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Papst Johannes Paul II.: Eine halbe Sünde, eine halbe Erlösung . G. GIANSANTI / SYGMA . Hungernde (in Somalia) „Leid gehört zum Leben“ . J. JONES / SYGMA . DEBATTE 48 DER SPIEGEL 28/1995 Kirche Moralismus und Zensur Eugen Drewermann über den neuen katholischen Erwachsenen-Katechismus ie Größe des Mannes aus Nazaret war es, daß er sich den Menschen D zuwandte, die in ihrer Not nicht ein noch aus wußten. Der neue Erwach- senen-Katechismus, den die deutschen katholischen Bischöfe jetzt vorgelegt ha- ben, weiß, daß es so ist (Seite 39), doch nur, um in allen Punkten das genaue Gegenteil zu lehren*: Da sind natürlich wiederverheiratete Geschiedene „eingeladen“ „zu Gottes- dienst“ und „Buße“, „in der Mitarbeit in der Gemeinde“, aber sie sind, selbstre- dend, nach wie vor „nicht zu den Sakra- menten zugelassen“ (Seite 351); da be- raubt künstliche Empfängnisverhütung „den ehelichen Akt seiner Öffnung auf die Fortpflanzung hin“ (Seite 369); da wird den Ärzten eine operative Sterilisa- tion untersagt, selbst wenn es darum geht, vorhersehbares psychisches und * Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.): „Leben aus dem Glauben – Katholischer Erwachsenen- Katechismus, Bd. 2“. U. a. Verlag Herder, Frei- burg; 512 Seiten; 29,80 Mark. physisches Leiden im Fall einer Schwan- gerschaft zu vermeiden (Seite 373). Da haben Homosexuelle bestenfalls die Chance, „die Schwierigkeiten, die ihnen aus ihrer Veranlagung erwachsen kön- nen, mit dem Kreuzesopfer des Herrn zu vereinen“ (Seite 387); da wird einem Frauenarzt, der zur relativ sicheren Empfängnisverhütung einer Frau eine Spirale einsetzt, „in sittlicher Hinsicht“ „die Absicht zur Tötung eines ungebo- renen Kindes“ unterstellt (Seite 289). Da sind Vergewaltigung, schwere Erbschäden eines Embryos, ja selbst die drohende Gefahr für das Leben der Mutter im Falle einer weiteren Geburt keine Gründe, einen Schwangerschafts- abbruch zu legitimieren (Seiten 290 bis 291); da ist Masturbation, ganz klar, ein „sittliches Fehlverhalten“ für „Jugendli- che“ (Seite 379) und der voreheliche Verkehr schlichtweg verboten; „auch Praktiken, bei denen im gegenseitigen Einvernehmen der Orgasmus gesucht, aber nur der letzte leibliche Kontakt nicht vollzogen wird, gehören nicht in den vorehelichen Raum“ (Seite 381). Oh: „Deine Sprache verrät dich!“ (Matthäus 26, 73). Da wird die Euthanasie als aktive Sterbehilfe, wenn ein Patient aus ein- sichtigen Gründen „darum bittet“, unter allen Umständen verboten (Seite 311), während die Todesstrafe aufgrund der Hilfe für Gläubige soll der neue Moralkatechismus bieten, den die deutschen Bischöfe Ende Juni vorgelegt haben. Der Ka- talog versteht sich als Leitfaden für die Katholiken in ethischen und ge- sellschaftlichen Fragen. Der katho- lische Theologe und Psychothera- peut Eugen Drewermann, 55, ge- hört seit Jahren zu den schärfsten Kritikern seiner Kirche.

Drewermann - Kathechismus

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Moralismus und ZensurEugen Drewermann über den neuen katholischen Erwachsenen-Katechismus

Papst Johannes Paul II.: Eine halbe Sünde, eine halbe Erlösung

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ie Größe des Mannes aus Nazawar es, daß er sich denMenschenD zuwandte, die in ihrer Notnicht

ein noch aus wußten. DerneueErwach-senen-Katechismus, den die deutsckatholischenBischöfejetzt vorgelegt haben,weiß, daß es so ist (Seite 39), donur, um in allen Punkten das genauGegenteil zu lehren*:

Da sind natürlichwiederverheiratetGeschiedene „eingeladen“ „zu Gottedienst“ und „Buße“, „in derMitarbeit inder Gemeinde“, aber siesind, selbstredend,nach wie vor „nicht zu den Sakramentenzugelassen“ (Seite 351); da braubt künstliche Empfängnisverhütung„den ehelichen Akt seiner Öffnung adie Fortpflanzung hin“ (Seite 369); dwird den Ärzten eine operativeSterilisa-tion untersagt,selbst wenn es darumgeht, vorhersehbarespsychisches un

* Deutsche Bischofskonferenz (Hrsg.): „Lebenaus dem Glauben – Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Bd. 2“. U. a. Verlag Herder, Frei-burg; 512 Seiten; 29,80 Mark.

