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Durch den Zeitbrunnen

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Nr. 2166

Durch den Zeitbrunnen

Monkey und Saedelaere - zweiUnsterbliche werden gejagt

von Hubert Haensel

Seit Alaska Saedelaere und Monkey durch den geheimnisvollen Zeitbrunnen aufdem Planeten Trokan gegangen sind, haben die beiden Männer eine kleine Odysseehinter sich gebracht. Die Aktivatorträger erreichten den Schwarm Kys Chamei, wo sieZeuge von Aktivitäten der Kosmokraten wurden.

Letztlich endeten diese Aktivitäten darin, dass der Schwarm in einer Galaxis gera-dezu strandete und seine Bewohner sich mit den dortigen Gegebenheiten auseinan-der setzen müssen. Und die beiden Männer aus der Milchstraße erfuhren bei dieserGelegenheit mehr über die Aktivitäten der kosmischen Mächte, die sich durch dieAusbreitung des Lebens im Universum anscheinend beeinträchtigt sehen.

Vom Schwarm Kys Chamei aus brechen Saedelaere, der wieder ein mysteriöses,für andere Menschen tödliches Cappin-Fragment im Gesicht trägt, und Monkey, derOxtorner mit den Kunstaugen, zu einer Reise ins Unbekannte auf.

Die beiden Männer gehen erneut DURCH DEN ZEITBRUNNEN …

Die Hautpersonen des Romans:Alaska Saedelaere - Der Mann mit der Maske muss sich seinem Schicksal stellen.Monkey - Der Oxtorner neigt zu harten Reaktionen.Chiffa Phi - Der Mochichi erwartet Agenten der Ordnungsmächte.

1.

Du frierst - das ist deine einzige Empfin-dung. Alles andere scheint wie ausgelöscht:deine Herkunft, dein Leben … Vergiss, werdu einmal warst! Vor allem: Vergiss, was dugeworden bist!

Nur diese seelenlose und bittere Kälte be-herrscht dich. Sie hält dich fest im Griff undbegleitet dich nach deinem Schritt durch dieUnendlichkeit.

Schließe die Augen, lass dich fallen undwarte. Warte auf das Ende, die Erlösungvon aller Qual. Es könnte so einfach sein.

Das sind deine Gedanken. Sie erschreckendich und haben zugleich etwas Altvertrautes.Die Zeit ist stehen geblieben; all die Jahr-hunderte waren nur ein Traum - schön undunheimlich, verlockend und verlogen zu-gleich. Du selbst hast dich nicht verändert!Nicht sehr zumindest. Dabei hast du dirnichts sehnlicher gewünscht.

Erinnerst du dich?Obwohl du die alten Bilder verdrängst,

steigen sie in dir auf und quälen dich. Dubist ihr Opfer. Du kannst dich dagegen auf-lehnen, Alaska. Du magst sogar den Ein-druck gewinnen, siegreich zu sein, trotzdemgehörst du zu den Verlierern.

Das ist dein Schicksal. Seit beinahe 1500Jahren!

Du bist ein Unsterblicher … von denMenschen gemieden, weil dein Anblick tötetoder sie erschreckt … und immer auf derSuche nach dem Quant Zufriedenheit, dasdir vorenthalten wird. Einmal glaubtest du,dein Glück gefunden zu haben, doch das istlange her. Damals, als Kytoma dich in ihreWelt holte.

Deine alten Wunden brechen wieder auf,Alaska Saedelaere. Du hättest diesen letztenSchritt nicht gehen dürfen, den Schritt durch

den Zeitbrunnen, dessen Todeskälte nun dei-ne Gedanken vergiftet. Geh zurück! Bleibauf der anderen Seite!

Was dir sonst bevorsteht, ist kein Leben.Die Menschen werden dich wieder fürchten.Und hassen.

Du weißt, dass du dich entscheiden musst- du hast das in dem Moment erkannt, als duden Herrn der Festung und das geisterhafteLeuchten unter seiner grauen Plastikmaskegesehen hast. Du hättest alles dafür gegeben,von dem unwirklichen Cappin-Fragmentverschont zu werden.

Wirklich alles?Auch die potenzielle Unsterblichkeit?Oder hast du tief in dir den Lockruf des

Vergangenen gespürt? Dich am Ende da-nach gesehnt, dein Leben mit dem Fragmentfortzusetzen? Weil es noch viele offene Fra-gen zu beantworten gilt?

Du erinnerst dich an den Transmitterun-fall. Vier Stunden lang warst du auf demWeg von Bontong nach Peruwall verschol-len. Als du endlich materialisiert bist, tötetedas Cappin-Fragment in deinem Gesicht dieMenschen, die dir helfen wollten.

Weißt du noch? Deine Suche im Schwarman Bord der DESTINY … Ganz nahe wähn-test du dich damals des Rätsels Lösung, wasin den fehlenden vier Stunden geschehenwar. Aber bis heute ist die Erinnerung daranverschüttet.

Die Kälte nistet in dir. Sie lähmt dich. Duversuchst, das Gleichgewicht zu bewahren,aber deine Beine knicken ein.

Du stürzt, bringst es nicht fertig, dich ab-zufangen. Über dir treiben Nebelschwaden,und weit entfernt schimmert ein hellerFleck, eine Sonne, die es nicht schafft, denDunst zu durchdringen.

Deine Gedanken schweifen ab.Der Nebel … Es ist wie damals … Du

hast immer geahnt, dass es ein zweites Ich

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gibt, einen Pseudo-Saedelaere. Aber du hastdieses Wissen verdrängt. Aus Selbstmitleid.Dabei hast du den anderen und sein Cappin-Fragment vor langer Zeit schon gesehen, aufRed Question-Mark II, der sterbenden Welt,die vom Schwarm aufgenommen wurde.

Mit dem Schwarm verschwand sie aus derMilchstraße und aus deiner Erinnerung.

Nun bricht alles wieder auf.Du wälzt dich auf die Seite, bleibst

schwer atmend liegen. Du schlägst die Hän-de vors Gesicht. Die Berührung der Maskelässt dich schaudern. Monkey hat sie fürdich angefertigt. Doch das tat er nur auspraktischen Erwägungen heraus.

Die Kälte ist entsetzlich. Sie schlägt sichim Cappin-Fragment nieder und lähmt dich.

Du willst sterben … Das ist der leiblicheMensch in dir.

Aber du spürst auch den Ruf des Univer-sums …

Die Schöpfung kennt keine Ausgestoße-nen, keine Aussätzigen. Für sie bist du nurein Fremder unter Fremden.

Du schließt die Augen und hoffst, dassder Friede in dir wächst.

*

Der Zeitbrunnen erlosch sofort nach demDurchgang. Monkey achtete kaum darauf;ihm war wichtig, dass er ein neues Ziel er-reicht hatte.

Der Boden war weich und nachgiebig.Moos und feine Gräser wucherten in üppigerFülle. Dunstschleier hingen über dem Land,in der Höhe zerriss ein auffrischender Winddüstere Wolkenbänke. Vor kurzem war of-fenbar ein wolkenbruchartiger Regengussniedergegangen.

Monkey stapfte in der einmal eingeschla-genen Richtung weiter. Dass er Spuren hin-terließ, in denen sich brackiges Wasser sam-melte, interessierte ihn nicht. Über die Funk-tionen seines Mehrzweckarmbands rief ererste Daten ab.

Die Atmosphäre des Planeten hatte einengeringeren Sauerstoffanteil als Terra. Dafür

war der Prozentsatz an Edelgasen höher, esgab jedoch keine schädlichen Beimengun-gen. Zumindest nichts, was die Standardana-lyse ausgewiesen hätte.

Die Schwerkraft betrug 0,8 Gravos.Monkey schaltete den Erfassungsmodus

seiner Kunstaugen um. Keinen Gedankenverschwendete er mehr daran, dass er fürkurze Zeit blind gewesen war.

Er hatte die Kameraobjektive im Sand desLandefelds wiedergefunden, sie gesäubertund in die leeren Augenhöhlen zurückge-steckt. Das machte vieles leichter, zumal dieKameraprothesen aus SAC den biologischenAugen überlegen waren.

Die Dunstschleier wichen. Eine hügelige,bewaldete Landschaft erstreckte sich in alleRichtungen. Monkey drehte sich einmal umsich selbst. Überall unberührte Natur ohneAnzeichen einer Zivilisation.

Zoomfunktion. Der Blick reichte dennochnicht einmal wenige hundert Meter weit,dann wurde das Unterholz zu dicht.

Rückschaltung in den Normalmodus.Auch das funktionierte. Die jeweils vierZentimeter durchmessenden Transplantatehatten also keinen Schaden genommen.

Monkey ging weiter. An eine Schwerkraftvon 4,8 Gravos gewöhnt, würde er HunderteKilometer an einem Tag zurücklegen, ohnesich anstrengen zu müssen.

Die aufreißende Wolkendecke ließ eineblass orangefarbene Sonne erkennen. Das al-lein war noch kein Anhaltspunkt. Monkeynahm an, dass ihn der Schritt durch denZeitbrunnen nicht in die Milchstraße zurück-gebracht hatte, aber erst die Sterne amNachthimmel würden Gewissheit bringen.Andererseits war dies kaum mehr die Umge-bung des Schwarms Kys Chamei, den Sa-edelaere und er nach dessen Stilliegungdurch Samburi Yura, die Gesandte der Kos-mokraten, verlassen hatten.

Ein Rascheln ließ ihn aufsehen. EtwasSchweres fiel durch die bizarren Äste, fingsich wenige Meter über ihm ab und strichmit schwerem Schwingenschlag durch dieLuft. Der Schatten stieß ein heiseres Kräch-

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zen aus, schwang herum und griff an.Monkey tauchte blitzschnell zur Seite

weg. Mit der Linken griff er nach dem kanti-gen Schnabel, der unversehens ins Leerehackte, und zerrte das Tier herum. Leder-häutige Schwingen peitschten das Unter-holz, die Klauen an den Schwingenendenschlugen nach ihm. Mit einem Fausthiebließ der Oxtorner Röhrenknochen splitternund zerriss eine Flughaut, dann umklammer-te er die zupackenden Fänge und wirbelteden Angreifer herum.

Der Schnabel, jäh aus dem festen Griffentlassen, stieß ein wildes Fauchen aus, aberschon krachte der Schädel gegen einen derBaumstämme. Ein dumpfes Knacken war zuhören, als Knochen brachen, anschließendwar es wieder still. Monkey schleuderte denAngreifer von sich.

Mit einer Spannweite von über drei Me-tern erinnerte das Tier an eine Mischung ausFledermaus und Flugsaurier. Eine Weiletobte es noch im Gestrüpp, bis seine Mus-kelkontraktionen abebbten.

»Saedelaere«, sagte er nach hinten, ohnesich umzuwenden. »Das Vieh hat Sie alswillkommene Beute gesehen.«

Monkey nahm kaum wahr, dass eine Ant-wort ausblieb. Kraftvoll bahnte er sich einenWeg. Inzwischen hatte er sich gut einen Ki-lometer weit vom erloschenen Zeitbrunnenentfernt. Voraus zeigten ihm die Kunstaugeneine kahle Hügelkuppe. Nur wenige ver-kohlte Baumstümpfe ragten dort auf.

Ein kleiner, pechschwarzer Vogel flattertevor ihm. Instinktiv holte Monkey zumSchlag aus, doch dann ließ er die Hand wie-der sinken. Der Vogel war der Lamuuni, dersich ausgerechnet ihn als seinen Herrn aus-gewählt hatte.

Sie würden Freunde sein, hatte ihm derVogel mit den strahlend roten Augen zu ver-stehen gegeben. Freunde … Monkey knurrtekurz. Niemand würde je sein Freund sein.

Der Lamuuni war gleich nach dem Auf-tauchen aus dem Zeitbrunnen verschwun-den. Es hatte Monkey nicht interessiert.Dass das gefiederte Knäuel nun wieder auf

seiner rechten Schulter landete, war ihmaber nicht recht.

Etwas Fremdes drängte sich in seine Ge-danken …

»Verschwinde!«, knurrte Monkey.Er spürte den Lamuuni deutlicher. Ein

Bild entstand vor seinem inneren Auge, eindunkel gähnendes Nichts, aus der Raum-Zeitherausgestanzt: der Zeitbrunnen.

Als der Brunnen erlosch, führten zweiSpuren durch den Wald. Eine von beiden en-dete schon nach wenigen Metern. Da lag Sa-edelaere, zusammengerollt wie ein Embryound die Hände vors Gesicht geschlagen.Zwischen seinen Fingern drang ein unheil-volles rötliches Flackern hervor.

Monkey blieb stehen und wandte sich um.Tatsächlich. Der Maskenträger war nichtmehr hinter ihm.

»Das ist Saedelaeres Problem«, sagte derOxtorner unwillig. »Ich bin nicht sein Kin-dermädchen.«

*

Du schwitzt und zitterst am ganzen Leib.Und du glaubst, Stimmen zu hören, die nichtmehr existieren.

Alaska, hilf mir! Mach, dass er mir nichtlänger wehtut!

Du verkrampfst dich, beißt die Zähne zu-sammen, bis die Kiefer knacken. Du möch-test schreien, aber du kannst es nicht, frisststattdessen alles in dich hinein, was dich be-drückt. Das war schon immer so, du bist esnicht anders gewohnt.

Hilf mir, Alaska!Nein, du lebst nicht mehr. Du rollst dich

zusammen, ziehst die Knie an den Leib, soweit es eben geht. Ich habe dich begraben,denkst du. Was soll ich sonst noch tun?

Du weißt, dass du die Haut vermissenwirst. Du hast sie gehasst, dich mit ihr arran-giert, sie gebraucht - aber sie war das kleine-re Übel.

Die Haut hat dich wenigstens respektiert.Mit ihr warst du nicht das Monstrum, zudem dich das Cappin-Fragment macht.

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Hör auf, dich zu quälen, Alaska!Du kannst nichts mehr ändern, es gibt

kein Zurück an Bord des RaumschiffsLEUCHTKRAFT. Und die Frau SamburiYura wirst du vielleicht nie wiedersehen.

Du musst dich mit allem abfinden, wasgeschehen ist. Sobald du dich selbst bemit-leidest, wirst du endgültig zusammenbre-chen.

Das Universum liegt vor dir, Alaska Sa-edelaere. Steh auf! Nimm dein Schicksal anund mach das Beste daraus!

Du wälzt dich auf die Knie, stemmst dichhoch. Tief atmest du die fremde und würzigeLuft ein.

Warum hast du mir das angetan, SamburiYura? Warum hast du das Fragment nichtzurückgenommen?

Du wirst keine Antwort erhalten. Dabeiwillst du nichts anderes sein als ein Menschwie Milliarden andere auch. Aber gerade dasdarfst du nicht.

Du hast die Maske abgenommen und legstsie neben dir ins Gras. Du schaust auf deineHandflächen, beobachtest, wie sie sich lang-sam deinem Gesicht nähern, als entwickel-ten sie ein seltsames Eigenleben.

Du wirst tun, was Samburi Yura versäumthat. Gleich wirst du die Finger in das Frag-ment vergraben und es aus deinem Gesichtherausreißen, egal, was dann mit dir ge-schieht. Du kannst nicht anders.

Aber sogar dafür bist du zu schwach.Neue Erinnerungsfetzen, längst vergessen

geglaubt … Du siehst dich vor einem Spie-gel. Eine Ewigkeit ist vergangen, seit duzum ersten Mal das farbige, tödliche Wogenin deinem Gesicht gesehen hast. Es war fas-zinierend und abschreckend zugleich.

Weißt du noch, welche Ruhe dich über-kam, als sich deine Finger um den Griff desObstmessers schlossen? Du hast irr gelachtund zugestochen. Wieder und wieder, beses-sen von dem Gedanken, das Fremde aus dirherauszuschneiden. Die stumpfe Klinge hateine tobende Schnittwunde hinterlassen, diedu heute noch zu spüren glaubst. Aber siehat dich nicht von dem Cappin-Fragment be-

freit.Jetzt kniest du im nassen Gras eines unbe-

kannten Planeten in irgendeiner Galaxis, de-ren Namen du möglicherweise nie erfahrenwirst, und stellst dein Leben in Frage. Dabeihast du Wunder erlebt, die nie ein andererSterblicher sehen wird.

Kämpfe, Alaska Saedelaere! Gib dichnicht geschlagen! Du weißt, wer dir helfenkann - du wirst die Frau Samburi Yura fin-den.

Schwankend kommst du auf die Füße. Dusiehst Monkeys Spuren im nassen Gras undfolgst ihnen. Im Laufen schiebst du die Mas-ke wieder über dein Gesicht, befestigst siemit einem einzigen Griff, der dir schon vorlanger Zeit in Fleisch und Blut überging.Das alles ist unendlich vertraut.

Irgendwie hast du das Gefühl, als verlore-ner Sohn nach langer Zeit heimgekehrt zusein.

*

Saedelaere marschierte schneller. Er wus-ste, dass Monkey nicht auf ihn warten wür-de. Für den Oxtorner gab es immer nur einWeiter, kein Verweilen und schon gar keinZurück. Dass er mit seiner umweltangepas-sten Konstitution anderen Menschen überle-gen war, zog er selten ins Kalkül.

Wild hämmerte Alaskas Herz gegen dieRippen. Der etwas geringere Sauerstoffge-halt als gewohnt machte sich unangenehmbemerkbar. Trotzdem hastete der Masken-träger weiter.

Sein Blick suchte den Himmel ab. Nichts… Da war nicht die Spur eines Kondens-streifens, der eine technische Zivilisationverraten hätte. Er brauchte nur sein Multi-funktions-Armband zu aktivieren, um Hy-per- oder Normalfunkaktivitäten festzustel-len, wusste aber selbst nicht, warum er dasunterließ. Des Cappin-Fragments wegen?Oder weil ihm die Illusion gefiel, auf einerunberührten Welt gestrandet zu sein? Ir-gendwann würde sich ein neuer Zeitbrunnenöffnen und ihn wieder von hier wegführen.

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Die Wolken rissen auf, erste Sonnenstrah-len huschten übers Firmament. Sie vertrie-ben den Nebel, der die hügelige Waldland-schaft geheimnisvoll fremd wirken ließ.Wind kam auf, raschelte in den Baumkro-nen. Silbern rieselte es herab, wie Sternen-staub, und ein süßer Geruch breitete sich ausund behinderte das Atmen.

Sechs Minuten erst auf dieser Welt, wieihm das Armband zeigte. Er hatte die Stopp-uhrfunktion aktiviert, als er in den Zeitbrun-nen gesprungen war.

Niedergetrampeltes Gras und abgerisseneÄste verrieten, dass Monkey kurz innegehal-ten hatte, Blut besudelte einen Baum, undetliche Meter entfernt lag ein geflügelter Ka-daver. Eine Handspanne lange, raupenartigeKreaturen waren über die leichte Beute her-gefallen.

Alaska Saedelaere erschauerte. So fried-voll, wie diese Welt zu sein schien, war siewohl doch nicht.

Der Weg stieg an. Knorrige Wurzelnwanden sich über den Boden. Saedelaereachtete mehr als zuvor auf seine Umgebung.Dennoch schreckte er zusammen, als ur-plötzlich ein Schatten auf ihn zusprang.Zwei mächtige Pranken zerrten ihn zurück.

»Nicht weiter!«, knurrte Monkey. Er gabkeine Erklärung.

Sekundenlang fürchtete Saedelaere, derOxtorner würde ihm die Schultern zerquet-schen. Aber dann ließ Monkey ebenso ab-rupt los, wie er zugepackt hatte.

Der Maskenträger folgte dem Blick seinesBegleiters. Der lichte Wald ging hier in fel-siges Gelände über, niederes Buschwerk lös-te die Bäume ab. Allerdings wuchsen dieseBüsche auf verbranntem Boden. Einzelneverkohlte Baumstümpfe ragten noch ankla-gend in die Höhe, andere waren umgestürztund wurden von frischem Grün überwu-chert. Ein Blitzschlag mochte das Feuer ver-ursacht haben, das sich über ein größeresAreal ausgebreitet hatte.

Aber nicht das beanspruchte MonkeysAufmerksamkeit. Die Kameraaugen des Ox-torners waren in die Höhe gerichtet. Ver-

mutlich hatte er mit Hilfe der Telefunktionetwas entdeckt, was Alaska noch verborgenblieb.

Saedelaere kniff die Augen zusammen.Die Sehschlitze der Maske behinderten ihn,er war nicht mehr daran gewöhnt, die Weltdurch diesen engen Rahmen hindurch zu be-trachten. Zudem rebellierte das Cappin-Fragment. Wie ein glühender Schleier über-lagerte sein Flackern Saedelaeres Wahrneh-mung.

Erstmals, seit es auf Alaska übergesprun-gen war, reagierte das Fragment so heftig.Spürte es eine fünfdimensionale Strahlung?

»Das ist ein Riesenkasten«, sagte Monkeygrollend.

Da war ein Schatten am Himmel. Einlängliches, dunkles Etwas. Die Entfernungkonnte Alaska schwer einschätzen. Doch eskam näher …

… und sank dabei tiefer.Wolkenfetzen verhüllten das Objekt, ga-

ben es wieder frei, verdeckten es von neu-em, diesmal nur noch teilweise. Düster, rie-sig und drohend hing ein Raumschiff imorangefarbenen Firmament.

Sie suchen uns!, durchzuckte es den Mas-kenträger. Aber das war Unsinn. Niemandkonnte wissen, dass zwei Menschen auf die-ser Welt erschienen waren.

Eben noch hatte Alaska daran gezweifelt,dass sie inmitten unberührter Wildnis einenHinweis auf Thoregon finden würden. DasRaumschiff, vor allem seine imposante Grö-ße, ließ alles denkbar erscheinen.

*

Wolkenschleier umflossen das massigeObjekt im unteren Bereich. Verhüllen konn-ten sie nichts mehr von dessen stählernerStruktur.

Gut zwanzig Kilometer entfernt zog daskantige, monströse Gebilde vorüber.

Alaska Saedelaere stellte Vergleiche mitder SOL an. Aber das Schiff hier wirkteplumper, keineswegs so elegant wie der ter-ranische »Hantelraumer«. Er schätzte seine

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Dimensionen allerdings als fast ebenso hochwie lang ein, und die Form schien je nachBlickwinkel Veränderungen zu unterliegen.Konstant wirkte nur die dicke Mittelscheibe.Die Aufbauten ober- und unterhalb wurdenoffenbar von Kanten und Rücksprüngen ge-prägt, sie wuchsen scheinbar nach außen,verloren sich aber im trüben Dunst der Di-stanz.

Höchstens eine Minute lang war das Ob-jekt zu sehen. Schließlich gleißte es im Wi-derschein der Sonne grell auf, als verglühees in atomarem Feuer. Augenblicke spätererlosch der funkelnde Stern in der Ferne.

Alaska kniff die Augen zusammen undwollte sich die Nasenwurzel massieren. Sei-ne Finger stießen gegen die provisorischeKunststoffmaske.

»Sie haben uns nicht bemerkt«, sagte indem Moment Monkey neben ihm.

Saedelaere fuhr herum. »Ein gewaltigesObjekt. So bullig, als wäre es für schwereArbeiten konstruiert worden.«

»Mag sein«, bestätigte der Oxtorner. SeinBlick schweifte schon wieder über die Hü-gelkuppe, suchte nach einer Veränderung.

»Sie haben Ihre Objektivaugen wieder«,drängte Saedelaere. »Also konnten Sie mehrerkennen.«

Monkey ließ sich Zeit mit einer Antwort.Saedelaere sah, dass er die Hände ballte undwieder öffnete, und dann erst bemerkte erdie dunklen Schatten, die dicht über den Hü-gel hinwegstrichen.

Zwei Flugechsen wie jene, deren Schädelder Oxtorner zerschmettert hatte. Die Krea-turen nahmen von den Beobachtern amWaldrand jedoch keine Notiz.

Mit drei Fingern der rechten Hand griffMonkey nach einem der kreisrunden, anthra-zitfarbenen Objektive. Ein durchdringendesKnirschen erklang, als der Oxtorner dasKunstauge herausdrehte.

Den Unfall, der Monkey sein Augenlichtgekostet hatte, hätte kaum ein anderes We-sen überlebt. Indes hatte der besondere Me-tabolismus des Oxtorners verhindert, dassdie Augen durch eine der üblichen Klonre-

pliken ersetzt werden konnten. Seither trugMonkey die Implantate, die ihn für vieleMenschen wie ein Androide erscheinen lie-ßen.

Diese Augen, fand Saedelaere, passtenzum Chef der Neuen USO. Sie waren glattund düster, kalt und gefühllos. Nur daraufausgelegt, ihre Funktion zu erfüllen - eineFunktion, die jedes menschliche Auge umein Vielfaches übertraf.

Monkeys vernarbte, leere Augenhöhlewirkte beklemmend. Ganz weit unten, an dieimplantierte Haut angrenzend, schimmertendie Anschlusskontakte.

Um Saedelaeres Mundwinkel zuckte es.Aber das blieb unter seiner Maske verbor-gen. Monkey wirkte in diesem Augenblickwie ein Roboter, dem seine Konstrukteureein menschliches Äußeres verpasst hatten.

Der Oxtorner blies das Objektiv ab undrammte es in die Augenhöhle zurück. Esschloss keineswegs bündig ab, sondern standweit genug hervor, dass es bequem zu um-fassen war.

Zwölf Minuten seit der Ankunft aus demZeitbrunnen … Saedelaere wusste nicht, wa-rum er ausgerechnet jetzt auf sein Armbandblickte. Vielleicht, weil er das Gefühl hatte,dass Monkey ihm mit seinen Kunstaugen bisauf den Grund der Seele schaute.

Für Monkey existieren solche Dinge wieeine Seele nicht, schoss es ihm durch denSinn.

»Schätzungsweise fünf Kilometer Höhebei einem größten Durchmesser von sechsKilometern«, sagte der Oxtorner unvermit-telt. »Die Telefunktion zeigte ein zylindri-sches Basismodul mit beidseits angeflansch-ten Sechseckplatten. Den Abschluss bildendeutlich kleinere Zylinderscheiben.«

Saedelaere nickte. Tief sog er die würzi-ge, von undefinierbaren Gerüchen durch-setzte Luft ein.

Bis vor wenigen Minuten war diese Weltfür ihn nur Wald gewesen. Die Mitte von Ir-gendwo, hatte er angenommen, fernab allerTechnik.

Aber das riesige Raumschiff erschien ihm

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wie ein Wink des Schicksals. Es gab eineraumfahrende Zivilisation in der Nähe - unddamit alle Möglichkeiten für Monkey undihn.

2.

Zum zweiten Mal riss Monkey den Mas-kenträger zurück.

Saedelaere hatte Mühe, das Gleichge-wicht zu wahren. Einen Moment lang schiener sogar zu glauben, das fremde Raumschiffsei zurückgekehrt. Er wollte etwas sagen,aber Monkey bedeutete ihm zu schweigen.

Selbst der Oxtorner war überrascht wor-den. Keine zweihundert Meter entfernt, übereinem bis zur Mitte gespaltenen, verkohltenBaum, hing ein eigenwilliges Objekt. Er hat-te es nicht herankommen sehen.

Langsam sank das »Ding« tiefer.Monkey aktivierte die Replayfunktion sei-

ner Augen. Die Speicher zeichneten nur auf,was sich in seinem Blickfeld befand, doch erhatte Glück. Ganz am Rand war der Baumgerade noch zu erkennen. Und dann, über-gangslos, wie aus dem Nichts heraus er-schienen, hing dieses »Ding« hoch über demverkohlten Stumpf.

Es ist materialisiert, erkannte Monkey.Ein Teleporter?

Rückschalten auf Normalfunktion …Das Gebilde, gut drei Meter hoch und

einen Meter achtzig breit, war bis auf dasNiveau der verbrannten Äste abgesunken.Auch Saedelaere hatte es mittlerweile ent-deckt. Die hagere Gestalt des Maskenträgersbeugte sich ein wenig nach vorne, als versu-che er auf die Weise, mehr zu erkennen.

