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PRESTEL MÜNCHEN LONDON NEW YORK ECM

ECM — Eine kulturelle Archäologie

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Bei ihrem Streifzug durch die Geschichte von ECM zeigt die Ausstellung visuelles Material, Archivalien und Tonaufnahmen und umfasst eine große Spannbreite von Formaten – Geräusch, Musik, Fotografie, Film, Editionen u.a. Weiterhin werden Installationen und Arbeiten zeitgenössischer Künstler gezeigt, deren Erkundung von Bild und Ton neue Einblicke gewährt und Parallelen zur Arbeit von ECM aufweist. Live Performances und Konzerte sowie exklusive Kooperationen mit Künstlern, Musikern und Filmemachern ergänzen die Ausstellung.

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PRESTEL

MÜNCHEN • LoNdoN • NEw YoRk

ECM

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Manfred Eicher und keith Jarrett, Amerika Haus, München, 1973

Foto: Roberto Masotti

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Manfred Eicher, Jan Garbarek und Jack deJohnette in oslo, o.J.

Foto: Roberto Masotti

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VoRwoRT

okwui ENwEzoR

GREAT BiG EARS: ECM – EiNE kuLTuRELLE ARCHäoLoGiE –

ANMERkuNGEN zu EiNER AuSSTELLuNG

okwui ENwEzoR

ECM iM koNTExT uNABHäNGiGER SCHALLPLATTENFiRMEN

uNd dER SELBSTBESTiMMuNG VoN

MuSikERN iN dEN 50ER, 60ER uNd 70ER JAHREN

MARkuS MÜLLER

RouNdTABLE: MANFREd EiCHER, okwui ENwEzoR,

STEVE LAkE, kARL LiPPEGAuS uNd MARkuS MÜLLER

diE BiBLioTHEk dER kLäNGE: ECM uNd

diE HoHE kuNST, MuSik zu VERLEGEN

woLFGANG SANdNER

kALTE STERNE, FAuLE SuBJEkTE, woHLBEGRÜNdETE NEGATioNEN –

PAuL BLEY, ANNETTE PEACoCk uNd diE BECkETT-LiNiE BEi ECM

diEdRiCH diEdERiCHSEN

NAH dRAN, iM oHR uNd AuS dER FERNE – GEdANkEN

ÜBER „uNSERE“ MuSik ANHANd VoN ECM

RENéE GREEN

CodoNA – REoRiENTiERuNGSPuNkT FÜR

EiN NEuES, PLANETARiSCHES wERTESYSTEM

kodwo ESHuN

MEHRFACHBEGABuNGEN:

JEAN-LuC GodARd uNd MANFREd EiCHER

JÜRG STENzL

ECM, EiNE CHRoNoLoGiE

zuSAMMENGETRAGEN VoN STEVE LAkE

ECM diSCoGRAPHY, 1969 — 2012 …

BioGRAPHiEN dER kÜNSTLER uNd AuToREN

ANNA SCHNEidER

iNHALT

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GREAt BIG EARS:ECM – EINE KULtURELLE ARCHäOLOGIE – ANMERKUNGEN ZU EINER AUSStELLUNG

okwui ENwEzoR

Barbara wojirsch, ohne Titel, Coverdesign, 1993

John Abercrombie Trio, Speak Of The Devil (ECM 1511)

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ECM IM KONtExt UNABHäNGIGER SCHALLpLAttENfIRMEN UNd dER SELBSt–BEStIMMUNG vON MUSIKERN IN dEN 50ER, 60ER UNd 70ER JAHRENMARkuS MÜLLER

