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Der Wert der Arbeit: Lohngerechtigkeit aus ethischer Sicht. Ida Gut: Mode-Designerin ohne Kleiderschrank. Magazin der EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 19 – Herbst 2008

EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2008

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Der Wert der Arbeit: Lohngerechtigkeit aus ethischer Sicht

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Der Wert der Arbeit:Lohngerechtigkeit aus ethischer Sicht.

Ida Gut:Mode-Designerinohne Kleiderschrank.

Magazin der EB ZürichKantonale Berufsschule für WeiterbildungNr. 19 – Herbst 2008

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EDITORIAL

EB KURS

Nr. 19 – Herbst 2008

Magazin der EB Zürich,

Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Zürich,

Riesbachstrasse 11, 8090 Zürich

TELEFON

0842 843 844

FAX

044 385 83 29

INTERNET

www.eb-zuerich.ch

E-MAIL

[email protected]

HERAUSGEBER

Serge Schwarzenbach (für die Geschäftsleitung)

REDAKTION

Christian Kaiser, Fritz Keller (silbensilber, Zürich)

GESTALTUNG

Giorgio Chiappa

TEXTE

Stephanie Elmer, Anouk Holthuizen, Christian Kaiser,

Fritz Keller, Guido Stalder

FOTOS

Andre Albrecht (A. Capus, S. 4), Stephanie Elmer,

Luc-François Georgi, Miriam Künzli,

Franz Rindlisbacher (S. 17), Reto Schlatter

ILLUSTRATIONEN

Eva Kläui, Ruedi Widmer

DRUCK

Ringier Adligenswil AG

TITELBILD

Reto Schlatter

Wen schert die Lohnschere?

Wo bleiben die gerechten Massstäbe, um Arbeit zu entlöhnen? Vor kurzem sagte der Berliner SPD-Finanz-senator Thilo Sarrazin in einem Gespräch mit der Zeit-schrift «Cicero»: «Für fünf Euro (pro Stunde) würde ich jederzeit arbeiten gehen.» Mochte die Aussage des bestens entlöhnten Politikers als Provokation gedacht sein, die Drohung steht im Raum. Viele müssen mit Lohn-abbau rechnen. Da irritiert es, wenn man liest, dass die höchsten Managerlöhne in den wichtigsten Schweizer Unternehmen schnell das 200- bis 300-fache des Tiefstlohns ausmachen. Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik arbeiten ein Achtel aller Arbeitnehmenden in der Schweiz im Tieflohnbereich und verdienen weniger als 3783 Franken pro Monat. Das sei eine Frage des Marktwerts sagen die einen. Die andern fürchten um den Zusammenhalt der Gesellschaft, wenn sich die Lohn-schere weiter öffnet. Wie beurteilen Ethiker diesen Sachverhalt? Ab Seite 6 debattieren Hans Ruh und Thomas Gröbly über den Wert der Arbeit.

In den letzten Nummern von EB Kurs stand das Thema Arbeit im Mittelpunkt. Aus verschiedenen Blickwinkeln haben wir vielfältige Informationen zusammengetragen. Auf der Website der EB Zürich finden Sie unter «Aktuell» eine Artikelsammlung zum Thema «Weiterbildung und Arbeitswelt». Schauen Sie rein!

Serge SchwarzenbachHerausgeber

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 3

INHALT

5 Porträt Nachdem sie Mutter geworden ist, hat die

visuelle Gestalterin Debora Raimondi ihr Jobprofil mit gezielten Weiterbildungen umgebaut.

6 Der Wert der Arbeit Die Lohnschere öffnet sich weiter. Die beiden

Ethiker Hans Ruh und Thomas Gröbly sehen darin «eine Zumutung für die Gesellschaft».

14 Kursfenster Dass Buchhaltung eine trockene Sache sei,

ist ein Vorurteil. Sie kann durchaus auch lustvolle Seiten haben.

16 Im Gespräch Auch in Uniformen können Menschen individuell

aussehen. Die Modemacherin Ida Gut kleidete das Migros-Personal ein.

20 Persönlich Max Frei und Alf Hofstetter sind engagierte

Kursleiter. Als Künstlerduo ALMA schaffen sie spannende Bilder.

Beilage in der Heftmitte: Freizeitung

Kurzstoffe 4 Gesehen, Gehört 13 WeiterBildung 19 Tipp und Tricks 22 Kultur 23 Agenda

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4 EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008

GESEHEN, GEHÖRT

TEXTEN FüR DIE FIRMAPitch. Im Lehrgang Textpraktiker/in der EB Zürich wird viel Wert auf Praxisnähe gelegt. Das zeigte sich auch bei der Abschlussprüfung kurz vor den Sommerferien: Die Absolventinnen und Absolventen präsentierten ihre Diplomarbeiten bei einem realen Fallgeber, der Firma F-Line in Frauenfeld, in einer echten Wettbewerbssituation (Pitch). Die Prüfungsabsolventen wie Aysan Önakdug (Bild) erhielten also die Möglichkeit, ihr Können auf seine Praxistauglichkeit testen zu lassen, während der Fallgeber hoch stehende und kreative Lösungen präsentiert erhielt. Und die Lehrgangsleitung war froh um die externe Sicht bei der Beurteilung der Arbeiten.

SCHREIBEN FüR DAS MAGAzINEssay. Die Zentrale Oberstufenprüfung (ZOP) ist ein an-spruchsvolles Diplom für Fremdsprachige, an der EB Zürich kann man sich in Kursen darauf vorbereiten. Eine ZOP-Klasse lud letztes Jahr den Oltener Schriftsteller Alex Capus (Bild) zu einer Lesung und Gesprächsrunde ein. Für die Teilnehmerinnen wurde Capus' Besuch zu einem stimmigen Anlass. Auch Alex Capus war von den lernhungrigen Frauen beeindruckt. Jedenfalls liess er sich zu einem Text inspirieren, der dann im Berliner «Magazin» erstmals erschien. Mit freundlicher Genehmigung des Autors kann der Text auf der Website der EB Zürich publiziert werden (www.eb-zuerich.ch/blog/alex-capuns.html) Lesen Sie selber.

WEITERBILDEN FüR DIE WIRTSCHAFTReferat. Für einen gelungenen Auftakt der Veranstal-tungsreihe «Chance Weiterbildung» sorgte Matthias Mölleney (Bild), ehemaliger Personalchef von Unternehmen wie Swissair und Unaxis. Der heute selbständige HR-Be-rater referierte Ende Juni in der Aula des BiZE zum Thema «Welche Weiterbildung erwartet die Wirtschaft?» Abso-lut zentral ist für Mölleney: «Die Fähigkeit, mit Verände-rungen umgehen zu können.» Das sei die einzig wirklich relevante Kompetenz, die es zu erwerben gelte. O-Ton Mölleney: «Die Wirtschaft erwartet Leute, die in der Lage sind, etwas ganz Neues hinzuzulernen, von dem sie heute noch nicht wissen, dass es morgen gefragt sein wird.»

SCHNEIDEN FüR DAS FESTIvALAward. Felicitas Hefti hat am 41. «WorldFest Houston International Film Festival» im April 2008 für ihre Videodokumentation «Stillness of Waiting» (deutscher Titel «Lange Weilen») einen «Gold Remi Award» erhalten. Der Film ist eine Langzeitdokumen-tation über die Alzheimer-Erkrankung einer Verwandten. Hergestellt mit einfachsten Mitteln ist «Stillness of Waiting» ein wahrer No-Budget-Film. Felicitas Hefti (Bild) hat den Film im Lernatelier Video an der EB Zürich zusammen mit dem Leiter Thomas Geser geschnitten, untertitelt und produ-ziert. «Ich bin sehr stolz, dass ich mit Thomas diese Arbeit machen konnte», sagt Felicitas Hefti.

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PORTRÄT

Bilderliebe. Debora Raimondi lässt sich gerne vom Wind tragen. So ist die 39-jährige Fotografin und Image-Editorin auch beruflich dort gelandet, wo sie sich wohl fühlt. Stillstand ist aber nicht angesagt.

AUFGEzEICHNET Anouk Holthuizen BILD Luc François Georgi

«Wer mit Computerprogrammen arbeitet, muss sich zwangsläufig weiterbilden, denn diese werden ständig weiterentwickelt. Ich habe an der EB Zürich verschie-dene Kurse besucht: ‹After Effects›, ‹Video schnitt mit Final Cut›, ‹DVD Studio Pro›, ‹CMS mit Joomla›, und zuletzt die Flash-Kurse. Die Flash-Kurse könnte ich auch im Bereich Webdesign professionell anwenden. Die anderen habe aus privaten Interessen besucht.

Meine Berufslaufbahn begann in einer Schule für Mode design in Florenz. Zurück in der Schweiz konnte ich mich als Modedesignerin aber nicht profilieren. Ich war 18 Jahre alt, als ich an einem Klavierkonzert, bei dem ich mitspielte, einen Fotografen kennen lernte. Ich begann in seinem Laden zu arbeiten und machte dort meine ersten Schritte in der Fotografie. Nach ei-nem halben Jahr wollte ich mehr wissen und kehrte darum nach Florenz zurück und besuchte da einen Kurs in Mode und Still-life-Fotografie, anschliessend

begann ich ein Praktikum bei einem Werbefotografen in der Schweiz. Entsprechend dem Motto auf meiner Website habe ich immer günstige Winde genutzt. Ich glaube, dass auch negative Situationen einen weiter-bringen. Bei jeder geschlossenen Türe findet man ir-gendwo eine, die sich öffnet.

Die Werbefotografie habe ich aus persönlichen Grün-den momentan aufgegeben, was nicht heisst, dass ich nicht mehr fotografiere. Echte Momente einzufan-gen mit Landschaften und Menschen war immer eine Leidenschaft von mir. Da ich inzwischen Kinder habe und aus organisatorischen Gründen nicht mehr an-dauernd als Fotografin unterwegs sein kann, arbeite ich oft von zuhause aus, hauptsächlich in der Bildbe-arbeitung im Werbebereich. Seit drei Jahren bin ich nun selbständig und auch im Webdesign tätig. Web-design ist für mich eine weitere Möglichkeit, meine Liebe für visuelle Darstellungen zu leben. Wenn ich einen Auftrag erhalte, lasse ich mich oft durch die Innenarchitektur und Atmosphäre der Firma inspi-rieren. Die Linie des Corporate Identity einzuhalten ist sehr wichtig, darum muss ich so viel wie möglich vom Kunden in Erfahrung bringen. Das Ganze koche ich mit Zutaten aus meinem persönlichen visuellen Speicher. Der ist gross und erhält regelmässige Up-dates.»

Unter dem Joch der Updates

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6 EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008

DER WERT DER ARBEIT

Wenn jemand am Ende des Monats 5000 Franken auf dem Lohnkonto hat und jemand anders 25 000 Franken, kann man davon ausgehen, dass die zweite Person fünfmal mehr geleistet hat als die erste?RUH Lohnunterschiede widerspiegeln die Leistung nur zum Teil. Abgesehen davon ist es grundsätzlich schwierig, Leistung zu messen. Da müsste man so-fort fragen, welche Kriterien angelegt werden. Zum Beispiel kann man darüber streiten, ob die Leistung eines Professors grösser ist als diejenige einer Kinder-gärtnerin. Der Kindergarten ist unheimlich wichtig

Die Bedingungen für Freiheit schaffen«Die zukunft ist ethisch – oder gar nicht», behaupten die Ethiker Hans Ruh

und Thomas Gröbly in ihrem Buch. Sie sagen: Um die Weichen für die zukunft

zu stellen, brauchen wir eine Wertediskussion. Wann ist ein Lohn gerecht?

Sind Einkommensunterschiede gut für die Gesellschaft?

INTERvIEW Christian Kaiser, Fritz Keller BILDER Reto Schlatter

für die Entwicklung eines Kindes, also müsste diese Leistung gut honoriert werden.

In der Wirtschaft gibt es die Tendenz, die Fixlöhne durch Leistungslöhne zu ersetzen, also variable Lohnanteile an messbare Leistungen zu knüpfen. Was sagen Sie als Ethiker zum Leistungslohn?GRÖBLy Ich würde das eher als problematisch an-schauen: Die Starken, Schnellen, Fitten werden belohnt. Das ist jetzt sehr en vogue, ist aber natür-lich fatal für eine gut funktionierende Gesellschaft.

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DER WERT DER ARBEIT

Wieso?GRÖBLy Weil nicht alle immer stark, schnell und fit sein können. Der Druck am Arbeitsplatz nimmt immer mehr zu, was in der Schweiz Kosten in Folge von Stress von jährlich mehr als vier Milliarden Franken erzeugt. In dieser Zahl sind die psychischen Leiden der Betroffenen und ihrer Angehörigen noch nicht eingerechnet.

Weshalb gibt es überhaupt so grosse Lohnunterschiede?RUH Man muss zwischen unvernünftigen und vernünftigen Ursachen unterscheiden. Zum einen widerspiegeln Lohnunterschiede einfach die Macht- und Interessenordnung. Aber es gibt auch vernünftige Begründungen für Lohnunterschiede. Eine erste wäre: Wir müssen Anreize schaffen, dass fähige Leute sehr viel leisten. Dafür besteht ein volks-wirtschaftliches Interesse. Der zweite Punkt: Wer gute Arbeit leistet, der muss auch belohnt werden.

