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Seite 10 Nr. 13-14 10. Juli 2007 Banater Post E in Kulturraum in einer Viel- völkerregion – also ein inter- disziplinäres und interethnisches Vorhaben mit Schwerpunkt Bana- ter deutsche Kultur im Jahre 2007. Gab es vergleichbare Vorgänger? Etwa HANS HAGELs – leider nicht beendete – dialektologische und ethnografische Studien aus der Zwischenkriegszeit, die 1967 dennoch durch ANTON PETER PETRI veröffentlicht wurden. Später folgte ein weiterer Anlauf. Im Vorwort zum fünften Sammel- band Schwäbisches Volksgut schrieb ich: „Die Studienreihe zur Volkskunde der Banater Deutschen ist dank selbstloser und mühevoller Kleinarbeit jedes Mitglieds unserer Autorengruppe beim fünften Band angelangt. Innerhalb eines frucht- baren Jahrzehnts haben wir die Ziele erreicht, die wir uns 1973 – bei der Erarbeitung des ersten Bandes „Heide und Hecke“ – ge- stellt hatten: Einen repräsentativen Querschnitt durch unsere mate- rielle und geistige Kultur zu ziehen und die Unterlagen für eine wissen- schaftliche, umfassende Volks- kunde aller Banater Deutschen zu sichern, die trotz mehrerer Ansätze immer noch aussteht.“ Das blieb bis heute unverändert. Allerdings griff ich diese thema- tischen und interethnischen An- sätze auf und führte sie 2003 auf einer höheren Ebene weiter. Auf der gleichen Ebene steht der Abschlussband einer längeren Kooperation mit Fachkollegen der Anrainerstaaten über die Volks- kultur im Oberen Theißbecken. Bald nach seiner Gründung (1956) erklärte der Temeswarer Germanistiklehrstuhl die Erfor- schung der Banater Dialekte und der deutschen Literatur der Region als wichtigste Forschungsschwer- punkte mit den Zielen, ein Wörter- buch und ein Literaturlexikon zu erarbeiten. Beide stehen bislang aus. Ein später festgelegtes Ziel, die deutsche Kultur der Region in interethnischem Zusammenhang zu untersuchen, scheint wohl zeitgemäßer zu sein und beginnt, Formen anzunehmen. Der Heraus- geber sieht die Veröffentlichung „nicht so sehr als Fazit, sondern eher als Anregung zu neuen Forschungsprojekten und im Ideal- fall zu Synthesedarstellungen, die noch ausstehen. Der vorliegende Sammelband geht auf ein Temeswarer Sympo- sion von 2004 zurück, das vom Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann- Haus, dem Demokratischen Forum der Deutschen im Banat, dem Germanistiklehrstuhl der West- Universität und dem Regionalen Rumänischen Schriftstellerver- band veranstaltet wurde und 16 hochkarätige Referenten aus Rumänien, Serbien und Deutsch- land zusammenführte. Schwer- punkte des Symposions, die sich in dieser Veröffentlichung nieder- schlugen, waren Geschichte und Kultur (konkret: Literatur und Presse, Kunst und Ethnografie), wobei der wichtige germanistische Teilbereich Sprache nur durch eine toponymische Untersuchung ver- treten war. Dem überschaubaren Umfang entspricht die broschierte Bindung, und ein Umschlagfoto der Temes- warer Lloydzeile symbolisiert die Besonderheit der mittelosteuro- päischen Region Banat. Das Personenregister ist hilfreich, und auch ein Sachregister hätte den wissenschaftlichen Zielen des Bandes entsprochen. Anmerk- listen nach jedem Beitrag wurden den benutzerfreundlicheren Fuß- noten wohl wegen der manchmal ausufernden Zusatzinformationen vorgezogen, wobei einfache Quellenangaben wie etwa: W. Niederkorn: a.a.O., S. ... und Ebd., S. ... – (der Titel wird aber nirgends angeführt!), besser – wie neuer- dings üblich – in den Text gestellt werden sollten: [Niederkorn 2001: 283]. Der fehlende Titel müsste 17. und 18. Jahrhundert und die europäische Gelehrtenrepublik“ in Bezug zum Thema des Sympo- sions: Das Banat – ein euro- päischer Kulturraum. Die beschrie- bene Zeit nimmt die spätere Ent- wicklung der Region (durch Spät- humanismus und Barock) voraus. Überethnische intellektuelle Ge- meinschaften in akademischen Kreisen werden als „Gelehrten- republik Europa“ bezeichnet. Es handelt sich um Übersetzer, Schriftsteller und Lexikografen, z. B. in der rumänischen Gelehrten- gemeinde von Karansebesch. Ge- nannt werden GABRIEL IVUL und MIHAI HALICI D. Ä., der ein Dictio- narium Valahicolatinum verfasst hat. Zwei junge serbische Historiker untersuchen die Auswirkungen der Staatspolitik auf die Deutschen in der Woiwodina. JOVICA LUKOVIĆ analysiert die Agrarreform und das bäuerliche Selbstverständnis der Deutschen im jugoslawischen Banat der Jahre 1918 bis 1941 – ein Problemaufriss. Die Schluss- folgerung ist, dass die Agrarreform und die Kolonisierung serbischer Bergbewohner gescheitert ist, da sie nicht die bäuerliche Mentalität der deutschen Bauern hatten. ZORAN JANJETOVIĆ be- schreibt die Politik gegenüber der deutschen Minderheit Jugo- slawiens im Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Die willkürliche Vernichtung der Deutschen in Jugoslawien, die von der Partisa- nenführung schon 1943 geplant und später von den Alliierten nicht verhindert wurde, kann immer mehr durch Archivunterlagen nachgewiesen werden. Die kollek- tive Schuldzuweisung und Inter- nierung der Donauschwaben, von denen über 50 000 in den Konzen- trationslagern umkamen, führte zu ihrem Verschwinden. PETER KOTTLER nähert sich in Ortsnamen des Banats im Wandel der Geschichte einem sprachlich- historischen Thema. Hier wird den Gründen für den Wandel der Banater Ortsnamen nachgegan- gen, die für die deutsche Bevölke- rung und ihre Dialekte relevant sind und auf einer Karte am Berichte von Zeitzeugen – für den Geschichtsforscher eine Möglich- keit zur Überprüfung und Er- gänzung offizieller Dokumente. Solche Briefe sprechen von neuen Erfahrungen, Krankheiten und Tod von Angehörigen, Auswirkungen der späten Türkenkriege, aber auch von Identitäts- und Gruppen- bildung sowie der Entstehung sozialer Netzwerke in den Sied- lungen. Unklarheiten in den exakt wiedergegebenen Textbeispielen werden durch Anmerkungen er- läutert. Somit ergänzt dieser Arti- kel den einführenden historischen Überblick. DORU RADOSAV stellt seinen Beitrag „Die Kultur des Banats im unter den Literaturangaben nach den Anmerkungen nachzulesen sein, etwa: NIEDERKORN, WERNER (2001): Schwowisches und Herrisches. Beiträge zur Ethnographie der Banater Schwa- ben.Temeswar: Eurobit Verlag. Die grafische Gestaltung des Bandes ist entsprechend;Tabellen, vier Farbbilder und zahlreiche schwarzweiße Reproduktionen in mehreren Beiträgen (seltsamer- weise nicht für die „Bildende Kunst“) bereichern den Informa- tionsgehalt des Bandes. Im Vor- wort ist zu lesen, dass der Band „der Siedlungsgeschichte und spezifischen Kultur der Banater Deutschen in der Wechselwirkung mit den Kulturen der anderen Eth- nien der Region – der Rumänen, Serben, Ungarn und Juden – be- sondere Aufmerksamkeit“ widmet. Eine Nachprüfung ergibt aber, dass Bezüge zu Rumänen häufig, zu Serben in den Beiträgen über die Woiwodina vorhanden und zu Ungarn vor allem im Zuge der Madjarisierung festzustellen sind. Der anzunehmende Beitrag von Juden zur deutschen Kultur müsste noch festgestellt werden. MARIONELA WOLFs Beitrag über die Heimatkorrespondenz von Banat-Auswanderern ist wohl im historischen Abschnitt verankert, während die Betrachtungen von DORU RADOSAV über die Kultur- leistungen von Banater Rumänen dem Diskussionsthema nur be- dingt zuzuordnen sind. Meine Anmerkungen zu den Beiträgen des Sammelbandes bringe ich in ihrer natürlichen Gliederung, wobei einige lang- atmige Titel bereits das Wesent- liche vorwegnehmen. Geschichte Josef Wolf schrieb zur Geschichte der historischen Kulturlandschaft Banat. Ansiedlung, Siedlungs- gestaltung und Landschaftswandel im Banat vom frühen 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Beitrag wird seinen Zielsetzungen gerecht, wobei er die Kopfzeile Geschichte durch das präzisere Genese ersetzt. Für die Siedlungs- gestaltung des Banats in der Neu- zeit