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COVID / Coronavirus: Kunstmarkt Quo Vadis? Corona hält die Welt im Würgegriff, droht uns zu ersticken. Ein winziges, unsichtbares hässliches Virus erweist sich als viel stärker, viel effektiver und viel machtvoller als alle noch so gigantischen, pracht- und eindrucksvollen (Status-) Symbole und Ikonen unserer grenzenlosen Konsumwelt, unseres schrankenlosen Liberalismus und unserer zügellosen Globalisierung. Der goldene Honigtopf am Ende des Regenbogens ist in weite Ferne gerückt. We shall overcome, kein Zweifel. Wir werden diesen gemeinen Spielverderber in den Griff bekommen und uns aus seinen Klauen befreien; und je gemeinsamer und solidarischer wir handeln, desto schneller und glimpflicher werden wir es schaffen. Viel länger wird es aber dauern, bis die Wunden und Narben wieder verheilt sind. Wir werden nicht einfach wieder zum Alltag übergehen können, wie nichts geschehen wäre, zu gross ist die Zäsur; es wird ein Vorund ein NachCorona geben. Was wird sein, wenn es vorbei ist? Philosophen und Prognostiker sehen die Menschheit vor einer düsteren, ja gefährlichen Zukunft. Der italienische Denker Giorgio Agamben formuliert es so: «Das Virus infiziert nicht nur einzelne Menschen, sondern die ganze Gesellschaft.» Da hat er sicherlich recht. Und die pessimistische Fraktion warnt davor, dass die Angst uns zu wilden Egoisten macht. Gibt Corona wirklich Anlass zur Hoffnungslosigkeit? Oder kann es, trotz seiner brutalen Schreckensherrschft, nicht auch das Gegenteil bewirken? Die Antwort liegt allein bei uns. Warum eigentlich soll die Gesellschaft nach Corona egoistischer gestimmt sein als die Gesellschaft vor dem Virus? Noch egoistischer, müsste man sagen. Denn war sie nicht bereits egoistisch inmitten einer Überfülle, die diesen Egoismus verdeckte, indem jeder ergattern konnte, was ihm beliebte? Symbole der Vor-Corona-Zeit waren das Kreuzfahrtschiff mit 6000 Passagieren in der seichten Lagune des Weltwunders Venedig, oder die rauschenden Parties der Schoenen und Reichen auf ihren Yachten vor Mykonos, wenige azurblaue Wellen entfernt von verzweifelten Fluechtlingen, die auf maroden Gummibooten um ihr Leben kämpfen: brutal, primitiv, präpotent. Die totale Verfügbarkeit von allem für alle und zu jeder Stunde führte zur totalen Verhunzung von Schönheit und Wert. Vulgarität, Dekadenz und Rücksichtslosigkeit als Signa einer Zeit. Buchstäblich zahllos sind weltweit zur Zeit die Menschen im Einsatz für Menschen, die dem Virus verfallen oder ausgesetzt sind. Ihre Hilfe leisten sie unbesehen der eigenen Sicherheit. Namenlose Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger arbeiten über das Ende ihrer Kräfte hinaus - immer weiter, Tag und Nacht. Einfache Lastwagenfahrer, Lagerarbeiter und Supermarktkassiererinnen sorgen mit unermüdlichem Einsatz dafūr, dass unsere Versorgung sichergestellt ist. Regierungen und Behörden, oft als Hindernisse des angeblich alle Probleme von selbst lösenden Neoliberalismus verschrien, stampfen über Nacht gigantische medizinische, gesundheitspolitische und wirtschaftliche Notmassnahmen aus dem Boden. Und auch im Alltag helfen Menschen Menschen, nehmen Rücksicht, akzeptieren einschneidende Massnahmen, erklären sie ihren Nächsten, ihren Kindern. Gemeinsam und miteinander im Kampf gegen das Virus, gemeinsam und miteinander in der Bewältigung der Katastrophe, gemeinsam und miteinander füreinander.

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COVID / Coronavirus:

Kunstmarkt Quo Vadis?

Corona hält die Welt im Würgegriff, droht uns zu ersticken. Ein winziges, unsichtbares hässliches Virus erweist sich als viel stärker, viel effektiver und viel machtvoller als alle noch so gigantischen, pracht- und eindrucksvollen (Status-) Symbole und Ikonen unserer grenzenlosen Konsumwelt, unseres schrankenlosen Liberalismus und unserer zügellosen Globalisierung. Der goldene Honigtopf am Ende des Regenbogens ist in weite Ferne gerückt.

We shall overcome, kein Zweifel. Wir werden diesen gemeinen Spielverderber in den Griff bekommen und uns aus seinen Klauen befreien; und je gemeinsamer und solidarischer wir handeln, desto schneller und glimpflicher werden wir es schaffen. Viel länger wird es aber dauern, bis die Wunden und Narben wieder verheilt sind. Wir werden nicht einfach wieder zum Alltag übergehen können, wie nichts geschehen wäre, zu gross ist die Zäsur; es wird ein “Vor” und ein “Nach” Corona geben.