Dann müsste Daniel vasella, der 300-mal mehr ver-dient als der Durchschnittslohn in seiner Firma, also 300-mal bessere Arbeit leisten. Lassen sich solche Unterschiede ethisch rechtfertigen?RUH Nein. Die oberste Managerschicht erbringt nicht so gigantische Leistungen, dass das die Höhe ihrer Gehälter rechtfertigen würde. Auch der Markt bestimmt diese Löhne nicht, wie Manager oft be-haupten. Der Markt spielt hier gar nicht, vielmehr setzt ein Kartell mit gleichen Interessen die Löhne fest. Der Hauptpunkt ist für mich aber ein anderer: Durch diese krassen Unterschiede werden die fal-schen Signale ausgesendet in einer Welt, in der zwei Milliarden Menschen hungern. Auch bei uns in der Schweiz ist das eine Zumutung für all jene, die «den Fünfer umdrehen» müssen, bevor sie ihn ausgeben.

GRÖBLy Die Loyalität zur Firma und die Solidarität in der Gesellschaft werden untergraben. Warum soll ich als einfacher Arbeiter eine Höchstleistung erbringen, wenn mein Lohn gleich bleibt und die Chefs unermesslich viel abschöpfen? Das kann nicht nur die Motivation bremsen, sondern wirkt sich auch auf die Arbeitszufriedenheit und letztlich die Lebensqualität aus.

Die marktwirtschaftliche Lehre sagt «ohne Anreiz kein Fortschritt und keine Entwicklung». Ist es nicht so, dass es eine gewisse Kaste gibt, die einen höheren Anreiz braucht?RUH Das stimmt nicht. Die Top-Manager würden für weniger als die Hälfte das Gleiche tun. Aus ethi-scher Sicht müssen wir die Frage stellen, wie klein die Lohnunterschiede sein können, damit sie immer noch sozial und volkswirtschaftlich die besten Resultate erbringen. Das muss man austesten. Aus ethischer Sicht sollten diese Lohnunterschiede tendenziell klein sein.

Lohnunterschiede existieren ja nicht nur zwischen einzelnen Hierarchiestufen, sondern auch zwischen Branchen, beispielsweise der Finanzbranche und der Industrie, aber auch zwischen Kleinstunternehmen und Grossbetrieben. Hat die Forderung gleicher Lohn für gleiche Arbeit ausgedient?GRÖBLy Innerhalb einer Branche sollte das nach wie vor Gültigkeit haben. Aber über mehrere Branchen lässt sich Lohngleichheit schwer verwirklichen. Vielleicht arbeite ich lieber in einer KMU mit ange-nehmen Arbeitsbedingungen für 20 Prozent weniger Lohn als bei einer Grossfirma, wo ich ein schwieri-ges Umfeld habe und permanent unter Druck bin.

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DER WERT DER ARBEIT

Sie überlassen das der Wahl jedes Einzelnen? Gibt es nicht ein übergeordnetes Interesse, allzu krasse Unterschiede zu nivellieren?GRÖBLy Ethisch argumentiert wäre das Ideal, dass der Lohn sich nach dem sozial Erwünschten misst. Dann bin ich mir nicht mehr so sicher, ob die Finanz-industrie oder auch die Pharmabranche weiter so hohe Löhne zahlen könnten, denn dort zweifle ich am langfristigen Nutzen für die Gesellschaft. Dies umso mehr, wenn man einen globalen Blickwinkel einnimmt.RUH Die Grundidee ist die Gleichbehandlung. Aber das geht nicht. Deshalb müssen wir uns fragen, wie klein diese Unterschiede sein können, damit sie trotzdem noch genügend Anreiz vermitteln.

Gibt es Beispiele, wo die Lohnunterschiede angemessen und trotzdem ausreichend Anreize vorhanden sind?RUH In vielen KMUs ist das der Fall: Die höchsten Löhne sind nur drei- bis funfmal höher als die tiefs-ten. Und die Diskussion über die Löhne wird da auch geführt. Die Leute sagen bewusst: Wir wollen das so und nicht anders.

Sind wir denn grundsätzlich so materiell gesteuert? Wird die Bedeutung des Lohns für Motivation und Leistung nicht überschätzt? RUH Dass mehr besser ist als weniger, steckt tief im Menschen drin. Das haben wir jetzt zwei Millionen Jahre lang gelernt. Die Menschheit hat sich ja von ganz einfachen Verhältnissen hochgearbeitet, sie träumt von der ständigen Verbesserung – auch materiell. Dieser Traum, das behaupte ich nun mal, hat sich gewissermassen in unseren Genen abge-lagert.GRÖBLy Trotzdem ist es natürlich ein absurdes Argu-ment, wenn Grossverdiener sagen, sie müssten so viel haben, um sich zu motivieren. Wie soll sich je-mand motivieren, der 5000 Franken verdient, wenn jemand anders nur mit 25 000 Franken ausreichend motiviert ist? Derjenige mit 5000 Franken muss auch eine Qualitätsleistung erbringen, sonst wird er gleich entlassen. RUH Ganz oben geht es ja nicht mehr um Motivation, da ist es mehr eine Imponierhaltung. Da geht es auch um Selbstdarstellung; man stellt sich als grösser dar als andere Menschen.

Eines der überraschendsten Ergebnisse des «Schweizer HR-Barometer 2008» ist, dass die Arbeitszufriedenheit in der Schweiz nicht primär durch den Lohn bestimmt wird. Eine lineare Abhängigkeit von der Höhe des Lohns zur Arbeitszufriedenheit gibt es nicht, andere Faktoren wie Freiheit in der Arbeitsgestaltung und Transparenz sind mindestens so wichtig.RUH Ja, aber ein gewisses Lohnniveau muss vorhan-den sein. Und dann denke ich, dass nicht alle Leute zugeben, dass der Lohn die dominante Rolle spielt. Ich habe kürzlich erlebt, dass in einer Runde eine Sozialarbeiterin gesagt hat, dass ihr der Lohn das Wichtigste sei. Die andern sind fast erbleicht und haben wohl gedacht «Geht’s noch?». Da muss doch der Mensch im Mittelpunkt stehen. Für uns alle ist Geld wichtig, aber ich gebe zu, dass ab einem gewissen Niveau noch andere Faktoren eine Rolle spielen: Wie bin ich aufgehoben, wie ist der mit-menschliche Umgang, wie werde ich geschätzt, wie ist meine Weiterbildung im Betrieb?

In den Leitbildern der Unternehmen ist ja oft die Rede davon, dass der «Mensch im Mittelpunkt» steht. In vielen Firmen ist der Mensch aber in der Praxis nach wie vor Mittel – Punkt. Worin besteht die ethische verantwortung der Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeitenden?GRÖBLy Die ist natürlich gross. Es gibt immer eine Kluft zwischen Wunsch und Realität. Deshalb muss man die positiven Entwicklungen fördern. Ein sol-ches Leitbild ist doch ein wunderbarer Anfang, man muss die Firmen dazu auffordern, ihre Realität dem Leitbild anzupassen. Dazu muss man den Unternehmen Zeit und Chancen lassen. Aber unter Umständen muss man auch Druck ausüben.

In der Schweiz gibt es 200 000 «Working Poor», die keinen existenzsichernden Lohn haben. Was sagt da ein Ethiker dazu?RUH Das ist nicht akzeptabel. Wir haben da ein ganz grosses Problem – weltweit und in der Schweiz. Wir waren bisher nicht bereit, eine Basis zu legen, die menschlich in Ordnung ist. Hunger in der Welt ge-hört dazu, die Wohnsituation, die Tieflöhne in der Schweiz. Das müssten wir regeln, uns politisch darauf konzentrieren. Ich meine sogar, dass das mehrheitsfähig wäre. Man könnte so argumentieren:

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DER WERT DER ARBEIT

Wenn ihr viel verdienen und in Luxus leben wollt, kein Problem, aber dann müsst ihr auch dazu bereit sein, für alle eine Basis zu schaffen, die menschen-würdig ist.

Gibt es ethische Kriterien für einen gerechten Lohn?RUH Am ehesten findet man Lösungen, wenn man vom System her denkt und sagt: Die Löhne müssen so ausgestaltet sein, dass für die gesamte Gesellschaft wünschbare Resultate herauskommen. Das ist viel-leicht ein schwieriges Kriterium, im Buch beziehen wir uns auf Elizabeth Anderson. Sie sagt: Sozial erwünscht ist, dass für alle Bürger «die sozialen Be-dingungen der Freiheit» erfüllt sind; frei leben kann man ja nicht mit Hunger im Bauch, mit einer lausi-gen Wohnung, mit einer krank machenden Umwelt. Das heisst: Primär muss das Lohngefüge die Funkti-onsfähigkeit als Mensch garantieren.

Freiheit ist doch eine klassische Forderung der (Markt-)Liberalen.RUH Wir müssen die Voraussetzungen für eine Ge-sellschaft schaffen, in der die Menschen so frei leben können, wie es die liberale Ideologie eigentlich verspricht. Aber der Markt allein bringt das nicht zustande, das muss sozial verwirklicht werden. Der Grad der Freiheit jedes Einzelnen misst sich zualler-erst am Alltag: Wie lebe ich, wie wohne ich, wie esse ich, wie gesund kann ich sein? Entsprechend müssen wir da hohe Löhne zahlen, wo wir in diesen Berei-chen Verbesserungen erzielen können.

zum Beispiel?RUH Zum Beispiel für Kindergärtnerinnen und Kindergärtner, in Pflegeberufen oder auch für Per-sonen, die sich um Behinderte kümmern. Die brau-chen einen hohen Lohn, erstens weil sie etwas

Wichtiges leisten und zweitens weil sie etwas leisten, das die Gesellschaft zum Teil nicht mehr übernimmt, etwa, weil es dafür sehr viel menschliche Zuwen-dungszeit braucht. GRÖBLy Wenn man die Haus- und Familienarbeit in das Bruttosozialprodukt hineinrechnet, macht sie etwa 50 Prozent unserer gesamten Wertschöpfung in der Schweiz aus. Das ist also eine ungeheure, riesi-ge Leistung, welche für die Wertebildung elementar ist: Die ersten drei Jahre sind für die Persönlichkeits-entwicklung bedeutender als der Kindergarten. In unserem Land ist aber eine Familie immer noch ein Armutsrisiko. Das ist doch höchst problematisch. Diese Leistung würde mit einem Grundlohn wenigs-tens teilweise abgegolten.

Was steckt hinter dieser Forderung nach einem Grund-lohn für alle? (siehe Seite 12)GRÖBLy Die Idee eines Grundlohns ist, dass die Leute auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr so stark unter Druck stehen und jede Arbeit übernehmen müssen. Sie können sich dann eher für das entscheiden, was sie als sinnvoll erachten. Viele Leute würden lieber ökologische oder soziale Arbeit leisten.

Der Grundlohn soll also dazu beitragen, mehr sinn-stiftende Arbeit erfüllen zu können?RUH Viele Leute sagen ja, ich würde zwar gerne, aber ich kann nicht anders, weil ich dann zu wenig verdiene.

Nach der Marktlogik sind Leistungen für die Reichen eben mehr wert als Leistungen, die für die Armen er-bracht werden. Das kritisieren Sie auch in Ihrem Buch.GRÖBLy Ja, das ist eigentlich absurd. Klar, vom Markt her ist es verständlich, aber auch gesamtgesell-schaftlicher Sicht natürlich nicht wünschenswert.

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DER WELT DER ARBEIT

Ist der Grundlohn nicht einfach eine Umverteilung, welche die Machtverhältnisse aber nicht grundsätzlich ändert?RUH Natürlich ist der Grundlohn nicht eine Lösung für alle Probleme. Man kann nicht alle Fliegen mit der Klappe Grundlohn schlagen. Aber er hilft, eine gewisse Veränderung herbeizuführen. Zum Beispiel ist ein Mensch bei Stellenlosigkeit nicht mehr gezwungen, sofort jede mögliche und unmögliche Arbeit anzunehmen, die ihm angeboten wird.GRÖBLy Die Arbeitnehmer haben mehr Macht, weil sie nicht mehr existenziell auf den Lohn angewiesen sind, sie können sich also dafür entscheiden, entwe-der eine Arbeit zu leisten, die Geld einbringt, oder für eine, bei der man weniger verdient, die aber Sinn macht. Das halte ich für ein starkes Argument.

Besteht dann nicht die Gefahr, dass niemand mehr die ungeliebte Arbeit machen will?RUH Die Gesellschaft muss eben dafür sorgen, dass auch die ungeliebten Arbeiten erledigt werden. Deshalb müssen die Löhne für die krankmachenden und schweren Arbeiten erhöht werden. Da gibt es ja Studien, welche die Lebenserwartungen in Abhän-gigkeit von der Art der geleisteten Arbeit zeigen. Zudem müssen viel mehr Menschen beteiligt werden an der unangenehmen Arbeit. Das könnte über den von uns vorgeschlagenen Sozialdienst geregelt werden.