sind vor allem die Kolonisie- rung und die „raumwirksame Staatstätigkeit“ ausschlaggebend. Untersucht werden die Besonder- heiten während des Temeswarer Banats, der Banater Militärgrenze, dann die ländlichen Großsiedlun- gen und kleinen Außensiedlungen, die städtischen Siedlungen, die Auswirkungen von Konfession und Ethnizität und die strukturellen Merkmale der regionalen Kultur- landschaft. Interessant scheint die Bedeutungsentwicklung von Puszta (Anm. 52) und die deutsche Dreiteilung in Heide, Hecke und Bergland. Unklar ist, weshalb bei der fundierten Quellenforschung (132 Anmerkungen) für den Land- schaftsnamen Banater Heide wohl ein Zeitschriftenaufsatz von NIKO- LAUS H. HOCKL erwähnt, jedoch ein umfangreicher Beitrag von ERICH LAMMERT übersehen wird. Dabei zitiert Lammert gerade Hockl. Die Stichwörter Heide, Hecke und Pußta (serbokroatisch pusta, ungarisch puszta und rumänisch pustiu), mit zahlreichen Belegen und Erläuterungen sind auch meinen Wörterbuchbänden drei und vier zu entnehmen. MARIONELA WOLF bezieht sich auf alte und neue Heimat und erläutert „Briefe südwestdeutscher Banat-Auswanderer des 18. Jahr- hunderts“. Trotz der verhältnis- mäßig geringen Zahl erhaltener persönliche Briefe ist dieses histo- rische Quellenmaterial – wie die Germanistiklehrstuhl dargestellt werden. Eine Tabelle erfasst die Namen dreisprachig. Bemerkens- wert ist die Analyse des Syno- nymenpaares Temeswar/Temesch- burg aufgrund zahlreicher Quellen. Zitiert werden auch rumänische Untersuchungen zu Banater Orts- namen, doch leider fehlt A. Peter Petri. Kultur Diese Thematik umfasst verschie- dene Beiträge über Ethnografie, Kunst und Pressegeschichte. MARGITTA SCHNELL- IVANO- VIĆ untersucht Deutsche, serbi- sche und ungarische Volkssprüche im Banat. Die gut dokumentierte und recherchierte Arbeit ergibt eine Kleine Anthologie der Sprüche auf Stickereien im rumä- nischen und serbischen Banat und in der Batscka. Die Gegenüber- stellung und Illustrierung vieler Sinnsprüche auf Wandschonern belegt die allgemeine Verbreitung dieser volkstümlichen Sprüche seit der Donaumonarchie und die moralischen Prinzipien der Bevöl- kerung, nach denen dieses Volks- gut ausgewählt wurde. Die Autorin hat sich die interethnische Forschungsmethode auf einem Stipendienaufenthalt in Tübingen angeeignet und verglich später die – teilweise ähnlichen – Sprüche und Gebräuche der Donauschwa- ben und Serben. DR.WALTHER KONSCHITZKY wertet in seinem Beitrag Intereth- nische Aspekte der Banater Dorf- architektur die Ergebnisse seiner Promotionsarbeit aus, die aus jahr- zehntelangen Recherchen in vie- len Banater Ortschaften schöpft. Der Text präsentiert in Wort und Bild anhand von Haus- und Giebel- formen den Kulturraum Banat mit einer ständigen wechselseitigen Beeinflussung seiner Nationalitä- ten, nach dem Ausspruch von BÉLA BARTOK: „Eine vollkomme- ne Absperrung gegen Fremde: Niedergang. Gut assimilierte An- regungen bedeuten Chancen für Einflüsse, Bereicherung.“ Schade, dass Konschitzkys Studie über Banater interethnische Hochzeits- bräuche noch nicht publiziert ist. ANNEMARIE PODLIPNY- HEHN beschrieb „Ein stetes Geben und Nehmen. Wechsel- wirkungen im Bereich der bilden- den Kunst des multiethnischen Banats“. Es ist – wenngleich ohne veranschaulichende Illustrationen – eine knappe Synthese der Banater Kunstszene vom 18. Jahr- hundert bis zur Gegenwart. Ange- sprochen wird der Einfluss des österreichischen Barocks und des Wiener Akademismus auf die bodenständige byzantinische Kunst. Besonders das „Klein- Wien“ strahlte diese Kunstrichtung aus. Der Impressionismus konnte sich erst später durchsetzen. Der Beitrag skizziert das Schaffen des Bildhauers Romul Ladea, der Maler Adolf Humborg, Karl Brocky, Julius Podlipny und der Schwaben- maler Stefan Jäger, Franz Ferch und Emil Lenhardt, schließlich von Hildegard Kremper-Fackner. Über Neue Wege in der Banater Musikforschung Zur Rolle