eBook Direkte Demokratie

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    Impressum:

    HerausgeberLiberales Institut derFriedrich-Naumann-Stiftung fr die FreiheitKarl-Marx-Strae 2

    14482 PotsdamTel.: 03 31.70 19-2 10Fax: 03 31.70 19-2 [email protected]

    TitelbildPhilipp von Foltz: Gefallenenrede des Perikles, 1853

    Produktion

    COMDOK GmbHBro Berlin

    1. Auflage 2010

    Wenn Sie unsere Arbeit untersttzen wollen:Commerzbank BerlinBLZ 100 400 00Spendenkonto: 266 9661 04

    Spendenbescheinigungen werden ausgestellt.

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    DIREKTE DEMOKRATIE GESCHICHTE, ENTWICKLUNGEN

    UND PERSPEKTIVENFR DIE BUNDESREPUBLIK

    Grard Bkenkamp

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    Inhalt

    Vollendung der Demokratie oder Tyrannei der Mehrheit? 5

    Historische Entwicklung in der Neuzeit 6

    Das Weimarer Trauma und die direkte Demokratie 8

    Direkte Demokratie in der Bundesrepublik in Lndern und Kommunen 10

    Bundeslnder: Spektakulre Flle von Volksentscheiden in denletzten Jahren 12

    Direkte Demokratie und die EU 15

    Die stabilisierenden und bremsenden Wirkungendirektdemokratischer Verfahren 16

    Finanzen und Fderalismus Direkte Demokratie undinstitutionelle Kongruenz 19

    Vorschlge zur Einfhrung direktdemokratischer Elementeauf Bundesebene 21

    Literatur 24

    Publikationen Online 24

    ber den Autor 24

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    Vollendung der Demokratie oder Tyrannei der Mehrheit?

    Die Parteien und andere Groorganisationen verlieren an Bindekraft, klas-

    sische Milieus lsen sich auf. Damit vergrert sich der Kommunikationsgrabenzwischen Politik und Brgern und es wird fr die politisch Verantwortlichenschwieriger, die Themen zu identifizieren, die den Brgern auf den Ngelnbrennen. Es ist fr das Fortkommen des einzelnen Abgeordneten in vielen Si-tuationen wichtiger, auf die Meinung seiner Fraktionsfhrung zu hren, alsauf die Meinung der Brger. Diese Entwicklung, die mit einer zunehmendenEntfremdung zwischen Regierenden und Regierten einhergeht, ist sicher eingewichtiger Grund, warum die Diskussion ber direktdemokratische Beteili-gungsmglichkeiten wieder auf der Tagesordnung steht. Ein weiterer Grund istdas neue Fnf-Parteiensystem, das schon heute in vielen Bundeslndern Koa-litionen alten Zuschnitts nicht mehr zulsst. Fragile Dreierkoalitionen tretenin vielen Bundeslndern und mglicherweise auch im Bund an ihre Stelle. DasEingehen solcher Koalitionen ist zwar aus pragmatischen Grnden notwendig,aber diese Bndnisse sind kaum noch in der Lage, eine groe Begeisterung ander Basis der Parteien und bei den Brgern auszulsen. Koalitionen hren da-mit auf, politische Projekte zu sein. Vielmehr nehmen sie noch strker denCharakter von Zwangsgemeinschaften an, die fr eine Legislaturperiode ge-

    schlossen werden.

    Dies mag auch dem beschriebenen Trend der Zeit entsprechen, der in die Rich-tung der Lsung traditioneller ideologischer Bindungen geht. Das ist nichtnur negativ zu sehen, wird aber das Gefhl bei den Brgern, sich persnlichdurch die Politik reprsentiert zu fhlen, auch nicht gerade verstrken. Di-rektdemokratische Elemente knnen einen Beitrag dazu leisten, die rationaleIgnoranz, also das Desinteresse vieler Brger, das aus dem Gefhl heraus

    entsteht, ohnehin nichts bewirken zu knnen, zurckzudrngen. Dabei kannes nicht darum gehen, eine oft konstatierte Allmacht der Parteien durch eineTyrannei der Mehrheit zu ersetzen. Denn auch Mehrheitsmeinungen knnenfragwrdig sein und legitime Rechte bedrohen. Wie der Schweizer LiberaleRobert Nef feststellt: Je mehr Lebensfragen via Politik gelst werden sollen,desto fragwrdiger wird das Mehrheitsprinzip. Eine lebendige und freie Ge-meinschaft beruht auf dem friedlichen Wettbewerb in Vielfalt und nicht aufdem durch das Mehrheitsprinzip legitimierten Zwang. Staatlicher Zwang, undvor allem der Zwang zum Guten, oder zu dem, was eine Mehrheit fr gut hlt,

    macht Vielfalt zur Einfalt und hat insgesamt eine auch fr die Gemeinschaftdestruktive Wirkung. Diese Kritik am Mehrheitsprinzip ist allerdings nicht alsgrundstzliche Ablehnung direktdemokratischer Institutionen zu betrachten:

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    Demokratie bleibt nur als beschrnkte Demokratie problemlsungsfhig unddas gilt sowohl fr die direkte als auch fr die indirekte Demokratie. Die in-direkte Demokratie ist, was die berbewertung der Politik anbelangt sogarnoch gefhrlicher, weil sich dort die professionellen und halbprofessionellen

    Politiker tummeln, die sich fr den Nabel der Welt halten, und suggerieren,sie knnten weltweit alle Probleme durch mehr Politik, mehr Machtausbungund mehr Besteuerung lsen.1

    Es geht bei direkter Demokratie also nicht darum, die Entscheidung der Mehr-heit absolut zu setzen. Vielmehr geht es um ein neues Gleichgewicht, d. h.auch um die Begrenzung der Macht der Parteien. Es soll die Mglichkeit poli-tischer Partizipation ber die Bundes- und Landtagswahlen hinaus geschaffenwerden. Fr immer mehr Brger steht die Parteibindung nicht mehr im Vor-dergrund, sondern die Entscheidung ber konkrete Themen. Wer einer Parteiseine Stimme gibt, whlt damit das ganze programmatische Tableau, obwohlder Einzelne vielleicht in einigen zentralen Fragen mit der Partei bereinstimmt,aber in anderen Themenfeldern eine andere Meinung vertreten wrde. DirekteDemokratie ermglicht es, Einzelthemen zur Abstimmung zu stellen, dadurchkommen diese in den Fokus der Debatte. Es geht dabei nicht um die Aushebe-lung oder gar Abschaffung der reprsentativen Demokratie, sondern um ihredirektdemokratische Ergnzung. Mit den Worten des Politikwissenschaftlers

    Theo Schiller gesagt: Wie alle demokratische Volkssouvernitt unterliegtauch die Ausbung direktdemokratischer Gesetzgebung den Schranken, diemehrheitsdemokratischen Entscheidungen durch die Garantie von Individual-rechten der Freiheit und Gleichheit und durch den Schutz von Minderheitengezogen sind.2

    Historische Entwicklung in der Neuzeit

    Historische Vorreiter der direkten Demokratie in der frhen Neuzeit waren Fran-kreich, die Vereinigten Staaten von Amerika und die Schweiz. Die Verfassung derJakobiner in Frankreich aus dem Jahr 1793 wurde durch ein Verfassungsrefe-rendum abgesegnet und sah eine Reihe direktdemokratischer Institutionen vor,die aber so wie vorgesehen nie angewandt wurden. Plebiszite ebneten jedoch

    1 Robert Nef. Begrenzung der Demokratie durch Begrenzung der Politik, verffentlicht auf demBlog des Liberalen Instituts: http://liberalesinstitut.wordpress.com/2010/01/18/begrenzung-der-demokratie-durch-begrenzung-der-politik/

    2 Theo Schiller, Direkte Demokratie. Eine Einfhrung, Frankfurt a. M. 2002, S. 30.

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    den Weg Napoleons zur Macht durch die Abstimmung ber die Direktorialver-fassung und die Konsularverfassung. Jahrzehnte spter griff Napoleons NeffeLouis Napoleon auf dieses Legitimationsinstrument zurck. Auch Charles deGaulle folgte dieser Tradition in der zweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts, um

    die von ihm geschaffene neue Verfassungsordnung zu legitimieren. 1962 seg-nete ein Plebiszit die von ihm angestrebte Direktwahl des Prsidenten ab. 1969scheiterte er jedoch mit seinem Ansinnen, sich erneut die Untersttzung durchein Plebiszit zu verschaffen. Sowohl Prsident Pompidou als auch PrsidentMitterand lieen ihre Europapolitik durch Referenden absegnen, im ersten Falldie Erweiterung der EWG und im zweiten Fall den Maastrichtvertrag. In Ame-rika hatten einige Staaten schon vor dem Inkrafttreten der Bundesverfassung1787 auf das Mittel des Verfassungsreferendums zurckgegriffen.

