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Die ersten vier Jahre seines Lebens verbringt Buck, eineMischung aus Bernhardiner und Schäferhund, auf einerFarm in Kalifornien. Doch eines Tages wird er seinemHerrn gestohlen, und landet als Schlittenhund inAlaska. Rasch erkennt Buck, daß hier andere Gesetzegelten als im sonnigen Süden. Entschlossen nimmt erden Kampf ums Überleben auf. Schläge und Mißhand-lungen der häufig wechselnden Besitzer vermögen sei-nen Stolz nicht zu brechen, und bald wird er zumFührer der Meute. Die Instinkte seiner Vorfahren, derWölfe, erwachen wieder in ihm, und nur die Liebe zuseinem letzten Herrn, dem er zweimal das Leben rettet,hält ihn davon ab, dem Ruf der Wildnis zu folgen. Erstnach dessen gewaltsamen Tod ist dieser Weg frei.Jack Londons realistische Beschreibung des Zusam-menlebens von Menschen und Tieren unter extremstenBedingungen erschien 1903 und wurde zum Aben-teuer-Klassiker der Weltliteratur, zur Lektüre für jungund alt.

Jack London, geboren 1876 in San Francisco, wuchs inärmlichen Verhältnissen auf und schlug sich zunächstals Fabrikarbeiter, Austernpirat, Landstreicher undSeemann durch. Später holte er das Abitur nach undbegann zu studieren. Doch bald zog es ihn als Gold-sucher nach Alaska. Danach lebte er monatelang imElendsviertel von London und geriet als Korrespon-dent im Russisch-Japanischen Krieg in Gefangenschaft.Mit knapp vierzig Jahren starb er 1916 auf seinerRanch Glenn Ellen an Nierenversagen.

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jack London

Der Ruf der Wildnis

Roman

Deutsch von Franz Mairhofer

Deutscher Taschenbuch Verlag

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Von Jack Londonsind im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen:

Lockruf des Goldes (871)König Alkohol ( 8 99)

Wolfsblut (1298)

Der Seewolf (20892)

Titel der Originalausgabe:>The Call of the Wild<

(New York 1903)

Juli 198o

14. Auflage Oktober 2007

Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG,München

Lizenzausgabe mit freundlicher Genehmigung desRudolf Trauner Verlags, Linz

Umschlagkonzept: Balk & BrumshagenUmschlagbild: Ausschnitt des Aquarells

>Canoe in the Rapids< (r 897) von Winslow HomerGesamtherstellung: Druckerei C. H. Beck, NördlingenGedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier

Printed in Germany • ISBN 978-3-423-12739-4

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Inhalt

In die Wildnis........................... 7

Das Recht des Stärkeren ................... 20

Das wilde Tier .......................... 32

Der Sieger ............................. 48Die Schrecken des langen Pfades ..............fa des ............. 559Um die Liebe eines Menschen.................

enschen ............... 76

Der Ruf ertönt .......................... 90

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In die Wildnis

Buck las keine Zeitung, sonst hätte er gewußt, daß sichUnheil zusammenbraute, nicht nur für ihn selbst,sondern für jeden Hund, der starke Muskeln und

langes, dichtes Haar hatte. Die Menschen hatten sich indie arktische Dunkelheit vorgewagt und ein gelbesMetall gefunden; und seitdem Schiffs- und Eisenbahn-gesellschaften begannen, auch diese öden Gegenden zuerschließen, zog es Tausende von Männern in das

Nordland. Und diese Männer brauchten Hunde,Hunde mit kräftigen Knochen und dichtem Haar, dieauch bei der bittersten Kälte den größten Anstrengun-gen gewachsen waren.

Bucks Heimat war ein großes Haus im sonnen-durchfluteten Tal von Santa Clara. Es lag ein wenigabseits der Straße, halb versteckt unter Bäumen, durchdie man die luftige Veranda sehen konnte, die rings umdas stattliche Haus lief. Zwischen grünen Rasenflächenführte ein kiesbestreuter Weg gerade darauf zu. Hinterdem Haus lagen die weinumrankten Wohnungen derDienerschaft, die Wirtschaftsgebäude und große Pfer-destallungen, langgestreckte Laubengänge, Obstgärten

und daran anschließend ausgedehnte Weideplätze. Es

gab eine Pumpanlage für den Springbrunnen und ein

großes Wasserbecken, in dem die Söhne des Farmersihr Morgenbad nahmen oder sich an heißen Nachmit-tagen abkühlten.