Wo soll dieser obligatorische Sozialdienst geleistet werden?RUH Das kann in der Landwirtschaft sein, im Frie-densdienst, im Altersdienst, im Ökodienst.

Der Ökonomie-Professor Fredmund Malik sagt, es gebe kein Recht auf Arbeit, es gebe eine Pflicht zur Arbeit. Ihr Modell tönt da ganz ähnlich. RUH Das ist nur im Sozialdienst so. Und der ist defi-niert: ein Jahr in der Jugend und ein Jahr im Alter. Und dann behaupte ich, dass die Menschen in einem solchen Sozialdienst mehr Freiheit geniessen, als wenn sie irgendwo angestellt sind. Der Sozialdienst ist ja nicht ein KZ.

Wie muss man sich diesen Sozialdienst konkret vor-stellen?RUH Im ersten Kurs wird Knigge nachgeholt: Im Fünfstern-Hotel lernt man, wo die Gabel und das Messer hinkommen. Der zweite Kurs ist Ausbildung im Hinblick auf die Arbeit, die man später macht, zum Beispiel im Spital. Der dritte Teil ist dann die soziale Arbeit. Das Ganze hat einen volkserzieheri-schen Sinn.

Insgesamt rüttelt das System, das Sie vorschlagen, am Grundpfeiler Wachstum, auf dem unser Wohlstand und unsere Wirtschaft basiert.GRÖBLy Ja sicher, bisher konnte mir noch niemand plausibel erklären, wie wir auf Dauer weiter wach-sen können, ohne dass es zum Kollaps kommt.

«2006 gab es in der Schweiz gegen 250 000 Tieflohnstellen; die dort Beschäftigten erhielten weniger als 3783 Franken brutto pro Monat (bei 40 Wochenstunden). Insgesamt wird die Zahl der Personen, die an solchen Arbeitsplätzen beschäftigt sind, auf 320 000 geschätzt, wobei die Frauen (mit 68,6 Prozent) deutlich überver-treten sind. Der Anteil der Personen mit Tieflohnstellen an der Gesamt-heit der Arbeitnehmenden beträgt damit fast 12 Prozent.

Knapp die Hälfte der Tieflohnstellen konzentrieren sich auf die zwei Wirt-schaftszweige «Gastgewerbe» mit 63 000 Tieflohnstellen und «Detail-handel und Reparaturgewerbe» mit 50 400 Tieflohnstellen. Über-durchschnittlich betroffen von Tief-löhnen sind auch Ausländerinnen und Ausländer: Der Tieflohnanteil unter den ausländischen Arbeit-nehmenden ist doppelt so hoch (17,9%) wie jener der schweizerischen Staats angehörigen (9,0%).

Die Gliederung der Tieflohnbezüge-rinnen und -bezüger nach dem Bildungsstand zeigt klar erhöhte Konzentrationen bei den Arbeitneh-menden mit «abgeschlossener Lehre (EFZ)» (122 500) und bei den jenigen «ohne abgeschlossene Berufsausbil-dung» (105 400), wobei Personen ohne abgeschlossene Berufsausbil-dung deutlich häufiger betroffen sind. Überdurchschnittlich hohe Tief-

lohnanteile finden sich auch bei Personen, deren Bildungsbiografie nicht in die gängigen Raster der schweizerischen Aus bildungs gänge passt (23,7%), und bei Personen mit ausschliesslich unterneh mens -interner Ausbildung (18,1%).»

Auszüge aus der neuen Publikation der

Bundesamtes für Statistik: «Tieflöhne und

Working Poor in der Schweiz»; Bfs 2008

Verteilung der TieflohnbezügerInnen, in %

50 40 30 20 10 0

Anteil TieflohnbezügerInnen, in %

0 10 20 30 40 50

Universitäre Hochschule (UNI, ETH)

Fachhochschule (FH), PH

Höhere Berufsausbildung,Fachschule

Lehrerpatent

Matura

Abgeschlossene Berufsausbildung

UnternehmensinterneAusbildung

Ohne abgeschlosseneBerufsausbildung

AndereAusbildungsabschlüsse

Total

Frauen

Männer

Tieflöhne in der Schweiz: Die wichtigsten Fakten

Tieflohnbezüger/innen nach Ausbildung und Geschlecht, 2006

© Bundesamt für Statistik (BFS)

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 11

DER WERT DER ARBEIT

RUH Im Buch schreiben wir, dass wir mit einer Technologie wachsen können und müssen, die umweltverträglich ist. Geschlossene Stoffkreisläufe und völlige Rezyklierbarkeit. Die Chinesen steuern ja in diese Richtung.GRÖBLy Das geplante Nullemissionsauto von Hayek zeigt, dass völlig umweltverträgliche Technologien möglich sind. Das ist die Zukunft: Der Strom, den die Solarzellen auf dem Dach produzieren, lädt mein Brennstoffzellenauto auf. Diesen Paradigmenwech-sel brauchts.RUH So kann man wachsen!GRÖBLy Da besteht Potenzial für ein riesiges Wachs-tum. Ich verstehe nicht ganz, weshalb wir so zögerlich sind in unserer Gesellschaft und in diesem Bereich nicht vorwärtsmachen.RUH Wir haben den Mumm nicht. Die Chinesen haben diesen Mumm. Das wird böse enden für uns: In 30 Jahren hocken wir auf völlig veraltetem tech-nologischem Bockmist und die Chinesen werden uns weit voraus sein – auch ökonomisch.

Richard Layard, der ehemalige Wirtschaftsberater von Tony Blair, hat ein Buch geschrieben über Glück und zufriedenheit*. Er sagt: Das Allerschlimmste für unser Wohlbefinden ist die Arbeitslosigkeit. Nicht der Weg-fall des Lohns ist dabei zentral, sondern der verlust der sinnstiftenden Funktion der Arbeit. Die erste Pflicht von Politik und Wirtschaft sei es deshalb, für so wenig Arbeitslosigkeit wie möglich zu sorgen. Ist es da nicht zweitrangig, was für Arbeitsplätze das sind?RUH Arbeitsplätze müssen langfristig umweltver-träglich und sozialverträglich sein. Und sinnstiftend.

Wir sind schon von 14 auf 8 Stunden tägliche Arbeits-zeit heruntergekommen, jetzt müssen wir halt noch weiter runter auf 4. Wenn wir die Arbeitszeit reduzieren, können wir sie auch anders verteilen. Zur Sinnstiftung braucht man nicht einen 100-Pro-zent-Job, dafür reicht auch eine 70- oder 50-Prozent-Anstellung. Dahin müssen wir steuern. Leute, die unbedingt 120 Prozent arbeiten möchten, soll man natürlich auch in Zukunft lassen.

Die Liberalen würden dem entgegenhalten, dass es für vollbeschäftigung Wachstum braucht, und man Wachstum nur mit internationaler Wettbewerbsfähig-keit erreicht. Solche Teilzeit-Beschäftigungsmodelle oder reduzierte Arbeitszeiten schränken die Wettbe-werbsfähigkeit ein; die Franzosen sind ja daran, ihre Arbeitszeitreduktionen teilweise wieder rückgängig zu machen.RUH Wir sehen den Grundlohn ja von 18 bis zur Bahre vor. Das bedeutet, dass die Menschen viel länger arbeiten. Ich bin ja für die Abschaffung der Pensionierung, das soll nur noch eine virtuelle Be-rechnungsgrösse für die Pensionsausschüttung sein. Faktisch gibt es sie nicht mehr. Damit haben wir diese Heerscharen von gescheiten Alten, die aus Ver-zweiflung auf jeden Berg hinaufrennen, all diese Brains haben wir dann weiterhin im Geschäft, bis über 80 hinaus. Dann sind wir dann schon konkur-renzfähig. Zentral für die Konkurrenzfähigkeit ist es, ob wir die Fixkosten der Gesellschaft herunter-bringen. Die Gesundheitskosten, und die fallen vor allem ins Gewicht, bringen wir doch auf 20 Milliar-den runter (von 44 Milliarden), und die Umweltkos-ten bringen wir von 30 Milliarden auf 0 runter.

Wie funktioniert das bei den Gesundheitskosten?RUH Nehmen wir die SUVA-Statistik: 30 Prozent der Arbeitnehmenden haben schwere Rückenprobleme. Das muss man sich einmal vorstellen. Bei Halbtags-arbeit und weniger körperlich anstrengender Arbeit lassen sich doch Milliarden einsparen. Auch weni-ger Stress hilft: Stress ist Erkrankungsursache Nummer zwei. 27 Prozent der Arbeitnehmenden haben stressbedingte Erkrankungen.

Der Titel Ihres Buches ist sehr plakativ. Müssen Ethiker mit dem Mahnfinger drohen, um Ernst genommen zu werden?GRÖBLy Der Titel ist in der Tat etwas medial aufge-peppt. Aber es ist unsere Überzeugung, dass wir über die Ziele, die wir verfolgen, und über die Werte, die für uns Gültigkeit haben, diskutieren müssen, wenn wir eine Zukunft haben wollen. Der Markt kann die Ziele und Werte nicht definieren. Der Markt schafft nicht von sich aus die ökologisch und sozial wünschenswerten Ergebnisse für die zukünftigen Generationen. Darum sagen wir: Es braucht diese Wertediskussion, die über die Zukunft entscheidet. Auf dieser Basis kann man dann Steuermechanis-men wie eine Steuerreform usw. einsetzen.

* Richard Layard, Die Glückliche Gesellschaft;

Campus Verlag; 2005

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DER WERT DER ARBEIT

Soziale Sicherheit ist in den westli-chen Ländern an Erwerbsarbeit gekoppelt, z. B. über die Arbeitslo-senkasse. Hausarbeit und Freiwil-ligenarbeit sind hingegen nicht versichert. Auch Stellenlose fallen nach einer gewissen Zeit aus dem Netz, wenn sie ausgesteuert wer-den. In der Schweiz sorgen dann verschiedene «Kässeli» dafür, dass die schlimmsten finanziellen Lü-cken der Betroffenen gestopft wer-den. Dieses komplizierte System wollen die Befürworter des Grund-lohns durch ein «garantiertes Grundeinkommen» ersetzen.

Das funktioniert so: Alle Bürge-rinnen und Bürger ab 18 Jahren haben ein Anrecht auf einen Grundlohn, unabhängig davon, ob sie irgendwo angestellt sind oder

nicht. Über die Höhe dieses Grund-lohnes gibt es verschiedene Vor-stellungen. Einige Vertreter wie Ruh und Gröbly (siehe Haupttext) setzen diesen in der Schweiz bei etwa 1500 Franken pro Monat an, andere möchten diesen Betrag an-heben, bis er existenzsichernd ist, also auf etwa 3000 Franken pro Monat. Auf jeden Fall wäre da al-les drin: die AHV, die IV, Arbeitslo-senversicherung, Stipendien.

Die Empfängerinnen und Empfän-ger könnten über dieses Geld verfü-gen, wie sie möchten. Der Grund-lohn sollte die Basisbedürfnisse abdecken, auch wenn er nicht fürs ganze Leben reicht. So garantiert er ein Stück Freiheit und ermög-licht Flexibilität. Wer mehr arbei-ten (und verdienen) möchte kann dies selbstverständlich tun.

Würde die Schweiz allen Erwach-senen einen monatlichen Grund-lohn von 1500 Franken auszahlen, kostete das für die knapp sechs Millionen Erwachsenen, die hier leben, etwa 100 Milliarden Fran-ken. Der momentane Aufwand für Sozialleistungen ist 20 Milliarden Franken höher. Ein Grundlohn wäre also eine günstige Variante, sagen die Befürworterinnen und Befürworter. Zur Finanzierung gibt es verschiedene Modelle, zum Beispiel über eine (erhöhte) Mehr-wertsteuer oder ein System von negativer Einkommenssteuer, das

Wenigverdienende von Steuern befreit und Besserverdienende stär-ker belastet.

Hans Ruh und Kurt Gröbly sind in der Schweiz prominente Ver-fechter eines garantierten Grund-lohns. In Deutschland ist es der reiche Inhaber einer Drogerieket-te, Götz Werner, der von diesem Modell überzeugt ist und sich da-für stark macht. Die Diskussion da-rüber wird immer breiter geführt. www.grundeinkommen.ch und www.initiative-grundeinkommen.ch sind Websites mit umfangrei-chem Material zum Thema.

Ein «garantierter Grundlohn» als Lösung?

3000 Franken als Basis. Unser System der sozialen Absicherung sei viel zu kompliziert, kostspielig und ineffizient, sagen einige Kritikerinnen und Kritiker. Sie plädieren für einen garantierten Grundlohn.