Zoomfunktion …Das Objekt sprang dem Oxtorner förmlich

entgegen. Es sah aus wie ein großer Kasten,im Vergleich mit den anderen Maßen nichtallzu dick, und es hing senkrecht in der Luft,mit dem schmalen, leicht konisch zulaufen-den Ende nach unten. Langsam, ohne sicht-baren Antrieb, drehte es sich um seineLängsachse.

Antigrav, vermutete Monkey.

Eine Öffnung wurde sichtbar. Ein Hohl-raum in der Breitseite, seine Begrenzungparallel zu den Außenkanten, nur eben deut-lich kleiner. 1,60 Meter hoch, sechzig Zenti-meter breit, schätzte Monkey. Er verzichteteauf eine Distanzbestimmung mit Hilfe desArmbands, denn die Streustrahlung konnteangemessen werden.

»Ein Sarkophag«, raunte Saedelaere.Monkey hatte diesen Vergleich ebenfalls

schon getroffen. Ein geöffneter Sarkophag.Über dem Hohlraum lag ein leichtes Flirrenwie von einem Diffusorfeld. Es verdeckte,was sich dahinter befand, ließ nicht mehr alsein dunkles, schemenhaftes Etwas erkennen.Nicht einmal Monkeys Kunstaugen ver-mochten die Sperre zu durchdringen.

Das Gebilde schwebte nur noch drei Me-ter über dem Boden. Es kam näher. Zufalloder nicht?

Vor Monkeys innerem Auge entstand einBild: ein kleiner schwarzer Vogel, der denSarkophag umkreiste, vor dem Kasten flü-gelschlagend in die Höhe stieg und zu einerengen Umrundung ansetzte.

Der Lamuuni auf seiner Schulter verstand.Hatte er eben noch wie erstarrt gewirkt, warer im nächsten Moment spurlos verschwun-den. Niveau-Teleportation. Nachdem derVogel ihm schon geholfen hatte, seineKunstaugen im Sand wiederzufinden, schiener sich wirklich als nützlich zu erweisen. Erwollte wirklich ein Freund sein.

Allerdings hätte der Lamuuni sofort beimSarkophag sein müssen. Monkey sah ihnnicht. Dafür entwickelten seine Gedanken-bilder ein Eigenleben: Eine blasse Auraflackerte um den Kasten herum auf. Der La-muuni schlug mit den Flügeln, konnte sichaber nicht mehr in der Luft halten. Nochwährend er abstürzte, verkohlte sein Gefie-der.

Hatte der Vogel auf diese Weise geant-wortet? Monkey wandte den Blick, aber sei-ne Schulter blieb leer.

Zurück!, bedeutete er Saedelaere.Gleichzeitig verschwand der Sarkophag

so plötzlich, wie er erschienen war.

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*

Du spürst Monkeys Aggression. Was ernicht kennt, stuft er spontan als feindlichein. Du bist sogar sicher, dass er den seltsa-men Sarkophag abschießen würde, hätte ereinen schweren Strahler zur Verfügung.

Noch während du darüber nachdenkst,verschwindet das Ding. Es ist einfach weg.

Was war es wirklich? Ein Miniatur-Raumschiff? Du zweifelst daran. Eher schoneine Art überschwerer SERUN, nimmst duan.

Du siehst, dass Monkey suchend um sichschaut. Er glaubt nicht, dass das Gebildewirklich verschwunden ist. Offensichtlicherwartet er einen Angriff.

Ohne darüber nachzudenken, greifst dunach deiner Maske. Du prüfst den festen Sitzder Bänder hinter den Ohren.

Hast du etwa vor, dein Gesicht als Waffeeinzusetzen?

Dann bist du nicht besser als Monkey.Sein Verhalten färbt auf dich ab. Bislangdroht keine Gefahr, ist nicht erwiesen, dassder Sarkophag wirklich noch einmal erschei-nen wird.

Auf jeden Fall lernst du schnell. Deine Er-innerung an frühere Zeiten, tief verschüttetund verdrängt, bricht stückweise wieder auf.Du magst hundertmal das irrlichternde Far-benspiel in deinem Gesicht verfluchen unddich nach der Haut sehnen, aber es gibt fürsErste kein Zurück mehr.

Du hebst den Blick. Da ist der Sarkophagwieder, hoch über euch. Kein Zweifel: DasDing hat euch entdeckt.

Monkey wird ebenfalls aufmerksam. Imselben Sekundenbruchteil verschwindet dasGebilde erneut. Diesmal hast du den Vor-gang beobachtet. Der Kasten ist teleportiert,kein Zweifel.

Fünfzig Meter entfernt … zwischen denkahlen Bäumen. Er steht da, als ragte erschon immer an dieser Stelle auf.

Du hast das Gefühl, dass jemand auf euchwartet.

»Er ist friedlich«, sagst du betont.»Lassen Sie mich mit ihm reden!«

Ohne Monkeys Antwort abzuwarten,gehst du. Er wird dich nicht mit Gewalt zu-rückhalten, damit hätte er nichts gewonnen.Aber er wird eingreifen, sobald sich eineGefahr abzeichnet. Ein angreifender Oxtor-ner ist so gefährlich wie ein Haluter wäh-rend der Drangwäsche. Tödlich für alles,was ihm in den Weg kommt. Das sollte dicheigentlich beruhigen, doch das Gegenteil istder Fall. Manchmal fürchtest du den Oxtor-ner.

Du spürst seine Blicke im Nacken. Künst-liche, sezierende Blicke.

Lass dich nicht aufhalten! Monkey würdees dir letztlich als Schwäche auslegen.

*

Alaska Saedelaere verließ den ohnehintrügerischen Schutz der letzten Bäume undtrat auf die Lichtung hinaus. Asche wirbelteunter seinen Füßen auf.

Zielstrebig ging er auf den Sarkophag zu.Noch dreißig Meter … Sein suchender

Blick schweifte über den Himmel. Die Wol-kenfronten hatten sich weitgehend aufgelöst,die Sonne stand als trüber Glutball im frü-hen Vormittag. Von dem riesigen Raum-schiff war nichts mehr zu sehen.

Deutlich zeichnete sich der Hohlraum indem Kasten ab. Dennoch waren nur vageKonturen zu erkennen. Sie erschienendurchaus menschlich.

Fünf Schritte vor dem Sarkophag bliebder Maskenträger stehen.

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagte er.Spontan bediente er sich der Sprache derMächtigen; in Zusammenhang mit einemZeitbrunnen gab es eine hohe Wahrschein-lichkeit, dass sie verstanden wurde. »Wirkommen in Frieden.«

Das Diffusorfeld erlosch. Oder blieb dochein verzerrender Einfluss bestehen? Saede-laere legte den Kopf schräg, aber nichts ver-änderte sich.

Er sah eine zarte, beinahe zerbrechlich

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wirkende Gestalt. Sie war humanoid, nureineinhalb Meter groß und in den Schulternnicht breiter als vierzig Zentimeter. Aber siewirkte schief, unproportional und verzerrt.Dabei hätte Saedelaere nicht einmal mit Be-stimmtheit zu sagen vermocht, was so falschwar und ihn verunsicherte.

Je länger er dieses Wesen musterte, destomehr wurde er verwirrt. Er gab sich einenRuck und konzentrierte sich auf den Kopfdes Fremden.

Das Gesicht wirkte wächsern bleich.Alaska zog Parallelen zu seiner Maske. Siemusste dem anderen ähnlich blass, unbe-weglich und womöglich gar abstoßend er-scheinen.

Eine ausgeprägte knorpelartige Masse be-stimmte die Physiognomie des kleinen We-sens. Zwei dicke, mehrere Finger breiteKnorpelwülste zogen sich von der Stirn biszum Kinn hinab. In diesen Knorpeln, unge-fähr da, wo auch bei einem Menschen dieAugen lagen, befanden sich zwei vergleichs-weise riesige schwarze Augen.

Ihr Blick faszinierte Saedelaere.Samburi Yura!, schrien seine Gedanken.

Nimm das Fragment zurück!Sein Gegenüber betrachtete ihn ungerührt.

Endlich kam Bewegung in den verzerrt wir-kenden Leib. Irgendwie ruckartig beugte ersich nach vorne, kletterte aber nicht aus demSarkophag heraus, wie Alaska erwartete.

Diese riesengroßen, schwarzen, bodenlo-sen Augen … Saedelaere konnte sich nichtvon ihnen losreißen. Sie ähnelten den Augender geheimnisvollen Herrin der LEUCHT-KRAFT …

Der Kleine sagte etwas, das Alaska nichtverstand. Das war eine unbekannte Sprache.Er glaubte nicht, eine solche Folge von Vo-kalen und Konsonanten jemals gehört zu ha-ben.

»Kennst du Samburi Yura?«, fragte er, er-neut in der Sprache der Mächtigen.

»Er soll uns sagen, wo wir uns befin-den!«, dröhnte hinter ihm das Organ des Ox-torners. »Ist das ein Thoregon?«

Der Kleine schien sich unter seltsamen

Verrenkungen Monkey zuzuwenden. In derMitte seines Gesichts gab es zwei nasenarti-ge Öffnungen ohne sonderliche Auswüchse.Darunter verband ein horizontaler Knorpel-wulst die beiden senkrechten Stränge. DieserWulst klappte nun auf und entpuppte sichals breiter Mund mit gefährlich wirkendenZahnreihen. Ein Biss der teils nadelspitzenReißzähne mochte verheerende Folgen zei-gen.

»Thoregon?«, wiederholte Monkey unge-duldig.

Der Kleine winkelte einen Arm an und ta-stete mit gespreizten Fingern über die Innen-wand seines Schutzanzugs. Nichts anderesmochte der Sarkophag sein, möglicherweiseeine groß geratene Prothese für die verscho-bene Gestalt.

Ein handliches Gerät löste sich. Der Klei-ne hob es vor seinen Knorpelmund und be-gann zu reden.

Ein Translator.Alaska Saedelaere hatte die entsprechende

Funktion seines Armbands längst aktiviert.»Ich hoffe, dass wir uns bald unterhaltenkönnen«, sagte er. »Mein Name ist Saede-laere, Alaska Saedelaere. Leider kenne ichden Namen dieser Welt nicht. Ist oder warsie Bestandteil eines Schwarms oder gehörtsie zu einem Thoregon?«

Wieder diese ruckartige Bewegung desFremden.

»Ich traue ihm nicht«, sagte Monkey.»Sobald es zum Kampf kommt, Saedelaere,laufen Sie, so schnell Sie können.«

»Warum sollte ich das tun, Monkey?«»Sein Anzug birgt mit Sicherheit einige

Waffen.«»Keine Waffen«, sagte der Fremde in

dem Moment. Zumindest übersetzte das seinTranslator. Der Rest blieb noch unverständ-lich.

»Na also«, wandte sich Alaska an den Ox-torner. »Sagen Sie auch etwas. Umsoschneller erkennen die Geräte die Grundla-gen.«

»Sie können das mindestens ebenso gut,Saedelaere.«

Durch den Zeitbrunnen 11

»Ich weiß nicht mehr, was ich noch sagensoll.«

Monkey kratzte sich an der Schläfe.»Erzählen Sie ihm von der Haut. Oder vondem Klumpen in Ihrem Gesicht, der Men-schen tötet.«

»Ich dachte mir schon, dass Ihnen nichtsanderes einfällt.«

»Dann erzählen Sie ihm Ihren Lebenslauf.Irgendetwas heute Unwichtiges. Aber erzäh-len Sie! Wir stehen hier schon viel zu langeherum.«

*

»… jenes große Raumschiff, gehört es aufdiese Welt? Und gibt es hier Städte? Wo lie-gen sie, wer wohnt in ihnen?«

»Das genügt«, erklang es unvermittelt.»Der Übersetzer hat beide Personen erfasstund ausgewertet.«

»Na also«, sagte Monkey zufrieden. Sa-edelaere nickte knapp.

»Mein Name ist Chiffa Phi. Ich gehörezum Volk der Mochichi.«

»Alaska Saedelaere«, wiederholte derMaskenträger. »Ich bin Terraner. Und derMann neben mir …«

»Monkey. Oxtorner.«»Was ist das für eine Sprache, die du

sprichst?«»Kaqagire. Sie wird auf allen Welten ver-

standen. Ihr habt Glück, dass ich euch vorden Kattixu fand.«

Monkey hatte die Hände verschränkt undzog sie langsam wieder auseinander. SeineGelenke krachten vernehmlich. »Wer sinddie Kattixu?«, fragte er.

Chiffa Phi reagierte nicht darauf. Aber erverblüffte Monkey und Saedelaere gleicher-maßen mit seiner Frage: »Ihr seid Agentender Ordnungsmächte?«

»Wieso glaubst du so etwas?« Nur vor-übergehend hatte Monkey seine Abwehrhal-tung aufgegeben, schon war sie wieder prä-sent. Dass der Kleine mit dem Begriff Ord-nungsmächte etwas anderes meinte als Kos-mokraten, war kaum anzunehmen.

Chiffa Phis tiefgründige Augen schienenendgültig die Ewigkeit zu spiegeln. Saede-laere glaubte, in diesem Blick zu versinken.Diese Schwärze … wie ein Universum ohneSterne. Der Vergleich gefiel ihm und lenkteihn ab. Chiffa Phis verzerrtes Aussehen er-streckte sich wohl auch auf seinen Geist.

»Mein Anzug verfügt über viele Hilfsmit-tel«, entgegnete der Kleine. »Ich konnteschon aus der Distanz die Vitalenergiespei-cher in euren Schultern anmessen. Deshalbweiß ich, dass ihr Diener der Ordnungs-mächte seid. Das ist ein großes Glück. DerZeitbrunnen hat euch gebracht und ist wie-der erloschen. Die Gruppe der Mochichi, dieich vertrete, würde sehr gerne mit den Ord-nungsmächten zusammenarbeiten.«

»Das können wir nicht zusagen«, wehrteSaedelaere ab.

Die Knorpelwülste des Mochichi verzo-gen sich in einer offensichtlich bedauerndenGeste.

»Es tut mir Leid«, fuhr der Maskenträgerfort und machte eine bedeutungsvolle Pause.»Wir folgen derzeit keinem Auftrag derKosmokraten.« Er drückte sich absichtlichvorsichtig aus und wusste in dem Moment,dass Monkey ihn nicht unterbrechen würde.»Wir sind als Forscher unterwegs, und nurein Zufall hat uns auf diese Welt geführt.Wir versuchen, die Geheimnisse von Thore-gon zu entschlüsseln.«

Schweigen. Nur Monkeys harte Atemzü-ge und das Raunen des Windes waren zuvernehmen.

Saedelaere hatte den Eindruck, Chiffa Phimit seinen Worten enttäuscht zu haben.Zweifellos hatte der Kleine mehr erhofft.Hoch gesteckte Erwartungen, durchzucktees den Maskenträger. Man begegnet nichtjeden Tag vermeintlichen Agenten der Kos-mokraten.

Aber Chiffa Phi glaubte ihm ohnehinnicht. Stahl sich da ein spöttisches Lächelnzwischen die Knorpelstränge? Er hatteschließlich seine Ortungsergebnisse als Be-weis.

In einer unwirklich verzerrten Geste hob

12 Hubert Haensel

der Mochichi beide Arme. »Ihr müsst euerGeheimnis nicht mit allen Mitteln vor mirverbergen«, sagte er. Selbst die mechanischeStimme des Translators ließ den Hauch un-getrübter Zuversicht erkennen. »Darüberkönnen wir später reden. Vorerst drängt dieZeit. Es wäre ein Wunder, hätte nur ich denaktiven Zeitbrunnen geortet. Sein Auf-flackern wurde bestimmt auch an anderenStellen des Planeten erkannt. Inzwischen istschon viel Zeit verstrichen - es kann nichtmehr lange dauern, bis die Kattixu hier ein-treffen.«

»Wer sind die Kattixu?«Wieder überhörte Chiffa Phi die Frage,

die diesmal Saedelaere gestellt hatte. »Bisdie Jäger eintreffen, müssen wir vorbereitetsein«, fuhr er fort, »oder besser noch, wirsind spurlos verschwunden.«

»Es gibt also Probleme auf dieser Welt«,folgerte Monkey. »Von was für Jägernsprichst du? Wie heißt dieser Planet? Überwelche Angriffssysteme verfügen die Be-wohner …?«

»Später«, wehrte Chiffa Phi ab. »Bitte,Monkey, jetzt nicht.«

»Ich vertraue dir nicht«, sagte der Oxtor-ner drohend.

Das Knorpelgesicht schien zu zerfließen.»Dafür habe ich dir keinen Anlass gegeben -und wenn es doch so wäre, bedauere ich daszutiefst.« Er stockte und wandte sich dem»Innenleben« des Sarkophags zu.

Seine Bewegungen wurden hastiger,wirkten zumindest auf Saedelaere wie in ei-nem ruckartig und mit unterschiedlicher Ge-schwindigkeit ablaufenden Film. Monkeymit seinen Kunstaugen mochte das völliganders empfinden.

»Später reden wir über alles«, versprachder Mochichi. »Die Kattixu befinden sichauf dem Weg hierher.«

»Wie viele sind es? Wie sind sie bewaff-net?«, wollte Monkey wissen. »Wenn wiruns in den Wald zurückziehen, können wiruns gut verteidigen.«

Chiffa Phi hielt plötzlich zwei schmale,transparente Bänder in der Hand. »Bitte legt

das an!«, sagte er.Monkeys Kunstaugen ließen keine Re-

gung erkennen. Nur sein Gesichtsausdruckverriet, dass er den Kleinen durchdringendanstarrte.

»Was ist das?«»Tarnkappen«, erläuterte der Mochichi.

»Ihr müsst sie um den Hals tragen, dann ma-chen sie euch unsichtbar. Allerdings nichtim optischen Bereich. Die Tarnkappen ver-hindern lediglich, dass ihr in die Umfassen-de Obhut eingebunden werdet.«

»Nein«, wehrte Monkey ab.»Bitte, beeilt euch!«Alaska Saedelaere nahm beide Bänder

entgegen. »Was kann schon geschehen?«,murmelte er und reichte eine der Tarnkap-pen an Monkey weiter. Er legte sich das ei-gene Halsband um. Mit einer Art Haftver-schluss ließ es sich sehr leicht befestigtenund ebenso schnell wieder öffnen.

Alaska spürte kaum, dass er das Band umden Hals trug. Vor allem geschah nichts,was Monkeys Misstrauen gerechtfertigt hät-te.

Der Oxtorner hatte ihn aufmerksam beob-achtet. Er wandte sich wieder an Chiffa Phi.»Was ist die Umfassende Obhut?«

Der Kleine schien verwirrt. »Das wisst ihrnicht? Nein, ihr wollt mich auf die Probestellen. Ihr habt selbst von Thoregon gespro-chen. - Dies hier ist Thoregon!«

»Welches …«, begann Alaska.»Thoregon ist allgegenwärtig«, sprudelte

Chiffa Phi hervor. »Thoregon ist überall.«Der Mochichi hielt den Kopf schief und

schien zu lauschen. Eine typisch menschli-che Geste.

*

Ein heulendes Geräusch war zu verneh-men. Es steigerte sich rasch und schwollzum noch fernen Stakkato an.

Dutzende Flugechsen flatterten erschrecktauf. Kilometer entfernt fanden sie sich zu-sammen, eine wogende, dunkle Wolke.

»Die Tiere haben Angst«, vermutete Sa-

Durch den Zeitbrunnen 13

edelaere.Monkey blickte den Terraner an. Er hatte

völlig vergessen, dass die Plastikmaske kei-ne Regung mehr in Saedelaeres Gesicht er-kennen ließ. »Der Hügel … die verbranntenBäume …«, stellte er fest. »Das war keinBlitzschlag. Den geradlinigen Verlauf desverkohlten Streifens hat eine schwere Ther-mowaffe hinterlassen. Vielleicht diese Katti-xu.«

Ein zweiter dunkler Fleck erschien nebenden kreisenden Echsen. Vorerst noch weiterentfernt.

Dieser Fleck wurde größer und teilte sichin eine Vielzahl kleiner Punkte.

»Eine Gleiterkolonne.« Monkey hatte sei-ne Augen auf Tele-Modus umgeschaltet.»Es sind keilförmige Maschinen.«

Über den bizarren Wipfeln rasten dieGleiter heran. Sie verzögerten bereits. Un-schwer zu erkennen, dass ihr Ziel in der Nä-he lag.

Ohne vom Kurs abzuweichen, stießen siedurch den Schwarm der Flugechsen hin-durch. Alaska zuckte zusammen, als etlicheTiere in Gedankenschnelle zerfetzt wurden.Die anderen waren plötzlich dem Luftsogausgeliefert und flatterten hilflos dagegenan.

»Die Tarnkappe, Monkey!«, rief ChiffaPhi schrill. »Leg sie endlich an!«

Der Oxtorner hielt das transparente Bandimmer noch in der Faust. Das Material er-wies sich als erstaunlich flexibel. Es spanntenicht einmal, als er es sich um die mächtigenHalsmuskeln schlang und im Nacken ver-schloss.

Dann war die Gleiterkolonne heran. ZweiDutzend tiefschwarze Maschinen, die alleHelligkeit zu absorbieren schienen. Jedezehn Meter lang und am Heck gut siebenMeter breit. Sie schienen rundum geschlos-sen zu sein, ließen keine Sichtöffnungen er-kennen. Also blieben auch die Passagiereverborgen. Ohnehin stellte sich die Frage, obes sich um Robotgleiter handelte.

Höchstens zwei Kilometer seitlich deskahlen Hügels dröhnten die Maschinen vor-

über. Monkey, Alaska Saedelaere und derMochichi befanden sich zu dem Zeitpunktschon in der Deckung der ersten Baumrei-hen.

Nicht allzu weit hinter ihnen stoppten dieGleiter. Das dröhnende Geräusch verändertesich, einige Maschinen schienen tiefer zusinken.

Das Splittern stürzender Bäume war zuhören.

»Du bist uns eine Erklärung schuldig,Chiffa Phi!«, drängte Monkey. Er hatteeinen knorrigen Ast aufgehoben, der kaumweniger Umfang besaß als Saedelaeres ha-gerer Leib. Prüfend schwang er das Holzdurch die Luft; es ließ sich durchaus als pri-mitive Waffe verwenden. »Wonach suchendie Gleiter?«

»Die Kattixu befinden sich auf Zeitbrun-nenjagd«, antwortete der Mochichi, als han-delte es sich um die selbstverständlichste Sa-che dieser Welt. »Für gewöhnlich sind dieJäger schnell. Nur diesmal nicht.«

»Lass dir nicht jedes Wort aus der Naseziehen!«, drängte der Oxtorner, »Heutewarst du also schneller. Wie oft erscheinenZeitbrunnen?«

Er war im Begriff, einen zweiten, wenigerstabilen Ast abzureißen. Das Holz war län-ger als zwei Meter, er brach es ohne An-strengung entzwei. Eines der Teile warf erdem Maskenträger zu.

»Hier, Saedelaere! Sie werden das brau-chen, um sich zu verteidigen.«

Instinktiv fing Alaska den Ast auf. Dabeihätte ihn der Schwung fast umgerissen.

»Das ist unterschiedlich«, antworteteChiffa Phi. »Heute habe ich nicht nur als Er-ster den Zeitbrunnen geortet, sondern zudemintelligente Wesen gefunden, die der Brun-nen brachte.«

»Und nun?«»Der Brunnen ist sehr schnell wieder erlo-

schen. Ich habe keine Ahnung, wie sich dieKattixu verhalten werden. Vielleicht suchensie nach Spuren. Hoffen wir, dass sie dieAngelegenheit auf sich beruhen lassen.«

Die Hoffnung des Mochichi trog. Trieb-

14 Hubert Haensel

werkslärm dröhnte durch den Wald und überdie Hügellandschaft und hallte in vielfachemEcho zurück. Die Kattixu suchten vom Ortdes erloschenen Zeitbrunnens aus.

Chiffa Phi wirkte inzwischen hochgradigaufgeregt. Er stieß eine unverständlicheWortfolge aus, eine Verwünschung, einenFluch oder etwas Ähnliches. Jedenfallskonnte der Translator nichts damit anfangen.

»Die Jäger wissen, dass jemand durch denZeitbrunnen kam«, fügte er hinzu. »Magsein, dass sie eine Infrarotspur geortet ha-ben.«

»Unsere Fährte im Gras«, argwöhnte Sa-edelaere.

»Egal. Ich kenne die Kattixu. Sobald sieBlut geleckt haben, ziehen sie ohne Erfolgnicht wieder ab.«

»Sie sollen nur kommen.« Monkey wogseinen Knüppel in der Hand. »Wir sind esgewohnt zu kämpfen.«

»Und du, Alaska Saedelaere?«, wollte derMochichi wissen.

Der Maskenträger schwieg.»Die Kattixu werden auf jeden Fall meine

Spuren entdecken«, fuhr Chiffa Phi fort.»Ich muss schnell sein, wenn ich ihnen ihrErfolgserlebnis verschaffen will. Merkt euchgenau, was ich jetzt sage, Monkey und Sa-edelaere: Ihr müsst in die Stadt Kiról gehenund Ghem Jhegar aufsuchen! Sagt Jhegar,dass Chiffa Phi euch geschickt hat. Vor al-lem - vertraut ihm!«

Das Diffusorfeld flackerte auf, als müssees den Mochichi vor allzu neugierigenBlicken abschirmen.

»Was ist mit dir?«, wandte sich AlaskaSaedelaere an den Kleinen.

Er redete ins Leere. Chiffa Phi war mit-samt seinem Sarkophag-Anzug verschwun-den. So spurlos, als hätte es ihn nie gegeben.Entweder war er teleportiert oder aus demStand in eine Transition gegangen.

3.

»Wir hätten ihn festhalten sollen«, sagteMonkey inbrünstig, während sich die Trieb-

werksgeräusche von zwei Seiten näherten.»Zeitbrunnenjäger«, sinnierte Saedelaere.

»Ich frage mich, ob wir von ihnen mehr er-fahren könnten.«

Monkey schaute den Terraner ungläubigan. »Das Knorpelgesicht war nicht gut aufdie Kattixu zu sprechen.«

»Ich dachte, Sie glauben ihm nicht.«Der Oxtorner schwieg. Er aktivierte das

Holo-Display seines Multifunktions-Arm-bands.

»Was haben Sie vor, Monkey?«»Ich muss endlich wissen, was geschieht.

Nur dann kann ich richtig reagieren.«»Die Streustrahlung der Mikroorter wird

uns verraten.«»Vielleicht. Oder auch nicht. Kennen Sie

den technischen Standard der Gegner?«Ein Aufheulen, schon ziemlich nahe. Au-

genblicke später zogen mehrere schwarzeSchatten über sie hinweg nach Osten. Saede-laeres Finger verkrampften sich um den Ast.

»Na also«, sagte Monkey zufrieden. »Ichwusste, dass die Kerle nicht aufgeben wür-den.«

Der Maskenträger wartete zwei Atemzügelang. Die Gleiter kamen nicht zurück. Dochdafür rollte das Dröhnen einer Explosionheran. Unmittelbar darauf eine zweite.

»Bleiben Sie in Deckung, Saedelaere!«,befahl der Oxtorner. »Ich schaue nach, wasda geschieht.«

*

Die Brandschneise verlief in Ostwestrich-tung und endete nach kurzer Distanz. DerBlick zum Horizont zeigte einen in stürmi-scher Bewegung erstarrten grünen Ozean,eine bewaldete Hügelregion, so weit das Au-ge reichte.

Fünf oder sechs Kilometer entfernt hingenkleine Explosionswolken am Himmel. Dorttobte ein heftiger Luftkampf. Zwei Gleiter-pulks feuerten auf etwas, das Monkey nichtauf Anhieb erkennen konnte. Der Schall be-nötigte etliche Sekunden, bis er heranbran-dete.

