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1221 Nachrichten aus der Chemie| 61 | Dezember 2013 | www.gdch.de/nachrichten S Ein Angriff mit dem Nervengas Sarin nahe Damaskus tötete im Au- gust über 1000 Menschen und brach- te die chemischen Waffen zurück auf die Bühne der Weltpolitik. Auf ein- mal stellte sich akut die Frage: Was tun mit einem der weltweit größten Arsenale an tödlichen Giften, schuss- bereit verpackt in Granaten und Ra- keten, verteilt über ein Land, in dem ein blutiger Bürgerkrieg tobt? Syrien ist keineswegs so weit weg, wie es scheint. Schon gar nicht für die deutsche chemische Indus- trie, die viertgrößte weltweit, die Feinchemikalien in alle Welt expor- tiert – auch nach Syrien. Im Sep- tember 2013 beantwortete das Wirtschaftsministerium eine Anfra- ge der Bundestagsabgeordneten Ka- trin Kunert: Deutsche Unterneh- men hatten Dual-Use-Chemikalien nach Syrien geliefert – Stoffe, die zur Synthese von chemischen Kampfstoffen dienen können. Der Kern der Debatte um Dual- Use-Chemikalien ist: Es gibt keine eigenständige Chemie der chemi- schen Waffen, die sich sauber vom zivilen Rest der organischen Synthe- se abtrennen lässt. Die Bundesregierung führt in ih- rer Aufstellung der exportierten Substanzen unter anderem Fluor- wasserstoff, Natriumfluorid und Ammoniumhydrogendifluorid auf, alle drei sind Fluorierungsmittel. Gerade die Fluorierung ist eine wichtige und häufige Reaktion in der organischen Chemie, und es gibt viele legitime zivile Anwendungen. Durch sie entstehen so unterschied- liche Produkte wie der Kunststoff Teflon, das Antibiotikum Ciproflo- xacin oder Schmiermittel auf Basis von Perfluorpolyethern. Tatsächlich ist Fluorwasserstoff trotz seiner Gif- tigkeit eine Allerweltschemikalie. Auch in der Halbleiterproduktion für Elektronikbauteile spielt sie als Ätzmittel eine wichtige Rolle. Die Waffentechnik nutzt Fluorie- rungsmittel, um aus Methyl- phosphonsäuredichlorid das ent- sprechende Fluorid herzustellen. Es kommt in binärer Nervengasmuni- tion zum Einsatz – der Stoff reagiert erst nach dem Abfeuern der Waffe mit Isopropanol zu einem Gemisch aus den beiden Enantiomeren des Sarins. Neben den Fluorverbindungen lis- tet die Bundesregierung Zubereitun- gen für die Galvanik, die Kalium- und Natriumcyanid als Komplex- bildner enthalten. Diese beiden Ver- bindungen wären auch nutzbar, um das Nervengas Tabun herzustellen, einen chemisch mit dem Sarin ver- wandten Stoff. Es gibt allerdings kei- nen Hinweis darauf, dass Syrien Ta- bun produziert oder eingesetzt hätte. Dual-Use und Kontrolle S Wie die meisten Dual-Use-Che- mikalien sind die gelisteten Verbin- dungen nicht in der Chemiewaffen- konvention selbst vermerkt, sondern lediglich in den Kontrolllisten der so genannten Australischen Gruppe. Das ist ein informeller Zusammen- Lars Fischer Es war still geworden um chemische Kampfstoffe – bis zum syrischen Bürgerkrieg. Auch Deutschland exportierte Chemikalien, die zur Giftgassynthese taugen. Den syrischen Giftgasbestand zu vernichten, übernimmt ein Friedensnobelpreisträger: die Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Dual-Use: Gut oder Böse? BChemische KampfstoffeV Chemiewaffeninspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) Ende August in Arbeen, Syrien. (Foto: picture alliance / AP Photo)

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Nachrichten aus der Chemie| 61 | Dezember 2013 | www.gdch.de/nachrichten

S Ein Angriff mit dem Nervengas Sarin nahe Damaskus tötete im Au-gust über 1000 Menschen und brach-te die chemischen Waffen zurück auf die Bühne der Weltpolitik. Auf ein-mal stellte sich akut die Frage: Was tun mit einem der weltweit größten Arsenale an tödlichen Giften, schuss-bereit verpackt in Granaten und Ra-keten, verteilt über ein Land, in dem ein blutiger Bürgerkrieg tobt?

Syrien ist keineswegs so weit weg, wie es scheint. Schon gar nicht für die deutsche chemische Indus-trie, die viertgrößte weltweit, die Feinchemikalien in alle Welt expor-tiert – auch nach Syrien. Im Sep-tember 2013 beantwortete das Wirtschaftsministerium eine Anfra-ge der Bundestagsabgeordneten Ka-trin Kunert: Deutsche Unterneh-men hatten Dual-Use-Chemikalien nach Syrien geliefert – Stoffe, die zur Synthese von chemischen Kampfstoffen dienen können.