deutscher Minderheiten schreibt FRANZ METZ. Den Rückstand der südosteuropäischen Geschichts- forschung erklärt der Verfasser mit nationalistischen Tendenzen nach der Teilung des Banats, mit einer falschen Einseitigkeit der national- sozialistischen Musikforschung und schließlich mit der tendenziö- sen kommunistischen Ideologie. Die heutige interethnische For- schung hebt die Chortradition aller Banater Ethnien hervor. Deutsche Komponisten fanden Anklang, doch noch 1880 trat ein Chor auf, der in „Türken“ und „Ungarn“ auf- geteilt war. Plakate waren zumeist mehrsprachig verfasst.Der Temes- warer Philharmonische Verein war bedeutsam, und Männergesangs- vereine gab es in Südosteuropa bis 1845. Die Musikforschung muss sich weiterhin der Aus- breitung der Knabenblaskapellen und der Auffindung von Samm- lungen widmen. LUZIAN GEIER untersucht Mehrsprachige Banater Periodika im 19. Jahrhundert. Im Kronland „Serbische Wojwodschaft und Temeser Banat“ (einschließlich der Batschka) gab es Amtsblätter in vier Sprachen. Rumänen und Serben erhielten „Landesblätter“ in ihrer Sprache. Aus geschäftlichen Interessen war der Anzeigenteil der Banater Periodika, etwa die „Jahrbücher“ der Temeswarer Handels- und Gewerbekammer, mehrsprachig. Oft geht es nicht um Kulturvermittlung, sondern um die Förderung der (ungarischen) Staatssprache. Überlebens- chancen von zwei- und mehr- sprachigen Minderheitenpublika- tionen liegen immer in ihrer Brückenfunktion. Die Zeitung Timisoara hat heute abwechselnd Sonderseiten in Deutsch, Unga- risch und Serbisch. Und von der Reschitzaer Bibliothek wird die dreisprachige Monatsschrift îm- preunã, miteinander, együttesen herausgegeben. Literatur Diese Thematik wird von CORNEL UNGUREANU eingeleitet, der in seinem Beitrag Banater Topo- graphien. Rumänisch-deutsche Wechselbeziehungen literatur- geschichtliche Maßstäbe für den Umgang mit dem Kulturraum Banat setzt, die Bedeutung von Übersetzungen hervorhebt und die Rolle der Lehrer als Kulturträger in drei „pädagogischen Provinzen“ aufzeigt (z. B. an Franz Xaver Kappus und Franz Liebhard, dann Andreas A. Lillin und schließlich an Johann Wolf, Walter Engel, Eduard Schneider u. a.). Weitere Themen sind die „Aktionsgruppe Banat“ und das deutsche Theater. Der Herausgeber des Bandes, WALTER ENGEL, verweist in Aspekte einer regionalen Literatur- geschichtsschreibung. Überlegun- gen zur Regionalliteratur der Banater Deutschen auf die Prob- lematik der „Fünften deutschen Literatur“ mit ihren Etappen und dem Einbezug der Kulturgeografie der Region und des interethni- schen Umfeldes. Vielleicht wird diese Literaturgeschichte doch ge- schrieben. Ost-westliche Impressionen und Berichte. Zu den journalistischen Beiträgen von Franz Xaver Kappus über Temeswar und Berlin schreibt ausführlich EDUARD SCHNEI- DER. Vielleicht ein Mosaikstein. ROXANA NUBERT befasst sich mit Frauenfiguren in Wagners Texten („In der Hand der Frauen“, „Lisas geheimes Buch“, „Im ‘ Grunde sind wir alle Sieger“ und „Miss Bukarest“). Es geht um Prostituierte wie Lisa, Nora und Minna sowie um andere Frauen- typen. Die Verfasserin hat das Thema mittels eines Stipendiums im Literaturarchiv von Marbach erarbeitet. Es ist sicher medien- wirksam, doch Wagner widmet sich auch vielen anderen Themen, einschließlich den Leitartikeln in der Banater Zeitung. BEATE PETRA KORY widmet sich in Diktatur und traumatische Erfahrung. Richard Wagners Roman „Die Muren von Wien“ einem anderen Thema Wagners, der Problematik des Aussiedlers. Schließlich schreibt GRAZIEL- LA PREDOIU über Aussichtslosig- keit der Banater Provinz. Herta Müllers Romane – eine Chronik des Überlebenswillens in der Diktatur, vielleicht ein weiterer Baustein in einer künftigen – auch Fortsetzung auf Seite 11 Kultur Anregung zu neuen Forschungsobjekten Zum Buch »Kulturraum Banat. Deutsche Kultur in einer europäischen Vielvölkerregion« 10_.qxd 04.07.2007 15:42 Seite 1