Durch den Zeitbrunnen 15

Tele-Modus. Das Bild, das die Implantat-Augen übermittelten, sprang dem Oxtornerschier entgegen. Ebenso abrupt sah er, wo-hin Chiffa Phi verschwunden war.

Das Objekt, das die schwarzen Gleiter at-tackierten, erinnerte an einen Sarkophag.Kein Zweifel, der Mochichi war an jenerStelle des Waldes mit seinem seltsamen An-zug aufgestiegen, um die Kattixu abzulen-ken.

Ein Spiel mit dem Feuer, registrierteMonkey emotionslos.

Mittlerweile zählte er sechzehn Gleiter,die sich an der Jagd auf Chiffa Phi beteilig-ten. Die übrigen Maschinen kreisten abseitsim Bereich brennender Bäume. DichterRauch quoll in die Höhe. Zweifellos hatteder Mochichi eine falsche Spur gelegt, unddie Kattixu hatten den Köder geschluckt.

Zeit, um selbst zu verschwinden. Sobalddie Gleiter den Sarkophag abgeschossen hat-ten, würden sie den Betrug bemerken und andie alten Positionen zurückkehren.

Ein verhaltenes Rascheln ließ Monkeyherumfahren. Im letzten Moment ließ er denzum Schlag hochgerissenen Knüppel wiedersinken.

»Sind Sie lebensmüde, Saedelaere?«,herrschte er den Maskenträger an. »Ich hatteIhnen befohlen, in Deckung zu bleiben.«

»Ich lasse mir nichts befehlen.« Saedelae-re blickte angestrengt nach Osten.

Neue Explosionen … Glutstrahlen wobenein dichtes Netz. Aber der Sarkophag, dendie Gleiter eben eingekreist hatten, warschon wieder verschwunden.

Etliche hundert Meter abseits und in grö-ßerer Höhe materialisierte der Mochichi.

Die Gleiterpulks schwenkten herum, grif-fen auf breiter Front erneut an. Chiffa Phiwechselte wieder die Position.

Monkey stieß einen knurrenden Laut aus,als er die winzigen Flugkörper bemerkte, dievon verschiedenen Seiten aus auf den Sarko-phag zurasten. Dann zwei Explosionen, diemiteinander zu verschmelzen schienen.

»Was war das?«, wollte Saedelaere wis-sen.

»Exitus«, sagte Monkey. »Die Gleiter ha-ben Selbstlenkprojektile abgefeuert.« Erstutzte, verzog die Mundwinkel zu einer an-erkennenden Geste. »Der Bursche ist besser,als ich dachte. Er lebt noch.«

»Ich wünschte, ich hätte ein Fernglas zurVerfügung.«

»Sie können sich mein Replay anschauen,Saedelaere. Sobald wir auf eine geeigneteProjektionsmöglichkeit stoßen.«

»Dann ist es zu spät.«»Das taktische Lehrstück bleibt …«Monkey achtete nicht länger auf den ha-

geren Terraner. Er versuchte zu verstehen,weshalb der Mochichi nur den Angriffen derGleiter auswich, aber nicht zurückschlug.Die Übermacht der Kattixu war erdrückend.

Immerhin schien der plumpe Anzug überbeachtliche technische Möglichkeiten zuverfügen. Fast schon wie ein miniaturisiertesRaumschiff. Die Detonation der Projektilehatte er überstanden, weil ein Schutzschirmaktiv geworden war. Hinzu kam die eigen-willige Fortbewegungsart.

Chiffa Phi ließ die Jäger herankommen -und verschwand, bevor sie sich auf ihn ein-schießen konnten. Er spielte mit den Katti-xu.

Warum floh der Kleine mit dem Knorpel-gesicht nicht einfach?

Die Antwort lag auf der Hand. Er wollteden vermeintlichen Agenten der Ordnungs-mächte Zeit verschaffen. Aber Monkeydachte noch nicht daran, einfach fortzulau-fen. Bestenfalls konnten Saedelaere und ereinige Kilometer Distanz gewinnen, an ihrerSituation änderte das nichts.

Monkey entdeckte die nächsten Raketenerst Sekundenbruchteile, bevor sie den Sar-kophag-Anzug trafen. Diesmal teleportierteChiffa Phi nicht, nachdem er die waberndenGlutbälle durchstoßen hatte. Der Anzug tau-melte, vollführte eine Reihe seltsamer Flug-manöver und verlor dabei deutlich an Höhe.

Er war angeschlagen.»Mein Gott«, murmelte Saedelaere, »er

opfert sich, damit wir den Kattixu entkom-men können.«

16 Hubert Haensel

Mehrere Gleiter scherten aus, um demMochichi den Todesstoß zu versetzen. IhreThermogeschütze feuerten.

Das war der Moment, in dem der Anzugjäh die Richtung änderte. Keine Transition,eher ein jäher Schub vorwärts, der auf Fehl-funktionen schließen ließ. Die Gleiter wur-den ebenso abrupt herumgerissen. Ihre Ther-moschüsse schlugen in den Schutzschirmein …

… im nächsten Sekundenbruchteil entma-terialisierte Chiffa Phi zum wer weiß wie-vielten Mal. Die Salve, die ihn fast abge-schossen hätte, traf zwei der auf Gegenkursanfliegenden schwarzen Maschinen.

Ein Funkenregen versprühte, dann ent-standen plötzlich zwei dicke Rauchwolkenüber den Bäumen, rasten quer durch einender Pulks und explodierten. Ein Feuerwerkaufglutender Trümmer. Zwei weitere Ma-schinen wurden offenbar beschädigt und fie-len in steilem Winkel in die Tiefe. Augen-blicke später schlugen sie in den Wald ein.

Der Mochichi hing zu dem Zeitpunkt eini-ge hundert Meter über dem Geschehen.

Die Jäger änderten ihre Taktik. Nur nocheinzeln griffen sie an, schossen ihre Projek-tile ab und hetzten den Teleporter-Anzug.

Chiffa Phi verschwand und materialisiertein immer schnellerer Folge.

»Warum setzt er sich nicht weiter ab?«,brachte Saedelaere stockend hervor. »Daswürde ihm eine Verschnaufpause verschaf-fen.«

»Er kann nicht«, sagte Monkey. Erst alsder Maskenträger sich zu ihm umwandte,fügte er hinzu: »Ich vermute, die Kattixublockieren jede Teleportation über eine grö-ßere Distanz hinweg. Vielleicht energetischeStörfelder …«

»Dann kommt er dort nicht mehr heraus.Er opfert sich wirklich.«

»Ja«, sagte Monkey, »das tut er.«Im selben Augenblick explodierte der An-

zug des Mochichi.

*

Trauer und Enttäuschung beherrschendich in diesem Moment. Der Kleine mit demKnorpelgesicht hätte dein Freund werdenkönnen. Jetzt ist er tot. Er wollte dir einenVorsprung verschaffen, den du nicht wahr-genommen hast. Aber Monkey wäre ohne-hin nicht vor der Gefahr geflohen.

Du starrst auf den verwehenden Glutball.Und du fragst dich, ob nur Chiffa Phis großeschwarze Augen deine Zuneigung geweckthaben.

Selbstzweck, Alaska. Finde dich damit ab,dass du das Raumschiff LEUCHTKRAFTniemals wiedersehen wirst. Du kannst dasFragment nicht zurückgeben. Es sei denn, dugehst bis ans Ende des Universums.

Ein verrückter Gedanke.So verrückt wie Samburi Yuras Worte, als

sie das Cappin-Fragment ohne die schützen-de Maske betrachtete: »Es ist wunderschön,Alaska …«

Ihre Worte hallen unter deiner Schädel-decke nach. Du kannst sie deshalb nicht ver-urteilen, sie weiß es nicht besser. Aber dirhilft das gar nicht, es ist ein schwacher Trost…

Triebwerkslärm schreckt dich auf. Mehre-re der nachtschwarzen Jagdgleiter rasendicht über den Wald hinweg. Sie suchenuns!

»Kommen Sie, Saedelaere!«, drängt Mon-key. »Worauf warten Sie?«

Mit ungestümer Gewalt bricht er durchdas Unterholz, dreht sich kurz um. Du schüt-telst den Kopf, weil du weißt, dass es zu spätist. Du kannst Monkeys Tempo nicht mithal-ten. Sein Körper ist eine Kampfmaschine, aneine wesentlich höhere Schwerkraft ge-wöhnt.

»Nein«, hörst du dich sagen. »Gehen Sie,Monkey, ich bleibe hier. Ich werde ein Ver-steck finden.«

Er geht zwei Schritte auf dich zu. »Siesind verrückt, Saedelaere.«

Du zuckst mit den Achseln. »Vielleicht.«Das ist alles, was du zu antworten hast.

Monkey starrt dich einen Moment langan, dann dreht er sich wortlos um und ver-

Durch den Zeitbrunnen 17

schwindet. Alles, was du von ihm nochhörst, ist das Rumoren im Unterholz.

*

Ein bizarrer, fremdartiger Wald. Der felsi-ger gewordene Boden hatte das üppigeMoos verdrängt. Kriechpflanzen klammer-ten sich ans Gestein, und fingerdicke Hölzerwuchsen als Stachelteppich auf. Jede Berüh-rung ließ sie wie sprödes Glas brechen. Woimmer die Splitter auf nackten Fels fielen,begann dieser Blasen werfend aufzuschäu-men.

Meterhohe Korallenbäume bildeten mitihren durchscheinenden, filigranen Wedelndie mittlere Etage. Die spärlichen Sonnen-strahlen entlockten ihnen ein kaleidoskopar-tiges Farbenspiel. Es war, als verändere sichihre unmittelbare Umgebung stetig. Ein un-wirklicher Schein überlagerte die Realität ineinem Meer optischer Täuschung, ein Irrgar-ten, aus dem Tiere kaum wieder herausfan-den. Offensichtlich handelte es sich umFleisch fressende Pflanzen.

Monkeys Kunstaugen fanden mühelosden Weg hindurch.

Die obere Ebene bildeten nach wie vordichte Laubbäume. Herbststimmungherrschte, die Wipfel waren längst durchläs-sig geworden. Laub regnete aus der Höheherab.

Inmitten dieser Bewegung ein dunklerSchatten. Weit kleiner als die fallenden Blät-ter. Flügelschlagend.

Es war der Lamuuni, der Monkey in unru-higem Flug umkreiste und dann auf seinerSchulter landete.

»Was willst du?«, brummte der Oxtorner.Gedankenbilder formten sich. Der Vogel

übermittelte ihm das Abbild der schwarzenKattixu-Gleiter. Einige Maschinen warenausgeschwärmt, markierten offenbar die äu-ßere Begrenzung eines abzusuchenden Ge-biets.

Die anderen Gleiter zogen langsam größerwerdende Kreise. Hin und wieder verharrtensie. Dann wurde das Gelände unter ihnen in

flirrendes Licht getaucht. Monkey sah eineder Flugechsen in diesen »Lichtkegel« gera-ten. Der Schwingenschlag erlahmte, das Tierstürzte haltlos zwischen die Bäume.

Monkey erkannte, was der Lamuuni ihmvermitteln wollte. Die Kattixu jagten alles,was sich bewegte. Offenbar hatte ChiffaPhis Opfergang das Gegenteil des Beabsich-tigten bewirkt.

»Sie können nicht überall gleichzeitigsein«, knurrte er. »Es kommt nur darauf an,wer schneller ist.«

Das Bild, das der Lamuuni vor seinem in-neren Auge entstehen ließ, wechselte. Eszeigte umgestürzte Bäume, halb übereinan-der liegend. Zwischen den Stämmen und ih-ren breiten Wurzelballen große Hohlräume,halb von Laub verdeckt. Zwei seltsame Ge-stalten krochen in diese trügerischen Höh-len.

Das waren Saedelaere und er, wie der La-muuni sie sah.

Der Vogel flatterte von seiner Schulterauf. Er wollte, dass Monkey ihm folgte. Ob-wohl die Richtung nicht die war, die der Ox-torner eingeschlagen hatte.

Das Dröhnen der Gleitertriebwerke, fürkurze Zeit abgeebbt, wurde wieder lauter.Augenblicke später stand Monkey vor denentwurzelten Bäumen. Es behagte ihm nicht,sich verkriechen zu müssen, aber anderskonnte er den Kattixu wohl nicht mehr ent-kommen.

*

Der Wald schweigt. Nur das Dröhnen derGleiter dringt aus der Höhe herab. Es istbösartig wie das Surren eines Schwarmsmordlüsterner Insekten.

Du wirst nicht fliehen, das ist dir klar.Vielmehr sehnst du dich nach einigen Mo-menten der Ruhe, um mit dir selbst ins Rei-ne zu kommen.

Wie viele Stunden sind vergangen, seit dudie Haut begraben hast? Sie musste sterben,weil sie sich von dir Hilfe erwartete. Aberdu kannst nichts dafür, das Cappin-Fragment

18 Hubert Haensel

hat sie getötet. Du hattest keine Möglichkeit,es zu verhindern. Die Haut hätte nur von dirablassen müssen, doch in ihrer Panik hat siesich immer fester angeklammert. Sie erkann-te nicht, dass sie damit selbst ihr Ende her-aufbeschwor. Oder hat sie es nicht erkennenwollen?

Kummerogs Haut ist nicht mehr, die letz-te Spur des Mutanten der Cantrell damit be-seitigt. Eine Episode kosmischer Geschichtewurde beendet.

Du fragst dich, ob du deshalb glücklicherbist. Immer hast du dich danach gesehnt, ei-nes Tages frei zu sein. Dein Leben da fort-zusetzen, wo der Transmitterunfall es vorsehr langer Zeit drastisch veränderte.

Aber das Terrania City von einst existiertnicht mehr. Du bist auch nicht mehr der jun-ge Alaska Saedelaere mit seinen Sehnsüch-ten und Träumen. Nur deine Ängste sind ge-blieben.

Die Gleiter kommen näher. Sie suchengezielt.

Wie würde Bully jetzt sagen? Du bist vomRegen in die Traufe geraten, Alaska.

Hasst du das Cappin-Fragment? Es nimmtdir die Freiheit, wieder ein Mensch unterMenschen zu sein. Es erinnert dich daran,jahrhundertelang mit dem Cappin Testare inbesonderer Weise verbunden gewesen zusein.

Aber willst du die völlige Freiheit über-haupt? Erinnere dich! Schon als Kind hastdu sehnsüchtig zum Nachthimmel aufge-schaut und eine unglaubliche Verlockunggespürt.

Dein Platz ist das Universum!Die Schöpfung schert sich nicht um dein

Äußeres. Die Sterne blicken tiefer, AlaskaSaedelaere, bis auf den Grund deiner Seele.

Es ist wunderschön, Alaska. Du fragstdich, was Samburi Yura mit ihren Wortenwirklich gemeint hat, als sie das Cappin-Fragment betrachtete.

Träume, Alaska, dann kannst du verges-sen, was dir in der LEUCHTKRAFT ange-tan wurde.

*

Ein splitterndes Krachen ließ ihn herum-fahren. Seine Rechte schloss sich fester umden Knüppel, den Monkey ihm gegeben hat-te; es war eine instinktiv abwehrende Bewe-gung.

»Beeilen Sie sich, Saedelaere!«, dröhnteMonkeys Stimme aus dem Dickicht.

»Warum sind Sie zurückgekommen?«Obwohl er darauf gehofft hatte, reagierteAlaska überrascht. Wirklich daran geglaubthatte er nicht.

Der Oxtorner schwieg. Ohne Alaska Sa-edelaeres Reaktion abzuwarten, machte erauf dem Absatz kehrt. Offensichtlich war erder Ansicht, schon zu weit aus sich heraus-gegangen zu sein. Jedes Wort mehr wäreüberflüssig gewesen und hätte ihn womög-lich schwach erscheinen lassen.

… zwei Menschen, von denen jeder genü-gend Gründe hat, sich in das eigeneSchneckenhaus zurückzuziehen, dachte Alas-ka Saedelaere bitter. So gesehen können wirnicht miteinander auskommen.

Der Terraner beeilte sich dennoch, demOxtorner zu folgen.

Sonnenstrahlen verzauberten den Wald,als er noch einmal zurückschaute. Aberschon im nächsten Moment wurde das Flir-ren von einem schwarzen Schatten ver-drängt. Die Zeitbrunnenjäger hatten nahezuaufgeschlossen.

Der Weg war nicht weit. Ungläubig standAlaska vor den umgestürzten Bäumen.

»Kriechen Sie schon hinein!«, drängte derOxtorner.

Ausgerechnet Monkey und ein solchesVersteck? In dem Moment war Saedelaerefroh, dass der Umweltangepasste ihm keineRegung ansehen konnte. Eine Maske hattemanchmal eben auch ihr Gutes.

Der Lamuuni saß auf einem der Stämmeund schien sie zu beobachten.

Saedelaere zwängte sich in den kleinerenHohlraum. Monkey raffte sofort mehrereHand voll Laub zusammen und verteilte es

Durch den Zeitbrunnen 19

über ihm. Sekunden später verrieten die Ge-räusche, dass der Oxtorner sich ebenfallszwischen die Stämme schob.

»Haben Sie Ihre Tarnkappe noch, Mon-key?«, raunte der Maskenträger.

»Die Halsbänder machen nicht unsicht-bar. Haben Sie das schon vergessen, Saede-laere?«

»Vielleicht sind die Kattixu ausführendesOrgan der Umfassenden Obhut.«

Einer oder mehrere Gleiter schwebtenjetzt ziemlich genau über ihnen. Mit demArmbandorter hätte er das feststellen kön-nen. Doch Alaska hütete sich, auch nur eineder Funktionen zu aktivieren.

Er horchte nach draußen. Etwas andereskonnte er kaum tun. Die Gleiter kreistenüber dem Gebiet.

Chiffa Phi hatte mehr Fragen hinterlassenals Antworten gegeben. Was war die Umfas-sende Obhut? Der Name klang nach Über-wachung, ließ aber nicht erkennen, in wel-chem Sinn. Aber war Obhut wirklich gleich-zusetzen mit Geborgenheit?

Saedelaeres Gedanken wirbelten durch-einander. Er klammerte sich an die Fragenwie ein Ertrinkender an einen rettenden Ast.Sie lenkten ihn ab. Von dem Zucken im Ge-sicht, das nicht mehr ihm gehörte. Von demgrellen Flackern, das sich an den Stämmenüber ihm spiegelte und sogar die geschlosse-nen Lider durchdrang.

Die Reglosigkeit quälte ihn. Sie gab ihmaber auch erstmals wirklich Zeit, über dieGeschehnisse auf Eolix II nachzudenken.

Alaska Saedelaere, der Transmitterge-schädigte. Niemand außer einigen wenigenGeschichtsbeflissenen konnte heute noch et-was mit diesem Begriff anfangen. Sicher,man kannte seinen Namen, aber nur als Trä-ger eines Aktivatorchips. Vielleicht noch alsden Piloten des Virtuellen Schiffs VIRTUA/18 im PULS - sofern die Masse der Bevöl-kerung sich wirklich für Details interessierthatte.

Auf jeden Fall aber als Träger der Hautdes Verbrechers Kummerog. Das hatte sei-nerzeit für Schlagzeilen gesorgt: Kummerog

und die Zivilisation der Herreach auf Tro-kan. Was vor der Haustür der Menschheitgeschah, interessierte immer. Alles andereschien selbst heutzutage noch unendlichweit entfernt.

Alaska Saedelaere, der Maskenträger,dessen Gesicht den Wahnsinn verbreitetoder das gar tötet. Davon würden die Men-schen bald wieder reden.

Die eigene Naivität entsetzte ihn. Er dach-te von den Menschen, als würde er morgenschon Terra erreichen. Dabei hatte er keineAhnung, ob das System der Zeitbrunnen je-mals einen Weg zurück ermöglichte. DieSchwärme existierten nicht mehr. Kys Cha-mei, die letzte der wandernden Kleingalaxi-en, war in der Galaxis Fou gestrandet.

Vorbei die Ära, in der dem Universum dieIntelligenz gebracht worden war. Völker, diesich in Zukunft entwickelten, würden es un-gleich schwerer haben, sich über ein primiti-ves Stadium hinaus zu erheben und nach denSternen zu greifen.

Das Leben soll nicht länger gefördertwerden. Es nahm ohnehin Überhand. Sam-buri Yura hatte ihm das zu verstehen gege-ben. Aber sie hatte als Beauftragte der Kos-mokraten gesprochen, nicht für sich selbst.Er hatte das gespürt. Weil eine Frau wie dieHerrin des blauen Walzenraumers nicht zusolch verachtendem Zynismus fähig seinkonnte.

Ohne immer neue Impulse, glaubte Sa-edelaere, würde alles Leben eines Tages vonselbst erlöschen. Das konnte nicht das Zielder Ordnungsmächte sein. Das durfte esnicht sein!

Sie irren sich!, schrie seine innere Stim-me. Sie handeln zyklisch, ohne Weitblick.

Besaß er selbst diesen Weitblick? Durfteer sich anmaßen, überhaupt ein Urteil zu fäl-len? Schließlich hatten eben diese Kosmo-kraten vor undenklich langer Zeit mit demEinsatz von Sporenschiffen und Schwärmendem Leben eine Chance gegeben.

Er schüttelte sich ab. Verdammtes Frag-ment. Du treibst mich in Gedanken, die nochtödlicher sein können als dein Anblick. Die

20 Hubert Haensel

Qual würde ihn innerlich auffressen.Es war still geworden. Alaska wagte

kaum zu atmen. Sein Herz hämmerte wildgegen die Rippen.

Die Kattixu waren gelandet?Das Geräusch eines brechenden Astes in

nächster Nähe erschreckte ihn. Unwillkür-lich griff Saedelaere nach der Maske. So vielFreiraum hatte er gerade in seinem engenVersteck. Er würde den Jägern zeigen, dassdie Beute nicht wehrlos war.

Sie waren da, dicht neben ihm …Seine Finger verkrallten sich in der Mun-

döffnung der Maske. Ein Ruck genügte, dieBänder hinter den Ohren zu zerreißen.

War es wirklich so, dass Monkeys Bei-spiel schon auf ihn abfärbte? Er lauschte mitangehaltenem Atem.

Urplötzlich dröhnte eine Stimme auf dieihm fast die Trommelfelle sprengte: »SindSie eingeschlafen, Saedelaere?«

4.

Erst vierzig Minuten waren vergangen,seit der Zeitbrunnen sie auf diese Welt ver-setzt hatte.

»Die Jäger sind fort«, sagte Monkey.»Der Mikroorter zeigt keine Aktivität.«

Sie hatten ihr Versteck verlassen undstanden wieder am Waldrand. Ihre Blickeschweiften über die Hügel, die sich im Spielvon Licht und Schatten kaum verändert hat-ten.

Schwerer Rauch hing über dem Wald. Je-doch schienen die Flammen von selbst erlo-schen zu sein. Sie würden also nicht auchnoch einem um sich greifenden Waldbrandausweichen müssen.

Monkey zeigte nach Westen. »Was mei-nen Sie, Saedelaere?«

Egal, in welche Richtung sie sich wand-ten, ein Weg mochte so gut oder so schlechtsein wie der andere.

»Wir sollten die Stadt Kiról aufsuchen.Und diesen Ghem Jhegar«, überlegte derMaskenträger.

Leider hatte der Mochichi vergessen, ih-

nen eine Landkarte des Planeten auszuhän-digen. Auf den ersten Blick erschien es aus-sichtslos, die Stadt schnell zu finden.

Andererseits hätte Chiffa Phi ihnen wohlkaum diese Anweisung hinterlassen, wäre esfür sie unmöglich gewesen, Kiról und GhemJhegar zu erreichen.

Das riesige Raumschiff, das sie vor mehrals einer halben Stunde gesehen hatten, warim Westen verschwunden. Aus derselbenRichtung waren kurz darauf die Gleiter derKattixu erschienen. Mit anderen Worten: Siemussten sich ebenfalls gen Sonnenuntergangwenden. Egal, ob die Zeitbrunnenjäger denWeg gefährlich werden ließen oder nicht, erwar vorgezeichnet.

*

Über eine kurze Strecke kamen Monkeyund Alaska Saedelaere gut voran. Immerwieder suchten ihre Blicke den Himmel ab,aber nicht einmal eine der großen Flugech-sen zeigte sich. Fast schien es, als hätten dieJagdgleiter alles Leben aus diesem Bereichvertrieben.

Monkey schritt kräftig aus. Saedelaere fielrasch zurück und musste mehrmals einenZwischenspurt einlegen, um auf zuschlie-ßen.

Das Gelände wurde noch felsiger, derWald lichter. Nach einigen Kilometern hieltMonkey erstmals inne. Steif wie ein Roboterstand er da und drehte den Kopf von einerSeite zur anderen.

Die Hügellandschaft setzte sich scheinbarendlos fort. Aber der Horizont war zum Teilsehr nahe. Was jenseits lag, würde sich erstvon den nächsten Höhenrücken aus erken-nen lassen.

»Thoregon ist allgegenwärtig«, murmelteAlaska Saedelaere.

»Davon sprach Chiffa Phi.«»Was meinen Sie, Monkey? Haben wir

tatsächlich ein Thoregon erreicht? Wo imUniversum liegt es?«

»Stellen Sie die Frage jemandem, der siebeantworten kann.«

Durch den Zeitbrunnen 21

Saedelaere nickte zögernd. »Ich wüsste zugerne, wie wir von hier aus Kontakt zu denHelioten aufnehmen können.«

»Fragen Sie den Lamuuni!« Monkey ver-suchte, den auf seiner Schulter sitzendenVogel mit einem blitzschnellen Griff einzu-fangen, aber er fasste ins Leere. Ebensoschnell war der Lamuuni aufgeflattert.»Komm schon, du Vieh!«, knurrte Monkey.»Wenn du zu mir willst, musst du auch wasdafür tun.«

Zeternd hing der Lamuuni mehrere Meterüber ihm in der Luft. Er ließ sich erst wiedernieder, als Monkey die Hand zurückzog.

»Was haben Sie vor?«, wollte Saedelaerewissen.

»Der Vogel soll sich für uns umsehen«,antwortete Monkey grimmig.

»Übermitteln Sie ihm den Wunsch ge-danklich!«

»Das habe ich längst versucht. Das Viehist stur wie ein ertrusischer Ziegenbock.«

Aus welchem Grund auch immer, der La-muuni dachte nicht daran, Monkeys gedank-lichen Befehl auszuführen. Und Monkeyverfügte nicht über die nötigen mentalenKräfte, den Vogel gezielt zu beeinflussen.Es war ohnehin fraglich, ob er im Laufe derZeit lernen würde, das Tier als Partner zuakzeptieren. Der Lamuuni hatte sich ihn aus-gesucht und nicht umgekehrt.

Dann war das Federknäuel wieder ver-schwunden. Von einem Augenblick zum an-deren. Wohin die Niveau-Teleportation denVogel führte, wusste niemand.

*

»Bleiben Sie stehen, Monkey!«Schwer atmend rief Alaska Saedelaere

hinter dem Oxtorner her. Er hatte sich aufeinen Felsklotz sinken lassen und pumptegierig die würzige Luft in seine stechendenLungen. Seit knapp zweieinhalb Stundenhetzten sie von einem Hügel zum nächsten,hatten grob geschätzt fast zwanzig Kilome-ter zurückgelegt. Wobei Monkey durchausRücksicht nahm. Der Oxtorner allein hätte

in der Zeit ein Mehrfaches der Entfernungüberwinden können.

Monkey kam tatsächlich die letzten hun-dert Meter zurück. »Was ist mit Ihnen, Sa-edelaere? Haben Sie sich verletzt?«

»Ich bin kein Marschiere-Viel.«Monkey verzog keine Miene.»Ich halte Ihr Tempo nicht ewig durch«,

fügte Alaska hinzu. Jetzt, da er zur Ruhekam, brach ihm der Schweiß aus allen Po-ren. Nicht einmal der Zellaktivator konntediese Reaktion seines Körpers unterdrücken.Der Schweiß rann Alaska über die Stirn undbrannte wie Feuer in den Augen.

