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Technik für das Leben 2014 Drägerheft 395 Drägerheft 395 3. Ausgabe 2014 Künstliches Koma Big Data Wo Daten mit Sicherheit weiterbringen Feuer-Zeug Wie sich ein Brandlabor in Rowdys hineindenkt Außer Atem Thriller über einen natürlichen Reflex Seele ohne Ausweg Langzeitnarkose: Gefangen im eigenen Körper

Drägerheft Wo Daten mit Big Data - draeger.com · eignete sich besonders für astronomische Berechnungen. Damit räumte das Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahre 1697

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Technik für das Leben 2014

Drägerheft 395

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rägerheft 395

3. Ausgabe 2014

Künstliches K

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Big DataWo Daten mit

Sicherheit weiterbringen

Feuer-ZeugWie sich ein Brandlaborin Rowdys hineindenkt

Außer AtemThriller über einen natürlichen Reflex

Seele ohne AuswegLangzeitnarkose: Gefangen im eigenen Körper

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Feuer, Wasser, Erde, Luft – ohne die vier Elemente kann der Mensch nicht leben. Und doch muss er sich vor ihren Gefahren schützen: Seit 125 Jahren stehen Dräger und „Technik für das Leben“ auch für den Umgang mit ihnen.

„Diese vier Elemente zu bannen, gerade wenn sie wild stürmend und tosend daherbrechen, ohne das bedrohte Menschenleben mit Kraft und Energie zu entreißen, und sie so wieder in die Schranken zurückzuzügeln – das war, aus kleinsten Anfängen heraus geboten, die Arbeit des Drägerwerks.“Hauptpastor Wilhelm Mildenstein, Marienkirche Lübeck, am 16. Januar 1928, anlässlich der Beerdigung von Bernhard Dräger

Sie ist nicht nur Heimatplanet, sondern – im engeren Sinn – die Erdkruste: von der Ackerkrume über die TauTona-Mine in Südafrika, die noch aus 3.900 Meter Tiefe Gold fördert, bis zur Forschungsbohrung SG-3 auf der russischen Kola-Halbinsel in 12.262 Meter Tiefe. Mehr als 20 Millionen Menschen verdienen weltweit als Kumpel ihre Kohle. Ihre Arbeit ist ebenso unverzichtbar wie gefährlich. Dieses Risiko mindern ein Ausbau der Bergwerke nach dem Stand der Technik sowie die technische Ausrüstung und Ausbildung von Grubenwehren.

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3DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

INHALT

4 ERFAHRUNGEN Aus aller Welt: Helga Tschugg, leitende Pflegekraft aus Innsbruck, und Andreas Friedl von der dortigen Berufsfeuerwehr helfen den Menschen auf verschiedene Art und Weise.

6 STREIFZÜGEDer etwas andere Blick auf die Themen dieser Ausgabe: und was es sonst noch dazu zu sagen gibt.

8 FOKUS Langzeitnarkose: Im Koma empfinden Menschen völlig anders. Künstlich in einen veränderten Bewusstseinszustand gebracht, kämpfen sie parallel zur Genesung ihres Körpers ihren ganz eigenen Kampf. Wie kann man ihnen diesen Weg erleichtern?

18 BRANDSCHUTZ Personenverkehr: Zündeln erlaubt! Gezielt Feuer legen, um Schäden zu vermeiden – das ist die Aufgabe des Brandlabors der DB Systemtechnik GmbH.

22 ESSAY Atmung: Eine atemberaubende Reise durch einen lebenswichtigen Reflex, den man kaum bemerkt.

28 KRANKENHAUS -IT Datenschutz: In Krankenhäusern werden immer mehr Daten digital verwaltet. Doch wie sicher sind die Systeme, und wie wird man den Anforderungen der Behörden gerecht?

32 KRANKENHAUS Hygiene: Die frühe Erkennung einer Blutvergiftung kann Leben retten, doch die Diagnose ist oft schwierig. Die Betrof-fenen haben nur dann gute Überlebens-chancen, wenn schnell und beherzt eingegriffen wird.

38 GESELLSCHAFT Datenflut: Das Informationszeitalter häuft täglich immer größere Datenmengen an. Big Data hat das Potenzial, sie nutzbar zu machen – auch in der Medizin.

44 MEDIZINGeschichte: Eine Sonderausstellung in Mannheim beleuchtet noch bis Mitte 2015 die Geschichte und Zukunft der Medizintechnik.

48 SCHULTERBLICK Arbeitsplatzmessungen: Der Dräger-Analysenservice bestimmt Schadstoffe in der Luft – auch wenn ihre Konzentration noch so gering ist.

52 EINBLICK Alkohol-Interlocks: Der zweite Zünd-schlüssel – freie Fahrt gibt es nur für den, der vorher gepustet hat und ohne Atem alkohol ist.

Eine Oberfläche von rund 1.000 Quadratmetern weist ein Gramm Aktivkohle aus der Schale der Kokosnuss auf, die Stoffe aus der Luft bindet – mehr ab Seite 48.

22 28ATMEN SCHÜTZEN

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18 PRÜFEN

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4 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Menschen, die bewegen

Helga Tschugg, leitende Pflegekraft, Universitätsklinik Innsbruck/Österreich

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ERFAHRUNGEN AUS ALLER WELT

„Die Skisaison in Sölden wurde bereits Ende Oktober eröffnet – leider hatten wir gleich zwei Schwerverletzte: einen jungen Russen, Snowboarder, der nach einem schweren Unfall querschnittsgelähmt ist. Und einen Mann, der beim Ausladen seines Wagens überfahren wurde. Weihnachten heißt für uns Urlaubssperre, dann wird es hier voll und international. Tirol zählt 45 Millionen Übernachtungen pro Jahr. Früher gab es saisonale Pausen, da waren die Ski- Openings erst im Dezember.

Was ich mir beruflich wünsche? Schwierig zu sagen. Wenn einer sich überschätzt, muss er mit dem Risiko leben. Wir hatten mal eine Studentin, begeisterte Gleitschirmfliegerin, ein Profi. Sie stürzte 50 Meter im freien Fall in die Tiefe und verstarb drei Tage später. Tragisch, aber sie wusste um das Risiko. Ich erinnere mich auch an einen jungen Motorradfahrer, der von einem entgegenkommenden Motorrad erfasst wurde. Er hat auch nicht überlebt. Da denkt man

schon, wie ungerecht das Leben sein kann, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist. In einem unserer elf Betten liegt gerade eine Frau nach einem Sturz aus großer Höhe in den Bergen, eben-falls querschnittsgelähmt. Der Absturz war nicht hoch genug, wie sie es sich erhofft hatte. Wie man mit all dem umgeht? 90 Prozent unserer Patienten leben weiter. Ein Tiroler hatte vor 16 Jahren einen Unfall. Er sitzt heute im Rollstuhl, spielt Posaune, fährt Mono-Ski. Manchmal frage ich ihn, ob er kommen kann, um mit den Patien-ten zu reden. So einer wie er ist ein Energielieferant, auch für das ganze Team. Aber man muss lernen, alles hierzulassen, in der Kli-nik – es in die Schublade zu legen, bevor man nach Hause geht. Als kleines Mädchen wollte ich Säuglingsschwester werden. Nun arbeite ich seit 30 Jahren in der Intensivpflege und bin bis heute froh darüber. Ich mag es, Empathie weiterzugeben. Früher hatten die Menschen mehr familiären Rückhalt, heute leben viele isolierter.“

004_Draeger_D 4 03.12.14 10:53

„Ich bin seit 22 Jahren bei der Feuerwehr und habe schon einiges erlebt: von der Katze auf dem Baum bis zum Waldbrand. 2008 brannte es zehn Tage lang, 40 Meter hohe Flammen schlugen aus dem Wald. Unterhalb der Martinswand ist es im Sommer extrem trocken, ein starker Föhnsturm blies noch dazu. Auch wenn Hub-schrauber Wasser abwarfen: Wir gingen rein und hackten den steilen Waldboden auf, denn Wurzelbrände können noch tief un-ter der Erdoberfläche schwelen. Der Wald schützt die Stadt. Inns-bruck ist die einzige Großstadt Europas mit Siedlungen in lawinen-gefährdetem Gebiet – Ende Oktober hatten wir schon 1,80 Meter Neuschnee auf den Bergen!

Kürzlich brannte es in einer Tiefgarage, 400 Batterien explodier-ten. Da kamen wir körperlich an unsere Grenzen. Bei der Personen-suche in extremer Rauchentwicklung haben wir neben Dräger-

Atemschutzgeräten (Typ: PSS 5000) auch Twin-Packs dabei. Mit zwei Flaschen verdoppelt sich der Luftvorrat. Unsere größte Heraus-forderung? Vermutlich der Brenner-Basistunnel. Wenn der in einigen Jahren fertiggestellt ist, führen drei Röhren durch die 64 km lange Ader im Untergrund. In einem Zug sind dann bis zu 1.000 Fahrgäs-te. Das mag man sich gar nicht vorstellen, wenn da etwas passiert.

Mein schlimmster Einsatz ist 15 Jahre her: Ein 18-jähriger Ka-nalarbeiter steckte kopfüber im Schacht fest. Wir hatten ihn schnell heraus, doch im Schacht war Wasser. Wie elend er da zugrunde ge-gangen sein muss – das hat mich lange beschäftigt. Manchmal müs-sen wir auch Hunde aus dem Inn retten. Da stehen dann Leute auf der Brücke und klatschen. Bei einer Personenrettung habe ich das noch nie erlebt, aber so ist unsere Gesellschaft nun mal. Als Feuer-wehrmann kann man gut sein kleines Helferleinsyndrom pflegen.“

Andreas Friedl, Ingenieur und Bereitschaftsoffizier, Berufsfeuerwehr Innsbruck/Österreich

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6 DRÄGERHEFT 395 | 3/ 2014

STREIFZÜGE

UM WAS ES HIER GEHT

StichwörterJedes von ihnen deckt auf dieser Doppelseite einen neuen Aspekt eines Artikels auf, zeigt ihn aus einer anderen Perspek tive. Denn jedes Thema hat viele Facetten. Die Erklärungen und Erläute-rungen der Stichwörter werden auch aus Lexika, Wör terbüchern und Fach enzyklopädien zitiert – und sie enthalten Streifzüge durch andere Gebiete. Damit man manchen Aspekt mit anderen Augen sieht.

ANDERE WELTEN

Nicht mehr Herr im eigenen HausIn wunderbaren Momenten fühlt sich der Mensch mit sich und seiner Umwelt im Einklang. Doch vielfach nimmt er schon im normalen Alltag widerstreitende Gefühle wahr: Der Bauch will Schokolade, der Kopf legt sein vernunftgesteuertes Veto ein. Sigmund Freuds Psychoanalyse brachte 1917 Ordnung in dieses Chaos, indem Freud das Unbewusste beschrieb – auch als Kränkung, dass das Ich nicht mehr Herr im eige-nen Hause sei. Ähnlich dürfte es Komapatienten ergehen: mehr ab Seite 8

WUNDERKAMMER

Begehbare Stätten der Aufklärung Nicht nur das Internet bildet. Museen bieten Ausstellungen nach Themen geordnet, stellen Dinge in einen erhellenden Zusammenhang, machen sie haptisch erlebbar. Sie gingen aus „Wunderkammern“ genannten Kunstsammlungen des Barocks hervor. Die Aufklärung wandelte den Blick vom Staunen in Wissenserwerb durch Anschauung. Medizintechnik ist ebenfalls ihr Thema: mehr ab Seite 44F

OTO

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7DRÄGERHEFT 394 | 2 / 2014

DIGITALISIERUNG

Die ganze Welt in 0 und 1Gewöhnt haben wir uns an das Zehnersystem, denn zehn Finger haben beide Hände. Doch Griechen und Chinesen beispielsweise rechneten im Fünfer-system, die Mayas in 20er-Schritten. Sumerer und Babylonier wiederum orien-tierten sich nicht am Menschen, sondern am Lauf der Sterne – ihr 60er-System eignete sich besonders für astronomische Berechnungen. Damit räumte das Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz im Jahre 1697 radikal auf: Er entwi-ckelte ein Dual- oder Binärsystem, das nur noch aus den Werten 0 und 1 besteht. Das sollte reichen zur Beschreibung der Welt und ließ sich universal übersetzen: in Ja und Nein, in Gott und Teufel, Mann und Weib, aber auch in Tag und Nacht. Etwas Drittes gibt es nicht, logisch. Der Strom ist an oder aus. Claude E. Shannons bahnbrechende Kommunikationstheorie verknüpft Dual-system und frühe Computertechnik. Er legte damit die Grundlage – auch für das, was wir heute als „Big Data“ völlig neu sehen: mehr ab Seite 38

NEBEN DER SPUR

Hinterwäldler der GesellschaftSie stören, sie zündeln, sie brechen Streit und Gewalt vom Zaun: Rowdys. Ursprünglich bezeichnete dieser Begriff ungehobelte Hinterwäldler, die aneckten und alles dafür taten. „Rowdytum“ ist aber auch die stigmatisierende Bezeichnung für lediglich Unbequemes. Im Fall von Feuerteufeln jedoch ist klar, welche Rowdys am Werk sind, vor denen die Bahn sich schützt: mehr ab Seite 18

KEIME

Angriffe auf den KörperFühlt sich der Mensch unwohl, wird gar krank, sind oft Keime die Ursache – Mikroorganismen, die im Körper ihr eigenes evolutionäres Programm der Vermehrung verfolgen. Auf Kosten des Wirts, der die Rechnung zu zahlen hat. Die Quittung besteht zumeist in einer Schwäche unterschiedlichen Grads, weil der Körper alles für die Abwehr der Eindringlinge mobilisiert. Deren Ent-deckung überhaupt ist mit den Namen Louis Pasteur und Robert Koch ver-bunden. Seitdem weiß man, was man bekämpfen muss. Das aber ist nach wie vor schwierig, etwa bei einer Sepsis: mehr ab Seite 32

WAHRNEHMUNG

Der Nase nach Die 30 Millionen Riechzellen der menschli-chen Nase nehmen beispielsweise Sub-stanzen wie Methylmercaptan im Knoblauch noch in unvorstellbar geringer Verdünnung wahr. Hunde leisten da sogar noch mehr. Doch bei vielen Schadstoffen kann man sich auf Nasen aus Fleisch und Blut nicht mehr verlassen. Dann helfen nur noch Analysen, die die notwendige Sicher-heit geben: mehr ab Seite 48

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8 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

FOKUS LANGZEITNARKOSE

Zwischen den WeltenGrelles Licht, laut piepsende Maschinen, unbedachte Gespräche: Intensivstationen können Patienten das Leben retten – und sie auch verzweifeln lassen. Künstlich in einen veränderten BEWUSSTSEINSZUSTAND gebracht, kämpfen sie parallel zur Genesung ihres Körpers ihren ganz eigenen Kampf. Wie kann man ihnen diesen Weg erleichtern?

ILLUSTRATIONEN: ALINE ABREU

Klein steht der Mensch vor denEmpfindungen,

die ihn im Koma erwarten können:

Was davon ist Realität,

was Wahn?

008_Draeger_D 8 03.12.14 11:08

THEMA RUBRIK

9DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014 9

* Name geändert

A n einem Montag wohnte die

Angst in Dorothea Knappes*

Haus. Es war Mittag, als sich

die Kopfschmerzen wie Pfeilspitzen in

ihre Schläfen rammten, ihr den Boden

unter den Füßen wegzogen und 13 Tage

Bewusstsein und vier Wochen Realität

raubten. Als sie die Augen wieder auf-

schlägt, den Pfleger beobachtet (der

gerade einer Kollegin zuruft, dass das

alles wohl keinen Zweck mehr hätte,

dann die Medikamente prüft), glaubt

sie, er lasse Gift in ihre Adern fließen.

Dann schließt sie die Augen wieder.

80 Prozent aller Intensiv patienten ent-

wickeln ein Delir, 44 Prozent leiden

noch Wochen und Jahre später an einer

posttraumatischen Belastungsstörung,

ein Drittel wird depressiv. Dahinter

verbirgt sich ein veränderter Bewusst-

seinszustand, in dem sich die Patienten

befinden, die in einen medizinischen

Schlaf versetzt wurden.