Und über dieses große Reich herrschte Buck. Hierwurde er geboren, und hier verbrachte er die ersten vierJahre seines Lebens. Freilich, es gab auf Millers Farm

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noch andere Hunde, wie es sich für einen so großzügi-gen Betrieb schickte, aber sie zählten nicht viel. Siekamen und gingen, bevölkerten die Zwinger oderhielten sich im Haus auf, wie Toot, der dicke japanischeMops, oder Bella, der winzigkleine mexikanische

Pinscher, seltsame Wesen, die kaum ihre Nasen zur Türheraussteckten. Miller besaß auch noch etwa zwanzig

Terrier, eine freche Gesellschaft, die drohend kläffte,sobald sie Toot und Bella am Fenster erblickte. Sietrieben es manchmal so arg, daß die Dienstmädchen

sich mit Besenstielen bewaffneten und eingriffen, umOrdnung zu schaffen.

Buck aber war weder ein Haus- noch ein Ketten-hund. Er war der Herr des ganzen Reiches. Erschwamm mit den Söhnen des Pflanzers im Wasserbek-ken oder ging mit ihnen auf die Jagd. Er begleiteteMollie und Alice, die beiden Töchter, auf ihren langenStreifzügen, und an den Winterabenden lag er zuMillers Füßen vor dem lodernden Kaminfeuer derBibliothek. Er ließ die Enkelkinder auf seinem breitenRücken reiten, balgte sich mit ihnen im Gras herumoder behütete ihre Schritte auf den Entdeckungsreisen

durch die Ställe, den Park und die Obstgärten. Mit den

Allüren eines Königs schritt er durch die Meute deranderen Hunde, und die beiden Schoßhündchen be-achtete er überhaupt nicht, er, der Herrscher über alles.

Schon sein Vater Elmo, ein riesiger Bernhardiner,war der unzertrennliche Gefährte seines Herrn gewe-sen, und Buck versprach, seinem Vater in allen Dingennachzugeraten. So groß wie er war er freilich nicht — erwog nur hundertvierzig Pfund —, denn seine Mutterwar eine schottische Schäferhündin gewesen. Aber seinstolzes, würdevolles Benehmen glich die fehlende

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Größe aus, und wenn er so mit erhobenem Hauptherumstolzierte, war jeder Zoll an ihm adelig.

Und in der Tat, die ersten vier Jahre seines Lebens, erbrachte er wie ein Edelmann. Trotzdem wurde aus

ihm kein verzärtelter Haushund, dafür sorgten die Jagdund andere Spiele im Freien, die ihn nicht nur davorbewahrten, Fett anzusetzen, sondern ihm auch zukräftigen Muskeln verhalfen.

So war die Lage, als im Herbst des Jahres 1897 diegroßen Goldfunde in Klondike Männer aus allenLändern der Welt nach dem Norden lockten. Da aber

Buck, wie gesagt, keine Zeitung las, so erfuhr er von

alldem nicht das geringste. Leider wußte er auch nicht,

daß Manuel, der Gärtnergehilfe, keine sehr wünschens-werte Bekanntschaft für ihn war. Manuel hatte eineschlechte Eigenschaft: er spielte. Und da er nach einembestimmten System spielte, das selten gewann,brauchte er Geld, viel Geld, und sein Lohn alsHilfsgärtner reichte nie aus.

Ein Abend, an dem sein Herr einer Versammlungbeiwohnte und die Söhne die Gründung eines Sport-klubs berieten, wurde Buck zum Verhängnis. Niemand

hörte, wie Manuel Buck zu sich rief, und kein Menschbemerkte es, wie er mit ihm über die Felder ging, alswollte er einen kleinen Spaziergang unternehmen.Auch Buck glaubte an nichts anderes. Ebensowenig sah

es jemand, daß aus dem Schatten des kleinen Bahnhofs-

gebäudes ein Mann hervortrat, mit Manuel einigeWorte wechselte und ihm Geld in die Hand drückte.