48 DER SPIEGEL 28/1995

physischesLeiden imFall einerSchwan-gerschaft zuvermeiden (Seite 373). Dhaben Homosexuelle bestenfalls dieChance, „dieSchwierigkeiten, dieihnenaus ihrer Veranlagung erwachsen könen, mit demKreuzesopfer desHerrnzu vereinen“ (Seite 387); dawird einemFrauenarzt, der zurrelativ sicherenEmpfängnisverhütung einer Frau eineSpirale einsetzt, „insittlicher Hinsicht“

„die Absicht zur Tötung eines ungebrenenKindes“ unterstellt (Seite 289).

Da sind Vergewaltigung, schweErbschädeneinesEmbryos, jaselbst diedrohende Gefahr für das Leben dMutter im Falle einer weiterenGeburtkeine Gründe, einenSchwangerschaftsabbruch zulegitimieren (Seiten 290 bi291); da ist Masturbation,ganzklar, ein„sittliches Fehlverhalten“ für „Jugendli-che“ (Seite 379) und der vorehelichVerkehr schlichtweg verboten; „auchPraktiken, bei denen imgegenseitigenEinvernehmen der Orgasmusgesucht,aber nur derletzte leibliche Kontaktnicht vollzogenwird, gehören nicht inden vorehelichenRaum“ (Seite 381).

Oh: „Deine Sprache verrätdich!“(Matthäus 26, 73).

Da wird die Euthanasie alsaktiveSterbehilfe, wenn ein Patient ausein-sichtigen Gründen „darum bittet“, unteallen Umständen verboten (Seite 311),während dieTodesstrafe aufgrund de

Hilfe für Gläubigesoll der neue Moralkatechismusbieten, den die deutschen BischöfeEnde Juni vorgelegt haben. Der Ka-talog versteht sich als Leitfaden fürdie Katholiken in ethischen und ge-sellschaftlichen Fragen. Der katho-lische Theologe und Psychothera-peut Eugen Drewermann, 55, ge-hört seit Jahren zu den schärfstenKritikern seiner Kirche.

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„christlichen Tradition“ (!), mit Wennund Aber zwar, dann aberdoch als„Recht desStaates“ „nichtausgeschlossen“ wird (Seite 285).

Da wird das „Problem der Überbevökerung“zwargesehen,aber „erlaubt“ istim KampfgegenHunger und Not nur dieFormel: „Weniger Menschen durch wniger Armut, nicht: Weniger Armutdurchweniger Menschen“ (Seite 425).

500 Jahrenach Luthers Rechtfertgungslehre wirdhier dieHilflosigkeit undTragik des Menschen im Feld der Angin keinem Punkte weder verstandennochdurchgearbeitet, sondern manbleibt un-gerührt bei dem alten tridentinischeMischmasch: ein bißchen „Gnade“, einbißchen Trübung der Freiheit,aber danndas Gesetz!Einehalbe „Sünde“, einehal-be „Erlösung“ – die ganze römische Kiche.

Klar, daß untersolchen Voraussetzungen der gemeinsame Empfang dAbendmahls von Katholiken und Protstantenselbst in Mischehennach wie vorausdrücklich verbotenbleibt (Seite 226)Tatsächlich, dieser Katechismus istwirk-lich einBeitrag zurÖkumene in „vertrau-endem Glauben“,allerdings nicht zu demGott, denJesus uns bringen wollte,wohlaber zur römischenZentrale; diewill esanders.

Doch das, natürlich, darf man nicht zugeben. „Dusollstnicht lügen!“ Dasstehtauch in diesem Katechismus.Aber be-reits die Vorstellung dieses Buches amJuni in Mainz durch Bischof Karl Leh-mannlief auf eine Lüge hinaus. DerVati-kan habe bei derAbfassung dieser neuelichen Selbstdarstellung desdeutschenKatholizismuskeinen Einflußausgeübterklärte der Vorsitzende der DeutschBischofskonferenz. Tatsacheist: DerText war bereits „approbiert“, als er arömische Weisung hinnoch einmal überarbeitet werdenmußte. DasResultat läßsichStelle um Stelle mit Händengreifen.