DAS BUCH zUM THEMA

Das tönt bedrohlich: «Die Zukunft ist

ethisch – oder gar nicht». Gemeinsam

haben Hans Ruh und Thomas Gröbly ein

Buch mit diesem Titel verfasst. Darin

zeigen sie, wie durch eine wachstumsori-

entierte Wirtschaft und Risikotechnologi-

en den Menschen langsam, aber sicher die

Lebensgrundlagen entzogen werden. Ruh

und Gröbly skizzieren einen Ausweg aus

dieser Gefahr, indem sie menschliches

Denken und Handeln in einer ethischen

Tradition verankern. Im Kapitel «Nachden-

ken über gutes Leben und Zusammenleben»

skizzieren die beiden Autoren Lösungen für

Wirtschaft, Umwelt und Arbeitswelt, die

durchaus praktikabel erscheinen. Voraus-

setzung dafür ist allerdings, dass die Sinn-

frage menschlichen Daseins wieder stärker

ins Bewusstsein der Menschen rückt.

Hans Ruh und Thomas Gröbly:

«Die Zukunft ist ethisch – oder gar nicht,

Wege zu einer gelingenden Gesellschaft»,

Waldgut Verlag, Frauenfeld, 2006.

(Das Buch erscheint nächstens in einer

Neu auflage.)

HANS RUH, geboren 1933, war bis 1998

Professor für Systematische Theologie mit

Schwerpunkt Sozialethik an der Universi-

tät Zürich. Er hat verschiedene Bücher

rund um das Themenfeld «Wirtschaft und

Ethik» publiziert: u. a. «Ethik im Manage-

ment» (2004), «Störfall Mensch»(2005),

«Anders aber besser» (2004).

THOMAS GRÖBLy, Jahrgang 1958, ist

Dozent für Ethik an verschiedenen Fach-

hochschulen und an der EB Zürich. Nach

einer landwirtschaftlichen Berufslehre hat

er Theologie studiert und sich mit einem

Master in angewandter Ethik weitergebil-

det. In verschiedenen Projekten setzt er

sich für eine nachhaltigere Wirtschaft ein.

Page 13: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2008

Freizeitvariationen. Ausgesucht und verfasst von der Abschlussklasse des 18. Lehrgangs Journalismus an der EB Zürich.

Beilage zum Magazin EB Kurs der EB Zürich. Herbst 2008

FrEiZEitung

Page 14: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2008

II FREIZEITUNG

Wie frei macht Freizeit?Nie zuvor hatten die Menschen so viel Freizeit wie heute. Die Lebenserwartung nimmt zu, die Arbeitszeit hingegen ab. Ein Freiheitsgewinn?Das Wort «Freizeit» taucht erstmals 1865 in den Wörterbüchern auf. Natürlich kannten auch die Menschen früherer Jahrhunderte freie Zeit. Diese war aber für Veranstaltungen und Feste im kirchlichen und weltlichen Kalender reser-viert. Das Volk konnte nicht nach Lust und Laune über sie verfügen. Erst Karl Marx schlug den Bogen zum Gewinn, den die arbeitsfreie Zeit bringen sollte: «Freie Zeit ist von der Arbeit befreite Zeit, in der sich jedes Individuum beson-ders gut entfalten kann.»

Verglichen mit unseren Vorfahren leben wir heute in einem Freizeitparadies. Die Lebenserwartung nimmt kontinuierlich zu, das flexiblere Rentenalter wird zunehmend genutzt. Seit den 40er-Jahren ist die Wochenarbeitszeit um gute drei Stunden zurückgegangen, die 5-Tage-Woche ist längst eine Selbstver-ständlichkeit. Laut Bundesamt für Statistik betrug die Jahresarbeitszeit 2007 für Vollzeitbeschäftigte rund 1925 Stunden. Das sind 22 Prozent der jährlichen Lebenszeit. Wenn man bedenkt, dass wir die Hälfte unseres Lebens keiner be-zahlten Arbeit nachgehen, reduziert sich unsere Arbeitszeit auf nur 11 Prozent der gesamten Lebensspanne.

Obwohl wir also offensichtlich genug Zeit haben, ist das Klagelied vom Zeit-stress landauf, landab zu hören. Den Text kennen alle, er variiert nur wenig und seine Spannbreite reicht von «Tut mir leid, keine Zeit» bis zu «Was, schon wieder Freitag?». Die Gleichung «weniger Arbeitszeit gleich mehr Freiheit» funktio-niert nicht. Denn mittlerweile sind wir zu einer «Freizeitgesellschaft» voller «Erlebniswelten» avanciert, die entdeckt werden wollen, und kämpfen dabei dauernd mit dem Gefühl, etwas zu verpassen.

Das ist nicht erstaunlich, denn nebst dem üblichen Kino-, Theater-, Konzert- und Ausstellungsangebot buhlen an einem gewöhnlichen Wochentag in Zürich unzählige andere Kulturanbieter um unsere Aufmerksamkeit. Es locken der Fitnessraum, die Wellnesskur, der Tanzkurs, die Tennisstunde, die neue Fernseh serie, die aktuellen Tagesnachrichten. Ganz zu schweigen vom umfang-reichen Weiterbildungsangebot.

Laut Duden geht das Wort «frei» ursprünglich auf die indogermanische Wurzel «gern haben» zurück. Freizeit wäre also jene Zeit, die wir besonders lieben und die uns erfüllt. Wahl ist in der Liebe jedoch unumgänglich. Text: Monika Egli-Schärer, Bild: Daniel Diriwächter

Wenn Bauern plötzlich Zeit habenFranziska Oertli

Bauern und Bäuerinnen entwickeln im Ruhestand selten ein neues Freizeitver-halten. Gemäss einer Studie der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope (2007) verbringen sie jedoch ihren dritten Lebensabschnitt geruhsamer als frühere Ge-nerationen. Sie geniessen es, nach einem Leben mit täglich zehn bis zwölf Arbeitsstunden und wenig Ferien endlich Zeit für das Alltägliche zu haben. Der engere Kontakt zu Familie und Freunden ist ihnen dabei besonders wichtig.

Gemäss Studie verfügen Landwirte als Selbständiger-werbende oft nicht über eine zweite oder dritte Säule. Und während Lehrer oder Bankangestellte nach der Pension neue Sportarten entdecken oder auf Reisen sind, bleiben die bäuerlichen Paare auch aus finanziellen Gründen meist zu Hause.

Anders Willy und Regula Zangger aus Grüningen: Sie planen ihren Ruhestand seit Jahren aktiv voraus. «Wir haben unserem Sohn ein Ultimatum gestellt», erklärt das Paar. Bis zu einem be-stimmten Datum muss er sich für oder gegen die Hof-übernahme entscheiden. Damit stellen sie sicher, dass sie ihren Betrieb pünktlich zur Pensionierung Ende 2009 übergeben können. Willy Zangger: «Wir haben noch ein paar Überstunden ab-zubauen. Das wollen wir unbedingt tun, solange wir noch gesund sind.» Als Erstes wollen sie ihren Traum von der Reise zum Nordkap verwirklichen.

Qual der Wahl: Man kann seine Freizeit auch mit dem Studium von Freizeitangeboten verbringen.

Page 15: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2008

FREIZEITUNG III

EditoriAL

Freizeit sollte zeitfrei sein! Freizeit ist freie Zeit. Wirklich? Was heisst frei? Alles ausser Arbeit? Ist Freizeit, was bleibt, wenn wir all das abziehen, was wir müssen: Arbeiten, Essen, Schlafen? Existiert Freizeit auch für Alleinerziehende oder Bauern?

Wer Freizeit hat, beklagt sich meist dennoch, dass der «Musestunden», wie der Synonymduden so schön formuliert, zu wenige sind. Das obwohl wir heute über ein ganzes Leben gesehen fast 50 000 Stunden (!) mehr freie Zeit haben als noch 1970. Freizeitstress ist aufgekommen. Schliesslich muss Mann und Frau sich erholen.

Ob da die unzähligen Erlebniswelten und Freizeitparks das Richtige sind, darf bezweifelt werden. Ob für die Freizeit­industrie oder uns selbst – die begrenzte Zeit, die wir zur freien Verfügung haben, ist Gold wert. Nicht zuletzt profitieren auch die Arbeitgebenden von unserer freien Zeit: Dauergestresste Mitarbeiter sind irgendwann nicht mehr leistungsfähig, geschweige den innovativ.

Freizeit ist Zeit, bleiben zu lassen, was uns nicht gut tut, und zu tun, was uns zufrieden, besser noch, glücklich macht. Yoga oder Kartenspielen zum Beispiel. Oder einen gemütlichen Nachmittag im Schrebergarten oder auf dem Friedhof zu verbringen. Sie werden staunen, was wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 18. Lehrgangs Journalismus an der EB Zürich alles ausgegraben haben.

Nehmen wir uns Karl Marx’ Worte zu Herzen: «Freie Zeit ist Zeit, in der sich jedes Individuum besonders gut entfalten kann». In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine inspirierende Lektüre und viele Momente echter Freizeit.

� Liska�J.�Dällenbach

inhalt

Wenn Bauern plötzlich Zeit haben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .IIWie frei macht Freizeit?. . . .IIEditorial, Impressum . . . . . . IIIFreizeitunfälle kosten uns 13 Milliarden Franken . . . . . IVDie Gedanken wegschicken . . . . . . . . . . . . . . . . . IVSpiele – wer hat sie erfunden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .VHerausforderung Freizeit. . .V«Die Probleme sind nicht grösser als früher» . . . . . . . . VIFreizeit – ein Kinderspiel?. . . . . . . . . . . . . VIIdylle am Abgrund . . . . . . . . . VIISchwärmerei auf 200 Quadratmetern . . . . . . . VIINehmen Sie sich Zeit!. . . . .VIIIWenn Lebende auf dem Friedhof liegen . . . . . . . . . . . . .VIII

iMPrESSuMDie�Beilage�FREIZEITUNG�ist�die�Abschlussarbeit�des�Lehrgangs�Journalismus�der�EB�Zürich.�Der�Lehrgang�dauerte�vom�Mai�2007�bis�September�2008.

text und BildLiska�DällenbachDaniel�DiriwächterMonika�Egli-Schärer�Tobias�GislerDaniela�Müller-SmitFranziska�Oertli�KreinerSarah�OrlandoBrigitta�SchildSabine�SchrittJohanna�Vollenweider

LektoratFritz�Keller

LeitungChristian�KaiserNikolaus�Stähelin

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 18. Lehrgangs Journalismus, von links nach rechts: Monika, Franziska, Daniela, Johanna, Brigitta, Daniel, Tobias, Liska und Sarah (Sabine fehlt).

Page 16: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2008

IV FREIZEITUNG

Freizeitunfälle kosten uns 13 Milliarden FrankenTobias Gisler

Grenzenlose Mobilität, Shop-ping, Entertainment, Sport und Kulinarisches stehen oft im Mittelpunkt unseres Freizeitverhaltens. Dieses grosse kommerzielle Poten-zial wurde von der Wirtschaft längst entdeckt und ist mitt-lerweile ein wichtiges Stand-bein der Vorkswirtschaft. Hansruedi Müller, Leiter des Forschungsinstitus für Frei-zeit und Tourismus in Bern bezeichnet Freizeit gar als «Rückgrat unserer hohen Lebensqualität mit garantier-tem Spassfaktor».

Die neuste Studie der Beratungsstelle für Unfall-verhügung (bfu) deckt die finanziellen Schattenseiten unseres Freizeitverhaltens schonungslos auf: Kosten von 13 Milliarden Franken, namentlich Sachschäden, Versicherungsleistungen für medizinische Versorgung und Verluste durch Produkti-onsausfall. Die Statistik un-terscheidet drei Kategorien von Freizeitunfällen: Haus/Freizeit, Strassenverkehr und Sport. Die Hälfte der Kosten gehen zu Lasten des Strassenverkehrs. Ein Todes-fall steht gar mit 1,3 Millionen Franken zu Buche. Vom Leidfaktor ganz abgesehen.

Über eine halbe Million Unfälle geschenen in Haus und Freizeit. Drei Viertel davon sind Stürze. Bei den Sport unfällen fallen vor allem Fussball, Ski und Snowboard negativ auf. Mit zusammen über 100 000 Verletzten pro Jahr trübten sie im vergangenen Jahr manch ein Vergnügen. In der Freizeit verunfallen übrigens weitaus mehr Personen als bei der Arbeit.

die gedanken wegschicken100 000 Yogis und kaum ein Fitnessstudio, das Yoga nicht anbietet: Die altindische Tradition bewegt zunehmend auch die Menschen in der Schweiz.Wir stehen gerade und atmen tief ein und aus. Beim Einatmen heben wir die Arme seitlich in die Höhe. «Im Yoga geht es um die Verbindung von Atmung und Bewegung», erklärt Yogatrainerin Caroline Kölln-Storz, während wir die Arme hochnehmen, einatmen und auf Zehenspitzen stehen. «Wenn man nervös ist, fällt schon das ein bisschen schwer», lacht Kölln-Storz. Und sie hat recht, zu Beginn meiner ersten Yogastunde stehe ich etwas wackelig. Während der Auf-wärmübungen für die Gelenke beginne ich mich auf das einzulassen, was Yoga scheinbar ausmacht: ganz bei sich selbst sein. Die Musik und das diffuse Licht im Raum tun ihr Übriges. Ich drehe meinen Kopf, recke meinen Nacken, gehe in den Vierfüsslerstand, mache immer wieder einen Buckel. Katze und Hund nen-nen sich diese Übungen, die den Rücken dehnen.