    Mit der direkten Demokratie wird heute in der Regel die Schweiz assoziiert.Die meisten Abstimmungen mit der grten Zahl an Stimmberechtigten findenallerdings in den Vereinigten Staaten statt. Auf der Bundesebene gibt es dortkeine direktdemokratischen Elemente, aber in 27 Bundesstaaten, in der Mehrheitder grten Stdte des Landes und in den meisten Gemeinden, Bezirken undDistrikten. In fast allen Bundesstaaten wurden Verfassungsreferenden obliga-torisch.3 In der Schweiz wurde das obligatorische Verfassungsreferendum inden meisten Kantonen in den 1830er Jahren eingefhrt. Auch die neue Bun-

    desverfassung von 1848 sah das obligatorische Verfassungsreferendum unddie Mglichkeit der Totalrevision durch Volksinitiative vor.

    In den brigen europischen Staaten konnte sich die Idee einer direktdemokra-tischen Verfassungslegitimierung kaum durchsetzen. Auerhalb Europas fhrte

    jedoch Australien 1901 das obligatorische Verfassungsreferendum ein und inEuropa schlielich Dnemark im Jahr 1905. Erst nach dem Ersten Weltkrieggab es einen weiteren Schub hin zu direktdemokratischen Verfahren in Europa.

    sterreich legte 1929 ein obligatorisches Verfassungsreferendum fest. In Irlandwurde die Verfassung von 1937 durch Volksabstimmung legitimiert. Nach demzweiten Weltkrieg wurde in Frankreich die Verfassung der IV. Republik durchReferendum angenommen und in Italien 1946 die Monarchie durch Plebiszitaufgehoben. In Deutschland wurde die Wiedereinfhrung der Demokratie ineinigen Lndern, in Wrttemberg-Baden, Bayern, Hessen, Wrttemberg-Ho-henzollern, Rheinland-Pfalz, Baden und Bremen und Nordrhein-Westfalen perReferendum untersttzt. Das Grundgesetz von 1949 verzichtete hingegen auf

    3 Sivano Moeckli: Direkte Demokratie in den Gliedstaaten der USA, in: Direkte Demokratie.Bestandsaufnahme und Wirkungen im internationalen Vergleich, hrsg. von M. Freitag, U.Wagschal, Berlin 2007, S. 19 ff.

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    direktdemokratische Elemente. Dies wird oft auf die Erfahrungen des Scheiternsder Weimarer Republik zurckgefhrt. Die Weimarer Verhltnisse werden im-mer wieder herangezogen, um die negativen Auswirkungen direkter Demokra-tie hervorzuheben. Eine Argumentation, die so jedoch kaum der historischen

    berprfung standhlt.4

    Das Weimarer Trauma und die direkte Demokratie

    Theo Schiller fasst treffend zusammen: In jeder Diskussion ber direkte Demo-kratie in Deutschland wird stereotyp auf angeblich negative Weimarer Erfah-rungen verwiesen. Mit Weimar wird regelmig erklrt, warum das Grundge-setz fr die Bundesebene keine direktdemokratischen Verfahren aufgenommenhat, und lange Zeit wurde mit dem historischen Verweis auch vor der Einfhrungsolcher Volksrechte fr die Zukunft gewarnt. Die historische Forschung hat je-doch inzwischen so viel Aufklrungsarbeit geleistet, dass diese Argumentationnicht mehr aufrechtzuerhalten ist.5 Es liee sich nicht nachweisen, dass dieVolksabstimmungen in der Weimarer Republik zu ihrem Scheitern beigetragenhtten. Es sei auch nicht belegbar, dass sich der Parlamentarische Rat bei sei-

    nem Verzicht auf die Aufnahme plebiszitrer Elemente im Grundgesetz durchdie Weimarer Erfahrung leiten lie. Die Position des Parlamentarischen Rateszur direkten Demokratie erklre sich vielmehr aus den besonderen Bedingungender heraufziehenden Ost-West-Auseinandersetzung.

    Die direktdemokratische Beteiligung wurde auch deshalb in die WeimarerReichsverfassung von 1919 aufgenommen, um dem im Folge der Revolutionvon 1918/19 weitverbreiteten Rtegedanken, der mit einer radikaldemokra-

    tischen Rhetorik gerechtfertigt wurde, entgegenzuwirken. Als Ergebnis vonKompromissen wurden eine Reihe direktdemokratischer und plebiszitrer Ver-fahren in der Weimarer Verfassung verankert, aber nur das Volksbegehren undder folgende Volksentscheid waren in der Praxis von Bedeutung. Die anderen

    Verfahren spielten in der Praxis auf nationaler Ebene kaum eine Rolle. Von 33erwogenen und angekndigten Volksbegehren erreichten nur 13 die Zulassungnach der Sammlung von 5.000 Unterschriften und nur drei Volksentscheide

    4 Schiller, Direkte Demokratie, S. 21 f.5 Ders., S. 73.

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    nahmen die Hrde von zehn Prozent der Stimmberechtigten und davon wurdennur zwei schlielich tatschlich zur Abstimmung vorgelegt.6

    Das waren der Volksentscheid ber die Frstenenteignung im Jahr 1926 und

    der Volksentscheid ber den Young-Plan. Die Frstenenteignung wurde vonSPD und KPD untersttzt, scheiterte aber daran, dass nur 36,3 Prozent allerStimmberechtigten sich an der Abstimmung beteiligten. Das notwendige Be-teiligungsquorum lag aber bei 50 Prozent. Dass der Volksentscheid ber den

    Young-Plan, der ebenfalls scheiterte, eine Bhne fr aggressive antirepubli-kanische Propaganda bot, ist zwar zutreffend, dies galt aber fr jede Land-tags- und Reichstagswahl der damaligen Zeit. Bemerkenswert ist, dass trotzdieser Agitation die Parteien der nationalen Opposition aus DNVP, kleinerenrechtsradikalen Gruppierungen und NSDAP bei diesem Volksentscheid nur 85Prozent ihres Whlerpotenzials von 1928 ausschpfen konnten.7

    Auch Kost betont, dass die Weimarer Republik nicht durch Plebiszite und Re-ferenden untergegangen ist, sondern dass neben antidemokratischen Hal-tungen in der Gesellschaft, institutionellen Schwchen des politischen Systems,wirtschaftlichen Problemen und einer Reihe anderer Ursachen die Nazis amEnde durch Parlamentswahlen an die Macht kamen.8

    Dass die Zeitgenossen in den Volksentscheiden wohl keinen Hauptgrund frdas Scheitern der Weimarer Verfassung erblickten, zeigt der Umstand, dass inden ersten Landesverfassungen vor der Grndung der Bundesrepublik direkt-demokratische und plebiszitre Elemente Aufnahme fanden, die sich an demWeimarer Vorbild orientierten. In den Protokollen des Parlamentarischen Ratesfinden sich keine ausfhrlichen Errterungen der Weimarer Erfahrungen. Eswaren wohl vielmehr die Umstnde des Kalten Krieges, die die Verfassungs-vter von der Einfhrung direktdemokratischer Elemente Abstand nehmen

    lieen. (Die obligatorische Volksabstimmung ber die Neugliederungen derBundeslnder ist die Ausnahme). Man befrchtete den Versuch der Einfluss-nahme durch das SED-Regime, etwa durch die Volksbegehrenskampagne Frdie Einheit Deutschlands.9 Theo Schiller zieht daraus den Schluss, dass diedamaligen Motive der Abstinenz historisch berholt sind. Aber auch das Wei-marer Trauma, das schon bei der Entstehung des Grundgesetzes eine allenfallsnachrangige Rolle spielte, ist mit Recht verblasst.10