keith Rowe bei AMM3 Aufnahmen in Ludwigsburg für It had Been An Ordinary

Enough Day In Pueblo, Colorado (JAPo 60031), o. J., Foto: Signe Mähler

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iNTRo

Seit ihren Anfängen ist die Schallplatten- oder Tonträger-industrie oligopolistisch aufgebaut. Eine kurzgeschichte der Entwicklungen der letzten fast 150 Jahre könnte sich folgendermaßen lesen: 1887 gründete der aus deutschland ausgewanderte Emile Berliner zuerst die united States Grammophone Co. als weltweit erste Plattenfirma, 1897folgte die Grammophone Company in London, ein Jahr später die deutsche Grammophon GmbH in seiner Heimat- stadt Hannover. zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es vier große Plattenfirmen, neben den genannten unter-nehmungen von Berliner waren dies Edison Amberol (1888), Columbia Records (1888) und die Victor Talking Machine Company (1901). Heute, 2012, gibt es noch drei große Firmen, nämlich die universal Music Group, die warner Music Group und Sony Music Entertainment, die sich gut 70% des weltmarktes an verkauften Tonträgern teilen. zwei dieser Firmen, universal und Sony, lassen sich direkt auf Emile Berliners unternehmen zurückführen. die längere Geschichte dieser unglaublichen Entwick-lungen und der damit einhergehenden umbrüche und konzentrationsbewegungen der Marktkräfte kann an dieser Stelle kein Thema sein. 1 Für den Versuch allerdings, die 1969 von Manfred Eicher gegründete Edition of Contemporary Music, kurz ECM, in diese Geschichte einzuordnen, muss daran erinnert werden, dass der Erfolg der Tonträgerindustrie nur durch den basso continuo eines endlosen loops einer bestimmten biblischen Geschichte möglich war. das oligopol war und ist getragen von einer Vielzahl anderer, kleinerer Mitspieler. zum Beispiel entstanden bis 1914 allein in deutschland etwa 500 konkurrierende Schallplattenmarken. die Geschichte der Tonträgerindustrie ist immer auch die der Goliaths (im allgemeinen Sprachgebrauch Major-Labels genannt) und der davids (im allgemeinen Sprachgebrauch inde-pendent-Labels genannt). und die Rollenverteilung in dieser Geschichte ist in der Regel auch auf einen dualistischen kern zu reduzieren: die Großen machen das Geld (und zwar das große Geld) und bestimmen, was wo wie läuft. die kleinen aber produzieren immer wieder aufs Neue die neue entscheidende künstlerische Qualität, also das, was eigentlich laufen sollte. dafür werden sie zwar mehr oder weniger anerkannt, aber in jedem Fall machen sie, wenn überhaupt, nur das kleine Geld. dass es in diesem fast schon vulgärmarxistisch reduzierten Modell immer wieder Ausnahmen gegeben hat und gibt, ist wesentlicher Bestandteil des Narrativs. die Geschichte von ECM hat ursächlich auch mit der Emanzipation einer bestimmten Gruppe von Teilnehmern

an diesen Produktionsverhältnissen zu tun, mit der Emanzipation der Musiker. in diesem Essay soll diese eine, von einer unzahl vieler anderer möglicher Geschichten, kontextualisiert werden. ich werde den Versuch unter-nehmen, die Vorgeschichte und die Frühgeschichte der ECM in eine erweiterte Jazzgeschichte einzuordnen, die mit den 1940er Jahren in den uSA beginnt. Sie hat unter anderem damit zu tun, dass sich die Musiker in den folgenden Jahren nicht mehr nur als Entertainer, als unterhalter, verstanden haben. Sie reklamierten für sich fortan, und zu Recht, wie ich meine, die Rolle des künstlers in der Verantwortung einer bis dahin unge-schriebenen afroamerikanischen Musikgeschichte. oder wie es die AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians, gegründet 1965) und eines seiner Mitgliederensembles, das Art Ensemble of Chicago auf seinen ECM-Platten ausgedrückt haben: Great Black Music. From the Ancient to the Future.