Der Kern der Debatte um Dual-Use-Chemikalien ist: Es gibt keine eigenständige Chemie der chemi-schen Waffen, die sich sauber vom zivilen Rest der organischen Synthe-se abtrennen lässt.

Die Bundesregierung führt in ih-rer Aufstellung der exportierten Substanzen unter anderem Fluor-wasserstoff, Natriumfluorid und Ammoniumhydrogendifluorid auf, alle drei sind Fluorierungsmittel. Gerade die Fluorierung ist eine wichtige und häufige Reaktion in der organischen Chemie, und es gibt

viele legitime zivile Anwendungen. Durch sie entstehen so unterschied-liche Produkte wie der Kunststoff Teflon, das Antibiotikum Ciproflo-xacin oder Schmiermittel auf Basis von Per fluor poly ethern. Tatsächlich ist Fluorwasserstoff trotz seiner Gif-tigkeit eine Allerweltschemikalie. Auch in der Halbleiterproduktion für Elektronikbauteile spielt sie als Ätzmittel eine wichtige Rolle.

Die Waffentechnik nutzt Fluorie-rungsmittel, um aus Methyl -phosphon säure di chlorid das ent-sprechende Fluorid herzustellen. Es kommt in binärer Nervengasmuni-tion zum Einsatz – der Stoff reagiert erst nach dem Abfeuern der Waffe mit Isopropanol zu einem Gemisch aus den beiden Enantiomeren des Sarins.

Neben den Fluorverbindungen lis-tet die Bundesregierung Zubereitun-gen für die Galvanik, die Kalium- und Natriumcyanid als Komplex-bildner enthalten. Diese beiden Ver-bindungen wären auch nutzbar, um das Nervengas Tabun herzustellen, einen chemisch mit dem Sarin ver-wandten Stoff. Es gibt allerdings kei-nen Hinweis darauf, dass Syrien Ta-bun produziert oder eingesetzt hätte.

Dual-Use und Kontrolle

S Wie die meisten Dual-Use-Che-mikalien sind die gelisteten Verbin-dungen nicht in der Chemiewaffen-konvention selbst vermerkt, sondern lediglich in den Kontrolllisten der so genannten Australischen Gruppe. Das ist ein informeller Zusammen-

Lars Fischer

Es war still geworden um chemische Kampfstoffe – bis zum syrischen Bürgerkrieg. Auch Deutschland

exportierte Chemikalien, die zur Giftgassynthese taugen. Den syrischen Giftgasbestand zu vernichten,

übernimmt ein Friedensnobelpreisträger: die Organisation für das Verbot chemischer Waffen.

Dual-Use: Gut oder Böse?

BChemische KampfstoffeV

Chemiewaffeninspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW)

Ende August in Arbeen, Syrien. (Foto: picture alliance / AP Photo)

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schluss von Europäischer Kommissi-on und 40 Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Japan und die USA. Sein Ziel ist es, zu interna-tional einheitlichen Exportkontrol-len für Dual-Use-Chemikalien zu kommen. Um Substanzen zu expor-tieren, die auf einer Kontrollliste ste-hen, bedarf es einer Genehmigung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) in Esch-born, das Unternehmen Lizenzen für den Export kontrollierter Chemika-lien erteilt – oder auch nicht.

„Die Lizenzentscheidung erfolgt aufgrund einer Risikobewertung“, erklärt der Abrüstungsexperte und Berater Ralf Trapp, „dabei werden eine Reihe von Faktoren geprüft.“ So prüft die Behörde, was über Ex-porteur, Importeur und ihre ge-meinsame Geschäftsbeziehung be-kannt ist – zum Beispiel ob die ge-plante Lieferung die erste dieser Art ist. In einem Land wie Syrien, das ein großes Chemiewaffenpro-gramm unterhält, würden wohl auch die deutsche Botschaft und die Geheimdienste um weitergehende Informationen gebeten. Syrien ge-hört zu den wenigen Staaten welt-weit, welche die Chemical Weapons Convention, die das Verbot chemi-scher Waffen festschreibt, nicht un-terzeichnet haben – tatsächlich be-trieb das Land das größte Chemie-waffenprogramm im Nahen Osten.

Sitzen die Empfänger in einem Land, in dem eine besondere Ge-fahr besteht, dass Chemikalien für chemische Kampfstoffe abgezweigt werden, prüft das Bafa entspre-chend genauer, ob die Angaben in der Exportmeldung überhaupt che-misch Sinn ergeben: Sind die Che-mikalien für die angegebene Ver-

wendung überhaupt zu gebrau-chen? Passen die Mengen zum Zweck? Für Natriumfluorid zum Beispiel gibt es eine Reihe speziali-sierter Anwendungen in der Metal-lurgie zum Beispiel als Bestandteil von Flussmitteln – der Stoff steckt aber auch in normaler Zahnpasta.

