. Jede Schulklasse

erlebt diesen, wohltuenden Einsturz der pädagogischen Mauern im Schullandheim.

Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler hat sich danach meist grundlegend -

und meist positiv- verändert.

Wer Jugendliche nur als durch die beraterische oder therapeutische Brille gesehen

hat, wird eine zentrale Funktion der Jugendarbeit nur mangelhaft erfüllen können,

nämlich Brückenbauer zwischen den Generationen zu sein. Handlungsorientierte

Methoden können die Pädagogen wieder zu dieser ursprünglichen Funktion

zurückführen.

`Der Weg ist das Ziel´! - Diese Aussage gilt selbstverständlich für

handlungsorientierte Ansätze. Wichtiger als das Gipfelkreuz ist die gemeinsame und

individuelle Leistung, das neue Gespür für den eigenen Körper, die Gedanken, die

das Gehen hervorrief.

Erfahrungslernen gewinnt immer, wenn es nicht als Selbstzweck angeboten wird.

Von sozialen und ökologischen Initiativen wie z. B. `Greenpeace´ und `Robin

Wood´ kann die moderne Pädagogik viel lernen. Konzeptionen aus dem Bereich der

Jugendhilfe, die Erlebnis- und Reisepädagogik mit sozialen oder ökologischen

Zwecken verbinden, sind schlichtweg überzeugend.

Überschaubarkeit, Unmittelbarkeit, Unausweichlichkeit sind Stichwörter für

`Experiential Learning´. Das handlungsorientierte Lernen vereinfacht die

komplizierte Wirklichkeit auf, in der Regel, überschaubare und kontrollierbare

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Funktionen (vielleicht, weil so der Mut zum Handeln wächst?). Diese Reduktion

muss wieder aufgehoben und die Erfahrungen müssen in die Realität integriert

werden. Nur so kann die Hoffnung aufgebaut werden, dass wir durch Handeln etwas

bewirken können. (Vgl. Heckmair/Michel 2008 S.57f)

Um den Zielen von Erlebnispädagogik eine Chance zu geben muß man das Alltagsleben

verlassen und sich auf das Wahrnehmen und Klären eigener Ziele und Bedürfnisse

einlassen. Nur so kann diese Methode wirken. Eigenmotivation, das von sich aus `drauf

Einlassen´ ist der entscheidende persönliche Faktor. Die Erlebnispädagogik kann einem

dabei helfen, indem sie in der geringeren Geschwindigkeit und dem herausholen aus

dem `Alltagshandeln´ eine gewisse Aufmerksamkeit auf die eigenen Bedürfnisse lenkt.

So werden Stärkung des Selbstvertrauens und Erlangen von Mut und Sicherheit durch

das Wissen um die eigenen Kompetenzen, einer Festigung der Persönlichkeit,

Entwicklung sozialer Kompetenz möglich. Die Erlebnispädagogik soll dazu

Anregungen geben und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Man muss sozusagen Erfahrungen mit sich selbst in verschiedenen Situationen

sammeln, um besser einzuschätzen zu können, in was man gut ist, wo die eigenen

Grenzen liegen und in welchen Bereichen noch persönliche Entwicklung nötig und

möglich ist.

6.4.2 Wirkungsmodelle der Erlebnispädagogik

Im Zemtrum der Debatte der letzten 20 Jahre stand und steht die Frage, ob

Erlebnispädagogik überhaupt wirkt. Dabei stellt sich die Frage, wie die Teilnehmer

einer erlebnispädagogischen Maßnahme die erlernten Kompetenzen erfahren haben, wie

diese in ihrem alltäglichen Leben wirken und ob sie diese einsetzen können. Das

Transfer-Problem wird unter 7.4.6 noch einmal etwas ausführlicher aufgegriffen.

„Der Transfer wird als „... das Fortschreiten des Lernenden vom Konkreten zum

Abstrakten verstanden, in dem er neue Verhaltensweisen in der konkreten (Kurs-)

Situation entdeckt, diese Lernerfahrungen generalisiert und auf andere (Alltags-)

Situationen überträgt.“ (Rainers 1995 S.59)

In diesem Zusammenhang stehen auch immer die Wirkungsmodelle der

Erlebnispädagogik zur Debatte. Sie sind auch im Kontext der zeitlichen

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Weiterentwicklung der Erlebnispädagogik zu sehen, und werden hier in aller Kürze

aufgegriffen.

Das 'The Mountains Speak for Themselves'-Modell ist an Kurt Hahn angelehnt. Es

wurde Ende der 60er Jahre angenommen, dass das Erlebnis in einem Kurs für sich

selber spricht, und der Teilnehmer keine Transferhilfe benötigt. „Die Betreuer waren

Expertinnen für Situationen in der Wildnis und vermieden Berater- und

Diskussionsleiterfunktionen Somit standen „Feedback und Diskussion“ […] im

Hintergrund.“ (Rainers 1995 S.60)

Dieses Modell wird auch heute noch verwendet, darf aber nie alleine stehen und in

Reinform auftreten. Es besteht sonst die Gefahr, dass Ängste und Probleme der

Teilnehmer vernachlässigt werden und damit das `in Gang kommen´ eines positiven

Prozesses unmöglich wird.

Das 'Outward Bound Plus' Modell baut auf dem Gedanken des 'Mountains Speak for

Themselves'-Modell auf, nur ist in diesem auch eine Reflexion integriert. Die

Teilnehmer überlegen sich nach einer natursportlichen Aktivität mit der Gruppe und den

Betreuern, welche Erfahrungen gemacht wurden und wie sie in den Alltag übertragen

werden können. Hier wird versucht das Erlebte in den Kursen auf die Situation zu

Hause zu

übertragen. A. Reiners formulierte folgende Kritikpunkte:

1. Die Erlebnispädagogik verliert ihre Einzigartigkeit, weil das Erfahrungslernen durch

die Reflexion zu einem nach der Erfahrung-Lernen wird.

2. Die Gefahr besteht, dass Erlebnisse, durch nicht einfühlsame Reflexion, so verändert

werden können, dass sie dem Erfahrenen nicht mehr entsprechen. (ebenda S.60)

Das entspricht der noch negativeren Formulierung des `totredens´ eines Erlebnisses.

Das metaphorische Modell etablierte sich in den 80er Jahren und legt Wert auf eine

pädagogisch begleitete, erlebnisreiche Aktion, die möglichst ähnlich zur

Alltagssituation sein soll. Der Erfinder dieser Idee ist Stephen Bacon. Er ist der

Auffassung, „daß gelernt wird, indem man eine Beziehung zwischen früheren und

gegenwärtigen Erfahrungen herstellt, um seinen Realitätssinn zu bekräftigen oder zu

verändern.“ (ebenda S.60) In der praktischen Umsetzung werden der Gruppe im Voraus

ein paar einleitende Worte gesagt, die für bestimmte Prozesse sensibilisieren sollen.

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Somit wird die Auseinandersetzung mit den eigenen Verhaltensweisen und denen der

Gruppe verstärkt. In der Situation erfolgt ein Umdenken, das sich somit stärker

`einbrennt´ als die reine Reflexion.

Allerdings sind einige Vorüberlegungen zu machen, bevor das 'Metaphorische Modell'

eingesetzt werden kann. Die Erlebnisse der Teilnehmer müssen genau geplant sein,

damit sie den Bedürfnissen der Menschen entsprechen, und `isomorph´ sind. Außerdem

muß der Betreuer in der Lage sein, die „typischen alten Verhaltensmuster“ zu erkennen

und diese durch das Angebot von besseren Alternativen zu verändern. (Vgl.ebenda

S.67)

In der Methodendiskussion meinen viele, Stellung beziehen und sich für ein Modell

stark machen zu müssen. Meist natürlich für das momentan Aktuellste und Modernste.

Doch die Praxis versierter Erlebnispädagogen zeigt, dass sich kompetentes Handeln

durch einbinden aller Methoden in den richtigen Situationen ausweist. Alle Methoden

haben in den entsprechenden Situationen ihre Berechtigung, solange sie der Zielsetzung

einer Aktion entsprechen und dieser zuträglich sind, beziehungsweise den

größtmöglichen Erfolg versprechen. Deshalb ist die Behauptung, eines der Modelle

wäre `von gestern´ ist aus meiner Sicht nicht richtig.

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7. Erlebnispädagogik und Pfadfinderpädagogik im Vergleich

7.1 Historischer Vergleich

Wie in 1.2.2 Einordnung und Wurzeln bereits erörtert, lebte Baden-Powell zur Zeit der

reformpädagogischen Hochphase und unter dem Einfluss dieses Zeitgeists. Er kann also

mit Recht als bedeutender Reformpädagoge gesehen werden.

Auch wenn die Erlebnispädagogik nicht aus dieser Zeit stammt, stecken doch ihre

Wurzeln in der Reformpädagogik und ihren Vordenkern (Vgl. Heckmair/Michl 2008, S.

15ff). Der Beweis dieser These kann zwar nur indirekt über Wegbereiter und deren

Aussagen geführt werden, ist aber nicht viel weniger eindeutig. Zum Beispiel über die

Bedeutung des Erlebens in der Reformpädagogik, oder über Kurt Hahn als Begründer

der Erlebnistherapie und `Outward Bound´, und somit quasi Vater der

Erlebnispädagogik. Auch bei der Pfadfinderbewegung stammen Teile der Methoden,

Handlungsformen und Aktivitäten, die im Vergleich mit der modernen

Erlebnispädagogik zu sehen sind, nicht aus der Gründerzeit und sind somit auch als

Weiterentwicklung zu sehen.

Weitaus konkreter als der Vergleich über die gemeinsame Basis in der

Reformpädagogik, ist die Gegenüberstellung der Persönlichkeiten Kurt Hahn und

Robert Baden-Powell. Noch ergiebiger ist die Betrachtung der Überschneidungen von

Hahns Erlebnistherapie und Baden-Powells Erziehungskonzept.

Es gibt viele Gemeinsamkeiten dieser beiden `Pädagogen´, zum Beispiel, dass sie keine

ausgewiesenen Pädagogen, beziehungsweise Geisteswissenschaftler, waren. Beide

waren ausgesprochene Praktiker, die zuerst ihre Ideen durchführten und sie, wenn

überhaupt, erst später dokumentierten und auf theoretische Grundlagen stellten. Beide

sind eher als wertkonservativ zu sehen und halten die bürgerlichen Tugenden hoch, ihre

Leidenschaft liegt in der Natur und der sportliche Betätigung. Bei Kurt Hahn liegt der

Gedanke nahe, dass er mit den damaligen Schulen nicht einverstanden war, was ihn

bewegte, eine eigene zu gründen. Auch Baden-Powell bemängelte das vorherrschende

Schulsystem: „Baden-Powell sah auch in den öffentlichen britischen Schulen nicht die

geeigneten Erziehungsinstitutionen zur Heranbildung der englischen Jugend zu

gesunden und charakterstarken Staatsbürgern; die Schulen seien zu einseitig an der

Vermittlung eines bestimmten Wissensstandards orientiert (vgl. B.-P. 1929, S. 7).“

(Gerr 1983 S.39) Auch dass Hahn lange Jahre in England gelebt und gewirkt hat, ist ein

nicht zu vernachlässigender Faktor.

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7.1.1 Gesellschaftliche Missstände als Ausgangssituation für die Überlegungen

Hahns und B.P.s

Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Sichtweise ihrer Beweggründe, sich pädagogisch zu

engagieren: in Form von Zivilisationsschäden / Nationale Übel (B.-P.) und

Verfallserscheinungen (Hahn). Hahn und Baden-Powell lebten in einer Zeit, in der die

ersten negativen Auswirkungen der industriellen Revolution sichtbar wurden:

„Die Gefahr eines Auftretens zunehmender Zivilisationsschäden wurde von Baden-

Powell deutlich gesehen und er beklagte diesen neuen, durch

Massenkommunikationsmittel verbildeten Zeitgeist: „The public mind is largely

occupied with cinema-stars . . . and murders . . . and it is thanks to this interest in false

values that the nation is suffering today under its many ills (B.-P. 1929, S. 7).“ [Deshalb

soll Scouting] „als vorbeugendes Mittel gegen die negativen Einflüsse der

Überzivilisation angesehen werden: „Wir müssen das kommende Geschlecht vor

einigen in der Gegenwart offenkundigen Schäden bewahren“ (B.-P. 1944, S. 14 in .Gerr

1983 S.39)

Kurt Hahns Gesellschaftsdiagnose basiert auf Feststellung von sozialer, moralischer und

körperlicher Degeneration, deren Auslöser eine Krise der Familie und eine Krise der

Demokratie seien. „Er glaubte in den gesellschaftlichen und schulischen Gegebenheiten

den „Verfall der körperlichen Tauglichkeit, Verfall der Initiative, Verfall der

Sorgsamkeit, Verfall des Erbarmens und Verfall der menschlichen Anteilnahme“(K.

Hahn, 1958 Die nationale und internationale Aufgabe der Erziehung S. 11) bei

Jugendlichen feststellen zu können.“ (J. Ziegenspeck, 2000 S.240)

Der Vergleich der `nationalen Übel´ Baden-Powells und den Hahnschen

`Verfallserscheinungen´ zeigt strukturelle Unterschiede auf. Die vier weitgreifenden

Mängel stehen einer recht ausdifferenzierten Liste von Übeln gegenüber.

Verfallserscheinungen:

der „Mangel an menschlicher Anteilnahme“

der „Mangel an Sorgsamkeit“

der „Verfall der körperlichen Tauglichkeit“

der „Mangel an Initiative und Spontanität“

(Vgl. Heckmair/Michl 2008, S. 38)

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(Grafik: Baden-Powell in Johannes Winter 1986 S.75)

Nach kurzer Zeit lassen sich doch Gemeinsamkeiten und thematische

Überschneidungen finden, die einen vagen Vergleich zulassen.

Mit dem `Mangel an menschlicher Anteilnahme´ lässt sich `Selbstsucht und Mangel an

Rücksicht´ vergleichen. Der `Mangel an Sorgsamkeit´ kann mit `Gleichgültigkeit gegen

höheres Gewissen´ in Verbindung gebracht werden und der `Verfall der körperlichen

Tauglichkeit´ bildet das das Äquivalent zur `körperlichen Unzulänglichkeit´.Zum

Mangel an `Initiative und Spontaneität´ passt unter anderem `Bummelei und

Drückebergerei´.

Baden-Powells tabellarische Auflistung ist jedenfalls nicht so zeitlos wie die von Kurt

Hahn benannten prägnanten Eigenschaften- von denen der menschliche Charakter selten

zu viel besitzt.