    6 Ders., S. 76.

    7 Ders. , S. 76 ff.8 Kost, Direkte Demokratie, Wiesbaden 2008, S. 21.9 Schiller, Direkte Demokratie, S. 80.10 Ebd.

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    Direkte Demokratie in der Bundesrepublikin Lndern und Kommunen

    Im Gegensatz zum Grundgesetz wurden in den meisten Landesverfassungendirektdemokratische Verfahren eingefhrt. Zu diesen Instrumenten gehrt die

    Volksinitiative bzw. der Brgerantrag, durch deren Verankerung das Petitions-recht der Brger eine Erweiterung fand. Durch die Volksinitiative entsteht keinHandlungszwang fr den Landtag, dieser muss sich allerdings mit bestimmtenpolitischen Gegenstnden befassen und Vertreter der Initiativen erhalten einRecht auf Anhrung im Landesparlament. Die Initiative muss sich mit Lan-desthemen befassen und ein gewisses Quorum von Stimmberechtigten ausden Lndern umfassen. In Berlin liegt das notwendige Unterschriftenquorumbei 3,7 Prozent der stimmberechtigten Brger, in Nordrhein-Westfalen hinge-gen bei 0,5 Prozent.11

    Weiter als die Volksinitiative geht das Volksbegehren. Der thematische Gegen-stand des Volksbegehrens ist ein frmliches Gesetz, das in den Verantwortungs-bereich des jeweiligen Bundeslandes fllt und das erlassen, gendert oder auf-gehoben werden soll. In den meisten Bundeslndern sind Volksbegehren ber

    Finanzfragen und Staatsvertrge nicht zulssig. Ein Volksbegehren bentigtdie Untersttzung durch Unterschriften von 4 Prozent der Stimmbevlkerungin Brandenburg bis hin zu 20 Prozent in Hessen und im Saarland. Wenn derLandtag dem Volksbegehren nicht zustimmt, dann wird ein Volksentscheidangesetzt. In diesem Fall tritt der Volksentscheid an die Stelle eines Landtags-beschlusses. Damit das Abstimmungsergebnis wirksam werden kann, mussdie Mehrheit einem bestimmten Prozentsatz der Stimmberechtigten entspre-chen, etwa in Nordrhein-Westfalen 15 Prozent und im Saarland 50 Prozent.

    In Deutschland fanden zwischen 1946 und 2005 52 Volksbegehren statt. Diemeisten direktdemokratischen Verfahren verzeichnete bis 2005 Bayern mit 16Volksbegehren und fnf Volksentscheiden.12

    Dass offensichtlich von den vorhandenen Mglichkeiten nur in begrenztemMae Gebrauch gemacht wurde, lsst sich auf die relativ hohen Hrden zurRealisierung zurckfhren. Die hohen Hrden und die Einschrnkung der The-men, ber die abgestimmt werden darf, sind charakteristisch fr die Bundesre-publik: Auf Lnder- und Kommunalebene finden sich im Grundprofil hnliche

    11 Kost: Direkte Demokratie, S. 57-60.12 Ders., S. 60-66

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    Muster, die sich von anderen Lndern wie der Schweiz, den Bundesstaatender USA oder auch von Italien erheblich unterscheiden. Im Unterschied zuDeutschland sind dort Haushalts- und Steuerthemen nicht ausgeschlossenund Untersttzungsquoren fr eine erfolgreiche Initiative in der Regel sehr

    viel niedriger.13

    Erst nach 1990 sind mit Ausnahme von Baden-Wrttemberg direktdemokratische Verfahren auf kommunaler Ebene eingefhrt worden.Inzwischen gab es bis zum Jahr 2005 auf kommunaler Ebene 3.647 Brger-begehren und 1.767 Brgerentscheide, die aus Brgerbegehren hervorgingen.Etwa die Hlfte aller auf kommunaler Ebene durchgefhrten Volksentscheidefand in Bayern statt.14

    berraschend ist, dass bis 1990 direktdemokratische Verfahren auf kommu-naler Ebene auer in Baden-Wrttemberg fehlten, da die kommunale Ebene inder Regel im Gegensatz zur nationalen Ebene als ideales Feld fr direktdemo-kratische Beteiligung beschrieben wird.15 Robert Nef vertritt den Standpunkt,direkte Demokratie funktioniere vor allem deshalb, weil in kleinen Einheitendie Brger, die eine Entscheidung treffen, auch direkt mit den Folgen derEntscheidung konfrontiert werden. Wenn man einen klaren Zusammenhangerkennen knne zwischen dem, was man selbst zahlt und dem, was man be-kommt, knne der Whler eine wirkliche Kosten/Nutzen-Abwgung vorneh-men. Wichtig sei dabei, dass nach Mglichkeit die Entscheider, die Zahler und

    die Profiteure einer Manahme weitgehend identisch sein sollten, was aufkommunaler Ebene eher der Fall sein wird als auf der nationalen. Viele ko-stenintensive politische Forderungen wrden von selbst verschwinden, wennfr die Brger erkennbar wre, welcher Teil ihres eigenen Einkommens dafraufgewendet werden msste. Zugleich schtze die Verankerung der direktenDemokratie auf kommunaler Ebene vor der Ausbeutung einer Minderheit durchdie Mehrheit der Whler. Dadurch, dass man seinen Wohnsitz dorthin verle-gen kann, wo einem das Verhltnis von Steuerbelastung zu den angebotenen

    ffentlichen Leistungen am besten erscheint, entstehe Wettbewerb zwischenden Kommunen um die beste Lsung. Der Unart, dass man einem kleinen Teilder Brger die Kosten fr die beschlossenen Gemeinschaftsaufgaben aufbr-det, wrden Grenzen gesetzt.16

    13 Theo Schiller, Direkte Demokratie auf Bundeslnder- und Kommunalebene, in: DirekteDemokratie. Bestandsaufnahme und Wirkungen, S. 118.

    14 Ders., S. 128.15 Ders., S. 120 f.16 Robert Nef, Gemeindeautonomie, direkte Demokratie und Steuerwettbewerb in der Schweiz,

    Liberales Institut 2009.

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    Bundeslnder: Spektakulre Flle vonVolksentscheiden in den letzten Jahren

    In den letzten Jahren seit 2005 waren die Bundeslnder Schauplatz zum Teilspektakulrer Auseinandersetzungen im Vorfeld direktdemokratischer Ent-scheidungen. Die Bundeshauptstadt etwa war die Bhne fr zwei Initiativen,die in zwei von brgerlicher Seite angestoenen Volksentscheiden mndeten.Beide Volksentscheide gingen verloren: Die Abstimmung zum Erhalt des Flug-hafens Tempelhof17 und der Versuch der Initiative Pro Reli, Religionsunter-richt gleichberechtigt neben dem Ethikunterricht als Angebot an den BerlinerSchulen durchzusetzen. In beiden Fllen verfehlte die Zahl der Ja-Stimmen dasnotwendige Quorum von einem Viertel der Stimmberechtigten. Im Falle derAbstimmung ber die Initiative Pro Reli verfehlte diese sogar die Mehrheitder abgegebenen Stimmen.18 Besonders bei der ersten Abstimmung handeltees sich auch um den Versuch, ein Zeichen gegen den rot-roten Senat von Ber-lin zu setzen. Beide Volksabstimmungen waren mit einer starken Emotionali-sierung und auch politischen Polarisierung verbunden, ging es doch ber denkonkreten Anlass hinaus um weltanschauliche Fragen. Im Falle der Abstimmungber den Flughafen Tempelhof schien das Fr und Wider auch die Deutung

    der Geschichte des Kalten Krieges und der Rolle West-Berlins als Bollwerk derFreiheit gegen den Kommunismus zu betreffen. Und bei der Abstimmung berPro Reli spielte die grundstzliche Haltung zum Verhltnis von Religion undStaat eine Rolle. Beide Volksabstimmungen hatten aber auch den Effekt, dassdie Auseinandersetzungen mit der Entscheidung ein jhes Ende fanden.