Atmung: so eigenständig wie möglich

Das, was im Volksmund „künstliches

Koma“ heißt, ist eigentlich gar kein

Koma, sondern eher eine Art Lang-

zeitnarkose. „Das diabetische Koma,

das urämische Koma oder das nach

einem Schädel-Hirn-Trauma ist Aus-

druck einer Störung des zentralen Ner-

vensystems (ZNS)“, erklärt Michael

Bauer, Professor für Anästhesie am

Uni versitätsklinikum Jena. „Das ZNS

ist im Koma in seiner Funktion gestört,

während es unter der Analgosedie-

rung reversibel runtergeregelt wird.“

Analgosedierung bedeutet Schmerz-

hemmung (Analgesie) bei gleichzeiti-

ger Beruhigung (Sedierung) mit Medi-

kamenten. Die Patienten werden in der

Regel invasiv beatmet, mittels Tubus,

oder über eine nichtinvasive Beatmung

dabei unterstützt. Anders als noch Mit-

te des letzten Jahrhunderts setzt man

heute darauf, so viel Eigenatemantrieb

des Patienten wie möglich zu erhalten.

Moderne Intensivbeatmungsgeräte hel-

fen dabei. Die Narkosetiefe ist dann so

flach wie möglich und so tief wie nötig.

Gleiches gilt für die Dauer der Sedie-

rung und der Beatmung.

In regelmäßigen Abständen wird die

Narkosetiefe durch Messung der Gehirn-

ströme überprüft – mittels prozessier-

tem EEG (Elektroenzephalogramm) >

009_Draeger_D 9 03.12.14 11:08

10 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

FOKUS LANGZEITNARKOSE

oder Sedierungs-Scores, wie der Rich-

mond Agitation-Sedation Scale (RASS),

die auf Beobachtung und die klinische

Beurteilung des Patienten setzt. Auf

Intensivstationen wird diese Beurteilung

nach den aktuellen Leitlinien der Wissen-

schaftlichen Medizinischen Fachgesell-

schaften alle acht Stunden empfohlen.

Hinzu kommen sogenannte Sedierungs-

fenster, innerhalb derer man den Patien-

ten quasi kurz aufwachen lässt oder in

eine leichte Narkose bringt, um ihn neu-

rologisch beurteilen zu können. „Wenn

der Patient unter Analgo sedierung einen

Schlaganfall entwickelt, kann das voll-

kommen maskiert sein und übersehen

werden“, erklärt der Jenaer Spezialist

Michael Bauer. Eine möglichst flache

Sedierung bedeutet ein Bewusstsein, das

zwar verändert, aber nicht ausgeschaltet

ist. „Diese Hand habung beschleunigt die

Heilung, erleichtert das spätere Aufwa-

chen und verkürzt die Verweildauer auf

der Intensivstation“, bekräftigt André

Gottschalk, Leiter der Klinik für Anästhe-

siologie, Intensiv- und Schmerzmedizin

am Diakoniekrankenhaus Friederiken-

stift in Hannover. „Patienten werden nur

so weit sediert, dass sie das Drumherum

ertragen. Sie sollen möglichst wach sein

und kommunizieren können – durch Hän-

dedruck oder Augenzwinkern.“

Ohne Orientierung und Zeitgefühl

Vier Wochen brauchte Dorothea Knap-

pe, um ihren Angehörigen und den Pfle-

gekräften Vertrauen zu schenken. Die

64-Jährige steckte nach dem Aufwachen

im Delir – ohne Orientierung und Zeit-

„Patienten werden nur so weit sediert, dass sie das Drum-herum ertragen“

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11DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Wer beobachtet hier wen? Im

Koma verschiebt sich das Bewusst-

sein – winzige, scheinbar nichtige Details bekommen

beängstigende Aufmerksamkeit

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12 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

FOKUS LANGZEITNARKOSE

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gefühl, verursacht durch einen unregel-

mäßigen Tag-Nacht-Rhythmus und das

Gefühl des Ausgeliefertseins. Es war wie-

der ein Montag, als sie in der Reha eine

Therapie begann und anfing zu verste-

hen, was mit ihr passiert war. Eine völlig

fremde Umgebung, ungewohnte Geräu-

sche und Gerüche manipulieren die

unter Medikamenten getrübte Wahrneh-

mung – und lassen der Fantasie freien

Lauf. Wird dann noch sorglos mit dem

Zeitgefühl der Patienten umgegangen,

indem auch nachts das Licht brennt und

Geräte laut Alarm schlagen, kommen die

Betroffenen völlig aus dem Konzept. „Wir

achten sehr darauf, die Nacht auch wei-

testgehend Nacht sein zu lassen, dim-

men das Licht, schalten die Geräte lei-

ser, schließen auch mal die Türen zu den

Zimmern“, bemerkt André Gottschalk.

Tagsüber werde darauf Wert gelegt, mög-

lichst häufig gewohnte Situationen für

den Patienten zu schaffen, etwa durch

regelmäßigen und häufigen Besuch.

In der Narkose erschossen, vergiftet und gefoltert

Nicht von seiner Seite wich Clemens

Hagens Verlobte Kimberly Hoppe. Wegen

einer geplatzten Bauchschlagader verblu-

tete er fast innerlich und konnte nur mit

Unmengen an Blutkonserven sowie zwei

Wochen Analgosedierung gerettet wer-

den. Während sie an seinem Bett ver-

harrte, schien er zu schlafen. Tatsächlich

suchten ihn Urängste heim. „Ich habe in

dieser Phase alles andere als geschlafen“,

sagt der Journalist über seine Zeit zwi-

schen den Welten. „Und es war keines-

wegs friedlich: Ich bin um mein Leben

Beruhigend, wenn der Rhythmus von Tag und Nacht erhalten bleibt

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012_Draeger_D 12 03.12.14 11:08

13DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Körpertemperatur wird abgesenktauf 32 bis 35̊ C

(normal ca. 37˚ C).

Ärzte übernehmen die Kontrolle über die

Grundfunktionen des Körpers.

Ernährt wird über eine Magensonde oder

intravenös.

Anders als ein natürlich eingetretenes

Koma kann das künstliche von den Ärzten jederzeit beendet werden.

Risiken und Nebenwirkungen eines künstlichen Komas sind

nach Ansicht von Experten eher gering.

Langzeitnarkose, die nach schweren

Unfällen oder lebensbedrohlichen

Erkrankungen eingesetzt wird.

Hirnaktivitäteines Koma-patienten (1),

bei vollem Bewusst-sein (2).

1

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Das verlangsamt den Stoffwechsel und

mindert den Sauerstoffverbrauch –

so hat der Körper mehr Reserven.

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14 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

FOKUS LANGZEITNARKOSE

gerannt, wurde erschossen, vergiftet und

gefoltert. Kimberly betrog mich mit ande-

ren Männern, liebte mich nicht mehr.“

Seine lebensbedrohliche Situation

verarbeitete der 52-Jährige in schlimms-

ten Albträumen. „Alles war so realis-

tisch, wirkte wie ein 3-D-Kino – mit mir

als Hauptfigur. Nur dass Kino filme und

normale Albträume ein schnelles Ende

finden. Man wacht auf, geht in die Küche,

trinkt ein Glas Wasser, und alles ist wieder

gut. Diese Träume aber waren anders.

Ich hatte keinen Ausschaltknopf, konnte

nicht aufstehen. Das war eine Tortur für

die Psyche!“ Drei Monate und unzählige

Gespräche später konnte er all das zumin-

dest ein Stück weit vergessen. Verarbeitet

hat er das Erlebte, indem er zusammen

mit seiner Verlobten ein Buch schrieb

(siehe auch Seite 16). Sie hatte eigenstän-

dig und unwissend, welch großen Gefal-

len sie ihrem Freund damit tat, gleich

am ersten Tag angefangen, Tagebuch zu

schreiben, und führte es am Kranken-

bett fort – eine Praxis, die immer popu-

lärer wird.

Das Intensiv tagebuch kann Patienten

später eine bessere Orientierung geben

und eine immense Hilfe sein, posttrau-

matische Belastungsstörungen und ande-

re psychische Leiden zu verarbeiten. Die

Idee stammt aus Skandinavien. Pflege-

kräfte und Angehörige führen für den

Patienten ein Tagebuch, sprechen ihn

direkt an, kommentieren die Gescheh-

nisse und erklären, was um ihn herum

geschieht. Welche Maschinen an- oder

abgestellt werden, wer zu Besuch kommt,

welche Fortschritte gemacht werden.

Sind die Patienten wieder bei Bewusst-

Ein feindliches Land ist das

Koma. Und groß die Sehnsucht

nach Heimat

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014_Draeger_D 14 03.12.14 11:08

15DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

DelirWer um sein Leben ringt und den Kampf gewinnt, ist nicht zwangsläufig geheilt, wenn er die Intensivstation verlässt. Das Delir, das meist nach wenigen Tagen oder Wochen abklingt, wird nach neuesten Erkenntnissen für spätere kognitive Störungen verantwortlich gemacht. Demnach litten bei einer Nachuntersuchung 40 Prozent der an einer Studie des Vanderbilt University Medical Center beteiligten Patienten auch drei Monate später noch unter kognitiven Einschränkungen. Bei 34 Prozent von ihnen war diese Störung sogar noch ein Jahr später nachweisbar. 26 Prozent wiesen gar Defizite auf, die mit einer leichten Alzheimererkrankung vergleichbar sind. Da die Dauer des Delirs eine Rolle zu spielen scheint, aber noch nicht beeinflusst werden kann, empfehlen Mediziner vor allem vorbeugende Maßnahmen. Fehlen von Tageslicht, keine Besucher und Isolation gelten als größte Risikofaktoren für die Entwicklung eines Delirs.

sein, in welchem Stadium auch immer,

werden ihnen die Bücher ausgehändigt.

Das Problem, das Patienten in der Sedie-

rung haben, weiß Pflegeforscher Peter

Nydahl, seien unbewusste Erlebnisse, die

ihr späteres Verhalten nach dem Aufwa-

chen störten. Diesem Kontrollverlust wir-

ken Intensivtagebücher entgegen.

Arbeit, die auf Beziehung baut

Von Menschen, die aus Angst nicht mehr

ins Fast-Food-Restaurant gehen können,

weil sie das Piepen an der Kasse an die

Intensivstation erinnert, weiß auch Peter

Ammann zu berichten. Der Psychologe

ist Spezialist auf dem Feld der prozess-

orientierten Komaarbeit – er schult auch

Pflegekräfte und Seelsorger im Umgang

mit Menschen in veränderten Bewusst-

seinszuständen. Für ihn ist es wichtig,

dass alle Beteiligten eins verstehen: „Wir

bestehen nicht allein aus Physiologie.

Körperliche Prozesse sind eng mit dem

Bewusstsein verbunden, beide beein-

Wenn Ängste und unbewusste Erlebnisse das Leben beherrschen

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015_Draeger_D 15 03.12.14 11:08

16 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

FOKUS LANGZEITNARKOSE

flussen sich gegenseitig.“ Nicht nur der

behutsame Umgang mit Patienten, die

hilflos im Bett liegen, sei enorm wichtig,

sondern auch, die inneren Erfahrungen

von Menschen im Koma zu würdigen.

„Die meisten Kontakte zu Koma-

patienten sind zweckgebunden, denn sie

sollen etwas tun: reagieren und handeln“,

sagt Ammann. Da nehme die Prozessar-

beit eine andere Richtung. „Ich nähere

mich ihrem Bewusstseins zustand und

hole die Patienten dort ab, wo sie sich

gerade aufhalten. Die ganze Arbeit basiert

auf Beziehung.“ Diese einzugehen müs-

sen alle Beteiligten bereit sein. „Wenn ich

mich auf intensive Erfahrungen einlas-

se, kostet das natürlich Zeit. Aber es geht

auch um eine Haltung dem Patienten

gegenüber: Wie betrete ich den Raum?

Denke ich daran, dass er daliegt, oder

ignoriere ich es, weil ich glaube, dass er

eh nichts mitbekommt?“ Ammann wird

häufig hinzugezogen, um Patienten zu

helfen, die in ihrer Situation feststecken,

bei denen das „Weaning“ – die Entwöh-

nung vom Beatmungsgerät – nicht funk-

tioniert. „Das Weaning ist ein ganz gro-

ßer Schritt – und vor diesem Hintergrund

muss ich den Patienten auch betrach-

ten. Gibt es vielleicht nicht medizinische

Gründe, warum er nicht wieder selbst

aktiv wird?“

Schalter an, Schalter aus – dass dieses

Prinzip für analgosedierte Patienten nicht

funktioniert, ist mittlerweile auf allen

Intensivstationen angekommen. Der rich-

tige Umgang mit diesem Wissen ist ein

Prozess, in dem sich viele Kliniken bereits

befinden. Delir-Management, Intensivta-

gebücher und ganzheit liche Seelsorge,

Angehörige als aktiver Bestandteil am

Krankenbett, Geräuschreduktion und

nicht zuletzt der Respekt dem vermeint-

lich Schlafenden gegenüber sind Schritte,

die einem Komapatienten an der Schwel-

le zwischen Leben und Tod den richtigen

Weg weisen können. Dorothea Knappe

kann ihren negativen Erlebnissen mitt-

lerweile begegnen. Unlängst hat sie der

Intensivstation, auf der sie sechs Wochen

lag, einen Besuch abgestattet und ihrer

Angst damit sagen können: Guten Tag und

auf Wiedersehen – aber in Zukunft lieber

ohne mich. Isabell Spilker

Der behutsame Umgangmit Komapatienten ist ebenso wichtig, wie ihre Erfahrungen zu würdigen

Monitoring mittels EEGEEG-gestützte Monitoringverfahren analgosedierter Patienten stellen laut medizinischer Leitlinien eine wichtige Option bei tiefer Sedierung dar und sind auch empfehlenswert, um bei neuromuskulär blockierten Patienten eine zu flache oder zu tiefe Sedierung zu erkennen. Sie sollten unterstützend ab einem RASS (Richmond Agitation- Sedation Scale) von weniger als minus 3, also bei fehlender Reak-tion auf Ansprache, hinzugezogen werden. Der Infinity Delta-Monitor ist in der Lage, sämtliche Bereiche der intensivmedizinischen Überwa-chung in einem Gerät anzuzeigen. Er wird in diesem Fall mit dem EEG-Pod verknüpft, der die Hirn-ströme in Echtzeit darstellt und eine kontinuierliche Onlineanalyse ermöglicht. Dräger-Monitore bieten ein modernes Alarm-Management und können Patienten (über eine Lautstärke- und Helligkeitsregelung sowie an verschiedene Situationen anzupassende Alarme) den Tag-Nacht-Rhythmus erleichtern.

Dräger Delta-Monitor: Nachrichten aus dem Innern des Körpers – mittels EEG-PodF

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Literatur:Clemens Hagen, Kimberly Hoppe: „Neun Minuten Ewigkeit: Eine Liebe zwischen Leben und Tod. Unser Koma-Tagebuch“, Eden Books, März 2014

Peter Ammann: „Reaching out to People in Comatose States: Contact and Communication“, Books on Demand, Januar 2012

Thomas Kammerer: „Traumland Intensivstation: Veränderte Bewusstseinszustände und Koma – interdisziplinäre Expeditionen“,Books on Demand, März 2006

Links:Peter Ammannwww.peterammann.de

Peter Nydahlwww.nydahl.de

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17DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Klinik-Architektur: heilende WirkungFahles Licht, kahle Wände, unangenehme Geräusche – das muss nicht sein: Auf einigen Stationen der Berliner Charité zum Beispiel genesen Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern in eigens von Architekten und Mediengestaltern hergerichteten Zimmern. Denn in Räumen, die kühl, steril und voller medizinischer Geräte sind, ist der Heilungsprozess schnell gehemmt. Ein Höchstmaß an Privatsphäre, technische Geräte im Hinter-grund und gedämpfte Alarmgeräusche machen die Zimmer fast schon zu gemüt-lichen Wohnräumen. Das vom Bundes-ministerium für Wirtschaft und Technolo-gie geförderte Projekt „Parametrische (T)Raumgestaltung“ erforscht, welchen Effekt das Zimmer auf die Genesung hat, wenn es einerseits gemütlich und wohnlich ist, andererseits aber auch über technische Finessen (wie eine LED-gesteuerte Zimmerdecke) Tageszeiten darstellen kann.

Diese Tagebücher stiften SinnPETER NYDAHL ist Pflegeforscher am Universitätsklini-kum Schleswig-Holstein in Kiel und hat die Intensivtage-bücher einst aus Schweden nach Deutschland importiert. Er hofft, dass sie bald flächendeckend für Patienten, die mehr als drei Tage beatmet werden, geführt werden. Auch deshalb leitet er Seminare und hält Vorträge zum Thema.