Jedenfalls sehen beide eine krankende Gesellschaft, die sie mit ihrer jeweiligen

Methode heilen, beziehungsweise therapieren wollen.

7.1.2 Vergleich von Hahns Erlebnistherapie und Baden-Powells Erziehungszielen

Ausgegangen vom Grundansatz der Konzepte setzen beide auf die

Handlungsorientierung. Das kommt zum Beispiel in dem pfadfinderischen Prinzip

`Scouting is Doing´ zum Ausdruck. „[…]we encourage them to be active in doing

rather ten to be passive recipents of instrction.” (B.P.1929 S.43f in Gerr 1983 S.57)

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Baden Powell hat seinen Erziehungszielen in einer Tabelle Eigenschaften, die den

Charakter bilden sollen, zugeordnet und ihnen Erklärungen, das entsprechende

Pfadfindergesetz und Übungen beigefügt. Diese sind mit Buchstaben versehen, die ich

im folgenden Abschnitt nach dem jeweiligen Erziehungsziel in Klammer gesetzt habe,

um sie der nachfolgenden Grafik zuordnen zu können.

Es fällt auf, dass bei drei von vier Teilen eine eindeutige thematische Übereinstimmung

bezüglich der Erziehungsziele besteht.

Kraft und Gesundheit

In der Gegenüberstellung `Körperliches Training´ und `Physische Kraft / Gesundheit´

[c); h)] ist der Unterschied die Erweiterung des Themas bei B.-P. auf den Bereich der

gesunden Lebensführung und Krankheitsverhütung. Beide legen großen Wert auf

Körperertüchtigung in der freien Natur unter Einbindung von verschiedenen

Natursportarten. Hier spielt noch Hahns Element Expedition mit hinein.

Handwerkliche Geschicklichkeit

Die Erziehung zu `Handwerklicher Geschicklichkeit´[c); h)] umfasst unter anderem das

Erlernen bestimmter Arbeiten und Techniken und die Entwicklung künstlerischer und

handwerklicher Fähigkeiten sowie des technischen Verständnisses. Diese Übungen

werden in der praktischen Umsetzung meist in Projektform durchgeführt. (Anmerkung:

In der DPSG ist die Projektmethode fester Bestandteil der Ausbildung und gängigen

Praxis)

© Hofer

(Vgl.: Gerr 1983 S.39) (Vgl.: Heckmaier/Michel 2008 S.39)

Körperliches Training

Expedition (Plahnung

und Durchführung) ~

Projekt (Handwerklich /

Technische Umsetzung )

Dienst (Rettungsdienst)

Physische Kraft /

Gesundheit

Handwerkliches Können /

Geschicklichkeit

Nächstendienst

Charakter

Erziehungsziele nach

Baden Powell

Erlebnistherapie

nach Kurt Hahn

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Der feste Rahmen und die Fertigstellung des Projekts ist für Hahn die wichtigste Basis

dieses Elements. Eine Formulierung des 8. Pfadfindergesetzes lautet: Ein Pfadfinder

macht nichts halb und gibt auch in Schwierigkeiten nicht auf.

Eine mehrtägige Tour, im Sinne der Hahnschen Expedition, lässt sich auch auf das

Element der Geschicklichkeit und Findigkeit beziehen.

Nächstendienst

Das zentrale Ziel der Erziehung zu Dienstbereitschaft [a); d)], ist die Entwicklung von

staatsbürgerlichen Tugenden wie Aufopferungsbereitschaft und der aktive Dienst am

Nächsten. Wahlspruch der Pfadfinder „Be Prepared“ und die allseits bekannte tägliche

gute Tat zeigen die Wichtigkeit, die diese Tugend für B.-P. hatte.

Hahn bezeichnete den Rettungsdienst als wichtigstes Element der Erlebnistherapie. Je

nach Standort werden Erste Hilfe, Berg- und Seenotrettung oder Küstenwache erbracht.

Der Unterschied legt wiederum in der weiter gefassten Beschreibung von Baden

Powell, der jegliche Art von Nächstendienst einschließt.

Charakterbildung

Beiden gemeinsam ist das Herzstück, die `Charakterbildung´[a); d)]. Der Charakter

nimmt bei beiden eine Sonderstellung ein, da seine positive Entwicklung das

übergeordnete Ziel darstellt. Bei Hahn wird die Charakterentwicklung durch das

Gesamtkonzept angestrebt, ist also in jedem der Punkte seiner Erlebnistherapie zu

suchen. Bei Baden-Powell ist der Charakter auch das oberste, aber als eigenständiges

Erziehungsziel angeführte Prämisse. Natürlich spielen auch bei ihm alle anderen Punkte

in diese oberste Kategorie mit hinein, wie aus der folgenden Abbildung erkenntlich ist.

Erziehung zu Charakterstärke soll nach B.P. vor allem Eigenschaften wie

Selbstlosigkeit, Mut, Ausdauer, Tatkraft, Selbstvertrauen, Ergebenheit, Ehrfurcht,

Ehrgefühl, Selbstzucht und Frohsinn entwickelt werden.

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Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Motivation, tüchtige Staatsbürger heranzuziehen,

die sich als tugendhafter engagierter Teil der Gesellschaft für sie einsetzen und ihr von

nutzen sind.

„Angetan von einem an Plato angelehnten harmonischen Staatsverständnis und einer

daraus abgeleiteten Vision, durch Erziehung den dazu adäquaten (Staats-)Bürger

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hervorzubringen, war sein [Hahns] pädagogisches Verständnis in erster Linie das eines

Pragmatikers.“ (Heckmaier/Michel 2008 S.37)

Baden Powell projiziert dieses für ihn äußerst wichtige Ziel in der Einleitung seines

Hauptwerks `Scouting for Boys´ mit geschickter Rhetorik auf seine Leser: „Jeder Bub

möchte, glaube ich, seinem Vaterland irgendwie nützlich sein. Es gibt einen Weg, der

ihm das leicht macht; nämlich - Pfadfinder werden“ (B.-P. 1996, S. 24).

„Die Idealisierung des Kindes wurde auch von Hahn in gewisser Weise vollzogen,

wobei sein Weg keiner naiven Romantisierung das Wort redet, sondern ziemlich

stringent in Richtung mündiger Staatsbürger weist, der Verantwortung übernehmen

soll.“ (Heckmaier/Michel 2008 S.38)

Zum Abschluss des historischen Vergleichs soll noch eine kleine Gemeinsamkeit, deren

wissenschaftliches Gewicht nicht unbedingt das größte ist, angeführt werden.

Insgesamt stellen die „Seepfadfinder“ ein ganzes Unterkapitel im Grundlagenbuch

„Pfadfinder“ („Scouting for Boys“) dar. Typisch hierbei ist, dass Baden-Powell nicht

bloß eine Auflistung der Tätigkeiten der Seepfadfinder angibt, sondern als Einleitung

Anekdoten von glorreichen Seehelden `Alte Seebären´ wie Drake und Nelson erzählt.

Aber er gibt uns ein Beispiel, wie der ärmste Knabe vorwärts kommen kann, wenn er

sich ins Zeug legt. Der junge Drake - so war sein Name - machte trotz aller

Schwierigkeiten seinen Weg.[…] Die Krönung der Seepfadfinderei, die ihrerseits hohes

Ansehen genießt, ist der Rettungsdienst auf Booten (vgl. B.-P. 1996, S. 82); also ganz

im Hahnschen Sinne. Auch beim Kuttersegeln, dem klassischen Medium der

Erlebnispädagogik, wird auf Anekdoten zu Francis Drake zurückgegriffen, die abseits

einer bodenständigen, geregelten, versiegelten Welt Wünsche, Sehnsüchte und Träume

wecken. (vgl. Heckmair/Michl 2008, S. 213). Somit ist auch Drake eine historische

Figur, die Pfadfinderei und Erlebnispädagogik teilen.

Nach diesem ausführlichen Vergleich komme ich nicht um die Vermutung herum, dass

sich Kurt Hahn während seiner Zeit in England auch Anregungen bei der

Pfadfinderbewegung holte. Dafür habe ich keinen wissenschaftlichen Beweis und die

Tatsache, dass ich keine Primärliteratur von Kurt Hahn studiert habe, stellt meine

Vermutung in Frage. Doch die Vermutung liegt, wie ich finde, recht nahe. Das soll

keine Verdächtigung, sondern nur die Vermutung sein, dass Baden-Powells Modell die

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Gedanken von Kurt Hahn befruchtet hat, wie in späterer Zeit die erlebnispädagogischen

Strömungen wiederum die Pfadfinderarbeit beeinflussten.

„Hahns Pädagogik erhebt keinen Anspruch auf Originalität, sondern fließt aus

verschiedenen Geistesströmungen und pädagogischen Erkenntnissen zusammen.“

(Günter Amesberger 1998 S.30)

Ich finde es erstaunlich, dass in den vielen wissenschaftlichen Erörterungen der

Einflussfaktoren, die auf Kurt Hahn wirkten, nirgends- zumindest in keinem der

Standartwerke, die mir vorliegen- der Gedankensprung zu den Pfadfindern gemacht

wird. Einzig der Titel des Buches `Robert Baden-Powell: ein Wegbereiter der modernen

Erlebnispädagogik?´ (Karsten Börner 1994) lässt eine Rezeption dieses Themas

erhoffen. Das Buch enttäuscht jedoch durch den alleinigen Fokus auf den CPD*, seinen

Handlungsformen und Strukturen, einer Darstellung Erich Fromms `Katalog

Existenzieller Bedürfnisse´ und dem Vergleich mit der emanzipatorischen Pädagogik.

Auf B.-P. und sein Konzept wird nur an vereinzelten Stellen Bezug genommen und ein

Vergleich mit Hahn oder moderner Erlebnispädagogik wird nicht gezogen.

*Christlicher Pfadfinderbund Deutschlands. 1973 Zusammenschluss mit Evangelischem Mädchen-

Pfadfinderbund und dem Bund Christlicher Pfadfinderinnen zum Verband Christlicher Pfadfinderinnen

und Pfadfinder (VCP). Oppositionsgruppen, denen die Weiterentwicklung zu wenig christliche und

bündische Elemente enthielt, gründeten die CPD neu.

7.2 Methodische Parallelen

Im praktischen und im methodischen Vergleich der Konzeptionen `moderner

Erlebnispädagogik´ und `moderner Pfadfinderpädagogik´, ergeben sich unheimlich

viele Schnittmengen. Im folgenden Teil steckt der Versuch, die wichtigsten Elemente

herauszupicken, sie zu beschreiben und mit Zitaten aus beiden Richtungen zu belegen.

In meinen Vergleichspunkten habe ich mich inspirieren lassen vom Artikel `Learning

By Doing – Pfadfinder und Erlebnispädagogik von Sibylle Schönert` (Vgl. e&l 5/2007

S.14f), und dem Interview mit Ihr.

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7.2.1 Learning by doing (Vgl. 4.1.3)

`Learning by doing` ist der wichtigste Grundsatz der scoutistischen Praxis und die

meisten der nachfolgend beschriebenen Elemente sind bedingt durch diesen Grundsatz.

Bei den Pfadfindern ist Raum für die Umsetzung kreativer und ungewöhnlicher Ideen,

für Erfolg und Scheitern. Gerr schreibt dazu „Alles, was Pfadfinderinnen und

Pfadfinder lernen, müssen sie über spielerisches Tun oder über eine handelnde

Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit erleben und erfahren können.“ Dabei bezieht

er sich auf Baden-Powell, der formuliert:„Der natürliche Instinkt des Kindes ist es, sich

durch eine Beschäftigung selbst zu entwickeln, die wir `Spiel` nennen“ (B.-P. 1941, S.

58 in Gerr 2009 S.28)

„Pfadfinderische Erziehung setzt auf ein Lernen durch Erfahrung, d.h. durch

Beobachten, Experimentieren und eigenes Erleben.“ (DPSG 2006 S.24)

Grafik aus Gerr 2009 S.30

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7.2.2 Gruppensteuerung / Selbsterziehung

Je älter die jungen Pfadfinder werden, desto eigenständiger und freier sollen sie in der

Umsetzung ihrer Gruppenstunden und Projekte handeln. Dabei soll der Leiter

unterstützend agieren und zunehmend bei Ideenfindung, Planung und Umsetzung in den

Hintergrund treten. Die Reflexionsphase ist meist der Teil, welcher am längsten vom

Leiter angestoßen und moderiert werden muss. Weit fortgeschrittene Gruppen sind in

der Lage, auch diesen Teil eigenständig durchzuführen.

An welcher Stelle das Eingreifen des Leiters sinnvoll ist, muss situativ entschieden

werden. Dabei ist zu bedenken, dass das Scheitern eines Projekts nicht unbedingt

negativ zu werten ist, denn sprichwörtlich lernt man aus Fehlern am meisten. In

Gefahrensituationen, oder der Absehbarkeit einer solchen, ist das Reagieren des Leiters

seine Pflicht.

A. Reiners schreibt im Bezug auf das Lehr-Lerngefälle: „Ziel eines Erlebnispädagogen

sollte es sein dieses Gefälle entsprechend dem Motto `Mitgestaltung statt Konsum´

abzubauen.“ (Reiners 1995 S.24)

In der Ordnung der DPSG steht zum Leitungsverständnis: „Sie begleiten und stärken

die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der Gruppe. Leiterinnen und

Leiter ermutigen sie, selbst das Programm ihrer Gruppe zu gestalten.“(DPSG 2006

S.24)

Ein weiterer Aspekt der Gruppensteuerung ist, Rollenverhalten und Gruppendynamiken

weitgehend freien Lauf zu lassen. Meist besteht die Aufgabe des Leiters darin, diese

nicht zu unbewussten Verhaltensmustern und gewohnten Mechanismen verkommen zu

lassen, indem er sie in der Reflexion herauskitzelt. Ziel ist es, Rollenverhalten zu

hinterfragen und ein Ausprobieren neuer Rollen anzustoßen. Dennoch hat jede Rolle

ihre Berechtigung und tieferen Sinn. „Der Spaß mit der Gruppe und die

Auseinandersetzung in der Gruppe, die Rollenverteilung, all dies eröffnet eine Vielzahl

von Feldern sozialen Lernens.“ (Heckmair/Michl 2008, S. 213)

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Grafik aus Gerr 2009 S.30

7.2.3 Ganzheitliches Lernen

Mit der schönen Formel Lernen durch Kopf, Herz und Hand hat Kurt Hahn seinem

Konzept einen Grundsatz gegeben, den man als ganzheitlich bezeichnen kann. (Vgl.