»Du hättest die Ware gleich anständig verpackenkönnen«, brummte der Mann mürrisch. Manuel zogeinen festen Strick aus der Tasche und legte ihn Buckum den Hals.

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»Zieh nur fest an, dann wird ihm der Atem schonausgehen«, riet Manuel, und der Unbekannte grinstezustimmend.

Buck hatte alles mit ruhiger Würde über sichergehen lassen. Recht war es ihm freilich nicht, aber erhatte gelernt, den Menschen zu vertrauen und ihnenKenntnisse zuzubilligen, die seine eigenen übertrafen.Als jedoch Manuel die Enden des Strickes in die Hände

des Fremden legte, knurrte er drohend. Er wollte damitbloß sein Mißfallen zum Ausdruck bringen, weiter

nichts. Er wollte nur zeigen, daß er mit fremden Leutennichts zu tun haben mochte. Doch zu seinem peinli-chen Erstaunen schnürte sich der Strick um seinen Halszusammen und raubte ihm den Atem. Wütend spranger den Mann an, der aber packte ihn an der Gurgel undwarf ihn zu Boden. Buck zerrte verzweifelt an demStrick, vergebens, immer fester zog sich die Schlingeum seinen Hals zusammen, seine Zunge hing weitheraus, und die mächtige Brust hob und senkte sichkeuchend. Nie in seinem Leben war ei- so niederträch-tig behandelt worden, und noch niemals hatte er einesolche Wut gefühlt. Aber seine Kraft ließ nach, und

seine Augen wurden glasig. Er sah nicht mehr, daß der

Zug kam und anhielt, und er spürte nicht, daß man ihn

in den Gepäckwagen warf.Als er wieder zu sich kam, fühlte er ein sonderbares

Rütteln. Der heisere Pfiff einer Lokomotive sagte ihm,wo er war, denn er hatte schon öfters mit seinem Herrn

Reisen unternommen und er kannte auch das Rüttelnund Schütteln in einem Gepäckwagen. Buck öffnetelangsam seine Augen und sah um sich mit dem zornigenBlick eines geraubten Königs. Der Mann neben ihm

griff hastig nach dem Strick, aber Buck war schneller als

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er. Seine Zähne gruben sich tief in die Hand des Mannesein und ließen sie erst wieder los, als die Schlinge ihm

erneut die Besinnung raubte.»Er hat Anfälle!« sagte der Mann und verbarg seine

verletzte Hand vor dem Wagenmeister, der durch denLärm des Kampfes aufmerksam geworden war. »Ichbring' ihn im Auftrag seines Herrn nach Frisco. DerNarr von einem Hundedoktor dort glaubt, er könneihn kurieren. Lumpige fünfzig kriege ich dafür nebender Fahrt. Ich würd's kein zweites Mal machen, nichtfür fünfhundert!«

Er umwickelte seine Hand mit einem schmutzigen

Taschentuch und sah mit Bedauern auf seine bis zu denKnien aufgeschlitzte Hose hinab.

»Wenn nur keine Tollwut daraus wird!« meinte erängstlich.

»Wird schon nicht«, lachte der Wagenmeister, »aber

nun los, wir können den Hund hier nicht liegen las-sen. «

Halb betäubt durch den unerträglichen würgendenSchmerz in der Kehle versuchte Buck trotzdem, sichseinen Peinigern entgegenzustellen, aber er wurdeniedergeworfen und in einen käfigähnlichen Verschlaggestoßen, nachdem man den Strick von seinem Halsgelöst hatte.

Hier lag er nun für den Rest der Nacht, geladen mit

Groll und verletztem Stolz. Er konnte nicht verstehen,was das alles bedeuten sollte. Was hatten sie mit ihmvor, diese fremden Männer? Warum hielten sie ihn indiesem Käfig eingeschlossen? Er fühlte dumpf, daß ihm

ein großes Unglück bevorstand. Jedesmal wenn die

große Schiebetür in ihren Angeln kreischte, glaubte er,daß sein Herr oder dessen Kinder hereintreten würden.