Herr Nydahl, wie viele Kliniken in Deutschland nutzen das Intensivtagebuch?Wir haben im Frühjahr verschiedene Kliniken befragt: Von den 140 Stationen nutzen es 44, neun weitere planen es.

Gibt es Gründe, es nicht zu nutzen?Manche Kliniken haben nur kurze Verweildauern auf der Intensivstation – nach einfachen Operationen etwa, da lohnt es sich nicht. Bei anderen liegt es tatsächlich am Personalmangel. Derzeit gibt es leider keine Station, bei der alle Pflegekräfte mitmachen.

Inwieweit können die Tagebücher Intensivpatienten tatsächlich helfen?Wenn man Patienten fragt, woran sie sich erinnern, antworten die meisten: „An nichts!“ Interessanter ist, sie nach ihren Träumen zu fragen. Abhängig von der Art der Sedierung und dem Grad der Entzündung steigt das Risiko der „delusional memories“ – der Erinnerungen, deren Herkunft sie nicht mehr kennen. Das gilt vor allem für langzeitbeatmete Patienten. Ich erinnere mich an einen jungen Motorradfahrer, der nach einem Thorax-Trauma eine Woche im Rotorest-Bett lag. Er war tief sediert, hatte keine Erinnerung an die Zeit, erzählte aber, davon geträumt zu haben, zur See gefahren zu sein und in einer Koje gelegen zu haben, aus der er immer herauszufallen drohte.

Wie hätte ihm da ein Tagebuch helfen können?Tagebücher helfen im Sinne der Salutogenese, der Gesundheitsentstehung, wie der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky es einst definierte. Demnach können wir gesunden, wenn wir etwas verstehen, um es besser handhaben zu können, und lernen, damit umzugehen.

Verändert sich für Pflegekräfte die Beziehung zum Patienten, wenn sie versuchen, seiner Gefühlswelt mit dem Tagebuch nahezukommen?Vor allem jüngere Kollegen haben manchmal Schwierigkeiten damit. Ich sehe das professionell. Man schreibt natürlich empathisch und überlegt, wie die Situation aus der Sicht des Patienten aussehen könnte, und formuliert es dann sachlich. Man liest auch mal die Einträge der Angehörigen, die auch aufgefordert sind, mitzuarbeiten und zu schreiben. Aus Patientensicht sind deren Einträge die wichtigsten. Patienten und Angehörige machen ganz unterschiedliche Entwicklungen durch. Die Angehörigen sitzen am Bett , und die Patienten träumen wirr. Danach wieder zusammenzufinden, dafür kann das Tagebuch einen guten Beitrag leisten.

017_Draeger_D 17 03.12.14 11:09

18

BRANDSCHUTZ PERSONENVERKEHR

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Feuer und Flamme Die Bahn zählt zu den sichersten Verkehrsmitteln. Auch deshalb rücken Experten der DB SYSTEMTECHNIK GMBH regelmäßig den Werkstoffen zu Leibe, die später in den Zügen verbaut werden sollen – im hauseigenen Brandlabor.

Schwarz und schwärzer legen sich

die dicken Rauchschwaden vor das

Feuer – bis der toxische Vorhang die

Flammen ganz verbirgt. In dem Versuchs-

raum herrscht jetzt Sichtweite null. Men-

schen wären hier orientierungslos. Gif-

tig ist die Atmosphäre in der Smoke Box

sowieso, das zeigen die Messwerte auf

dem Computerbildschirm, der die Ergeb-

nisse des angeschlossenen Spektrometers

wiedergibt. Die Tabelle listet verschiede-

ne Kohlenstoff-, Stickstoff- und Schwefel-

oxide auf, dazu Methan, Cyanwasserstoff

und Bromwasserstoff. „Diese Werte sind

gewissermaßen der Fingerabdruck eines

Verbrennungsprozesses“, sagt Andreas

Böttger. Der Brandschutzinge nieur tes-

tet an diesem Vormittag im Brandlabor

der DB Systemtechnik GmbH Schutz-

hüllen für Leuchtstoffröhren auf ihren

möglichen Einsatz in Eisenbahnfahrzeu-

gen. Hierfür schneidet er Proben auf eine

definierte Länge und richtet sie in einem

speziellen Behälter aus. Ähnlich gehen

die Brandschutz experten bei allen ande-

ren Versuchen vor, um reproduzierbare

Mess ergebnisse für Faktoren wie Brand-

verhalten, Rauchgastoxizität und optische

Rauchdichte zu ermitteln. In der Rauch-

dichtekammer werden die wenige Zenti-

meter großen Proben durch eine konische

Heizwendel erhitzt, bis sie in Flammen ste-

hen. Aus der Prüfkammer wird zur Messung

ein Gasstrom entnommen, von den anteili-

gen Rußpartikeln gefiltert und dem Spektro-

meter zugeführt, das die Konzentration der

verschiedenen Schadgase ermittelt.

Fast 1.000 Versuche pro Jahr

Das Brandlabor ist seit knapp 15 Jahren

im brandenburgischen Kirchmöser zu

Hause. In diesem Jahr hat es der Ingeni-

eurdienstleister der Deutschen Bahn für

rund 400.000 Euro erweitert, um Prüfun-

gen nach der neuen euro päischen Norm

DIN EN 45545-2:2013 (werkstofftechni-

scher Brandschutz in Schienenfahrzeu-

gen) vornehmen zu können. Dafür ist es

von der Deutschen Akkreditierungsstelle

gemäß DIN EN ISO/IEC 17025 (Prüf- und

Kalibrierlabora torien) akkreditiert worden.

Rund 1.000 Brandprüfungen führen die

Ingenieure Jahr für Jahr durch: vom dicken

Verbundwerkstoff für den Fußboden von

Regionalzügen bis zu zahlreichen Kunst-

stoffen, die das Innere moderner Reise-

züge prägen. „Wir untersuchen und zer-

tifizieren nahezu alle Komponenten, die

später in Eisenbahnfahrzeugen zum Ein-

satz kommen“, bestätigt Dr. Katrin Mäd-

ler. Die Ingenieurin leitet die Abteilung

Werkstoff- und Fügetechnik mit ihren rund

30 Mitarbeitern. Die historischen Back-

steingebäude in Kirchmöser, eine knap-

018_Draeger_D 18 03.12.14 11:13

19DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

pe Bahnstunde von Berlin entfernt, lie-

gen idyllisch zwischen Wäldern und Seen.

Dabei hat die 4.000- Seelen-Gemeinde eine

explosive Geschichte. Die Anlagen wurden

Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut, als

Sprengstoff fabrik. Später entstand daraus

ein Entwicklungszentrum der Deutschen

Reichsbahn gesellschaft – von diesem Kapi-

tel zeugen heute neben dem Standort der

DB Systemtechnik und des Umweltser-

vice der Deutschen Bahn zahlreiche pri-

vate Unternehmen des Bahnsektors in der

Nachbarschaft.

Neben den Brandprüfungen im haus-

eigenen Labor erstellen und bewerten die

Ingenieure auch Brandschutzkonzepte für

Züge – etwa bei Neukonstruktionen wie den

Triebzug ICx, der künftig die Inter city-Züge

der Deutschen Bahn ablösen soll. Aber auch

bei umfassenden Renovierungen, dem

sogenannten Re-Design, sind die Fachleu-

te aus Kirchmöser gefragt. Sie haben unter

anderem die technische Auffrischung des

ICE 1, ICE 2 und ICE T aus brandschutz-

technischer Sicht begleitet. Die im März

2013 in Kraft getretene europäische Norm

für den Brandschutz in Eisenbahnfahr-

zeugen spiegelt jenen Fortschritt in Tech-

nik und Betrieb der Fernverkehrsstrecken

wider, der in den letzten Jahrzehnten mit

dem Neubau des Schnellfahrnetzes, der Pla-

nung immer längerer Tunnel und durch

die Indienststellung von Hochgeschwindig-

keitstriebzügen einsetzte. Durch die DIN

EN 45545-2:2013 hat sich auch die gegen-

seitige Anerkennung von Brandprüfungen

durch die verschiedenen Zulassungsstel-

len der einzelnen Länder verbessert. „Die

Einführung der Norm war vor dem Hinter-

grund des zunehmenden Bahn verkehrs –

Feuer frei: Das definierte Zündinitial der Propan-gasflamme im „kleinen Brennkasten“ entspricht dem eines Feuerzeugs

>

019_Draeger_D 19 03.12.14 11:13

20 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

BRANDSCHUTZ PERSONENVERKEHR

Ende der Dampftraktion:1977 gewöhnte die damalige Bundesbahn ihren Lokomotiven das Rauchen ab

über mehrere Ländergrenzen hinweg –

wichtig“, sagt Dr. Christian Bohne. Der

Ingenieur leitet das Arbeitsgebiet Werk-

stofftechnik Fahrzeug. Zudem gebe es nun

ein ganzheitliches sowie wissenschaftlich

fundiertes Regelwerk, das – in Bezug auf

den Brandschutz in Schienenfahrzeugen –

ein einheitliches Sicherheitsniveau in

Europa gewährleiste.

Die Kontinuität der Anstrengungen

im Brandschutz reicht bei der Eisenbahn

noch viel weiter zurück. Denn während

der Schutz vor der Gefahr eines Brands im

Zug heute vor allem die Folgen von Vanda-

lismus und technischen Fehlern betrifft,

reiste das Feuer lange Zeit in der Bahn mit,

trieb sie sogar an. Erst 1977 gewöhnte die

damalige Bundesbahn ihren Lokomotiven

das Rauchen ab: Ende der Dampftraktion,

das bei der Reichsbahn der DDR 1988 folg-

te. 30 Jahre später galt das dann auch für

die Fahrgäste – absolutes Rauchverbot in

Zügen seit September 2007.

Zentrale Gasversorgung

Der Versuch mit den Leuchtstoffröhren ist

inzwischen abgeschlossen. Brandschutz-

ingenieur Böttger testet schon die Endkap-

pen der Leuchtstoff-Schutzröhren, die aus

einem hellen Thermoplast bestehen. „Nun

hat unser kleiner Brennkasten seinen gro-

ßen Auftritt!“ Er arbeitet mit einer Propan-

gasflamme, deren Größe sich an einem

Feuerzeug orientiert – neben Farbsprüh-

dosen und spitzen Gegenständen eines der

klassischen Werkzeuge beim Vandalismus

in und an Zügen. Die Versuche im kleinen

Brennkasten liefern Rückschlüsse auf die

Entzündbarkeit von Werkstoffen. Dazu wird

gemessen, wie sich die Flamme am Prüf-

objekt in der Vertikalen entwickelt, ob es ein

brennendes Abtropfen gibt und wann die

Flamme erlischt. Gespeist wird der Bren-

ner über eine Gasversorgungsanlage von

Dräger, als Quelle dienen Druckflaschen in

einem gesicherten Unterstand im Freien.

Neben Propangas liefert die Anlage auch

Methan und Stickstoff (als Nullgas) sowie

ein aus Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und

Stickstoff bestehendes Prüfgas ins Labor.

Der im Nachbarraum stehende Brand-

schacht dient dazu, Materialproben für

drei Minuten mit einer Propangasflam-

me zu beaufschlagen. Die Energie, die

hier freigesetzt wird, entspricht der eines

brennenden Zeitungsstapels. Der Interna-

tionale Eisenbahnverband hat dieses als

„Papierkissen“ bezeichnete Zündinitial

exakt definiert. Bei diesen und anderen

Versuchen wird es in den Testapparaten

sehr heiß – bis zu 500 Grad Celsius werden

bei Messungen der seitlichen Flammen-

ausbreitung erreicht. Dabei wird ein Prüf-

körper diagonal zu einem Flächenbrenner

eingespannt, der die Oberfläche des zu prü-

fenden Werkstoffs mit bis zu 50 Kilowatt

Wärmeenergie je Quadratmeter bestrahlt.

Auch deshalb ist das Brandlabor kli-

matisiert. Die Proben lagern vor den Ver-

suchen sogar in einer Klimakammer, die

auf 23 Grad Celsius und 50 Prozent Luft-

feuchtigkeit eingestellt ist. Bei diesen Bedin-

gungen sind alle Materialien mindestens

48 Stunden zu lagern, um die reproduzier-

baren Ergebnisse zu erhalten. „Komposit-

werkstoffe, etwa Bodenplatten mit Holzkern

und aufgeklebten Schichten, werden sogar

14 Tage gelagert, damit Temperatur und

Kernfeuchte der Norm entsprechen“, sagt

Andreas Böttger.

Laboratmo-sphäre: Moderne Messtechnik prägt die Arbeits-plätze im bran-denburgischen Kirchmöser

Ab in den Ofen: Die zugeschnit-tenen Proben kommen in die Smoke Box

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020_Draeger_D 20 03.12.14 11:13

21

Ganz gleich ob Proben in der Rauch-

kammer in Flammen aufgehen oder die

Brandschutzexperten Fußbodensegmente

mit sengender Hitze bestrahlen und mit-

tels Sauerstoffverbrauchskalorimetrie die

Wärmefreisetzung eines Mate rials analy-

sieren: Alle Prüfungen sollen zeigen, ob die

verwendeten Materialien die gewünsch-

ten Anforderungen erfüllen. Ausschlag-

gebend für die Zulassung eines Werkstoffs

ist die Gefahrenstufe des Eisenbahnfahr-

zeugs. Alle Züge und Wagen werden einer

bestimmten Stufe zugeordnet, die ein Pro-

dukt aus Betriebsszenario und Bauart dar-

stellt – von Klasse 1 (nicht für Tunnel und

Erhöhungen vorgesehen) bis Klasse 4 (für

Tunnelabschnitte und Erhöhungen ohne

seitliche Evakuierungsmöglichkeiten). Bei

den Bauarten wird zwischen den Varian-

ten N (Standardfahrzeuge), A (Automati-

scher Fahrbetrieb), D (Doppelstockfahrzeu-

ge) und S (Schlafwagen) unterschieden.

Je höher die Gefahrenstufe, desto grö-

ßer die Anforderungen an die getesteten

Werkstoffe.

Manchmal werden die Experten

sogar zu Brandursachenermittlern –

wie bei der Rekonstruktion eines Feuers

in der Zugtoilette auf dem Weg von

den Niederlanden nach Deutschland.

Auslöser des Kleinbrands: die Flamme

eines Feuerzeugs. Allerdings erwies sich

hier nicht Vandalismus als Triebkraft,

sondern die Suche eines Schmugglers

nach seinem Cannabis-Päckchen, das

er hinter einer Wandverkleidung versteckt

hatte. Ein Plus an Sicherheit kann auch

durch solche Ereignisse erreicht werden:

Die Erkenntnisse fließen in Neukonstruk-

tionen ein. Peter Thomas

Schwarz auf weiß: Was von den Tests übrig bleibt, wird dokumentiert und aufbewahrt

Vielfältig: Diese Anlage liefert Druckluft, Propan und weitere Gase ins Brandlabor

In der Hitze der Nacht: Die Heizwendel lässt von der Probe aufsteigende Dämpferot glühen

021_Draeger_D 21 03.12.14 11:13

22

ESSAY ATMUNG

Von null auf 21 ProzentNormalerweise atmet der Mensch unbewusst – erst wenn dieser Reflex eingeschränkt wird, tritt dieATMUNG ins Bewusstsein. Und doch wurden die physiologischen Fakten dieser vitalen Funktionerst spät entdeckt.

022_Draeger_D 22 03.12.14 12:26

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014 23

A ls der Mann im blauen Neopren-

anzug wieder an die Oberfläche

gelangt, sind 22 Minuten vergan-

gen. 22 Minuten mit nur einem einzi-

gen Atemzug. 3. Mai 2012: Im eiskalten

Wassertank einer Londoner Tauchschu-

le hat Stig Åvall Severinsen, Yogameis-

ter, Mediziner und Apnoe- Taucher,

gerade einen Weltrekord gebrochen.

Eine Leistung, die nur dank jahrelan-

gen Trainings, jahrtausendealten Knif-

fen der Atemkunst und vorbereitender

Reinsauer stoffatmung möglich war.

Denn wenn der Mensch für eins nicht

gemacht ist, dann zum Leben ohne

Sauer stoff, ohne den steten Rhythmus

von Ein- und Ausatmung.