E Anregung zu neuen Forschungsobjektenjaeger.banater-archiv.de/images/7/76/ART_0780.pdf · bei der Erarbeitung des ersten ... Zitiert werden auch rumänische Untersuchungen zu Banater

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Seite 10 ◆ Nr. 13-14 ◆ 10. Juli 2007 Banater Post

Ein Kulturraum in einer Viel-völkerregion – also ein inter-

disziplinäres und interethnischesVorhaben mit Schwerpunkt Bana-ter deutsche Kultur im Jahre 2007.Gab es vergleichbare Vorgänger?Etwa HANS HAGELs – leider nicht beendete – dialektologische undethnografische Studien aus derZwischenkriegszeit, die 1967 dennoch durch ANTON PETERPETRI veröffentlicht wurden.Später folgte ein weiterer Anlauf.Im Vorwort zum fünften Sammel-band Schwäbisches Volksgutschrieb ich: „Die Studienreihe zurVolkskunde der Banater Deutschenist dank selbstloser und mühevollerKleinarbeit jedes Mitglieds unsererAutorengruppe beim fünften Bandangelangt. Innerhalb eines frucht-baren Jahrzehnts haben wir dieZiele erreicht, die wir uns 1973 –bei der Erarbeitung des erstenBandes „Heide und Hecke“ – ge-stellt hatten: Einen repräsentativenQuerschnitt durch unsere mate-rielle und geistige Kultur zu ziehenund die Unterlagen für eine wissen-schaftliche, umfassende Volks-kunde aller Banater Deutschen zu sichern, die trotz mehrerer Ansätze immer noch aussteht.“

Das blieb bis heute unverändert.Allerdings griff ich diese thema-tischen und interethnischen An-sätze auf und führte sie 2003 aufeiner höheren Ebene weiter. Aufder gleichen Ebene steht der Abschlussband einer längeren Kooperation mit Fachkollegen derAnrainerstaaten über die Volks-kultur im Oberen Theißbecken.

Bald nach seiner Gründung(1956) erklärte der TemeswarerGermanistiklehrstuhl die Erfor-schung der Banater Dialekte undder deutschen Literatur der Regionals wichtigste Forschungsschwer-punkte mit den Zielen, ein Wörter-buch und ein Literaturlexikon zu erarbeiten. Beide stehen bislangaus. Ein später festgelegtes Ziel,die deutsche Kultur der Region ininterethnischem Zusammenhangzu untersuchen, scheint wohl zeitgemäßer zu sein und beginnt,Formen anzunehmen. Der Heraus-geber sieht die Veröffentlichung„nicht so sehr als Fazit, sonderneher als Anregung zu neuen Forschungsprojekten und im Ideal-fall zu Synthesedarstellungen, dienoch ausstehen.

Der vorliegende Sammelbandgeht auf ein Temeswarer Sympo-sion von 2004 zurück, das vomDüsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus, dem Demokratischen Forumder Deutschen im Banat, dem Germanistiklehrstuhl der West-Universität und dem RegionalenRumänischen Schriftstellerver-band veranstaltet wurde und 16 hochkarätige Referenten ausRumänien, Serbien und Deutsch-land zusammenführte. Schwer-punkte des Symposions, die sich in dieser Veröffentlichung nieder-schlugen, waren Geschichte undKultur (konkret: Literatur und Presse, Kunst und Ethnografie),wobei der wichtige germanistischeTeilbereich Sprache nur durch einetoponymische Untersuchung ver-treten war.

Dem überschaubaren Umfangentspricht die broschierte Bindung,und ein Umschlagfoto der Temes-warer Lloydzeile symbolisiert dieBesonderheit der mittelosteuro-päischen Region Banat. Das Personenregister ist hilfreich, undauch ein Sachregister hätte denwissenschaftlichen Zielen desBandes entsprochen. Anmerk-listen nach jedem Beitrag wurdenden benutzerfreundlicheren Fuß-noten wohl wegen der manchmalausufernden Zusatzinformationenvorgezogen, wobei einfache Quellenangaben wie etwa: W.Niederkorn: a.a.O., S. ... und Ebd.,S. ... – (der Titel wird aber nirgendsangeführt!), besser – wie neuer-dings üblich – in den Text gestelltwerden sollten: [Niederkorn 2001:283]. Der fehlende Titel müsste

17. und 18. Jahrhundert und dieeuropäische Gelehrtenrepublik“ inBezug zum Thema des Sympo-sions: Das Banat – ein euro-päischer Kulturraum. Die beschrie-bene Zeit nimmt die spätere Ent-wicklung der Region (durch Spät-humanismus und Barock) voraus.Überethnische intellektuelle Ge-meinschaften in akademischenKreisen werden als „Gelehrten-republik Europa“ bezeichnet. Eshandelt sich um Übersetzer,Schriftsteller und Lexikografen, z.B. in der rumänischen Gelehrten-gemeinde von Karansebesch. Ge-nannt werden GABRIEL IVUL undMIHAI HALICI D. Ä., der ein Dictio-narium Valahicolatinum verfassthat.