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Aber stets war es nur das aufgedunsene Gesicht des

Wagenmeisters, der ihn im flackernden Schein derLaterne anstarrte, und sein freudiges Bellen verwandel-te sich jedesmal in ein wildes Knurren.

Erst bei Morgengrauen hielt der Zug, und vier

Männer stiegen ein, zerrissene und ungepflegte Kerle.Noch mehr Quälgeister, dachte Buck und sprang

wütend gegen die Latten des Verschlages, aber sielachten nur, steckten ihre Stöcke in den Käfig undstießen nach ihm. Er schnappte nach ihren Prügeln, bis

er daraufkam, daß es gerade das war, worauf siewarteten, und daß sie daran ihren Spaß hatten.

Da legte er sich trotzig nieder, und als die Männerden Käfig aufhoben und forttrugen, wehrte er sichnicht mehr. Nach vielen Stunden, es war schon Abend,brachte man ihn auf ein Fährboot, das einen Flußübersetzte, von dort verlud man ihn wieder in denGepäckwagen eines Schnellzuges, wo er zwischenvielen Kisten und Koffern verstaut wurde. Zwei Tageund zwei Nächte dauerte die Fahrt im Schnellzug, undzwei Tage und zwei Nächte erhielt Buck weder zufressen noch zu trinken. In seiner Verzweiflung hatte er

die ersten Annäherungsversuche der Bahnangestellten

mit bösem Knurren beantwortet, und sie vergalten esihm mit Spott und schlechter Pflege. Wenn er sich

bebend und schäumend vor Wut gegen die Stangenwarf, lachten sie ihn aus und reizten ihn. Sie bellten wie

elende Hunde oder miauten wie Katzen, schlugen mitden Armen und krähten. Buck wußte, daß sie ihn mitdiesen Albernheiten nur reizen wollten, aber geradedeshalb fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt, und seinhilfloser Zorn wuchs und wuchs. Der Hunger wärenoch zu ertragen gewesen, aber er litt unter dem

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quälenden Durst. Seine geschundene, aufgeschwolleneZunge entzündete sich, und Fieber schüttelte ihn.

Eines aber tröstete ihn: Der Strick von seinemNacken war weg! Der Strick hatte seinen Feinden einenunfairen Vorteil verschafft, jetzt aber, da er weg war,würde er es ihnen allen zeigen!

In diesen zwei Tagen und Nächten, in denen ernichts zu fressen und nichts zu trinken erhielt, sammel-te sich ein dumpfer, wilder Zorn in ihm an, der zum

Ausbruch kommen mußte und jenem, der ihm alserster gegenübertrat, Unheil verhieß. Seine Augen

wurden blutunterlaufen, und er verwandelte sich in

einen rasenden Bösewicht. So sehr verändert sah er aus,

daß selbst sein Herr ihn nicht wiedererkannt hätte.Die Bediensteten waren froh und atmeten erleich-

tert auf, als er am Morgen des dritten Tages in Seattleausgeladen wurde. Vier Männer trugen den Holzver-schlag behutsam in einen von hohen Mauern umgebe-nen Hinterhof. Ein kräftiger, untersetzter Mann ineinem roten, am Hals etwas zu weiten Sweater kamihnen entgegen, nahm den Leuten den Frachtschein abund bestätigte den Empfang. Und Buck fühlte, daßdieser Mann der nächste Peiniger war. Mit gesträubtenRückenhaaren warf er sich gegen die Latten seinesGefängnisses. Der Mann lächelte nur höhnisch undholte ein Beil und einen starken Stock.

»Ihr wollt ihn doch nicht etwa herauslassen ?« fragteeiner der Männer.

»Gewiß !« entgegnete der Rote und trieb das Beil indie Kiste, um eine Dffnung zu schaffen.

Im Nu war der Platz wie leergefegt. Von einer hohen

Mauer aus warteten die Zuschauer neugierig auf daskommende Schauspiel.

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Buck stürzte sich auf das splitternde Holz undverbiß sich darin. Sooft die Axt eine Latte losgelösthatte, versuchte er den Mann anzugehen, der ruhigweiterarbeitete, bis die Öffnung groß genug war.