Fremd mutet es an, wenn er auf

Lebewesen trifft, die keinen Sauerstoff

brauchen. Einst gehörte ihnen die Welt:

den Anaerobiern, den Luftlosen. Diese

Krea turen leben zwar fort, an den Rän-

dern heißer Quellen und unter der Erde,

doch das Prinzip der Atmung hat sie vor

2,4 Milliarden Jahren verdrängt. Damals

entdeckten Einzeller, Algen und Pflan-

zen die Fotosynthese, spalteten Kohlen-

dioxid und reicherten die Atmosphäre

mit Sauerstoff an – von null auf 21 Pro-

zent Volumenanteil. Er wurde zum hoch-

effizienten Verbrennungsstoff tierischen

Lebens und machte den Menschen erst

möglich.

Doch was genau ist die Atmung

eigentlich? „Was für eine Frage, eben

genau das!“, hätte die Antwort alter Phi-

losophen gelautet: das Leben selbst! In

indogermanischen Sprachen (wie dem

Deutschen) ist die enge Bindung der

Begriffe erhalten. Das Sanskrit-Wort

Die Kraft der Lunge: Einen Luftballon aufzupusten zeigt die Kraft des luftleitenden Systems

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023_Draeger_D 23 03.12.14 11:22

24 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Kreisläufe bestimmen das Leben, auch innerhalb des menschlichen Körpers – wissenschaftlich beschriebenwurden sie erst spät

Anpassung an Belastungen, etwa beim

Sport. Jede Zelle des Körpers und die spe-

zialisierten Gasaustausch-Membrane der

Lunge verbindet der Kreislauf miteinan-

der. Herz und Lunge sind so etwas wie

die Logistik-Provider im Organismus.

Sie müssen liefern: jederzeit, ununter-

brochen, überallhin.

Die Atmosphäre mit sich tragen!

Es dauerte lange, bis die Atmung in die-

ser Weise verstanden wurde – und län-

ger noch, bis die Grundlagen der Technik

geschaffen waren, die es selbstverständ-

lich erscheinen lassen, dass Menschen

an Orten überleben, denen sie von Natur

aus nicht gewachsen sind: in Rauch und

Gasnebel, unter Wasser, im All. Man darf

staunen, dass es heute möglich ist, den

„atman“, Zentralbegriff in der indischen

Philosophie, bezeichnet die ewige Sub-

stanz des menschlichen Selbst. Sein deut-

scher Verwandter („Atem“) benennt, was

man heute als Ein- und Ausatmen von

Luft versteht.

Mit Neugier und Mikroskop

Und seine seltenere Spezialform „Odem“

bedeutet das Althergebrachte: Atem als

Leben. Auf Englisch heißt Atem zwar

„breath“, doch verdeckt eine sprach-

liche Neuerung, dass das altenglische

Wort für Atem „þm“ (æthm) ist. „Qi“,

die alles durchdringende Lebenskraft

des chinesischen Daoismus, bezeichnet

ebenfalls den Atem. Die Menschen wuss-

ten stets um seine fundamentale Kraft,

doch erst die wissenschaftliche Moder-

ne enthüllte funktionale Details. Mit

Neugier, Mikroskop und mechanischer

Pumpe wurde ein Weg eingeschlagen,

den Lebenshauch zu ersetzen und zu

stützen. Man lernte durch Forschung,

dass der Sauerstoff-Stoffwechsel 15-mal

mehr Energie gewinnt als der anaero-

be. Ein 1,3 Kilogramm schweres Gehirn

(mit seinen 100 Milliarden Nerven zellen

und deren 100 Billionen Verästelungen)

ließe sich ohne „oxidativen Stoffwech-

sel“ nicht konstruieren, geschweige

denn erhalten. Das erklärt, warum

Retter bei einem Atemstillstand um

Sekunden ringen.

Atmung bezeichnet heute zweierlei.

Die „innere Atmung“ ist die Nährstoff-

verbrennung in der einzelnen Zelle, die

„äußere“ dagegen das, was sich bewusst

erleben lässt – die Züge der ein- und

ausströmenden Luft im Brustkorb, die

Einfach mal die Luft anhalten: Apnoe-

Tauchern genügt ein einziger Atemzug,

um mehrere Minuten unter Wasser zu

bleiben – schwere Pressluftflaschen

und voluminöse Tarierjackets brau-

chen sie nicht

>

024_Draeger_D 24 03.12.14 11:22

25DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

ATMUNG ESSAY

mechanischen Anteil der Atmung zeit-

weilig annähernd perfekt zu ersetzen.

Den Blutkreislauf, der Sauerstoff zu

allen Zellen trägt, erklärte erst der bri-

tische Arzt William Harvey im späten

17. Jahrhundert korrekt. Die Lungen, so

hatte es der lange alles überragende grie-

chische Arzt Galenos verbindlich verkün-

det, brächten diverse Seelenkräfte in den

Leib und dienten sonst als kühlender Bla-

sebalg. Dass es in Wahrheit um spezifi-

sche Gase geht, fanden Naturforscher

des 17. und 18. Jahrhunderts in mehre-

ren Schritten heraus: Vincenzo Viviani

und Evangelista Torricelli wiesen 1643

mittels Pumpen den atmosphärischen

Luftdruck nach. Der englische Aristokrat

Robert Boyle nutzte die Luftpumpe, um

Glaszylinder leer zu saugen. Kerzen erlo-

schen, Versuchstiere starben. Und 1676

zeigte Richard Lower, dass das Blut im

Lungenkreislauf mit etwas vital Wichti-

gem aufgeladen wurde. Erst im 19. Jahr-

hundert glückte es, das Bild der Atmung

zu vervollständigen: durch die Evolutions-

lehre, die Charles Darwin 1859 begründe-

te, und durch das explosive Wachstum der

Physiologie als Wissenschaft in der zwei-

ten Hälfte des Jahrhunderts. Nach Hun-

derttausenden Experimentierstunden

werden Lungenatmung und Kreislauf-

steuerung schließlich so genau verstan-

den, dass man endlich den einen Wunsch

erfüllen kann, den Alexander von Hum-

boldt schon 1799 geäußert hatte: Wer in

tiefe Stollen gehen, wer Menschen vor

Feuer retten und in den Meeren tauchen

will, sollte seine Atemluft mit sich führen.

Um die Wende zum 20. Jahrhundert

greift schlagartig alles ineinander, was >FO

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025_Draeger_D 25 03.12.14 11:22

1ATEMZUG

FÜR

22MINUTEN*

* unter Wasser brauchte

Apnoe-Taucher Stig Åvall Severinsen

am 3. Mai 2012: Weltrekord!

1ATEMZUG

IN

90MINUTEN*

* Entenwal

26

ESSAY ATMUNG

Atmen versorgt den Körper mit Energie – eine Leistung,die atemlos macht

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

D A S

M E N S C H L I C H E

G E H I R N

Rund 1,3 kg schwer,

mit seinen

100 Milliarden

Nervenzellen

und deren

100 Billionen

Verästelungen – ohne

„oxidativen Stoff-

wechsel“ könnte es

nicht existieren.

auf getrennten Gebieten gereift ist: das

nun umfassende Wissen über die Kör-

perfunktionen des Menschen. Die Tech-

nik der Kompression von Gasen und

ihrer anschließenden Druckreduktion.

Chemische Verfahren zur Sauerstoff-

gewinnung, mit denen sich Selbstretter

für den Bergmann bauen lassen. Mecha-

nische Steuerungen für die rhythmische

Beatmung, welche eine wirksame Wie-

derbelebung erlauben: Basistechnolo-

gien, auf die Johann Heinrich Dräger

und seine Nachfolger ihre überraschen-

den Innovationen gründen. Was heute

einfach erscheint, 1.800 Liter Luft in

eine Flasche zu pressen und sie präzise

dosiert einatmen zu können, ist in Wahr-

heit die Frucht von Hunderten Jahren

Wissensdurst und Erfahrungsgewinn.

Ebenso das Filtrieren reiner Atemluft

und die der Selbstregulation des Körpers

angepasste Beatmungsunter stützung,

etwa während einer intensivmedizini-

schen Behandlung.

Nichts von dieser technischen Per-

fektion macht das Wunder Atmung

kleiner. Umso mehr staunt man, wenn

man einem Rekordtaucher wie Stig

Åvall Severinsen begegnet, und man

sieht, wie er den Strom des Lebens ge-

zielt in die Regionen seiner Lungen

lenkt. Auch dann, wenn man längst mit

maschineller Hilfe zuschauen könn-

te: Der Dräger PulmoVista 500, für

die Optimierung der Beatmung von

Patienten konstruiert, könnte präzise

visualisieren, auf welche Weise er sei-

nen Atem leitet. Es wäre ein Treffen ver-

schiedener Ergebnisse mensch licher

Meisterschaft. Silke Umbach

>

026_Draeger_D 26 03.12.14 11:22

VON

AUF21 %*

* Die Anreicherung von Sauerstoff in der

Atmosphäre vor rund 2,4 Milliarden Jahren;

durch Einzeller, Algen und Pfl anzen

FÜR DIE AUFNAHME DESSAUERSTOFFS

SIND ETWA

300MILLIONENLUNGEN-

BLÄSCHEN*VERANT-

WORTLICH.* Sie messen zwischen 50 und 250 Millionstel Meter

im Durchmesser. Ihre Oberfl äche erreicht bis

zu 120 Quadratmeter.

CIRCA

25.000MAL

ATMETEIN

MENSCHAM

TAG** und bewegt dabei – mit durchschnittlich

17 Atemzügen pro Minute – mehr als

12.000 Liter Luft.

27DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

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027_Draeger_D 27 03.12.14 11:22

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 201428

KRANKENHAUS -IT DATENSCHUTZ

Wie gut sind Europas Kliniken in Sachen Digitalisierung und

Vernetzung?Im internationalen

Vergleich liegen die USA an der Spitze

Den Stolz über das Erreichte

trägt Henning Schneider, Lei-

ter der Abteilung Informations-

technologie (IT) am Universitätsklini-

kum Hamburg-Eppendorf (UKE), auch

Monate später noch in der Stimme. Im

Frühjahr 2014 wurde dem Krankenhaus

zum zweiten Mal offiziell bestätigt, dass

es die elektronisch verwalteten Daten

seiner Patienten auf höchstem Niveau

vor unerlaubtem Zugriff schützt. „Jeder

UKE- Mitarbeiter trägt täglich maß-

geblich dazu bei“, sagt Schneider.

In Krankenhäusern ist der Daten-

schutz ein höchst sensibles Thema.

Dort werden besonders schützenswerte

Pa tientendaten erhoben, verarbeitet und

archiviert. Grundlage für das UKE-Zertifi-

kat bildet der „IT-Grundschutz“-Katalog,

den das Bundesamt für Sicherheit in der

Informationstechnik (BSI) definiert. Hier

sind rund 40.000 Maßnahmen gelistet,

mit denen Organisationen ihre Hard- und

Software sowie die eigenen Notfallrouti-

nen auf Herz und Nieren testen kön-

nen. Alle drei Jahre muss das Zertifikat

erneuert werden. Schneider hat knapp

eine Million Euro und ein Fünftel der

Arbeitszeit seiner Mitarbeiter investiert.

„Sicherheit kostet Geld“, sagt er. „Man

braucht eine Zertifizierung, weil man

sich sonst nicht die Zeit dafür nimmt,

die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen

zu ergreifen.“

Eine testierte Netzinfrastruktur mag

vor externen Angriffen durch Hacker und

andere Datendiebe schützen – den miss-

bräuchlichen Zugriff durch das Klinikper-

sonal aber verhindert sie nicht vollstän-

dig. Das UKE hat daher das Papier aus der

Verwaltung verbannt und auf die elektro-

nische Patientenakte (EPA) umgestellt.

Die EPA vereint sensible Patientendaten

wie Adressen, Röntgenbilder und Medi-

kation in einer zentralen IT-gestützten

Datenbank, auf die sich von überall

zugreifen lässt – egal ob Ärzte und Pflege-

personal sich gerade auf der Station oder

im Operationssaal befinden.

Acht Stufen der Digitalisierung

Allerdings regelt ein umfangreiches

Berechtigungskonzept, wer darauf zu-

greifen darf und wer nicht. „Mithilfe

der EPA können die Patienten nachvoll-

ziehen, wer ihre Daten eingesehen hat“,

erklärt Schneider die Vorteile der Digita-

lisierung. Die Daten können zudem nicht

mehr verloren gehen und sind stets auf

dem aktuellen Stand. „EPAs erhöhen

nicht nur die Zugriffssicherheit auf die

Patientendaten, sondern auch die Sicher-

heit des Patienten während der Behand-

lung.“ Wie stark sie genutzt werden,

ermittelt die Organisation Healthcare

Information and Management Systems

Society (HIMSS) über das EMRAM-

Modell, das den Grad der bereits erreich-

ten Digitalisierung auf einer achtstufi-

gen Skala misst. Stufe 0 bedeutet, dass

ein Krankenhaus Patientendaten aus-

schließlich auf Papier verwaltet. Stufe

7 heißt, dass es keine papiernen Akten

mehr gibt.

Die regionalen Unterschiede sind

groß. Im internationalen Vergleich liegen

die USA an der Spitze. In Europa haben

die Niederlande und Spanien die Nase

vorn; dort hat bereits mehr als die Hälf-

te aller Krankenhäuser die Stufen 4 bis >

028_Draeger_D 28 03.12.14 11:33

29DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Der elektronische

PatientAdressen, Röntgenbilder, Diagnosen:

In Krankenhäusern werden immer mehr Daten digital verwaltet. Doch wie

sicher sind die IT-Systeme vor Hackerangriffen, und wie wird man

dem Thema DATENSCHUTZ gerecht?

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029_Draeger_D 29 03.12.14 11:33

30 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

KRANKENHAUS -IT DATENSCHUTZ

Eine bunte Reihe:Patientenakten aufPapier lassen sichnicht vernetzen –

und nur schwerverschicken.

Eine Digitalisierungkann nennenswerte

Vorteile bieten

Persönliche Treffen mit Vertretern der Daten-schutzbehörde schaffen Transparenz

7 erreicht (siehe Seite 31). In Deutsch-

land hingegen nutzten 2013 erst 12,8

Prozent der Krankenhäuser die elektro-

nische Patientenakte auf einem relativ

hohen Niveau.

In einer anderen Kennzahl treten die

Unterschiede noch deutlicher zutage.

In Europa haben lediglich zwei Hos-

pitäler die Stufe 7 erreicht. Das Hospi-

tal Marina Salud im spanischen Dénia

bei Valencia und das UKE in Hamburg.

In den USA hingegen zählt die HIMSS-

Statistik 179 Krankenhäuser in insge-

samt 29 Bundesstaaten. Hier fördert

der Staat die Einführung der EPA. Mit

dem Health Information Technology

for Economic and Clinical Health Act

wurde 2009 auch ein Förderprogramm

von rund 26 Milliarden US-Dollar für

die Digitalisierung der Krankenhäuser

aufgelegt.

Zertifizierung ist aufwendig

In puncto Sicherheit aber bedeutet

Masse nicht automatisch Klasse. Denn

die Zahl der Krankenhäuser, die sich

in Sachen IT-Datenschutz hat zertifi-

zieren lassen, erscheint auch in den

USA sehr übersichtlich. Ein Beispiel:

Die Health Information Trust Alliance

(HITRUST) ist ein privates Unterneh-

men, das 2008 das Zertifizierungsver-

fahren Common Security Framework

(CSF) vorstellte. CSF folgt dem Anspruch,

in puncto Datensicherheit alle regulato-

rischen und technischen Vorgaben an

IT-Systeme zu harmonisieren, die in der

US-Gesundheitsbranche zu befolgen

sind. Bis heute aber gibt es nur wenige

veröffentlichte Kundenreferenzen. Im

April 2014 gab HITRUST bekannt, dass

das Children’s Medical Center in Dallas

den CSF-Prozess erfolgreich durchlau-

fen habe – eine Premiere. „Wir freuen

uns sehr darüber, dieses wichtige Zerti-

fikat als erstes Krankenhaus in Texas zu

erhalten“, sagte Geschäftsführer Chris

Durovich damals. „Es zeigt, welchen

enormen Aufwand wir betrieben haben,

um die Qualität und Sicherheit unserer

Informationstechnologie zu erhöhen.“

Die Zertifizierung folgte einem Rahmen-

programm, das HITRUST und die texani-

schen Gesundheitsbehörden zuvor ver-

einbart hatten.