Heckmair/Michl 2008, S. 213)

Nach Reiners ist es eine Stärke der Erlebnispädagogik, die Teilnehmer ganzheitlich

anzusprechen. Demnach soll die Lernsituation so gestaltet sein, dass die physischen,

psychischen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten des Teilnehmers angesprochen

werden. (Vgl. Reiners1995 S.29). In der DPSG ist der Anspruch zur ganzheitlichen

Entwicklung folgendermaßen formuliert: „Die Mitglieder der DPSG entwickeln ein

ganzheitliches Bewusstsein von Körper, Gefühlen und Geist. (DPSG 2006 S.8) Gerr

schreibt dazu, „dass man verschiedene Bereiche der Persönlichkeitsförderung

unterscheiden kann. Da der Mensch ein ganzheitliches Wesen ist, lassen sich diese

Bereiche nicht isoliert fördern. Beim Pfadfinden werden junge Menschen ganzheitlich

und umfassend gefördert. […]Pfadfinderische Handlungsformen wie das Zeltlager sind

geeignet, alle Bereiche zu fördern. So finden im Pfadfinderlager nicht nur soziale

Lernprozesse statt, und es werden körperliche, handwerkliche oder intellektuelle

Fähigkeiten beansprucht. Beim Lagerleben wird auch der emotionale Bereich

[…]angesprochen und Spiritualität […] gefördert. Aufgabe des Leitungsteams ist es,

auf eine ausgewogene Förderung zu achten. (Gerr 2009 S.9).“

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7.2.4 Reflexion

Das Element der Reflexion ist sowohl in der modernen Erlebnispädagogik als auch in

der Pfadfinderarbeit ein ständiger Begleiter. Die Reflexion wird in beiden Bereichen in

verschiedenen kreativen Formen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingesetzt. Sie

soll die gedankliche Auseinandersetzung mit dem Erlebten in Gang bringen. Im Bereich

Erlebnispädagogik steht die Reflexion im engen Zusammenhang mit dem gewünschten

`Transfer in den Alltag´. Deshalb muss der Pädagoge stärker die Reflexion lenken und

gezielt aus seiner Sicht relevante Themen herausarbeiten.

„Die Reflexion ist das wichtigste Instrument pfadfinderischen Handelns- doch nur wenn

sie praktiziert und kultiviert wird, kann sie dies auch leisten. Gruppen, die es nicht

gewohnt sind zu reflektieren, werden auch im Bedarfsfall kaum eine Sprache finden,

ihre Probleme anzusprechen und zu bewältigen. […] Reflexion ist die Methode, um den

eigenen Standpunkt zu ermitteln.“ (Handbuch zur Woodbadge Ausbildung S.14)

Bei Heckmair und Michl heißt es:

„Beim Handlungslernen durch Reflexion werden […] die Teilnehmer aktiv an der

Aufarbeitung der Lernerfahrungen beteiligt. Zum Nachdenken anregende Fragen

[…]sollen die Teilnehmer ermuntern, Gedanken und Gefühle zu äußern um über sich

und die anderen mehr zu erfahren.“ (Heckmair/Michl 2008, S. 213)

7.2.5 Herausforderungen

Der Herausforderungscharakter der Aktionen soll den Ehrgeiz und den Spaß an der

Sache wecken. Außerdem kann nur derjenige, welcher immer neue Herausforderungen

annimmt, sich weiterentwickeln. In der Erlebnispädagogik wird das verdeutlicht durch

das Zonenmodell, bei dem man durch das Annehmen der Herausforderungen seinen

`Komfortbereich´ verlässt und die `Lernzone´ betritt. In der Pfadfinderpädagogik

werden immer neue Herausforderungen durch aufeinander aufbauende, attraktive und

an der Lebenswelt der Teilnehmer orientierte Programme und die unterschiedlichen

Zielsetzungen in den vier Altersstufen verfolgt. (Vgl. DPSG 2006 S. 22) „Die

Herausforderungen sollen vom Teilnehmer als subjektiv schwer, jedoch nicht

unüberwindlich bzw. unlösbar gesehen werden. In diesen Situationen der

Grenzerkundung lernen die Teilnehmer ihre Fähigkeiten, Eigenschaften und damit sich

selbst besser kennen.“ (Reiners 1995 S.24)

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7.2.6 Vermittlung von Einfachheit

Es ist so einfach und doch so schwer. Reduktion auf das Wesentliche, Natürlichkeit,

Innehalten und Entschleunigung erfahren in unserer heutigen Zeit eine Wertsteigerung,

da sie immer schwerer und seltener zu bekommen sind. In unserer schnelllebigen

Gesellschaft scheuen sich die meisten von diesem Eilzug abzusteigen, weil sie Angst

haben den Anschluss zu verpassen. Teilweise ist diese Angst leider berechtigt, da ein

lückenloser Lebenslauf in vielen Bereichen der Arbeitswelt erwartet wird. Viele

Menschen müssen erst wieder Lernen, wenn auch nur kurzzeitig, aus der Achterbahn

oder auch dem Schnellzug first class -ihrem Leben- auszusteigen, sich auf die Erde zu

stellen und -einfach- zu laufen. Den Sinn in der Einfachheit suchen, den eigenen Körper

intensiv spüren, sich auf intensive Naturerfahrungen einlassen und die Schönheit

`Gottes´ entdecken, stehen als Kontraste zu unserem Leben hoch im Kurs. Als

Pfadfinder kommt man von klein auf mit diesen Gegensätzen in kontakt. Andere haben

diese Elemente vielleicht auch in einer naturverbundenen `alternativen ´ Familie

kennengelernt. Doch die Anzahl derer, die für derartige Erfahrenen Anleitung durch

Trainer, Coaches oder Pädagogen brauchen, steigt stetig an.

„Zurück auf die Bäume? Nein, das kann kein Ziel von Erlebnispädagogik sein! Aber der

Weltkontakt über den Körper vermittelt Reste unseres Gefühls als Sammler und Jäger,

zeigt uns den Reiz von Einsamkeit und Einfachheit. Unsere biologischen Ursprünge

können so bewusst werden. Die Sinnesorgane helfen, den Weg zu finden, sich in der

Dunkelheit tastend zu orientieren, den murmelnden Fluss zu hören, den Rauch des

Lagerfeuers zu riechen. Erlebnispädagogik kann auf unsere biologischen Wurzeln

verweisen, uns zeigen, dass wir eigentlich darauf programmiert sind, täglich 10 bis 20

km zu gehen oder zu laufen, um unsere Nahrung zu erwerben.“ (Heckmair/Michl 2008,

S. 124)

Pfadfinderei wird in der Gesellschaft assoziiert mit Naturverbundenheit, am Lagerfeuer

singen, wandern,… Dies ist zwar nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was Pfadfinder sein

bedeutet, aber es sind durchaus wichtige Auszeichnungen. „Solche sinnlichen

Erfahrungen in der Natur und in einem selbst organisierten Gruppenleben, die zum

alltäglichen Leben Kontrasterfahrungen darstellen, können zu einem kritischen

Überdenken der heute in Industrieländern bestehenden konsumorientierten Lebensweise

führen und Anstöße für eine sinngerechte und natürliche Lebensgestaltung vermitteln.

Sie regen junge Menschen an, das Leben aktiv und sinnvoll zu gestalten anstatt in einer

Konsumhaltung zu verharren.“ (Gerr 2009 S.35)

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Grafik aus Gerr 2009 S.59

Aspekte der Einfachheit spielen in den Dimensionen Religiosität und Abenteuer eine

Rolle, sollen dennoch im Folgenden als eigene Bereiche beschrieben werden.

7.2.7 Religiöse Dimension

Religiosität ist ein großes Wort, das in den Ohren derer, die sich als nicht gläubig

bezeichnen, nach engen Verpflichtungen und schlechtem Gewissen klingt. Diese

Assoziationen haben sich über die Jahrhunderte durch eine strenge und machtorientierte

Kirchenpolitik entwickelt. Dabei bezeichnet die Religiosität einzig den Glauben an eine

höhere Macht und lässt der individuellen Ausformung jeglichen Spielraum. Viele

Menschen sind auf der Suche nach Sinn. Dabei ist es nicht mehr so wichtig, dass dieser

Glaube sich einer Religionsgemeinschaft einordnen lässt. Moderner Glaube kann

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bedeuten, dass man sich aus verschiedenen Einflüssen, die man für sich als richtig

erachtet, einen persönlichen Glauben selbst entwirft.

Das soll nicht heißen, dass dies der bessere Weg ist. Eine christliche Gemeinde mit

gemeinsamen Gottesdiensten und festen Ritualen gibt vielen Menschen den Halt und

die Kraft die sie darin suchen. Was dem Einzelnen am und im Glauben wichtig ist, muss

jeder für sich selbst herausfinden. Das kann man nur, wenn man sich mit dem Thema

Spiritualität beschäftigt und auseinandersetzt- auch wenn dies zur Folge hat, am Ende

festzustellen, dass man an keine höhere Macht glaubt.

„Erlebnispädagogik soll unseren schnelllebigen Alltag entschleunigen, die Langsamkeit

wieder entdecken lernen, die Vergänglichkeit vermitteln, die Ewigkeit spüren lassen,

den von Gott gegebenen rechten Augenblick ermöglichen.“ (Heckmair/Michel 2008

S.125)

Eine Methode der Anbahnung an eine Besinnungszeit ist das Solo. Noch eindrücklicher

und tiefer ist eine Besinnungszeit jedoch meist, wenn sie sich ohne methodische

Anbahnung einstellt. Zum Beispiel beim ins `Lagerfeuer sinken`. Vertraute

Gemeinschaft bietet die Gelegenheit für tiefgründige Gespräche, die besonders gut in

ruhiger und natürlicher Umgebung, mit der entsprechenden Atmosphäre entsteht.

„Ein Lagerfeuer strahlt eine große Faszination aus. Feuer ist mehr als ein chemischer

Prozess. Etwas Geheimnisvolles wird für den spürbar, der in der Nacht am Lagerfeuer

sitzt. Feuer lockt Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft, den züngelnden Flammen

zuzusehen, ruhig seinem Knacken und Prasseln zu lauschen und seine unbändige

Energie und Wärme zu spüren. Das wärmende Licht eines Lagerfeuers lässt Menschen

sich um es herum versammeln und so zu einer Gemeinschaft werden. Sie kommen ins

Gespräch und in Beziehung, feiern und trauern gemeinsam, tauschen sich aus, kommen

ins Fragen, Nachdenken, Planen, Träumen, … “(DPSG 2006 S.57)

Ganz besondere spirituelle Erfahrungen kann uns die Natur in Ihrer Schönheit

vermitteln. Ein Sonnenaufgang, ein filigranes, taubesetztes Spinnennetz, der Wind um

die Ohren, sowie alles was uns umgibt und durchdringt. Wer einmal dieses `Erfüllt -

sein` und geradezu `Überlaufen vor Spiritualität` erlebt hat, wird diesen Moment nie

wieder vergessen.

„Die Atheisten behaupten, dass eine Religion, die aus einem von Menschen

geschriebenen Buch stammt, nicht echt sein kann. Aber sie scheinen nicht zu sehen,

dass uns Gott neben den gedruckten Büchern das großartige Buch der Natur zu lesen

gab. Und sie können nicht behaupten, dass darin die Unwahrheit steht - die Tatsachen

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stehen dem entgegen. Ich bin nicht dafür, das Studium der Natur als eine Form des

Gottesdienstes oder als Ersatzreligion zu verwenden, aber ich trete dafür ein, das

Verständnis der Natur in verschiedenen Fällen als einen Schritt hin zur Religion zu

sehen.“(Baden-Powell 1930)

„Wer solche Lebensräume aufsucht, sich von den Menschen und der Zivilisation

kurzzeitig verabschiedet, kann sich auf Wege und Weisen einlassen, über Sinn und

Bedeutung des Lebens nachzudenken und sich auf die Suche nach Gott begeben. Den

heiligen Orten aus Menschenhand, entsprechen die heiligen Orte der Natur, die

gleichsam geladen sind mit spiritueller Energie.“ (Heckmair/Michel 2008 S.125)

7.2.8 Abenteuer

Das Abenteuer als packende und fordernde Komponente ist für die Erlebnispädagogik,

wie auch die Pfadfinderpädagogik ein zentrales Element. Heckmair und Michel haben

den Grund dafür treffend beschrieben:

„Den modernen Menschen fehlt nach Konrad Lorenz das Abenteuer, und weil es das

Konzentrat des Lebens ist, werden das Abenteuer und dessen Derivate mit aller Macht

gesucht. Besonders von Jugendlichen, denn Risiko, Bewährung, Wagnis, Überwindung,

Grenzen sind Bestandteile einer Pädagogik der Pubertät, die Jugendlichen tiefes

Erleben ermöglicht, Grenzen auf der Suche nach Identität aufzeigt, zur Entdeckung des

Subjekts verhilft, zur Abgrenzung von der Außenwelt beiträgt, beim Abstecken zwischen

Ich und Außenwelt behilflich ist. Felix von Cube (1990, 11) ruft die Suche nach Risiko

gar als Gesetz aus, denn Unsicherheit abzubauen bringt Lust: Neugier ist ein Trieb!

Der auslösende Reiz ist das Neue, Unbekannte, Unsichere. Ist der Reiz nicht vorhanden,

suchen wir ihn auf.“ (Heckmair/Michl 2008, S. 124)

Auch von H. Gerr wird die Bedeutung des Abenteuers betont. Er beschreibt außerdem

die Chancen, die im Abenteuer liegen- wenn es denn gewinnbringend genutzt wird.

„Große erzieherische Bedeutung kommt pfadfinderischen Abenteuerunternehmungen

wie Bergbesteigungen, Segeltörns oder Großfahrten ins Ausland zu. Bei solchen

Unternehmungen können Situationen auftreten, die ein Wagnis bedeuten, was die

Pfadfindergruppe zu einer gemeinsamen Bewältigung herausfordert und menschliche

Kräfte wie Geduld, Ausdauer, Einfühlsamkeit, Hilfsbereitschaft, Initiative, Mut oder

Mitverantwortung für andere mobilisiert. Auch für soziale Lernprozesse stellen solche

Unternehmungen eine günstige Ausgangslage dar.“ (Gerr 2009 S.35)

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7.3 Vergleich der Praktischen Ausformung

Der praktische Vergleich birgt zwei Probleme. Er lässt sich in vielen Teilen nur aus der

persönlichen Wahrnehmung beschreiben und beinhaltet also meine subjektive

Sichtweise, die nicht unbedingt für jeden zutreffen muss. Außerdem ist

Pfadfinderarbeit, wie bereits erwähnt, vielschichtig und heterogen in ihrer Auslegung

und der praktischen Umsetzung. Das trifft in noch stärkerer Ausprägung auch für die

Erlebnispädagogik zu.