SALT PEANuTS oN SATuRN

Salt Peanuts ist eine komposition von dizzy Gillespie und kenny Clarke aus dem Jahre 1942, die zum ersten Mal 1945 aufgenommen wurde und deren berühmteste Version auf Jazz at Massey Hall erschienen ist. die Aufnahme des konzertes vom 15. Mai 1953 in Toronto verantwortete der Bassist Charles Mingus, der neben dizzy Gillespie, Bud Powell, Max Roach und Charles Parker Jr. von der New Jazz Society of Toronto eingeladen worden war, mit diesem Bebop-Allstar-Ensemble das größte Jazzkonzert aller zeiten zu spielen. 2 Mingus startete mit diesen Aufnahmen 1953, gemeinsam mit seiner damaligen Frau Celia und dem Mitmusiker Max Roach, sein eigenes Plattenlabel, debut Records. Auf dem Plattencover wurden alle Musiker genannt, alle waren in einer zeittypischen Collage in ein spannungsvolles, dynamisches Gleichgewicht gebracht. die mit Abstand größte Fotografie zeigt einen leicht untersetzten Mann, der ein Altsaxophon spielt, und dessen Gesicht nicht erkennbar ist. Charles Parker Jr., der abgebildete Alt-saxophonist, hatte zum zeitpunkt der Veröffentlichung der Platte einen Vertrag mit Mercury Records, was nichts anderes bedeutete, als dass er dieses konzert weder hätte aufnehmen noch von seinen weggefährten Mingus und Roach als Platte veröffentlichen lassen dürfen. um einer konventionalstrafe zu entgehen, war der Name des auf dem Plattencover genannten Musikers nicht etwa Charles (oder Charlie) Parker, also der des für jeden erkennbaren berühmtesten Altsaxophonisten der welt, sondern Charlie Chan.

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Keith Jarrett, o. J.

Foto: Andreas Raggenbass

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LP-Box Sun Bear Concerts (ECM 1110), 1976

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Die BiBliothek Der klänge:eCM unD Die hohe kunst, Musik zu verlegenWOLFgAng SAndnER

András Schiff, o. J.

Foto: nan Melville

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Paul Bley, 1970er Jahre, Foto: Jochen Mönch

Paul Bley, 1970er Jahre, Foto: Latapie-Trombert

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Keith Jarrett, Konzert in Perugia, Umbria Jazz, 1974

Foto: Roberto Masotti

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nah Dran, iM ohr unD aus Der Ferne –geDanken üBer „unsere“ Musik anhanD von eCMREnéE gREEn

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„Blutopia“, in: Renée green, Space Poem #3 (Media Bicho),

MoMA Media Lounge, new York City, 2012.

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„A Power Stronger Than Itself“, in: Renée green, Space Poem #3

(Media Bicho), MoMA Media Lounge, new York City, 2012.

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CoDona –orientierungsPunkt Für ein neues, PlanetarisChes wertesysteMKOdWO ESHUn

Codona (don Cherry, Colllin Walcott, naná Vasconcelos)

in Stuttgart, 1978, Foto: Roberto Masotti

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Manfred Eicher und don Cherry bei Aufnahmen

zu Codona 2 (ECM 1177), Ludwigsburg, 1978

Foto: Roberto Masotti

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don Cherry in Konzert im Auditorium de Lyon, 1979

Foto: gérard Amsellem, Lyon-France

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MehrFaChBegaBungen:jean – luC goDarD unD ManFreD eiCherJÜRg STEnZL

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Jean-Luc godards über sechzig lange Filme und seine erhebliche Anzahl an Kurzfilmen sollte man nicht nur sehen, sondern bewusst auch hören. dann wird evident, dass dieser wohl kreativste Cineast in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wesentlich mehr als ein Filmemacher ist. Sicher, was denken, nachdenken und In-Frage-Stellen im filmischen Medium ist, hat wohl kaum jemand so gründlich und mit immer wieder neuen Fragestellungen erkundet wie er. Aber Jean-Luc godard ist wesentlich mehr als ein filmischer denker: Wer hin-sieht und hinhört auf die Bilder wie die Sprache, die ge- räusche wie die Musik in seinen Filmen, entdeckt einen unvergleichlichen Kenner nicht nur der Malerei (godard malt gelegentlich auch selbst), einen Mann von enormer Belesenheit, dessen Filme hunderte von Texten zitieren, und auch einen hervorragenden Musikkenner, selbst wenn er Letzteres gelegentlich bestritten hat. Vergleichsweise spät und zurückhaltend hat er sich über den Einsatz der Musik in seinen Filmen geäußert: „die Musik drückt das Spirituelle aus, und das inspiriert. Wenn ich blind bin, ist die Musik meine kleine Antigone, die hilft, das Unglaubliche zu sehen. Was mich immer interessiert hat, ist die Tatsache, dass die Musiker keine Bilder be-nötigen, während jene, die Bilder machen, der Musik bedürfen. Ich hatte immer das Bedürfnis, […] die Musik dann in den Vordergrund treten zu lassen, wenn man des Bildes nicht mehr bedarf und sie etwas anderes aus-drücken kann. Was mich interessiert, ist der Versuch, […] zu sehen, was man hört, und zu hören, was man sieht.“ 1