»Heraus mit dir, du rotäugiger Teufel!« rief er, ließdas Beil fallen und faßte den Stock mit der rechten

Hand.Wahrhaftig, Buck sah wie ein Teufel aus, als er, die

Haare gesträubt, Schaum vor dem Mund und ein irres

Leuchten in seinen blutunterlaufenen Augen, zum

Sprung ansetzte. Pfeilgerade schnellte er seine mit Haßund Leidenschaft vollgestopften hundertvierzig Pfund

gegen seinen Widersacher. Mitten im Sprung, geradeals er seine gewaltigen Zähne in den Hals des Mannesverbeißen wollte, erhielt er einen Schlag, wie er ihnnoch nie gefühlt hatte. Seine Kiefer schlossen sichknirschend, er taumelte und fiel auf den Rücken. Nochnie in seinem Leben hatte ihn jemand mit einemKnüppel niedergeschlagen, er verstand nicht, was mitihm geschehen war. Mit einem Aufheulen, das eherdem Fauchen eines Raubtieres als dem Bellen einesHundes glich, sprang er auf und griff wieder an. Nocheinmal traf ihn dieser entsetzliche Schlag, der ihnniederwarf, und er wußte nun, daß es der Knüppel war,aber seine Raserei ließ ihn jede Vorsicht vergessen. Eindutzendmal noch setzte er zum Angriff an, und

ebensooft schmetterte ihn der Stock zu Boden.

Nach einem besonders kräftigen Schlag erhob er

sich mühsam, zu betäubt, um nochmals zu springen. Ertaumelte kraftlos umher, Blut floß aus Nase, Maul undOhren, und sein schönes Fell wurde mit blutigemGeifer besudelt. Der Rote kam näher und versetzte ihmwohlüberlegt einen furchtbaren Hieb auf die Schnauze.

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Alles, was Buck bisher erduldet hatte, war nichts imVergleich zu der ausgesuchten Pein dieses Schlages. Miteinem fast löwenähnlichen Aufbrüllen warf er sichwieder auf den Mann. Der Rote ließ den Stock fallen,packte den Hund mit beiden Händen kaltblütig amUnterkiefer und schleuderte ihn hin und her und warfihn mit solcher Gewalt auf die Erde, daß Buckbewußtlos liegenblieb.

Von der Mauer her ertönte Beifall.

»Zum Donnerwetter, der versteht sein Geschäft !«schrie einer der Männer enthusiastisch.

Buck kam bald wieder zu sich, aber er hatte keineKraft mehr. Er blieb liegen, wo er niedergefallen war,und belauerte den Mann mit dem roten Sweater, dernun einen Brief in der Hand hielt und ihn aufmerksamdurchlas.

»Hört auf den Namen Buck«, murmelte er halblautvor sich hin, faltete das Schreiben zusammen und ließ esin seiner Tasche verschwinden.

»Also Buck heißt du, alter Knabe«, fuhr er mitfreundlicher Stimme fort, »wir haben unseren kleinenAuftritt gehabt, und das beste, was wir tun können, ist,es dabei zu belassen. Du kennst nun deinen Platz, undich kenne meinen. Sei ein braver Hund, dann ist alles inOrdnung. Bist du ein böser Hund, dann räum' ich dirdas Wilde 'runter. Verstanden ?«

Er tätschelte beim Sprechen furchtlos den Schädel,

auf den er so mitleidlos eingehämmert hatte. Bucks

Haare sträubten sich zwar bei der Berührung durch sei-

nen Peiniger, er blieb aber still liegen und trank auch das

Wasser, das ihm der Mann hinstellte, und verschlang

gierig die Fleischstücke, die ihm die Hand reichte,die vordem so erbarmungslos zugeschlagen hatte.

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Er war besiegt, das wußte er, aber sein Stolz warnicht gebrochen. Er hatte gelernt, daß er gegen einenMann mit einem Stock nichts ausrichten konnte, und ersollte diese Lehre sein ganzes Leben nicht vergessen.

Die Tage vergingen, und immer mehr Hunde

bevölkerten den kleinen, mit Mauern umgebenen Hof.