„Erlebnispädagogik wird heute in Maßnahmen der Rehabilitation und Resozialisation

von Psychologen und Soziologen genutzt. Erlebnispädagogische Inhalte berühren

Themenbereiche der Umwelt- und Friedenserziehung, der Museums-, Medien- und

Gedenkstättenpädagogik. OMD - Outdoor Management Development - zur

Führungsentwicklung in handelnden Organisationen und viele andere Lern- und

Entwicklungsbereiche wenden sich heute wieder stärker den Möglichkeiten des

Erfahrungslernens zu. Erlebnispädagogische Methoden und deren instrumentelle

Grundlagen werden vorrangig in natürlichen Medien (Wasser, Berge, Wüsten, Höhlen,

etc.) erprobt. Sie kommen in der maritimen Segelpädagogik, im alpinen Bergsport, im

Abenteuer- und Erlebnissport, bei incentive-Maßnahmen oder in

individualpädagogischen Maßnahmen der Heimerziehung zur Anwendung.“ (Fischer /

Ziegenspeck 2000 S.10)

Das Problem wird noch verschärft durch schwierige Abgrenzung zu Spaß- und

Eventangeboten, die oft in einem Grenzbereich zwischen `Hauptsache Fun und Action´

und `Ergebnis und Mehrwertorientierung´ liegen. Macht eine kurze oberflächliche

Reflexion am Ende einer Spaßaktion Erlebnispädagogik aus?

Auch in der Pfadfinderpädagogik gibt es eine große Bandbreite von Aktivitäten und die

sehr personenabhängigen Ausformungen dieser. Eine Bandbreite von reinem

Spaßangebot, welches auch eine gewisse Berechtigung hat, bis zu gruppenpädagogisch

höchst professionellen Aktionen ist auch hier vorhanden.

Aufgrund dieses unübersichtlichen Repertoires ist der Vergleich einzelner

Aktionsformen müßig und nicht repräsentativ.

Meine Einschätzung ist, dass alle erlebnispädagogischen Aktivitäten, mit

unterschiedlichen Gewichtungen, auch in der Pfadfinderarbeit eingesetzt werden.

Darüber hinaus werden in der Pfadfinderei noch einige weitere Aktivitäten ausgeübt

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und verwendet, die nach meinem Wissensstand in der Erlebnispädagogik (noch) nicht

zum Einsatz kommen.

Um ein paar Beispiele zu nennen, werden im Folgenden einige der gängigsten

Aktivitäten aufgeführt:

Der Hike kann als Wanderung in der Gruppe mit Aufgabencharakter durchgeführt

werden oder als Einzelhike mit Fokus auf Ruhe und Besinnung (in der

Erlebnispädagogik das Solo).

Das Zeltlager als typische Pfadfinderaktivität, die in der Erlebnispädagogik eher selten

vorkommt, aber mit erlebnispädagogischen Aktionsformen gespickt ist.

Kim Spiele sind Spiele, die die Sinneswahrnehmung schulen sollen, und in

verschiedensten Settings als ruhiges konzentriertes Element eingesetzt werden.

Rollenspiele können als Verhaltenstraining gesehen werden und sollen sprachliche

Fähigkeiten und soziales Lernen fördern. Zum Beispiel wird die gewaltfreie Lösung von

Konflikten geübt.

Planspiele als eine besondere Art von Rollenspiel können auf der Grundlage von

Krisensituationen oder Sinn- und Wertfragen aufgebaut sein. Dabei geht es nicht

explizit um einzelne Rollen, sondern um das agieren in der Gruppe.

Das Projekt nimmt als klassische Methode in der Pfadfinderpädagogik einen zentralen

Platz ein. Es wird zurückgeführt auf John Dewey. Es soll als eine demokratische

Handlungsform den Sinn für Gerechtigkeit und Partizipation schulen. Die Inhaltlichen

Elemente können soziale-, handwerkliche- oder sonstige Aktionen sein. Sie bietet einen

Verlauf an, der den größtmöglichen Lerneffekt anstrebt. (Vgl. Gerr 2009 S.85ff)

All diese Aktionsformen sind in Methodik und Didaktik der erlebnispädagogischen

Praxis äußerst ähnlich. Lassen sich aber aufgrund der menschlichen Variablen nicht in

direkten Vergleich setzen. Die angeführten Beispiele sollen exemplarisch für die

gesamte Aktionspalette stehen.

7.4 Unterschiede von Erlebnispädagogik und Pfadfinderpädagogik

Nach der ausführlichen Behandlung der Gemeinsamkeiten, sollen nun die Punkte

beleuchtet werden, welche die Unterscheidung von Pfadfinderpädagogik und

Erlebnispädagogik deutlich macht.

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7.4.1 Zeitrahmen

Ein sehr entscheidender Unterschied zwischen dem Scoutismus und der

Erlebnispädagogik ist der von vornherein andere Zeitrahmen. In der angewandten

Erlebnispädagogik sind die Zeiträume kürzer und zeitlich begrenzt. Die Zeitspannen

reichen von Ein-Tageskursen bis zu Intensivmaßnahmen von bis zu einem Jahr. Baden-

Powells Konzept war zuerst für junge Jugendliche ausgelegt. Doch mit dem Bestreben

eine Begleitung und Einbindung von Kindheit bis ins Erwachsenenalter zu ermöglichen,

entwarf er zwei weitere, jeweils auf die jüngere und die ältere Zielgruppe abgestimmte

Konzepte. „Den Sinn einer solchen Bestrebung sieht B.-P. darin, die Möglichkeit zu

schaffen, einen tiefgreifenden Einfluss auf die jungen Menschen auszuüben, damit eine

nachhaltige Erziehungswirkung erzielt wird.“ (Gerr 1983 S.1983) Demnach ging

Baden-Powell davon aus, dass eine wirklich tiefe Prägung nur durch langfristige

wiederkehrende Elemente zu erreichen ist. Dieser Punkt bezeichnet eine klare

Unterscheidung.

„Erlebnispädagogische Konzepte gehen davon aus, dass bedeutungsvolles Lernen

durch intensive, kurzfristige Erlebnisse herbeigeführt werden kann.[…] In Bezug auf

den zeitlichen Rahmen, stellt sich daher zunächst die Frage: Wie lange muß eine

Gruppenaktivität dauern und wie muss sie beschaffen sein, damit sich ihr

Ernstcharakter aktualisieren kann. […]Generell kann gesagt werden, dass es für

erlebnispädagogische Maßnahmen keinen einheitlichen zeitlichen Rahmen gibt. Die

Kursangebote und damit auch deren Zeitstruktur richten sich oft leider nach Nachfrage,

und organisatorischen/finanziellen Möglichkeiten anstatt nach Zielgruppen und

Wirkungschancen.“ (Reiners 1995 S.56). Diesem Problem muss mit Realitätssinn

begegnet werden, und den Auftraggebern eine ehrliche Prognose der Effektivität und

Machbarkeit eines bestimmten Programms im Zusammenhang mit der Zielsetzung und

Zielgruppe und anderen Rahmenbedingungen.

Meiner Erfahrung nach können kurzzeitige Arrangements Gruppenprozesse anstoßen,

soziale Kontakte innerhalb der Gruppe verändern und ein mehr oder minder

nachhaltiges Überdenken der eigenen Verhaltensweisen auslösen. Doch das Ziel einer

Charakter- oder Identitätsentwicklung ist für den größten Teil der

erlebnispädagogischen Maßnahmen weit entfernt. Im Gegensatz dazu hat die

Pfadfinderpädagogik nicht die Zeit `im Nacken´ und kann auf seine längerfristigen

Mitglieder einen tiefen prägenden Einfluss haben. Für mich besteht die Gewissheit, dass

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zumindest engagierte langjährige Mitarbeiter eine ganz entscheidende Prägung durch

die Pfadfinder erfahren.

7.4.2 Ehrenamt oder Erwerbsarbeit

Ein weiterer grundsätzlicher Unterschied ist die andere Arbeitsbasis. Bei den

Pfadfindern ist die gesamte Organisationsstruktur, bis auf einige Mitarbeiter auf

Bundes- und Internationaler Ebene, auf ehrenamtliches Engagement ausgerichtet. Daher

unterscheiden sich die Motivationsfaktoren der Mitarbeiter. Im professionellen Bereich

der erlebnispädagogischen Angebote spielt natürlich die Bezahlung eine große Rolle.

Natürlich sind viele Erlebnispädagogen auch mit Spaß bei der Sache, doch selbst wenn

es der absolute Traumberuf der- oder desjenigen ist, wird es auch immer wieder einfach

nur notwendige Arbeit sein, die erledigt werden muss. Dabei wird stets Professionalität

erwartet und auch an einem schlechten Tag sollte der Trainer gute Arbeit abliefern.

Im ehrenamtlichen Bereich sollte der Spaß an der Sache im Vordergrund stehen.

Daneben spielen diverse altruistische und egoistische Motive eine Rolle für das

Engagement bei den Pfadfindern. Der meistgenannte altruistische Grund ist, all die

guten Erfahrungen und Erlebnisse, die man bei den Pfadfindern gemacht hat,

weitergeben zu wollen. Anreize für Leiter zu schaffen, ist ein konstantes Thema in allen

Leitungsebenen. Stichworte dazu sind Leiter-Spaß-Aktionen, Bescheinigungen über

Tätigkeit und Fortbildungen, öffentliches Lob und Anerkennung…

Die generelle Annahme von Teilnehmern, Auftraggebern und Öffentlichkeit ist, dass

der Anleiter einer Erlebnispädagogischen Maßnahme besser ausgebildet ist. Im Prinzip

ist das auch so, doch diverse Anbieter schicken Praktikanten, die teilweise nur einen

Crashkurs in ihrem Programm und ein paar Aktionen gemeinsam mit einem erfahrenen

Anleiter oder Erlebnispädagogen gemacht haben, als alleinigen Anleiter in Aktionen. In

diesem Fall ist ein Pfadfinderleiter, der nur das Grundlagenmodul des Woodbadge

Kurses gemacht hat und meist langjährige Erfahrung als Pfadfinder hat, sehr viel

umfassender ausgebildet.

Möglicherweise ist der Vergleich nicht gut, doch diese Fälle von schlecht

ausgebildetem `billigem´ Personal bringt die Erlebnispädagogik in Verruf.

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7.4.3 Ethos

Im Duden wird Ethos definiert als „moralische Grundhaltung; sittliche

Lebensgrundsätze eines Menschen od. einer Gesellschaft, die die Grundlage des

Wollens und Handelns bilden; Gesamtheit ethisch-moralischer Normen, Ideale usw. als

Grundlage subjektiver Motive u. innerer Maßstäbe“ (Drosdowski 1997, S. 136)

Mit der Gründung der Pfadfinderbewegung verfolgte Baden-Powell auch das Ziel, dem

`Sittenverfall´ etwas entgegenzusetzen. Seine Ausführungen orientierten sich am

englischen `Gentelman-Ideal´ und verfolgten eine ethisch wertvolle Charakterbildung.

Werterziehung zieht sich wie ein roter Faden durch seine gesamte Pfadfinder - Literatur.

Am klarsten ist das Pfadfinder - Gesetz mit direktem Lebensbezug formuliert (Vgl.

4.1.3 und 4.2.2). Damit ist eine ethische Orientierung auch kleineren Kindern

verständlich vermittelbar. Allgemeiner formuliert sind die Grundsätze / Prinzipien (Vgl.

4.1.1) der Pfadfinderbewegung, aus denen sich die allgemeine Wertorientierung

ableiten lässt.

„In der Konsequenz müssen die Programme aller Pfadfinderverbände ein Maximum an

Gelegenheiten enthalten, die die Entwicklung junger Menschen auf der Basis dieser

Prinzipien ermöglichen. Seit Gründung der Bewegung waren Gesetz und Versprechen

die Hilfsmittel, um diese Prinzipien in einer für junge Menschen verständlichen und

nachvollziehbaren Art auszudrücken.“ (WOSM 1997 S.13)

Die Gedanken Kurt Hahns basieren ebenso auf einer sittlichen Grundlage, die vermittelt

werden soll (Vgl. 6.3.4). Doch die moderne Erlebnispädagogik hat keinen ethischen

Konsens / keine gemeinsame ethische Grundlage vorzuweisen. Natürlich werden in der

pädagogischen Praxis ständig Werte vermittelt, wie im wertschätzenden Umgang

miteinander, in der Bildung eines ökologischen Bewusstseins, oder der Reflexion.

Diesen ethischen Aspekt der Reflexion habe ich in einem Buch zur

Pfadfinderpädagogik entnommen. Er lässt sich natürlich im Allgemeinen auf eine gute

Reflexion anwenden.

„Durch eine wertbezogene Reflexion über das eigene Handeln und das Erleben wird

die selbständige Bildung von Werten ermöglicht. Aus den für sich selbst akzeptierten

Werten ergeben sich Verhaltensregeln, die als Orientierungshilfe für ein künftiges

wertbewusstes Handeln im Alltag dienen können“ (Gerr 2009 S. 25)

Ein abstrakt formulierter ethischer Grundsatz ist in der Definition von Heckmair und

Michel enthalten (Vgl. 6.2). Demnach will Erlebnispädagogik junge Menschen „dazu

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befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten.“ (Heckmair/Michel 2008

S.115)

Darin sind alle ethischen Aspekte enthalten, die man finden will. Diese Formulierung ist

für eine Definition durchaus angebracht und treffend, doch eine explizite Ausarbeitung

zu diesem Aspekt ist auch in diesem aktuellsten Standartwerk nicht enthalten. Es wird

in der Hauptsache dem gesunden Menschenverstand des `Trainers´ überlassen diese

`verantwortliche Lebensweltgestaltung´ zu interpretieren. Natürlich sind aus nahezu

jedem Kapitel ethische Grundsätze zu entnehmen, doch welche man wahrnimmt und

welche im Gesamtwerk untergehen, hängt vom Leser selbst ab.