Über 100 000 Menschen gehören mittlerweile in der Schweiz zur Volksgruppe der «Yogis». Sie lernen entspannende Atemtechniken in der Mittagspause und stärkende Körperübungen nach Feierabend. Kölln-Storz hat eine einfache Er-klärung für den Erfolg: «Es gibt keinen Leistungsdruck.» Ausserdem sei Yoga für Sportliche und Ungeübte gleichermassen geeignet. «Abschalten, die Sorgen vergessen, entspannen, all das können wir durch Yoga wieder lernen», sagt sie. Während der Übungen sei keine Zeit an Kummer und Sorgen zu denken.

So sind auch hier und jetzt alle konzentriert auf ihre Übungen. «Wir schicken unsere Gedanken weg», wie Kölln-Storz es ausdrückt. «Hatha Yoga» nennt sich das körperliche Yoga mit seinen vielen verschiedenen Stilrichtungen. Heute wird Yoga vorwiegend als effektive Entspannungsmethode wahrgenommen. Seinen Ursprung hatte Yoga jedoch als spirituellen Weg zur Selbstwahrneh-mung. Durch gezielte Bewegungsabläufe lösen sich körperliche Verspannun-gen und innere Unruhe. Die verschiedenen Körperhaltungen geben Ruhe und Kraft, verbessern die Beweglichkeit und kräftigen die Muskeln. Wir sitzen im Schneidersitz und beugen den Oberkörper gerade nach vorne, so weit es geht. Wer glücklich sei, sei in der Hüfte viel geschmeidiger als jemand, den Sorgen plagten, weiss Kölln-Storz. In der abschliessenden Tiefenentspannung nimmt sie uns mit auf eine mentale Reise durch den Körper. Wir liegen ganz ruhig und lauschen ihrer sanften Stimme. – Bis wir uns wieder aufrichten müssen. «Jetzt dürfen die Gedanken wiederkommen.» Text und Bild: Sabine Schritt

Yoga-Gruppe in der Binz, Zürich: Sich einmitten im Hier und Jetzt.

Page 17: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2008

FREIZEITUNG V

Spiele – wer hat sie erfunden?Urs Hostettler aus Bern ist Mathematiker und Spiele­erfinder. In den vergangenen 20 Jahren hat er 14 Spiele auf den Markt gebracht.

An welchem Spiel arbeiten Sie im Moment?Von den SBB habe ich den Auftrag für ein Kommunikationsspiel erhalten, das sie intern nutzen wollen. Wie hätte man den Kunden zum Beispiel den Stromausfall von 2005 kommunizieren können? Dann arbeite ich noch an Erweiterungen für meine Spiele «Wie ich die Welt sehe», «Anno Domini» und «Mystery Nights».Wozu dient Ihnen Ihr Mathematikstudium beim Spiele-Erfinden?Meine Stärken sind Logik und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Diese brauche ich, wenn ich mir vorstelle, wie die Spieler unabhängig voneinander agieren. Welche Elemente braucht ein gutes Spiel?Kommunikation ist sehr wichtig, ausserdem Kreativität, gesellschaftspolitischer Witz, Phantasie und ein Schuss Ironie. Wozu spielen wir?Spielen ist eine Beschäftigung, während der man nicht produktiv ist und keine Muskeln trainiert. Doch wer spielt, begibt sich in einen Mikrokosmos. Er begegnet darin anderen Menschen und beginnt sozial zu agieren. Mir persönlich bereitet es Freude, die Phantasie der Leute anzuregen und ihnen Ideen zu geben. Können Sie von Ihren Spielen leben?Nein, doch ich habe keine Angst bezüglich der Finanzen. Mir gehören einige La-gerhäuser, die ich verwalte, und meine Frau arbeitet als Psychotherapeutin. Die Einkünfte aus den Spielverkäufen variieren. Es sind einige tausend Franken, die ich im Jahr damit verdiene, vor allem auf dem grossen deutschen Markt. Ich könnte also ein Jahr lang nichts machen. An einem Kartenspiel wie «Anno Domi-ni» verdiene ich einen Franken pro verkauftem Spiel. Ahnen Sie im Voraus, welche Spiele erfolgreich sein werden?Bis jetzt habe ich nur einen richtigen Flop produziert, der allerdings nicht mal meiner Idee entsprang. Dass sich «Millionen von Schwalben», das Spiel zur Fussball-WM und -EM nur im Tausenderbereich verkaufen liess, entsprach den Erwartungen. Das liegt einfach daran, dass mehr als die Hälfte aller Käufer Frauen sind, und die interessieren sich weniger für Fussball. Erstaunlich ist der Erfolg von «Tichu», das mittlerweile sogar in Korea erschienen ist.Welche Spiele spielen Sie selbst?Es kommt darauf an, mit wem ich spiele. Meine Prototypen spiele ich mit den Leuten aus meinem Verlag Fata Morgana, um zu sehen, wie gut sie funktionie-ren. Diese Versuchsphase dauert jeweils mehr als ein Jahr. Mit meiner Familie spiele ich neben «Tichu» und «Cosmic Eidex» häufig «Robo Rallye», ein sehr gu-tes Spiel von Richard Garfield. Text und Bild: Johanna Vollenweider

Heraus­forderung FreizeitVon Sarah Orlando

Freie Zeit - und was nun? Für mich lautet diese Frage anders: Wie nutze ich das bisschen freie Zeit? Dabei handelt es sich nicht um Stunden, vielmehr sind es Momente. Freiräume in denen es gilt, das Maximum an Erholung auszuschöpfen. Als allein erziehende Mutter von drei schulpflichtigen Kindern, habe ich zum Thema Freizeit mehr Fragen als Antworten. Regelmässige Freizeitbeschäftigung im herkömmlichen Sinn, liegt nicht drin. Haushalt, Erzie-hung, Beruf und Weiterbil-dung, da kommt eine Menge zusammen. Das Lernen von etwas Neuem ist zudem aufwendiger, als das Ver-richten einer Arbeit, die man beherrscht. Freie Zeit ist für mich, wenn die Kinder endlich im Bett sind. Meis-tens bin ich zu dieser Zeit aber selber müde. Oder wenn sie am Morgen in die Schule gehen. Da kann ich mich eigentlich nur ent-scheiden, ob ich mich den Wäschebergen, dem Staub, dem Einkauf, der Weiterbil-dung oder sonst einer Arbeit widme. Oder eben nicht. Wenn aber nicht gerade Arzt,- Therapie,- Schul,- oder Elterntermine anfallen, gönne ich mir die Freiheit, nichts zu tun. Jedenfalls nichts, was ich tun muss. Ich lese in Ruhe ohne unter-brochen zu werden. Lasse das Telefon klingeln, ohne es abzunehmen. Meditiere und vergesse dabei die Zeit.

Page 18: EB Kurs - Magazin der EB Zürich Herbst 2008

VI FREIZEITUNG

«die Probleme sind nicht grösser als früher»Daniela Müller-Smit

Barbara Koller, Sie engagieren sich für das Jugendhaus im unteren Furttal. Ist dieses für die sinnvolle Freizeitgestaltung der Jugendlichen zuständig?Nein. Die Verantwortung liegt bei den Eltern und den Jugend-lichen selbst. Die Jugendli-chen haben hier im unteren Furttal jedoch nicht viele Mög-lichkeiten, sich zu treffen. Es gäbe genügend Sportvereine.Stimmt, aber nicht alle Ju-gendliche interessieren sich für Sport. Sie wollen nach dem Schulstress zusammen sein, rumhängen und mitein-ander reden. Das Jugendhaus ist nur am Wochenende offen. Reicht das?Nein, aber das ist immer auch eine Frage der Finan-zierung und der verfügbaren Räumlichkeiten. Hängen Jugendgewalt und sinnvolle Freizeitgestaltung denn zusammen?Ja sicher. Wir vom TJUF wol-len uns mehr für die Jugend-lichen engagieren, und sie so von der Strasse holen. Zum Beispiel?Wir haben einen Töggelikas-ten, einen Pingpong-Tisch und eine Musikanlage. Wir fördern die Selbstverantwortung der Jugendlichen und binden sie in die Programmgestaltung mit ein. Sie organisieren selbst Volleyballturniere, Filmabende und den Geträn-keverkauf. Der Jugendhaus-leiter ist für Gespräche da, wenn sie mal «Lämpe» haben. Das hört sich an wie vor zwanzig Jahren.Das Thema «Jugendterror» wird von den Medien zurzeit aufgebauscht. Tatsächlich sind die Probleme, insbeson-dere die Drogenprobleme, nicht grösser.

Freizeit – ein Kinderspiel?Der Ablauf in der Tagesschule Feldblumen ist straff organisiert. Es wird viel gelernt. Die Freizeit kommt dabei nicht zu kurz.Svenja und Joseph, beide Schüler in der Feldblumen, besuchen zusammen die vierte Klasse. Sie kommen am Morgen und verlassen die Schule erst am Abend. Ausser am Mittwoch. Der Mittwochnachmittag soll es den Schülern ermögli-chen, mit Kindern in der Nachbarschaft Kontakte zu pflegen.

In der Zehn-Uhr-Pause gibt es einen Znüni und sie können sich austoben: beim Rundlauf um den Pingpong-Tisch, beim Fussballspielen, auf dem Kletter-turm oder beim Fangis.

Zu Mittag essen sie mit den anderen Kindern gemeinsam. Wie empfinden sie es, in der Schule zu essen, während andere Kinder nach Hause gehen? Das ist für beide, Svenja wie Joseph, kein Problem. Wenn die anderen Kinder den Nach-hauseweg antreten müssen, können sie in der Schule bleiben und spielen.

Nach dem Essen ist eine halbe Stunde Ruhezeit obligatorisch. Die Grossen, zu denen auch Svenja gehört, müssen dann lesen. Sie findet zwar, dass sie so etwas lernt, würde aber lieber etwas anderes machen. Zum Beispiel zeichnen. Bleibt sonst noch Raum für Freizeit? Auf diese Frage antwortet sie klar: «Ja, sehr viel.» Was macht sie denn sonst noch gerne? Keyboard spielen. Sie besucht regelmässig den Musikschul-Unterricht. Der findet nicht in der Tagesschule, sondern in einem anderen Schulhaus statt. Damit sie rechtzeitig dort ist, darf sie früher von der Schule gehen.

Joseph hingegen nutzt die Ruhezeit gern, um zu lesen. Comics und andere Magazine sind nicht erlaubt. Dafür steht ein volles Büchergestell im Schulzim-mer. «Da nehme ich mir jeweils ein Buch. Experimentierbücher mag ich beson-ders.» Die Schule hat eine eigene Bibliothek. Die Kinder dürfen sich Bücher ausleihen und mit nach Hause nehmen. Dass Kinder in der Regelschule am Nachmittag früher nach Hause können, macht ihm nichts aus. «Die müssen dann Hausaufgaben machen. Wenn ich nach Hause komme, ist der grosse Teil der Hausaufgaben erledigt. So bleibt mir Zeit für Talent Züri, wo sportbegabte Kinder gefördert werden.» Und fügt hinzu: «Auch wenn ich das grad nicht mehr so mag. Ich würde lieber wieder einmal etwas mit meiner Mutter unter-nehmen.» So verschieden die Hobbys von Svenja und Joseph sind, eines empfin-den beide gleich: Die wirkliche Freizeit fängt dort an, wo das organisierte Hobby aufhört. Text Sarah Orlando Bild zVg

Svenja geniesst ihre Freizeit, die dann anfängt, wenn auch die Musikschule fertig ist.

Barbara Koller ist Vorstandsmitglied im Trägerverein «Jugendhaus Unteres Furttal» (TJUF) und Mutter zweier Teenager.

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FREIZEITUNG VII

idylle am AbgrundIm Zürich­West werden die Schrebergärten bald dem Coop­Neubau und den städtischen Erweiterungen weichen müssen. Ein Erlebnisbericht.«Wenn du einen Garten und dazu noch eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen», schrieb Cicero. Kultur und Natur zusammen waren schon für die Römer Komponenten des Glücks. Zürich bietet beides. Gärten gibts im Zentrum und an der Peripherie. Hinter den Gleisen, zwischen Coop-Verteilzentrale, Pfingstweid-strasse und Toni Molkerei liegen zum Beispiel Familiengärten.

Der Zugang ist versteckt und lieblos. Eher der Weg zu einer Baustelle. Rechts und links liegt Schutt von abgebrochenen Gartenhäuschen. Im Minutentakt rat-tern die Züge vorbei, daneben summen Bienen, und Eidechsen sonnen sich auf warmen Steinen. Es blüht in allen Farben, Rosen und Lavendel duften, die Johannis beeren sind reif, und der Salat lechzt nach Wasser. Vereinzelt sind die Kleingärtner am Giessen oder Ernten. Einzelne Gartenhäuschen sind liebevoll verziert, die Vorhänge gewaschen und der Zugang mit einer Kette versperrt. Das Eigentum wird markiert, ist klein aber privat. Fahnenstangen überragen die Idylle, allerdings nur selten mit Flaggen behängt. Baugespanne übertreffen alles an Höhe und hängen wie Damoklesschwerter über dem Areal.