    Erfolgreich waren hingegen die Initiativen in Bayern zum Rauchverbot undin Hamburg gegen die Verlngerung der Grundschulzeit. Nach der Niederlage

    bei den Landtagswahlen in Bayern lockerten CSU und FDP das Rauchverbot.Daraufhin wurde aus Reihen der DP ein Volksbegehren Fr echten Nicht-raucherschutz in die Wege geleitet. 1,3 Millionen Brger unterschrieben denAntrag, was weit ber den erforderlichen 950.000 Unterschriften lag, sodassder Weg fr die Volksabstimmung frei war. Die Initiative wurde von SPD undGrnen untersttzt, wohingegen die CSU sich nach ihren negativen Erfahrungenim bayerischen Landtagswahlkampf neutral verhielt.19 Bei den Wahlen warenschlielich 9,4 Millionen Wahlberechtigte aufgefordert, ber das Rauchverbot

    17 Tagesspiegel: http://www.tagesspiegel .de/pol itik/deutschland/volksentscheid-gescheitert/1221810.htm18 DER SPIEGEL: http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,621176,00.htm19 DER SPIEGEL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,704484,00.html

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    abzustimmen. Die Wahlbeteiligung betrug schlielich 37,7 Prozent. Bei derWahl stimmten 61 Prozent der Whler dafr, dass das Rauchen in Gaststtten,Kneipen und Bierzelten ausnahmslos verboten werden sollte.20

    Dieser Erfolg der Initiative lste eine Debatte ber mehr direkte Demokratie aus.Politiker aus den Reihen von SPD und Grnen traten fr mehr direkte Demokratieauf Bundesebene ein, darunter die SPD-Generalsekretrin Andrea Nahles undder Fraktionschef der Grnen Jrgen Trittin. Die Grnen-Vorsitzende ClaudiaRoth forderte sogar eine Volksabstimmung ber die Laufzeitverlngerung vonAtomkraftwerken. Der Generalsekretr der SPD Baden-Wrttemberg wollte diePKW-Maut und die Wehrpflicht zur Wahl stellen und der CSU-GeneralsekretrFragen der EU-Erweiterung.21 Grundstzlich wollte also fast jeder der Befr-worter von Volksentscheiden die Themen zur Wahl stellen, bei denen er sicheine Mehrheit bei den Brgern erhoffen konnte. Diese Interessengebundenheitin der Debatte um die direkte Demokratie zeigte sich auch in der Diskussion,die auf die zweite wichtige direktdemokratische Abstimmung im Jahr 2010folgen sollte.

    Seit Dezember 2008 sind Volksentscheide in Hamburg verbindlich. Sollen ihreErgebnisse korrigiert werden, so muss eine neue Volksabstimmung angesetztwerden. Die Initiative Wir wollen lernen nutzte diese Chance zu direkter De-

    mokratie, um einen Teil der vom schwarz-grnen Senat angesetzten Schulreformzum Scheitern zu bringen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentiertedie Findung und Organisation dieser spontanen basisdemokratischen Bewegungso: Was der Initiative dabei gelang, ntigt Respekt ab. () Die Initiative bekamgenug Geld gesammelt. Sie fand fr ihre Bewegung einen griffigen, eingn-gigen Namen. Und sie schaffte es, dass in Hamburg selbst in den Kneipen aufeinmal ber Schulpolitik diskutiert wurde.22

    Im November 2009 legte die Initiative 184.500 Unterschriften vor. Die erfor-derliche Mindestzahl lag nur bei 61.834 Stimmen. Fr die Beibehaltung dervierjhrigen Grundschule, fr die sich die Initiative Wir wollen lernen einge-setzt hatte, stimmten 276.304 Brger. Nur 218.065 von insgesamt 1,3 Millio-nen Brgern, die zum Volksentscheid aufgefordert worden waren, stimmten frdas Modell der sechsjhrigen Primarschule, hinter das sich alle im Parlament

    20 DER SPIEGEL: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,704631,00.html21 Focus: http://www.focus.de/politik/weitere-meldungen/volksentscheid-ein-ruf-nach-

    direkter-demokratie_aid_532539.html22 Frankfurter Allgemeine Zeitung: http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534-F010EE1/Doc~E957BCEA7C5FA4682B75DDD1139354D6A~ATpl~Ecommon~Scontent.html

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    vertretenen Parteien gestellt hatten. Die folgende Debatte lie deutlich denUmstand zu Tage treten, dass direkte Demokratie in der Regel dann besonderslautstark gefordert wird, wenn ihre Protagonisten glauben, ihre politischenAnliegen auf diese Weise durchsetzen zu knnen. Denn wenn sich die Brger

    gegen die Absicht der politischen Protagonisten entscheiden, kommen bei denpolitischen Entscheidungstrgern Zweifel ber die Richtigkeit der Forderungnach direkter Demokratie auf. Gerade auf der linken Seite des politischen Spek-trums war man ber die Hamburger Wahlentscheidung enttuscht. Hatten sichdoch auch die Grnen immer wieder fr Basisdemokratie ausgesprochen undnun wurde das Lieblingsprojekt der ko-Partei in Hamburg per Volksentscheidgestoppt. Gegenber dem Deutschlandradio uerte der Grnen-VorsitzendeCem zdemir Zweifel an dem Sinn der direkten Demokratie. Das Manko derdirekten Demokratie sei, dass gerade diejenigen, die ber mehr Geld und damitber einen besseren Medienzugang verfgten, deshalb die direkte Demokra-tie besser nutzen knnten als andere, um ihre Interessen effektiv durchzuset-zen.23 Eine solche Argumentation wre grundstzlich dazu angetan, nicht nurdirekte, sondern auch die indirekte Demokratie in Frage zu stellen, denn ohneZweifel haben Menschen mit grerem Engagement, die von ihrem WahlrechtGebrauch machen, einen greren Einfluss auf das Wahlergebnis als diejeni-gen, die Politik mit Desinteresse verfolgen und deshalb von ihrem Recht zuwhlen keinen Gebrauch machen wollen. Die linke Tageszeitung taz stellt zu

    dieser Debatte im Lager der Grnen, die aber fr andere Teile des politischenSpektrums reprsentativ ist, treffend fest: Ob einem gefllt, was Politiker soentscheiden, hngt vom jeweiligen Standpunkt ab. Wenn etwa, wie jetzt inHamburg, selbst die CDU gegen die Mehrheit der Bevlkerung eine progres-sive Bildungspolitik vertritt, mag man das begren und ber das blde Volksthnen. Wenn hingegen selbst die Grnen gegen die Mehrheit der Bevlke-rung Bundeswehreinstze mittragen, mag man das kritisch sehen und sicheinen Volksentscheid wnschen. Wer aber die Form der Demokratie von ihrem

    Ergebnis abhngig macht, hat ihren Sinn nicht verstanden.24

    Wie diese Volksentscheide auf Landesebene in jngster Zeit zeigen, hngt derEnthusiasmus fr das Instrumentarium der direkten Demokratie stark von derstrategischen Einschtzung ab, ob diese die eigene politische Ausgangslage ver-bessert oder verschlechtert. Erfolge fr die eigene Agenda bei Volksentscheidengehen in der Regel mit einer positiveren Bewertung der direkten Demokratieeinher. Niederlagen hingegen nhren die Skepsis. Diese Erwgungen im Ent-

    23 Deutschlandradio: http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1227604/24 Tageszeitung (taz): http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/demokratie-ist-kein-

    wunschkonzert/

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    scheidungsprozess fr mehr direkte Demokratie werden sich nie ganz ausblen-den lassen, grundstzlich sollte die Entscheidung darber aber nicht von Ein-zelfllen abhngig sein, sondern davon, ob man dem Instrument grundstzlichpositive Wirkungen fr die Brger, die Demokratie und das Land zuspricht.