Manche kamen wie er in Käfigen an, andere wurden ander Leine geführt, manche zahm und ergeben, manche

rasend und heulend wie er, aber alle mußten sich derHerrschaft des Mannes im roten Sweater beugen.Jedesmal wenn Buck bei einem dieser brutalen Schau-

spiele zusah, wurde ihm die Lehre eingehämmert:Ein Mann mit einem Prügel ist ein Gesetzgeber, einHerr, dem man gehorchen muß, dem man aber nichtzu schmeicheln braucht. Dieser Charakterschwächemachte sich Buck nie schuldig, obwohl es besiegteHunde gab, die den Mann umwarben, mit demSchwanz wedelten und seine Hand leckten. Aber Bucksah auch einen Hund, der sich nicht unterwerfen wollteund der schließlich im Kampf mit dem Mann um dieOberhand erschlagen wurde_

Dann und wann kamen auch Männer, Fremde, die

erregt und in allen möglichen Sprachen auf den Mannim roten Sweater einredeten. Und jedesmal wenn Geld

in seine Hand gedrückt wurde, nahmen die Fremden

einen oder mehrere Hunde mit. Keiner von ihnen

kehrte wieder zurück, und Buck hätte nur zu gerne

wissen wollen, wohin man sie führte. Dennoch freute

er sich jedesmal, wenn nicht er an die Reihe kam, denner hatte Furcht vor einer Zukunft, die nichts Gutesverhieß.

Aber auch seine Zeit kam, und zwar in der Gestalteines kleinen, dürren Mannes, dessen Englisch kaum

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verständlich war und der mit Ausdrücken herumwarf,die Buck gänzlich unbekannt waren.

»Gott verdamm mich !« schrie er, als er Buck zuGesicht bekam, »das ist eine feine Riesenhund. Wievielkostet er?«

»Dreihundert, und geschenkt ist er!« war die

prompte Antwort des Roten. »Seid nicht schäbig,

Perrault! Es geht nicht aus Eurer Tasche und ist

obendrein ein gutes Geschäft.«

Perrault grinste. Die Hundepreise waren durch die

ungewöhnliche Nachfrage in die Höhe geschnellt, unddreihundert waren keine übermäßige Summe für ein soschönes Tier. Bei diesem Handel war die kanadischeRegierung kein Verlierer und ihre Kuriere würden umso schneller vorwärtskommen. Perrault verstand etwasvon Hunden, und als er Buck anschaute, wußte er, daßer der Beste unter Tausenden war. »Einer unterZehntausenden«, wiederholte er bei sich.

Wieder erhielt der Rote Geld in die Hand gedrückt,und Buck war gar nicht erstaunt, als Curly, einegutmütige Neufundländerin, und er von dem kleinen,mageren Mann weggeführt wurden. Er sollte den Mannmit dem roten Sweater niemals wiedersehen, und als ervom Deck der »Narwhal« auf das entschwindendeSeattle blickte, nahm er auch von dem sonnigen Südenfür immer Abschied.

Perrault schaffte die beiden Hunde ins Zwischen-

deck und übergab sie dort einem schwarzhaarigenRiesen, der Frantois hieß. Perrault war dunkelhäutig,

aber Fran^ois, ein Halbblut, war noch dunkelhäutiger,beinahe schwarz. Es war eine neue Art von Menschenfür Buck, und er sollte noch viele ihrer Art kennenler-nen. Er empfand für sie keine besondere Zuneigung,

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aber er lernte sie schätzen. Er erkannte bald, daßPerrault und Fran^ois richtige Männer waren, beson-nen und gerecht und zu erfahren mit den Schlichen der

Hunde, um von ihnen zum besten gehalten zu werden.

Auf dem Zwischendeck der »Narwhal« kamen

Buck und Curly noch mit zwei anderen Hundenzusammen. Der eine von ihnen war ein großer,schneeweißer Kerl aus Spitzbergen, der früher demKapitän eines Walfängers gehört und schon einegeologische Vermessungsexpedition in die Arktis be-gleitet hatte. Er war freundlich, aber heimtückisch, undwenn er am liebenswürdigsten war, sann er überirgendeine Lumperei nach. Gleich bei der erstenMahlzeit stahl er aus Bucks Schüssel einen großenFleischbrocken. Ehe sich Buck wehren konnte, sausteschon Fran^ois' Peitsche durch die Luft und traf denRücken des Übeltäters, und Buck konnte sich seinenKnochen wieder zurückholen. Das war von Fran^oissehr, sehr anständig, fand er, und das Halbblut begannin seiner Achtung zu steigen.