Zwei junge serbische Historikeruntersuchen die Auswirkungen derStaatspolitik auf die Deutschen inder Woiwodina. JOVICA LUKOVIĆanalysiert die Agrarreform und dasbäuerliche Selbstverständnis derDeutschen im jugoslawischen Banat der Jahre 1918 bis 1941 –ein Problemaufriss. Die Schluss-folgerung ist, dass die Agrarreformund die Kolonisierung serbischerBergbewohner gescheitert ist, dasie nicht die bäuerliche Mentalitätder deutschen Bauern hatten.

ZORAN JANJETOVIĆ be-schreibt die Politik gegenüber derdeutschen Minderheit Jugo-slawiens im Jahrzehnt nach demZweiten Weltkrieg. Die willkürlicheVernichtung der Deutschen in Jugoslawien, die von der Partisa-nenführung schon 1943 geplantund später von den Alliierten nichtverhindert wurde, kann immermehr durch Archivunterlagennachgewiesen werden. Die kollek-tive Schuldzuweisung und Inter-nierung der Donauschwaben, vondenen über 50 000 in den Konzen-trationslagern umkamen, führte zuihrem Verschwinden.

PETER KOTTLER nähert sich inOrtsnamen des Banats im Wandelder Geschichte einem sprachlich-historischen Thema. Hier wird den Gründen für den Wandel derBanater Ortsnamen nachgegan-gen, die für die deutsche Bevölke-rung und ihre Dialekte relevantsind und auf einer Karte am

Berichte von Zeitzeugen – für denGeschichtsforscher eine Möglich-keit zur Überprüfung und Er-gänzung offizieller Dokumente.Solche Briefe sprechen von neuenErfahrungen, Krankheiten und Todvon Angehörigen, Auswirkungender späten Türkenkriege, aberauch von Identitäts- und Gruppen-bildung sowie der Entstehung sozialer Netzwerke in den Sied-lungen. Unklarheiten in den exaktwiedergegebenen Textbeispielenwerden durch Anmerkungen er-läutert. Somit ergänzt dieser Arti-kel den einführenden historischenÜberblick.

DORU RADOSAV stellt seinenBeitrag „Die Kultur des Banats im

unter den Literaturangaben nachden Anmerkungen nachzulesensein, etwa: NIEDERKORN, WERNER (2001): Schwowischesund Herrisches. Beiträge zur Ethnographie der Banater Schwa-ben. Temeswar: Eurobit Verlag.

Die grafische Gestaltung desBandes ist entsprechend;Tabellen,vier Farbbilder und zahlreicheschwarzweiße Reproduktionen inmehreren Beiträgen (seltsamer-weise nicht für die „BildendeKunst“) bereichern den Informa-tionsgehalt des Bandes. Im Vor-wort ist zu lesen, dass der Band„der Siedlungsgeschichte und spezifischen Kultur der BanaterDeutschen in der Wechselwirkungmit den Kulturen der anderen Eth-nien der Region – der Rumänen,Serben, Ungarn und Juden – be-sondere Aufmerksamkeit“ widmet.Eine Nachprüfung ergibt aber,dass Bezüge zu Rumänen häufig,zu Serben in den Beiträgen überdie Woiwodina vorhanden und zuUngarn vor allem im Zuge derMadjarisierung festzustellen sind.Der anzunehmende Beitrag von Juden zur deutschen Kulturmüsste noch festgestellt werden.MARIONELA WOLFs Beitrag überdie Heimatkorrespondenz von Banat-Auswanderern ist wohl imhistorischen Abschnitt verankert,während die Betrachtungen vonDORU RADOSAV über die Kultur-leistungen von Banater Rumänendem Diskussionsthema nur be-dingt zuzuordnen sind.

Meine Anmerkungen zu denBeiträgen des Sammelbandesbringe ich in ihrer natürlichen Gliederung, wobei einige lang-atmige Titel bereits das Wesent-liche vorwegnehmen.