Die Grössenverhältnisse sind beeindruckend. Industriebauten gegen Klein-gärten. Lebendige Natur gegen starre wirtschaftliche Zweckbauten. Eine Colla-ge der Stadt und ihrer Bewohner. Ein Brennpunkt dazu. Während sich Zürichs progressive Partygänger in der alten Molkerei mit dröhnenden Beats die Nacht verlängern, zirpen draussen im Sommer die Grillen. Freizeitaktivitäten in der Nacht und am Tag lösen sich ab. Interessen prallen von den verschiedensten Sei-ten aufeinander und hinterlassen Spuren.

Ein Teil der Gärten ist bereits abgebrochen. Die Baggerspuren sind noch sichtbar und weiss-rot gestreifte Plastikbänder markieren das Ende der Gärt-chenlandschaft. Ein paar Häuschen stehen etwas desolat am Abgrund. Am Ende einer heileren Welt.

Unbeirrt nutzen die Eigentümer der verbliebenen Parzellen ihre Zeit. Nur wenige haben aufgegeben, überlassen sie der gänzlichen Verwilderung und ka-pitulieren vor den grossartigen und rentableren Plänen für Zürich-West.

«Dieses Jahr ist nichts mit den Zwiebeln», meint einer der Hobbygärtner, der die verbleibenden zwei Jahre noch voll geniessen will. Text und Bild: Brigitta Schild

Schwärmerei auf 200 Qua­dratmeternBrigitta Schild

«Eigentlich bin ich die per-fekte Gartenlaube. Über-wachsen von Reben, rot gestrichen, mit grünen Fensterläden und einem verwilderten Garten. Eine gekaufte Schwärmerei für meine Besitzer. Ich mag sie, meine Besitzer, obwohl sie ganz selten da sind.

Sie entsprechen eben nicht ganz der Normalität, die hier herrscht. Denn normal ist, dass man Flagge zeigt und gearbeitet hat, bevor man grillt und Bier trinkt. Meine Besitzer halten sich nicht an diese Regeln. Wenn sie da sind, arbeiten sie nicht, sondern liegen entspannt in der Sonne. Sie haben die Fahnenstange gefällt, basteln nicht an mir rum, verschönern mich nicht und hängen mir keinen süssen Namen um. Das mag ich. Damit bewahren sie mich vor dem Klischee eines Suisse-Miniature-Häuschens und lassen mir meine Persönlichkeit. Einzig dass sie mir die Fensterläden nicht öffnen, mag ich nicht.

Ich weiss, die Hobbygärt-ner werden meine Besitzer erneut verwarnen. Denn ein richtiger Schrebergärtner verbringt seine freie Zeit mit Jäten, Säen, Mähen, Ernten, verschönert und perfekto-niert sein Häuschen. Erst dann kommt das Nichtstun. So will es die Regel der Ge-meinschaft. Die Verwarnung wird erfolgreich sein. Da bin ich mir sicher. Aus der Reihe tanzt hier keiner lang. Peter Ustinov wird Recht behalten: ‹Am Ende zeigt sich’s, dass alle Klischees wahr sind. Und das ist fast noch schlim-mer zu ertragen als die Wahrheit.›»

Baugespanne bedrohen die Idylle: Aus für die Schrebergärten in Zürich-West?

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VIII FREIZEITUNG

nehmen Sie sich Zeit!von Sabine Schritt

Mit dem Feierabend kommt nicht unbedingt die Freizeit. Meistens rufen private Pflich-ten. Irgendwann rebellieren Körper und Geist gegen permanenten Leistungs- und Termindruck. – Wenn wir uns nicht kleine Zeitinseln schaf-fen, um Kraft zu tanken und auszuruhen. Ein Zeitmanage-ment für die Freizeit? «Ja», sagt Angelika Sidler. Sie betreut als Management-Coach Führungskräfte mit Stresssymptomen. Sie ist überzeugt, auch die Freizeit müsse sorgfältig geplant werden. «Mindestens einen Abend die Woche sollten Sie sich freihalten, für die Dinge, die Sie gerne tun», rät Sidler. Sie beobachtet immer wie-der, wie wichtig die Entspan-nung als Ausgleich zum be-ruflichen und privaten Stress ist. Die Klienten suchen sie auf, wenn sie merken: Ir-gendetwas läuft nicht rund. Wenn sie reizbar, empfind-lich, vergesslich oder schlaf-los sind. Am Ende steht die totale geistige, seelische und körperliche Erschöpfung, auch Burnout-Syndrom ge-nannt. Dann liegt ein langsa-mer Genesungsprozess vor ihnen. «Viele Menschen nehmen sich keine Zeit für sich selbst», sagt Sidler und erinnert sich an ein Burnout-Opfer, Typ: «erfolgreicher Manager, leidenschaftliche Kämpfernatur, Ende Fünfzig». Für sie sei es unvorstellbar gewesen, dass dieser kräftige Mann so radikal zusammen-brechen konnte. Solche Er-schöpfungszustände seien aber häufig. «Das liegt auch daran, dass Freizeit nicht stattfindet oder nicht sinnvoll genutzt wird», so Sidler. Ent-scheidender als die Quantität sei eben die Qualität.

Wenn Lebende auf dem Friedhof liegenDer Friedhof Sihlfeld im Zürcher Kreis 3 avanciert zur Oase für Erholungssuchende. Grün Stadt Zürich rückt bald mit Liegestühlen an.Auf dem Friedhof Sihlfeld bettet man sich zur ewigen Ruhe. Immer öfter aber auch nur für ein paar Stunden. Weil grosse Wiesenflächen unbenutzt sind, avan-ciert der ehemalige Zürcher Zentralfriedhof für seine Anwohner vor allem in den Sommermonaten zum willkommenen Freizeitidyll. Eine naheliegende Ent-wicklung oder ein Affront gegenüber den Verstorbenen?

Die Idee mit den Liegestühlen«Die Nutzung eines Friedhofs als Park ist nichts Aussergewöhnliches», sagt Lu-kas Handschin, Leiter der Kommunikation von Grün Stadt Zürich. Er verweist auf den ehemaligen Friedhof Kannenfeld in Basel, der mittlerweile eine belieb-te Parkanlage geworden ist. Grünflächen in der Stadt sind rar, so bietet sich eine anderweitige Nutzung des Gottesackers an. «Wegen der Urnenbestattung entsteht mehr Platz auf dem Friedhof Sihlfeld», so Handschin. Eine gezielte Umwandlung stehe aber nicht zur Diskussion.

Bei Grün Stadt Zürich spielt man jetzt mit der Idee, bald auch Liegestühle zu vermieten. Allerdings gibt es für dieses Projekt noch keinen Termin. Befragte Trauernde sind davon jedoch wenig begeistert. «Die Totenruhe werde nicht mehr respektiert», so deren Meinung.

Der kleine FriedhofskniggeFür Anwohnerin Daniela Gama ist die erweiterte Nutzung des Friedhofs logisch, die Idee mit den Liegestühlen genial! Dass nur wenige Meter weiter Grabstätten zu finden sind, darunter die von prominenten Persönlichkeiten wie Henry Du-nant oder Johanna Spyri, stört sie nicht. Schliesslich gilt die Anlage auch als Gartendenkmal. Damit die individuellen Bedürfnisse nicht zum Problem werden, findet sich an den Eingängen ein kleiner Friedhofsknigge. So ist es beispiels-weise verboten, Badekleider zu tragen, zu joggen oder Hunde mitzubringen. Trotzdem sieht man immer wieder Besucher, die sich nicht an die Vorschriften halten.

Ruhe und Harmonie des Friedhofs Sihlfeld ziehen die Leute an. Wenn da nicht ein verborgenes Detail wäre, das vielleicht einige Leute davon abhalten könnte, sich lebend auf Friedhofsboden zu legen: Unter den freien Wiesen befinden sich teilweise noch alte Gräber. Doch Gama bringt es auf den Punkt: «Wir sind alle Teil der Natur, egal ob über oder unter der Erde.» Text und Bild: Daniel Diriwächter

Hier wird nicht nur getrauert: Der Friedhof Sihlfeld wird zum Park.

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 13

WEITERBILDUNG

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14 EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008

KURSFENSTER

Albin Reichmuth passt nicht ins Bild, das man sich von einem Buchhalter macht. Er spricht lei-denschaftlich, seine Körpersprache versprüht Energie, und die blauen Augen springen zwischen den zahlreichen Frauen und den weni-gen Männern im Kurs hin und her. Auch am 14. Kurstag sind sie alle noch aufmerksam dabei. Heu-te üben sie den Abschluss und die Neueröffnung eines Kontenplans am Beispiel des Musikvereins Na-diswil.

Praxis statt Trockenübung. Konzen-triert schauen die Teilnehmende auf Bildschirme, blättern stirn-runzelnd in Ordnern und beraten sich leise mit dem Tischnachbarn, bevor sie Zahlen in Tabellen ein-tragen. Wer eine Frage hat, kann sie gleich stellen. Muss ein Ver-einsmitglied, das seinen Jahresbei-trag nicht bezahlt hat, unter den

Das Zahlenwerk enträtseln. Wer den Kurs

«Buchführung» bei Albin Reichmuth besucht,

lernt, einen Kontenplan zu erstellen und eine

eigene Buchhaltung zu führen. Und wird das

nie mehr für eine trockene Materie halten.

TExT Anouk Holthuizen BILDER Reto Schlatter

«Debitoren» aufgelistet werden? Bekommt ein Vereinsvorstand ei-nen Lohn? Wo verbucht man seine Spesen? Und in welchem Gesetz ist das Vereinsleben überhaupt ge-regelt? In diesem Kurs wird nicht mit trockenen Begriffen und Zah-len jongliert, sondern der prakti-sche Buchhaltungsalltag eingeübt.

«Ich lerne sehr viel über die Schweizer Bürokratie», sagt Mercia Alder, die in Brasilien aufgewach-sen ist und dort in «Business Ad-ministration» abgeschlossen hat. Die 48-Jährige hat sich vor vier Jahren selbständig gemacht und hilft seither Einzelpersonen und kleinen Unternehmen, ihre Buch-haltung zu erledigen und die Steu-ererklärung auszufüllen. Zwar wusste sie bereits einiges über Buchführung, aber jetzt erst fühlt sie sich kompetent. «Ich habe im-mer wieder mit Selbständigen zu

tun oder mit Leuten, die sowohl selbständig als auch angestellt sind. Da muss man schon einen sehr guten Durchblick haben.»

Von Offenposten bis Abschluss. Selbständigerwerbende und Klein-unternehmerinnen machen die Mehrheit der Kursteilnehmenden aus: Fahrlehrer, Handwerkerinnen, Gartenbauer, Physiotherapeuten, Coiffeusen, Vereinsvorstandsmit-glieder, Gastronominnen – sie alle kommen mit konkreten Aufgaben-stellungen und sind deshalb moti-viert, sich den Stoff anzueignen. Hier erfahren sie, was die Vor- und Nachteile von Offenposten und Ne-benbuchhaltungen sind, sie lernen, einen Kontenplan zu gestalten, die Abläufe im Zahlungsverkehr zu überwachen, Löhne und Sozial-versicherungen zu verbuchen, die Mehrwertsteuer ab zurechnen und einen Jahresabschluss zu erstellen.

Nach 18 Kurstagen werden sie ihre eigene Buchhaltung mit Hilfe des Computerprogramms Banana auf-bauen und führen können und kompetente Gesprächspartner für Treuhänder sein, verspricht Reich-muth. Wer will, kann zusammen mit dem Dozenten eine firmen-spezifische Buchhaltung einrich-ten – ein Angebot, dass viele gerne in Anspruch nehmen.

Ein Buch ohne sieben Siegel

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 15

KURSFENSTER

Umsatz sollte aber kein seriös ge-führter Kleinbetrieb seine Quit-tungen einfach in Schuhschach-teln aufbewahren.

Auch Franziska Fleischli wollte ihre Wissenslücken in Sachen Buchhaltung füllen. Als Mitarbei-terin eines Anwaltssekretariats war die gelernte Übersetzerin im-mer wieder mit buchhalterischen Fragen konfrontiert. Nun, nach ei-ner Familienpause von zwei Jah-ren, will die 43-Jährige Nägel mit Köpfen machen und gewappnet in die Berufswelt zurückkehren, ger-ne zurück in ein Anwaltsbüro. Ob-wohl sie nicht allzu viel Vorwissen besass, kann sie nun mühelos mit einer Buchhaltung umgehen. «Der Kurs war sehr gut. Praktisch und verständlich. Ich bin sicher keine Expertin, aber ich kann doch be-haupten, drauszukommen.»

Das Bildungskonto auffüllen. Der 36-jährige Josef Lande tanzt unter den Kursteilnehmenden etwas aus der Reihe. Er mutierte nicht vom Angestellten zum Selbständigen,

sondern betrachtet den Buchhal-tungskurs als Teil seiner Grund-ausbildung. Bis vor drei Jahren lebte der orthodoxe Jude mit Frau und Kindern in Israel und studierte dort den Talmud. Als er in die Schweiz zog und ein Praktikum in einer Buchhaltungsabteilung beginnen konnte, musste er zu-nächst einmal lernen, wie man mit einem Computer umgeht. «Word, Excel, Buchhaltung – ich habe mir sämtliches Wissen rund um die Buchführung an der EB Zürich angeeignet», sagt er. Was er lerne, könne er täglich anwen-den. Für seine berufliche Zukunft ist Lande zuversichtlich: «Wenn man etwas wirklich will, kann man es auch haben.»