Der andere Hund, der noch da war, duldete keineAnnäherung, war aber auch nicht darauf aus, den

Neulingen etwas zu stehlen. Er war ein düsterer,

mürrischer, in sich gekehrter Bursche, dem es amliebsten war, ungeschoren zu bleiben. Curly, die diesen

Wunsch nicht respektierte und versuchte, sich anzubie-

dern, bekam ihn sofort von der unangenehmsten Seitezu spüren. Er wurde Dave genannt. Er fraß, schlief

oder gähnte und kümmerte sich um nichts. Selbst alsdie »Narwhal« beim Überqueren des Königin-Char-lotte-Sunds rollte, stampfte und bockte wie ein wil-des Pferd und Buck und Curly halb wahnsinnig vorAngst außer sich gerieten, hob er nur verärgert seinen

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Kopf, blickte mürrisch um sich, gähnte und schliefweiter.

Tag und Nacht stampfte das Schiff nach dem Takt

der Maschine; ein Tag war wie der andere, aber Buckmerkte ganz deutlich, daß die Luft rauher und kälterwurde. Eines Tages stand die Schiffsschraube still, undauf der »Narwhal« machte sich ein aufgeregtes Durch-einander bemerkbar. Die Hunde fühlten, daß es mitdem Einerlei des Bordlebens zu Ende war. Fran^oiskoppelte sie an und brachte sie an Deck. Beim erstenSchritt an Land sanken Bucks Füße in ein weiches,weißes Etwas, das fast wie Schlamm war. Schnaubendsprang er zurück. Auch vom Himmel fiel dieses weiße

Zeug herab, und je mehr er versuchte, es abzuschütteln,

desto mehr fiel auf ihn herunter. Er schnupperte

neugierig daran herum und beleckte es vorsichtig mit

der Zunge. Zuerst biß es wie Feuer, aber im nächstenAugenblick war es nicht mehr da. Das verwirrte ihn.Die Zuschauer brüllten vor Vergnügen, und Buckbegann sich zü schämen. Er verstand nicht, warum sielachten. Woher sollte er auch wissen, daß es Schneewar?

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Das Recht des Stärkeren

Der erste Tag auf dem Strand von Dyea war für Buck

ein böser Alptraum. Was er sah, versetzte ihn inErschrecken oder verblüffte ihn. Ohne Übergang warer von einem Leben in der Zivilisation in das derWildnis geworfen worden. Das war kein träges,

beschauliches Leben im Sonnenschein, hier gab es

weder Ruhe noch Rast und keine persönliche Sicher-

heit. In jedem Augenblick drohte eine Gefahr. Manmußte ständig auf der Hut sein, denn hier herrschteweder Recht noch Sitte.

Die Hunde waren keine Stadthunde und die Männerkeine Stadtleute. Sie waren \XTilde, die nur das Recht desStockes und der Peitsche anerkannten. Nie hätte ersolche Kämpfe für möglich gehalten, wie sie sich hierabspielten, und nie würde er den Tag vergessen, an demer zum erstenmal einem solchen Kampf zusehenmußte, dem Curly zum Opfer fiel. Die Lehre, die erdaraus zog, blieb ihm unvergeßlich.

Sie lagerten in der Nähe eines großen Holzstoßes,

als Curly in ihrer freundlichen Art an einem Wolf shundherumschnüffelte. Ohne Warnung, ohne Knurren

machte der Köter einen blitzartigen Satz, ein metalli-sches Zuschnappen der Zähne folgte, und CurlysSchnauze war von den Augen bis zum Kiefer aufge-

rissen.Dieses blitzschnelle Zuschlagen entsprach der

Kampfesweise der Wölfe, ebenso der weitere Verlaufdes Streites. Dreißig oder vierzig Huskies, so hießen diezottigen Polarhunde, kamen herbeigelaufen und um-

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