7.4.4 Pfadfinder - ein Erziehungskonzept, Erlebnispädagogik - eine Methode

Sibylle Schönert formuliert den Grundsatzunterschied wie folgt: „Die

Pfadfinderbewegung hat einen anerkannten, selbstgegebenen Erziehungsauftrag nach

den Grundlagen von Baden-Powell - die Erlebnispädagogik dagegen versteht sich als

Methode zur Persönlichkeitsbildung und Charaktererziehung. Erlebnispädagogik ist

eine Methode unter anderen, die in der Pfadfinderei verwendet wird. Sie ist ein Teil des

Ganzen, was Pfadfinderarbeit ausmacht.“ (e&l 5/2007 S.14f).

7.4.5 Fokus Transfer

Das große Thema des Transfers in der Erlebnispädagogik, ist im wissenschaftlichen

Diskurs immer ein zentrales. Auch in der Praxis werden die Programme meist auf

größtmögliche Wirksamkeit getrimmt. Grundsätzlich ist das auch richtig so, denn es soll

ja keine reine Spaßveranstaltung sein. Doch das Streben nach einem starken Transfer,

darf das Programm nicht starr und den Trainer unflexibel und verkrampft machen, denn

gerade die unerwarteten dynamischen Elemente einer Aktion bergen meist den größten

Mehrwert.

Mit dem Transfer ist die Übertragbarkeit der gemachten Erfahrungen in die `Realität´,

beziehungsweise den Alltag beschrieben. Kritiker behaupten, dass sich diese

`exotischen´ Erfahrungen in `exotischem Ambiente´ nicht, oder nur in unbedeutendem

Ausmaß auf den Alltag transferieren lassen.

„Empirische Beweise für diese pädagogische Hoffnung zu führen, ist allerdings ein

schwieriges Unterfangen. Als eine der wenigen außerschulischen Methoden hat sich die

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Erlebnispädagogik diesem Stress der Beweisführung ausgesetzt.“ […] „Die Ergebnisse

lassen in ihrer Gesamtheit den Schluss zu, dass kurzzeitpädagogische Kurse prinzipiell

dazu in der Lage sind, die Persönlichkeitsentwicklung der Probanden in nicht

unerheblichem Maße zu fördern.“ (Heckmair/Michel 2008 S. 246)

Der Transfer wird durch den methodischen Aufbau einer Aktion beeinflusst, der eine

bestimmte Anordnung von Aktionsformen und Reflexionen enthält. Natürlich spielt

auch hier der zeitliche Rahmen eine entscheidende Rolle.

Bei den Pfadfindern entfällt der Faktor Zeit aufgrund der fortschreitenden Programme.

Aus zwei weiteren Gründen ist der Transfer in der Pfadfinderpädagogik selten ein

Thema. Erstens ist den meisten langjährigen Pfadfindern sehr wohl bewusst, welch

entscheidende Rolle die Pfadfinder in der Entwicklung seiner Persönlichkeit einnehmen

und zweitens müssen die Pfadfinder nicht beweisen, dass das so ist.

Das heißt nicht, dass es nicht angebracht wäre, sich über die Wirkung der Programme

und Aktionen mehr Gedanken zu machen, um so eine noch bessere Weiterentwicklung

für Gruppe und Leiter zu ermöglichen.

7.4.6 Gesellschaftliches und politisches Engagement

Ein Grundsatz in der Pfadfindererziehung ist die Übernahme von Verantwortung und

tätige Solidarität. Damit wird gefordert, Missstände wahrzunehmen und etwas dagegen

zu tun. Soziale Projekte sind ein fester Bestandteil in der scoutistischen Praxis. Nicht

nur die konkrete Hilfe, sondern auch konkretes Stellung beziehen in der Öffentlichkeit

soll Teil dieser Praxis sein. „Durch ein gemeinsames (übernationales) Angehen der

wichtigen Zukunftsaufgaben der Menschheit (Kampf gegen Hunger, Elend und Armut,

Schaffung von sozialer Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung etc.) wird über die

staatlichen, nationalen und ethnischen Grenzen hinweg Freundschaft und Solidarität

erfahren, Neugierde und Interesse füreinander sowie die Bereitschaft, von- und

miteinander zu lernen, geweckt. Internationales Pfadfinden fördert bei jungen

Menschen die Fähigkeit, mit Fremdheit umzugehen, die Toleranz gegenüber

Eigentümlichkeiten und die Anerkennung des Anders-Sein von Menschen aus fremden

Kulturkreisen“ (Gerr 2009 S. 68)

Demokratische Grundformen werden von klein auf praktiziert und geschult. Sie

spiegeln sich in allen Organisationsformen und dem gemeinsamen Leben wieder.

„Man kann Demokratie aber auch als `Form des Zusammenlebens´ begreifen (vgl.

Dewey 1993, S. 121). […]Gelebte Demokratie schließt eine aktive Mitverantwortung für

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die Menschen und die Mitwelt ein; deshalb verwirklicht sich in der Pfadfinderbewegung

das „Leben von Demokratie" durch eine tätige Schöpfungsverantwortung. (Gerr. 2009

S.12)

Der Aspekt des Dienstes, der im Hahnschen Konzept zentral ist, kommt in der

modernen Erlebnispädagogik so gut wie nicht mehr vor. Ein Grund dafür ist die nahezu

unmögliche Umsetzung in einem kurzzeitpädagogischen Modell. Demokratische

Handlungsformen sind auch in der Erlebnispädagogik gefordert, sind aber nicht so stark

und exemplarisch vertreten.

7.4.7 Theoretische Fundierung

Wie bereits erwähnt, findet bei den Pfadfindern weniger theoretische

Auseinandersetzung mit den Grundlagen, den Wirkungsweisen und anderen

theoretischen Hintergründen statt. Das Prinzip `learning by doing` ist nicht nur ein

Grundsatz, sondern Programm. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem

Scoutismus ist äußerst rar. Es gibt aus meiner Sicht nur einen ernstzunehmenden

deutschen Vertreter. Die gelernten Methoden aus Leiterschulungen werden zwar meist

erfolgreich umgesetzt, doch Leiter sind keine gelernten Pädagogen, sondern

ausgesprochene Praktiker, die aus der Erfahrung und aus dem Gefühl heraus, meist

genau das Richtige tun. Doch in Extremsituationen, zum Beispiel mit `Problemkindern´,

sind auch hier schnell die Grenzen erreicht. In solchen Fällen sollte die Leiterrunde

Rückhalt bieten, oder ein Pädagoge steht mit Rat und Tat zur Seite.

Dagegen hat ein guter Erlebnispädagoge einen fundierten theoretischen Hintergrund,

wie zum Beispiel Deeskalationsmethoden, Systematik und `Hard skills´.

7.4.9 Authentische Situationen

Es ist erklärtes Ziel der modernen Erlebnispädagogik, möglichst authentische

Lernsituationen anzubahnen. Dies gelingt ihr meist nur in Bereichen reeller Aufgaben

wie zum Beispiel beim Feuer machen oder kochen.

Authentische Situationen entstehen bei den Pfadfindern durch die Beschaffenheit der

Aktivitäten von selbst, da die Organisation und Durchführung im Idealfall gänzlich von

der Gruppe umgesetzt wird. Dieser Ansatz wird in der Erlebnispädagogik auch verfolgt,

doch in der Praxis ist er nicht in dem Maße umsetzbar, da die Gruppe, wenn sie nicht

bereits die nötigen Voraussetzungen mitbringt, nicht von heute auf morgen zu einer

solchen Leistung fähig ist. Fähig sein heißt hierbei nicht, eine fehlerfreie und perfekte

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- 70 -

Aktion zu planen. Außerdem besteht in den meisten Fällen nicht die Möglichkeit der

gemeinsamen Planungsphase.

Fiktive Aufgabenstellungen können nie den Ernstcharakter einer sinnerfüllten reellen

Aufgabe erreichen, doch die bestmögliche Annäherung muss Prämisse sein.

„In Anlehnung an die Jugendbewegung suchten die Pädagogen des beginnenden 20.

Jahrhunderts nach Unmittelbarkeit und bemerkten zunächst nicht, wie schnell allein die

Suche danach, geschweige denn der Versuch, sie als pädagogisches Arrangement

herbeizuführen - sie ad absurdum führen kann. […]Vor diesem Dilemma steht auch,

nebenbei gesagt, die Erlebnispädagogik.“ (Heckmair/Michl 2008, S. 213)

„Intensive Erlebnisse zeichnen sich durch den Ernstcharakter, den spürbaren

Konsequenzen aus. Der Ernstcharakter einer Situation wird dort am ehesten erfahrbar,

wo es um die Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse (Nahrung, Wasser, Schlaf,

physische Sicherheit, Zugehörigkeit, Einflussmöglichkeiten) geht.“ (Reiners1995 S.56)

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8. Exkurs: Ganzheitlicher Bildungsansatz (Gesamtgesellschaftlich)

Um die Nachfolgenden Ausführungen verständlich zu machen, sind hier die Milieus,

auf denen die Studie basiert und eine Ergebnisgrafik mit Rekrutierungsschwerpunkt der

Katholischen Jugendverbände abgedruckt.

„Wenn wir in den soziokulturellen Kern dessen vordringen, was Jugendliche bewegt,

dann zeigen sich folgende Motive, die qualitativ signifikante Differenzierungs- und

Segmentierungsmerkmale sind:“ (Wie ticken Jugendliche 2007 S.24)

(Grafik aus Wie ticken Jugendliche 2007 S.24)

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Grafische Darstellung der Jugendmilieus, mit Umrahmung des

Rekrutierungsschwerpunkts der katholischen Jugendverbände.

(Grafik aus Wie ticken Jugendliche 2007 S.24)

In den von der `World Organistation of the Scout Movement` herausgegebenen

Grundlagen der Pfadfinderbewegung heißt es: „Das Pfadfindertum ist offen für alle,

ohne Unterschied in Herkunft, Rasse, Klasse oder Glauben. Eine der Grundprinzipien

der Bewegung ist das Prinzip der Nichtdiskriminierung, sofern die betreffende Person

sich freiwillig zu dem Zweck, den Prinzipien und der Methode bekennt.“ (WOSM 1997,

S. 5)

Im speziellen ist in der Ordnung der DPSG formuliert: „Die DPSG greift in Ihrer

Gruppenarbeit Alltagserfahrungen interkulturellen Lernens und internationalen Lebens

auf. Sie lädt Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund

ein, Mitglieder des Verbandes zu werden.“[… ] Das einüben und erproben politischen

Verhaltens ist ein Beitrag dazu, eine demokratische Kultur zu entwickeln und zu

stabilisieren“ (DPSG 2006, S.13-14)

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8.1 Kann die Pfadfinderpädagogik als ganzheitlicher Bildungsansatz wirken und

lässt sie in der Umsetzung diesen Grundsatz zu?

Die Sinus - Milieustudie U27 zeigt auf, dass in Bezug auf Bekanntheit, Attraktivität und

Engagement katholische Jugendverbände hauptsächlich Kinder und Jugendliche aus den

Milieus der bürgerlichen Mitte, der Traditionellen und der Postmateriellen ansprechen.

Große Jugendmilieus finden demnach keinen Zugang oder werden nur in sehr geringer

Anzahl erreicht. „Zwischen der Katholischen Jugendarbeit (bzw. seines Images: seiner

Ausstrahlung) und den großen Jugendlichen Lebenswelten gibt es einen großen

Graben“ (Wippermann/Calmbach 2007 S.25)

Bei Experimentalistischen - und Performer - Jugendlichen haben katholische

Jugendverbände ein Image der Langsamkeit und relativen Langweiligkeit, konservativer

Heimatverbundenheit und biederer Bürgerlichkeit. (Vgl. Wippermann/Calmbach 2007

S.25ff) Bezogen auf die Pfadfinder füge ich aus eigener Erfahrung die Klischees von

strukturverhaftet und hierarchisch bis hin zu paramilitärisch hinzu. Dabei decken sich

viele Ziele und Vorstellungen von Experimentalistischen- und Performer Milieus gut

mit den konzeptionellen und realen Inhalten und Zielen der Pfadfinder. Beispielsweise

die Weiterentwicklung des eigenen `Know – how`, wie Fachkompetenz,

Leitungsverständnis und Projektentwicklung. Außerdem ist Pfadfinderarbeit eine

äußerst positive Referenz in einem Lebenslauf, die auf der ganzen Welt Wirkung zeigen

kann. Die Bekanntheit der Organisation, ihre Internationalität und Vernetzung schafft

dafür die Voraussetzungen.

Manager, Politiker und Adel - in den Eliten unserer Gesellschaft befindet sich ein

verhältnismäßig großer Anteil von Pfadfindern. In Deutschland wecken die Pfadfinder

noch immer unverschuldet Erinnerungen an die Hitlerjugend und FDJ. Dadurch, und

durch die Unterbrechung der Pfadfinderaktivitäten ist Deutschland kein

aussagekräftiges Beispiel. Doch weltweit betrachtet hat sich, ganz nach dem Grundsatz

`einmal Pfadfinder immer Pfadfinder`, aus den erwachsen gewordenen `Boy Scouts` ein

Netzwerk für Manager entwickelt. Aus den Spitzen dieser Kreise entstand die

Pfadfinderstiftung; Männer und Frauen, die von sich sagen, dass sie den Pfadfindern

viel zu verdanken haben, was sie durch die Stiftung weitergeben wollen. Warum?

„Pfadfinder vermitteln Führungsqualitäten-, sagt der schwedische König und

Ehrenpräsident der Pfadfinderstiftung und tritt gleich den Beweis an -55 Prozent der

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schwedischen Vorstandschefs waren Pfadfinder, aber nur 5 Prozent aller Schweden

waren Mitglied.“(Handelsblatt 2006)

Diese Ausführungen provozieren den Rückschluss, das Pfadfindertum sei eine

Eliteorganisation. Dieser Aussage wird jedoch jeder Pfadfinder widersprechen wollen

und auf die Grundsätze der Pfadfinderbewegung verweisen.

Doch wo sind die Kinder und Jugendlichen aus den Milieus mit geringer Bildung? Um

auf die Ergebnisse aus der Sinus-Milieustudie U27 zurück zu kommen, sind nur ein sehr

geringer Anteil der Kinder und Jugendlichen, aus dem Bereich der `bildungsfernen´

Milieus, in den katholischen Jugendverbänden vertreten.

Bei den Konsum-materialistischen Jugendlichen dreht sich viel um Anschluss und

Akzeptanz. Jugendarbeit, und noch dazu katholische, sieht in der Lebenswelt dieser

Jugendlichen nicht gut aus, beziehungsweise ist äußerst `uncool´. Im Kindesalter sind

diese Barrieren noch nicht so ausgeprägt, weshalb die Jugendlichen aus diesem Milieu

meist in den jüngeren Stufen zu finden sind. Oft verlassen sie jedoch die Gruppen

während der Adoleszenz.