Was wird sein, wenn es vorbei ist? Philosophen und Prognostiker sehen die Menschheit vor einer düsteren, ja gefährlichen Zukunft. Der italienische Denker Giorgio Agamben formuliert es so: «Das Virus infiziert nicht nur einzelne Menschen, sondern die ganze Gesellschaft.» Da hat er sicherlich recht. Und die pessimistische Fraktion warnt davor, dass die Angst uns zu wilden Egoisten macht. Gibt Corona wirklich Anlass zur Hoffnungslosigkeit? Oder kann es, trotz seiner brutalen Schreckensherrschft, nicht auch das Gegenteil bewirken? Die Antwort liegt allein bei uns.

Warum eigentlich soll die Gesellschaft nach Corona egoistischer gestimmt sein als die Gesellschaft vor dem Virus? Noch egoistischer, müsste man sagen. Denn war sie nicht bereits egoistisch inmitten einer Überfülle, die diesen Egoismus verdeckte, indem jeder ergattern konnte, was ihm beliebte? Symbole der Vor-Corona-Zeit waren das Kreuzfahrtschiff mit 6000 Passagieren in der seichten Lagune des Weltwunders Venedig, oder die rauschenden Parties der Schoenen und Reichen auf ihren Yachten vor Mykonos, wenige azurblaue Wellen entfernt von verzweifelten Fluechtlingen, die auf maroden Gummibooten um ihr Leben kämpfen: brutal, primitiv, präpotent. Die totale Verfügbarkeit von allem für alle und zu jeder Stunde führte zur totalen Verhunzung von Schönheit und Wert. Vulgarität, Dekadenz und Rücksichtslosigkeit als Signa einer Zeit.

Buchstäblich zahllos sind weltweit zur Zeit die Menschen im Einsatz für Menschen, die dem Virus verfallen oder ausgesetzt sind. Ihre Hilfe leisten sie unbesehen der eigenen Sicherheit. Namenlose Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger arbeiten über das Ende ihrer Kräfte hinaus - immer weiter, Tag und Nacht. Einfache Lastwagenfahrer, Lagerarbeiter und Supermarktkassiererinnen sorgen mit unermüdlichem Einsatz dafūr, dass unsere Versorgung sichergestellt ist. Regierungen und Behörden, oft als Hindernisse des angeblich alle Probleme von selbst lösenden Neoliberalismus verschrien, stampfen über Nacht gigantische medizinische, gesundheitspolitische und wirtschaftliche Notmassnahmen aus dem Boden. Und auch im Alltag helfen Menschen Menschen, nehmen Rücksicht, akzeptieren einschneidende Massnahmen, erklären sie ihren Nächsten, ihren Kindern. Gemeinsam und miteinander im Kampf gegen das Virus, gemeinsam und miteinander in der Bewältigung der Katastrophe, gemeinsam und miteinander füreinander.

Page 2: Document1peak-lorenzorudolf.com/pdf/COVID-artmarket-D.pdf · Title: Microsoft Word - Document1 Created Date: 4/1/2020 10:21:29 AM

Wir sollten den viralen Schock, trotz Angst und Not, dringnd auch zur Reflexion nutzen, über uns, über unsere Zukunft. … dies auch in der Kunstwelt, und erst recht im Kunstmarkt. Die Kunstwelt als solidarische globale Gemeinschaft mit vermehrt wieder ideellen und akademischen und weniger vom absoluten Imperativ des Kunstmarkts diktierten Werten? Der Kunstmarkt als verantwortungsbewusste internationale Drehscheibe, basierend auf gegenseitigm Respekt, Toleranz und Akzeptanz, und weniger als Null-Summen-Spiel, jeder für sich selbst … und gegen den Rest. Die Kunst vermehrt wieder als authentisches, tiefsinniges und inspirierendes Kulturgut und weniger als gehiptes Spekulationsobjekt oder trendiges Luxusprodukt? Solche Einsicht wächst durch die Angst und die Not, genauer: durch den Widerstand gegen diese Angst und gegen diese Not.

Auch im internationalen Kunstmarkt wird eine neue Zeitrechnung beginnen. Einst erfolgreiche Strukturen und Dogmen werden hinterfragt werden, Innovation wird eine total neue Bedeutung und Notwendigkeit erhalten. Die Zeiten der hemmungslosen Gier nach Profit, nach Macht und nach neuen Rekorden dürften auch hier für lange vorbei sein. Was jetzt zählt ist Demut, Zusammenhalt und Verantworungsbewusstsein: Ausgleich statt Polarisierung, Pluralismus statt Monopolisierung, Beteiligung statt Ausgrenzung, Vereinigung statt Trennung, Nachhaltigkeit statt schnelle Aufmerksamkeitsgewinnung, Tiefgang statt Oberflächlichkeit, Dialog statt Monolog, Diversifikation statt Gleichmacherei und immerwiederkehrende Repetition. Langsamer der Lauf der Dinge, grösser die Achtsamkeit, fokussierter die Konzentration auf das Wesentliche, tiefer die Hingabe.

Warum sollte dies nicht gelingen? Das Virus ist extrem ansteckend, genauso ist es die Angst … aber noch viel ansteckender ist die Hoffnung. Der Mensch ist ein lernendes Wesen. Und er entwickelt auch in dieser schweren und unsicherer Zeit mehr als nur einen neuen Impfstoff.

Lorenzo Rudolf

agency for visionary thinking, strategic

planning, innovative acting

Lorenzo Rudolf

www.peak-lorenzorudolf.com

consultancy and support in the art world