Bleiben wir beim Filmschaffenden und seinem Umgang mit Musik. Es reicht nicht, möglichst viel und verschieden-artige Musik zu kennen, um sie in einem Film so einzu-bringen, dass sie dort mehr ist als eine Verdoppelung und Verstärkung dessen, was die Bilder bereits aussagen. godard ging über das hinaus, was Sergej Eisenstein 1928 gemeinsam mit Wsewolod Pudowkin und grigori Alexandrow in einem visionären Manifest gefordert hat: die Musik im Tonfilm habe sich „kontrapunktisch“ zu den Bildern zu verhalten. das war nichts geringeres als die Forderung an die Filmschaffenden, ihrerseits mit Musik – mit neuer, für einen Film eigens komponierter oder mit bereits vorhandener Musik aus vielen Jahrhunderten und Ländern – zu komponieren, Musik als integrierten Teil eines gan- zen zu verstehen. das tat godard jedoch nicht nur mit Musik, sondern auch mit den anderen Kunstgattungen. Er zitierte von Anfang an aus unterschiedlichen litera-rischen Werken, bis praktisch alles in einem Film gespro-

chene aus Zitaten bestand, nicht zu reden von den ungezählten Anspielungen auf andere Filme. nur auf grundlage einer derartig komponierten Vielschichtigkeit konnte sein großes Werk, die Histoire(s) du cinéma (1988 — 1998) zu einer filmischen geschichte des 20. Jahrhunderts – und nicht nur der Filmgeschichte werden.

Jean-Luc godard ist, was man eine Vielfachbegabung, mehr aber noch einen Komponierenden nennen könnte: Mit „Montage, mon beau souci“ war 1956 einer seiner filmkritischen Texte überschrieben – noch bevor er seinen ersten langen Film gedreht hatte: „Wenn die Filmregie ein Blick ist, dann ist die Montage der Herzschlag“, heißt es dort. godard ist ein Komponierender, selbst wenn er selbst keine note komponiert, nie öffentlich gesungen oder gespielt und vielleicht auch kein Instrument so gekonnt beherrscht hat wie den Tennisschläger.

JEAn-LUC gOdARd Und MAnFREd EICHER: „SPIEgEL IM SPIEgEL“

Wenn man sich die Frage stellt, wie es zur engen Zusam-menarbeit und Freundschaft von Jean-Luc godard und Manfred Eicher gekommen ist, was denn der Cineast, der „Vaudois“, der Waadtländer vom Lac Léman in Rolle und Paris, mit dem Plattenproduzenten aus Lindau am Bodensee in München, gemeinsam haben könnte, scheint die Antwort auf der Hand zu liegen. So wie der vermeintliche Filmregisseur viel mehr ist als nur jemand, der Filme dreht, ist der Produzent viel mehr als ein Mensch, der Musikaufnahmen ermöglicht und gestaltet. So wie Jean-Luc godard sich dem Filmen gegenüber als Musiker und als Theoretiker, als Techniker und als Kritiker verhält, ist Manfred Eicher ein Ensemblemusiker, ein dirigent und ein Hörer zugleich. Eicher ließ sich früh be-geistern vom legendären Kind of Blue, Miles davis´ Album von 1959, auf dem John Coltrane, Cannonball Adderley, Bill Evans, Jimmy Cobb zu hören waren, und am Bass der in jeder Hinsicht große Paul Chambers, an dem er sein eigenes Spiel als Bassist orientierte. Wie er sich als Musikenthusiast allerdings auch die unab-dingbaren ökonomischen, juristischen und direktorialen Kompetenzen aneignet, um als Plattenproduzent an-spruchsvollster Musik nicht in Kürze in einen Bankrott zu schlittern, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Es war im Jahr 1984, fünfzehn Jahre nach der gründung des Labels, als Eicher an eine kühne Ausweitung über