Jahraus,jahrein zumBeispiel hat mandie deutschen Katholiken in der Frader künstlichen Empfängnisverhütungvertröstet mit der sogenannten König-steinerErklärung von1968 – da werde jahieß es, dasRecht auf diepersönliche Ge-wissensentscheidungbetont.

Doch so viel Gottvertrauen in deMenschenkann unter JohannesPaul II.natürlich nicht gepflegt werden. DerPapstmahnt, was der neueKatechismusjetzt pflichtschuldigst zurendgültigenKlarstellung zu zitierenhat, nämlich,„daß die Eheleute vorallem dieLehre derEnzyklika ,Humanaevitae‘ als normativfür die Ausübung derGeschlechtlichkeit“ klar anerkennen.Also! Moralismusund Kirchenzensur statt Erlösungslehreund Menschlichkeit, das ist die BilanjahrhundertealterdogmatischerVerhär-tung.

Am schlimmsten von allemaber: Ausden WortenJesuwird unterdiesen Um-

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ständennichts als ein moralisches Suplus, dessen Inhalternstlich einzuhaltediese Kirche durchaus nicht nötighat.

Jesus zum Beispielverbietet den Eid(Matthäus 5, 36 f); er ist für den Manaus Nazaretnichts als dieBestätigungder allgemeinen Verlogenheit, der mnicht entrinnt, indem man einerechtli-che Ausnahmestrafweiser Wahrheits

Versuchstier AffeIrrsinnige Quälereien nicht einmal erwähnt

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Mythische Formeln amRand fundamentalistischen

Aberglaubens

verpflichtung schafft unddazuGott sel-ber, denUrsprung des Vertrauens, in enen obersten Büttel der Erziehung dBürgers verwandelt. Wie ist es möglich,einen Menscheninnerlich mit sich iden-tisch werden zulassen, so daß er zWahrhaftigkeit imstandeist? Das wardie Frage Jesu, und das müßte die Freines Erwachsenen-KatechismusJahre1995sein.

Aber wieauch?Jesus hat sich,erklärtunverfroren dieser Katechismus, g„nicht gegen dasSchwören alssolches,sondern (nur)gegen dieUnsitte des unnötigen, leichtfertigenSchwörens“ aus-gesprochen (Seite 198). „Erlösung“ desMenschen, Erneuerung derKirche –hier werden sie zur Farce.

Sowenigdieser Katechismus es nöthat, die Anregungen von Reformatiound Humanismusaufzugreifen undwei-terzuführen, sosehr zeigt er sichauchaußerstande, die Erkenntnisse modner Anthropologie,Psychoanalyse unVerhaltensforschung zu würdigen.

Das Menschenbild dieser Kirche rduziert den Menschen immer noch aVerstand,Willen und Affekt – PlatonsLehre von derEinteilung der Gesellschaft in „Lehrstand, Wehrstand unNährstand“bildet da das Modell (Seit69), nicht etwa SigmundFreuds Topologie der Psyche aus Über-Ich, Ich undEs; und das aus gutemGrunde:

Würde der Katechismus diesechsSiebtel der menschlichen Psyche, dieUnbewußtenliegen,anerkennen, so wäre es ihm definitiv unmöglich, auf sleichtfertige Weise vom Scheitern dEhe zu reden (Seite 350)oder diedring-lichenFragen vonSuizid (Seite 283) undEuthanasie (Seite 308) mit Trivialitätenabzutunwie: „Krankheit,Leid und Hin-fälligkeit gehören zuunserem Leben(Seite 311). Die gesamte Psychodynmik im Antriebserleben undMotivati-onsgeschehen menschlichenVerhaltensist diesem Katechismusunbekannt.