    Direkte Demokratie und die EU

    Eine solche Ablehnung der direkten Demokratie aufgrund der Annahme, mitseinen politischen Anliegen bei einer direkten Abstimmung zu unterliegen,spielt auch bei dem Verzicht auf Referenden im Zusammenhang mit der Eu-ropischen Union eine Rolle. Schon die Einfhrung des Euro wurde von derMehrheit der deutschen Bevlkerung mit Skepsis aufgenommen und auch inanderen Fragen mssten die Protagonisten einer strkeren Integration wohlsehr viel berzeugungsarbeit leisten, um sich in einer direkten Abstimmungder Bevlkerung durchzusetzen. Gerade in diesem Zusammenhang wird jedochdeutlich, dass die Vermeidung direktdemokratischer Abstimmungen auf eineDistanz zwischen den Regierungen und den Brgern hindeuten kann. Je ln-ger und konsequenter die direkte demokratische Beteiligung verweigert wird,

    umso grer wird dieser Graben, der offenbar auch bewusst in Kauf genommenwird, um die angestrebten politischen Ziele zu erreichen: Da die Prferenzender staatlichen Entscheidungstrger in einigen Politikfeldern offensichtlich inder Europapolitik sogar nachweislich von den Wnschen der Brger abwei-chen, spricht viel dafr, in diesen Bereichen und nur dort Volksbegehrenund Volksentscheide zuzulassen, schreibt Roland Vaubel in einem Beitrag frdie sozialwissenschaftliche Schriftenreihe des Internationalen Instituts fr Li-berale Politik in Wien. Vaubel verweist auf das Principal-Agent-Problem: der

    beauftragte Agent tut nicht, was sein Auftraggeber will. Diese unterschiedlichenPrferenzen der Politik und der Brger spiegeln sich in den Ergebnissen ver-schiedener Meinungsumfragen wider. Auf die Frage, ob Entscheidungen lieberauf regionaler, nationaler oder europischer Ebene getroffen werden sollten,sprachen sich 54 Prozent der EU-Parlamentarier fr die europische Ebeneaus, aber nur 42 Prozent der Brger. Nicht nur Europapolitiker, sondern auchdie nationalen Parlamentarier neigen eher zur Zentralisierung als die Brger.Die im brigen Europa durchgefhrten Referenden zeigen die Kluft zwischender scheinbaren Europabegeisterung der politischen Eliten und der greren

    Europaskepsis der Brger. Bei den zustimmenden Referenden waren in 10 von11 Fllen die Anteile der Ja-Stimmen geringer als bei den Abgeordneten. Beiden ablehnenden Referenden war die Parlamentsmehrheit in 10 von 11 Fllen

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    anders als die Brger fr die Annahme der abgelehnten Entscheidung. Etwa21 Prozent der befragten Brger befrworteten den Beitritt der Trkei zurEuropischen Union, aber 44 Prozent der Kommissionsbeamten und EU-Par-lamentarier. Da die politische Haltung der politischen Vertreter offenbar weit

    von der Meinung der von ihnen vertretenen Brger abweicht, fordert VaubelVolksentscheide, um diese Kluft abzubauen.25

    Die stabilisierenden und bremsenden Wirkungendirektdemokratischer Verfahren

    Polarisierende Entscheidungen der Brger erfahren eine grere Aufmerksam-keit als Abstimmungen ber Finanzfragen. So hat etwa das durch die Volksab-stimmung beschlossene Minarettverbot in der Schweiz ber die Landesgrenzenhinweg fr Irritationen gesorgt und die Angst vor der direkten Demokratie alsAnkerpunkt fr Populismus aller Art in den Vordergrund treten lassen. Dabeiwurde oft bersehen, dass die bergroe Mehrheit der Volksabstimmungenin der Schweiz eher von konservativem Stabilittsdenken als von radikalem

    Protestverhalten gerade auch in fiskalpolitischen Fragen geprgt ist. Nur eineMinderheit von Entscheidungen hat einen grundstzlich weltanschaulichenCharakter wie im Falle des Minarettverbotes. Bei der Mehrheit der Abstim-mungen in der Schweiz geht es um den Common Sense und nicht um Kul-turkmpfe. Andreas Kost kommentiert dieses Abstimmungsverhalten wie folgt:Gerade in Haushaltsfragen und bei Ausgaben mit steuerlicher Relevanz, wo inden meisten deutschen Lndern die Brgerinnen und Brger auen vor blei-ben, wird das Volk in der Schweiz einbezogen. Die empirischen Befunde dort

    zeigen, dass die Brgerschaft viel zurckhaltender bei der Ausgabenpolitik istals das Reprsentativorgan und das direkte Stimmrecht in Finanzfragen einepositive Wirkung entfaltet. So konnte festgestellt werden, dass Steuern in denSchweizer Kantonen, in denen Brgerinnen und Brger weitgehend ber dasBudget mitentscheiden, in geringerem Ausma hinterzogen wurden.26

    Die Studie von Julia Moser und Herbert Obinger Schlaraffenland auf Erden?Auswirkungen von Volksentscheiden auf die Sozialpolitik kommt zu dem

    25 Roland Vaubel: Nie sollst Du mich befragen? Weshalb Referenden in bestimmten Politik-bereichen auch in der Europapolitik mglich sein sollten, in: SozialwissenschaftlicheSchriftenreihe, Heft 33.

    26 Kost: Direkte Demokratie, S. 91.

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    Ergebnis: Die Erfahrungen der Schweiz lehren, dass die direkte Demokratieentgegen den Hoffnungen fhrender Reprsentanten der schweizerischenArbeiterbewegung kein effektives Instrument zum raschen Ausbau des Wohl-fahrtsstaates darstellte. Die Hauptwirkung von sozialpolitischen Volksentschei-

    dungen war vielmehr eine Besttigung des Status-quo. Seit 1977 waren 20sozialpolitische Volksinitiativen gescheitert. Zentral fr die Ablehnung dieserInitiativen war in den meisten Fllen die Kostenfrage. Bei Dreiviertel der ab-lehnenden Entscheidungen wurden die Kosten von den Stimmbrgern als zuhoch eingeschtzt.

    Diese Verzgerungswirkung der direkten Demokratie erklrt ein Stck weit denNachzglerstatus der Schweiz in Hinblick auf den Ausbau und den Umbau desWohlfahrtsstaates. Die direkte Demokratie habe in der Schweiz den Ausbau desWohlfahrtsstaates verzgert, behindere allerdings auch seinen Rckbau undweitreichende Konsolidierungsschritte. Die Schweizer Liberalitt sei also einStck weit lediglich auf einen Verzgerungseffekt zurckzufhren. Dieser Ver-zgerungseffekt habe die wohlfahrtsstaatliche Expansion verlangsamt und dieSchweizer Sozialausgaben fr lange Zeit im internationalen Vergleich niedriggehalten. In den letzten Jahren sei jedoch ein nachholender Ausgabenschubbei den Sozialausgaben erkennbar. Die positive Wirkung auf die Erhaltung desStatus-quo habe aber gerade in den letzten Jahren tendenziell eher der Linken

    genutzt, da Reformen und Krzungen im Wohlfahrtsstaat darauf hinauslaufen,den gewohnten Status-quo in Frage zu stellen.27

    Die eher konservative als revolutionre Wirkung der direktdemokratischen Ver-fahren zeigt sich auch an anderer Stelle. Michael Hermann und Heiri Leutholdhaben 94 Volksabstimmungen in der Schweiz mit den korrespondierenden Par-lamentsabstimmungen verglichen, um zu ermitteln, ob direktdemokratische Ver-fahren tatschlich zu einer strkeren gesellschaftlichen Polarisierung fhrten,

    wie oft unterstellt. Sie stellten fest, dass die gesellschaftliche Polarisierung, diebei Volksabstimmungen zum Ausdruck kommt, sich auch bei der parlamenta-rischen Entscheidungsfindung widerspiegelt: Der Vergleich korrespondierender

    Volks- und Parlamentsabstimmungen zeigt, dass dem so ist. Das heit, dasses nicht nur bei direktdemokratischen, sondern auch bei reprsentativen Ent-scheidungen zu gesellschaftlichen Polarisierungen kommt. Die Polarisierungzwischen den gesellschaftlichen Gegenstzen sei sogar im Parlament strkerausgeprgt als an der gesellschaftlichen Basis. Die Autoren fhren das auf den

    27 Julia Moser und Herbert Obinger: Schlaraffenland auf Erden? Auswirkungen von Volksent-scheiden auf die Sozialpolitik, in: Direkte Demokratie. Bestandsaufnahme und Wirkungen,S. 331-363.