Auch in diesem Fall spielte die Grö-

ße des Krankenhauses eine entscheiden-

de Rolle. Das Children’s Medical Center

ist die sechstgrößte Kinderklinik in den

USA. Warum ist das so relevant, und wa -

rum lassen sich vor allem kleine Klini-

ken nicht zertifizieren? „Dafür gibt es

drei wesentliche Gründe“, sagt Thomas

Jäschke, Professor für IT- Sicherheit an

der FOM Hochschule für Oekonomie &

Management in Essen. Erstens stehe das

Thema bei den Verantwortlichen nicht

ganz oben auf der Prioritätenliste, zwei-

tens fehle es an Fachpersonal. „Und drit-

tens müssen Datenschützer und IT-Leiter

für eine Zertifizierung eng zusammenar-

beiten. Das aber scheitert oft an der man-

gelnden IT-Expertise des Datenschutz-

beauftragten.“

Vertrauen in die Cloud fehlt

Dabei sind die Sicherheit von IT-Systemen

und der Datenschutz keine indi viduelle

Kür, sondern gesetzliche Pflicht. Wer ihr

nicht nachkommt, dem können die deut-

schen Datenschutz behörden im Zweifel

erhebliche Sanktionen auferlegen. Ganz

zu schweigen von dem Imageschaden, der

entstünde, wenn sich Datendiebe in die

EPA hackten und so Patientendaten in die

Hände Dritter gelangten. Datenschüt-

zer und die IT-Industrie haben verschie-

dene Versuche gestartet, dem sperri-

gen Thema Auftrieb zu verleihen. Die

Konferenz der Datenschutzbeauf-

tragten des Bundes und der Länder

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030_Draeger_D 30 03.12.14 11:33

31DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Elektronische Patientenakten: Wie häufig werden sie in Krankenhäusern genutzt?¹

USA 61,0 39,0

Niederlande 50,8 49,2

Spanien 50,6 49,4

Österreich 38,1 61,9

Deutschland 12,8 87,2

Alles im Blick: Elektronische

Patientenakten zeigen ihr Wissen

dort, wo esbenötigt wird

Quelle: HIMSS¹ = USA: Q2/2014; Rest: Q4/2013; ² = gemäß EMRAM = Electronic Medical Record Adoption Model

eher starke Nutzung (in den Stufen 4 bis 7)²

Nutzung (%)

eher schwache Nutzung (in den Stufen 0 bis 3)²

veröffentlichte im Juli 2011 eine „Orien-

tierungshilfe zur datenschutzkonformen

Gestaltung und Nutzung von Kranken-

hausinformationssystemen (KIS)“. Darin

wurden die Anforderungen konkretisiert,

die sich aus den geltenden datenschutz-

rechtlichen Regelungen, den Vorgaben

zur ärztlichen Schweigepflicht für den

Krankenhausbetrieb und den Einsatz

von Informationssystemen in Kranken-

häusern ergeben. Zudem wurden Maß-

nahmen zu deren technischen Umset-

zung beschrieben. Eine überarbeitete

Fassung der Orientierungshilfe wurde

im April 2014 vorgestellt. Die IT-Indus-

trie wiederum will den Kranken häusern

mit Cloud-Angeboten beispringen.

Doch nachdem Edward Snowden die

Abhörpraxis der Geheimdienste pub-

lik gemacht hatte, ist das Vertrauen vie-

ler IT- Verantwortlicher in die Sicherheit

von Cloud-Angeboten wie Schnee in der

Sahara geschmolzen. Auch die deutschen

Datenschutzbehörden reagierten. Im Juli

2013 kündigten sie an, aufgrund daten-

schutzrechtlicher Bedenken den Neu-

betrieb von Cloud-Anwendungen aus

„unsicheren Drittstaaten“ nicht mehr

zu genehmigen.

Im Datenschutzkonzept des UKE

sind Cloud-Dienste bislang nicht vor-

gesehen. Dennoch stimmt man sich

eng mit den Hamburger Behörden ab.

„Wir pflegen eine offene und transparen-

te Zusammenarbeit“, erklärt Schneider

sein Erfolgsrezept. „Dazu gehört auch,

dass wir uns einmal im Quartal per-

sönlich mit Vertretern der Datenschutz-

behörde treffen.“ Frank Grünberg

031_Draeger_D 31 03.12.14 12:03

RUBRIK THEMA

DerseptischeSchockWettlauf mitder ZeitBei einer BLUTVERGIFTUNG zählt jede Minute. Die Betroffenen haben nur dann gute Überlebenschancen, wenn schnell und beherzt eingegriffen wird.

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 201432

032_Draeger_D 32 03.12.14 11:30

33

HYGIENE KRANKENHAUS

Es gibt eine Erkrankung, an der

jeden Tag allein in Deutschland

137 Menschen sterben, die enor-

me Kosten verursacht und von der die

meisten nicht einmal den Namen ken-

nen. Eine Krankheit ohne jedes Rampen-

licht, mit hoher Sterblichkeit, schlim-

men Spätfolgen und Dutzenden von

kläglichen Niederlagen bei der Entwick-

lung passender Medikamente: der septi-

sche Schock – die letzte Eskalationsstufe

einer Infektion, gegen die sich der Körper

mit sämtlichen Mitteln wehrt. Beim sep-

tischen Schock eskalieren Infektion und

Immunantwort. Beide Prozesse schau-

keln sich gegenseitig hoch, mit fatalen

Folgen für den gesamten Organismus.

Diese Eskalation folgt einer schick-

salhaften Choreografie, das Blut trägt

die Mikroorganismen in jeden Winkel

des Körpers. Das Immunsystem produ-

ziert daraufhin eine ganze Armada von

Immunzellen. Die generalisierte Ent-

zündung schädigt die Innenseiten der

Blutgefäße, Flüssigkeit tritt aus, der Blut-

druck sackt ab, die Gerinnungskontrolle

wird demontiert, und am Ende werden

sogar die Organe in die Knie gezwun-

gen – wenn die Eskalation nicht frühzei-

tig gestoppt wird. Oft beginnt alles mit

einer Infektion der Atemwege, des Bauch-

raums, der Knochen oder der Weichteile.

Die Eskalation verläuft in drei Stufen.

Die erste ist die Sepsis, bei der Bakterien

im Blut eine Entzündung im gesamten

Körper auslösen, gefolgt von der schwe-

ren Sepsis, bei der ein Organ versagt,

meist die Niere. Beim septischen Schock

versagt zusätzlich der Kreislauf. Mit

jeder Stufe nimmt die Sterblichkeit zu.

Hippokrates, der berühmteste Arzt

des Altertums, stufte sie als Fäulnis des

Bluts ein. Über 2.000 Jahre später nann-

te der deutsche Medizin-Nobelpreisträ-

ger Paul Ehrlich sie „Horror autotoxi-

cus“ – Grauen der Selbstvergiftung. Der

Volksmund spricht von einer Blutvergif-

tung. Nicht nur in Deutschland sterben

mehr Menschen an einem septischen

Schock als an Brust- oder Darmkrebs.

Wenige reden darüber. Auf den Inten-

sivstationen ist der septische Schock die

führende Todesursache, bundesweit die

dritthäufigste Todesursache hinter Herz-

Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Die

Sepsis tritt trotz aller medizinischen

Fortschritte immer häufiger auf, weil

die Bevölkerung älter und somit auch

kränker geworden ist, weil mehr kom-

plizierte Operationen gemacht werden

und weil mehr multiresistente Keime im

Umlauf sind.

Wie bei allen akut lebensbedrohlichen

Erkrankungen zählt auch hier der Fak-

tor Zeit. Eine heraufziehende Sepsis ist

nicht leicht zu erkennen, und schnell ist

es zu spät. Es gibt keinen einzigen Labor-

wert, der eine drohende Sepsis sicher dia-

gnostizieren kann. Das Krankheitsbild ist

sehr heterogen. Die traditionell zur Dia-

gnose herangezogenen Symptome und

Laborwerte sind sehr unspezifisch. Sie >

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

033_Draeger_D 33 03.12.14 11:30

34 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

KRANKENHAUS HYGIENE

können auch als Ausdruck eines Unwohl-

seins (miss)verstanden werden. Laut den

Kriterien der Deutschen Sepsis-Gesell-

schaft e.V., die den internationalen Leit-

linien entsprechen, sollten Ärzte bei Fie-

ber, einer beschleunigten Atmung, einem

schnellen Herzschlag und einer hohen

Zahl an weißen Blutkörperchen hell-

hörig werden. Diese vier Anzeichen wer-

den auch als SIRS-Kriterien bezeichnet,

wobei die Abkürzung für Systemisches

Inflammatorisches Response Syndrom

steht. „Allerdings sind zwei Kriterien

bereits dann erfüllt, wenn ich joggen

gewesen bin“, sagt Dr. Matthias Gründ-

ling, Oberarzt an der Universitätsklinik

Greifswald. „Nach dem Laufen hat man

nämlich eine beschleunigte Atmung und

einen beschleunigten Herzschlag. Das

zeigt, wie schwer eine Sepsis zu erken-

nen ist und wie unspezifisch die Sympto-

me anfangs sind.“

Die goldene Stunde

Bei einer Sepsis müssen die Mikroorga-

nismen so schnell wie möglich unschäd-

lich gemacht und die negativen Auswir-

kungen auf den Organismus eingedämmt

werden. Deshalb sollte möglichst früh

eine Antibiotikatherapie starten. Studien

haben gezeigt, dass jede Verzögerung und

jeder Fehlgriff bei der Wahl der Antibioti-

ka die Prognose des Patienten verschlech-

tern. Ist bereits ein septischer Schock ein-

getreten, steigt die Sterbe rate mit jeder

Stunde, die Antibiotika später gegeben

werden, um sieben Prozent an. „Es gibt

eine goldene Stunde, in der die Behand-

lung den größten Erfolg haben kann“,

sagt Gründling. „Allerdings darf man die

Antibiotika nicht wahllos geben. Das wür-

de die Resistenzentwicklung fördern.“

Gründling kennt das Dilemma, schnel-

le und sichere Dia gnosen zu stellen und

dabei eine Übertherapie zu vermeiden.

„Wir haben unlängst während einer Kon-

ferenz über dieses Problem diskutiert. Am

Ende waren sich alle einig: Da es derzeit

keine bessere Behandlung als den schnel-

len Einsatz eines passenden Antibioti-

kums gibt, gibt es auch keine Alternative

zu dieser Therapie.“

Sepsis kann zumDieb werden – und das Leben mitnehmen

>

034_Draeger_D 34 03.12.14 11:30

35

Bei der Sepsis stockt auch die Arznei-

mittelentwicklung. Vor einigen Jahren

musste sogar das bis dahin einzige zuge-

lassene Medikament wieder vom Markt

genommen werden. In der Liste der

gescheiterten klinischen Entwicklun-

gen stehen inzwischen mindestens 25

entzauberte Hoffnungsträger. „Vielleicht

wurden die einzelnen Phasen und die

zugrunde liegenden Pathomechanismen

falsch gewichtet“, kommentiert Gründ-

ling die Situation. „Bei der Sepsis gibt

es nicht nur eine generalisierte Entzün-

dung, sondern auch eine Immunschwä-

che.“

Sepsis oder Schlaganfall?

Nach allem, was man heute weiß, tritt

die Überaktivität des Immunsystems am

Anfang der Krankheit auf. Später sind

die Immunzellen so erschöpft, dass eine

Immunschwäche eintritt. Die meisten

Kandidaten aus der klinischen Entwick-

lung sind darauf ausgerichtet gewesen,

die Entzündung und die Aktivierung des

Immunsystems einzudämmen. Obwohl

diese Therapien vielleicht in der Früh-

phase wirken, sind sie schädlich, wenn

die Immunschwäche eingetreten ist.

Vielleicht müssen diese Einsichten bei der

klinischen Entwicklung stärker berück-

sichtigt werden.

„Weil sich die Sepsis oft als Begleit-

erscheinung einer anderen Erkrankung,

einer Operation oder eines Polytraumas

tarnt, müssen wir lernen, sie besser vor-

herzusehen“, sagt Gründling. „Dazu müs-

sen wir nach ersten Anzeichen suchen.

Etwa indem wir regelmäßig alle relevan-

ten Vital- und Laborparameter messen,

die Ausscheidungsmenge bestimmen und

ein feines Gespür dafür entwickeln, ob die

Patienten wegen einer drohenden Sep-

sis unruhig und verwirrt sind oder etwa

wegen eines Schlaganfalls.“ Bei Notfäl-

len müsse die Sepsis so lange als Diffe-

renzialdiagnose in Betracht gezogen wer-

den, bis sie sicher auszuschließen sei. In

Greifswald konnte die durchschnittliche

Sterbe rate von den in Deutschland übli-

chen 54 Prozent beim septischen Schock

durch besseres Training, sorgfältige Über-

wachung und konsequente Ergebnis-

kontrolle auf 31 Prozent reduziert wer-

Häufigkeit einer posttraumatischen Belastungsstörung nach: Vergewaltigung

Krieg

Lebensrettung auf der Intensivstation

Misshandlung

Brand-/Naturkatastrophen

Quelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day

55,5 %

38,8 %

22 %

11,5 %

4,5 %

den (siehe auch: www.sepsisdialog.de).

Für die Erkennung einer Sepsis hat Dräger

nun zusammen mit der Universitätskli-

nik Greifswald eine Software entwickelt.

SmartSonar Sepsis speichert alle anfal-

lenden Patientendaten und vergleicht

sie mit den Grenzwerten für eine Sepsis.

Werden diese überschritten, benachrich-

tigt das Programm das klinische Personal.

„Die Entscheidung, ob eine Infektion vor-

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

>

Gehirn

InfektionLungen

LeberNieren

3. Septischer Schock: Der Kreislauf versagt

2. Schwere Sepsis: Ein Organ versagt, meist die Niere

Eine Infektion läuft AmokDrei Stufen einer Eskalation Quelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day

1. Sepsis: Die Infektion breitet sich aus

035_Draeger_D 35 03.12.14 11:30

36

KRANKENHAUS HYGIENE

Entwicklungs-länder

über 1.120Sepsis-Tote pro

100.000 Menschen

Industrie-länderüber 13

Sepsis-Tote pro 100.000

Menschen

Schwellen-länder

über 540Sepsis-Tote pro

100.000 Menschen

liegt und eine Antibiotikatherapie einge-

leitet wird, trifft nach wie vor der Arzt.

Das Programm erkennt und meldet kriti-

sche Entwicklungen, sodass wir schneller

reagieren können“, sagt Gründling. Es ist

geplant, dass Gründling und seine Kolle-

gen 2015 eine klinische Studie mit Smart-

Sonar Sepsis machen. Die Studie soll auch

in Hamburg, Kiel und Dresden durchge-

führt werden und randomisiert sein. Der-

zeit diskutiere man noch über die primä-

ren und sekundären Endpunkte. „Nach

allem, was wir wissen, sollte ein frühe-

res Erkennen der Sepsis zu einem frühe-

ren Einsatz der Antibiotika und damit zu

einer geringeren Sterblichkeit führen. Es

ist aber auch denkbar, dass der frühere

Einsatz der Antibiotika die Spätfolgen der

Sepsis reduziert“, sagt Gründling.

Patienten, die eine schwere Sepsis

überlebt haben, leiden oft unter körperli-

chen, kognitiven und psychischen Spätfol-

gen. Im Gegensatz zu anderen Patienten

haben sie ein doppelt so hohes Risiko, in

den nächsten fünf Jahren zu sterben.