Und ebenso dieSoziologie. Von de„Polygamie“ weiß man dagerade nochdaß sie in Israel „am Anfang durchaupraktiziert wurde (Seite 348). Dannaber: basta! Eine Relativierung des(patriarchal geformten) monogam

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Modells der Ehe wäre nach MeinundiesesErwachsenen-Katechismus fürnen kirchentreuen deutschenKatholi-ken offensichtlich zuverwirrend. Einesolche Diskussion,immerhin, könnteGründe für die Schwierigkeiten der Liebe unter demIdeal der Monogamie imAbendland erkennbar machen. Unbkannt ist dem Katechismus auch diVerhaltensforschung. Es ist für dieArt von Theologie immer nochnichtmöglich, evolutiv zu denken, CharlesDarwin in ihre Vorstellung von der„Mitgeschöpflichkeit“ der Tiere (Seite302) zu integrieren und die moralischKonsequenzen daraus zu ziehen.

Eine Ethik, die denTieren zugestehdaß sie Gefühle habenanalog zu denGefühlen des Menschen, müßteverlan-gen, daß man mit den Tierenanalog wie

mit Menschen umgeht. Stattdessen erklärt der Katechismus: „Gott hat dieWelt durch seinen Sohnneugeschaffen(Seite 333), und miteiner solchen my-thischenFormel amRandeeines fundamentalistischenAberglaubens, derBil-der für das Selbstverständnis desMen-schen mit Aussagen über dieWirklich-keit der Natur verwechselt,soll da eineverantwortbare Umweltethik begründetwerden.

Es ist, gemessen an der bisherigeneingeschränkten Anthropozentrik, eingewisserFortschritt, wenn hier,immer-hin, von einem „Eigenwert auch denichtmenschlichen Schöpfung“ gesprchen wird;dann aber werdendoch wie-der Tierversuche gerechtfertigt (Se

335), dann werden dieirrsinnigen Quä-lereien von Milliarden Tieren in denMassenzuchtanstalten der Agrarindstrie mit keinem Wort erwähnt, dannkommt das Projekteines religiös be-gründetenVegetarismus gar nicht erstFrage.

Nein, dieser Katechismus ist ein Dokument derUnaufrichtigkeit. Er ist esselbstdort, wo er überfällige Korrektu-ren im Detail, endlich, nachJahrhun-derten der Abwehr,zugesteht.

Auch die Kirche heute zumBeispielist für Gewissensfreiheit und Pressefrheit (Seite 463),heißt es. Wasaber istmit der Meinungspluralität in der Kirchselber? Was mit der Vernichtung dfreien Journalismus und eines freiVerlagswesens in der Kirche? Ehrlickeit, weiß Gott, ist nicht die Stärke de

Gedankenkolonie des römischenKatholizismus inDeutschland.

Ein letztes Beispiel: Wehrdiensverweigerung. ImJahre1995,end-lich, stellt auch der ErwachseneKatechismus fest, daß mandenen,die das befohlene Töten von Meschen im Kriegeprinzipiell ableh-nen,nicht vonvornherein ein „irri-ges Gewissen“ unterstellendarf.Wie aber war es1956, als vomBun-destag dasRecht aufWehrdienst-verweigerung aus Gewissensgrüden in einer heftigenDebattegegenden ausdrücklichen Willen von PiusXII. und denkatholischenBischö-fen anerkannt wurde?

Die Adenauer-Politik zu unterstützenund, wie in denPredigtenzwischen1941 und1945, gegen deatheistischen Bolschewismus bhin zur Rechtfertigung desAtom-kriegs mobil zumachen,nicht aberdie Gewissensfreiheitanzuerken-nen war seinerzeit das Ziel der ktholischen „Moraltheologie“ – undjetzt?

Sehr zuRecht betont derKate-chismus denGewaltverzicht deBergpredigt (Seite 326) undtritt füreineKriegsächtungein; dann aberformuliert er doch wieder die Prin

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zipien zum „gerechten Krieg“ und zum„Verteidigungsrecht“ (Seiten 322 b323) – ein Widerspruch, derlogischnichtzu lösen ist.

Wie aber wäre es, dieKirche würde andieser Stelle (ebenso wie anvielenande-ren) ihre Hilflosigkeit eingestehen undaraussogar ein Prinzip derErkenntnisentwickeln, nämlich, daß dieWirklich-keit zu komplex ist, um einfachen Lösun-gen in der Schwarzweißmalerei vo„Sünde“ und „Tugend“, von „Gut“ und„Böse“ zugänglich zusein?

Es wäre das Ende desVersuchs, davierteGebot: „DusollstVater undMut-ter ehren“,allen Ernstes auf die Anerkennung der Autorität inKirche undStaat (Seiten 229 ff)anzuwenden. Y