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das erfolgreiche Jazzprogramm hinausging. die ECM New Series, die sowohl alte und sehr alte Musik bis zu Johann Sebastian Bach sowie die Musik der gegenwart umfasste, ignorierte den einträglichen Kanon der Konzertsaal-musik des 18. und 19. Jahrhunderts weitgehend. Für die Schallplattenbranche muss es schockierend gewesen sein, dass dieser Musiker/Produzent mit seinen sehr eigenenVorstellungen und Anforderungen nicht nur überlebte, sondern es ihm auch gelang, international erfolg-reich zu sein. dass zunächst durch das Jazz-Label und dann auch mit den New Series gar so etwa wie ein weltweites nicht (wie es heute prätentiös heißt) „social network“, sondern ein „musical network“ entstehen könnte, eine – so Jean-Luc godard und Anne-Marie Miéville – „ECM-Family“ der Musiker und ihrer Hörer, davon wird wohl nicht einmal Manfred Eicher geträumt haben.

Wie er Jean-Luc godards Filme entdeckt hat, gehört zu den wenigen biographischen details, über die Manfred Eicher auch öffentlich gesprochen hat: „Von der Kind- heit an hat die Liebe zur Musik mein Leben bestimmt, später, nach und nach, begleitet von einem wachsenden Interesse für das Kino. die gleichzeitige Auseinander-setzung mit Musik und Film prägte mein Musikstudium in Berlin. die Orte für die beiden Leidenschaften lagen einander gegenüber: die Musikhochschule auf der nörd- lichen Seite der Hardenbergstraße, das Kino Am Stein- platz auf der südlichen, dazwischen eine vierspurige Fahr- bahn. In diesem Kino habe ich erstmals Filme von Roberto Rossellini, Ingmar Bergman, Jean-Luc godard und Robert Bresson gesehen. Und einen Film gab es, der mich besonders beschäftigt hat: godards ,Vivre sa vie‘ mit Anna Karina 2: ein leiser, rhythmisch komponierter Film mit einem ausgeprägten gestaltungswillen für Licht, Klang und Musik und einem Eigensinn für die Kunst der Aussparung, die godard schon in seinen Anfängen so rigoros beherrschte. Seit zwanzig Jahren schicke ich ihm Schallplatten als klingende Botschaften, die dann wieder in seinem erratischen Alterswerk auftauchen können. Seine „Histoire(s) du cinéma“ sind auch eine geschichte der Musik.“ 3

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Zusammengetragen von steve LaKe

ECM, EinE ChronologiE

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1969

Kontrabassist manfred eicher, 26 Jahre alt und zunehmend an musikproduktion interessiert,

hat bereits einige alben für kleine Jazzlabel produziert und als Produktionsassistent bei

klassischen einspielungen der Deutschen grammophon mitgewirkt. Die dort herrschende

Disziplin und Konzentration, meint er, ließe sich nutzbringend auch auf aufnahmen

improvisierter musik übertragen. mit unterstützung des münchner geschäftsmanns Karl

egger gründet er die edition Zeitgenössischer musik gmbH – edition of Contemporary music –

als Produktionsfirma und Plattenlabel. „Die Idee für ein eigenes Label kam allmählich.

Ich hatte als selbständiger Produzent gearbeitet, aber mir schien es sinnvoll, einen ort zu

haben, wo sich diese experimente weiterentwickeln ließen.“ ... Das erste experiment auf

eCm findet mit Pianist mal Waldron statt. Der ehemalige sideman von Charles mingus und

gene ammons und frühere Begleiter/arrangeur von Billie Holiday lebt seit 1967 in münchen

und fasziniert lokale musiker mit seinem von monk und Bud Powell geprägten, perkussiven

Improvisationsstil. Im november geht eicher mit Waldron in das Ludwigsburger tonstudio

Bauer. „mal kommt mit einem Konzept ins studio, setzt sich auf seinen stuhl und spielt seine

sehr entschiedene musik. man braucht nicht mehr viel zu ändern. er weiß, was er tut“ (frühes

manfred-eicher-Interview im New Musical Express). martin Wieland, als tonassistent bei der

Waldron-session dabei, wird zu einem treuen verbündeten in den frühen Jahren von eCm.