Im Milieu der hedonistischen Jugendlichen sind katholische Jugendgruppen auch

weniger gefragt, da sie sich selten freiwillig in vorgefertigte Strukturen begeben, in

denen gewisse Erwartungen vorherrschen. Die Sicht von Außenstehenden beinhaltet oft,

dass innerhalb der Wunsch, oder sogar der Druck nach Harmonie und Konformität

besteht und der Einzelne sich einfügen und einbringen soll. (Vgl.

Wippermann/Calmbach 2007 S.25ff)

Die milieuspezifische lebensweltliche Orientierung der Kinder und Jugendlichen ist

vielschichtiger denn je. Es ist aus meiner Sicht ein schwieriges bis kritisches Ziel, alle

erreichen zu wollen, da erstens ein attraktives Angebot für die Jugendmilieus in den

Grundsätzen unterschiedliche bis gegensätzliche Eigenschaften aufweisen muss und

zweitens die Distinktion der Milieus untereinander ein zum Teil stark ausgeprägtes

Phänomen von Jugendkultur ist. (Wippermann/Calmbach 2007 S.12)

Trotzdem muss darauf geachtet werden die Strukturen so offen und die Barrieren so

gering wie möglich zu setzen. Denn je vielschichtiger, multikultureller eine Gruppe

zusammengesetzt ist, desto mehr entwickelt sich gegenseitige Toleranz und Akzeptanz.

Je heterogener eine Gruppe ist, desto mehr Reibungspunkte und Konflikte können

entstehen, an welchen die Individuen miteinander und voneinander lernen.

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Im Vergleich dazu finden professionelle erlebnispädagogische Angebote meist in

Gruppen statt, die eine gemeinsame Basis haben (zum Beispiel Schulklassen, Vereine,

Firmen oder Heimgruppen). Damit finden die Angebote meist relativ milieuspezifisch

oder schichtspezifisch statt. In Kurzzeitangeboten ist das auch nötig und sinnvoll, da

spezielle gemeinsame Ziele und Probleme bearbeitet werden sollen.

Auf der 71. Bundesversammlung der DPSG wurde unter anderem das Thema `DPSG

für Alle!?` bearbeitet. Dabei beschäftigten sich Hauptamtliche, Ehrenamtliche und

Experten in Kleingruppen mit der „Entwicklung konkreter Modellprojekte /

Ansatzpunkte unter Berücksichtigung der sich ändernden Rahmenbedingungen mit dem

Ziel, weiter vielen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen Persönlichkeitsentwicklung

als Pfadfinderin und Pfadfinder zu bieten.“(Ergebnisdokumentation der

71.Bundesversammlung der DPSG)

Dabei wurden auf dem Hintergrund der Sinus-Milieu Studie U27 und den persönlichen

Erfahrungen die Personengruppen arm; nicht religiös / andersgläubig; vielfältig /

fremd; weiblich; gering gebildet / benachteiligt; konsumgeil; ganztagesbetreut;

verhaltensauffällig / seelisch behindert und aufstrebend / die neuen Eliten unter die

Lupe genommen. Entstanden ist eine umfangreiche Sammlung von Themen, Projekten

und Aktionen mit konkreten Umsetzungsvorschlägen. Mit einigen beispielhaften

Stichpunkten möchte ich ein wenig Einblick in diese geben: Ausgleichs- und

Hilfesysteme für finanziell Benachteiligte; Image Kompanie; Bis wohin geht

Pfadfinden? Wo fängt Sozialarbeit an? Was ist für Ehrenamtliche leistbar?; Kinder sind

überall begeisterbar, was ist notwendig, dass sie dabeibleiben?; Bindung über

„Erlebnispädagogische Spaßangebote“,…

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9. Schluss

Der Schlussteil soll einen Überblick über meine zentralen Erkenntnisse aus dieser

Arbeit geben, und die Entwicklung meiner zu Anfang der Diplomarbeitszeit gestellten

Arbeitshypothesen beleuchten.

9.1 Wo liegen die wichtigen Momente der Arbeit? Was kommt mir am Ende in

den Sinn?

Erlebnispädagogik und Pfadfinderpädagogik versucht Kindern und Jugendlichen zu

zeigen, dass viel mehr in ihnen steckt, als sie selber vermuten. Sie beweisen ihnen, dass

sie Berge versetzen können, wenn sie es nur wollen. Sie sollen sich `ihrer verborgenen

Kräfte´ bewusst werden.

Beeindruckende Erfahrungen mit Tiefgang setzen sich gut in der Erinnerung fest.

Diese Erlebnisse sollen in den Jahren danach als `Kraftquelle´ dienen und den

richtigen Weg für Handlungen aufzeigen. Die Kinder und Jugendlichen werden zu einer

Verantwortung gegenüber sich selbst (Selbstbestimmungsfähigkeit) und der

Gemeinschaft gegenüber (Solidaritätsfähigkeit) erzogen.

Die spektakulären Momente werden oft überbewertet. Das Schlafen unter freiem

Himmel, die einfache Brotzeit oder das intensive Gespräch am Lagerfeuer schaffen

ebenso nachhaltige Eindrücke. Dennoch sind der Mut zur Überwindung, die Neugierde

auf weitere Abenteuer, die Lust an der Leistung unverzichtbare Elemente. Doch wenn

diese Aspekte zum Selbstzweck werden, dann wird das pädagogische Potential nicht

ausgeschöpft.

Erlebnispädagogik und Pfadfinderpädagogik haben das Problem des nicht geschützten

Begriffs, so kann jeder eine Pfadfindergruppe gründen, oder Erlebnispädagogik

anbieten, ganz ohne Vorbedingungen. Es gab und gibt Fehlformen der

Erlebnispädagogik und der Pfadfinderidee. Dazu gehören paramilitärische Formen oder

der Missbrauch im Nationalsozialismus. Bei den Pfadfindern kommen intolerante,

elitäre Vereinigungen hinzu, sowie andere Nichtbeachtungen der Grundsätze der

Weltpfadfinderbewegung.

Eine angebrachte Machtstruktur innerhalb der Pfadfinder ist heute, auch aufgrund

des Selbstverständnisses, Normalität geworden. Es soll keine vertikale Rangordnung,

sondern eine horizontale alters-, und erfahrungsbedingte Staffelung sein. In der

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Erlebnispädagogik sollte das auch so sein. Jedoch fällt es oft schwerer, weil das

Vertrauensverhältnis zwischen Anleiter und Teilnehmer noch nicht aufgebaut ist und

die natürlichen Strukturen sich meist erst bilden müssen.

Reflexionskultur bei den Pfadfindern ist ein Bereich, der noch mehr gefördert und

auch gefordert werden sollte. (Vgl. Interview Sibylle Schönert) Was sich als Erlebnis

`eindrückt´, soll wieder zum Ausdruck gebracht werden. Nicht `Erleben statt Reden´

(Buchtitel zur EP in der Jugendarbeit), sondern `Erleben und Reden´ ist angesagt.

Erlebnispädagogik braucht Zeit: Mit der Länge der Maßnahme wachsen die Chancen

der Teilnehmer, ihre Eindrücke verarbeiten zu können. Ohne Zeit und Raum für die

notwendigen Prozesse, verkommt Erlebnispädagogik zum Aktionismus.

Die ökologische Komponente sollte in der Erlebnispädagogik eine stärkere Rolle

spielen. Emotionaler Bezug zu natürlichen Lebensräumen, der durch positive

Erfahrungen aufgebaut wurde, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Garant für

Naturschutz. Naturschutz ist ein Teil des ganzheitlichen Anspruchs, denn der Mensch

ist Teil der Natur.

9.2 Wie haben sich meine zu Anfang der Diplomarbeitszeit gestellten

Arbeitshypothesen entwickelt?

- (non) professional outdoor education

Das `(non)` kann getrost weglassen werden, da Pfadfinder auch kompetente

`Fachmänner´ der Erziehung in der Natur sein können. Manchmal mehr als

ausgewiesene `Erlebnispädagogen´, die sich mit verschiedensten Aus- und

Weiterbildungszertifikaten schmücken. Dazu steht die Ehrenamtlichkeit nicht im

Widerspruch. In Sachen Beziehung zur Natur und Naturverbundenheit, sind die

Pfadfinder meist um einiges näher am Wortsinn.

Pfadfinderarbeit als ganzheitliche Befähigung zum Leben

(soziales Handeln, seelische Gesundheit, Selbstbewusstsein, Problembewältigung,

körperliche und handwerkliche Fähigkeiten)

Die Befähigung zum Leben muss immer noch jeder für sich selbst in die Hand nehmen,

doch die Pfadfinder können Hilfestellung leisten, das eigene Leben zu gestalten. Die

`Pfadfinderpädagogik´ bietet einen Gesamtentwurf, der auf ethischen Werten basiert,

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die durch eine reflektierte Auseinandersetzung mit sich selbst ein Teil des eigenen

Lebens werden können. In der praktischen Lebensgestaltung kann das `Pfadfinden´ ein

ganz entscheidende Faktor sein, der sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Gerade in

unserer heutigen Zeit, in der soziale Gefüge sich verschieben, oder auch schwächer

werden und auf Knopfdruck eine Unzahl an Unterhaltungsmedien verfügbar sind, von

welchen man sich berieseln lassen kann. Dadurch wird es umso wichtiger, Kindern und

Jugendlichen zu zeigen, dass direktes Erleben und direkte Sozialkontakte weit

intensiver sind, als das aberwitzigste Abenteuer in der Medienlandschaft. Wir müssen

uns immer neu herausfordern, um das Gefühl eines erfüllten Lebens zu bekommen,

wodurch wir unserer `seelischen Gesundheit´ schmeicheln.

Das Glück begegnet uns jeden Tag, wir müssen es nur angemessen beachten.

Befähigung zum Leben möglich durch langfristiges in die Entwicklung

eingebettetes Erfahrungslernen?

Pfadfinder fürs Leben

Das lebenslange Lernen wurde durch die Neurologie bestätigt, ebenso wie das

Erfahrungslernen als effektivste Methode. Die Pfadfinder fordern heraus, sich immer

weiterzuentwickeln, neugierig zu sein, zu hinterfragen, und sein Leben selbst in die

Hand zu nehmen und das Beste herauszuholen. Wer diese Einstellungen verinnerlicht,

ist ein Lebens-Pfad-finder.

Gemeinsamkeiten der Pfadfinder und der Erlebnispädagogik

Dieser Punkt hat sich zum zentralen Aspekt in meiner Arbeit entwickelt. Besonders im

Verlauf der Erkundung des Themas durch die Auseinandersetzung mit Baden-Powell

und Kurt Hahn. Auch wenn ich diese beiden außerordentlichen Persönlichkeiten nur

oberflächlich erforscht habe, haben sich prägnante Gemeinsamkeiten und

Verbindungslinien herauskristallisiert.

Selbst wenn Kurt Hahn nicht von den Pfadfindern inspiriert wurde, was ich für fast

unmöglich halte, hat Baden-Powell auf jeden Fall mit der Gründung der

Pfadfinderbewegung die moderne Erlebnispädagogik beeinflusst. Er sollte in der Reihe

der Wegbereiter der Erlebnispädagogik die entsprechende Beachtung finden, da die

Auseinandersetzung mit Baden-Powell und den Pfadfindern die Theoriebildung und die

Ausformung der Praxisinhalte der Erlebnispädagogik beeinflusst hat und auch weiterhin

beeinflussen wird.

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Ebenso steht für mich fest, dass pädagogische Entwicklungen auch immer die

Pfadfinder beeinflusst haben. Und damit auch in neuerer Zeit Erkenntnisse und

Methoden aus der Erlebnispädagogik auf die Pfadfinder wirkten.

Scoutismus ist von Anfang an eine Erziehungsbewegung, die auf der Basis von

handlungs- und erlebnisorientierten Methoden nach der Persönlichkeitsentwicklung

ihrer Mitglieder strebt. Die praktische Arbeit war schon immer die große Stärke der

Pfadfinder und dass Methoden und Aktionsformen sich auf dieser Basis

weiterentwickelt haben, ist eine logische Schlussfolgerung.

Demnach haben die Entwicklung von Scoutismus und Erlebnispädagogik von

philosophischen Vordenkern bis zu den modernen Formen von Pfadfinderpädagogik

und Erlebnispädagogik sich gegenseitig befruchtet und sind in jeder Entwicklungsphase

miteinander verwoben.

Erstaunlich, wie die Pfadfinderbewegung aus dem wissenschaftlichen Diskurs so

herausgehalten werden kann, beziehungsweise nicht beachtet wird. Da erscheint es als

geradezu `nett´, dass Heckmair und Michel, neben drei pro forma Erwähnungen, in der

neusten Auflage ihres Standartwerks im Anhang die deutsche Jubiläumsseite der

Pfadfinder (www.scouting100.de) auflisten, mit dem Beisatz „Nicht ganz unwichtig, da

es doch einige Parallelen zur Erlebnispädagogik gibt.“

Die Nichtbeachtung dieses Aspekts in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung kann

ich mir auf Seiten der Erlebnispädagogik nur mit dem Drang nach Profilierung als

professionelle Methode, in der wissenschaftlichen Theoriebildung moderner

Sozialarbeit / Sozialpädagogik erklären. Bei den Pfadfindern sehe ich den Grund in der

entgegengesetzten Richtung, nämlich der starken Praxisbezogenheit und der wenigen

wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Ich kann an der Betrachtung dieser Schussfolgerungen nur Chancen für beide Seiten

sehen. Anhand der bewussten Auseinandersetzung könnten sich Pfadfinder- und

Erlebnispädagogik auch in Zukunft weiterentwickeln.

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- 80 -

9.3 Zu guter letzt

Erlebnispädagogik und Pfadfinderpädagogik haben beide Ihre Wirkungsfelder. Die

Pfadfinder als Jugendbewegung, die aktive Teilhabe von Kindheit bis ins junge

Erwachsenenalter anstrebt und die professionelle Erlebnispädagogik, die für alle

Zielgruppen verschiedenste zielgerichtete Maßnahmen und Programme zu bieten hat.

Beide sind auf ihre Art ein wichtiger Bestandteil unserer modernen Gesellschaft und

erfüllen Funktionen, die immer wichtiger werden.

Für mich bedeuten die Pfadfinder mein Leben und die Erlebnispädagogik meine

berufliche Zukunft.