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    Umstand zurck, dass in den verschiedenen Hochburgen jeweils die dominan-ten politischen Krfte sich bei den Wahlen durchsetzen knnten, wohingegenbei der direkten Demokratie sich auch die Minderheitenpositionen strker inden Meinungsbildungsprozess einbringen knnten. Der signifikanteste Unter-

    schied zwischen der Wahlbevlkerung und der Politik bestehe in ffnungs-und Modernisierungsfragen. Auch Hermann und Leuthold besttigen damitdie These vom Brems- und Verzgerungseffekt direktdemokratischer Verfahren:Die Direktdemokratie entwickelt damit eine bremsende Wirkung auf liberaleModernisierungsprojekte, die auf eine Dynamisierung, ffnung und Flexibili-sierung der Gesellschaft zielen.28

    Die direkte Demokratie bietet einer Regierung sogar die Mglichkeit, ber dieVolksabstimmung eine mgliche Polarisierung zu verhindern und die direkteKonfrontation mit ihrer eigenen politischen Basis oder der Mehrheitsmeinungin der Bevlkerung zu umgehen, indem sie die Verantwortung fr brisanteEntscheidungen an die Brger abtritt. So wurden etwa Volksentscheide zurAbtreibungsfrage mit der Ausnahme der gemischtkonfessionellen Schweizausschlielich in katholischen Lndern durchgefhrt. Die Hauptursache dafrliegt in dem Umstand, dass in katholischen Lndern eine Legalisierung der Ab-treibung fr die jeweilige Regierung ein erhebliches politisches Risiko darstellt,das durch die Anrufung der Brger begrenzt werden sollte. In der Regel setzte

    sich wie in Irland und Portugal der vorherrschende gesellschaftliche Status-quo durch.29 Volksabstimmungen geben der Regierung die Mglichkeit, sichbei umstrittenen Fragen des notwendigen Rckhalts zu versichern und den

    Vernderungen eine zustzliche Legitimitt zu verleihen. Es ist fr Kritiker ei-ner bestimmten Politik einfacher, die Regierung zu attackieren, als die bei ei-ner Volksabstimmung zusammengekommene Mehrheit. Andreas Kost stellt zudiesem Punkt fest: Unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten knnendirektdemokratische Instrumente wie Brgerbegehren und Brgerentscheid

    als Korrektiv das politische System aber entlasten, um die vor berzogenenErwartungen nicht selten als berhhter Mastab geltende reprsentative De-mokratie differenzierter zu beurteilen und konsensuale Entscheidungsprozesseleichter herbeizufhren. Input- als auch Output-Seite des politischen Systemswrden damit ein Mehr an politischer Legitimation erfahren.30

    28 Michael Hermann, Heiri Leuthold: Zwischen Konsens und Polarisierung Volksabstimmungenund Parlamentsentscheide im direkten Vergleich, in: Direkte Demokratie, Bestandsaufnahmeund Wirkungen, S. 277-302.

    29 Edith Gindulis, Herbert Obinger: Direktdemokratie und individuelle Rechte: Das BeispielSchwangerschaftsabbruch, in: Direkte Demokratie. Bestandsaufnahme und Wirkungen,S. 447-470.

    30 Kost, Direkte Demokratie, S. 88.

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    Finanzen und Fderalismus - DirekteDemokratie und institutionelle Kongruenz

    Es gibt Hinweise darauf, dass die direkte Demokratie im Bereich von Steuernund Finanzen auf kommunaler und Landesebene zu einer sparsameren Haus-haltsfhrung beitragen kann. Fr die direktdemokratischen Abstimmungenin den Gliedstaaten der USA stellt Silvano Moeckli fest: Je niedriger die Hr-de bei den beizubringenden Unterschriften ist, desto niedriger sind auch dieStaatsausgaben und -einnahmen. Die Initiative scheint ber die Zeit gesehenaber nicht immer die gleichen Wirkungen zu haben. Zwischen 1902 und 1942generierte die Initiative eher hhere Ausgaben. Seit 1972 fhrte sie zu einereher konservativen Fiskalpolitik.31 Andere Untersuchungen kommen zu demErgebnis, dass direktdemokratische Verfahren im Vergleich zu reprsentativen

    Verfahren in Budgetfragen besser abschneiden. Die Whler achteten strkerauf Haushaltsdisziplin als die reprsentativ gewhlten Politiker. Das schlieenPoterba und von Hagen aus dem Vergleich zwischen Gemeinden mit direktenund reprsentativen Verfahren.32 Sie fassen ihre Ergebnisse wie folgt zusam-men: Wenn nach den relativen Vorteilen des Bottom up-Prozesses und desTop down-Prozesses gefragt wird, dann ist die Aussage unserer empirischen

    Analyse klar: Der Bottom-up-Prozess, der direktdemokratische Elemente um-fasst, scheint fr die Reduktion der ffentlichen Schulden vielversprechenderzu sein als der Top down-Prozess.33

    Die Einfhrung direkter Demokratie im Bereich der Finanzen und Steuern setztaber einen Umstand voraus, der in der Bundesrepublik derzeit noch nicht ge-geben ist: die Finanzautonomie der Gebietskrperschaften. Problematisch istdirekte Demokratie immer dann, wenn Brger ber die Verwendung frem-

    der Mittel abstimmen, da der Anreiz, Ausgaben zu erhhen ohne die Kostenselbst mittragen zu mssen, sehr gro ist. Der Finanzausgleich zwischen denverschiedenen Gebietskrperschaften ist daher eine erhebliche Hrde fr dieAusweitung direktdemokratischer Entscheidungskompetenz in ausgabenwirk-samen Fragen. Solange Steuermittel zwischen den Bundeslndern ber denLnderfinanzausgleich umverteilt werden und Bund, Lnder und Gemeindennicht ohne Zustimmung und Einfluss anderer Gebietskrperschaften ihre Mit-tel erheben und ber diese verfgen knnen, lsst sich die direkte Beteiligung

    31 Moeckli, in: Direkte Demokratie. Bestandsaufnahme und Wirkungen, S. 37.32 James M. Poterba, Jrgen von Hagen: Fiscal Institutions and Fiscal Performance, Chicago1999., S. 173 ff.

    33 Dies, S. 175

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    der Brger einer einzelnen Gebietskrperschaft an der Entscheidung ber dieVerteilung der Ausgaben nur schwer legitimieren. Denn das Prinzip, dass dieProfiteure einer zustzlich beschlossenen Ausgabe mglichst auch mit den-

    jenigen identisch sein sollten, die die Lasten aufbringen mssen, lsst sich so

    kaum gewhrleisten. Es knnte dazu kommen, dass ein Land in einer direkt-demokratischen Entscheidung zustzliche Ausgaben beschliet, fr die die Mit-tel ber den Lnderfinanzausgleich von anderen Bundeslndern aufgebrachtwerden mssen. Entscheidend ist daher die Befolgung des Grundsatzes der in-stitutionellen Kongruenz. Unter institutioneller Kongruenz versteht man in derFinanzwissenschaft, dass sich der Kreis der Entscheidungstrger mit dem Kreisder Steuerzahler und der Nutznieer der Entscheidungen weitgehend deckt.Auf diese Weise wird das quivalenzprinzip aus Leistung und Gegenleistunggewhrleistet.34 Das bedeutet fr die Mglichkeit, fiskalpolitische Entschei-dungen ber Brgerentscheide direkt zur Wahl zu stellen, dass die Mittel, berderen Vergabe direktdemokratisch abgestimmt wird, auch weitgehend von denWahlberechtigten und den Nutznieern der Entscheidung aufgebracht werdenmssen. Unter institutioneller Inkongruenz versteht man hingegen, dass diedrei Gruppen Entscheidungstrger, Nutznieer und Steuerzahler ausein-anderfallen und deshalb starke Anreize fr Entscheidungen auf Kosten Drittergeschaffen werden.35 So, wie bereits erwhnt, im bundesrepublikanischen F-deralismus durch den Lnderfinanzausgleich.