1970

am neujahrstag kommt mal Waldrons Free At Last in einer ersten auflage von 500 stück auf

den markt. Dank der Begeisterung für mal im fernen Japan folgen bis Jahresende zwei weitere

Pressungen. eCm ist im geschäft. ... auf Output gibt eberhard Weber sein eCm-Debüt in

Wolfgang Dauners explosivem trio. Dauners schlagzeuger Fred Braceful, der mitunter auch

bei mal Waldron spielt, weist eicher auf die music Improvisation Company hin, ein neues

Kollektiv, das die Free-music-Innovatoren evan Parker und Derek Bailey mit ex-stockhausen-

mitarbeiter und Live-elektroniker Hugh Davies zusammenbringt. Ihr eCm-album kartiert

ein gebiet, das Parker ein vierteljahrhundert später mit seinem electro-acoustic ensemble

genauer erforschen wird. ... mit der LP „Paul Bley With gary Peacock“ bringt eCm zwei

aufnahmen von Paul Bley aus den 60er Jahren unter Lizenz heraus. ... Im september reist

eicher nach oslo, um den jungen saxophonisten Jan garbarek aufzunehmen, der auf

europäischen Festivals mit george russell Furore gemacht hat. es ist nicht nur seine erste

Begegnung mit garbarek, terje rypdal, arild andersen und Jon Christensen, den „Big Four“

des norwegischen Jazz, wie die Presse sie später tituliert, sondern auch mit tontechniker Jan

erik Kongshaug.

1971

garbareks Afric Pepperbird wird von den Kritikern bejubelt. Down Beat schreibt: „seit Django

reinhardt ist aus europa keine so zukunftsweisende musik mehr gekommen wie die dieses

jungen norwegers.“ Im sommer konstatiert der englische Melody Maker „eCm entwickelt sich

zum besten Label weit und breit“ und stützt dieses urteil auf drei neuveröffentlichungen:

Chick Coreas solo Piano Improvisations Vol. 1, A.R.C. mit dem trio Corea, Dave Holland und

Barry altschul und „music From two Basses“ von Holland und Barre Phillips – bahnbrechende

aufnahmen, auf denen wichtige mitglieder der Label-Familie erstmals zu hören sind und

die mit Coreas soloausflug die eCm-tradition der unbegleiteten Piano-alben begründen. ...

In oslo entsteht mit Facing You, dem Piano-solo-Debüt von Keith Jarrett, ein weiterer eCm-

meilenstein. … Platten produzieren ist eine sache, sie unter die Leute bringen eine andere. In

Deutschland werden die LPs immer noch hauptsächlich per Post aus der gleichmannstraße 10

in münchen verschickt.

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ECM DisCography1969 — 2012 …

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eCm neW serIes

John adamsHarmoniumsan Francisco symphony orchestra and Chorusedo de Waart: conductorPart 1 – negative LovePart 2 – Because I Could not stopFor Death – Wild nightsrecorded January 1984eCm 1277

Johann sebastian Bachthe sonatas and Partitas for violin soloJohn Holloway: baroque violinrecorded July and september 2004eCm 1909/10 2-CD set

Johann sebastian Bachthe sonatas and Partitas for violin sologidon Kremer: violinrecorded september 2001 and march 2002eCm 1926/27 2-CD set

Johann sebastian BachDas Wohltemperierte Klavier, Buch Itill Fellner: pianorecorded september 2002eCm 1853/54 2-CD set

Johann sebastian BachInventionen und sinfonien / Französische suite vtill Fellner: pianoInventionen BWv 772 — 786sinfonien BWv 787 — 801Französische suite v in g-Dur BWv 816recorded July 2007eCm 2043