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- 81 -

10. Erklärung über die eigenständige Anfertigung dieser Diplomarbeit

Nach §31, Abs.1 der in der StuPo geforderten Vericherung:

Ich versichere, dass ich diese Arbeit selbstständig angefertigt, und keine anderen als die

von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.

Ort, Datum Unterschrift

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- 82 -

11. Literaturliste

- Amesberger, Günter: Persönlichkeitsentwicklung durch Outdoor-Aktivitäten?

Untersuchung zur Persönlichkeitsentwicklung und Realitätsbewältigung bei sozial

Benachteiligten. Frankfurt am Main 1992

- Baden Powell, R.: Glück auf die Lebensfahrt (Rovering to success 1922). 2. Auflage

Zürich 1941

- Baden Powell, R.: Pfadfinder (Scouting for Boys 1908). Düsseldorf 1977

- Baden-Powell, R.: Pfadfinder (Scouting for Boys). 3. Auflage Neuss 1996

- Baden-Powell, R.: Pfadfinderführer (Aids to Scoutmastership) 1. Auflage Zürich

1963

- Bedacht, Andreas/Dewald, Wilfried/Heckmair, Bernd/Michl, Werner/Weis, Kurt:

Erlebnispädagogik: Mode, Methode oder mehr? Tagungsdokumentation des Forums

Erlebnispädagogik. München 1992

- Berthold, Margrit/Ziegenspeck, Jörg W.: Der Wald als erlebnispädagogischer

Lernort für Kinder. Lüneburg 2002

- Börner, Karsten: Robert Baden-Powell: Ein Wegbegleiter der modernen

Erlebnispädagogik? Ein Versuch zur Beantwortung der Frage, ob zwischen seinem

Werk und der modernen Erlebnispädagogik ein relevanter Zusammenhang

festzustellen ist. Lüneburg 1994

- Bücken, Eckart: Wagen und gewinnen: aus gemeinsamen Erlebnissen lernen.

Offenbach 1999

- Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg, Bundesleitung, Ordnung der DPSG, 1.

Auflage, Neuss 2006

- Drosdowski, Günther: Schülerduden. Fremdwörterbuch Herkunft und Bedeutung

der Fremdwörter. Mannheim 1997

- Ferstl, Alex/Scholz, Martin/Thiesen, Christiane: Wirksam lernen, weiter bilden,

weiser werden: Erlebnispädagogik zwischen Pragmatismus und

Persönlichkeitsbildung. Augsburg 2006

- Fischer, Dieter/Klawe, Willy/Thiesen, Hans-Jürgen: (Er-)Leben statt reden:

Erlebnispädagogik in der offenen Jugendarbeit. 3. Auflage München 1997

- Fischer, Torsten/Ziegenspeck, Jörg W.: Handbuch Erlebnispädagogik: von den

Ursprüngen bis zur Gegenwart. Bad Heilbrunn 2000

- Gerr, Hans E.: Einführung in die Pfadfinderpädagogik. Ein Handbuch für

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- 83 -

Leiterinnen und Leiter. 2. Auflage Nordstedt 2009

- Gerr, Hans E.: Pfadfindererziehung: Baden-Powells Entwurf einer Erziehung durch

Scouting. Einflüsse und Entwicklungstendenzen. Baunach 1983

- Hansen, Walter: Der Wolf, der nie schläft: Das abenteuerliche Leben des Lord

Baden-Powell. 2. Auflage Neuss 1995

- Heckmair, Bernd/Michel, Werner: Erleben und Lernen. Einführung in die

Erlebnispädagogik. 6. Auflage München 2008

- Heckmair, Bernd/Michl, Werner/Walser, Ferdinand: Die Wiederentdeckung der

Wirklichkeit: Erlebnis im gesellschaftlichen Diskurs und in der pädagogischen

Praxis. Alling 1995

- Hess, Gerhard/Ilg, Wolfgang/Weingardt, Martin: Kompetenzprofile: Was

Professionelle in der Jugendarbeit können sollen und wie sie es lernen. München

2004

- Homfeldt, Hans Günther: Erlebnispädagogik: Geschichtliches, Räume und

Adressat(inn)en, Erziehungswissenschaftliche Facetten, Kritisches. 2. Auflage

Hohengehren 1995

- Homfeldt, Hans Günther/Merten, Roland/Schulze-Krüdener, Jürgen: Soziale Arbeit

im Dialog ihrer Generationen: Theoriebildung – Ausbildung, Profesionalisierung –

Methodenentwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hohengehren

1999

- Lakemann, Ulrich: Wirkungsimpulse von Erlebnispädagogik und Outdoor-Training.

Empirische Ergebnisse aus Fallstudien. Augsburg 2005

- Reiners, Annette: Erlebnis und Pädagogik: praktische Erlebnispädagogik; Ziele,

Didaktik, Methodik, Wirkungen. München 1995

- Röser/Römer: Pfadfinder Lexikon. Neuss 1999

- Sommerfeld, Peter: Erlebnispädagogisches Handeln: Ein Beitrag zur Erforschung

konkreter pädagogischer Felder und ihrer Dynamik. München 1993

- Spitzer, Manfred: Lernen. Gehirnforschung und die Schule des Lebens. Heidelberg,

Berlin 2002

- Spitzer, Manfred: Vorsicht Bildschirm!. Stuttgart 2005

- Winter, Johannes: Auf dem Weg zu Gesundheit und Glück: Plädoyer für die

Einbeziehung von Pfadfinderverbänden in die Gesundheitserziehung. Die

pfadfinderische Lebensweise und Erziehungsmethode als Ansatz zur harmonischen

Lebensführung. Baunach 1986

Page 89: Diplomarbeit - DPSG · PDF fileihrem Gründer Robert Baden-Powell, sowie mit modernen Weltpfadfinderbewegungen und einem ihrer Verbände, der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg

- 84 -

- Wippermann, Carsten/Calmbach, Marc: Wie ticken Jugendliche?: Sinus-

Milieustudie U28. Düsseldorf 2007

- Ziegenspeck, Jörg: Erlebnispädagogik: Rückblick – Bestandsaufnahme – Ausblick;

Bericht über den gegenwärtigen Entwicklungsstand der Erlebnispädagogik in der

Bundesrepublik Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Lüneburger

Anstösse und Projekte; Dokumentation der geleisteten praktischen und

theoretischen Arbeit. 4. Auflage Lüneburg 1992

- e&l: erleben und lernen; Ausgabe 1/2000, Augsburg

- e&l: erleben und lernen; Ausgabe 1/2005, Augsburg

- e&l: erleben und lernen; Ausgabe 5/2007, Augsburg

- Stuttgarter Zeitung, 24.12.2005, S. 35Ff

- Handelsblatt, 03.04.2006 Pfadfinder als Wirtschaftsbosse – Die Manager vom

Lagerfeuer

- Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg: dpsg-ausbildung woodbadge: Handbuch

zur Woodbadge-Ausbildung. Neuss

- Claeys, Sandra: Diplomarbeit zum Thema: Erlebnispädagogische Schulungswochen

für Schulklassen: eine wirkungsanalystische exemplarische Auseinandersetzung.

Ludwigsburg 2003

- Schneider, Helga: Diplomarbeit zum Thema: „Kurzzeitpädagogik“, eine Chance

oder verschenkte Zeit? - eine Auseinandersetzung mit erlebnispädagogischen

Maßnahmen der Einrichtung Erlebnistage. Ludwigsburg 2006

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Ich weiß Du warst lange Jahre bei den Pfadfindern aktiv und zuletzt bist Du in die 1

Bundesleitung als Rover-Rerferentin vorgedrungen. 2

Wie kamst Du zu den Pfadfindern und auf welchem Weg bist Du dann in die 3

Bundesleitung gelangt? 4

5

Also wie ich zu den Pfadfindern kam, ist ganz einfach. Ich hab als Wölfling bei den 6

Pfadfindern begonnen, so mit 7 bis 8 Jahren. Bei uns in der Gemeinde gab es einen 7

Pfadfinderstamm und mein älterer Bruder war da. Der hat immer Sachen erzählt, was 8

die immer so gemacht haben. Das fand ich attraktiv als 7jährige und wollte dann 9

unbedingt zu den Pfadfindern. Es war damals so, dass die Wöflingsgruppe nicht 10

existiert hat, aufgrund von Leitermangel. Dann musste ich ein Jahr warten, bis ich dazu 11

kommen konnte. Wie ich letzten Endes in die Bundesleitung gelangt bin, kann ich nicht 12

so genau sagen. Es war letzten Endes so, dass mich die Pfadfinderei so begeistert hat 13

und sich mein ganzes Leben so durchgezogen hat. Ich habe auch viele andere Sachen 14

ausprobiert und egal ob das Sportarten oder musikalische Sachen. Pfadfinder war 15

immer das, was mich am meisten begeistert hat. Irgendwann war der Weg dann so, 16

dass du gerne die Sachen die dir selber angedien sind, weitergeben magst, zum einen 17

als Leiterin und dann wenn man ein gewisses Interesse an Gremien und Verbandsarbeit 18

hat, dann findet man recht schnell den Weg in die Verbandsebene und auf Bundesebene 19

war noch eine relativ glückliche Verkettung. Ich komme aus der Diözese Augsburg, da 20

war die Roverstufe traditionell immer stark im Bund vertreten. Ich kannte da auch viele 21

Leute, die schon auf Bundesebene tätig waren. Oft ist es so, man wird angesprochen, 22

man kennt die Leute. So kam es dazu, dass ich in der Bundesleitung angekommen bin. 23

24

Interview mit Sibylle Schönert

Redaktionsleitung der Fachzeitschrift e&l erleben und lernen

Ehemalige Rover Referentin in der DPSG Bundesleitung

Freiberufliche Trainerin für handlungsorientierte Seminare

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Hast Du durch Pfadfinder auch den Weg zur Erlebnispädagogik gefunden oder 1

wie kam das? 2

3

Letzten Endes war es Zufall, dass ich hier irgendwann im Zielverlag eine Stelle 4

gefunden habe. Ich habe von der Ausbildung her keine pädagogische Ausbildung. 5

Dieser Job kam über eine Pfadfinderfreundschaft zustande. Ich hab mich bei der DPSG 6

sehr stark mit der Leiterausbildung auseinandergesetzt und viele 7

Leiterausbildungskurse veranstaltet und entwickelt. Dann bin ich durch diese Tätigkeit 8

der Erlebnispädagogik auf eine ganz andere Art näher gekommen. Ich hab dann 9

festgestellt, dass viele Sachen, die ich bei der DSPG gelernt hatte und angewendet, 10

ganz nahe an dem ist was in Outdoor-Training und erlebnispädagogischen 11

Maßnahmen auch angewendet wird. So kam es, dass ich in diesem Bereich 12

professionell tätig geworden bin. 13

14

Also hast Du einen Bezug zur Erlebnispädagogik und den Pfadfindern. Für mein 15

Thema, trifft das ja den Nagel auf den Kopf. Wo siehst Du denn die 16

Gemeinsamkeiten dieser Konzepte? 17

18

Ich sehe große Gemeinsamkeiten in der Grundidee in der Grundhaltung, die bei 19

beiden dahinter steht. Also Erlebnispädagogik ist handlungsorientiert ausgerichtet, 20

ganz stark auf ein ganzheitliches Lernen, „Kopf, Herz, Hand,, ,sagt man in der 21

Erlebnispädagogik. Und es geht letzten Endes darum, dass man Lernprozesse 22

anstoßen will, die die sowohl die psychischen und physischen und sozialen 23

Kompetenzen von Leuten stärken soll, die dann in ihrer Persönlichkeitsentwicklung 24

weitergebracht werden. Das ist eine der großen Grundhaltungen in der 25

Erlebnispädagogik, dass es darum geht, Durch erleben und hinterher reflektieren zu 26

lernen. 27

Das liegt ganz nahe auch an dem, was die Pfadfinderbewegung auch will. 28

Es geht darum, ob wir uns als Erziehungsbewegung verstehen. In dem Wort liegt die 29

Idee, und wir wollen ja auch, dass die Mitglieder dazu erzogen werden, wenn sie aus 30

den Pfadfindern hinaus aus dem Leben entlassen werden, dass Sie dann einen guten 31

Beitrag in der Gesellschaft leisten können. Es geht auuch darum, ihre körperlichen 32

und intellektuellen und sozialen Fähigkeiten zu schulen. Das ist die 33

Hauptgemeinsamkeit, die beide teilen. 34

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Es sind schon einige Gemeinsamkeiten, die da aufkommen. Wie würdest Du die beiden 1

Konzepte voneinander abgrenzen? Also, wo liegen die Unterschiede? 2

3

Ich sehe es dahingehend, dass die Pfadfinderei in manchen Bereichen mehr zu bieten 4

hat oder umfassender ist. 5

Zum einen darf man einen großen Punkt nicht außer Acht lassen, dass Pfadfinderei 6

eine internationale Bewegung ist. Das ist vielleicht, was den kleinen Wölfling in der 7

Gruppe nicht interessiert, aber es eine Dimension an Lernfeldern, die es so nur ganz 8

selten gibt. 9

10

Ein großer Unterschied ist, dass die Pfadfinderei und Jugendverbandsarbeit 11

dauerhafter angelegt ist, als Ziele und Maßnahmen in der Erlebnispädagogik. Ich 12

muss dazusagen, dass mein beruflicher Zugang eher in der Erwachsenenbildung liegt, 13

dadurch kann ich mich nicht über Maßnahmen für Schulklassen sprechen. 14

Die dauerhafte Geschichte muss man im Zusammenhang sehen, aber letzten Endes 15

muss man sehen, dass wenn ein Kind zu den Pfadfindern als Wölfling eintritt, dann 16

bleibt es vielleicht bis es 20 Jahre ist bei den Rovern. Das ist schon eine sehr lange 17

Zeit, die nur in sehr wenigen Maßnahmen in der Länge geboten werden können. 18

19

Ich glaube, was unsere Pfadfinder abgrenzt ist zum einen die gesellschaftspolitische 20

Komponente, die wir von unseren Mitgliedern auch einfordern, im Sinne von „Verlass 21

die Welt ein bisschen besser, als ihr sie vorgefunden habt.“ Da geht es in der 22

Erlebnispädagogik eher indirekt darum. Natürlich ist es das Ziel den Menschen zu 23

erziehen, dass sie mit solchen Fragen kritisch und erwachsen umgehen. Aber es ist als 24

wirkliches Ziel so der Erlebnispädagogik nicht definiert. Also nicht so klar wie es bei 25

den Pfadfindern der Fall ist. 26

27

Zwei Punkte, ganz klar: Pfadfinder sind spirtuell und religiös egal in welcher 28