»Drehen Sie sich um, Monkey!«»Ich verstehe nicht …«»Wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie um-

bringe, machen Sie schon!« Alaska wurdeärgerlich. »Ich sehe nichts mehr.«

Nun verstand der Oxtorner. Offensichtlichfiel es ihm noch schwer, in aller Tragweitezu erfassen, welche Veränderung mit Saede-laere vor sich gegangen war.

Alaska zerrte die Maske vom Gesicht undwischte den Schweiß aus den Augen. Er hat-te selbst schon nicht mehr gewusst, was esbedeutete, sich unter einer Plastikmaske ver-bergen zu müssen. Von allen angestarrt zuwerden war noch die harmloseste Folge.

Das Cappin-Fragment wogte irrlichternd.Verschwinde!, dachte Saedelaere in jäh auf-flackernder Hoffnung. Lass mich mein Le-ben leben, wie ich es will! Er wusste, dass erso nichts erreichte. Eine eigenartige Hasslie-be verband ihn mit dem Fragment.

»Was ist?«, drängte der Oxtorner.»Lassen Sie mir noch eine Minute.«Langsam setzte Alaska die Maske wieder

auf und rückte sie umständlich zurecht.»Ab sofort gehen Sie voran«, sagte Mon-

key, als er sich wieder umwandte. »Wirkommen dann zwar langsamer weiter, aberich will Sie nicht verlieren.« Er wehrte ab,als Saedelaere sich erheben wollte.»Verschnaufen Sie!«, sagte er. »Auf fünfMinuten mehr oder weniger kommt es nichtan.«

Alaska stützte die Ellenbogen auf die

22 Hubert Haensel

Oberschenkel und das Kinn in die Handflä-chen. Für eine Weile konzentrierte er sichauf die belebenden Impulse, die der Aktiva-tor durch seinen Körper schickte.

Überrascht bemerkte er, dass Monkeysein Halsband abgenommen hatte und imBegriff war, es mit dem Mikroorter zu unter-suchen.

»Nichts!«, sagte der Oxtorner. »Ich kannweder an Ihrem noch an meinem Halsbandetwas anmessen. Tarnkappen …« Er stießeinen zornigen Laut aus. »Ich will wissen,was damit getarnt wird. Weder machen sieunsichtbar, noch wird unsere Wärmeabstrah-lung verringert.«

»Wahrscheinlich schützen sie gegen Or-tungsgeräte«, vermutete Saedelaere. »Ichwerde meines jedenfalls nicht ablegen.«

Der Oxtorner überhörte den unterschwel-ligen Vorwurf. »Ihr Multifunktions-Arm-band wird in meinem Display als Energieführend angezeigt«, stellte er fest. »DasHalsband hingegen ist messtechnisch tot. -Nur das Halsband.«

Damit war klar, dass sie von normalenEnergieortern entdeckt werden konnten.Wenn auch die Emissionen ihrer Armbändernur auf geringe Distanz anzumessen waren.

Für einen Augenblick sah es so aus, alswolle Monkey sein Halsband wegwerfen.Erst im letzten Moment überlegte er es sichanders und befestigte es wieder.

Die Sonne war ein kleines Stück weiter-gewandert. Sie tauchte das Land in einenorangefarbenen Schimmer, der es schwermachte, Entfernungen zutreffend abzuschät-zen. Zudem war es unangenehm schwül ge-worden. Auf der Erde hätte sich ein Wolken-bruch, wenn nicht gar ein heftiges Gewitterangekündigt, doch hier blieb der Himmelklar und wolkenlos.

Sekundenlang winkelte Monkey den Arman. Die akustische Ausgabe seines Arm-band-Pikosyns war laut genug, dass Saede-laere sie ebenfalls hörte.

»Hyper- und Normalfunkverkehr könnennicht angemessen werden«, stellte die syn-tronische Zentraleinheit fest. »Gleiches gilt

für die passive Energieortung: keine Echos.«»Das heißt, auf dieser Welt gibt es keine

technisch, fortgeschrittene Zivilisation?«»Eine eindeutige Aussage ist nicht mög-

lich«, antwortete der Pikosyn.»Gibt es eine Ursache dafür?«»Unbekannt.«»Alle Funktionen abschalten!«, komman-

dierte Monkey.»Vielleicht erfüllen die Tarnkappen doch

ihren Zweck«, sagte Saedelaere. »Sie umge-ben uns mit einem Ortungsschutz, der vonkeiner Seite aus durchbrochen werdenkann.« Aber das war nur eine Vermutung.

*

Der Maskenträger bestimmte fortan dasMarschtempo. Sie kamen immer noch zügigvoran, doch Monkey war anzusehen, dass ersich mühsam zurückhielt.

Hin und wieder scheuchten sie Rudel klei-nerer Tiere auf. Insekten schwärmten imSonnenglast, und das eine oder andere Malzog eine Flugechse majestätische Kreiseüber ihnen. Trotzdem blieb diese Welt faststumm.

Der Wald lichtete sich allmählich. Nach-dem die Wanderer den ersten weit mäan-dernden Flusslauf überwunden hatten, wichdas Unterholz einem weichen Grasteppich.Bald gab es nur noch den Hochwald mit sei-nen weit ausladenden, ineinander ver-schraubten Ästen.

Unter anderen Umständen hätte Alaskafür kurze Zeit innegehalten und das Flairdieser Welt auf sich wirken lassen. Er spürteeinen Hauch von Ewigkeit, eine innere Stil-le, die ihm bisher nur an wenigen Orten be-gegnet war. Während des Indian summer inden kanadischen Wäldern oder in abgeschie-denen Bereichen der Wüste Gobi - aber daslag alles schon sehr lange zurück.

Monkey hätte für solche Empfindungenohnehin kein Verständnis aufgebracht.

Sie erreichten einen der höchsten Hügel,bislang die nahe Horizontlinie. Lediglich derWald versperrte noch die Sicht nach We-

Durch den Zeitbrunnen 23

sten.Monkeys Blick wanderte an einigen Bäu-

men empor. Prüfend rüttelte er an den nichtsehr massiven Stämmen. Jeweils vier oderfünf armdicke Strünke wanden sich verdrehtin die Höhe und stützten sich gegenseitig. Esschien, als hätte das in der Nähe des Zeit-brunnens stangenartige Unterholz sich zu ei-ner höheren Wuchsform zusammengefun-den.

Dem Lebendgewicht eines Oxtorners hiel-ten die Bäume aber kaum stand.

»Das ist eher eine Aufgabe für mich«,stellte Alaska Saedelaere fest. Er begutach-tete einige Stämme, bis er sich für einenBaum entschied, aus dessen Krone er wohleinigermaßen gut über alle anderen hinweg-schauen konnte. Es war nicht der höchsteBaum, aber einer, der den besten Rundblickversprach.

»Saedelaere!« Alaska fuhr herum. Mon-key stand hinter ihm und streckte ihm dieHand entgegen. »Nehmen Sie das hier!«

Erst jetzt erkannte er, was der Oxtorner inseiner Pranke hielt. Verwirrt wanderte seinBlick zu Monkeys leerer rechter Augenhöh-le.

»Ihr Auge, Monkey …?«»Mich interessiert, was Sie von da oben

aus sehen.«Ich unterschlage Ihnen schon nichts. Die

Antwort lag Alaska auf der Zunge, doch erschluckte sie unausgesprochen hinunter.

»Aufzeichnungs-Modus läuft, mittlererTelebereich ist aktiviert. Verlieren Sie dasAuge nicht, Saedelaere!«

Er verzog einen Mundwinkel, entsannsich, dass Monkey sein spöttisches Grinsennicht einmal mit beiden SAC-Objektivenhätte sehen können, und nickte nur stumm.

Die Stammwindungen erleichterten es, andem glatten Holz in die Höhe zu klettern.Erst als die einzelnen Strünke wieder ausein-ander strebten, bekam Alaska Probleme.Zum einen war das Geflecht dichter, als esvom Boden aus den Anschein hatte, zum an-deren krachte das Holz bedrohlich unter sei-nem Gewicht. Von dem erhofften Ausblick

konnte momentan gar nicht die Rede sein.Nur zentimeterweise schob er sich vor-

wärts, lag bäuchlings auf zwei Ästen. Zubeiden Seiten wand sich ein wirres Geflecht;einzelne Auswüchse erinnerten an fingerlan-ge Dornen. Je mehr Saedelaere auf seineUmgebung achtete, desto mehr dieser Dor-nen sah er. Sie waren überall.

Trotzdem noch ein halber Meter … DieÄste knackten bedrohlich. Ein kurzer Blicknach unten zeigte Alaska, dass viel Laub ab-regnete.

»Leben Sie noch?«, erklang es irgendwounter ihm.

»Ich passe schon auf Ihr Auge auf, Mon-key.« Er konnte sich diese Erwiderung nichtverkneifen.

»Falls Sie abstürzen, versuche ich Sie auf-zufangen.«

Vor ihm schimmerte ein Stück orangefar-bener Himmel. Und im Dunst weiter Ferneso etwas wie ein lang gestreckter Höhenzug.Der Lärmschutzwall eines Raumhafens?Vergeblich versuchte Saedelaere, mehr zuerkennen.

Ein herabhängender Ast behinderte seineSicht. Alaska wollte ihn zur Seite biegen.

Im nächsten Moment ein Splittern. Etwasgab nach. Er spürte, dass er zur Seite rutsch-te, riss den Arm hoch, um nach den nächstenÄsten zu greifen, und kippte vornüber.

Mit einem unmittelbar darauf folgendenzweiten Ruck wurde der Sturz vom tieferliegenden Gewirr aufgefangen.

Sekundenlang lag Saedelaere regungslos.Sein Handrücken blutete, aber die Fleisch-wunde, die ein Dorn gerissen hatte, warnicht tief. Der Einfluss des Aktivators würdedas Gewebe sehr schnell vernarben lassen.

Überrascht registrierte der Maskenträger,dass er nun eine bessere Fernsicht hatte alsnoch Sekunden zuvor.

»Da ist eine Stadt, Monkey!«»Vergessen Sie die Aufzeichnung nicht!«Vorsichtig tastete er nach dem Objektiv,

das er in einer Tasche seines Overalls ver-staut hatte. Saedelaere fröstelte, als er darandachte, wie fest Monkey zuschlagen musste,

24 Hubert Haensel

um jedes Kunstauge in seinem Schädel zuverankern. Dazu bedurfte es eines Schlags,der einen Ochsen zu Boden schicken konnte.

Ziemlich genau im Westen, so weit ent-fernt, dass er die Silhouette im Dunst desTages gerade noch erkennen konnte, lag ei-ne Stadt. Das Sonnenlicht brach sich an ver-streut liegenden hohen Bauwerken.

Er sah nur die obersten Stockwerke,konnte nicht einmal abschätzen, wie weit dieGebäude aufragten. Diese Stadt schien in ei-nem Tal errichtet zu sein, aber sie erstrecktesich zugleich bis hinter den Horizont.

Vergeblich suchte Alaska Saedelaere nachstartenden oder landenden Raumschiffen,nach Flugzeugen oder einfach nur über derStadt kreisenden Gleitern. Aber egal wietechnisch hoch stehend die Siedlung war, sieumfasste auf jeden Fall ein beachtlichesAreal.

Ein Dröhnen hing plötzlich in der Luft. Esnäherte sich schnell.

»Kattixu!«, rief Monkey warnend.Im gleichen Moment sah auch Saedelaere

die Jagdgleiter. Es hatte den Anschein, dasssie auf seinen Baum zuhielten. Sie kamenaus der Sonne, deshalb hatte er sie nichtschon eher entdeckt.

»Kommen Sie runter, Saedelaere! Sprin-gen Sie!«

Das war unmöglich. Trotzdem kam Alas-ka in Rekordzeit auf den Boden.

Über ihnen donnerten die Jagdgleiter hin-weg. Sechs keilförmige Maschinen.

Dann hing nur noch das Dröhnen überden Hügeln. Aber auch das verklang rasch.

»Sie … sie haben uns nicht entdeckt«,sagte Alaska Saedelaere stockend. »Nur wa-rum nicht? Haben uns die Baumkronen oderdie Tarnkappen abgeschirmt?«

Monkey hielt ihm die offene Hand entge-gen. »Mein Auge!«, verlangte der Oxtorner.

*

Das Knirschen, als Monkey sich das Ob-jektiv mit einem Faustschlag in die leereAugenhöhle treibt, jagt dir einen Schauder

über den Rücken. Dabei bist du nicht emp-findlich, es ist nur … Monkeys Nähe hat et-was Bedrückendes.

Trotzdem kannst du nicht sagen, was dichstört. Vielleicht seine kalte, berechnendeArt. Oder weil du seine Vergangenheitkennst - zu kennen glaubst? Monkey ist einausgebildeter Killer, wenn es darauf an-kommt, kein Mensch, sondern eine perfektfunktionierende Maschine.

Und du selbst, Alaska, hast du nie getö-tet? Du brauchst nur deine Maske abzuneh-men und hast Narrenfreiheit und das Cap-pin-Fragment, auf das du jede Schuld abwäl-zen kannst. Monkey wäre wohl der Letzte,der dir das verwehren würde.

Vergiss solche Gedanken! Du machst dirdas Leben damit nicht leichter.

*

»Sie hätten das Objektiv besser ausrichtensollen, Saedelaere.« Monkey brach sein mi-nutenlanges Schweigen. »Die Aufzeichnungzeigt mehr Himmel als Landschaft.«

»Die Stadt liegt nicht sehr weit entfernt«,antwortete der Maskenträger.»Wahrscheinlich ist das Kiról, von demChiffa Phi sprach. Mehr wollten wir nichtwissen.«

Monkey verzog die Mundwinkel zu einerspöttischen Grimasse. »Ich habe eine Rest-vergrößerung vorgenommen. Was Sie alsStadt bezeichnen, wirkt verlassen, Saedelae-re. Nur ein einziges Bauwerk erscheint mirinteressant, eine verspiegelte Kuppel imZentrum.«

Der Maskenträger hob die Schultern undließ sie langsam wieder sinken. »Die Wahr-heit werden wir vor Ort erfahren. Was glau-ben Sie, Monkey, wie groß ist die Entfer-nung?«

»Nochmals gut zwanzig Kilometer.«»Also weitere zwei Stunden.« Saedelaeres

Blick galt dem Stand der Sonne. Sie würdendie Stadt auf jeden Fall am frühen Nachmit-tag erreichen.

Durch den Zeitbrunnen 25

5.

Die Hütte fügte sich harmonisch in ihreUmgebung ein. Eigentlich war sie mehr eineBaracke, aus Stämmen, Brettern und Blatt-geflecht zusammengezimmert, und geradedeshalb entging sie jedem nur flüchtigenBlick. Tief duckte sie sich zwischen moos-überwucherte Felsen und verkrüppelte Bäu-me.

Etwa die halbe Entfernung zur Stadt laghinter ihnen. Die erste Begegnung mit Frem-den würde also ohnehin nicht mehr langeauf sich warten lassen. Alaska ging zielstre-big auf die Hütte zu.

»Was haben Sie vor, Saedelaere?«Er hielt nur kurz inne. »Hier wohnt je-

mand«, sagte er. »Sehen Sie den Hackstockund die Axt? Das Brennholz an der Wandwurde erst vor wenigen Tagen aufgeschich-tet.«

»Primitiv«, wehrte der Oxtorner ab. »Wirverlieren unnötig Zeit. Wichtig ist, dass wirweiterkommen, Saedelaere.«

»Nachdem wir wenigstens versucht ha-ben, mit den Bewohnern Kontakt aufzuneh-men.«

»Da ist niemand.«Saedelaere setzte sich wieder in Bewe-

gung. »Dann wissen wir wenigstens, woranwir sind.«

Monkey ließ ein Stöhnen vernehmen.»Sie müssen Ihre körperliche Schwächenicht durch Sturheit kompensieren.«

Für Sekundenbruchteile starrten sie sichgegenseitig an, war der Widerspruch fastgreifbar. Alaska schluckte schwer. Wortlosging er weiter.

Wenigstens auf den letzten zwanzig Me-tern achtete er auf Deckung. Die Baracke,das sah er erst aus der Nähe, war baufällig.Das undichte Dach schützte nicht mehr vorRegen, ein Giebel stand bedrohlich schräg.Armlange Keimlinge in den Bretterfugenwürden die Hütte in absehbarer Zeit mit ih-ren Wurzeln sprengen.

Ein Blick zurück zeigte dem Maskenträ-

ger, dass der Oxtorner ihm widerwillig folg-te. Zweifellos stand Monkey im Widerstreitmit sich selbst. Er wollte möglichst schnelldie Stadt erreichen, und Saedelaere als derLangsamere war ihm ohnehin schon einKlotz am Bein.

Ein einziges Fenster ließ Licht in die Hüt-te hinein. Einst hatte es aus Glas bestanden,jetzt steckten nur noch kantige Splitter imRahmen. Jemand hatte dahinter eine Foliegespannt. Sie war trübe und erlaubte keinenDurchblick.

Die Tür stand einen Spalt weit auf undwar zumindest von außen nicht zu verschlie-ßen.

»Ist da wer?«, rief Alaska halblaut. DasTranslatormodul übersetzte ins Kaqagire.Obwohl Chiffa Phis Translator deutlich lei-stungsstärker gewesen war, hatten auch dieArmbänder der zwei Männer die bislang un-bekannte Sprache analysiert und gespei-chert.

Da eine Antwort ausblieb, zog Saedelaeredie Tür auf. Sie knarrte in den Angeln. Den-noch blieb in der Hütte alles ruhig.

Düsternis empfing den Maskenträger.Hinter ihm fiel wenig Licht ein, dazu kamdas fahle Leuchten des Cappin-Fragments.Mehr als die Silhouette eines klobigenTischs und zweier Schemel konnte er nichterkennen. Kalter Rauch quoll ihm entgegen,vermischt mit eigenwilligen Gerüchen. AlsModer, Feuchtigkeit und Gewürze definierteAlaska das beißende Aroma. Darin ver-mischt die Ausdünstungen eines Lebewe-sens.

»Hallo …?«Ein Schaben und Röcheln erklang, gefolgt

von drohendem Knurren. Ein massigerSchatten wuchs im Halbdunkel auf undwankte Saedelaere entgegen. Mindestensebenso schnell wich der Maskenträger zu-rück und schlug die Tür zu.

Eine unwiderstehliche Kraft drückte voninnen dagegen. Alaska wurde zur Seite ge-schoben, die Tür schwang quietschend aufund krachte dumpf gegen die Wand. Sekun-denlang schien die Hütte in ihren Grundfe-

26 Hubert Haensel

sten zu schwanken.Eine ausgesprochen stämmige Kreatur

stand im Durchgang. Mehr als zwei Metergroß, und voll verhaltener Kraft. Alaskas er-ste Assoziation war die eines terranischenGrizzlys. Wie ein aufrecht stehender, angrei-fender Bär füllte das Wesen die Türöffnungaus. Nur der Schädel passte nicht dazu - erwar breiter, ein Froschmaul fast. Als sichdieses Maul öffnete, offenbarte es zwei Rei-hen kräftiger, scharfer Raubtierzähne, so un-regelmäßig verstreut und zugleich mörde-risch wie bei einem Hai.

Alaska schaute dieses Wesen an und ver-suchte sich darüber klar zu werden, ob er esmit einer gefährlichen Bestie zu tun hatteoder einem Intelligenzwesen, das in der La-ge war, eine halbwegs stabile Holzhütte zuerrichten. Gleichzeitig verfluchte er diemenschlichen Instinkte, die außer Flucht undAngriff keine weitere Möglichkeit zuließen.Der Mensch mochte sich noch so kosmischgeben, tief im Innern war er das Raubtier derFrühzeit geblieben.

»Nein!«, stieß er hervor. »Tun Sie dasnicht!«

Aber da schlug der Oxtorner schon zu.Die bärenhafte Kreatur stürzte in die Hüttezurück. Ein dumpfer Aufprall, das Splitternvon Holz, dann nur noch ein schmerzerfüll-tes Wimmern.

»Wollten Sie ihn umbringen, Monkey?«,brachte Saedelaere vorwurfsvoll hervor.

Der Oxtorner verzog das Gesicht in einerungläubigen Grimasse. »Das fragen Siemich?«, sagte er. »Er hätte Sie getötet. WäreIhnen das lieber gewesen, Saedelaere?«

Der Maskenträger gab sich einen Ruck.»Auf die Weise schließt man keine Freund-schaften, Monkey. Lassen Sie mich durch.«

Der Oxtorner versperrte ihm den Weg.Erst als Saedelaere wütend an seinem Armzerrte, wich er zur Seite.

»Es ist Ihr Leben, Saedelaere, das Sieleichtfertig aufs Spiel setzen. Oder wollenSie sterben?«

Alaska betrat die Hütte. Er war sich derGefahr bewusst, stufte sie aber als gering

ein. Vermutlich, weil ihm das leiser werden-de Wimmern zu wehleidig klang.

Der Aufprall des Hüttenbewohners hatteden Tisch zusammenbrechen lassen. Inmit-ten der Trümmer lag das bärenartige Wesenund blickte Saedelaere aus weit aufgerisse-nen Augen entgegen. Alaska gewann denEindruck, dass sein Gegenüber Mühe hatte,ihn zu erkennen.

Der Frosch-Grizzly brachte ein dumpfes,undeutliches Grollen hervor.

»Was habe ich euch getan?«, übersetztedas Translatormodul.

»Nichts«, entfuhr es dem Maskenträger.»Das verstehe ich nicht.« Zwei Reihen

tückischer Reißzähne blitzten Alaska entge-gen.

»Man kann nie alles verstehen«, antworte-te er, »Das ist fast wie ein Naturgesetz.«

»Hä …?«Mühsam rappelte der Bär sich auf.

Schließlich stand er schwankend auf denBeinen und stieß die Überreste des Tischesmit einem Fußtritt zur Seite. Ausgiebig beta-stete er seine Brust.

»Dein Begleiter ist stark. Mir hat nochniemand so wehgetan.«

»Es tut mir Leid«, sagte Saedelaere.»Hm.« Der Bär mit dem Froschgesicht

deutete auf die Schemel. »Setz dich!« Er zö-gerte, bevor er sich zu einem »Dein Freundauch« durchrang. Er selbst ließ sich ächzendauf das Strohlager sinken, auf dem er bis vorwenigen Minuten gelegen hatte. »Was wolltihr von mir?«, erkundigte er sich, als Saede-laere endlich Platz nahm. Für einen kurzenAugenblick betrachtete er den Oxtorner, derunverwandt unter der Tür stand. »Dein Be-gleiter ist sehr gefährlich. Weiß er nicht,dass Leftass friedlich sind?«

»Du bist ein Leftass?«»Sieht man das nicht? Woher kommst du,

dass dir mein Volk unbekannt ist?«Alaska zögerte. »Von weit her«, sagte er

dann. »Von einer fernen Welt … Ein Unfallhat uns hierher verschlagen.«

Der Leftass brummte etwas Unverständli-ches. »Lass es gut sein«, antwortete er auf

Durch den Zeitbrunnen 27

seine undeutliche Art. »Das wird seinenGrund haben - aber mich interessiert er nichtwirklich. Ihr seid Reisende, das genügt.«

Alaska nannte seinen Namen und stellteMonkey vor. Der Leftass nannte sich Rian.Er hatte unbekleidet geschlafen und zog sichan, während sie redeten.

Saedelaere gewann den Eindruck, dassRian nicht über das beste Sehvermögen ver-fügte. Er wirkte zudem plump und tapsig -ein krasser Gegensatz zu seiner körperlichenStärke und dem tückischen Gebiss.

Rian streifte sich ein mehrfarbiges, grellleuchtendes Kleidungsstück über, das wieein Kleid aussah. Träger fixierten es auf sei-nen muskulösen Schultern, und von der Hüf-te an war es weit ausgestellt. Der Faltenwurfdes Stoffes wirkte extrem, an der Unterseitedes Kleides befanden sich eine Vielzahl Ta-schen. Während des Anziehens verstaute derLeftass undefinierbare Dinge darin.

Rian wühlte dann in einer Reihe vonFlechtkörben. Die vielfältigen Gerüche wur-den wieder intensiver, erzeugten beinaheÜbelkeit.

»Wollt ihr mit mir essen?«, fragte derLeftass wie beiläufig.

»Nein«, dröhnte Monkey.Rian übersah ihn geflissentlich. »Du?«,

wandte er sich an Saedelaere. »Du siehstaus, als hättest du schon lange nichts Ver-nünftiges mehr bekommen. Ohnehin bist dudürr wie ein Mochichi.« Aus einem Korbfischte er einen faustgroßen Brocken hervor,der entfernt an Kuchen erinnerte.

Alaska Saedelaere hatte wenig zu be-fürchten. Unverträgliche oder gar giftige Be-standteile würde der Aktivator neutralisie-ren. Zu seiner Überraschung war das Ge-backene durchaus genießbar, wenngleich esein wenig so schmeckte, wie das Innere derHütte roch.

Auch das Wasser, das Rian ihm in einemTonkrug reichte, schien sauber zu sein.

»Wollen Sie wirklich nichts?« Kauendwandte er sich an Monkey.

»Wir vergeuden Zeit«, erinnerte der Ox-torner.

»Die nahe Stadt ist Kiról?«, fragte Alaskaden Leftass.

»Natürlich«, antwortete Rian.»Und wie heißt dieser Planet?«»Du weißt es nicht?«»Würde ich sonst fragen?«»Ord Agenda«, sagte der Leftass freund-

lich und entblößte sein Mordgebiss dabei.»Mehr?«, fragte er, als er sah, dass AlaskaSaedelaere den Kuchen aufgegessen hatte.

»Danke. Ich will deine Vorräte nichtschmälern.«

»Ich hole mir neue. Der Wald hat alles,was ich zum Leben brauche.«

»Du meinst, dieser Würfel … das warkein Brot?«

Rian nannte einen Namen, den der Trans-lator mit einer Umschreibung übersetzte:»Ausscheidung unter dem Boden lebenderTotengräber«. Wobei Rian genussvoll erläu-terte, dass es sich bei diesen »Totengräbern«um Aas fressende Würmer handelte, die eineHandspanne lang wurden. »Die Würmerselbst sind noch wohlschmeckender, AlaskaSaedelaere. Wenn ich dir einige überlassendarf …«

Wahrscheinlich täuschte das trügerischeHalbdunkel. Jedenfalls glaubte der Masken-träger, einen Anflug von Belustigung in derMiene des Oxtorners zu erkennen. Monkeyverließ seinen Platz unter der Tür nicht; derBlick seiner Kunstaugen pendelte zwischender Hütte und dem Wald. Solange er aufpas-ste, würde niemand sie überraschen können.

»Warum lebst du in dieser Hütte, Rian?«Zuerst mit den Fingern, gleich darauf mit

einem zugespitzten Holz stocherte derLeftass zwischen seinen Zähnen. Schließlichbrachte er Speisereste zum Vorschein undschnippte sie in die Feuerstelle. Einzig derKamin war aus Lehm und Steinen gemauert,wenngleich wenig Vertrauen erweckend.Die Risse, die den Schlot durchzogen, wür-den über kurz oder lang dazu beitragen, dieHütte in Schutt und Asche zu legen.

»Der Zeitpunkt der Reinigung ist für michgekommen. Hier draußen kann ich den Rufder Sonne besser in mich aufnehmen als im

28 Hubert Haensel

Gewühl der Stadt.«»Ich verstehe nicht ganz«, gestand Saede-

laere. »Eine Reinigung …?«»Für den Geist ebenso wie für den Leib.