    Direkte Demokratie muss daher in ein System institutioneller Kongruenz ein-gebettet werden und institutionelle Inkongruenz so weit wie mglich ver-meiden. Das heit, direktdemokratisch drfte man in einem Bundesland nichtber Einnahmen entscheiden, die etwa ber den Lnderfinanzausgleich ausden Steuermitteln anderer Bundeslnder zuflieen. Einem Land oder einer Ge-meinde mssten Eigenmittel zugeordnet werden, die von den Steuerzahlern indiesem Bundesland bzw. von den in einer Gemeinde ansssigen Steuerzahlern

    aufgebracht werden. Dann knnten die Brger des Landes und der Gemeindedirektdemokratisch ber deren Einsatz entscheiden.

    Mehr direkte Demokratie auch in zentralen finanzpolitischen Fragen auf derLnder- und Gemeindeebene ist deshalb in der Bundesrepublik nicht unmg-lich, setzt aber eine grundlegende Reform der Finanzverfassung mit dem Zielder mglichst vollstndigen Steuerautonomie fr jede Gebietskrperschaftvoraus. Die Einfhrung direkter Demokratie im Bereich der Fiskalpolitik musseinhergehen mit einer Fderalismusreform, die die Finanzverfassung der Bun-

    34 Blankart, S. 606 ff.35 Blankart, S. 608.

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    desrepublik entflechtet und den einzelnen Gebietskrperschaften Eigenmittelzuweist, ber die sie frei verfgen knnen ohne auf den Lnderfinanzausgleichzurckzugreifen. Von diesem Zustand ist der Fderalismus der Bundesrepublikallerdings noch weit entfernt. Blankart stellt dazu fest: Es ist kaum bertrie-

    ben, wenn gesagt wird: Im heutigen Fderalismus bezahlt jeder fr jeden. DieFinanzbeziehungen unter Gebietskrperschaften gleichen einem gordischenKnoten.36 Eben dieser Gordische Knoten msste zerschlagen werden, um denWeg frei zu machen fr die direkte Beteiligung der Brger an der Festlegungvon Ausgaben und Einnahmen in den Lndern und Kommunen.

    Vorschlge zur Einfhrung direktdemokratischerElemente auf Bundesebene

    Kommen wir nun von der Ebene der Lnder und Gemeinden zur Bundesebe-ne. Die eingangs geschilderten Argumente fr eine strkere Partizipation derBevlkerung am politischen Entscheidungsprozess, die Entfremdung zwischenPolitik und Brgern, die strkere Orientierung an Themen statt an Parteien und

    das neue Fnf-Parteien-System sprechen dafr, zustzliche direktdemokratischeBeteiligungsmglichkeiten auf Bundesebene zu schaffen. Die oft in Deutschlandvorgetragenen Vorbehalte mit Hinweis auf die Weimarer Republik, dass Br-gerbeteiligung die politische Stabilitt gefhrde, lsst sich nicht belegen. Diedirekte Demokratie fhrt nicht zu revolutionren Vernderungen, sondern trgtdazu bei, den jeweils vorherrschenden Zustand zu konservieren und Vernde-rungen zu verzgern. Direkte Demokratie kann also sowohl Verschlechterungeneines zufriedenstellenden Zustandes verhindern als auch Verbesserungen eines

    unzulnglichen politischen Zustandes. Drastische Vernderungen und Brchemit dem Status-quo lassen sich mit einer stabilen Regierungsmehrheit eher indie Wege leiten als mit einem Volksentscheid. Kost bringt das auf den Punkt:Das Volk neigt eher dazu Reformvorhaben der Regierung zu stoppen, als selbsteines zu initiieren. So ist der direkten Demokratie durchaus ein konservativesStrukturelement zu eigen. Direktdemokratische Entwicklungen vollziehen sichin einem evolutionren Prozess, und es muss noch mehr politische Geduldaufgebracht werden als in einem rein reprsentativen System.37

    36 Blankart, S. 60637 Kost, Direkte Demokratie, S. 91.

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    Die Furcht vor dem systemsprengenden Charakter plebiszitrer Elemente aufBundesebene ist schon deshalb unbegrndet, da durch die Festlegung der

    Verfahren, der zulssigen Themen und der notwendigen Mindestzahl von Un-terschriften direktdemokratische Verfahren in die politische Ordnung einge-

    bettet sind. Eine direktdemokratische Mehrheit kann ebenso wenig wie eineparlamentarische Mehrheit sich ber das Grundgesetz hinwegsetzen. Die oftgeuerte Sorge, die Brger knnten per Volksentscheid mehrheitlich die Todes-strafe wieder einfhren, entpuppt sich als wenig stichhaltige Polemik. Wenigerdie Frage, ob eine direktdemokratische Brgerbeteiligung auf Bundesebene mitden Prinzipien unserer Demokratie vereinbar ist, steht deshalb zur Diskussi-on, sondern die Frage, welche Verfahren sich am besten mit der reprsenta-tiven Demokratie des Grundgesetzes und den Anforderungen an Effektivittund Handlungsfhigkeit vertragen. Drei Instrumente bieten sich an, die einestrkere direkte Beteiligung der Brger auf Bundesebene ermglichen, ohnedas reprsentative parlamentarische System auszuhebeln und eine politischeDauerblockade zu provozieren.

    das vom Parlament angesetzte Plebiszit

    der Brgerantrag

    das obligatorische Verfassungsreferendum

    Vom Parlament angesetztes Plebiszit: Einer der wichtigen Einwnde gegendirektdemokratische Instrumente ist die Sorge, durch die Abstimmung knntedie Handlungsfhigkeit der Regierung geschwcht und das reprsentative Mo-dell ausgehebelt werden. Die Opposition knnte das Regierungshandeln durchDauermobilisierung blockieren und damit den bereits vorhandenen Vetospie-lern weitere hinzufgen. Diese Einwnde fallen bei einem von der Parlaments-

    mehrheit beschlossenen Plebiszit weg. Wenn die Mehrheit der gewhlten Ab-geordneten beschliet, den Brgern die Entscheidungsgewalt ber bestimmteFragen zu bertragen, dann ist das keine Aushebelung des reprsentativenPrinzips, sondern eine andere Form von Wahrnehmung der parlamentarischen

    Verantwortung. Dieses Verfahren ermglicht es, der Entscheidung ber gesell-schaftlich stark umstrittene Fragen eine zustzliche Legitimitt zu verleihenund eine Polarisierung zwischen den politischen Entscheidungstrgern undden Brgern zu verhindern. In der Regel werden Mehrheitsentscheidungen bei

    Volksabstimmungen auch ber sehr kontroverse Themen anders als einfache

    Parlamentsbeschlsse auch von den politischen Gegnern dieses Beschlussesakzeptiert, da ihnen eine besondere demokratische Legitimitt zugeschriebenwerden kann.

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    Der Brgerantrag: Der Brgerantrag oder auch Volksinitiative ist eine Erwei-terung des Petitionsrechts. Wenn ein gewisses Quorum von Unterschriftenvorliegt, ist das Parlament dazu verpflichtet, sich im Plenum mit der zugrun-deliegenden Frage zu befassen und die Initiatoren der Initiative anzuhren.