Johann sebastian BachIch hatte viel BekümmernisKonzerte und sinfonien für oboeHeinz Holliger: oboe, oboe d’amoreCamerata Bernerich Höbarth: violin, conductorKantate “Ich hatte viel Bekümmernis” BWv 21Konzert in c-moll BWv 1060oster-oratorium “Kommt, eilet und laufet” BWv 249Konzert in a-Dur BWv 1055Konzert in d-mollKantate „Weinen, Klagen, sorgen, Zagen“ BWv 12Konzert d-moll BWv 1059recorded December 2010eCm 2229

andrás schiffJohann sebastian Bachgoldberg variationsandrás schiff: pianorecorded october 2001eCm 1825

Johann sebastian Bachsix Partitasandrás schiffandrás schiff: pianosix Partitas BWv 826 — 830recorded september 2007eCm 2001/02

Johann sebastian BachDas Wohltemperierte Clavierandrás schiffandrás schiff: pianoDas Wohltemperierte Clavier - Buch I & IIrecorded august 2011eCm 2270 — 73

Johann sebastian BachChristoph Poppenthe Hilliard ensemblemorimurChristoph Poppen: baroque violinthe Hilliard ensemblemonika mauch: sopranoDavid James: countertenorJohn Potter: tenor

gordon Jones: baritoneJohann sebastian Bach:Partita d minor BWv 1004Ciacconarecorded september 2000eCm 1765

Johann sebastian Bachanton Webernricercarmünchener KammerorchesterChristoph Poppenthe Hilliard ensembleJohann sebastian Bach:Fuga (ricercata) (orchestrated by anton Webern)Cantata no. 4 “Christ lag in todesbanden”anton Webern: string Quartet 1905(orchestrated by Christoph Poppen)Five movements op. 5recorded January 2001eCm 1774

Johann sebastian Bachmotettenthe Hilliard ensembleJoanne Lunn, rebecca outram: sopranosDavid James, David gould: countertenorsrogers Covey-Crump: tenor and organsteven Harrold: tenorgordon Jones: baritonerobert macdonald: bassmotets, BmW 225 — 230recorded november 2003eCm 1875

Johann sebastian BachDie Kunst der FugeKeller Quartettandrás Keller: violinJános Pilz: violinZoltán gál: violaottó Kertész: violoncellorecorded may 1997eCm 1652

Johann sebastian BachDas Wohltemperierte Klavier, Buch IKeith Jarrett: pianorecorded February 1987eCm 1362/63 2-CD set

Johann sebastian Bachgoldberg variationsKeith Jarrett: harpsichordrecorded January 1989eCm 1395

Johann sebastian BachDas Wohltemperierte Klavier, Buch IIKeith Jarrett: harpsichordrecorded may 1990eCm 1433/34 2-CD set

Johann sebastian Bachthe French suitesKeith Jarrett: harpsichordrecorded september 1991eCm 1513/14 2-CD set

Johann sebastian Bach3 sonaten für viola da gamba und CembaloKim Kashkashian: violaKeith Jarrett: cembalosonata g major, BWv 1027sonata D major, BWv 1028sonata g minor, BWv 1029recorded september 1991eCm 1501

Werner Bärtschimozart/scelsi/Pärt/Busoni/BärtschiWerner Bärtschi: pianoWolfgang amadeus mozart:Fantasie c minor Kv 475 | adagio b minor Kv 540 | sonata B-flat major Kv 333giacinto scelsi: vier Illustrationen zu den verwandlungen vishnusarvo Pärt: Für alinaWerner Bärtschi: Frühmorgens am Daubensee

Ferruccio Busoni: toccatarecorded July 1988eCm 1377

Juliane Banse / andrás schiffsongs of Debussy and mozartJuliane Banse: sopranoandrás schiff: pianoClaude Debussy:Beau soir | Clair de lune | Pierrotapparition| PantomimeFêtes galantes, 1er livre:en sourdine | Fantoches | Clair de luneariettes oubliées:C’est l’extase langoureuse | Il pleuredans mon cœur | L’ombre des arbresChevaux de bois | green | spleenWolfgang amadeus mozart:Dans un bois solitaire Kv 308oiseaux, si tous les ans Kv 307Warnung Kv 433 | Der Zauberer Kv 472Das veilchen Kv 476sehnsucht nach dem Frühlinge Kv 596als Luise die Briefe ihres untreuen Liebhabers verbrannte Kv 520abendempfindung Kv 523recorded January 2001eCm 1772