Hast du nie versucht, dem Sonnengott näherzu sein als alle anderen?«

Dass Saedelaere zögerte, fiel dem Leftassnicht auf. »Bald ist es wieder so weit«, fuhrer erregt fort. »Der allgegenwärtige Sonnen-gott Thoregon lässt uns die Kälte der Nachtspüren. Schon der Gedanke daran, dass ohneGott Thoregon stete Finsternis herrschenwürde, ist entsetzlich.«

»Thoregon«, murmelte Alaska Saedelae-re. »Zu welchem Thoregon gehört OrdAgenda?«

»Es gibt nur einen Gott Thoregon«, fuhrRian ungerührt fort. »Er ist überall, er hältdie Hand über jeden von uns und wohnt injedem Herzen. Bist du nicht gekommen,Alaska Saedelaere, um mit mir zum Sonnen-untergang zu ziehen?«

»Monkey und ich gehen nach Kiról.«»Ich verstehe. Ich hätte dich gerne als Be-

gleiter erwählt, Alaska Saedelaere. DieSchönheit des Sonnenuntergangs ist nir-gends intensiver als in der Einsamkeit desWaldes und der Hügel. Aber auch wennThoregon die Nacht vertreibt, spürst dugrenzenlose Ehrfurcht. Nichts in deinem Le-ben ist wichtiger als diese Begegnung mitdem Gott der Sonne und des Lichts.«

»Du bist ein Mönch, ein Eremit …?«»Wenn du es so sehen willst, dann bin ich

das. Ich erweise Thoregon die gebührendeEhre.«

»Seit wann lebst du hier?«»Zwei Jahre werden es im Winter.«»Und vorher?«Rian schien nicht zu verstehen, was sein

Besucher wissen wollte.»Was hast du vorher gemacht - in Kiról,

meine ich. Und was macht dein Volk?«»Wir sind Arbeiter. Leftass sind an viele

Bedingungen anpassungsfähig. Deshalb ar-beiten wir auf etlichen Welten. Wir brau-chen nicht mehr als den Sauerstoff zum At-men, etwas Wasser und ausreichend Nah-

rung.«»Aber du arbeitest nicht mehr.«»Erst wieder, wenn der Sonnengott mich

ruft.«»Du glaubst, dein Gott meldet sich eines

Tages bei dir?«»Ich bin mir dessen sogar sicher. Nie wa-

ren Leftass länger als einige Jahre in derEinsamkeit.«

»Und wie ruft Thoregon nach dir?«»Ich werde es spüren.«Alaska ließ Rian nicht aus den Augen.

Der Leftass wirkte überaus gutmütig. Nichtsan seinen Bewegungen war raubtierhaft,sondern eher langsam, bedächtig und müh-sam koordiniert. Zugleich strahlte er eineenorme Ausdauer aus. Und die vierfingrigenHände schienen beweglich genug, um selbstschwierige manuelle Arbeiten auszuführen.

Rian vollführte eine umfassende Bewe-gung, die sogar Monkey mit einschloss.»Mein Haus steht euch zur Verfügung«, sag-te er. »Wenn ihr wollt, wartet hier überNacht auf mich. Ich freue mich über jedenBesuch in der Einsamkeit.«

»Du bleibst in der Dunkelheit draußen?«,fragte Saedelaere verblüfft.

»Die Finsternis … sie gehört zu meinerLäuterung«, antwortete Rian stockend. »Ichverbringe die Nacht in wachem Zustand. Esist eine Weisheit Thoregons, dass nur, werdie Nacht kennt, das Licht auch schätzt.«

»Du schläfst also tagsüber.«»Bis ich wieder aufbreche im ewigen

Kreislauf«, bestätigte der Leftass.

*

»Sind Sie endlich zufrieden, Saedelae-re?«, drängte Monkey ungeduldig. »EinSonnenkult, wie ihn viele Zivilisationen imLauf ihrer Entwicklung hervorbringen …Wir sollten nicht noch mehr Zeit verlieren.Kommen Sie, andernfalls gehe ich alleinweiter!«

Der Translator hatte Monkeys Wortenicht übersetzt. Jedoch war der gereizteTonfall unüberhörbar.

Durch den Zeitbrunnen 29

Verwirrt blickte Rian von einem zum an-deren. »Ich werde in Kürze aufbrechen.Wollt ihr mich begleiten …?«

»Nein«, wehrte Alaska ab. »Unser Wegist in eine andere Richtung vorgezeichnet.«

»Es mag sein, dass du das glaubst, AlaskaSaedelaere«, murmelte der Leftass in be-schwörendem Singsang. »Aber ThoregonsHände leiten uns. Der Sonnengott beschütztseine Kinder. Geht in seinem Licht, Monkeyund Alaska Saedelaere - ich wünsche eseuch.«

Sie verließen die Hütte. Knarrend fiel dieTür hinter ihnen zu.

Monkey schaute den Maskenträger her-ausfordernd an. »Ich verstehe, dass Sie we-gen des Fragments verwirrt reagieren. AberSie sollten sich bald wieder darauf besinnen,Wichtiges von Unwichtigem zu trennen …«

Ruckartig fuhr er herum. Ein lang gezoge-nes, bedrohliches Heulen hallte durch denWald. Es erklang aus nächster Nähe.

Zwei Schatten hetzten zwischen den Bäu-men heran. Große, vierbeinige Tiere.Schmutzig graues Fell, lang gestreckte Schä-del und von den Lefzen tropfender Schaum.Dazu ein kräftiges Raubtiergebiss - aberauch breite, lederartige Halsbänder. Mit un-gestümer Wildheit sprangen die Tiere auf siezu.

Monkey riss die Faust hoch. Es krachtedumpf, ein schrilles Winseln folgte. Von derWucht des Schlages zurückgeschleudert,überschlug sich das eine wolfsähnliche Tiergeradezu in der Luft. Sekundenlang zucktenseine Läufe noch, bevor es verendete.

Der andere Wolf stand knurrend vor Sa-edelaere. Die Lefzen gefletscht und sprung-bereit, aber er griff nicht an, beließ es beider Drohgebärde. Vielleicht spürte er dasSchicksal seines Artgenossen.

Saedelaere bewegte sich nicht. Hinter ihmtrat der Leftass aus der Hütte. Alaska konntedie ungläubige Verwirrung spüren, als Rianden Kadaver sah. Es waren seine Tiere, dasHalsband ließ nur diese Deutung zu.

Mit einer knappen Geste schickte Riandas zweite Tier in die Hütte. Gehorsam

klemmte der Wolf die Rute zwischen dieHinterläufe und trottete an Saedelaere vor-bei, als wäre nichts geschehen.

»Ein … ein Unfall, Rian«, brachte Alaskastockend heraus. »Es ist nicht, wie du denkst…«

Wortlos wandte sich der Leftass um, griffnach einem der Werkzeuge neben demHolzstapel und ging damit an Saedelaerevorbei, ohne ihn nur eines Blickes zu würdi-gen. Neben dem toten Wolf kniete er nieder,strich dem Tier sanft und mit unglaublicherZärtlichkeit übers Fell.

»Monkey hat ihn nicht absichtlich er-schlagen. Wir fühlten uns angegriffen …«

Die Worte prallten an Rian ab. Er begann,ein Loch zu graben. Der Boden war hart undsteinig, aber der Leftass zeigte eine unbändi-ge Kraft.

»Es tut mir Leid«, begann Saedelaerenoch einmal.

Nichts. Rian nahm ihn überhaupt nichtmehr wahr.

»Worauf warten Sie noch, Saedelaere?«,sagte Monkey. »Er will mit uns nichts zu tunhaben. Also kommen Sie endlich!«

*

Der Lamuuni war wieder da. Monkey hat-te das Gewicht des kleinen Vogels auf seinerSchulter gar nicht registriert, aber Gedan-kenbilder drängten sich in sein Bewusstsein.Er sah eine in grelle Farben getauchte sur-reale Welt.

Das Gelände war morastig geworden, seitsie die Hütte des Leftass verlassen hatten.Monkey versank bis über die Waden in zä-hem Schlamm. Auf den Standard-Overalls,die Saedelaere und er trugen, haftete jedochnicht einmal der widerstandsfähigste Dreck.

Eine bizarre Szenerie war es, die der La-muuni übermittelte. Eine endlose Ebene …Über dem fernen Horizont hingen zwei Son-nen. Die eine giftig grün und nur eine Hand-breit hoch, die andere schräg nach rechtsoben versetzt und deutlich kleiner. Eineschnell rotierende Scheibe eher, die in rasen-

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dem Wirbel Materiemassen des größerenBegleiters an sich riss - ein Schwarzes Lochvielleicht, winzig in seinen Ausmaßen, aberlängst ein Feuer speiendes Rad.

Die Ebene aus Stein oder von seltsamemBewuchs überzogen. Violett jedenfalls, vondüsteren Bruchlinien durchzogen, so unkon-trollierbar wie die Sprünge eines zersplitter-ten Spiegels. Und über allem ein irritieren-des Flackern in den Farben des Spektrums.

Mit einem unwilligen Kopfschütteln ver-scheuchte Monkey die Bilder, doch sie wa-ren sofort wieder da. So hartnäckig wie derLamuuni, der sich ebenfalls nicht vertreibenließ. Monkey schlug mit der Hand nach demVogel, er griff ins Leere, aber Sekunden-bruchteile später war das gefiederte schwar-ze Biest wieder da. Und mit ihm die seltsa-men Bilder.

Mannshohe Säulen ragten jetzt aus derEbene auf. Unterschiedlich in der Form. IhrMaterial war kein Stein, wirkte eher milchigtransparent, aber aus einem bestimmtenBlickwinkel heraus versprühte es Funken -Feuerräder, wie Galaxien auseinander stre-bend.

Ein unglaublich bewegendes Bild, dochden Oxtorner interessierte diese Schönheitnicht. Unwillig versuchte er, die Wahrneh-mung mit eigenen, profanen Gedanken zuüberlagern. Ein Vogel, gerupft, gebraten undmit dampfender Soße übergossen. Dazu gar-battisches Knollengemüse.

Das Gedankenbild der Ebene erlosch ab-rupt. Nur das Hungergefühl blieb. Und nochquälender der Durst.

Die letzten Bäume wichen niederem Ge-strüpp. Aber das war der geradlinige Wegnach Kiról.

»Solange der Untergrund nicht völlig auf-weicht …«, sagte Saedelaere, der seines ge-ringeren Gewichts wegen wenig Problemehatte. Monkey stapfte vor ihm her. »Wir hät-ten mit dem Leftass über den Weg reden sol-len.«

Monkey schwieg hartnäckig.Die Schatten der beiden Wanderer wur-

den länger. Und unvermittelt hallte aus der

Ferne das Heulen einer Gleiterstaffel heran.Kattixu - Zeitbrunnenjäger. Was für denMaskenträger nur verwaschene Punkte überder Horizontlinie waren, konnte Monkeydeutlich erkennen.

Wie Geier, die einen Kadaver erspäht hat-ten, kreisten die Gleiter über einem eng be-grenzten Areal. Einige Maschinen gingentiefer.

Fast eine Viertelstunde lang hing dasDröhnen der Jagdgleiter in der Luft, danndrehten sie ab.

»Vielleicht ein neu aufgeflackerter Zeit-brunnen.« Monkey sah, dass Saedelaere ge-quält aufatmete. »Wir hätten ihn ohnehinnicht erreichen können.«

*

Du bist erleichtert. Auf dem offenen Ge-lände hätten die Kattixu euch unweigerlichaufspüren müssen. Trotz der Tarnkappen,über deren Funktion du nach wie vor nurVermutungen anstellen kannst.

Monkey scheint besessen vom Verlangen,die Stadt schnell zu erreichen. Du glaubst,dass der Oxtorner vor sich selbst davonläuft.Mag sein, dass dem so ist.

Sogar für Monkey muss es ein Schock ge-wesen sein, erst seine Augen zurückzuge-winnen, sie aber kurz darauf wieder zu ver-lieren. Die richtigen Augen waren Besitz desRaumschiffs LEUCHTKRAFT. SamburiYura hat sie vor dem Start wieder an sichgenommen.

Du wirst den Anblick nicht mehr los: derstarke Monkey, USO-Chef, Herr über Lebenund Tod, hilflos auf die Knie gesunken undseine leeren Augenhöhlen abtastend.

Nichts von Bord der LEUCHTKRAFTdurftet ihr mitnehmen.

Nichts?Das Cappin-Fragment! - Das Einzige, was

dich daran hindert, frei zu sein.Hör endlich auf mit deinem Selbstmitleid!

Du kannst dein Schicksal nicht ändern; nichtheute und nicht morgen. Mag sein, irgend-wann in der Zukunft …

Durch den Zeitbrunnen 31

Vor allem: Vergiss deinen Hass! Undwenn du das nicht kannst, friss ihn zusam-men mit deiner Furcht in dich hinein. Aberlass dein Leben nicht von diesem einenschrecklichen Moment bestimmen, als dasCappin-Fragment wieder nach deinem Ge-sicht griff.

Ob mit oder ohne Maske, Alaska Saede-laere, die Unsterblichen akzeptieren dich,wie du bist. Weil allein schon der Zellakti-vator jeden zu einem Außenseiter stempelt.Das will nur niemand wahrhaben, da euchjeder um die Unsterblichkeit beneidet.

Aber niemand neidet dir den zuckenden,flammenden Gewebeklumpen, den du unterder Maske verbergen musst.

Du denkst an Heimkehr und täuschst dichselbst damit. Deine wahre Heimat hast dulängst gefunden. Schon als Zwölfjähriger,als du auf dem Schrottplatz am StadtrandTerranias die halb abgewrackten Space-Jetund den Robotertorso Torras entdeckt hast.War es nicht gerade der Roboter, der dir dieMenschlichkeit nahe brachte?

Deine Heimat, Alaska Saedelaere, ist dasUniversum!

*

Zum ersten Mal hatte Monkey eine Pauseeingelegt. Er stand am Rand einer mehrereMeter hohen Abbruchkante und schöpfte mitbeiden Händen das kristallklare Wasser, dasin einem dünnen Rinnsal herabplätscherte.Er trank in kräftigen Schlucken, und schließ-lich hielt er prustend den kahlen Schädel un-ter den kleinen Wasserfall und wusch sich.

»Das sollten Sie auch machen, Saedelae-re«, sagte er. »Sie fühlen sich danach wieneugeboren.« Er ließ noch einmal die hohlenHände voll laufen, klatschte sich das kühleNass ins Gesicht und wich zur Seite. »SagenSie es mir, sobald Sie die Maske wieder auf-gesetzt haben.«

Das Quellwasser erfrischte. Saedelaerehielt den Kopf ebenfalls minutenlang unterdas herabklatschende Wasser, das den Ge-webeklumpen in seinem Gesicht heftiger

zucken ließ. Schließlich befestigte er dieMaske wieder hinter den Ohren und strichmit beiden Händen das klatschnasse Haarzurück.

Der Horizont war ihnen sehr nahe ge-rückt. Sie sahen nichts von der Stadt. In ge-ringer Entfernung schien das Gelände abzu-fallen.

»Weiter«, sagte Monkey. »Die letzteEtappe.«

Saedelaere hatte die Arme vor der Brustverschränkt. Er traf keine Anstalten, weiter-zugehen. »Einerseits weichen wir den Katti-xu aus«, stellte er fest, »andererseits laufenwir ihnen vielleicht geradewegs entgegen.«

»Wer sagt Ihnen, dass die Zeitbrunnenjä-ger aus Kiról kommen?«

»Mein Gefühl.«»Sie vergessen Ihre Tarnkappe, Saedelae-

re.«»Darum geht es mir nicht.«»Sondern?«»Wir wissen bislang, dass es mindestens

zwei Gruppierungen auf Ord Agenda gibt.Da sind die Kattixu - die Zeitbrunnenjäger.Aber eine Jagd ist nur sinnvoll, falls häufigZeitbrunnen erscheinen. Wenn ich ChiffaPhi richtig interpretiere, stempelt uns alleinschon die Herkunft aus einem Zeitbrunnenzu Feinden der Kattixu.«

Monkey verzog die Mundwinkel zu einerspöttischen Grimasse. »Sie werden sich hof-fentlich nicht hinstellen und lauthals verkün-den, woher Sie kommen.«

Alaska Saedelaere ignorierte die Unter-brechung.

»Die andere Gruppe sind die Mochichi«,fuhr er fort. »Chiffa Phi hielt uns für Botender Kosmokraten. Aber wer mit den Ord-nungsmächten zusammenarbeiten will, musseine gewichtige Stellung besitzen.«

»Wer Teleporteranzüge baut wie dieKnorpelgesichter, verfügt über eine weitfortgeschrittene Technik«, bestätigte Mon-key.

Alaska Saedelaere vollführte eine zustim-mende Geste. »Das alles sind Hinweise, dasswir an einen Brennpunkt geraten sind. Auch

32 Hubert Haensel

wenn das Land nicht danach aussieht …«»… und wir vorerst wenig mit alldem an-

fangen können«, unterbrach der Oxtorner.»Diese Überlegungen beschäftigen michschon seit Stunden. Es gibt keine Alternativezu Kiról. Aber wir müssen uns wohl selbstein Bild machen.«

6.Eine Stunde später …

Eine gewaltige Senke öffnete sich vorMonkey und Alaska Saedelaere. Sie standenam Rand einer steil abfallenden Felskante,hatten die Stadt zu ihren Füßen. Über Dut-zende Kilometer hinweg erstreckte sich dasTal in alle Richtungen, ein Grabenbruch, dersich in vielen Seitenschluchten am Horizontverlor.

Was immer sie zu sehen erwartet hatten,die Wirklichkeit übertraf ihre Vorstellungenbei weitem.

Gut 200 Meter lag das Bodenniveau unterihrem momentanen Standort. Allerdings wa-ren die Steilwände an vielen Stellen unter-brochen, zogen sich Nebenschluchten undAbbrüche auch an der Ostseite ins Land hin-ein. Nur wirkten sie hier schmäler und nichtso ausgeprägt wie im Westen. Dort hatte esden Anschein, dass sich ganze Stadtteile inden Seitentälern verbargen.

Eine Weile beschränkten sich Monkeyund Saedelaere aufs Beobachten.

Großflächige Industrieanlagen bean-spruchten etwa die Hälfte des überbautenStadtgebiets. Dabei reichte die Bebauung oftbis an die Felsen heran. Hier und da verrieteine fahle Lichtbrechung die Existenz vonSchutzschirmen, dem optischen Eindrucknach Prallfelder, die vor Steinschlag und Er-drutschen schützen sollten.

Die andere Hälfte war Wohngebiet. Kan-tige, zum Teil würfelförmige Bauten, dazwi-schen Türme, das alles auf engem Raum zu-sammengedrängt. Viele dieser Viertel schie-nen einander ähnlich zu sein.

»Die Baumuster wiederholen sich«, stellteMonkey fest. »Bemühen Sie sich nicht, Sa-

edelaere, mit Ihren Augen werden Sie nie al-le Details erfassen.«

»Ich wusste nicht, dass ich so unzuläng-lich bin«, antwortete der Maskenträger. »Esist noch gar nicht lange her, da hätten sogarSie alles für Ihre eigenen Augen gegeben.«

»Ein Großteil der Wohngebiete stehtleer«, behauptete der Oxtorner, ohne mit ei-ner Regung auf Alaskas Einwand zu reagie-ren.

»Eine Stadt für eine künftige Bevölke-rung?«

»Mag sein. Sehen Sie die großen freienFlächen und die riesigen Plätze zwischenmanchen Stadtteilen?«

Saedelaere folgte Monkeys ausgestreck-tem Arm mit dem Blick. Er nickte knapp.»Das erinnert mich an die Landefelder klei-nerer Raumhäfen. Sie meinen, Monkey, dassdort eines Tages die neuen Bewohner landenwerden?«

»Warum nicht?«, meinte der Oxtorner.»Warum?«, rutschte es Saedelaere heraus.

*

Gut zwei Kilometer weit mussten sie nachNorden ausweichen, um eine geeignete Stel-le für den Abstieg zu finden. Der Boden warin diesem Bereich ausgewaschen, Regen-wasser hatte Rinnen eingegraben und Stufenaus Stein freigespült. Um sie zu benutzen,musste man zwar Riese sein, aber die in un-regelmäßigen Abständen liegenden Vor-sprünge ermöglichten immerhin einen Ab-stieg.

Monkey übernahm die Führung. Inmitteneiner Wolke aus Dreck und Geröll ver-schwand er plötzlich in der Tiefe.

»Worauf warten Sie, Saedelaere?«, er-klang gleich darauf sein Ruf aus der Tiefe.»Das ist das schlimmste Stück.«

Loses Gestein brach unter seinen Füßenaus. Mehrmals war der Maskenträger kurzdavor, abzustürzen, aber jedes Mal fand erim letzten Moment festen Halt. Den Oxtor-ner konnte er immer noch nicht sehen. EinStück weit fiel der Hang wirklich senkrecht

Durch den Zeitbrunnen 33

ab. Aus der Höhe war das nicht zu erkennengewesen.

Faustgroße Steine brachen aus, rissen einekleine Lawine mit sich.

»Sie sind jetzt dicht über mir, Saedelaere.Keine Sorge, das Genick brechen Sie sichschon nicht. Ich stehe auf einem schmalenFelsband.«

Zehn, fünfzehn Meter, schätzte der Terra-ner. Der Bereich war mittlerweile so steilund rutschig, dass er sich kaum halten konn-te. Sich eng an den Hang anschmiegend,suchte er nach Halt. Der Overall mit seinemMehrschichtgewebe schützte ihn vor Ab-schürfungen.

Dann brach der letzte Tritt unter ihm weg.Sekundenlang hing Alaska nur noch an einerHand und krallte die Finger ins Gestein.Aber er rutschte ab, konnte nichts dagegentun.

Dann der Sturz …Er fiel rückwärts, schrie.Vorbei. Er hatte sein Leben gelebt - und

es war schön gewesen, aller Last zum Trotz.Nie hätte er sich träumen lassen, jemals soviel vom Universum zu sehen. Ohnehin hat-te er den Tod um mehr als 1300 Jahre betro-gen. Deshalb keine Trauer. Nur Bedauern.

Der Sturz schien lange zu dauern. AlaskaSaedelaere versteifte sich.

In dem Moment ein fast mörderischerRuck; das Gefühl, dass ihm der linke Armschier aus der Schulter gerissen wurde.Alaska pendelte zur Seite, schrammte mitden Füßen über rauen Fels. Ein Schraub-stock krallte sich in seinen Oberarm, dannschlug er erneut auf, schmerzhafter als zu-vor. Der instinktive Versuch, sich mit demrechten Arm abzufangen, misslang. Er zerrtesich dabei fast die Maske vom Gesicht.

Gleichzeitig ein Ruck nach oben, erschrammte noch einmal über den Vorsprunghinweg und schrie: »Schauen Sie weg, Mon-key! Die Maske …«

Unsanft wurde er auf die Füße gestellt,konnte selbst kaum etwas erkennen. Er stol-perte nach vorne, stieß gegen die Wand undversuchte die Arme hochzureißen. Die

Schmerzen im linken Arm wurden unerträg-lich. Nur mit der Rechten schaffte er es, dieMaske einigermaßen gerade zu rücken.

Neben ihm ein Brummen, halb ersticktund Furcht einflößend.

»Monkey!«, keuchte Saedelaere.»Haben Sie die Maske wieder oben?«»Noch nicht; ich …« Erst in dem Moment

begriff Alaska: Wer so redete, war nochnicht dem Irrsinn verfallen.

Hastig rückte er das provisorische StückPlastik zurecht, prüfte den Sitz der Bänder.Das alles mit der Rechten. In den linkenArm, den Monkey fast zerquetscht hatte,kehrte erst langsam das Gefühl zurück.

Sein Blick schweifte nach oben. Gut fünf-zehn Meter im freien Fall … Wie Monkeysich auf den schmalen Vorsprung gerettethatte, fragte er lieber nicht. Zumindest hat-ten sie es geschafft. Der weitere Abstieg indie Tiefe gestaltete sich übersichtlicher.

»Danke, Monkey«, sagte Saedelaere.»Vergessen Sie es. Ich will keine Dank-

barkeit.«Daran werden Sie sich auch nie gewöh-

nen müssen, dachte Saedelaere. Für einenAugenblick spielte er mit dem Gedanken,Monkey das ins Gesicht zu sagen. Aberdann fiel sein Blick auf den kleinen schwar-zen Vogel, der wenige Meter vor ihnen flat-terte. Der Lamuuni ließ sich wieder aufMonkeys Schulter nieder und blieb für denRest des Abstiegs dort sitzen.

*

Auf den letzten zwanzig Höhenmetern en-dete der Hang in einem Geröllfeld. Inmittenvon Staub und Schotter hasteten die beidenMänner abwärts.

Sie hatten die Stadt Kiról erreicht, die er-sten Wege lagen frei zugänglich vor ihnen.Es gab keine Barrieren, keine Wachpostenoder gar Patrouillen. Selbst von den Zeit-brunnenjägern und ihren Jagdgleitern warweit und breit nichts zu sehen.

»Das ist beinahe schon zu friedlich«,stellte Saedelaere zögernd fest.

34 Hubert Haensel

»Was erwarten Sie?«, wollte Monkeywissen.

Der Maskenträger zuckte die Achseln.»Ich weiß es nicht.«

Die Sonne stand noch hoch über dem Ho-rizont. Der Überblick, der sich aus der Höheder Abbruchkante geboten hatte, fehlte hierunten völlig; der Stadtrand präsentierte sichals Lagerplatz für Materialien unterschied-lichster Art. Platten aus undefinierbaremMaterial türmten sich zu monströsen Sta-peln. Rohstoffe, die vor der Verarbeitungzwischengelagert wurden.

Im Hintergrund arbeiteten Antigravkräne.Die Platten, jede fünfzig mal fünfzig Metermessend und einen halben Meter dick, wur-den auf Transportstraßen verladen. Kilome-terlange Hallen schlossen sich an. In einigerEntfernung turnten behäbige, große Gestal-ten über die Plattenstapel.

»Das sind Leftass«, stellte Monkey fest.»Offenbar bereiten sie die Weiterverarbei-tung vor.«

»Haben sie uns schon bemerkt?«»Wir gehören hierher«, antwortete der

Oxtorner. »Ich möchte den sehen, der unsdas Gegenteil beweisen will.«

Sie schritten zügig aus. Der Lagerplatzwich den ersten Gebäuden, zweckmäßigen,nur spärlich mit Fenstern versehenen Kom-plexen. Zeitweise grelles Flackern ließ aufenergetische Vorgänge hinter diesen Mauernschließen.

Endlich befestigter Untergrund, ein rie-senhafter Wendeplatz, von dem aus Straßenabzweigten. Schwebefahrzeuge parkten hier.Monströse Lastengleiter transportierten Ma-terial in das nahe Werk. Über der Anlage,auf unterschiedlichem Höhenniveau, einendloses Gewirr von Leitschienen. Das Gan-ze offensichtlich ein automatischer Verlade-bahnhof. Geschlossene Gondeln, bis zu hun-dert Meter lang, und unterschiedlichste Con-tainer wurden nach einem zumindest fürMonkey und Saedelaere undurchschaubarenSystem verschoben.

Was immer hier produziert wurde, vondem Endprodukt war noch nichts zu sehen.

Alaska Saedelaere ließ den Blick schwei-fen. Schließlich wandte er sich wieder Mon-key zu. »Wir werden Tage brauchen, um unsnur einigermaßen eingehend zu informie-ren«, sagte er.

»Sie wollen sofort nach Ghem Jhegar su-chen?«, argwöhnte der Oxtorner.

»Warum nicht …«Monkey schüttelte den Kopf. »Ich hole

mir lieber erst alle frei erreichbaren Informa-tionen«, wehrte er ab. »Dieser Jhegar wirduns seine Sicht der Dinge aufschwatzen.Und das behagt mir nicht.«

Sie schritten kräftig aus und ließen dasLager und die Fabrikhallen rasch hinter sich.Der ganze Bezirk war eine gigantische Pro-duktionsstätte. Überall Schwebefahrzeuge,meist zu Konvois zusammengekoppelt; nurhin und wieder kleine Gleiter, die mit aber-witzigem Geschick alle Hindernisse um-kurvten. Das eine oder andere Mal warenLeftass als Piloten der Fahrzeuge zu erken-nen, doch zumeist saßen andere Wesen hin-ter den Kontrollen.