Ausrichtung jetzt, egal ob es evangelisch, katholisch ist. Das wurde ganz klar von BP 29

eingefordert, dass ein Pfadfinder im Idealfall an irgendwas zu glauben hat. Das ist ein 30

Punkt der in der Erlebnispädagogik so gut wie keinen Niederschlag findet. Es gibt eine 31

wenige, die auch was in dieser Richtung machen. Das wird aber eher bei 32

Übergangsritualen eingesetzt. Die meisten erlebnispädagogigischen Träger sind ganz 33

bewusst nicht religiös orientiert. 34

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Ein Punkt, der schon noch mal einen Unterschied macht, dass ist die Dauer, die die 1

Mitglieder dabei sind. Dort zählt natürlich die Beziehung zum Leiter. Ich glaube 2

schon, dass die eine andere ist, als die zu einem Leiter, den man z.B. nur Wochen sieht, 3

als jemanden den man in wesentlichen Phasen der Jugend und der Kindheit begleitet 4

über Jahre weg. Da nehmen die Leiter eine ganz andere Vorbildfunktion ein, als es in 5

der Erlebnispädagogik der Fall ist. Davon abgegrenzt ist natürlich auch der Leiter 6

eines Jugendheimes, bei dem es dann natürlich auch anders ist. 7

8

Was können aus den unterschiedlichen Ausrichtungen die beiden pädagogischen 9

Bereiche voneinander lernen? 10

11

Das würde ich sehr praxisorientiert beantworten. Ich habe mir über diesen Punkt schon 12

mal Gedanken gemacht. Natürlich könnte man alles aufgreifen und sich überlegen, 13

inwieweit bei der Erlebnispädagogik einige spirituelle Komponenten ihren 14

Niederschlag finden sollte oder ein gesellschaftliches Engagement dort auch Thema 15

sein sollte. Das sind sicherlich Dinge über die man schon zum Teil nachdenkt, die auch 16

immer mal wieder im Raum stehen. Es sind immer wieder zwei ganz praktische Sachen 17

für die auf beiden Seiten Nachholbedarf besteht. 18

Ich glaube, dass für die Pfadfinder ein Lernfeld darin besteht, dass sie sehr gut sind im 19

Agieren, die Pfadfinder sind ja oft so Malochertypen, die super viel auf die Beine 20

stellen, natürlich bewirkt es was in den Gruppen, wenn ich mit den Kindern eine Woche 21

wandern gehe, dann löst es was in der Gruppe aus. Ich glaube, dass es den Pfadfindern 22

ganz oft an der Reflektions- und Transferkompetenz fehlt. Das was ein Punkt, den ich 23

bei den Fortbildungen immer wieder festgestellt habe. Das sie gut darin sind, wirklich 24

gute Programme zu machen, gute Gruppen, gute Aktionen, aber das dann für eine 25

Gruppe so aufzuarbeiten, dass die noch einmal einen tieferen Mehrwert daraus 26

haben. Daran meine ich, hapert es oft. 27

28

Auf der anderen Seite glaube ich, dass der Erlebnispädagogik nutzen könnte, wie die 29

Pfadfinder mehr Raum zuzulassen. Im Idealfall bei unserer Projektmethode überlegt 30

sich die Gruppe was sie selber machen soll und geht selber diesen Entscheidungsweg. 31

Wie in den Woodbadge.-Kursen so durchexerziert wird. Bei den erlebnispädagogischen 32

Maßnahmen ist es oft so, dass man im Vorfeld überlegt, was machen wir denn, welche 33

Methoden sind zielführend. Also ein Programm überleg. letzten Endes gibt es für die 34

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Gruppe weniger Handlungsspielraum. Da glaube ich, dass die Erlegniespädagogik 1

eher die prozessorientierten Geschichten aufgreifen kann, um eine größere 2

Kreativität auch zuzulassen. Auch unter dem Stichwort der Gruppe mehr Raum zu 3

geben und die Idee der Längerfristigkeit ist immer noch ein Thema. Was oft ja ist, wenn 4

es in einem Team oft nicht so läuft, dann holt man sich einen Trainer, der macht dann 5

ein 1- oder 2-Tagesseminar, mit hinterher einem Folgegespräch, aber dann ist das 6

ganze auch schon immer vorbei. Die Wirkung verpufft dann nicht vollständig, aber man 7

weiß, dass im täglichen Geschäft man sich nicht immer zwangsweise an die Inhalte des 8

Seminars erinnert. Von daher glaube ich, dass es sinnvoller ist in größeren 9

Zeiträumen zu denken, um die Prozesse stärker voranzutreiben. 10

11

Die Pfadfinderei und die Erlebnispädagogik verfolgen beide pädagogische Ziele. Vor 12

allem in der Erlebnispädagogik wird die Diskussion über die Wirksamkeit ausführlich 13

geführt. Aber wo liegen, denn Deiner Meinung nach die Grenzen der beiden Konzepte? 14

15

Ich glaube, dass letzten Endes ganz viele Dinge handlungsorientiert und doch 16

erlebnispädagogisch orientiert vermittelt werden könnten. Es gibt mit Sicherheit auch 17

gewisse Inhalte, da muss sich einer vorne hinstellen und das einfach lehren. Daher 18

glaube ich nicht, dass die Erlebnispädagogik immer alles der Weißheit letzter Schluss 19

sein kann. Es ist eine Möglichkeit, eine sehr gute, die sehr viele Chancen bietet. 20

Manchmal gibt es aber auch Lernfelder, ich spreche hier von den klassischen, 21

schulischen Zusammenhängen, wo ich glaube, da geht es nicht um die 22

Erlebnispädagogik. Im sozialen Lernen, bei der rein kokniktiven Wissensvermittlung, 23

glaube ich schon eine sehr gute Methode ist. 24

Bis zu einem gewissen Grad ist man von der Bereitschaft der Teilnehmer abhängig 25

sich auf die Situation einzulassen. Natürlich kann man auch sagen, dass man ein 26

schwieriges Klientel über die die Maßnahmen erreichen kann, aber wenn jemand 27

absolut nicht will, dann ich es schwierig die Erfolge sichtbar zu machen. 28

29

Das ist letzten Endes immer das ganz große Thema, weil im sozialen Lernen gibt es 30

keine Messwerte in diesem Sinn. 31

Klar haben sich manche daran versucht, diese Ergebnisse nachzuweisen, zum Teil kann 32

man das auch. Aber es ist immer eine schwammige Geschichte, wo man sich viel auf 33

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Gefühle verlassen muss. Das ist so eine der Grenzen, an die man bei der 1

Erlebnispädagogik stößt, dass es nicht immer zwingend überprüfbar ist. 2

3

Woran würdest Du ein gelungenes Programm bei den Pfadfindern und der 4

Erlebnispädagogik festmachen? 5

6

Es kommt auf das Setting an. Sprechen wird jetzt von der Ausbildungsveranstaltung bei 7

den Pfadfindern oder sprechen wir von einer klassischen Gruppenaktion? 8

9

Ich hab an eine klassische Gruppenaktion gedacht. Das lässt sich aber auch auf 10

Bereiche in der Ausbildung übertragen? 11

12

Ich würde für mich sagen. Eine gute Pfadfinderaktion ist, wenn die Gruppe im Idealfall 13

entschieden hat, was passieren soll, wenn sie das Ganze dann durchgeführt haben. 14

Wenn es etwas war, was sie für sich als Herausforderung begreifen, wenn sie Spaß 15

daran hatten und wenn es der Gruppe gedient hat. 16

17

Wo würde man in der Erlebnispädagogik in einem klassischen Teamtraining die 18

Erfolgspunkte festmachen? 19

20

Die würde ich so definieren, dass ich dann zufrieden bin, um beim Teamtraining zu 21

bleiben, wenn ich das Gefühl habe, dass die Methoden, die ich mir im Vorfeld überlegt 22

habe, die richtigen für die Teilnehmer waren. Wenn ich individuell auf die Wünsche 23

eingegangen bin, die während des Trainings aufgekommen sind. Wenn die Teilnehmer 24

hinterher sagen können oder definieren können, dass sie einen Lernerfolg oder 25

Erkenntnis aus dem Seminar mitnehmen können oder, dass sie hinterher eine 26

Auswertung formuliere können. Das hat uns was gebracht, weil wir jetzt diese Schritte 27

einleiten wollen. 28

29

Da unterscheiden sich die Ziele in gewisser Weise. 30

31

Wobei man hier sagen muss, dass der Vergleich hinkt. Eine Teamentwicklung, wo man 32

von Erwachsenen spricht und von einer klassischen Pfadfinderaktivität, wo man von 33

eher Jugendlichen ausgeht, ist natürlich in der Zielsetzung eine andere. 34

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Ist ein Pfadfinderleiter als ehrenamtlicher Erlebnispädagoge zu sehen oder nicht? 1

2

Das ist eine schwierige Frage. Es gibt wahnsinnig gute Pfadfinderleiter bei uns gibt, 3

die ganz intuitiv aufgrund der Erfahrungen, die sie sich im Laufe der Jahre 4

angeeignet haben ganz viele Elemente aus der Erlebnispädagogik anwenden ohne, 5

dass sie vielleicht benennen könnten, das es Erlebnispädagogik ist. Ich glaube, dass sie 6

das in vielerlei Hinsicht schon sind, nur dass oftmals dieser letzte Ausbildungsschritt 7

fehlt, wo man aus einem guten Leiter einen wirklich guten Pädagogen macht. Das spiel 8

ich auf die Transfer- und Reflektionskompetenz an, weil ich schon glaube, dass ganz 9

viele Leiter gute natursportliche Aktionen für ihre Kids für ihre Starten, aber dass eher 10

aus einem Fun-Gedanken heraus ist – haben wir vielleicht Lust – so läuft es in der 11

Praxis meistens, während sich ein Pädagoge meistens überlegt, was will ich eigentlich 12

mit der Gruppe erreichen und wie komme ich dahin. Im Idealfall macht es der 13

Pfadfinderleiter genauso. Er analisiert und stellt fest, in der Gruppe läuft es nicht, das 14

muss irgendwie bearbeitet werden. Wie kommen wir dahin? Und der dann stärker in so 15

eine Gruppe eingreift. 16

Es hat eine in unserem Verband eine große bandbreite von Menschen, die als letzten 17

Endes als Leiter tätig sind mit den unterschiedlichsten Kompetenzen. Von daher ist 18

das Bild daher ein sehr inhomogenes. 19

20

Das ergänzt sich dann in einer Leiterrunde zum Beispiel. 21

Es gibt ja den schönen Satz: „Einmal Pfadfinder immer Pfadfinder“. Wie stark 22

wirken die Pfadfinder auf Dein Leben, nachdem Du Deine aktive Zeit beendet 23

hast? 24

25

Ach total. Ich würde es das als DAS prägende Element in meinem Leben bezeichnen. 26

Ich wäre heute sicher ein anderer Mensch, wenn ich nicht zufällig zu den Pfadfindern 27

gekommen wäre, davon bin ich ganz fest überzeugt. Ich habe so viele Sachen erfahren 28

und erleben dürfen und so viele tolle Menschen kennen gelernt, die mich auf ganz 29

unterschiedlichste Art geprägt haben. So dass ich für mich letzten Endes „Einmal 30

Pfadfinder immer Pfadfinder“ so fühle. 31

32

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Also ganz entscheidend für Deinen Lebensweg und von der Prägung her. Kannst 1

du auch konkret nennen, in welchem Bereich das was für gebracht hat. Also in 2

welchen Bereichen des Lebens. 3

4

Es ist natürlich so, dass der ganzheitliche Lernansatz für mich auch wirkt. Das hat so 5

bei banalen Dingen angefangen, z.B. dass wir im Stamm Raftingboote hatten und viel 6

zum raften gegangen sind. In der Zeit wo es noch möglich war, um eine 7

Sportkomponente zu nennen, diese Erfahrung mit Wildwasser umzugehen hätte ich 8

sonst nicht gemacht, außer in einem Kanuverein. Das geht weiter in all dem weiter bis 9

zur Mitbestimmung bei den Pfadfindern, sich mit dem Lärm in der Gruppe 10

auseinanderzusetzen, dort seinen Platz einzunehmen, zu merken wie es ist 11

Verantwortung zu haben, Dinge die man gelernt hat an andere weiter zu geben. Es 12

ging dann weiter mit der ganzen Gremienarbeit, bei der ich auch sicherlich sehr viel 13

gelernt habe. Dann die Arbeit auf die Diözösanebene und Bundesebene, bei der immer 14

politische und strategische Komponente dazukommt. Das hat letzten Endes nie 15

aufgehört. Das faszinierende bei dem ganzen Werdegang fand ich, dass wenn sich ein 16

Schritt weiter aufgetan hat, hat sich immer ein neues Lernfeld aufgetan, das sich vorher 17

so noch gar nicht entdeckt hatte. Als ich auf Bundesebene angekommen bin, dachte ich, 18

mehr gibt es ja nicht und habe dann festgestellt, dass auf einmal noch eine 19

internationale Komponente dazukam, wo ich dann auf internationalen Treffen war, an 20

die ich vorher überhaupt nicht gedacht habe. Das hat auch eine Lernchance eröffnet. 21

Von daher hat die permanente Weiterentwicklung bei mir recht gut funktioniert. 22

23

Damit haben die Pfadfinder unser beider Leben entscheidend beeinflusst. 24

Damit bin ich mit meinen vorbereiteten Fragen am Ende. Wenn Du noch 25

irgendwas hast, was Du zu diesem Themenbereich loserden willst, dann kannst Du 26

das jetzt och sagen. 27

28

Vom Prinzip haben wir alles soweit besprochen, was zu besprechen ist. Was ich nach 29

wie vor spannend finde, ist die Frage, was hat sich gegenseitig beeinflusst. In wie fern 30

war BP für Kurt Hahn ein Vorbild. Wer war zuerst da? Das finde ich eine echt 31

spannende Frage. Man kann darüber viel philosophieren, was jetzt die feinen 32

Unterschiede und die feinen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Methoden sind. Ich 33

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finde es sehr spannend und bin sehr dankbar, dass ich in beiden Bereichen etwas 1

machen kann. 2

3

Ja genau, in diese Richtung bewege ich mich auch in meiner Diplomarbeit, da hat 4

man viel zu tun bei den Überschneidungen 5

6

Dankeschön und „Gut Pfad“ vielleicht bis zum nächsten Bundeslager oder World 7

Jamboree. 8