Sind Frauen die besseren Buchhal-terinnen? Obwohl viel mehr Män-ner als Frauen selbständig er-werbstätig sind, bilden Frauen in Reichmuths Kursen «immer!» die Mehrheit. Der Grund: Selbststän-dig erwerbstätige Männer gewin-nen oftmals ihre Partnerinnen für das Backoffice, während selbstän-dige Frauen sich meist selbst um Administratives kümmern. Reich-muth erklärt pragmatisch: «Wenn ein Gipser ein Geschäft aufmacht, schickt er seine Frau in den Buch-haltungskurs. Eine Gipserin kommt aber selber.»

Chefinnensache. Nebenbei als Hobby betreiben lässt sich Buchhaltung schlecht. «Die Finanzen sollten in jedem Unternehmen Chefsache sein», sagt Reichmuth. Nur so habe und behalte man auch die Kont-rolle über seine Finanzen. Einzel-firmen müssen von Gesetzes wegen zwar erst ab einem Umsatz von 100 000 Franken eine doppelte Buch-haltung führen, ab 75 000 Franken Umsatz sind sie zudem mehrwert-steuerpflichtig. Unabhängig vom

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16 EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008

IM GESPRÄCH

Ida Gut, du hast die Berufskleidung des Migros- Verkaufspersonals entworfen. Was macht eine gute Berufskleidung aus?Das hängt davon ab, für wen und für welchen Zweck eine Berufskleidung kreiert wird. Zum einen ist eine solche Kleidung Sprache – eine Ausdruckswei-se, die Identifikation verleiht und darüber entschei-det, wie jemand wahrgenommen wird. Und zum anderen gibt es natürlich den funktionellen Aspekt: Die Berufsbekleidung trägt man während der Ar-beit, sie muss bequem sein und allenfalls schützen.

Bleibt da Platz für Kreativität?Absolut! Bekleidungskonzepte dürfen keine Kompro-misslösungen sein. Für mich bedeutet eine solche Arbeit eine grosse Herausforderung.

Worin besteht diese Herausforderung?Eine Kleidung zu entwerfen, die eben nicht auf eine spezifische Person zugeschnitten ist, sondern von 40 000 verschiedenen Menschen getragen wer-den kann – wie dies bei der Migros der Fall ist – ist ein enormer Challenge. Für mich war diese Heraus-forderung fast wie eine Reise zum Mond (lacht).

Du hast es angesprochen: Eine Berufsbekleidung muss funktionell sein. Hast du bei der Arbeit an der Migros-Bekleidung Gespräche mit Mitarbeitenden geführt?Ganz am Anfang nicht. Solche Umfragen können für die Arbeit auch verwirrend sein. Schnell kom-men zu viele verschiedene Meinungen zusammen. Zuerst habe ich beobachtet und mit gesundem Men-schenverstand kombiniert: Vor dem Backofen ist es heiss, beim Kühlregal kalt, in der Nähe des Eingangs zieht es – so ergeben sich Bedürfnisgruppen. Die kreative Inspiration kam aus einem sich abzeichnen-den Trend: dem Fussball. In einer zweiten Phase haben wir viele Anproben durchgeführt und verschiedene Materialien und Schnitte getestet. Wir standen in

«Wie eine Reise zum Mond»Ida Gut zählt zu den renommiertesten Modedesignerinnen im Land. Neben

exklusiven Kollektionen entwirft sie auch Berufsbekleidungskonzepte,

beispielsweise für die Migros. In ihrem Zürcher Atelier verrät sie, was die

Migros-Outfits mit Fussball zu tun haben.

INTERVIEW Stephanie Elmer BILDER Stephanie Elmer, z.V.g.

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 17

IM GESPRÄCH

intensivem Dialog mit Migros-Mitarbeitenden in ver-schiedenen Landesteilen der Schweiz. Das hat uns geholfen, dieses Fussball-Thema zu verbreiten.

Fussball-Thema? Den Auftrag für dieses Berufsbekleidungskonzept bekam ich im November 2003. Durch die bevorste-hende Europameisterschaft in Portugal, die Welt-meisterschaft 2006 in Deutschland und die EM 2008 in der Schweiz und in Österreich war mir klar, dass Fussball in der kommenden Zeit eine breite Bevölke-rungsschicht interessieren würde. Die Streifen an den Ärmeln der Migros- Bekleidung stammen aus der Welt des Sports. Sie sind ein grafisches Element, das von bekannten Sportlabels in ähnlichen Formen verwendet wird. Sie vermitteln eine klare Botschaft.

Man erkennt die Migros-Mitarbeitenden auf den ersten Blick. Damit haben wir ein sehr wichtiges Ziel der Berufsbekleidung über ein sportives Ele-ment erreicht.

Wenn Berufskleidung darüber entscheidet, wie ein Unternehmen wahrgenommen wird, wie sieht das bei-spielsweise für die Fliegerei aus? Denkst du, dass sich Passagiere wohl fühlen, wenn sie von einem Piloten in verwaschenen Jeans über den Atlantik geflogen werden?Ein Anzug ist in unserer Gesellschaft Ausdruck von Seriosität. Bei der Pilotenuniform kommen zusätz-lich noch der Hut und die goldenen Streifen dazu. Durch das Tragen des Hutes wirkt man grösser. Das verleiht Autorität. Die goldenen Streifen bringen

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18 EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008

IM GESPRÄCH

die fachliche Kompetenz und Erfahrung zum Aus-druck. Ein Pilot muss glaubwürdig wirken, insbe-sondere in brenzligen Situationen, das ist wichtig für die Sicherheit.

Also lässt man sich durch die Kleidung täuschen?So wie man sich von allen Ausdrucksformen täuschen lassen kann. Aber unsere Gesellschaft beruht nun einmal auf kodierten Umgangsformen. Oft ist es schwierig und unnötig, sich gegen diese auflehnen zu wollen, auch wenn sie nicht immer in sich schlüssig sind. Eine schön gebundene Krawatte gilt beispiels-weise als gepflegt. Dabei ist es wissenschaftlich be-wiesen, dass ein enger Knoten die Blut zirkulation einschränkt. Das wiederum hemmt die Hirntätigkeit.

Hast du selbst einmal eine spezifische Berufskleidung getragen?Nein, ich hätte aber keine Mühe damit.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du morgens den Kleiderschrank öffnest?Nichts, da ich den Schrank gar nicht öffne, sondern die Kleider direkt aus dem Wäschekorb nehme (lacht). Nein im Ernst: Für mich ist der funktionelle Aspekt wichtig. Ich trage oft Schwarz. Einerseits, weil es für mich als Berufstätige sehr praktisch ist, wenn ich abends einfach schnell eine schwarze Wäsche machen kann, ohne vorher nach Farben zu sortieren. Andererseits mag ich das Schlichte. Wenn ich den ganzen Tag kreativ arbeite, schätze ich zum Ausgleich etwas Einfaches und Dezentes.

Böse Zungen behaupten, dass die Schweizer nicht zu den bestgekleideten Menschen gehören ...Ach ja? Ich glaube nicht, dass Kleidungsstil länder-spezifisch ist, sondern von viel mehr Faktoren abhängt. Beispielsweise Alter, Werdegang, Umfeld, Stadt oder Land. Und somit könnte ich die Frage zurückgeben: Was gilt denn als gut angezogen?

Kleidung ist Kommunikation. Nimmst du diese Kom-munikation auch wahr, wenn du durch die Strassen gehst oder im Tram fährst?Nein, eher nicht. Ich arbeite den ganzen Tag mit Kleidern. Nach der Arbeit, konzentriere ich mich nicht noch darauf, was andere Leute tragen.

Deine Aufnahme an die Kunstschule hättest du regel-recht sabotiert, sagst du, weil du nicht an dein Talent geglaubt hättest. Du bist zu spät zur Prüfung erschie-nen, hast die Prüfungsgebühren nicht bezahlt und eine unvollständige Mappe abgeliefert ...(lacht) Ja, wie das halt so ist, wenn man 20 Jahre alt ist. Man findet sich wahnsinnig toll, hat aber andererseits kein Selbstvertrauen. Dass alles doch so gekommen ist, hat vor allem mit Dingen zu tun, die nun einmal zum Leben gehören: mit Glück

IDA GUT, geboren 1964 in Zürich, absolvierte zuerst eine Lehre

als Schneiderin. Nach der Aufnahme an die Kunstschule, liess

sie sich drei Jahre lang zur Modeentwerferin ausbilden. Kaum

abgeschlossen zog sie nach Paris. Bei «Show Biz» erhielt sie die

Möglichkeit, ihr Handwerk in einem einjährigen Stage zu verfeinern.

Durch «unglaubliches Glück», wie es Ida Gut heute bezeichnet,

erhielt sie danach in der Schweiz die Möglichkeit, sich selbständig

zu machen. Seit 1993 entwirft sie ihre Kollektionen unter dem ei-

genen Label «Ida Gut». Für die Weltausstellung 2000 in Hannover

erhielt sie erstmals den Auftrag, ein Berufsbekleidungskonzept

zu entwerfen. Weitere solche Konzepte entwickelte Ida Gut

danach für Migros und die Mitarbeiter der Therme Vals. Obwohl

Ida Gut auf dem internationalen Modeparkett längst Fuss gefasst

hat, bleibt sie ihrem geliebten Kreis 4 in Zürich treu. Sie führt

dort ein Atelier mit zugehörigen Ladenräumen.

und Pech, Zufall und Schicksal. Und natürlich mit viel Arbeit, Anstrengung und Herzblut.

Dass Kleider Leute machen, wusste bereits Jeremias Gotthelf. Zu was für Leuten will Ida Gut die Menschen machen, die ihre Kleider tragen? Ich glaube nicht, dass diese Aussage von Jeremias Gotthelf zu 100 Prozent stimmt. Es ist doch vor allem die Persönlichkeit von jemandem, die darüber entscheidet, wie ein Kleidungsstück getragen wird. Jeder Kunde hat seinen eigenen Charakter, seine eigene Geschichte, seine eigene Identität und seine eigenen Vorstellungen. Daraus entstehen sehr persönliche Kreationen. Bei meiner Arbeit denke ich darum in erster Linie an den Menschen. Das ist meine Grundlage. Ich hätte den falschen Beruf, wenn ich den Menschen nicht lieben würde.

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 19

TIPPS UND TRICKS

Leicht und bekömmlich. Weiterbildung ist nicht nur eine Sache des Kopfes, der ganze Körper macht mit. Wer sich im Kursalltag abwechslungsreich ernährt und fantasievoll bewegt, lernt leichter.

TExT Fritz Keller ILLUSTRATION Eva Kläui

Ernährungs- und Gesundheitstipps können schnell moralisch werden. Das sollten Sie und das dürfen Sie nicht. Wer solche Tipps mit erhobenem Zeigefinger abgibt, wird kaum gehört. Sinnvoll ist, diejenigen Ratschläge zu befolgen, die einem gut tun. Welche dies sind, erfährt man im Selbstest.

TrinkenPro Tag braucht ein erwachsener Mensch eineinhalb bis zwei Liter Flüssigkeit. Nehmen Sie deshalb Wasser an Ihren Platz und trinken Sie regelmässig in kleinen Schlucken. Sinnvoll sind Gemüse- und Fruchtsäfte. Meiden Sie Alkohol.

PausenverpflegungDie Pausenverpflegung soll leicht sein. Wählen Sie Früchte und Gemüse oder Getreideprodukte. Bevor-zugen Sie fettarme Snacks, bei Süssigkeiten sollten Sie zurückhaltend sein. Eine gute Mischung ist wichtig.

HauptmahlzeitenWer nach dem Mittag nicht ins «Suppenkoma» fallen möchte, tut gut daran, sich beim Mittagessen etwas zurückzuhalten. Gemüse und Getreideprodukte be-lasten die Verdauung weniger als viel Fleisch und Fisch. Ein Dessert darf durchaus sein, nicht zu gross und nach Möglichkeit aus Milchprodukten.

Bewegung während des KursesSchon kleine Bewegungen regen den Kreislauf an verhindern das Einschlafen, im wörtlichen und über-tragenen Sinn. Lassen Sie immer mal wieder Ihre Hände und Füsse kreisen, spannen und entspannen Sie Ihre Waden- und Gesässmuskeln. Denken Sie an Ihren Rücken, richten Sie sich Wirbel für Wirbel auf, so vermeiden Sie Verspannungen.

Bewegung in den PausenZusammensitzen und über den aktuellen Kurs debat-tieren, das ist wichtig. Möglich ist das auch im Gehen. Bewegung bringt einen sogar auf neue Gedanken. Das Treppensteigen kann zum Beispiel verdeutlichen, wie wichtig es ist, sich neues Wissen schrittweise an-zugeignen. Mit dem Lift kommt manchmal die Seele nicht mit.