Geschichte

Josef Wolf schrieb zur Geschichteder historischen KulturlandschaftBanat. Ansiedlung, Siedlungs-gestaltung und Landschaftswandelim Banat vom frühen 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts. DerBeitrag wird seinen Zielsetzungengerecht, wobei er die Kopfzeile Geschichte durch das präzisereGenese ersetzt. Für die Siedlungs-gestaltung des Banats in der Neu-zeit sind vor allem die Kolonisie-rung und die „raumwirksameStaatstätigkeit“ ausschlaggebend.Untersucht werden die Besonder-heiten während des TemeswarerBanats, der Banater Militärgrenze,dann die ländlichen Großsiedlun-gen und kleinen Außensiedlungen,die städtischen Siedlungen, dieAuswirkungen von Konfession undEthnizität und die strukturellenMerkmale der regionalen Kultur-landschaft. Interessant scheint die Bedeutungsentwicklung vonPuszta (Anm. 52) und die deutscheDreiteilung in Heide, Hecke undBergland. Unklar ist, weshalb beider fundierten Quellenforschung(132 Anmerkungen) für den Land-schaftsnamen Banater Heide wohlein Zeitschriftenaufsatz von NIKO-LAUS H. HOCKL erwähnt, jedochein umfangreicher Beitrag von ERICH LAMMERT übersehenwird. Dabei zitiert Lammert geradeHockl.

Die Stichwörter Heide, Heckeund Pußta (serbokroatisch pusta,ungarisch puszta und rumänischpustiu), mit zahlreichen Belegenund Erläuterungen sind auch meinen Wörterbuchbänden dreiund vier zu entnehmen.

MARIONELA WOLF beziehtsich auf alte und neue Heimat underläutert „Briefe südwestdeutscherBanat-Auswanderer des 18. Jahr-hunderts“. Trotz der verhältnis-mäßig geringen Zahl erhaltenerpersönliche Briefe ist dieses histo-rische Quellenmaterial – wie die

Germanistiklehrstuhl dargestelltwerden. Eine Tabelle erfasst dieNamen dreisprachig. Bemerkens-wert ist die Analyse des Syno-nymenpaares Temeswar/Temesch-burg aufgrund zahlreicher Quellen.Zitiert werden auch rumänischeUntersuchungen zu Banater Orts-namen, doch leider fehlt A. PeterPetri.

KulturDiese Thematik umfasst verschie-dene Beiträge über Ethnografie,Kunst und Pressegeschichte.MARGITTA SCHNELL- IVANO-VIĆ untersucht Deutsche, serbi-sche und ungarische Volkssprücheim Banat. Die gut dokumentierteund recherchierte Arbeit ergibt eine Kleine Anthologie derSprüche auf Stickereien im rumä-nischen und serbischen Banat undin der Batscka. Die Gegenüber-stellung und Illustrierung vielerSinnsprüche auf Wandschonernbelegt die allgemeine Verbreitungdieser volkstümlichen Sprüche seitder Donaumonarchie und die moralischen Prinzipien der Bevöl-kerung, nach denen dieses Volks-gut ausgewählt wurde. Die Autorinhat sich die interethnische Forschungsmethode auf einemStipendienaufenthalt in Tübingenangeeignet und verglich später die– teilweise ähnlichen – Sprücheund Gebräuche der Donauschwa-ben und Serben.

DR. WALTHER KONSCHITZKYwertet in seinem Beitrag Intereth-nische Aspekte der Banater Dorf-architektur die Ergebnisse seinerPromotionsarbeit aus, die aus jahr-zehntelangen Recherchen in vie-len Banater Ortschaften schöpft.Der Text präsentiert in Wort undBild anhand von Haus- und Giebel-formen den Kulturraum Banat miteiner ständigen wechselseitigenBeeinflussung seiner Nationalitä-ten, nach dem Ausspruch vonBÉLA BARTOK: „Eine vollkomme-ne Absperrung gegen Fremde:Niedergang. Gut assimilierte An-regungen bedeuten Chancen fürEinflüsse, Bereicherung.“ Schade,dass Konschitzkys Studie über Banater interethnische Hochzeits-bräuche noch nicht publiziert ist.

ANNEMARIE PODLIPNY-HEHN beschrieb „Ein stetes Geben und Nehmen. Wechsel-wirkungen im Bereich der bilden-den Kunst des multiethnischen Banats“. Es ist – wenngleich ohneveranschaulichende Illustrationen– eine knappe Synthese der Banater Kunstszene vom 18. Jahr-hundert bis zur Gegenwart. Ange-sprochen wird der Einfluss desösterreichischen Barocks und desWiener Akademismus auf die bodenständige byzantinischeKunst. Besonders das „Klein-Wien“ strahlte diese Kunstrichtungaus. Der Impressionismus konntesich erst später durchsetzen. DerBeitrag skizziert das Schaffen desBildhauers Romul Ladea, der Maler Adolf Humborg, Karl Brocky,Julius Podlipny und der Schwaben-maler Stefan Jäger, Franz Ferchund Emil Lenhardt, schließlich vonHildegard Kremper-Fackner.