Jean Barraquésonata pour pianoHerbert Henck: pianorecorded July 1996eCm 1621

Béla Bartók44 Duos for two violinsandrás Keller, János Pilz: violinsBéla Bartók:44 Duos for two violinsgyörgy Ligeti:Ballad and Dancegyörgy Kurtág:Ligatura – message to Frances-marie op. 31brecorded october 1999eCm 1729

Ludwig van BeethovenComplete music for Piano and violoncelloandrás schiff/miklós Perényiandrás schiff: pianomiklós Perényi: violoncellosonata F major, op. 5, no. 1variations on a theme from Händel’s oratorio “Judas maccabaeus” g major Woo 45sonata g minor op. 5, no. 2sonata F major op. 17 (Horn sonata)12 variations on “ein mädchen oder Weibchen“ F major op. 66sonata a major op. 697 variations on “Bei männern, welche Liebe fühlen“ e-flat major Woo 46sonata C major op. 102, no. 1sonata D major op. 102, no. 2recorded December 2001 and august 2002eCm 1819/20 2-CD set

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume Iandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 2 and op.7recorded march 2004eCm 1940/41 2-CD set

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume IIandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 10 and 13recorded november 2004eCm 1942

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume IIIandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 14, 22 and 49recorded February 2005eCm 1943

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume Ivandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 26, 27 and 28recorded april 2005eCm 1944

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume vandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 31 and 53recorded December 2005eCm 1945/46

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume vIandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 54, 57, 78, 79 and 81arecorded april 2006eCm 1947

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume vIIandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 90, 101 and 106recorded may 2006eCm 1948

Ludwig van Beethoventhe Piano sonatas, volume vIIIandrás schiffandrás schiff: pianosonatas opp. 109, 110 and 111recorded september 2007eCm 1949

Ludwig van BeethovenPiano Concertos nos. 4 & 5till Fellner: pianoorchestre symphonique de montréalKent nagano: conductorPiano Concertos no. 4, op. 58, and no. 5, op. 73recorded may and november 2008eCm 2114

alban BergKarl amadeus Hartmanntief in der nachtJuliane Banse: sopranoaleksandar madžar: pianoalban Berg:sieben frühe Lieder / JugendliederZwei Lieder nach theodor stormKarl amadeus Hartmann:Lamentorecorded march 2009eCm 2153

Harald Bergmannscardanellisoundtrack from the filmby Harald BergmannWalter schmidinger: voicePeter schneider: scardanelli-pianonoël Lee, Christian Ivaldi: pianorecorded December 1997 and may 1998eCm 1761

Luciano BeriovociKim KashkashianKim Kashkashian: violaradio symphonieorchester WienDennis russell Davies: conductorrobyn schulkowsky: percussionLuciano Berio: vocisicilian folk musicLuciano Berio: naturalerecorded november 1999and may 2000eCm 1735

Biber / muffatDer türken anmarschJohn HollowayJohn Holloway: violinalosia assenbaum: organLars ulrik mortensen: harpischord

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Page 28: ECM — Eine kulturelle Archäologie

ImPressum

Diese Publikation erscheint

anlässlich der ausstellung

ECM – Eine kulturelle Archäologie

Haus der Kunst, münchen

23. november 2012 bis 10. Februar 2013

stiftung Haus der Kunst münchen,

gemeinnützige Betriebsgesellschaft mbH

Direktor und geschäftsführer

okwui enwezor

team

Daniela Burkart, sylvia Clasen, arnulf von Dall’armi,

Patrizia Dander, elena Heitsch, tina Köhler,

anton Köttl, Isabella Kredler, León Krempel, teresa Lengl,

anne Leopold, Julienne Lorz, Iris Ludwig, Karin mahr,

marco graf von matuschka, miro Palavra, glenn rossiter,

andrea saul, anna schüller, Cassandre schmid,

martina schmid, ulrich Wilmes

Prinzregentenstr. 1

80538 münchen

tel: +49 89 21127 113

www.hausderkunst.de

 

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