Chemiewaffen vernichten

S Gewiss ist, dass große Mengen fluorhaltiger Verbindungen ihren Weg ins syrische Chemiewaffenpro-gramm fanden – insgesamt gibt es im Land bis zu 500 Tonnen Me-thylphosphonsäuredifluorid, dem direkten Vorläufer des Sarins. Diese und andere chemische Kampfmittel wieder loszuwerden, damit ist nun die Organisation zur Durchsetzung des Chemiewaffenverbots (Organi-sation for the Prohibition of Chemi-cal Weapons, OPCW) betraut. Die jüngst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisation über-wacht und kontrolliert die Abrüs-tung chemischer Waffen – ihre Gründung ist in der Chemiewaffen-konvention von 1992 festgeschrie-ben ist. Die OPCW hat 188 Mit-gliedsstaaten, die Delegierte in die jährlich stattfindende Konferenz der Mitgliedsstaaten entsendet, das zentrale Organ der Organisation. Die Mitgliedsstaaten finanzieren auch das jährliche Budget von der-zeit etwa 75 Millionen Euro. Die In-spektoren – etwa 40 Prozent der rund 500 Mitarbeiter der Organisa-tion – sind dafür zuständig, vor Ort die chemischen Waffen zu kontrol-lieren und ihre Zerstörung zu über-wachen. Dazu gehört zuerst einmal, dass die Produktionsstätten stillge-legt werden – ein Meilenstein, der in Syrien bereits Anfang November erreicht war.

Damit fängt der Ärger allerdings erst an. Die syrische Regierung hat sich zwar auf internationalen Druck hin bereit erklärt, die chemi-schen Kampfstoffe restlos zu ver-nichten, doch das ist nicht so trivi-al wie es klingt, schon gar nicht bei den Mengen, um die es hier geht – nach Angaben der syrischen Regie-rung insgesamt über 1000 Tonnen.

Besondere Probleme bereitet Me-thylphosphonsäuredifluorid: Die üblicherweise bevorzugte Methode – nämlich Chemikalien einfach zu verbrennen – funktioniert bei die-sem Stoff nicht. Es entsteht aggres-siver Fluorwasserstoff, der die An-lage zerstören würde.

Der Bürgerkrieg erschwert die Situation. Eine Anlage zur Vernich-tung der Kampfstoffe könnte zum Ziel von Angriffen werden – genau wie Konvois, wenn sie die gefährli-chen Stoffe außer Landes bringen. Und den Absturz eines mit chemi-schen Kampfstoffen beladenen Flugzeuges, womöglich bei der Landung in einer dicht besiedelten Region, kann niemand riskieren.

Von den Chemiewaffenvernich-tern ist also einige Kreativität gefor-dert, um die Gefahr in Syrien mög-lichst schnell zu beseitigen. Sie könnten die chemischen Kampfstof-fe vor dem Transport mit Natrium-hydroxid vermischen, um sie teil-weise zu zerstören. Oder sie nutzen die Methode, mit der die Kontrolleu-re das irakische Arsenal in den 90er Jahren vernichteten: tief in der Wüs-te in eine Grube legen und mit einer Aerosolbombe, die eine besonders große Hitze entwickelt, verbrennen. Am wahrscheinlichsten ist jedoch, dass die verbotenen Waffen den Weg nach Europa finden. Mehrere EU-Staaten besitzen technische Einrich-tungen, die chemische Kampfstoffe kontrolliert vernichten können. In Deutschland zum Beispiel die bun-deseigene Gesellschaft zur Entsor-gung chemischer Kampfstoffe und Rüstungs-Altlasten in Munster.

Der Diplom-Chemiker Lars Fischer ist Wissen-

schaftsjournalist und Blogger.

www.scilogs.de/fischblog

Literatur

• Informationen des Bundeswirtschafts -

ministeriums zu den erteilten Ausfuhr -

genehmigungen nach Syrien:

http://docs.dpaq.de/5219-ausfuhr

genehmigungen_syrien_bmwi__

bersicht_final.pdf

• Antwort des Bundeswirtschafts -

ministeriums auf die Anfrage der

Bundestagsabgeordneten Katrin Kunert:

www.jan-van-aken.de/files/dual_use_

chemikalien_f__r_syrien_sarin.pdf

S Ächtung von Chemiewaffen

Seit dem Jahr 1997 sind Kampfstoffe durch die

Chemiewaffenkonvention international geächtet.

In ihrer Satzung verpflichten sich die GDCh selbst

sowie ihre Mitglieder, sich „gegen den Missbrauch

der Chemie, z. B. zur Herstellung von Chemiewaf-

fen“ zu stellen (www.gdch.de/gdch/ueber-uns/

satzung-und-verhaltenskodex.html)

1222 BMagazinV Chemische Kampfstoffe

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