Vie le entwickeln auch eine posttrauma-

tische Belastungsstörung, weil sich die

dramatischen Stunden auf der Intensiv-

station tief in ihre Seelen gebohrt haben

(siehe auch Seite 8 ff.). In vielen Klini-

ken ist man deshalb dazu übergegangen,

Tagebücher zu führen, damit die Betrof-

fenen später nachvollziehen können,

was in dieser Zeit passiert ist. Die kürz-

lich veröffentlichte Welt-Sepsis-Dekla-

ration kennt vor allem ein Ziel: weniger

Sepsis und weniger Sepsis-Tote. Mit Auf-

klärung, Prävention und einem beherz-

ten Eingreifen kann schon viel erreicht

werden. Dr. Hildegard Kaulen

In den Entwicklungs-ländern ist die Zahl der

Sepsis-Toten besonders hochEine gute Intensivmedizin

rettet LebenQuelle: lindgruen-gmbh.com für den

World Sepsis Day

0 3624 36129654321

Überlebendein

Prozent

StundenZeit bisTherapiebeginn

100 %

80 %

60 %

40 %

20 %

Sepsis ist ein NotfallFrühzeitiger Einsatz des richtigen Antibiotikums rettet LebenQuelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day

Effektiv mit

Antibiotika behandelte Patienten

>

036_Draeger_D 36 03.12.14 11:31

37DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

SIRS Eine systemische Reaktion auf eine nicht spezifische Schädigung mit mindestens zwei der folgenden Symptome:• Temperatur: > 38 ̊ C oder < 36 ̊ C• Herzfrequenz: > 90/min• Atemfrequenz: > 20/min oder PaCO² < 33 mmHg• Leukozyten: > 12.000/mm³ oder < 4.000/mm³ oder > 10 % unreife neutrophile Granulozyten

Schwere Sepsis Sepsis mit ≥ 1 Organdysfunktion• Kardiovaskulär (volumenrefraktäre Hypotension)• Renal• Respiratorisch• Hepatisch• Hämatologisch• ZNS• Metabolische Azidose ohne erkennbare Ursache

Sepsis SIRS mit vermuteter oder nachgewiesenerInfektion

Schock28-Tage-

Sterblichkeit

biszu

80 %

40 %

20 %

10 %

22,8

2.900 $

Häufigkeit pro 100.000 Einwohner

in den USA

Kosten für staatlich unterstützte

Forschung in Millionen US-Dollar

377

91 $

Sepsis

223

317 $

Schlaganfall HIV

208

1.236 $

Herzinfarkt

Sepsis ist eine häufige, aber wenig beachtete ErkrankungQuelle: lindgruen-gmbh.com für den World Sepsis Day

331,8

2.277 $

Krebs

Lunge

Brust

Prostata

Prostata Brust

Lunge

Quelle: Sepsis-Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e.V.

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Was genau macht der SmartSonar Sepsis?

Die Software unterstützt den Arzt bei der möglichst frühen und exakten Erkennung eines SIRS sowie den Eskalationsstufen einer

Sepsis. Sie bewertet und klassifiziert bis zu 30 Vitaldaten, alle Verlaufsdaten der zurückliegenden 24 Stunden und die wichtigs-

ten Informationen zur Diagnose. Sie ermittelt daraus einen Sepsis-Schweregrad, dem ein farbiges Symbol zugeordnet wird.

Der SmartSonar Sepsis bekommt die Daten derzeit über das Patientendaten-Managementsystem (PDMS) ICM von Dräger.

Geplant ist auch eine Schnittstelle zur Dräger Innovian Solution Suite. Eine Übersichtsseite listet alle beobachteten Patienten.

Die Detailseite zeigt aktuelle wie entscheidungsrelevante Werte und einen 24-Stunden-Trend sowie ein mögliches Organversagen an. Über das Logbuch kann nachvollzogen werden, wie eine The-

rapieentscheidung zustande gekommen ist. Alle medizinischen Entscheidungen sind hinterlegt und bis zu sieben Tage sichtbar.

Eine chronologisch geordnete Tabelle zeigt den Wechsel des Sepsis-Status an und gibt an, was zum Statuswechsel geführt hat.

037_Draeger_D 37 03.12.14 11:31

38 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

BIG DATA

Die Vermessung der Welt

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038_Draeger_D 38 03.12.14 11:37

39

DATENFLUT GESELLSCHAFT

Was wäre wenn? Wenn die

Geschwindigkeiten moderner

Verkehrsmittel sich alle zwei

Jahre verdoppelten? Heute 200 km/h, in

zwei Jahren 400 km/h und in vier Jah-

ren 800 km/h. Bald wären alle Menschen

Nachbarn. Jeder könnte sich zu jeder Zeit

an jedem Ort mit jedem treffen. Bei Com-

putern gibt es diese Beschleunigung wirk-

lich: Prozessoren werden immer leis-

tungsstärker, Speicher immer größer,

sodass sich Daten immer schneller ana-

lysieren, sortieren und verschieben las-

sen. Mit einem ähnlichen Effekt: Die

Daten rücken zusammen. Mit Big Data

verbinden Experten gewaltige Hoffnun-

gen. In den Datenmengen sollen grund-

legend neue Erkenntnisse für die Wissen-

schaft stecken – und neue Chancen für

die Wirtschaft. Auch in der Medizin weckt

Big Data große Erwartungen. Wie breiten

sich Krankheiten aus, wie lassen sie sich

frühzeitig erkennen und erfolgreich the-

rapieren? Auf solche und andere Fragen

soll Big Data Antworten finden.

Das „Big“ sagt schon, worum es geht:

um Größe. Und darum, Datenberge

an zuhäufen, um aus ihnen mit cleveren

Rechenmethoden wertvolles Wissen zu

destillieren. Qualität aus Quantität. Die

Technologie-Analysten des Beratungsun-

ternehmens Gartner definieren Big Data

als „Informationsbestände mit großem

Volumen, hoher Geschwindigkeit und

breiter Vielfalt, die nach neuen Verarbei-

tungsformen verlangen, um verbesserte

Entscheidungen, Erkenntnisse und Pro-

zesse zu ermöglichen“. Gartner spricht

auch von den „drei V“: Volume, Velocity,

Variety – Menge, Geschwindigkeit, Vielfalt.

Vor ein paar Jahren noch galt ein Terabyte

(eine Billion oder 1.000.000.000.000 Byte)

als große Datenmenge. Heute fassen die

meisten Festplatten so viel. Im Jahr 2012

erzeugte die Menschheit ein Datenvolu-

men von 2,8 Zettabyte (siehe auch Grafik

Seite 42). Mobiltelefone, Kameras, RFID-

Etiketten, Kreditkarten, Sensoren, Ser-

ver – sie alle tragen zur anschwellenden

Datenflut bei. Daten, und mit ihnen zu

rechnen, das mag etwas trocken klingen.

Wie spannend jedoch die Ergebnisse sein

können, zeigt eines der ersten Big-Data-

Projekte überhaupt: Google Flu Trends.

Im Jahr 2009 kündigte der Internetkon-

zern Google dieses Projekt im weltweit

renommierten Wissenschaftsmagazin

„Nature“ an. Die Idee: aus den Anfra-

gen an die Google-Suchmaschine bevor-

stehende Grippewellen vorherzusagen.

Einfach wie genial. Wenn die Menschen

in einer bestimmten Gegend vermehrt

„Fieber“, „Wadenwickel“, „Apotheken-

notdienst“ oder andere Suchbegriffe mit

Grippebezug googeln, dann muss etwas

im Anflug sein.

„Mit großen Datenbeständen können wir Dinge tun, die vorher nicht möglich waren“

Nicht nur die Medien feierten das Projekt.

Auch die amerikanische Seuchenschutzbe-

hörde CDC war begeistert, die Ausbreitung

einer Grippe ohne eine einzige Patienten-

untersuchung verfolgen zu können – in

Echtzeit, und zudem spottbillig. Die Goog-

le-Entwickler brauchten sich nicht einmal

in das Thema zu vertiefen. Sie überließen

die ganze Arbeit einfach den Algorithmen.

Es wirkte, als hätten sie Wissen aus dem

DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

>

Das Informationszeitalter häuft täglich immer größere DATENMENGEN an. Wie lassen sich aus dieser Quantität neue Erkenntnisse gewinnen? Die Erwartungen an die Ergebnisse sind gewaltig – auch in der Medizin.

2012 sollen weltweit 2,8 Zettabyte an Datenvolumen entstanden sein – das entspricht einer Zahl mit 22 Stellen. Experten gehen davon aus, dass es bis 2020 sogar 40 Zettabyte werden können

039_Draeger_D 39 03.12.14 11:38

40 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

GESELLSCHAFT DATENFLUT

Nichts gezaubert, wobei das so natürlich

nicht stimmt: Kein Konzern verfügt über

größere Datenmengen als Google. Dabei

war Google Flu Trends nur die Demons-

tration eines viel umfassenderen Prinzips.

Auch der Mediziner und Google-Vorden-

ker Larry Brilliant geriet ins Schwärmen:

„Ich stelle mir einen Menschen vor, der

online geht und vor einem Cholera-Aus-

bruch in seiner Straße gewarnt wird.“

Aus den Datenschätzen lassen sich nicht

nur Infek tions wellen vorhersagen, son-

dern auch Finanzkrisen und Hungersnö-

te. „Mit großen Datenbeständen können

wir Dinge tun, die vorher nicht möglich

waren“, sagt Kenneth Cukier, Big-Data-

Experte beim britischen Wirtschafts-

magazin „Economist“. „Der einzige Weg,

die globalen Herausforderungen zu meis-

tern – die Menschen zu ernähren, sie mit

Energie und Medizin zu versorgen –, liegt

in der effektiven Nutzung von Daten.“

Das Geburtsjahr von Google Flu Trends

kann auch als der Beginn von Big Data

gelten. Die Techniken des Datenschür-

fens („Data Mining“) waren bereits eini-

ge Jahre zuvor entstanden, doch erst 2009

wurde das Thema „big“. Es entbrannte

ein regelrechter Hype. Ein viel beach-

teter Beitrag im Digitalkulturmagazin

„Wired“ sah schon „das Ende der Theo-

rie“ kommen. Wissenschaftliche Theori-

en und statistische Modelle könnten eines

Tages überflüssig werden, prophezeiten

die Autoren. „Mit genügend Daten spre-

chen die Zahlen für sich.“

Tatsächlich gelangen Wissenschaft-

lern Durchbrüche, die sie sonst wohl

nicht geschafft hätten – zumindest nicht

so schnell. Einst dauerte die Decodie-

rung des menschlichen Genoms wegen

der aufwendigen Rechnerei ein gan-

zes Jahrzehnt. Mit heutigen Sequenzier-

Automaten wäre sie an weniger als einem

Tag zu schaffen. Ein weiterer Triumph: Die

Entdeckung des Higgs-Teilchens am Euro-

päischen Kernforschungszentrum CERN.

Der Beschleuniger LHC erzeugt jährlich

15 Petabyte (15.000.000.000.000.000 Byte)

an Daten, das entspricht ungefähr

15.000 Jahren digitaler Musik. Aus diesem

Wust mussten die Forscher das schwache

Signal des Higgs-Teilchens herausfiltern.

Ein wesentlicher Bereich der heutigen

Teilchenphysik besteht im Wälzen großer

Datenmengen. Aber ist diese Entwicklung

tatsächlich das Ende der Theorie? Physiker

würden das bestreiten. Sie brauchen ihre

Theorien weiterhin, auch um zu wissen,

wonach sie in den Datenbergen suchen.

Überhaupt lässt sich feststellen, dass die

erste Big-Data-Euphorie zu weit ging.

Computer identifizieren verdäch-tige Krankheitsmuster

Nun werden die Grenzen von Big Data

sichtbar – aber auch die Chancen. Es ist

eben nicht so, dass die Zahlen für sich

sprechen. Der trügerische Anschein von

Objektivität ist ein Risiko. Algorithmen

sind fehlbar, sie erledigen den Schritt von

den Daten zum Wissen nicht von allein.

Das mussten auch die Entwickler von

Google Flu Trends erfahren. Der Poli-

tikwissenschaftler David Lazer glich die

Prognosen mit der Wirklichkeit ab und

stellte fest, dass Flu Trends regelmäßig

danebenlag. Immer wieder hatte das Sys-

tem falschen Alarm ausgelöst. Die Medi-

en, die Flu Trends zunächst bejubelt hat-

Big Data ist keine Zauberei, ebenso wenig, wie einst die Alchemie wertlose Metalle in Gold verwandeln konnte – doch Big Data kann Goldadern erschließen

>

040_Draeger_D 40 03.12.14 11:38

41DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

ten, überschütteten es nun mit Häme.

„Google Flu Trends irrt sich drei Jahre

in Folge“, schrieb das eigentlich techno-

logiefreundliche Magazin „New Scien-

tist“. Lazer fand keineswegs nur Schlech-

tes über Flu Trends heraus. Er zeigte, dass

den Entwicklern einige folgenreiche –

aber vermeidbare – Fehler unterlaufen

waren. Wenn man das System in einem

größeren Kontext sieht, bleibt es sehr nütz-

lich. Kombiniert man beispielsweise die

Prognosen von Flu Trends mit den klas-

sisch erhobenen Befunden der Seuchen-

schutzbehörde CDC, erhält man Vorher-

sagen, die deutlich zuverlässiger sind

als Flu Trends und CDC jeweils für sich

genommen. Big Data kann also eine wich-

tige Ergänzung herkömmlicher Methoden

sein. Mittlerweile erschließen Entwickler,

Wissenschaftler und Mediziner das wah-

re Potenzial. So können Forscher der Uni-

versität Toronto frühgeborenen Babys das

Leben retten, indem sie ihre Vitalfunktio-

nen aufzeichnen und mit Big-Data-Metho-

den auf verdächtige Muster analysieren.

Die Algorithmen warnen mit hoher Treff-

sicherheit vor bevorstehenden Infektio-

nen. Das funktioniert nur, weil Compu-

ter diese verdächtigen Muster aus riesigen

Datenmengen extrahiert haben – mit blo-

ßem Auge wären sie nicht zu erkennen.

Überhaupt: Leben retten. Am New

York Genome Center erproben Onkologen

Big Data als Waffe gegen Krebs. Die Idee:

die Therapie auf jeden Einzelfall zuzu-

schneiden. Die Ärzte nehmen eine Gewe-

beprobe des Tumor und sequenzieren das

Erbgut, um die Mutationen der Krebszel-

len zu erkennen. Anschließend richten sie

die Medikation auf diese Mutationen aus.

Die Kunst dabei ist, die harmlosen Muta-

tionen von jenen zu unterscheiden, die

das Tumorwachstum befeuern. Dabei soll

ein Großrechner helfen. Die Mediziner

füttern ihn mit den Gendaten, der Rech-

ner gleicht sie mit einer gewaltigen Daten-

bank ab, in der zig Millionen medizinische

Fachartikel gespeichert sind, und entwi-

ckelt einen Therapievorschlag. Damit

nimmt der Großrechner eine Schlüsselrol-

le im Behandlungsprozess ein, macht den

Menschen damit aber nicht überflüssig.

Immer noch müssen Ärzte die Therapie-

vorschläge bewerten, müssen Forscher die

Fachartikel schreiben, die der Computer

durchforstet. Und seine Vorschläge können

nur so gut sein wie die Daten, über die er

verfügt. Big Data ist keine Zauberei – eben-

so wenig, wie einst die Alchemie wertlose

Metalle in Gold verwandeln konnte. Doch

Big Data kann Goldadern erschließen, die

mit früheren Mitteln unerreichbar waren.

Statistiker sagt Wahlergebnisse in allen US-Bundesstaaten richtig voraus

Der Datenanalyse-Markt wächst laut dem

Magazin „Economist“ um rund zehn Pro-

zent pro Jahr – doppelt so schnell wie

die gesamte Softwarebranche. Und auch

im Gesundheitswesen boomt Big Data.

Der maßgebliche Kopf hinter Google

Flu Trends, Matt Mohebbi, hat den Kon-

zern inzwischen verlassen und ein eige-

nes Start-up gegründet. Die Geschäfts idee

ist, mit Big-Data-Methoden eine Ent schei-

dungshilfe dafür zu geben, welche Medika-

mente ein Patient verschrieben bekommen

soll – wohlgemerkt: Entscheidungshilfe.

Big Data hat auch Gebiete erfasst, die man

normalerweise nicht mit Computern und

Algorithmen in Verbindung bringt – etwa

die Politik: Bei seinem erfolgreichen Wahl-

kampf um die zweite Amtszeit als ameri-

kanischer Präsident im Jahr 2012 verließ

sich Barack Obama wesentlich auf Big-

Data-Analysen. Ein hundertköpfiges Team

von Analysten, ausgestattet mit gewaltiger

Rechen power, wertete Umfragen, Pres-

seberichte und soziale Medien aus. Der

Statistiker Nate Silver sagte mit cleveren

Algorithmen sogar die Wahlergebnisse in >

Die Werkzeuge der DatenschürferDas Durchforsten großer Daten-mengen nach wertvollen „Nuggets“ ist eine spezielle technische Heraus-forderung. Zunächst braucht man dazu geräumige Datenspeicher. Doch Kapazität ist nicht alles, es kommt vor allem auf Geschwindigkeit an. Die Daten müssen schnell abrufbar sein. Gewöhnliche Festplatten mit üblichen Datenverbindungen sind meist zu langsam. Für Big-Data-Anwendungen werden oft „Solid State Drives“ und „Direct Attached Storage“-Systeme eingesetzt, die blitzschnell reagieren können. Die Berechnungen geschehen häufig in massiv parallel verarbeitenden Datenbanken („massively parallel processing“, MPP), die also viele Rechenprozesse gleichzeitig ausführen können. Um auf diese Weise Zeit zu sparen, muss die Berechnung in mehrere Teile gegliedert werden, die nebeneinanderher laufen können – das geht oft nur mit viel Einfallsreichtum der Programmierer. Die Algorithmen, die dabei ausgeführt werden, können ganz simple Suchmethoden sein oder raffinierte Rechenwerkzeuge – wie statistische Analysen oder genetische Algorithmen, die sich selbst in einem Selektionsprozess immer weiter verbessern. Inzwischen bieten einige IT-Unternehmen auch fertige Hard-ware- und Software-Lösungen für Big Data an.