Monkey, dessen Kunstaugen die bestenVoraussetzungen boten, sprach von Insek-toiden. Lang gestreckte, mit kräftigen Beiß-werkzeugen und schillernden Facettenaugenversehene Schädel ließen keinen anderenSchluss zu. Das eine oder andere Echsenwe-sen war ebenfalls in den Fahrzeugen zu er-kennen.

Das Bild an den Leitschienen hoch überdem Areal veränderte sich allmählich. Vor-gefertigte Wände, mit Befestigungssystemenund einer Vielzahl undefinierbarer An-schlüsse versehen, wurden in der Höhetransportiert. Offensichtlich wurde unterHochdruck die Erweiterung der Stadt betrie-ben.

»Kiról kann nicht ewig wachsen«, be-merkte Monkey skeptisch. »Abgesehen vonden Landefeldern, füllt die Bebauung jetztschon den Grabenbruch aus. Falls die Pro-duktion wirklich auf den Hausbau konzen-triert ist, wird der Absatz bald ins Stockengeraten.«

Während der Industriekomplex auslief

Durch den Zeitbrunnen 35

und undefinierbare, fremdartige AggregateÜberhand nahmen - manche erinnerten anpsychedelische Kunstwerke, über die je-mand silberfarbene Netze ausgebreitet hatte-, begann rechter Hand die Wohnbebauung.Bis zu dreißig Meter hoch ragten die Gebäu-de auf. Eine ineinander verschachtelte, kom-pakte und geradlinig verlaufende Kulisse.

Monkey identifizierte einige Fassadenab-schnitte als identisch mit den erst vor kurz-em gesehenen Bauteilen. Schon der zu über-blickende Bereich musste Tausenden Be-wohnern ausreichend Wohnraum bieten.

Nicht mehr nur die schweren Lasten-schweber bestimmten das Straßenbild, son-dern zunehmend auch Passanten. Viele be-nutzten die transparenten Verbindungstun-nel, die ab fünfzehn Metern Höhe die Straßeüberspannten. Ebenso gläsern wirkendeRöhren erfüllten die Funktion von Antigrav-schächten.

Nur wenige Personen bewegten sich wiedie beiden Menschen entlang der Häuserzei-le auf der untersten Ebene.

Niemand nahm von dem Oxtorner unddem Terraner Notiz. Leftass trotteten ge-mächlich vorbei. Nun sah Alaska auch dieInsektenartigen, die Monkey schon beschrie-ben hatte. Die Blickrichtung ihrer doppeltfaustgroßen Facettenaugen einzuschätzenwar unmöglich. Doch ab und zu pendelte einFühlerpaar in Richtung der beiden Männer.Auf vier grazilen Beinen staksten diese We-sen schnell davon.

Schlanke, schuppenhäutige Echsenab-kömmlinge wichen den Vierbeinern jeweilsin respektvollem Abstand aus. Auch sie ach-teten nicht auf die Fremden.

Für einen Augenblick glaubte Alaska,weit voraus einen Gurrad zu sehen. Die wal-lende Löwenmähne ebenso wie die stämmi-ge, sehr kräftig wirkende Gestalt ließenkaum einen anderen Schluss zu. Der Mas-kenträger zuckte gerade zusammen. Der An-gehörige eines Volkes aus der Großen Ma-gellanschen Wolke konnte Auskunft geben,wo man sich befand. Aber dann zog einerder endlosen Schwebekonvois vorbei, und

als Saedelaere den Weg fortsetzen konnte,war der vermeintliche Gurrad verschwun-den. Wohin, das ließ sich beim besten Wil-len nicht feststellen.

Monkey machte den Maskenträger wenigspäter auf ein schwebendes Gestell aufmerk-sam, das Augenblicke vorher noch nicht dagewesen war. Entfernt erinnerte das Gebildean Chiffa Phis Teleporter-Sarkophag. Tat-sächlich steckte in seinem Inneren die kleineGestalt eines Mochichi. Aber die nächsteTeleportation ließ nur Sekunden auf sichwarten.

Niemand sprach sie an. Entweder warendie Bewohner Kiróls an Fremde gewöhnt,oder es spielte keine Rolle, wer sich wo auf-hielt.

Zweieinhalb Kilometer maß das Wohnge-biet. Auf der anderen Straßenseite beganneiner der riesigen freien Plätze, die schonaus der Höhe wie ausgedehnte Landefeldergewirkt hatten. Von nahem erwies sich dieFläche in der Tat als befestigt. Etliche Kilo-meter waren es bis ans jenseitige Ende, wodie nächsten Gebäude aufragten. Aber ob-wohl sich dem steten Lastverkehr hier einegute Abkürzungsmöglichkeit bot, berührtekeines der Fahrzeuge das Gelände. Auch diePassanten betraten es nicht.

»Jeder meidet offensichtlich dieses Are-al«, stellte Saedelaere fest. »Aber ich kannbeim besten Willen keinen Grund dafür er-kennen.«

»Mag sein, dass es das nächste ausgewie-sene Baugebiet ist«, vermutete Monkey.

*

Eine dumpfes Brummen legte sich plötz-lich über die Stadt. Das Geräusch war fürMenschen gerade noch hörbar. Zugleichschien die Luft in Schwingungen zu geraten.Sogar der Boden vibrierte.

Dennoch entstand nirgendwo Aufregung.Die Angehörigen der verschiedenen Völkersetzten ihre Wege fort, als registrierten siedas alles nicht einmal.

Die Gebäude jenseits des freien Platzes,

36 Hubert Haensel

eben noch von der Sonne grell angestrahlt,versanken in unheimlicher Schwärze.

Der Schatten wuchs rasend schnell an. In-nerhalb von Sekunden erreichte er Saedelae-re und Monkey, glitt über sie hinweg undhüllte sie ein.

Die Vibrationen wurden intensiver. Auchdas dumpfe Brummen in der Luft steigertesich, und ein Schwall erhitzter Luft fegteüber Kiról hinweg.

Alaska Saedelaere starrte ungläubig in dieHöhe. Monkey hatte den Kopf ebenfalls inden Nacken gelegt. Zweifellos zeichnetenseine Kunstaugen jede Phase der Annähe-rung auf.

Ein Raumschiff verdunkelte die Sonne.Noch stand es viele Kilometer hoch über derStadt, aber es war riesig. Ein bedrohlicherSchatten, der alles unter sich zermalmenwürde.

Über diesem Koloss fielen drei weitereherab.

Der Sturm wuchs zum Orkan, als Korrek-turtriebwerke zündeten. Flammenspeerepeitschten die Atmosphäre, das Dröhnenwurde ohrenbetäubend.

Das Raumschiff zog über die Stadt hin-weg und sank tiefer. Grell stach die Sonnewieder hinter dem Koloss hervor - aber nurfür wenige Augenblicke, bis der nächstestählerne Gigant sie verdunkelte.

Ein solches Schiff hatten Saedelaere undder Oxtorner am Morgen des Tages schonbeobachtet. Gleich nach ihrer Ankunft ausdem Zeitbrunnen war es Richtung Westenüber den Himmel gezogen. Nun, aus weitgrößerer Nähe, offenbarten die Schiffe De-tails ihrer Struktur, die zumindest der Terra-ner vorher nicht hatte erkennen können.

Er sah nur noch die untere Hälfte dermehrere Kilometer durchmessenden Kolos-se. Eine Zylinderscheibe, bestimmt an dietausend Meter dick, bildete das Mittelstück.Daran anschließend ein sechseckförmiges,sogar noch etwas dickeres Teil, und den Ab-schluss bildete ein weiterer Zylinder, höch-stens drei Kilometer durchmessend undnicht einmal mehr einen Kilometer dick. Sa-

edelaere konnte die Maße natürlich nicht ge-nau bestimmen, schätzte sie aber aufgrundder Entfernung ein.

»Was sind das für Objekte?« Alaska mus-ste schreien, um sich gegen das Toben derElemente verständlich zu machen.

»Ich weiß es nicht«, brüllte der Oxtornerzurück. »Aber sie landen.«

Das erste Schiff, kaum mehr einen Kilo-meter hoch, senkte sich weit entfernt imNorden der Stadt herab. Auch die anderendrei Kolosse hingen über den Außenberei-chen, weit von Monkey und Saedelaere ent-fernt.

Sich diesen Giganten zu nähern kam oh-nehin nicht in Frage.

Das letzte der Schiffe war gelandet, aberdie aufgewühlte Atmosphäre beruhigte sichnicht. Dreck wirbelte durch die Straßen, anexponierten Stellen bildeten sich sogar klei-nere Windhosen, aber keine davon erreichtewirklich gefährliche Ausmaße. Auch weiter-hin schenkten die Passanten dem Vorgangkaum Beachtung; nur wenige hielten kurzinne und schauten zum Himmel auf.

Die beiden Menschen setzten ihren Wegfort. Ihr Ziel war das Stadtzentrum, jeneszwiebelförmige Gebäude, das sie schon ausder Ferne entdeckt hatten.

7.

In der Ferne, im aufsteigenden Dunst desNachmittags verwischend, ragten die gelan-deten Raumschiffe auf. Längst nicht von je-dem Punkt der Stadt aus waren sie gleich gutzu erkennen, aber ihre Gegenwart hatte et-was Unheimliches. Keine Bedrohung. Viel-mehr etwas, das sich schlecht in Worte klei-den ließ. Eine Aura allgegenwärtiger Beob-achtung.

Unwillkürlich prüfte Alaska den Sitz desHalsbands. Er spürte das transparente Bandschon nicht mehr, es behinderte ihn nicht,aber selbst falls es keine Wirkung hatte, haf-tete ihm doch etwas Beruhigendes an.

Ein Placebo-Effekt, dachte der Masken-träger ironisch. Auf jeden Fall würde er

Durch den Zeitbrunnen 37

Ghem Jhegar danach fragen. Falls sie in die-ser Stadt überhaupt eine Möglichkeit hatten,ihn zu finden. Aber hätte Chiffa Phi dannden Namen genannt? Der Mochichi hattewissen müssen, welche Möglichkeiten sichzwei Fremden in Kiról eröffneten.

Fabriken und Wohnbereiche grenzten an-einander. Immer mehr mutete das an wie ei-ne Politik der kurzen Wege.

Auf einer der freien Flächen weiter stadt-einwärts war mit der Errichtung von Woh-nungen begonnen worden.

Der Untergrund war offensichtlich erstseit kurzem befestigt. Die metallisch schim-mernde Masse schien dieselbe zu sein wieauf dem weiter zurückliegenden Feld. Abernoch waren die Arbeiten nicht abgeschlos-sen. Knapp zwei Kilometer entfernt schweb-ten Gussmaschinen - längliche Aggregate,die, hintereinander versetzt, eine dampfendeMasse ausbrachten. Jedes dieser Aggregatemaß gut dreihundert Meter. Ein endloserKonvoi schwebender Großtransporter ver-sorgte sie mit dem benötigten Nachschub.

Hunderte Arbeiter koordinierten den rei-bungslosen Ablauf. Fast ausschließlich han-delte es sich um Leftass, die mit stoischerGelassenheit die Gussmaschinen umsorgten.Immer wieder verschwanden die bärenhaf-ten Wesen inmitten aufsteigender Dampf-schwaden.

»Ein nahtloses Stück Untergrund«, stellteMonkey fest. »Eine quadratische Fläche mitexakt 2500 Metern Seitenlänge.«

Zum ersten Mal hatte er die laserbasierteDistanzbestimmung seines Armbands einge-setzt, die bis zu einer Distanz von zwei Kilo-metern millimetergenau arbeitete. Ange-sichts der vielfältigen Streustrahlung rings-um bestand keine Gefahr mehr, von Kattixugeortet und aufgespürt zu werden.

Dutzende Tragemasten für die Leitschie-nen, die den Containertransport in der Luftermöglichten, standen bereits. Das war derzweite Arbeitsschritt nach der Fundamentie-rung. Weitere Masten wurden aufgerichtet.

In der Zwischenzeit brachten Transporterdie ersten Wandsegmente. Auch hier Hun-

derte von Leftass, unterstützt von Roboternund anderen Arbeitskräften. Dreibeinige Zy-klopen gehörten ebenso zu den Teams wieschildkrötenartige, bullige Wesen, deren ge-drungener Körperbau wie ihre großen Kräftedarauf schließen ließen, dass sie eine hoheSchwerkraft gewohnt waren.

Roboter unterschiedlichsten Aussehenswaren für Vermessungsarbeiten zuständigund hinterließen ein Gewirr von Leuchtmar-kierungen auf der Fundamentplatte.

»Sie stampfen ein neues Wohnviertel ausdem Boden«, stellte Monkey fest. »Aberwas wird, sobald die letzten Flächen versie-gelt sind?«

*

Niemand beachtete den Oxtorner, als ersich einer Gruppe Arbeiter näherte, dieWandelemente abluden. Nicht einmal die inder Nähe schwebenden Vermessungsroboterschienen ihn als Fremden zu erkennen. Kirólmutete ohnehin wie ein Schmelztiegel derunterschiedlichsten Völker an. Und Rian,der Eremit weit vor der Stadt, hatte von an-deren Welten gesprochen, auf denen Ange-hörige seines Volkes arbeiteten, nicht nurauf Ord Agenda. Vielleicht lebten irgendwosogar Wesen, die den Menschen ähnlich sa-hen.

Monkey stellte sich einem Leftass in denWeg. Er zog den Arbeiter zu sich herum.»Was wird hier erstellt?«, fragte er.

»Du weißt es nicht?«, sagte der Leftassungläubig.

»Nein. Ich bin erst vor kurzem in Kirólangekommen.«

Diese Feststellung war entscheidend. DerArbeiter konnte das akzeptieren oder Alarmschlagen. In letzterem Fall war er ein toterLeftass. Monkey hatte ihn sich ausgesucht,weil er hinter großen Bauteilen den Blickender anderen entzogen war. Sein Fehlen wür-de nicht so schnell auffallen.

Der Bärenartige reagierte keineswegsüberrascht. Er wusste nicht einmal, wieknapp er seinem schnellen Ableben entgan-

38 Hubert Haensel

gen war. Dass Monkey die Faust sinken ließ,registrierte er vermutlich ebenso wenig.

»Wir alle sind Thoregons Kinder. Unzäh-lige Welten leben im Licht des allgegenwär-tigen Sonnengottes.«

»So ist es«, sagte Monkey.Der Leftass schaute ihn aus großen Augen

an, dann wandte er sich um, wollte seine Ar-beit fortsetzen.

Monkey hielt ihn zurück. »Warum bauenLeftass neue Häuser?«

»Weil es Thoregons Wunsch ist.«»Und dann? Wenn alle Flächen bebaut

sind?«Der Leftass schien gar nicht zu wissen,

was Monkey meinte.»Was macht ihr dann?«»Wir bauen Häuser. Einen Stadtteil nach

dem anderen.«»Machst du dir keine Gedanken dar-

über?«»Thoregon weiß, was gut und richtig ist.

Ich fühle mich wohl in seinem Licht. Jederist Teil seiner großen Gemeinschaft.«

»Denkst du nicht darüber nach, was ge-schehen wird, sobald alle Arbeiten abge-schlossen sind?«

Es war vergebliche Mühe, so zu fragen.Entweder wollte der Leftass nicht verstehen,oder ihm fehlte wirklich die Möglichkeit,über die Hintergründe nachzudenken.

»Es gibt viele Fabriken in Kiról«, starteteMonkey einen neuen Versuch, während derLeftass mit mehr Nachdruck versuchte, sichseinem Griff zu entziehen. »Was produzie-ren sie?«

»Du siehst es doch«, antwortete der Ar-beiter.

»Fertigteile. Elemente für Häuser, die zugroßen Stadtteilen zusammengefügt werden.Jedes zweieinhalb Kilometer im Quadrat.Habe ich Recht?«

»Ja«, sagte der Leftass knapp. Seine Un-geduld war nicht mehr zu übersehen. Wahr-scheinlich war es nur seine behäbige Gutmü-tigkeit, die ihn ausharren ließ.

Monkeys Finger verkrampften sich. »Wielange wollt ihr noch diese Stadtteile errich-

ten?«Schweigen.»Weißt du es?«»Nein.«»Wer kann mir sagen, wie lange noch?«»Alles liegt in Thoregons Macht.« Ein

sinnender, glücklicher Ausdruck erschien indem breiten Froschgesicht mit dem Raub-tiergebiss. Der Leftass zog die Lippen zu-rück. »Wenn Dinge dich bewegen, die nurder Sonnengott beantworten kann, such dieEinsamkeit«, sagte er schwerfällig. »KeinenAbend und keinen Morgen darfst du versäu-men. Dann wird Thoregon deine Seele reini-gen und dir die Antworten schenken, nachdenen du suchst.«

»So lange kann ich nicht warten!«, stießMonkey ungehalten hervor.

»Geduld, mein Freund, ist eine Tugendder Gläubigen.«

*

Alaska Saedelaere nickte knapp.»Wir können uns also frei bewegen«,

stellte er fest. »Niemand sieht in uns Frem-de. Keiner verdächtigt uns. Was wollen wirmehr?«

»Das ist mir zu dürftig«, sagte Monkey.»In Kiról werden Fertigteile produziert,Häuser, ganze Stadtviertel. Wahrscheinlichsind die Fabriken jeweils spezialisiert, aufWände, auf Versorgungsleitungen, auf dieInneneinrichtung. Aber das kann nicht allessein. Der Leftass kennt nur seinen Bereichund nichts darüber hinaus. Kiról verbirgtmehr.«

Sein Blick schweifte über die Silhouetteder Stadt hinweg, blieb an einem der fernenRaumschiffe hängen.

»Wenn es sein muss, dringe ich in einender Kolosse ein. Bestimmt gibt es an Borddieser Giganten zuverlässige Daten über die-ses Thoregon. Ich kann das Gerede über denSonnengott nicht mehr hören.«

*

Durch den Zeitbrunnen 39

Du weißt, dass Monkey Recht hat. Duweißt aber auch, dass die Raumschiffe einviel zu großes Risiko darstellen. Und das istdem Oxtorner ebenfalls klar. Nur wird er dasRisiko eingehen, sobald er keinen anderenWeg mehr sieht, an Informationen heranzu-kommen.

Warum er Ghem Jhegar nicht mehr er-wähnt, kannst du nur vermuten. Jhegarscheint ihm suspekt zu sein. Weil es nichtsein kann, dass der erste Hinweis gleich derentscheidende ist? Rein logisch betrachtet,spricht nichts dagegen.

Es ist später Nachmittag geworden. Baldwird die Sonne die ersten Schatten werfen,die sich über Kiról legen. Was dann ge-schieht, kannst du nur vermuten. Werden dieBauarbeiten ruhen, oder führen die Leftasssie im gleißenden Licht großer Scheinwer-ferbatterien weiter? Wenn du deinem Gefühlvertraust, arbeiten sie rund um die Uhr. Abereines Tages gibt es keine freien Flächenmehr. Dann wird Kiról zwangsläufig in dieHöhe wachsen.

Und die Bewohner? Hunderttausende We-sen werden neu zuziehen müssen, sollen dieHäuser auch genutzt werden.

Schon jetzt hast du den Eindruck, dassviele Gebäude leer stehen.

Trotz des Aktivatorchips in deiner Schul-ter spürst du eine aufkommende Müdigkeit.Noch fällt es dir leicht, sie zu ignorieren,aber viel Schlaf hattest du in den letzten Ta-gen nicht. Und irgendwann brauchst du et-was zwischen die Zähne.

Allerdings hast du die Haut nicht mehr alsKostgänger. Im Nachhinein fragst du dichohnehin, warum du sie nicht längst umge-bracht hast. Nur weil sie wie ein lebendesWesen war? Die Haut eines Verbrechers? Eshätte Möglichkeiten gegeben, sie loszuwer-den. Monkey hätte an deiner Stelle bestimmtnicht gezögert.

Mit dem Cappin-Fragment verhält es sichanders.

Täuschst du dich, oder reagiert der Gewe-beklumpen in deinem Gesicht zunehmendhektischer? Du kneifst die Augen zusam-

men. Ja, der rote Widerschein unter derMaske fängt an, dich zu blenden.

Verhalte dich ruhig!, denkst du mürrisch.Du erhältst keine Antwort. Die Haut hätte

dir geantwortet.Du wolltest nicht mehr darüber nachden-

ken, hast du das schon vergessen? Du musstakzeptieren - obwohl es erst Stunden her ist,dass das Raumschiff LEUCHTKRAFT ausdeinem Leben verschwand. Hättest du esdoch nie betreten!

Prompt rufst du die Chronofunktion dei-nes Armbands auf. Gestern war das alles,stellst du fest. Das ist wenigstens schon einStück weit weg, ein Lidschlag in der Ewig-keit, die auf dich wartet.

Vor einer halben Stunde ist der 19. April1312 NGZ angebrochen. Das ist eine Zeit-rechnung, die womöglich Äonen entferntgilt.

Monkey beschleunigt seine Schritte. Duhast Mühe, mit ihm mitzuhalten. Aber duforderst ihn nicht auf, Rücksicht zu nehmen.Weil du das gleiche Ziel hast und sogar nocheinen Beweggrund mehr.

Du glaubst, dass das Cappin-Fragmentreagiert. Es scheint eine fünfdimensionaleStrahlung zu spüren.

Ihr nähert euch dem Zentrum Kiróls.Das Gebäude, das sich weit über alle an-

deren hinaus erhebt, ist inzwischen ständigzu sehen. Es ist wie eine Zwiebel geformt,und die spiegelnde Außenhaut reflektiert dieschräg einfallenden Sonnenstrahlen in glei-ßendem Widerschein.

Gott Thoregon beweist den Bewohnernder Stadt seine Allgegenwart.

Du starrst auf Monkeys Schulter. Zum er-sten Mal seit einer halben Stunde breitet derLamuuni die Flügel aus.

Spürt der seltsame Vogel die Nähe von et-was Besonderem? So wie dein Cappin-Fragment?

*

»Ein Fabrikkomplex«, sagte Monkey.»Eine neue Fabrik, in der Wandelemente

40 Hubert Haensel

oder Einrichtungen hergestellt werden. Die-se ganze Stadt gehört …« Er schwieg.Nichts außer seinen Händen zeigte seineVerärgerung; er ballte die Hände zu Fäusten,öffnete sie wieder.

Ruckartig wandte er sich Saedelaere zu.»Kommen Sie?«

Noch etwas mehr als einen Kilometer ent-fernt ragte das Zwiebelgebäude auf. Die ver-spiegelte Fassade schimmerte geheimnis-voll. Wer nur flüchtig hinsah, mochte der Il-lusion verfallen, dass sich die Straße und dieumgebenden Bauten ins Endlose fortsetzten.Eine perfekte optische Täuschung.

Nur wenige Lastenschweber waren aufder Straße, keine Konvois wie in den ande-ren Werken. Ineinander verschachtelte Bau-ten beiderseits, viele eher filigran wirkendals klobig. Dazwischen Kuppeln, Tanks undendlose Leitungen. Das alles erinnerte eheran eine präatomare Ölraffinerie, die verse-hentlich mit den Anlagen eines Kernkraft-werks verschmolzen worden war.

Auch hier wie überall: Niemand beachtetedie beiden Menschen. Die Kinder des Son-nengottes Thoregon kannten keine Fremden.Vielleicht, wenn sie sich hingestellt und er-klärt hätten, durch einen Zeitbrunnen nachOrd Agenda gelangt zu sein … Aber das warwirklich das Letzte, was der Oxtorner beab-sichtigte.

Die Kuppel zog ihn unwiderstehlich an.Sie war das einzige wirklich auffällige Bau-werk in Kiról. Die Position im Stadtzentrum,die alles überragende Höhe und der eigen-willige Baustil unterstrichen die herausgeho-bene Bedeutung.

Monkey schritt zügig aus. In seine Gedan-ken mischten sich irritierende Bilder. Es ge-lang ihm nicht, sie zu verscheuchen.

Ein seltsamer Raum, unwirklich und end-los zugleich. Erfüllt von flirrendem Licht.Myriaden Lichtpunkte. Sie alle unstet, ver-schwommen - Vibrierend, wie die Spiege-lung gleißender Helligkeit auf der leicht be-wegten Oberfläche eines Gewässers. Sobaldman dem zitternden Schein nachgab, glaubteman hineinzustürzen, sich in der Ewigkeit

zu verlieren.Monkey schüttelte sich. »Hör auf!«,

schimpfte er. Was er sah, war die Wahrneh-mung des Lamuuni. Die Vogelaugen verar-beiteten die Spiegelungen der Kuppel völliganders.

Verschwinde endlich aus meinen Gedan-ken, du Krähe!

»Monkey! Warten Sie!«Saedelaere war zurückgeblieben. Einige

Meter hinter ihm stand er, vornübergebeugt,die Hände auf den Oberschenkeln aufge-stützt und schwer atmend. Sein ganzer Kör-per bebte.

Aber nicht das war es, was Monkey ver-unsicherte, sondern das grelle, seinen Schä-del umzuckende Flackern. Es drang unterder Maske hervor, schoss blitzartig aus ihrenÖffnungen.

Mehrere Leftass beobachteten den Mas-kenträger argwöhnisch. Offenbar in der Ab-sicht, zu helfen, kamen sie näher.

Saedelaere war ebenfalls auf die großenGestalten aufmerksam geworden. Mittler-weile wurde sein Schädel von zuckendenProtuberanzen umflossen.

»Kommt mir nicht zu nahe!«, stieß er her-vor. Sein Armband übersetzte ins Kaqagire.»Der Anfall geht vorbei. Aber das Leuchtenkönnte euch töten.«

»Thoregon«, murmelte einer der Bären.»Der Sonnengott ist in diesen Mann einge-fahren …« Als Einziger kam er noch näherund streckte die Arme aus, um Saedelaere zuberühren. Eine Mischung aus Ehrfurcht undBegierde drückte sich in seiner Haltung aus.

In dem Moment stieß Monkey ihn zurück.»Hast du nicht gehört? Verschwinde!«

Für Sekundenbruchteile sah es so aus, alswollte der Leftass sich auf den Oxtornerstürzen. Ein drohendes Knurren drang ausseinem aufgerissenen Froschmaul. Aberdann wandte er sich um und schlurfte davon.

»Was ist los, Saedelaere?«Alaskas Schnaufen klang gequält. Nur

langsam richtete er sich auf und presste dieHände gegen die Maske, als wolle er sienoch fester auf seinem Gesicht fixieren. Die

Durch den Zeitbrunnen 41

Korona flackernder rötlicher Blitze schienleicht zu verblassen.

»Das Fragment … es reagiert auf fremdeEnergien. Fünfdimensional … oder ein men-tales Feld … vor uns.«

»In der Kuppel?«»Ich glaube … ja.« Alaska Saedelaere

schwankte. Sein Brustkorb hob und senktesich unter tiefen Atemzügen.

»Wir müssen weiter!«, drängte Monkey.Nur noch hundert Meter trennten sie von

dem Zwiebelbau. Die Kuppel dominierte al-les. Eine freie Fläche zog sich um das Ge-bäude herum, die letzten Fabrikanlagen blie-ben in respektvoller Distanz.

Und dann - urplötzlich - war da die Sper-re.

Sogar Monkey hatte das Empfinden, aufeinen unsichtbaren Widerstand zu stoßen.Im ersten Moment reagierte er überhauptnicht darauf, bis das unsichtbare Feld ihnstoppte.

Er schaffte es einen oder zwei Meter nä-her an die Kuppel heran als Saedelaere, derhinter ihm scheinbar hilflos stecken blieb,aber dann brachte auch ihn seine ganzeKraft nicht mehr weiter. Nur mit Mühekonnte er noch die Arme heben, sie nachvorne zu strecken war ihm schlicht unmög-lich. Ebenso gut hätte er versuchen können,den Stahlrumpf eines Raumschiffs zu durch-dringen.