Gesund und fit lernen

Kurse zum Thema

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Weitere Infos und Anmeldung unter www.eb-zuerich.ch oder unter www.stadt-zuerich.ch/viventa

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20 EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008

PERSöNLICH

Vieles zu zweit. Ihre Bilder malen

sie gemeinsam, sie haben als Künstler

ihre Vornamen zu ALMA verschmol-

zen und in der Szene Furore gemacht:

Alf Hofstetter, 52, und Max Frei, 50.

An der EB Zürich unterrichten beide

im Bereich Web Design.

TExT Guido Stalder BILDER Miriam Künzli

Wer ins Atelier von Alf Hofstetter in Zürich Wipkingen will, muss erst mal links an der Mauer des Mehrfami-lienhauses vorbei, einige steile Treppenstiegen nach unten – und findet sich in einem Musik-Proberaum. Ein Schlagzeug steht da im muffigen Halbdunkel, Gi-tarren, Verstärker, allerlei elektronisches Zubehör. Hinter einem Durchgang dann erst das Atelier, in dem die beiden Künstler sitzen; der Proberaum wird von anderen benutzt. «Irgendwann musizieren wir auch noch miteinander», sagt Max scherzend, «das kommt sicher noch.» Alf grinst zustimmend.

Gleich geht es los mit den Erklärungen zu ihrer Kunst. Alf: «Dialog ist bei uns im Zentrum.» Max: «Unsere Arbeit ist ein langwieriger gemeinsamer Prozess.» Alf: «Unser Stil ändert sich laufend.» Max: «Wir stel-len uns dauernd Fragen.» Dazu immer wieder das Stichwort Dialog. Mir schwirrt der Kopf, ich schaffe es nicht mehr, die Aussagen der beiden auseinander-zuhalten. Macht nichts, weil exakt das die Absicht der beiden ist. Im Künstlerduo ALMA verschwinden die Individuen ALf und MAx, niemand soll wissen, wer was zu ihren Werken beigetragen hat.

Schöpferisch in der Bar. Was machen die beiden ei-gentlich? Malerei im Postkartenformat, in der Regel zwei zusammengehörige Bilder, manchmal auch eine längere Serie. Das geht dann so: Der eine malt ein Motiv auf ein A6-Format, verändert es vielleicht elek-tronisch oder holt eine Vorlage aus dem Internet. Die beiden treffen sich in der Bar und zeigen sich ihre Werke. Alf: «Das Postkarten-Format ist sehr hand-lich, das kann man in die Jackentasche stecken.» Es wird begutachtet und diskutiert, über Kunst und Ausdrucksformen philosophiert. Dann nimmt der eine die Karte des anderen mit und produziert eine zweite, entsprechende. Dann stellen sie die Karten nebeneinander – fertig ist das Werk. Wer die erste Karte gemalt hat und wer die zweite, bleibt streng geheim.

Nicht ohne meinen Partner

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 21

PERSöNLICH

Ein aktuelles Beispiel ist inspiriert von der Fussball-Europameisterschaft: die Serien «Boys 08». Das sind eine Reihe von Doppelbildern, natürlich A6, jeweils ein Cowboy und ein Fussballer in Aktion. Die Erklä-rungskaskade geht wieder los: «Wir haben alte Cow-boy- und Tschütteler-Bildli gesucht und uns an unsere ersten Sammler-Erfahrungen erinnert.» – «Cowboys und Fussballer sind mutig, wir sind Angsthasen.» – «Aber die Bilder haben uns geprägt.» – «Die Auswahl ist natürlich sehr subjektiv.» – «Wir wollen nichts aussagen, sondern bloss Bilder verarbeiten.» Dialoge führen sie, das muss man ihnen lassen.

Zehn Jahre zu zweit. Begonnen hat alles Mitte der Acht-ziger. Alf Hofstetter, gelernter Buchdrucker, und Max Frei, ursprünglich Schriftsetzer, beide schon lange auf künstlerischen Wegen, lernten sich als Studenten der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst HGKZ kennen. «Mit dieser Staffelei» – Alf zeigt in sei-nem Atelier nach hinten – «und unseren Malköffer-chen sind wir über Land gezogen und haben gemalt.» Auch in Museen sassen sie malend nebeneinander, um berühmte Meister zu kopieren. Sie begannen ihre beiden Versionen desselben Motivs zusammenzuste-cken, die Idee für ALMA war geboren.

Ihr doppeltes Moppeln schlug ein wie ein Blitz, erin-nert sich Max: «Niemand kannte uns, und alle woll-ten uns ausstellen.» In der ersten Zeit gaben sie nicht einmal ihre Namen preis und machten sich einen Spass daraus, sich in den Ausstellungen unerkannt unter das Publikum zu mischen und mit den Leuten zu diskutieren.

Rasch waren sie in der Kunstszene etabliert, realisier-ten viele Ausstellungen, Performances und Kataloge im In- und Ausland. Sie holten sich verschiedene Prei-se, ein Stipendium des Kantons Zürich erhielten sie gleich zweimal. Ihre Postkarten-Werke sammelten sie in ihrem ALMA-NACH, in kleinen gebunden Büch-lein, die das Schaffen jedes Jahres beinhalteten. Dann, im Herbst 1996, kam das Aus. ALMA hatte eine grosse Ausstellung in der Kunsthalle Palazzo in Liestal, und die beiden beobachteten ein anderes Künstlerpaar, das sich auseinandergelebt hatte. «Wir wollten nicht soweit kommen», erinnert sich Max, «und beschlossen, aufzuhören, bevor es weh tut.»

Wiedersehen an der EB Zürich. Als Einzelkünstler gin-gen sie ihre eigenen Wege, mussten auch nach Brot-berufen Ausschau halten. Alf Hofstetter kam an die EB Zürich, um im Bereich Web Design zu unterrich-ten – und einige Jahre später folgte ihm Max nach. Max Frei sieht man übrigens im Technopark, wo die EB Zürich zusätzliche Unterrichtszimmer gemietet hat, nicht nur unterrichten, sondern auch schon mal Blumen giessen oder Fenster schliessen – er macht nebenbei den Abwartsjob gerne, wie er betont.

Dass sich ihr Brotberuf und ihre künstlerische Zu-sammenarbeit oft vermischen, stört beide nicht. Es hat wieder gefunkt (Max: «In den Jahren ohne Alf fehlte mir etwas»), ALMA ist neu gestartet. Inzwi-schen hat ihr Gesamtwerk auch einen öffentlichen Ort erhalten, im neu eröffneten Kunstzeughaus in Rapperswil. Und beide beteuern: «Jetzt machen wir es nochmals zehn Jahre.»

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22 EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008

KULTUR

Schnelles Vergnügen. Das Büch-lein las ich zu Hause angekommen noch im Wintermantel im geheiz-ten Raum. Es lies mich nicht mehr los. Eigentlich sind es drei fast parallel verlaufende Varian-ten zu einer Lebensgeschichte: gezeichnet, über Sprechblasen, im unterlegten Text. Jede zieht den Leser weiter, ein Vorwärts-/Rückwärtsblättern, Verpasstes nachholen, Geschehenes ergänzen. Es fehlt die Liebe nicht, die Leiden-schaft, das Mogeln und das Geld nicht. Kurz: Ein selbst gesteuertes Lesevergnügen zum Thema, wie man glücklich wird. Kein Wort zu viel, kein Strich überflüssig. Seit einem Jahr mein Buch-geschenk zum Entspannen, in dem ich selber immer wieder gerne (vor-)lese.

Gute Laune. Ein mitreissender Mix aus Rock, Pop und Latin-Sound, stilistisch zwischen Latin und Jazz angelegt, dass ist das Album «Mi Tierra» von Gloria Estefan. Ihre erste rein spanische Produktion wird lange vor dem weltweiten Latino-Hype ein Erfolg. Eine Hommage an Kuba, in der sie das Verlangen nach ihrer Heimat, die Liebe und nicht zu-letzt die gemeinsamen kulturel-len Wurzeln aller Latinos besingt. Durch ihre Stimme und die prägnant eingesetzten Salsa-Rhythmen verleiht sie ihren Songs unvergleichbaren Charme. Besonders der Titelsong «Mi Tierra», und die Power-Nummern «Si Señor!» und «Tradición» sind für mich unverzichtbare Gute-Laune-Musik.

Bizzarre Leben. «Grey Gardens» ist ein seltsamer Dokumentarfilm über zwei unwiderstehliche und exzentrische Frauen, Edith Bouvier Beale und «Little Edie» Bouvier Beale, welche sich in einer zwang-haften Mutter-Tochter-Beziehung befinden. Die zwei Frauen werden von den Gebrüdern Maysles wäh-rend der Vorbereitung eines Films über Jacqueline Bouvier Kennedy (Ediths Nichte) entdeckt, weil sich ihre Geschichte viel interes-santer herausstellte als jene ihrer berühmten Verwandten. Die Ge-brüder Maysles filmen in ihrem charakteristischen Stil die Frauen in ihrem baufälligen Haus mit 28 Zimmern in den Hamptons (von welchem sie sich nie entfernten) und porträtieren den Tagesablauf ihrer Existenz ohne Beschönigun-gen oder moralische Wertungen.

HUGO LINGG

Bereichsleiter Sprachen

CARMEN BALZ-RySER

Kursleiterin Informatik,

Mitarbeiterin Web-Team

GIORGIO CHIAPPA

Mitarbeiter Grafik

Kursleitende und Mitarbeitende der EB Zürich geben Tipps zu interessanten Büchern, CDs und Videos.

Jean-Jacques Sempé

Das Geheimnis des Fahrradhändlers

Diogenes, 2005

Gloria Estefan

Mi Tierra

Epic, 1993

David Maysles, Albert Maysles

Grey Gardens

1976

Lesen Hören Sehen

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EB Kurs Nr. 19 – Herbst 2008 23

AGENDA

Lutz Jäncke: lernen erhält jung!

Mit der Veranstaltungsreihe «Chance Weiterbil-dung» besteht an der EB Zürich eine Plattform, in der Weiterbildungsthemen aus der Sicht der Wirt-schaft, der Wissenschaft und der Politik betrachtet werden. Als Nächster referiert der Neuropsychologe Lutz Jäncke.

«Auch Erwachsene können noch lernen»: Dies ist der leicht provokative Titel des Vortrags von Prof. Dr. Lutz Jäncke, der als Neuropsychologe an der Uni-versität Zürich tätig ist. Er vermag die neusten Er-gebnisse aus der Hirnforschung so erklären, dass auch Laien folgen können. An der EB Zürich wird er auf verschiedene Fragen eingehen, z. B. «Wie funkti-oniert Lernen und bis in welches Alter ist es mög-lich?» oder «Welche Zusammenhänge bestehen zwi-schen Weiterbildung und Gesundheit?».

Wo: Aula der EB ZürichWann: Dienstag, 16. September 2008, 19–20 Uhr, anschliessend ApéroEintritt: 20 FrankenAnmeldung: www.lernfoyer.ch/veranstaltungen

Vormerken!

5. Lernfestival mit Jubiläumsveranstaltungen4. bis 14. September 2008www.lernfestival.ch

Informationsveranstaltungen zu Lehrgängenim BiZE, Bildungszentrum für Erwachsene,Riesbachstrasse 11, 8008 Zürich: SVEB, Eidg. Fachausweis Ausbilder/in und Eidg. Diplom Ausbildungsleiter/in Dienstag, 2. September 2008 Mittwoch, 5. November 2008 Zeit: 19.00–20.30 Uhr Lehrgang «Kommunikation» Lehrgang «Management und Leadership» Lehrgang «Leadership kompakt» Lehrgang «NPO-Management» Lehrgang «Projektmanagement» Lehrgang «Marketing und Öffentlichkeitsarbeit» Lehrgang «Textpraktiker/in» Lehrgang «Mediation im interkulturellen Umfeld» Lehrgang «Journalismus» Montag, 1. September 2008 Montag, 27. Oktober 2008 Zeit: 19.00–20.30 Uhr Lehrgang «ECDL» Lehrgang «Informatik-Anwender/in I SIZ und ECDL» Lehrgang «Informatik-Anwender/in II SIZ» Lehrgang «ICT Power-User SIZ» Lehrgang «Web-Publisher EB Zürich» Lehrgang «3D-Visualisierung und 3D-Animation» Lehrgang «WebProgrammer PHP 2.0» Lehrgang «Java (Sun Certified Java Programmer)» Lehrgang «Microsoft MCTS Web Applications» Lehrgang «Linux-Systemadministration Basis (LPIC-1)» Lehrgang «Linux Systemadministration Aufbau (LPIC-2)» Mittwoch, 17. September 2008 Dienstag, 18. November 2008 Weitere Infos: www.eb-zuerich.ch/agenda

In der November Ausgabe:Weiterbildung im kühlen Norden

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Weiterbildung – wie ich sie will

Kantonale Berufsschule für Weiterbildung WBildungszentrum für Erwachsene BiZERiesbachstrasse 11, 8090 ZürichTelefon 0842 843 844 www.eb-zuerich.ch [email protected]

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