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42 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

GESELLSCHAFT DATENFLUT

Der Kern besteht darin, aus gewaltigen Datenmengen entsprechende Vorhersagen zu destillieren

sämtlichen 50 US-Bundesstaaten richtig

voraus – und schlug damit alle Demos-

kopen, die es mit traditionellen Werkzeu-

gen versuchten. Zwei Jahr später, bei den

US-Kongresswahlen im November 2014,

gehörte Big Data bereits zum Standard-

arsenal vieler Kandidaten. Eine ganze

Reihe von Unternehmen bietet Big-Data-

Dienstleistungen für Politikprofis an.

Fiscal Note zum Beispiel, gegründet 2013

im Silicon Valley in Kalifornien, prognosti-

ziert die Ergebnisse von Abstimmungen in

den Parlamenten der Bundesstaaten und

im Washingtoner Kongress auf der Grund-

lage von Wahl ergeb nissen, Umfragen und

Wahlkampfbudgets. Die Algorithmen

haben bereits jetzt eine Treffergenauig-

keit von 95 Prozent, in den nächsten Jah-

ren soll sie auf 99 Prozent steigen. Ein

ähnliches Ziel im ökonomischen Sektor

verfolgt das New Yorker Start-up Estimize,

das mit ausgeklügelten Algorithmen die

künftigen Erträge von Unternehmen aus

den Finanzdaten der Vergangenheit vor-

herzusagen versucht.

Noch ist das alles ein vornehmlich

amerikanisches Phänomen. Doch auch

deutsche Unternehmen beginnen sich

der Sache anzunehmen. So wird beispiels-

weise versucht, die Überwachung der

ICE-Züge auf Big-Data-Methoden umzu-

stellen. Vernetzte Sensoren sollen den

Zustand von Türen, Klimaanlagen und

Antriebssystemen überwachen und Algo-

rithmen aus den Daten frühzeitig Schä-

den erkennen. Auch Hochschulen reagie-

ren: Die erste deutsche Professur für Big

Data Analytics hat die Bauhaus-Universität

in Weimar geschaffen. Ein Schwerpunkt

der Forschung besteht darin, mit neuen

Methoden der Datenanalyse die Leistung

von Suchmaschinen zu verbessern.

Mit dem Hunger auf Daten wächst die Neigung, sie zu missbrauchen

Angesichts dieser Erfolge dürfen die

Beschränkungen nicht in Vergessenheit

geraten. Der Kern von Big Data besteht

darin, aus Datenmengen, die für mensch-

liche Augen unmöglich zu überschau-

en sind, mit bloßer Rechenkraft Vor-

hersagen zu destillieren. Wie fundiert

und zuverlässig können diese Vorhersa-

gen sein? Weil ihr Zustandekommen so

intransparent ist, lässt sich das in vielen

Fällen schwer einschätzen. Ein heftig

umstrittener Fall ist die Klimaforschung

mit ihren daten- und rechenintensiven

Modellen der Erdatmosphäre. Auf ihren Quellen: Alle Angaben sind Wikipedia und der Studie „How Much Information?“ (2009) entnommen

Präfix

Byte

Kilobyte (KB)

Megabyte (MB)

Gigabyte (GB)

Terabyte (TB)

Petabyte (PB)

Exabyte (EB)

Zettabyte (ZB)

Yottabyte (YB)

Bytes

1

1.000

1.000.000

1.000.000.000

1.000.000.000.000

1.000.000.000.000.000

1.000.000.000.000.000.000

1.000.000.000.000.000.000.000

1.000.000.000.000.000.000.000.000

Datenmenge

Ein Buchstabe

Eine Textseite

Ein kleines Foto

Ca. 8,5 Minuten HD-Video-Material

Ca. 250.000 MP3-Dateien

Die geschätzte Speicherkapazität aller Rechenzentren weltweit 2002

Die fünffache Datenmenge aller jemals gedruckten Bücher

Die geschätzte Menge aller jemals von Menschen gesprochenen Worte würde digitalisiert 42 ZB entsprechen

Unfassbar viel

>

Maßeinheiten für Datenmengen

042_Draeger_D 42 03.12.14 11:38

43DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Prognosen gründen weitreichende politi-

sche Entscheidungen. Selbst die Klima-

forscher sind sich nicht immer einig über

die Fehlermarge. Gerade weil sie für den

menschlichen Geist nicht nachvollzieh-

bar sind, haben Big-Data-Analysen nicht

zwingend die Überzeugungskraft wissen-

schaftlicher Argumente.

Und dann ist da noch der Einwand,

den kein noch so großer Erfolg entkräften

kann: Mit dem Hunger auf Daten wächst

die Neigung, sie zu missbrauchen. Eine

Krankenversicherung zum Beispiel, die

sich Zugang zu den Kreditkartentransak-

tionen ihrer Versicherten verschafft und

ihnen dann eine Risikoprämie für Über-

gewicht aufbrummt, wenn sie Kleider in

Übergrößen bestellt haben, überschreitet

die Grenze zur Schnüffelei. Gerade weil

in den Daten so viel Potenzial steckt, muss

die Privatsphäre der Nutzer geschützt blei-

ben. Das größte Big-Data-Unternehmen

der Welt ist der amerikanische Geheim-

dienst NSA. Allein das im Jahr 2013 in

Betrieb genommene Datenzentrum in

Bluffdale im Bundesstaat Utah soll laut

dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“

eine Speicherkapazität von einem Yotta-

byte haben – eine Billion Terabyte! Aus die-

sen Datenmengen, abgefischt vor allem

aus den globalen Kommunikationsnet-

zen, versucht man staatsfeindliche Akti-

vitäten vorherzusagen. Algorithmen kön-

nen Menschen schnell zu potenziellen

Terroristen erklären. Nichts zeigt deut-

licher, dass Big Data trotz des großen

Potenzials nie die ganze Wahrheit sein

kann. Wenn aus Daten Wissen generiert

werden soll, gehört die menschliche Pers-

pektive stets dazu. Tobias Hürter

„Je mehr Daten, desto persönlicher“PROF. DR . CHRISTIAN HESSE lehrt Mathematische Statistik an der Universität Stuttgart. Er ist einer der führenden deutschen Experten für Big Data.

Professor Hesse, derzeit wird viel über die Möglichkeiten von Big Data diskutiert: Wo liegen die Grenzen?

Christian Hesse: Big Data findet seine natürlichen Grenzen an den persönlichen Rechten der Menschen. Inzwischen ist es möglich, kostengünstig das Genom von Patienten zu sequenzieren und auszuwerten. Wenn eine Krankenversicherung diese Daten dazu nutzt, um Versicherten mit der Anlage einer Erbkrankheit eine Risikoprämie aufzubrummen, dann überschreitet sie diese Grenzen.

So weit die Ethik, und technisch gesehen? Braucht es nicht immer noch den Arzt, der auf den einzelnen Patienten eingeht?Ja, den braucht es – schon um gezielte Untersuchungen durchzuführen. Aber bei Big Data in der Medizin geht es ja gerade darum, Therapien individuell auf Patienten zuzuschneiden. Je mehr Daten, desto persönlicher.

Wie funktioniert das?Man nimmt alle Daten, die von einem Patienten zur Verfügung stehen. Messwerte, Medikationen, Gendaten – das können Zigtausende Datenpunkte sein – und gleicht sie mit den Daten von Millionen anderer Patienten ab. Mit der „Nächste-Nachbarn-Methode“ findet der Computer ähnliche Fälle. Er kann sehen, welche Therapien erfolgreich waren, und den Arzt mit Vorschlägen unterstützen.

Warum ist das besser als der herkömmliche Ansatz?Üblicherweise geht es ja so: Ein Arzt lernt, welche Symptome auf welche Krankheiten hindeuten. Dazu kommen die Erfahrungen aus seiner Praxis. Das ist ein vergleichsweise kleiner Radius. Big-Data-Verfahren stützen sich auf ein viel breiteres Fundament.

Kann Big Data damit ärztliche Diagnosen überflüssig machen?Nein, aber wesentlich unterstützen. Was Big Data überflüssig macht, ist der bisherige Ansatz mit seiner Komplexität und Fehleranfälligkeit. In Deutschland werden jährlich 300.000 Krankenhausaufenthalte und mehrere Tausend Todesfälle durch fehlerhafte Medikamentendosierungen verursacht. Big-Data-Verfahren können helfen, zumindest einige davon zu vermeiden.

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RUBRIK THEMA

Diese komplett eingerichtete Zahnarzt-

praxis stammt aus dem ersten Drittel

des 20. Jahrhunderts

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45DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

GESCHICHTE MEDIZ IN

Mit Herzblut ins MuseumEine neue Sonderausstellung beleuchtet die Geschichte und Zukunft der MEDIZINTECHNIK. Dem Besucher öffnet sich noch bis Sommer 2015 ein faszinierendes Kaleidoskoptechnischer, wissenschaftlicher und sozialer Entwicklungen – mit mehr als 700 Exponaten.

Die Melodie des Lebens legt sich

mit wuchtigem Beat über den

Eingang zur Ausstellung im

Mannheimer Technoseum. „Herzblut“

heißt diese Reise durch die Medizintech-

nik auf rund 900 Quadratmetern – von

den Anfängen im Anatomischen Theater

und der Aufklärung bis zu den Visio-

nen von Robotern in der Medizin. Den

Takt gibt gleich zu Beginn die Projek-

tion einer Magnetresonanz tomografie-

Aufzeichnung des schlagenden Herzens

vor, untermalt vom rhythmischen Herz-

klopfen. Vor der Installation steht ein

transparenter Torso, dessen Herz an ein

modernes Unterstützungssystem ange-

schlossen ist. Dieses Exponat steht für

die Schnittstelle der Medizintechnik zu

jenem Organ, das – je nach Perspektive –

als Sitz der Seele oder Hochleistungs-

blutpumpe gilt.

Noch bis zum 7. Juni 2015 folgt „Herz-

blut – Geschichte und Zukunft der Medi-

zintechnik“ zwei Erzählsträngen: Einer-

seits geht es darum, wie Medizintechnik

den Blick auf den menschlichen Körper

prägt und die Möglichkeiten von Dia-

gnose und Therapie erweitert. Spiegel-

bildlich dazu wird gefragt, wie sich die-

se Technik fortentwickelt. Beide Ebenen

ergeben einen ganzheitlichen Blick auf

die Ideen und Innovationsgeschichten,

zu denen neben vielen lebensrettenden

Entwicklungen auch Gräueltaten wie die

Menschenversuche während der NS-Zeit

gehören.

Vor der Behandlung steht das Begrei-

fen dessen, was im Körper bei einer

Krankheit passiert: Innovationen auf

Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse

Seelensitz und Technik: Ein Herz mit modernem Unterstützungs-system eröffnet die Sonder-ausstellungim Mannheimer Technoseum

>

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46 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

MEDIZIN GESCHICHTE

eröffnen seit dem 19. Jahrhundert neue

Blicke auf und in den Körper. So begrün-

den Röntgenaufnahmen (deren erst noch

zu interpretierendes Bild der Schriftstel-

ler Thomas Mann als „Innenporträt“

genau fasste), Stethoskop, Blutdruck-

messgerät und Fieberthermometer neue

Diagnosemöglichkeiten auf der Grund-

lage exakt quantifizierbarer und damit

vergleichbarer Gesundheitsdaten. Die

Heilkunst machte sich wissenschaftliche

Methoden und Instrumente zunutze. Die-

se Vermessung des Körpers gehört auch

zu den Grundlagen neuer Behandlungs-

methoden bis zur Operation unter Narko-

se. Und sie bereitet jenen Labor verfahren

den Weg, auf denen heute rund zwei Drit-

tel aller Diagnosen beruhen.

Blauer Heinrich hinter Glas

Viele Pionierleistungen haben sich zu

medizinischen Standards entwickelt.

„Das Selbstmessen des Blutzuckers oder

des Blutdrucks beispielsweise ist heute

eine Selbstverständlichkeit – vor 100 Jah-

ren wäre das undenkbar gewesen“, sagt

Dr. Alexander Sigelen. Der Historiker hat

die Ausstellung in zweieinhalb Jahren mit

einem Team konzipiert. Sie wollten darin

nicht allein Einblicke in den Maschinen-

raum von Arztpraxen, Krankenhäusern,

Laboren und Apotheken gewähren, son-

dern vitale Verbindungen zu den Lebens-

welten der verschiedenen Epochen her-

stellen. So gehören zu den Exponaten

auch der Porzellanhandgriff einer Toi-

lettenspülung und der „Blaue Heinrich“,

eine weit verbreitete Taschenspuck-

flasche für Tuberkulosepatienten, als

Symbole der Hygienebewegung.

Zwei Gase für die Narkose: Der Misch-narkoseapparat Roth-Dräger (1910) arbeitete mit Äther und Chloroform

Letzte Rettung Stahl-sarg: Die Eiserne Lunge revolutionierte in den 1930er-Jahren die Medizintechnik. Dank ihr überlebten Tausende Menschen todbringende Seu-chen – mancher blieb sogar Jahrzehnte in der monströsen Maschine gefangen

Hochtechnologie der Messingära: das Bedienpult eines frühen Röntgengeräts – mit Röhren, Analogskalen und Marmorplatte

>

046_Draeger_D 46 03.12.14 11:45

47DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

Eindrücklich zeigt die Schau die Entwick-

lung der Anästhesie als technikorientier-

te Wissenschaft im vergangenen Jahr-

hundert. Zwei nebeneinander platzierte

Leihgaben von Dräger spannen dabei

den Jahrhundertbogen von der Früh-

zeit der Narkose bis zum heutigen Stand

dieser Technologie. Aus den Anfängen

des 20. Jahrhunderts stammt der Roth-

Dräger-Mischnarkoseapparat. Den neues-

ten Stand der Technik leistungsfähiger

Anästhesiearbeitsplätze zeigt direkt dane-

ben ein Dräger Perseus A500.

Polio: Geißel der Menschheit

Neben diesen Leihgaben zeigt sich Tech-

nik auch in weiteren Bereichen der Aus-

stellung – etwa wenn es um die sichere

Beherrschung von Gasen in der Medizin

geht. Das trifft auf den kompletten Opera-

tionssaal aus den 1950er-Jahren mit Nar-

kose- und Beatmungstechnik von Dräger

ebenso zu wie auf die legendäre Eiserne

Lunge zur Beatmung von Polio-Patienten.

Die heute nahezu vergessenen Maschi-

nen waren damals bei vielen Erkrank-

ten die einzige Hoffnung während der

Polio-Epidemien. Denn bis zur Erfindung

eines Impfstoffs (durch den US-Immuno-

logen Jonas Salk, 1954) war Kinderläh-

mung eine der schlimmsten Geißeln der

Menschheit. Insgesamt zeigt die Mann-

heimer Ausstellung mehr als 700 Expo-

nate, viele davon aus der seit 25 Jahren

bestehenden Sammlung des Techno-

seums zur Medizintechnik mit heute

rund 3.000 Objekten. Ästhetisch zieht sich

dabei die Präsentation der Geräte wie ein

roter Faden durch die Ausstellung. Das

betont auch Ruudi Beier, der Gestalter der

Schau: „Es ist uns wichtig, die Exponate

nicht nur im Kontext ihrer Wirkung zu

zeigen, sondern auch eindeutig als tech-

nische Geräte.“ Peter Thomas

Kleiner Griff, große Wirkung: Toiletten-spülung als Symbol der Hygienebewegung. Seit 2001 gibt es sogar den Welttoilettentag

Zeichen der Zukunft: Bionische Prothetik steuert technische Gliedmaßen über Muskel- oder Nerven-impulse

www.technoseum.de/ausstellungen/herzblut

Der rund 450 Seiten starke Katalog zur Ausstellung ist im Museum für 24,95 Euro und im Buchhandel für 29,95 Euro erhältlich.