Ein Prallfeld, ein energetischer Schirm,der den Zutritt zur Kuppel verweigerte. Eswar also doch nicht alles so einfach, wie esden Anschein hatte. Vor seinem inneren Au-ge erschien wieder das verwaschene Lichter-meer. Zugleich zerriss ein Aufschrei des La-muuni die Gedankenbilder.

Wie aus weiter Ferne erklang eine fremdeStimme. Ein Raunen nur. Monkey verstandnicht, was sie von ihm wollte. Ihr fordernderKlang missfiel ihm.

Ein neuer Versuch, die Sperre zu durch-dringen. Ebenso erfolglos wie zuvor.

Die Stimme in seinen Gedanken wurdelauter. Drängend. Sie verlangte von ihm,sich auszuweisen.

Monkey lachte dröhnend. Zugleich er-schien es ihm, dass kein Laut das Energie-feld durchdrang. Ich bin hier, das ist meinAusweis.

Das Gedankenbild das Lamuuni zerplatz-te. Wie Sternschnuppen verglühten die Lich-ter; sie wichen dem Nichts.

Eine unwiderstehliche Kraft stieß Monkeyzurück. Er kam nicht dagegen an. Aber nichteinmal das allein war es, was ihn schockier-te.

Er war unerwünscht!»Ein sehr starkes mentales Feld«, sagte

Alaska Saedelaere in dem Moment nebenihm. »Ohne Unterstützung kommen wir hiernie hinein.« Armlange Flammenspeerezuckten unter der Maske hervor, ein Ein-druck, als würde der Terraner im nächstenMoment aus sich selbst heraus verbrennen.

Monkey warf einen raschen Blick in dieRunde. Es waren keine Arbeiter in der Nähe,die aufmerksam werden konnten.

In seiner Vorstellung wuchs ein neuesBild: Der Lamuuni schwang sich von seinerSchulter auf, schraubte sich entlang der un-sichtbaren Sperre in die Höhe und umrunde-te den gleißenden Zwiebelbau auf der Suchenach einer Lücke im Schirm. Irgendwo inder Höhe fand er den Durchschlupf unddrang gleich darauf in das Zentralgebäudeein …

Der Lamuuni blieb unbeweglich sitzen. Erspreizte nicht einmal die Flügel.

Hast du nicht verstanden? Ich will, dassdu einen Weg suchst.

Monkey hob die Hand, um nach dem Vo-gel zu schlagen, ihn aufzuscheuchen. Erbrachte die Bewegung nicht zu Ende, weil erden Lamuuni nicht zwingen konnte. DasRätsel des mentalen Feldes würde vorerstungelöst bleiben.

Neben ihm sagte Alaska Saedelaere etwasvon Ghem Jhegar. »Uns bleibt nichts ande-res übrig, als uns durchzufragen. Alleinkommen wir nicht weiter.«

*

42 Hubert Haensel

Du hast Hunger, Durst und bist erschöpft.Dein Gesicht brennt wie Feuer - vielmehrdas, was von deinem Gesicht unter demFragment geblieben ist. Wie mag es ausse-hen? Totenbleich wie einst? Aber du willstauf keinen Fall, dass der Cappin wiederdurch deinen Körper wandert. Lieber soll erbleiben, wo er ist: unter der Maske.

Ab und zu bemühst du dich, das Fragmentanders zu sehen. Dass es doch Testare ist,der Cappin, den du kennen gelernt hast, derauch dein Freund wurde. Aber es gelingtnicht. Das hier - das ist nicht Testare, son-dern nur ein hässlicher Klumpen Fleisch, derdein Gesicht verunstaltet.

Mühsam unterdrückst du die aufkommen-de Panik. Du darfst dich nicht ablenken las-sen, musst dich in das Unabänderliche fü-gen. Auch wenn es keine 24 Stunden her ist.Du hast das Fragment früher ertragen, vorsehr langer Zeit, also kannst du es heuteauch. Denk nicht mehr darüber nach, gehdeinen Weg.

Die Beklemmung schwindet, je weiter dudich vom Zwiebelbau entfernst. Das grelleFlackern unter der Maske wird bald wiedererloschen sein.

Hoffentlich.Wie in Trance nimmst du wahr, dass du

mit den ersten Arbeitern sprichst. Es sindkeine Leftass. Ein Büschel Sinnesfäden pen-delt vor dir auf und ab, etliche Membranenplustern sich auf und knarren eine Kakofo-nie in Kaqagire.

Nein, Ghem Jhegar ist ihnen nicht be-kannt. Diese Wesen haben keine Ahnung.

Du gehst weiter. Dein Blick zeigt dirwachsende Schatten an den Felshängen.Bald wird Thoregon … bald wird die Sonneuntergehen, und eine Nacht kann sehr langsein.

Wir jagen einem Phantom nach, signali-siert Monkeys Haltung. Sein Schweigen istdir noch unheimlicher als sein Handeln.Weil du nicht weißt, was er plant. Er lässtsich nicht in die Karten schauen.

Da sind wieder diese Schildkrötenartigen.Ihre Sprache ist gebrochen und reich an

Floskeln. Ein einfaches Nein kennen sienicht, brauchen viele Sätze dafür.

Deine Enttäuschung wächst. Aber washast du erwartet? In einer Stadt wie Kiról ei-ne einzelne Person ausfindig zu machengrenzt an die berüchtigte Suche nach derNadel im Heuhaufen.

Einer der Schildkrötenartigen winkt eineGruppe Leftass herbei. Monkey geht weiter.»Ich knöpfe mir die da drüben vor«, wirft erdir hin. Du siehst Passanten auf der anderenStraßenseite; sie schicken sich an, in einerAllee aus isolatorenähnlichen Monumentenzu verschwinden.

Endlich sind die Leftass heran. IhreBlicke scheinen dich zu sezieren, als du dei-ne Frage wiederholst.

»Jhegar?«, antworten sie. »Wer soll dassein?«

Was hast du anderes erwartet?»Ghem Jhegar. Ein Mochichi.«Ihre Blicke werden größer. Der eine oder

andere hebt die Hände zum Zeichen der Be-stätigung. Und du erkennst so etwas wieAchtung, die dir plötzlich entgegenschlägt.In jeder Geste drückt sich das aus. Monkeysollte das spüren. Die Mochichi scheinennicht nur irgendein Volk zu sein.

»Ghem Jhegar«, wiederholt ein Leftassandächtig. »Ist das nicht einer der legen-dären Mochichi-Konstrukteure?«

»Ja«, sagst du, »das muss er sein.«Ihre Freundlichkeit wird geradezu un-

heimlich. Sie überschlagen sich, dir genauzu erklären, wo du den Mochichi-Kon-strukteur finden kannst. Einer von ihnenzieht aus den unergründlichen Taschen sei-nes Rocks ein Stück Folie und einenSchreibstift hervor. Er zeichnet dir auf, wiedu gehen musst.

Es ist nicht einmal weit. Du kennst dasGebiet, bist auf dem Weg ins Zentrum daranvorbeigekommen. Jhegar wohnt unmittelbarneben einem neu errichteten Stadtteil. DieHäuser dort standen leer, ihre Farbe warnoch nicht einmal richtig trocken.

Du bedankst dich. Aber ein andererLeftass hält dich plötzlich zurück. Sein

Durch den Zeitbrunnen 43

Froschgesicht wirkt traurig.»Die Skizze wird dich zur Wohnung des

Konstrukteurs führen«, sagt er bedächtig,»aber sie wird dir dennoch nichts nützen.Ghem Jhegar empfängt seit langer Zeit keineBesucher mehr.«

»Seit wann?«, willst du wissen.»Sehr lange«, sagt er.

8.

Für den Rückweg benutzten sie erstmalsdas öffentliche Transportmittel von Kiról.Der Leftass hatte auf seiner Zeichnung diewichtigen Stationen eingetragen.

In einer der vertikalen gläsernen Röhrenließen sich Alaska Saedelaere und Monkeyvon einem Antigravfeld in die Höhe tragen.Gut zwanzig Meter über dem Straßenniveauwar der Ausblick über die Stadt zwar kaumbesser - die geometrische Grundstrukturschien ohnehin einem einheitlichen, sichwiederholenden Schema zu folgen -, dochermöglichten die Röhren ein schnelles Vor-ankommen.

Es gab keine sichtbaren Gleitbänder oderÄhnliches. Nur die Röhren, von denen nochnicht einmal sicher war, ob sie tatsächlichaus einem glasartigen, semitransparentenMaterial bestanden oder nur aus einer proji-zierten Energieform.

Jeder Passant fühlte sich von einer un-sichtbaren Kraft erfasst und gestützt. Wederdie Beschleunigung noch das Abbremsenvor dem Ziel war zu spüren. Überhaupt ließsich die eigene Bewegung nur an den vor-beihuschenden Gebäuden ermessen.

Zwei Stationen, weil sie die Richtung än-dern mussten … Zehn Minuten Zeitauf-wand, die nur ein Bruchteil dessen waren,was sie zu Fuß benötigt hätten … Aber dies-mal waren sie nicht mehr darauf aus, dieStadt kennen zu lernen.

Schräg vor sich sahen Saedelaere und derUSO-Chef das neue Wohnviertel. Aus derHöhe war der Eindruck noch imposanter alsvon der Straße aus, vor allem wirkte dasAreal wirklich so, als wäre es eben erst zu-

sammengesetzt worden. Wie Klötze aus ei-nem Baukasten, genormte Teile. Eine Häu-serschicht über der anderen, abgestuft, ins-gesamt bis zu dreißig Meter hoch. Zur Mittehin wölbte sich das Viertel leicht auf wieüber einer sanften Anhöhe errichtet. Aberdas war ein Eindruck, den die umliegendenBereiche nicht bestätigten.

Und noch lebte niemand in diesen Häu-sern. Das Viertel wartete auf seine Bewoh-ner.

*

»Dort drüben«, sagte Saedelaere, als siewieder auf der Straße standen. Mit ausge-strecktem Arm deutete er auf ihr keine drei-hundert Meter entferntes Ziel.

Der Gegensatz konnte nicht krasser sein.Hinter ihnen fabrikneue zweieinhalb Kilo-meter, vor ihnen augenscheinlich einer derältesten Stadtteile, dem die kompakte Geo-metrie der Neubauten fehlte. Andererseitshaftete ihm eine morbide Ausstrahlung an,ein Hauch des Angejahrten. Obwohl auch indiesem Bereich die Gebäude dicht gedrängtaufwuchsen, verliefen zwischen ihnenschmale Grünstreifen. Die sattsam bekann-ten verdrehten Laubbäume waren ebensovertreten wie niederes Gehölz, und überallhatte der Herbst längst große Breschen ge-schlagen.

Jhegars Haus war das größte und anmu-tigste im weiten Umkreis. In seinem ver-spielten Charme musste es einfach die Woh-nung eines Konstrukteurs sein. Giebel, Er-ker, Türme, Auf- und Anbauten in vielengeometrischen Formen ergaben einen Palastfür sich.

»Verrückt«, kommentierte Monkey.Schon der Eingang war schwer zu ent-

decken. Bevor der Oxtorner auf den Gedan-ken verfallen konnte, sich mit brachialer Ge-walt Zutritt zu verschaffen, wie immer dieFolgen aussehen mochten, erkannte Alaskadie logische Reihe in der Fassadengestal-tung. Das Spiegelfeld zu umgehen, dessenPosition raues Mauerwerk vortäuschte, wo

44 Hubert Haensel

sich in Wirklichkeit ein breites Portal be-fand, war dann nur noch eine Kleinigkeit.

Die skurrilen Schriftzeichen verrietenzweifellos den Namen des Bewohners. Nurhatten die Translatormodule bislang keineGelegenheit bekommen, Kaqagire-Schrift zuverarbeiten.

Ihre Annäherung war bemerkt worden.Ein Flügel des Portals öffnete sich vor Sa-edelaere und dem Oxtorner. Ein Roboter er-wartete sie, eine nur einen Meter große Kon-struktion aus zwei eiförmigen Elementen.Ein längliches, senkrechtes für den Körperund ein kleineres, quer auf das andere ge-setzt, als Kopf. Ein einziges goldfarbenesMulti-Organ an der Spitze des kleineren Eisbegann zu flackern.

»Wir erwarten keine Besucher«, sagte derRoboter mit fein modulierter Stimme. »Esist zwecklos, wenn ihr euch um Eintritt be-müht.«

»Wir kommen von weit her«, sagte Sa-edelaere.

»Dann ist es schön für euch, dass ihr denWeg nach Kiról gefunden habt, aber keinGrund, länger vor diesem Haus zu verwei-len.«

»Wir wollen mit Ghem Jhegar reden«,sagte Monkey.

Der Roboter, der knapp einen Meter überdem Boden schwebte, richtete das flackern-de Organ auf den Oxtorner. »Du bist fremdhier? Dann kannst du nicht wissen, dassGhem Jhegar keinen Besuch empfängt.«

»Uns wahrscheinlich schon. - He, warte!«Der Ausruf blieb vergeblich. Der Roboterhatte sich bereits zurückgezogen und die Türgeschlossen.

»Wie der Leftass schon andeutete«, mur-melte Alaska Saedelaere.

Monkey bedachte ihn mit einem Kopf-schütteln. »Ist das alles? Ich hoffe nicht,dass Sie schon aufgeben.« Vergeblich suchteer nach einem Türmelder, einem Kontakt,über den er sich bemerkbar machen konnte.Er fand nichts - nicht einmal, als er denArmbandorter zu Hilfe nahm. Einige Ener-gie führende Stellen im Wandinnern zwar,

die sich aber ohne Hilfsmittel nicht beein-flussen ließen.

Danach schlug er mit den Fäusten gegendas Portal. »Ich wusste, dass wir mit diesemJhegar nur Ärger haben werden«, zischte erSaedelaere zu. Seine Hiebe wurden stärkerund dröhnten durchs Haus.

Endlich wurde das Portal erneut geöffnet.Zwei Roboter schwebten Monkey entgegen.»Dein Benehmen ist sehr schlecht, Frem-der.«

»Ist es ein gutes Benehmen, Gäste vor derTür stehen zu lassen?«, entgegnete der Ox-torner.

»Das kommt darauf an.«»Worauf?«»Was ihr beabsichtigt.«Monkeys Wangenknochen traten kantig

hervor. Er beherrschte sich nur noch müh-sam. »Wir sagten es bereits. Wir wollen mitGhem Jhegar reden.«

»Und ich sagte, dass das unmöglich ist.«»Es gibt kein Unmöglich. Teile Ghem

Jhegar mit, dass zwei Fremde eingetroffensind.«

»Mein Herr empfängt keine Gäste.«»Das werden wir sehen.« Monkey sprang

nach vorn. Mit der linken Schulter stieß erden Roboter zur Seite, aber im selben Mo-ment wuchsen aus den Leibern beider Ma-schinen lange Tentakelarme hervor. Ehe derOxtorner es sich versah, wickelten sie sichum seinen Oberkörper und pressten ihm dieArme an den Leib. Zugleich wurde er hoch-gehoben und mit Schwung nach draußen be-fördert.

Es dauerte zwar nur Sekunden, bis er wie-der auf die Beine kam, aber da hatten beideRoboter schon Saedelaere ergriffen.

»Verschwindet!«, sagte die eine Maschi-ne. »Und lasst euch hier nie wiederblicken.«

»Chiffa Phi …« Der Maskenträger verlorsoeben den Boden unter den Füßen undmachte sich auf eine unsanfte Landung ge-fasst.

»Wer?« Seine Aufwärtsbewegung endeteebenso abrupt, wie sie begonnen hatte.

Durch den Zeitbrunnen 45

»Chiffa Phi schickt uns.«Unerwartet sanft wurde Alaska wieder auf

die Beine gestellt. Die Tentakel ließen vonihm ab und verschwanden in den Roboter-körpern.

»Warum hast du das nicht eher gesagt?«Ein deutlicher Vorwurf lag in der Roboter-stimme. »Das ändert natürlich alles.«

»Und jetzt?«»Selbstverständlich wird mein Herr mit

euch reden. Bitte tretet näher!«

*

Sah man davon ab, dass eine Seitenwandaus der holografischen Abbildung Kiróls be-stand, machte der Vorraum einen vergleichs-weise nüchternen Eindruck.

Das Empfinden, von Dutzenden unsicht-baren Augen beobachtet zu werden, wurdebedrückend. Monkey aktivierte sein Arm-band, konnte aber auch mit der Ortungnichts feststellen.

Von den Robotern allein gelassen, mus-sten sie kaum eine Minute warten. Der Mo-chichi stand plötzlich vor ihnen. Ohne Tele-porter-Anzug, auf den eigenen dünnen, zer-brechlich wirkenden Beinen. Vielleicht hatteer sich unter einem Deflektorfeld verborgengehabt oder war unbemerkt aus dem Holo-gramm hervorgetreten - Monkeys Versuchmit dem Armband zum Trotz.

Der Oxtorner blieb reglos, so starr wieseine Kunstaugen. In seinem Gesicht zucktenicht ein Muskel. Es war offensichtlich, dasser Saedelaere das Reden überlassen wollte.

Niemand sah, dass der Maskenträgerüberrascht die Augen aufriss und den Mo-chichi musterte.

Die Proportionen der fragilen humanoidenGestalt wirkten derart verzerrt, dass sich dieFrage stellte, wie er überhaupt ohne Hilfs-mittel auf den Beinen stehen konnte. Irgen-detwas an diesem Körper erschien immerfalsch, egal, aus welcher Perspektive manihn anschaute. Das verunsicherte.

Die riesengroßen schwarzen Augen wirk-ten wie Fremdkörper in dem wächsern blei-

chen Gesicht mit den dicken Knorpelsträn-gen.

»Chiffa Phi …«, entfuhr es Saedelaereungewollt. Für einen Augenblick hatte erwirklich geglaubt, dem Mochichi gegen-überzustehen, der sich für ihre Freiheit ge-opfert hatte. Die Ähnlichkeit war verblüf-fend.

»Ich bin Ghem Jhegar«, sagte der Kleine.Als er auf Saedelaere zutrat, hatten seine Be-wegungen etwas hoffnungslos Komplizier-tes. »Ungeübte Augen schaffen es nie, unsMochichi zu unterscheiden.«

Er öffnete den Mund und wölbte denKnorpelstrang nach vorne, eine Geste, dieunmöglich zu deuten war. Vielleicht Interes-se oder Verwunderung.

Jedenfalls sagte er: »Dein Gesicht, Frem-der, ist interessant. Welches davon ist dasrichtige?«

»Das unterste«, antwortete Alaska.Ghem Jhegar schien zu nicken, wobei

sein Kopf und die linke Schulter in Konfliktmiteinander gerieten. »Erzähle!«, bat er.»Wo und wann seid ihr Chiffa Phi begegnet,und wie geht es meinem alten Freund?«

In dem Moment wusste Saedelaere, wasMonkey befürchtete. Dass die Sprachezwangsläufig auf den Zeitbrunnen kam undvielleicht noch weiter zurück. Ebenso aufden Tod Chiffa Phis. Wie würde ihr Gegen-über darauf reagieren?

Aber Chiffa Phi hatte geraten, Jhegar zuvertrauen. Alaska entschloss sich, alle Be-denken zu ignorieren.

Stockend erst, dann flüssiger begann er zureden. Er nannte ihre Namen und erklärte,dass sie Angehörige eines großen raumfah-renden Volkes waren, das in seiner Heimat-galaxis Hunderte von Welten besiedelt hatte.Er sprach von dem Thoregon, dem dieMilchstraße angehörte, doch die Namen derbetreffenden Galaxien sagten dem Mochichinichts. Jedenfalls zeigte er keine Regung.

Monkey beobachtete und schwieg undwidmete sich dem Display seines Armbands.Aber nach wie vor bekam er keine brauch-baren Anzeigen.

46 Hubert Haensel

Alaska sprach von der Versetzung durchden Zeitbrunnen, ohne die LEUCHTKRAFTzu erwähnen. Er schilderte Chiffa Phis Er-scheinen, die kurze Zeit später auftauchen-den Zeitbrunnenjäger und den Versuch desMochichi, die Kattixu abzulenken.

»Mein Freund ist tot, nicht wahr?«, unter-brach Jhegar.

»Es tut mir Leid«, antwortete Alaska. »Erhat sich geopfert, ohne dass wir ihn davonabhalten konnten. Obwohl er geahnt habenmuss, was geschehen würde.«

Jhegar bedeutete ihm mit einer knappenGeste, zu schweigen. Augenblicke späterging ein Ruck durch seinen verschobenenKörper.

»Ihr tragt beide die Tarnkappen«, stellteer fest. »Das ist gut.« Halb an Monkey ge-wandt, fügte er hinzu: »Warum gibst du dei-ne nutzlosen Versuche nicht auf? Mein Hauskannst du nicht ausspionieren.«

Sein Blick taxierte den auf der Schulterdes Oxtorners sitzenden Lamuuni, als hätteer Mühe, den Vogel einzuschätzen. An-schließend schwieg er minutenlang.

»Kommt!«, sagte er endlich. »Ich habemich entschlossen, euch zu vertrauen.«

*

Eine fremde und faszinierende Weite öff-nete sich vor ihnen. Es roch nach feuchtemGras und Blüten. Schmetterlinge gaukeltendurch die warme Luft und ließen sich voneiner frischen Brise treiben.

Der ferne Horizont versank im Nebel, dernur einige Höhenzüge erahnen ließ. Hocham Himmel hing die von Kratern zernarbteschmale Sichel eines Mondes, während dieMorgensonne sich gerade aus dem Dunsthervorwühlte und ihre goldgelben Strahlenden Himmel mit einem flirrenden Leuchtenüberzogen.

Zwischen dem fernen Horizont und denBetrachtern stampfte eine Herde langhalsi-ger Tiere über die Ebene. Noch währendAlaska Saedelaere versuchte, Einzelheitenzu erfassen, begannen sie vor seinen Augen

zu verschwimmen und wichen den vagenUmrissen banaler technischer Einrichtungs-gegenstände.

»Geben Sie sich nicht der Illusion hin, Sa-edelaere«, sagte Monkey in dem Moment.

Alaska wandte sich dem Oxtorner zu.Monkey nahm soeben in einem Sessel Platz,der für ihn wie maßgeschneidert war. EinMeter zwanzig Schulterbreite erfordertenentsprechendes Mobiliar.

Auch neben Saedelaere stand ein solcherSessel. Kleiner in den Ausmaßen, eine hoch-lehnige Schale mit eingebogenen Seitenleh-nen, halb transparent und ohne Stützen imRaum schwebend. Als Alaska zupackte, umsich das Möbelstück zurechtzurücken, glittseine Hand einfach hindurch.

Er sah Jhegars Lächeln, zumindest deuteteer den veränderten Gesichtsausdruck so, undsetzte sich. Der Sessel fing ihn auf, schickteein angenehmes Prickeln durch seineRückenmuskulatur.

Wo eben noch die Tierherde über dasLand gezogen war, erstreckte sich jetzt einweiter Katarakt. Schäumende Wassermassenergossen sich in die Tiefe. Ihr fernes Tosenhatte etwas Anheimelndes.

»Ich sehe, euch gefällt mein Wohnraum«,sagte der Mochichi. »Er ist für viele Bedürf-nisse variierbar.«

»Wohin hat uns der Zeitbrunnen verschla-gen?«, fragte Alaska Saedelaere endlich.»Ich meine nicht diese Welt …«

»Alles ist Thoregon«, antwortete der Mo-chichi-Konstrukteur.

»Das ist mir noch zu wenig.«»Wenn du es so genau wissen willst: Dies

ist das Erste Thoregon überhaupt!«Die Antwort überraschte Saedelaere nicht

mehr. Eigentlich hatte er sie erwartet. Er-hofft war der bessere Ausdruck.

»Gibt es einen Grund, weshalb uns derZeitbrunnen ausgerechnet auf diese Weltbrachte? Und welche Bedeutung haben dieKattixu?«

Ghem Jhegar zeigte sich nachdenklich,möglicherweise sogar unangenehm berührt.Sein Körper schien sich für einen Augen-

Durch den Zeitbrunnen 47

blick schrecklich zu verschieben.»Die Tätigkeit von Zeitbrunnen innerhalb

des Ersten Thoregons ist nicht vorgesehen«,antwortete er, ohne jedoch zu erläutern, werdarüber bestimmte. »Das Aufflackern derWege durch Raum und Zeit bedeutet sogareine große Gefahr. Durch die Zeitbrunnenkönnen Besucher in das Innere des anson-sten unerreichbaren PULSES gelangen, diekeine Berechtigung besitzen.«

»Was haben die Kattixu damit zu schaf-fen?« Saedelaere hatte schon erkannt, dassdie Zeitbrunnenjäger eben jene unberechtig-ten Besucher abfangen sollten, er wollte nureine Bestätigung hören.

»Die Kattixu wurden ermächtigt, mögli-che Zeitbrunnen zu überwachen und vor al-lem auf Fremde Jagd zu machen, die übereinen Zeitbrunnen das Erste Thoregon errei-chen«, sagte der Mochichi.

Monkeys hartes Schnaufen war seine er-ste wahrnehmbare Reaktion. Trotzdembrach er sein Schweigen nicht.

Auch Alaska schwieg. Weil er in diesemMoment etwa eine Million Fragen gleichzei-tig hätte stellen können. Zu viel, sie einfachherauszusprudeln. Das erste Dutzend derwichtigsten Fragen legte er sich soeben zu-recht.

Chiffa Phi hatte sie für Gesandte der Kos-mokraten gehalten. Warum schützte er sie?Zumal Gefahr bestand, dass sie als Gesandteder Hohen Mächte in den PULS eindringenkonnten?

Welche Bewandtnis hatten die Tarnkap-pen in diesem Zusammenhang? Sollten sienur den Zugriff der Kattixu verhindern …?

»Ghem …«, begann Alaska Saedelaere.Eine hektische Geste des Konstrukteurs

schnitt ihm das Wort ab. Die plötzlich ange-spannte Haltung des Mochichi signalisierteVorsicht.

Einige undefinierbare Bewegungen ließenvor Ghem Jhegar eine Art holografische Or-tungskonsole entstehen. Fremdartige, für diebeiden Menschen nicht interpretierbare Gra-fiken und Symbole erschienen. Sie wechsel-ten in schneller Folge.

Etwas Unvorhersehbares schien sich er-eignet zu haben. Jhegars unergründlich tiefeAugen richteten sich auf seine Besucher.

»Ist euch jemand gefolgt?«, fragte er. »Isteuch etwas aufgefallen?«

»Nein«, antwortete Alaska. »Wir hättenVerfolger bemerken müssen. Und wir warenvorsichtig.«

»Unsere technischen Mittel sind leider be-grenzt«, ergänzte Monkey. »Noch dazu wis-sen wir nicht, über welchen Standard even-tuelle Gegner verfügen. Es wäre denkbar,dass uns jemand verfolgt hat, den wir nichtbemerken konnten.«

Ghem Jhegar wollte etwas sagen, dochMonkey und Alaska Saedelaere erfuhren esnicht. In dem Haus brach die Hölle los.

*

Ein gleißender Glutstrahl schoss aus demKatarakt hervor, stand für einen Sekunden-bruchteil im Raum und floss irrlichternd ander gegenüberliegenden Wand auseinander.Flammen züngelten auf und leckten gierig indie Höhe.

Aber das war nur der Auftakt.Roboter stürmten heran. Zweckmäßige

Maschinen ohne direkt zuordenbare äußereForm, zum Teil nur fliegende Waffensyste-me. Zwei gleißende Strahlbahnen durch-schnitten die Illusionslandschaft, aber ledig-lich ein Projektionsbereich fiel aus. Es mute-te seltsam an, inmitten des halbierten Kata-rakts plötzlich Blumen wachsen zu sehen.

Schon mit dem ersten Schuss hatte derLamuuni seinen Platz auf Monkeys Schulterverlassen und sich per Niveau-Teleportationin Sicherheit gebracht.