    Der Brgerantrag ist also ein Instrument, mit dem Brger direkt auf die poli-tische Agenda Einfluss nehmen knnen, ohne die Entscheidungsbefugnis desParlaments auszuhebeln. Es verhindert, dass missliebige Themen auen vorgehalten und politisch tabuisiert werden knnen. Der Zwang zur ffentlichenAuseinandersetzung schafft die Notwendigkeit, sich argumentativ mit denPositionen auseinanderzusetzen und trgt zur oft eingeforderten Brgern-he bei. Da der Brgerantrag keine obligatorische Wirkung auf das Gesetzge-bungsverfahren besitzt, kann die Schwelle fr die Behandlung hier niedrigerliegen als bei einem Volksbegehren. Auch die inhaltliche Auseinandersetzungmit starken Minderheitspositionen in der Gesellschaft, die sich in einer groenZahl von Unterschriften ausdrcken kann, trgt zur Abbildung des Pluralismusder Zivilgesellschaft bei.

    Das obligatorische Verfassungsreferendum: Der Schutz der Grundrechte undder Schutz vor politischer Willkr und Machtkonzentration sind die zentralenAnliegen der Ordnung des Grundgesetzes. Die Zweidrittelmehrheit und derUnvernderlichkeitsgrundsatz fr die ersten Artikel der Verfassung sollen ver-

    hindern, dass diese Grundstze abgeschafft oder eingeschrnkt werden. Dasobligatorische Verfassungsreferendum, also die vorgeschriebene Zustimmungs-pflicht der Brger, wenn die Verfassung gendert oder Souvernittsrechtean eine hhere politische Ebene, etwa an die Europische Union, bertragenwerden, kann einen zustzlichen Sicherungsmechanismus zur Wahrung der

    Verfassungsordnung darstellen. Dies sollte auch alle Fragen mit einschlieen,die die Abtretung von Souvernittsrechten, etwa im Rahmen der EuropischenUnion, betreffen. Wie wir gesehen haben, ist besonders in diesem Bereich die

    Kluft zwischen der Sichtweise der Mehrheit der Bevlkerung und der Politikbesonders gro. Gerade im Zusammenhang mit der europischen Integrationist eine solche Erdung weitreichender, die Souvernittsrechte der Bundesre-publik und den Gltigkeitsbereich des Grundgesetzes betreffender Beschlssegeboten. Jede Form der Staatlichkeit erfordert Legitimitt, daher sollten dieBrger einer Vernderung der Verfassung oder einer Abgabe von Kompetenzen,die den Geltungsbereich des Grundgesetzes betreffen, zustimmen und eine

    Volksabstimmung obligatorisch sein.

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    Literatur

    Charles Blankart: ffentliche Finanzen in der Demokratie, Mnchen 2006.

    Markus Freitag, Uwe Wagschal (Hg.): Direkte Demokratie. Bestandsaufnahmenund Wirkungen im internationalen Vergleich, Berlin 2007.

    Andreas Kost: Direkte Demokratie, Ein Lehrbuch, Wiesbaden 2008.

    Robert Nef: Gemeindeautonomie, direkte Demokratie und Steuerwettbewerbin der Schweiz, Liberales Institut 2009.

    James M. Poterba, Jrgen von Hagen: Fiscal Institutions and Fiscal Perform-ance, Chicago 1999.

    Theo Schiller: Direkte Demokratie. Eine Einfhrung, Frankfurt a. M 2002.

    Roland Vaubel: Nie sollst Du mich befragen? Weshalb Referenden in bestimmtenPolitikbereichen auch in der Europapolitik mglich sein sollten, in: Sozial-wissenschaftliche Schriftenreihe, Heft 33.

    Publikationen OnlineRobert Nef: Begrenzung der Demokratie durch Begrenzung der Politik, verf-fentlicht auf dem Blog des Liberalen Instituts Denken fr die Freiheit.

    DER SPIEGEL, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Focus, Tagesspiegel, Tageszeitung(taz), Denken fr die Freiheit (Blog des Liberalen Instituts)

    ber den Autor

    Grard Bkenkamp ist Historiker und Referent fr Grundsatz und Forschungam Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit. SeineDoktorarbeit erschien unter dem Titel das Ende des Wirtschaftswunders. Ge-schichte Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Bundesrepublik 1969-1998. Er war Chefredakteur einer Onlinezeitung und verffentlichte zahlreiche

    Beitrge u. a. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Deutschlandradio, undeigentmlich frei. Er wurde von den Lesern von Freiheit.org zum Autor derFreiheit 2009 gewhlt.

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    PositionLiberalPositionspapiere des Liberalen Instituts der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die FreiheitWeitere Publikationen unter www.libinst.de

    [96] Marie Popp / Ren Sternberg (Hrsg.)LEUCHTTRME DER DEUTSCHEN SCHULLANDSCHAFTERFOLGREICHE ANSTZE ZUR VERBESSERUNG INDIVIDUELLER BILDUNGSCHANCEN

    [95] Alexander Wimmer

    RISIKEN UND CHANCEN DER DEUTSCHEN KRANKENVERSICHERER IMINTERNATIONALEN VERGLEICH[94] Kerstin Funk

    KERNPROBLEME DES GESUNDHEITSWESENS IN INDUSTRIELNDERN[91] Harald Bergsdorf

    DIE KULTUR DER FREIHEIT ARGUMENTATIV VERTEIDIGENLIBERALE GESELLSCHAFT GEGEN RECHTSEXTREMISMUS UND ANDERE FREIHEITSFEINDE

    [89] Charles B. BlankartAUTONOMIEPRINZIP UND VERWALTUNGSPRINZIPZWEI ANSTZE EINER GEMEINDEORDNUNG

    [88] Martin T. W. RosenfeldFINANZIERUNG KOMMUNALER AUFGABEN KONOMISCHE PRINZIPIEN, MODERNEHERAUSFORDERUNGEN UND INSTITUTIONELLE GESTALTUNGSMGLICHKEITEN

    [87] Robert NefGEMEINDEAUTONOMIE, DIREKTE DEMOKRATIE UND STEUERWETTBEWERBIN DER SCHWEIZ

    [86] Fred E. FoldvaryDIE PRIVATE BEREITSTELLUNG FFENTLICHER GTER

    VERGANGENHEIT UND ZUKUNFT DES KOMMUNALEN LIBERALISMUS[85] Immo H. Wernicke (2009)

    FINANZKRISE KRISE DER AMTLICHEN STATISTIK?

    KRITIK AN STAATLICHER BERICHTERSTATTUNG ZUR LAGE VON WIRTSCHAFT UNDFINANZMRKTEN IM KRISENJAHR 2008[83] Jakob von Weizscker (2009)

    HOHER ZAUN UND ENGE PFORTE?PRIORITTEN FR DIE EUROPISCHE MIGRATIONSPOLITIK

    [81] Sibylle Laurischk (2009)WIE LIBERAL SIND DIE DEUTSCHEN ZUWANDERUNGSREGELUNGEN?

    [80] Detmar Doering (2009)RECHTSSTAAT UND WIRTSCHAFTLICHE FREIHEIT

    [79] Tom G. Palmer (2009)

    ZWANZIG MYTHEN BER MRKTE[77] Susanne Maria Schmidt / Olaf Steglich (2009)AUS GEGEBENEM ANLASS ODER WARUM DIE ORDNUNGSPOLITIK DAS EINZIGEHEILMITTEL FR DIE FINANZMRKTE IST

    [76] Steffen Hentrich (2009)IN GUTEN HNDEN? UMWELTSCHUTZ ALS STAATSAUFGABE

    [75] Detlef Parr (2008)LEISTUNGSSPORT UND BREITENSPORT: GESELLSCHAFTLICHE AUFGABEN?

    [74] Reto Steiner (2008)GRUNDLAGEN UND KRITISCHE ERFOLGSFAKTOREN VON BENCH-MARKING IMFFENTLICHEN SEKTOR DARGESTELLT AM BEISPIEL DER SCHWEIZ

    [73] Gary Merrett (2007)MARKTWIRTSCHAFT IN SCHULBCHERN

    [72] Th St bh (2007)