047_Draeger_D 47 03.12.14 11:46

Ein Röhrchen im Glaskolben aufzubauen ist Präzisionsarbeit

Feine Nase

Was liegt da in der Luft? Der DRÄGER-ANALYSENSERVICE bestimmt verschiedenste Substanzen und deren Konzentrationen – in Operationssälen, Industrieanlagen oder in Büros.

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ARBEITSPLATZMESSUNGEN SCHULTERBLICK

49DRÄGERHEFT 395 | 3/ 2014

Wie bringt man nur die-

sen „Schwamm“ von rund

1.000 Quadratmetern in

einem schmalen Glasröhrchen unter?

„Das ist im Prinzip ganz einfach“, sagt

Dirk Rahn-Marx. „Es braucht nur ein

Gramm Aktivkohle!“ Nicht irgendeine,

sondern solche, die aus Kokosnussscha-

len gewonnen wird – mit einer besonders

großen Oberfläche. Im Analysenservice

von Dräger, den der Chemie-Ingenieur

leitet, fängt man Flüchtiges und Unsicht-

bares ein: Substanzen aus der Luft, um sie

zu identifizieren und zu quantifizieren.

Die schwebenden Stoffe setzen sich in den

Poren der Aktivkohle fest und reichern sich

dort an. So lassen sich noch Substanzen

bestimmen, deren Konzentration in der

Größenordnung von Milliardsteln (ppb:

parts per billion) liegt. Das ist ungefähr

so, als wolle man fünf Menschen inner-

halb der gesamten Erdbevölkerung finden.

Kurven wie beim EKG

Mitte der 1980er-Jahre stand der Analysen-

service nur der Entwicklung im eigenen

Haus zur Verfügung. Mittlerweile lassen

hier auch Krankenhäuser die Konzen-

tration von Narkosegasen in ihren Opera-

tionssälen untersuchen. Uta Speth, Mit-

arbeiterin der ersten Stunde, erinnert

sich noch genau daran, wie aufwendig

die weitgehend manuellen Analysen und

ihre Auswertung damals waren: „Die

Ergebnisse wurden auf langen perforier-

ten Papierstreifen gespeichert, zusam-

mengerollt und mit Gummibändern gesi-

chert!“ Heute werden unter anderem

Gaschromato grafen und Massenspektro-

meter eingesetzt, die binnen einer Stunde

die Einzelstoffe aus der Luftprobe trennen

und grafisch darstellen können – wie ein

Elektrokardiogramm (EKG). Jeder Zacken

(Peak) ist eine gefundene Substanz und die

Höhe des Ausschlags ein Maß für ihre Kon-

zentration in der Probe.

„Wir unterscheiden hauptsächlich

zwischen Messungen am Arbeitsplatz, im

Büro sowie im Freien“, sagt Dirk Rahn-

Marx, „prüfen beispielsweise aber auch

Druckluft in der Produktion auf ihre Rein-

heit.“ Da wurde etwa ein Büro renoviert,

und nach dem Wiedereinzug leidet die hal-

be Mannschaft an Kopfschmerzen. Liegen

da Schadstoffe in der Luft? Oder eine Che-

miefabrik möchte über die gesetzlichen

Vorschriften hi naus prüfen, was sich von

ihrer Produktion noch in der Luft jenseits

des Werkzauns befindet. Dann gibt es Men-

schen, die fest davon überzeugt sind, ihr

Nachbar wolle sie durch „irgendwelche

Ausdünstungen“ vergiften. In diesen und

anderen Fällen kann der nach ISO 17025

akkreditierte Dräger-Analysenservice hel-

fen.

„Dafür lassen wir uns erst einmal

sehr genau die Lage erklären“, schildert

Rahn-Marx einen typischen Durchlauf.

Diese Informationen – die im Firmenge-

schäft fast immer von Experten kommen –

kreisen die Aufgabe und die gesuchte(n)

Substanz(en) näher ein. Es ist ein Unter-

schied, ob man nach Formaldehyd, Ben-

zol oder Terpenen sucht, die im Holz-

fußboden eines frisch renovierten Büros

nachgewiesen werden sollen. Nach die-

ser Aufgabe richten die Dräger-Experten

ihr Instrumentarium aus – und der Kun-

de weiß, welche Röhrchen oder Mess-Sets

für seine Fragestellung die richtigen sind.

Die Sammelröhrchen sind oft mit Aktiv-

kohle oder anderen chemo-physikalischen

„Schwämmen“ gefüllt. Methanol etwa

oder die in der Kunststofffertigung anfal-

lenden Ausgangsstoffe (Isocyanate) lassen

sich hiermit nicht einfangen. Dazu sind

andere poröse Materialien wie Silikagel

notwendig – oder solche, bei denen ein Fil-

ter mit einer chemischen Substanz imprä-

gniert wurde, damit der zu messende Stoff

bereits bei der Probenahme zu stabilen

Verbindungen reagiert (Chemisorption).

Die Probe nimmt in den meisten Fällen

der Kunde nach einer von zwei Methoden: >

Dirk Rahn-Marx leitet den Dräger-Analysenservice – und ist immer noch fasziniert von seiner Arbeit

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50 DRÄGERHEFT 395 | 3 / 2014

SCHULTERBLICK ARBEITSPLATZMESSUNGEN

abgenommen und gemessen wurde, war

alles in Ordnung.

Vielschichtige Kunstwerke

Das wirft einen Blick darauf, bei hochprä-

zisen Messungen immer die gesamte Pro-

zesskette im Auge zu behalten. Und die

fängt schon bei der Produktion der Sam-

melröhrchen an. Neben der vollautoma-

tischen Fertigung werden einige noch

per Hand gefüllt, etwa die mit Aktivkoh-

le. Selbst die einfachen Röhrchen ent-

halten durch Halteelemente getrennte

Sammel- und Kontrollschichten. Es gibt

aber auch kompliziert aufgebaute Sam-

melsysteme, die zusätzlich einen imprä-

gnierten Glasfaserfilter (u. a. für Form-

aldehyd) oder ein Molekularsieb (u. a. für

Lachgas) enthalten. Manche von ihnen

gleichen durch ihren vielschichtigen

Aufbau wahren Kunstwerken. Ihre Pro-

duktion erfordert viel Erfahrung. „Eini-

ge Kollegen machen das schon seit Jahr-

zehnten“, sagt Rahn-Marx. Nach vielen

Kontrollen werden die Enden der meisten

Röhrchen mit einer zweimal zehnflam-

migen Maschine zugeschmolzen. Vor der

Auslieferung folgen nochmals Kontrollen,

damit die Voraussetzungen für hochpräzi-

se Messungen gegeben sind. Selbst dann,

wenn mancher mit den hieb- und stichfes-

ten Ergebnissen nicht zufrieden ist, wie

Dirk Rahn-Marx sich schmunzelnd erin-

nert: „Noch nie konnten wir nachweisen,

dass jemand seinen Nachbarn mit Gasen

vergiften wollte.“ Nils Schiffhauer

grafie und Infrarot-Spektrometrie zäh-

len unter anderem zu den Verfahren, mit

denen die Proben nach allen Regeln der

Kunst und allen möglichen Molekülen

durchleuchtet werden („Screening“).

„Daraus resultieren dann oft lange

Listen von Substanzen und ihren Konzen-

trationen“, zeigt Dirk Rahn-Marx auf eine

EKG-Kurve (Chromatogramm), die das

Ergebnis visualisiert. Das ist allerdings

nur ein Zwischenergebnis. „Nun müssen

wir, gestützt auf eine riesige Datenbank,

alle Signale identifizieren und die Ergeb-

nisse auf Plausibilität prüfen.“ Sind die

Schadstoffe identifiziert und ihre Konzen-

trationen festgestellt, geht es an die Doku-

mentation. Auf die wiederum kann der

Kunde sich verlassen, auch wenn ihn das

Ergebnis mitunter überrascht.

Mancher kann es nicht fassen

So stellte der Analysenservice in einer

Druckluftprobe Öl fest. Der Kompressor

arbeitete definitiv ohne Schmierung, nur

stand wegen dieser Messung die Produk-

tion beim Kunden still. „Der wollte das

Ergebnis nicht so recht glauben, ließ sie

wiederholen – mit demselben Ergebnis“,

erinnert sich Rahn-Marx. Schließlich seien

sogar zwei Experten des Unternehmens zu

Dräger gekommen und hätten den Analy-

senservice auditiert. Doch dort war alles in

Ordnung. „Daraufhin“, sagt Rahn-Marx,

„haben wir den Prozess der Probenahme

beim Kunden genauer untersucht. Tat-

sächlich hatte er die Probe durch einen

neuen Kunststoffschlauch gezogen, der

noch Spuren ölähnlicher Dämpfe ausgas-

te. Und genau die haben wir gefunden!“

Als die Druckluft dann direkt am Ventil

Kurz- oder Langzeitmessung. Die Kurz-

zeitmethode wird vor allem an Arbeitsplät-

zen bei Konzentrationen im ppm-Bereich

(parts per million: Teile je Million; Milli-

gramm je Kubikmeter) genutzt. Hierzu

wird das an beiden Enden verschmolzene

Glasröhrchen mit einem speziellen Werk-

zeug geöffnet, das ähnlich wie ein Blei-

stiftanspitzer funktioniert. Das Röhrchen

wird dann zur Probenahme in eine auto-

matische Pumpe (z. B. Dräger X-act 5000)

eingesetzt, die eine Durchleitung von defi-

nierten Luftmengen erlaubt. Anders ließe

sich später die Konzentration des Schad-

stoffs nicht berechnen.

Für die Langzeitmessung gibt es spe-

zielle Diffusionssammler, die an beiden

Enden mit Celluloseacetat verschlossen

sind. „Durch diese Filter“, so Rahn-Marx,

„diffundieren die Schadstoffe aus der

Umgebungsluft auf die Aktivkohle – Aus-

dünstungen von Lacken zum Beispiel.

Über die Messdauer können wir dann die

Konzentration ermitteln.“ Die ORSA-Diffu-

sionssammler werden mit einem Clip im

Raum oder etwa am Jackenkragen befes-

tigt. „Ist die Probe ordnungsgemäß gesam-

melt, schickt der Kunde sie nach Lübeck,

wo sie mit einer individuellen Nummer

erfasst und bei rund sechs Grad Celsius

gelagert wird – damit sie frisch bleibt und

sich in Gehalt wie Konzentration so gut wie

nicht ändert.“ Im nächsten Schritt werden

die Proben analysiert. Dazu wäscht man

die gesammelten Substanzen aus der Aktiv-

kohle und füllt eine definierte Menge die-

ser Flüssigkeit in kleine Glasbehälter, mit

denen die Analysegeräte bestückt werden.

Gaschromatografie mit Massenspektrome-

ter, Thermodesorption, Flüssigchromato-

„Das ist mitunter so, als wolle manfünf Menschen innerhalb der gesamten Erdbevölkerung finden“

>

Fotostrecke:So entsteht ein Dräger-Röhrchenwww.draeger.com/395/analyse

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Die Beiträge im Drägerheft informieren über Produkte und deren Anwendungs möglich-keiten im Allgemeinen. Sie haben nicht die Bedeutung, bestimmte Eigenschaften der Produkte oder deren Eignung für einen konkreten Einsatzzweck zuzusichern. Alle Fachkräfte werden aufge fordert, aus -schließlich ihre durch Aus- und

Fortbildung erworbenen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen anzuwenden. Die Ansichten, Meinungen und Äußerungen der namentlich genannten Personen sowie der externen Autoren, die in den Texten zum Ausdruck kommen, entsprechen nicht notwendi-gerweise der Auffassung der Dräger werk AG & Co. KGaA. Es handelt sich ausschließlich um die Meinung der jeweil igen Personen. Nicht alle Produkte, die in dieser Zeitschrift genannt wer den, sind weltweit erhältlich. Ausstattungs pakete können sich von Land zu Land unter schei den. Änderungen der Produkte bleiben vorbehalten. Die ak tuellen Informatio nen erhalten Sie bei Ihrer zuständigen Dräger-Vertretung. © Drägerwerk AG & Co. KGaA, 2014. Alle Rechte vorbehalten. Diese Veröffent lichung darf weder ganz noch teilweise ohne vorherige Zustimmung der Drägerwerk AG & Co. KGaA wiedergegeben werden, in einem Datensystem gespeichert oder in irgend-einer Form oder auf irgendeine Weise, weder elektro-nisch noch mechanisch, durch Fotokopie, Aufnahme oder andere Art übertragen werden.

Die Dräger Safety AG & Co. KGaA, Lübeck, istHersteller folgender Produkte: PSS 5000 (Seite 5), Probenahmen (Seite 48 ff.), X-act 5000 (Seite 50) sowie Interlock 7000. Die Dräger Medical GmbH, Lübeck, ist Hersteller des PulmoVista 500 (Seite 26), SmartSonar Sepsis (Seite 33 ff.) sowie des Intensive Care Managers (ICM; Seite 37) und Perseus A500 (Seite 47). Die Draeger Medical Systems, Inc. (Telford, USA), ist Hersteller der Inifinty Delta Monitore (Seite 16) und Innovian Solution Suite (Seite 37).

www.draeger.com

IMPRESSUMHerausgeber: Drägerwerk AG & Co. KGaA,Unternehmenskommunikation Anschrift der Redaktion: Moislinger Allee 53–55, 23558 Lübeck / [email protected], www.draeger.com Chefredaktion: Björn Wölke, Tel. +49 451 882 20 09, Fax +49 451 882 39 44 Redaktionelle Beratung: Nils Schiffhauer Artdirektion, Gestaltung, Bildredaktion und Koordination: Redaktion 4 GmbHSchlussredaktion: Lektornet GmbHDruck: Dräger+Wullenwever print+media Lübeck GmbH & Co. KG ISSN 1869-7275Sachnummer: 90 70 384

Die rotierenden Röhrchen werden

durch Gasflammen steigender Größe

verschmolzen

Im Chromatogramm zeichnen sich viele kleine und große Zacken ab, denen dann Substanzen zugeordnet werden

Im Gaschromatografen werden die Proben

nach allen Regeln der Kunst durchleuchtet

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52 DRÄGERHEFT 393 | 1 / 2013

EINBLICK ALKOHOL- INTERLOCKS

Warten oder starten?

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Das Interlock 7000 prüft, wie tief ein Fahrer ins Glas geschaut hat. Je nach Promillegrenze lässt sich die Zündung einschal-ten und der Motor starten oder eben nicht. Die atemalkohol-gesteuerte Wegfahrsperre besteht aus einem Handteil 1 und einer Steuereinheit 2 – optional sind ein GPRS-Modul und eine Kamera erhältlich.

Selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt ist das Gerät nach wenigen Sekunden einsatzbereit. Das biologisch abbau-bare Mundstück 3 ist beheizt, wie auch der Sensor im Innern des Handteils mit seinem farbigen Display 4 samt Benutzerfüh-rung (derzeit in 23 Sprachen). Pustet der Fahrer in das Mund-stück, leitet ein Balg die Atemprobe an den Sensor, ohne dass Speichel oder Essensreste darauf gelangen. Über die Öffnung 5 entweicht die Atemluft. Nach erfolgreicher Messung signalisie-ren farbige Leuchtdioden 6 parallel zu unterschiedlichen Signal-tönen den jeweiligen Status: Freigabe (grün), Nicht-Freigabe

(rot) oder die Aufforderung, den Test zu wiederholen (blau). Die Daten gelangen über ein Spiralkabel 7 zur Steuereinheit und werden dort verschlüsselt gespeichert. Die für alle Lichtverhält-nisse geeignete Infrarotkamera (mit biometrischer Gesichtserken-nung) stellt sicher, dass die Atemprobe ausschließlich vom Fahrer-sitz abgegeben wird. Aufnahmen während der Fahrt können einen möglichen Fahrerwechsel feststellen und gegebenenfalls Aktio-nen einleiten. Das GPRS-Modul eröffnet die Datenkommunika-tion mit einem Server über eine Mobilverbindung. Es enthält auch ein GPS-Modul zur Bestimmung des Standorts bei festge-legten Ereignissen, etwa einem Wiederholungstest. Das Modul kann zudem bestimmte Auffälligkeiten übertragen, die das Gerät erkennt. Entwickelt wurde das Interlock 7000 für den präventi-ven Einsatz in Lkw, Bussen und Taxen – aber auch für Teilneh-mer sogenannter Trunkenheitsfahrerprogramme mit ihren zum Teil sehr individuellen Vorgaben.

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Die Steuereinheit übernimmt die

Auswertung und einiges mehr

Handteil für die Bedienung und den Atemalkoholtest

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