Über Neue Wege in der BanaterMusikforschung – Zur Rolle deutscher Minderheiten schreibtFRANZ METZ. Den Rückstand dersüdosteuropäischen Geschichts-forschung erklärt der Verfasser mitnationalistischen Tendenzen nachder Teilung des Banats, mit einerfalschen Einseitigkeit der national-sozialistischen Musikforschungund schließlich mit der tendenziö-sen kommunistischen Ideologie.Die heutige interethnische For-schung hebt die Chortradition allerBanater Ethnien hervor. DeutscheKomponisten fanden Anklang,doch noch 1880 trat ein Chor auf,

der in „Türken“ und „Ungarn“ auf-geteilt war. Plakate waren zumeistmehrsprachig verfasst. Der Temes-warer Philharmonische Verein warbedeutsam, und Männergesangs-vereine gab es in Südosteuropabis 1845. Die Musikforschungmuss sich weiterhin der Aus-breitung der Knabenblaskapellenund der Auffindung von Samm-lungen widmen.

LUZIAN GEIER untersuchtMehrsprachige Banater Periodikaim 19. Jahrhundert. Im Kronland„Serbische Wojwodschaft und Temeser Banat“ (einschließlich derBatschka) gab es Amtsblätter invier Sprachen. Rumänen und Serben erhielten „Landesblätter“ inihrer Sprache. Aus geschäftlichenInteressen war der Anzeigenteilder Banater Periodika, etwa die„Jahrbücher“ der Temeswarer Handels- und Gewerbekammer,mehrsprachig. Oft geht es nicht umKulturvermittlung, sondern um dieFörderung der (ungarischen)Staatssprache. Überlebens-chancen von zwei- und mehr-sprachigen Minderheitenpublika-tionen liegen immer in ihrerBrückenfunktion. Die Zeitung Timisoara hat heute abwechselndSonderseiten in Deutsch, Unga-risch und Serbisch. Und von derReschitzaer Bibliothek wird diedreisprachige Monatsschrift îm-preunã, miteinander, együttesenherausgegeben.

Literatur

Diese Thematik wird von CORNELUNGUREANU eingeleitet, der inseinem Beitrag Banater Topo-graphien. Rumänisch-deutscheWechselbeziehungen literatur-geschichtliche Maßstäbe für denUmgang mit dem Kulturraum Banat setzt, die Bedeutung vonÜbersetzungen hervorhebt und dieRolle der Lehrer als Kulturträger indrei „pädagogischen Provinzen“aufzeigt (z. B. an Franz Xaver Kappus und Franz Liebhard, dannAndreas A. Lillin und schließlich anJohann Wolf, Walter Engel, EduardSchneider u. a.). Weitere Themensind die „Aktionsgruppe Banat“und das deutsche Theater.

Der Herausgeber des Bandes,WALTER ENGEL, verweist inAspekte einer regionalen Literatur-geschichtsschreibung. Überlegun-gen zur Regionalliteratur der Banater Deutschen auf die Prob-lematik der „Fünften deutschen Literatur“ mit ihren Etappen unddem Einbezug der Kulturgeografieder Region und des interethni-schen Umfeldes. Vielleicht wirddiese Literaturgeschichte doch ge-schrieben.

Ost-westliche Impressionen undBerichte. Zu den journalistischenBeiträgen von Franz Xaver Kappusüber Temeswar und Berlin schreibtausführlich EDUARD SCHNEI-DER. Vielleicht ein Mosaikstein.

ROXANA NUBERT befasst sichmit Frauenfiguren in Wagners Texten („In der Hand der Frauen“,„Lisas geheimes Buch“, „Im ‘Grunde sind wir alle Sieger“ und„Miss Bukarest“). Es geht um Prostituierte wie Lisa, Nora undMinna sowie um andere Frauen-typen. Die Verfasserin hat das Thema mittels eines Stipendiumsim Literaturarchiv von Marbach erarbeitet. Es ist sicher medien-wirksam, doch Wagner widmetsich auch vielen anderen Themen,einschließlich den Leitartikeln inder Banater Zeitung.

BEATE PETRA KORY widmetsich in Diktatur und traumatischeErfahrung. Richard Wagners Roman „Die Muren von Wien“einem anderen Thema Wagners,der Problematik des Aussiedlers.

Schließlich schreibt GRAZIEL-LA PREDOIU über Aussichtslosig-keit der Banater Provinz. HertaMüllers Romane – eine Chronikdes Überlebenswillens in der Diktatur, vielleicht ein weitererBaustein in einer künftigen – auch

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Kultur

Anregung zu neuen ForschungsobjektenZum Buch »Kulturraum Banat.

Deutsche Kultur in einer europäischen Vielvölkerregion«

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