Drei, vielleicht vier Sekunden mochtenseitdem vergangen sein. Die Lichtkonsolevor Ghem Jhegar hatte ihr Aussehen verän-dert. Mit seinen dürren Händen steuerte ervektorierbare Schutzschirme. Für einen Au-genblick geriet der Angriff ins Stocken.

Doch es waren zu viele Roboter. Schonmanövrierten sich die ersten um die Sperrenherum und eröffneten erneut das Feuer.

48 Hubert Haensel

»Gibt es hier Waffen?«, brüllte der Oxtor-ner.

Ein scheibenförmiger Roboter hatte diewandernden Energiefelder ausmanövriert,während zwei baugleiche Konstruktionen ineinem Aufblitzen auseinander gebrochenwaren. Zwei in flirrenden Projektormündun-gen endende Tentakelarme richteten sich aufSaedelaere.

Unter dem Maskenträger hatte sich derSessel aufgelöst. Soeben im Begriff, sichaufzurichten, blieb ihm nur noch, sich ge-dankenschnell zur Seite zu werfen. BeideSchüsse verfehlten ihn um Haaresbreite undlösten Teile des sichtbar werdenden Origi-nalbodens in flirrendem Staub auf.

Das war der Moment, als Monkey sich indie Höhe schnellte. Seine Fäuste krachtenvon unten gegen den Roboter und wirbeltenihn aus der Flugbahn. Die nächsten beidenDesintegratorschüsse, die Alaska unweiger-lich getötet hätten, fauchten quer durch denRaum.

Mit aller Kraft packte Monkey zu und rissdie Waffententakel auseinander. Blitzezuckten auf, als er einen der Arme aus demRumpf löste, den anderen hielt er fest um-klammert.

»Raus hier, Saedelaere!«Eine Treppe behinderte den Maskenträ-

ger. Die gewundenen Stufen führten in einhöher liegendes Stockwerk. Bevor Alaskasich nach oben retten konnte, wurde er er-neut attackiert.

Trotz der lauter werdenden Geräuschku-lisse war das Knacken zu hören, als Monkeyden verbliebenen Waffenarm des Robotersumknickte. Wie eine Trophäe schwang erdie knapp einen halben Meter durchmessen-de Maschine über seinem Schädel undschmetterte sie mit aller Wucht auf die An-greifer, die Saedelaere fast erreicht hatten.

Die Kante des Diskusroboters drang tiefin einen anderen ein und wirbelte ihn aus derFlugbahn. Flammen zuckten auf, und derRoboter verschwand mit bösartigem Surren,wobei er eine Rauchspur hinter sich herzog.

Den zweiten Angreifer hatte Monkey nur

gestreift. Für Sekundenbruchteile sah es soaus, als müsse er den Fehler mit dem Lebenbezahlen. Zwei Meter über ihm und uner-reichbar, stabilisierte sich der Roboter. Mon-key blickte geradewegs in die aufflammendeProjektormündung. Sofort warf er sich nachvorne, gleichzeitig zerschnitt ein Impuls-strahl den Roboter. Ghem Jhegar hatte ge-schossen.

»Danke, Monkey!«, stieß Saedelaere her-vor.

»Vergessen Sie's.« Der Oxtorner schleu-derte den Diskusrumpf quer durch denRaum. Er hatte gut gezielt und brachte einenweiteren Roboter zum Absturz.

Immer mehr Illusionen erloschen und lie-ßen einen verschachtelten, weitgehend kah-len Raum erkennen. Trotzdem brannte esringsum, und die automatischen Löschvor-richtungen vergrößerten das Chaos nur.

Mittlerweile kämpften Roboter gegen Ro-boter. Mit den steuerbaren Energieschirmenhatte Ghem Jhegar die Zeit für sich gewon-nen, die offenbar nötig gewesen war, seineVerteidiger zu aktivieren.

Unter schrecklichen Verrenkungen hum-pelte er auf Monkey und Saedelaere zu.»Nach oben!«, stieß er hervor. »Schnell!«

»Wem gehören die Roboter?«, wollteMonkey wissen.

»Den Kattixu«, lautete die lapidare Ant-wort.

Während sie die Treppe hinauf hasteten,tobte hinter ihnen ein neuer Feuersturmdurch den Wohnraum. Seltsamerweisesträubte sich der Mochichi mit Händen undFüßen, als Monkey ihn tragen wollte, umschneller vorwärts zu kommen.

»Wohin …?«»Ich habe Vorbereitungen für einen Fall

wie diesen getroffen«, rief der Mochichi.»Es gibt verschiedene Fluchtwege.«

*

Eine lautlose Explosion zerfraß die Sei-tenwand. Anders war das Geschehen nichtzu beschreiben. Aus einem winzigen aufglu-

Durch den Zeitbrunnen 49

tenden Punkt heraus breitete sich Schwärzeaus, und was blieb, waren erstickende Staub-wolken und einstürzende Wände.

Der Mochichi feuerte aus einer stabförmi-gen Handwaffe und erledigte mehrere derangreifenden Roboter, doch die Übermachtwurde schier erdrückend.

Sie retteten sich in einen Geheimgang,fielen durch ein Nichts, das sie körperlichspüren konnten - und landeten in einemnoch größeren Inferno. Lichterloh brennen-de Gleiter verrieten, dass der Mochichi füreine schnelle Flucht vorgesorgt hatte. Dochdie Angreifer waren schneller gewesen. Zer-störte Roboter übersäten den Hangar, dessenWände sich langsam in irrlichterndem Feuerauflösten.

Erstickender Rauch breitete sich aus, undaus diesem Rauch brachen Schatten hervor -halb sichtbare, in ihrer fließenden Formkaum zu definierende Schemen. Sie wurdenvon den verbliebenen Robotern des Mochi-chi unter Beschuss genommen.

Zum ersten Mal sah Monkey wirklich,welch vernichtende Wirkung in dem gold-farbenen Multi-Organ steckte. Zug- undDruckstrahlen brachen Schneisen in denQualm, konnten die Schatten aber kaum zu-rückdrängen.

»Das sind die Kattixu!«Monkey verstand noch, was Jhegar ihm

zurief, dann wurde er von einer fürchterli-chen Faust herumgewirbelt. In dem Momentgab es kein Oben und Unten mehr, nur nochgrauenvolle Schmerzen, die ihn aufschreienließen. Er schlug auf und versuchte, sichherumzurollen, konnte es aber nicht, weilsein halber Körper taub war.

Rings um ihn Feuer, ein unaufhörlichesPrasseln und Dröhnen, vermischt mit demToben des eigenen Blutes, das überlaut inseinen Schläfen dröhnte. Teile der Wandbrachen zusammen und ließen einen Fun-kenregen aufstieben, der für wenige Mo-mente den Rauch lichtete.

»Saedelaere!«, rief der Oxtorner. »Wosind Sie?«

Einige Meter entfernt prasselten Teile der

Deckenverkleidung herab. Der Lärm überla-gerte eine Antwort, falls es eine gab.

Endlich konnte sich Monkey herumwäl-zen. Nahezu besinnungslos vor Schmerz,richtete er sich auf die Knie auf. Der Druck-strahl, der ihn gestreift hätte, hätte jedenTerraner auf der Stelle getötet.

Ein Kattixu vor ihm, nur noch wenigeSchritte entfernt. Der Schatten kam näher,schien den Oxtorner aber noch nicht be-merkt zu haben. Monkeys Rechte schlosssich um Mauerschutt, kantige, schwereBrocken, die seine einzige Waffe waren. Mitaller Kraft warf er die Steine.

Der Schatten taumelte, wurde davonge-wirbelt, stürzte. Halb zerfließend begann ersich wieder aufzurichten, als ihn die näch-sten Geschosse trafen.

Monkey stieß ein klagendes Lachen aus.Schwankend kam er auf die Beine, taumelte,pumpte mehr Rauch als Luft in seine Lun-gen. Dennoch schaffte er es, die entsetzlicheBenommenheit zu verdrängen.

In dem Moment entdeckte er Saedelaere.Das hektische Flackern des Cappin-Frag-ments verriet den Terraner, der neben einemder glühenden Wracks kauerte. Vor ihmkrachten schwere Deckenträger herab, undin der Höhe lösten sich bereits weitere Seg-mente. Der Maskenträger ahnte die Gefahrnicht einmal, weil sein Blick den Rauchnicht durchdringen konnte.

»Saedelaere!«Der Terraner reagierte nicht. Und die

nächsten Trümmer würden ihn unweigerlicherschlagen.

Monkey hastete los. Der Schmerz raubteihm den Atem. Wie eine Kampfmaschinedurchbrach er eine jäh auflodernde Flam-menwand. Er taumelte gegen das Gleiter-wrack, wuchtete einen Träger zur Seite, derSaedelaere den Rückweg abschnitt, undzerrte den Terraner hoch.

»Sind Sie in Ordnung, Saedelaere?«Ein keuchendes Husten antwortete ihm.

Der hagere Körper wurde von Krämpfen ge-schüttelt.

In dem Moment hatte der Oxtorner nur

50 Hubert Haensel

noch eines im Sinn: raus aus dem brennen-den Gebäude, dessen Ende nicht mehr auf-zuhalten war!

*

Du bist am Ende. Tränen verschleiern dei-nen Blick, und du siehst so gut wie garnichts mehr. Giftiger Qualm frisst sich durchdie Augenschlitze der Maske hindurch. Duweißt nicht, ob es dir Erleichterung bringt,wenn du die Maske abnimmst. Wahrschein-lich nicht. Und du würdest nur Monkey oderJhegar gefährden.

Hinter dir tobt ein Höllenfeuer. Aber dukannst nicht weg, weil dir die Fahrzeuge dieeinzige Deckung bieten.

Du wirst sterben, ohne das Erste Thore-gon wirklich gesehen zu haben. Was fühlstdu? Leere, Hass, Zufriedenheit?

Eine schwere Erschütterung schreckt dichauf. Massive Deckenträger sind vor dir her-abgestürzt, sie haben dich um nicht einmaleine Armlänge verfehlt.

Nimm die Maske ab! Eine andere Chance,deine Umgebung wenigstens einigermaßenwiedererkennen zu können, hast du nicht.

Wieder kracht etwas herab. Und einSchatten wächst jäh vor dir auf. Monkey? Erzerrt dich in die Höhe, nimmt dich auf denArm. Das spürst du. Er rennt los, schreit,schlägt um sich. Er mag sein, wie er will,aber wenn es darauf ankommt, ist er zurStelle.

Da sind Flammen … noch einmal eineungeheure Hitze, gefolgt von einem mörde-rischen Aufprall. Monkey stürzt, reißt dichmit sich. Aber du kommst aus seinem Griffnicht frei.

Täuschst du dich, oder umweht dich wirk-lich ein frischer Wind? Der Kampflärm wirdleiser.

Ihr seid raus. Monkey hat dich nach drau-ßen gebracht: Er rennt auf der Straße.

Und die Kattixu? Was ist mit ihnen undihren Robotern?

Wohin kann Monkey schon fliehen?Du wehrst dich gegen die Ohnmacht, die

in dir aufsteigt. Aber du kommst nicht dage-gen an.

9.

»Was ist los, Monkey? Wo sind wir?«,fragte Alaska Saedelaere stockend.

Kalt und leblos blickten ihn die Kunstau-gen des Oxtorners an. Das olivfarbene Ge-sicht erschien Alaska riesig, als Monkeysich über ihn beugte, und jäh zuckten seineHände zur Maske. Erleichtert atmete er auf,als er spürte, dass das kühle Stück Plastikrichtig befestigt war.

»… in Sicherheit«, sagte der USO-Chefgrollend. »Wie geht es Ihnen, Saedelaere?«

»Blendend.« Der Terraner besann sich.»Eher bescheiden. Was ist mit Ghem Jhe-gar?«

»Ich weiß nicht. Aber ich nehme an, dasser die Schlacht überlebt hat. Sein Haus wirdvöllig niederbrennen.«

»Und die Kattixu? Lassen Sie sich dochnicht alles aus der Nase ziehen, Monkey.«

»Wenn Sie sich über Ihre Rettung be-schweren wollen, Saedelaere, machen Siedas schriftlich. Fünf Ausfertigungen, einefür den Müllschlucker.«

»Wie bei der USO?«»Soll das ein Witz sein? Ich hoffe, die

Kattixu lassen uns vorerst in Ruhe. Bei Ih-rem Zustand haben wir kaum eine Chance.«Er erhob sich, ging einige Schritte durch denkahlen Raum und blieb ebenso abrupt wie-der stehen. »Falls Sie es wirklich wissenwollen: Ich habe Sie in das neue Stadtviertelgebracht, einige hundert Meter von JhegarsRuine entfernt. Die wenigen Passanten aufder Straße haben uns nicht beachtet, allesandere war für sie interessanter. Die Arm-bandgeräte habe ich abgeschaltet, niemandwird uns orten können. Schlafen Sie sichaus, Saedelaere, Sie haben eine ganze Nachtvor sich.«

»Und Sie, Monkey?«Der Oxtorner hob die Schultern. »Was da

drüben geschehen ist, hat mich aufgemun-tert.«

Durch den Zeitbrunnen 51

*

Mehr als zwei Stunden waren vergangen,als ein dumpfes Brausen die Luft erfüllte. Esschien aus allen Richtungen gleichzeitig zukommen, und die Ursache lag irgendwoüber Kiról.

Augenblicke später begann der Boden zubeben wie bei einem leichten Erdbeben.

Die Erschütterungen steigerten sich. Äch-zende Geräusche erklangen aus den Wändendes Verstecks.

Alaska Saedelaere war von einem Mo-ment zum anderen hellwach. »Was ist das,Monkey?«, wollte er wissen. »Das hört sichan, als …«

»Die großen Raumschiffe sind gestartet.«Minuten später erreichten die Erschütte-

rungen einen Höhepunkt. Sie wurden beina-he unerträglich.

»Behaupten Sie jetzt nicht, Monkey, dassnicht mindestens eines dieser Schiffe direktüber uns steht!«

Der Oxtorner wirkte verbissen. Bislanghatte er das Versteck nicht mehr verlassen,nun machte er auf dem Absatz kehrt.»Kommen Sie, Saedelaere!«, forderte er denTerraner auf.

Sie hasteten durch kahle, leere Korridore,in denen die Luft noch nach Fabrik roch -aber beißender Ozongestank mischte sichschon hinein - hasteten zwei weit geschwun-gene Treppen hinauf …

… und sahen anstelle des letzten Abend-rots einen Himmel aus Stahl über sich.

So weit das Auge reichte, Stahl. Nur weitin der Ferne noch ein fahler, orangefarbenerStreifen, der in Kürze der Nacht weichenwürde.

Keine fünfhundert Meter hoch hing derRaumer über der Stadt.

Dann wurden die Erschütterungen sostark, dass Saedelaere den Halt verlor. SelbstMonkey taumelte die letzten Treppenstufenwieder hinab.

Schwer atmend schauten sie sich an.»Sie heben das gesamte Neubauviertel

vom Boden ab«, sagte Alaska leise.»Zweieinhalb Kilometer Kantenlänge, dasist wahrlich eine gewaltige Masse.«

Die Aufwärtsbewegung wurde deutlichspürbar. In den leeren Gebäuden gab es kei-ne dämpfend wirkenden Kompensatoren.

Im nächsten Moment lachte Saedelaerehell auf. »Auch nicht schlecht«, meinte er.»Die Kattixu haben auf jeden Fall das Nach-sehen. Diese Raumschiffe sind wahre Welt-raumtraktoren. Aber der Aufwand gilt nichtuns. Das Stadtviertel war von vornhereinzum Abtransport bestimmt.«

»Klingt logisch«, bestätigte Monkey.»Auf diese Weise können mit ortsgebunde-nen Fabriken überall auf dem Planeten neueStädte aus dem Boden gestampft werden.«

»Ich frage mich, wohin wir verfrachtetwerden.«

»Haben Sie eine Planetenkarte, Saedelae-re?«

Endlich ebbten die Erschütterungen ab.Wäre über ihnen nicht der schmale Aus-schnitt des Raumschiffsrumpfs zu sehen ge-wesen, sie hätten glauben können, wieder fe-sten Boden unter sich zu haben.

Monkey stieg erneut die Treppe hinauf.»Kommen Sie her, Saedelaere!«, rief er

Sekunden später nach unten. »Sehen Siesich das an!«

Ihnen blieb nur der Blick zur Seite. Weitin der Ferne war die Rundung des Planeten-horizonts zu sehen. Schwärze hatte sich aus-gebreitet, darin eingebettet einige wenigeSterne.

»Wir steigen höher«, stellte Alaska fest.»Unnötig hoch sogar.«

Der Oxtorner wirkte verbissen. DickeAdern erschienen an seinen Schläfen. »Wirsteigen mindestens bis in den Orbit«, sagteer. »Mag sein, dass unser Unterschlupf aus-gerechnet als Bestandteil einer OrbitalenStadt vorgesehen ist.« Er schwieg sekunden-lang und fuhr dann eindringlich fort:»Natürlich kann der Traktor das Wohnvier-tel auch zu einem anderen Planeten diesesSystems transportieren. Wenn wir Pech ha-ben, gar zu einer anderen Sonne.«

52 Hubert Haensel

Saedelaere schluckte schwer. »Das heißt …«Er brachte den Satz nicht zu Ende.

»Das heißt, dass wir sehr schnell die At-mosphäre verlassen«, vollendete der USO-Chef. »Und zu unserer Ausrüstung gehörenkeine Raumanzüge.«

»Dann bleiben uns bestenfalls Minuten…«

*

Sie hasteten durch die Stadt, deren Auf-bau ihnen unbekannt war. Türen schlugenhinter ihnen zu und wurden wieder aufgeris-sen, weil es schon nach wenigen Räumenkein Weiterkommen mehr gab. Viele Wegeentpuppten sich als Sackgassen, andere führ-ten abermals in die Höhe.

Aber sie mussten tiefer, in die Mitte dernur dreißig Meter dicken Gebäudeschicht,von der die tödliche Kälte des Weltraumsam längsten fernbleiben würde. Und wo hof-fentlich lange genug Sauerstoff zur Verfü-gung stand. Die Frage war nur, ob die Ge-bäude hermetisch dicht waren.

»Andernfalls …« Monkey schnippte mitden Fingern.

»Hören Sie auf!«, schimpfte Saedelaere.»Freuen Sie sich nicht, dass Sie Ihr Cap-

pin-Fragment loswerden?«»Wenn ich eines hoffe, Monkey, dann,

dass wir beide nicht zusammen in der Hölleschmoren werden.«

»Sie glauben an diesen Unsinn?« Über-rascht wandte der Oxtorner den Blick aufseine Schulter. Eben war der Lamuuni er-schienen.

»Ihren Vogel sind Sie dann auch los«,sagte der Maskenträger trocken.

*

Zum ersten Mal seit den Schüssen in Jhe-gars Haus war der Lamuuni zurückgekehrt.In Monkeys Gedanken formten sich neueund überraschende Bilder.

Der Vogel übermittelte ihm die Ansichtdes zwiebelförmigen Gebäudes im Zentrumvon Kiról. Die Sonne war fast untergegan-gen, nur noch ihre letzten blutrot verfärbtenStrahlen brachen sich in der spiegelnden Au-ßenfläche.

Dann das Empfinden, durch diesen Spie-gel hindurchzufallen. Monkey ertappte sichdabei, dass er die Muskeln anspannte, umden Aufprall abzufedern.

Ein Saal. Er war leer - bis auf ein silber-nes Licht. Dieses Licht kam näher und nahmimmer deutlichere Konturen an.

Monkey erkannte, was er vor sich hatte:Inmitten des Saales schwebte ein Heliot, ei-ne einen Meter durchmessende Kugel, dieaus reinem Licht zu bestehen schien.

Das Bild erlosch.Zeig mir mehr!, dachte Monkey intensiv.

Was ist mit dem Helioten? Ist er für dasmentale Abwehrfeld verantwortlich?

Aber der Lamuuni schwieg. Wie erstarrtkauerte er auf Monkeys Schulter - ein ge-heimnisvolles Wesen, das sein Freund seinwollte, dies aber nie werden konnte.

Der Oxtorner fröstelte.Minuten später bemerkte er den vor Sa-

edelaeres Maske kondensierenden Atem.Es war kalt geworden in ihrem Versteck.

Und die Temperatur würde rasch weiter sin-ken.

E N D E

Die zwei Aktivatorträger sind auf völlig unbekanntem Terrain quasi auf sich allein gestellt.Von den Problemen, die Mochichi und Kattixu miteinander haben, können sie verständlicher-weise nichts wissen. Also bleibt Alaska Saedelaere und Monkey nichts anderes übrig, als nachweiteren Informationen zu suchen, um sich ein genaueres Bild zu verschaffen.

Der PERRY RHODAN-Roman der nächsten Woche beschäftigt sich mit den weiteren Aben-

Durch den Zeitbrunnen 53

teuern der beiden Aktivatorträger. Er wurde von Horst Hoffmann geschrieben und erscheintunter folgendem Titel:

FÜR HELIOTEN UNSICHTBAR

54 Hubert Haensel

Kommentar: Der Mahlstrom der Sterne (II)

Materiebrücken zwischen kollidierenden Galaxiensind nichts Besonderes, Gleiches gilt für die exoti-schen hyperphysikalischen Verhältnisse, die mit einersolchen Umgebung zwangsläufig verbunden sind. ImGegensatz dazu haben wir es beim Mahlstrom derSterne mit einem Gebilde zu tun, das den normalenRahmen sprengt - weniger allerdings durch seine Na-tur an sich als vielmehr wegen der mit ihm verbunde-nen »Randbedingungen«.

Auffallend ist beispielsweise, dass die Kollision derbeiden Sterneninseln schon vor rund zwei MilliardenJahren stattgefunden hat, sie sich aber nur um einevergleichsweise geringe Distanz voneinander entfernthaben. Die Relativbewegung zueinander ist heute äu-ßerst gering, um nicht zu sagen kaum messbar. Obsie vor langer Zeit einmal deutlich größer war unddann irgendwann quasi zum Stillstand kam, lässt sichnicht sagen: In eine entsprechende Simulationsrech-nung können die möglicherweise zu berücksichtigen-den zusätzlichen Effekte mangels Kenntnis nicht ein-fließen.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass die Bewegungder beiden Galaxien von jeher minimal war, dieDurchdringung demnach extrem langsam vonstattenging und fast in einer Verschmelzung geendet hätte.Ein solches gegenseitiges »Auffressen« von Sternen-inseln wiederum ist keineswegs selten. So hat bei-spielsweise die der Milchstraße benachbarte Andro-meda-Galaxis einen Doppelkern, weil eine andere,kleinere Galaxis »aufgefressen« wurde, die einst indas Kerngebiet von M 31 eindrang. Und auch die el-liptischen Großgalaxien wie M 87 oder Segafrendogelten häufig aufgrund ihrer gewaltigen Massen alsErgebnis solcher Verschmelzungen. Ob und welcheAuswirkungen diese »gebremste Kollision« auf dasEntstehen des Schlunds sowie der Ausbildung desErsten Thoregons hatte, kann derzeit niemand sagenFest steht nur, dass der Mahlstrom in den Randberei-chen der Galaxis Mahagoul nicht allein durch die ausder Galaxis losgerissenen Systeme und Materiemas-sen gespeist wird, sondern dass sich inmitten desChaos eine 7670 Lichtjahre durchmessende Zone be-findet, die mit einem PULS identisch sein muss. Dabeihandelt es sich um eine astronomisch schier unglaub-lich scheinende Zone, in der Energien toben, die eineähnliche Intensität wie bei der Supernova-Explosioneiner Sonne erreichen, im Gegensatz zu einer sol-chen jedoch nicht nur in einem Sekundenbruchteilfreigesetzt werden, sondern quasi permanent entste-hen.

Vergleichbares kennen wir vom Kessel vonDaGlausch, dem Feuer von Hesp Graken in Segaf-rendo oder Anguelas Auge in Tradom. Berücksichti-gen wir weiterhin die vor dem Vorstoß in den Kesselin DaGlausch und Salmenghest tobenden Kesselbe-ben, dürfte es nicht allzu weit hergeholt sein, ver-gleichbare Effekte auch für die Zeit anzunehmen, eheder PULS des Ersten Thoregons entstand. Dass essich um diesen handelt, belegen die Beobachtungender SOL-Besatzung. Wie es aussieht, befindet sich

die Glutzone des hiesigen PULSES überdies dort, woeigentlich ein zweites Gegenstück zum Schlund er-wartet werden könnte, sofern man unter den hiesigenBedingungen eine Symmetrie überhaupt in Erwägungziehen darf. Das Gegenstück in der Galaxis derPloohns jedenfalls wurde seinerzeit schon beobachtet- in Form des Aufrisstrichters am Südrand ihrer Gala-xis, auch Energiewirbel und Kontraschlund genannt,rein optisch eine große, flimmernde Energiewandoder - wolke.

Bei dem Gebiet handelte es sich um einen insge-samt rund viertausend Lichtjahre durchmessendenRaumsektor, in dem all das rematerialisierte, was vomSchlundtransmitter eingesogen und abgestrahlt wur-de. Je geringer die Masse des Materials war, in umsogrößerer Entfernung vom Aufrisstrichter wurde es wie-der stofflich. Die Ploohns nutzten die hyperenergeti-sche Affinität zwischen Aufrisstrichter und Schlund,um ihre Flotten in den Mahlstrom zu versetzen undumgekehrt wieder herauszubringen. Schon die Tatsa-che, dass sie den Wirbel gezielt als Giganttransmitternutzten, verdeutlichte, dass er bis zu einem gewissenGrad »justiert« und gesteuert werden kann.

Ob dieser Effekt auch bei dem Mega-Dom zum Ein-satz kam, nahe dem die SOL materialisierte, lässtsich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Offen sindauch alle Fragen, die sich auf die hiesigen Verhältnis-se beziehen. Fest steht nur, dass Beauftragte derKosmokraten vor Ort aktiv sind - die kobaltblaue Wal-ze dürfte zweifellos als Erkundungsschiff unterwegssein. Dazu passt auch der Aufmarsch der Ploohns,die rings um den Mahlstrom-PULS eine Art Ortungs-ring betreiben und anscheinend als Helfer tätig sind.

Unbekannt dagegen ist, wie lange es das ErsteThoregon schon gibt, obwohl als Minimalzeit zumin-dest die von ESTARTU her bekannte Zeitspanne vonrund 18 Millionen Jahren angegeben werden muss.Und vor diesem Hintergrund könnte die seinerzeitigeVersetzung der Erde in den Mahlstrom eine ganz an-dere Bedeutung erlangen. Dass ES hierbei maßgeb-lich eingegriffen und einen Plan verfolgt hat, steht au-ßer Zweifel. Fragt sich nur, wie massiv die seinerzeiti-gen Eingriffe - über die bislang bekannten Manipula-tionen hinaus - unter Umständen ausfielen.

Angesichts der Bedingungen im Mahlstrom und we-gen der übrigen Ereignisse konnte die Besatzung derSOL beispielsweise nicht gezielt nach Ovarons Planetsuchen, dessen genaue Position leider nicht bekanntist. Man weiß ja nicht einmal, ob diese Welt überhauptnoch existiert. Die rote Riesensonne Peilfeuer Mahl-strom, seinerzeit 102,57 Lichtjahre von Ovarons Pla-net entfernt und im Dezember des Jahres 3581 durchden Einsatz des Inmestronischen Anregungs-Feld-pulsators zum Sonnenleuchtfeuer aufgeheizt, wurdeim August 3582 beim letzten Aufenthalt der SOL imMahlstrom wieder abgeschaltet.

Der keloskische Rechenmeister Dobrak erläutertedamals den Aufbau der kosmischen Ordnung, die ermodellhaft mit einer Zwiebel verglich - das berühmte»Zwiebelschalenmodell« …

Durch den Zeitbrunnen 55

Rainer Castor

56 Hubert Haensel