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713 BuB 68 12/2016 EDITORIAL 1998 hat die Bundesrepublik Deutschland die »Washingtoner Erklärung« unterzeichnet und sich verpflichtet, NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu ermitteln, das sich noch heute in öffentlichen Sammlun- gen in Deutschland befindet. Die öffentlichen Kulturinstitutionen haben diese Aufgabe anfangs zurückhaltend aufgenommen. Sehr aktiv auf die- sem Feld sind die Museen. Auch in der Ausbildung ist das Thema ange- kommen: An der Universität Bonn wird ein bundesweit erster Kunstge- schichts-Lehrstuhl zur Provenienzforschung eingerichtet, die FU Berlin bietet eine zertifizierte Weiterbildung in vier Modulen an. Seit dem ersten Hannoverschen Symposium im Jahre 2002 ist die Provenienzforschung auch in Bibliotheken ein Thema. Es geht um das Auffinden von unrechtmäßig erworbenen Einzelwerken und Samm- lungsteilen, um die Ermittlung der ursprünglichen jüdischen Eigentümer beziehungsweise deren Erben und die Herstellung eines Einvernehmens mit diesen über Rückgabe oder Entschädigung. Die UBs in Bremen und Marburg waren Vorreiter. Inzwischen gibt es an vielen Bibliotheken Pro- jekte, an manchen ist die Erforschung der Herkunft zur Daueraufgabe geworden. Ob Provenienzforschung auf die Tagesordnung einer Biblio- thek gesetzt werden sollte, hängt dabei nicht vom Bibliothekstyp ab, sondern vom Alter der Sammlungen. Und so sind nicht nur große Wissen- schaftliche Bibliotheken gefordert, sondern auch Spezialbibliotheken und Öffentliche Bibliotheken. Selbst Bibliotheken, die erst deutlich nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden, können über Schenkungen oder antiquarische Erwerbungen in den Besitz von Raubgut gelangt sein. Dieses Heft gibt einen Einblick in das breite Spektrum von Provenienz- recherche und -forschung und zeigt auch die Förderungsmöglichkeiten durch das bei der Bundesbeauftragten für Medien angesiedelte Deut- sche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg. Doch Provenienzforschung dient nicht nur der Spurensuche nach ehemals jüdischem Buchbesitz, sie hilft auch, die Sammlungsge- schichte der jeweiligen Bibliothek zu beleuchten und mehr über die Her- kunft einzelner Bestandssegmente zu erfahren, und sie hilft, verstreute Handschriften- oder Buchbestände aufgelöster Bibliotheken oder Pri- vatsammlungen zu identifizieren. Daher ist auch bei den Altbestands- bibliothekarinnen und -bibliothekaren die Erschließung von Herkunfts- angaben ein wichtiges Thema. Dazu wird BuB im nächsten Jahr noch weiter berichten. Dr. Carola Schelle-Wolff, BuB-Herausgeberin Provenienzforschung auf die Tagesordnung!

EDITORIAL Provenienzforschung auf die Tagesordnung!

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713BuB 68 12/2016

EDITORIAL

1998 hat die Bundesrepublik Deutschland die »Washingtoner Erklärung«

unterzeichnet und sich verpflichtet, NS-verfolgungsbedingt entzogenes

Kulturgut zu ermitteln, das sich noch heute in öffentlichen Sammlun-

gen in Deutschland befindet. Die öffentlichen Kulturinstitutionen haben

diese Aufgabe anfangs zurückhaltend aufgenommen. Sehr aktiv auf die-

sem Feld sind die Museen. Auch in der Ausbildung ist das Thema ange-

kommen: An der Universität Bonn wird ein bundesweit erster Kunstge-

schichts-Lehrstuhl zur Provenienzforschung eingerichtet, die FU Berlin

bietet eine zertifizierte Weiterbildung in vier Modulen an.

Seit dem ersten Hannoverschen Symposium im Jahre 2002 ist die

Provenienzforschung auch in Bibliotheken ein Thema. Es geht um das

Auffinden von unrechtmäßig erworbenen Einzelwerken und Samm-

lungsteilen, um die Ermittlung der ursprünglichen jüdischen Eigentümer

beziehungsweise deren Erben und die Herstellung eines Einvernehmens

mit diesen über Rückgabe oder Entschädigung. Die UBs in Bremen und

Marburg waren Vorreiter. Inzwischen gibt es an vielen Bibliotheken Pro-

jekte, an manchen ist die Erforschung der Herkunft zur Daueraufgabe

geworden. Ob Provenienzforschung auf die Tagesordnung einer Biblio-

thek gesetzt werden sollte, hängt dabei nicht vom Bibliothekstyp ab,

sondern vom Alter der Sammlungen. Und so sind nicht nur große Wissen-

schaftliche Bibliotheken gefordert, sondern auch Spezialbibliotheken

und Öffentliche Bibliotheken. Selbst Bibliotheken, die erst deutlich nach

dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurden, können über Schenkungen

oder antiquarische Erwerbungen in den Besitz von Raubgut gelangt sein.

Dieses Heft gibt einen Einblick in das breite Spektrum von Provenienz-

recherche und -forschung und zeigt auch die Förderungsmöglichkeiten

durch das bei der Bundesbeauftragten für Medien angesiedelte Deut-

sche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg.

Doch Provenienzforschung dient nicht nur der Spurensuche nach

ehemals jüdischem Buchbesitz, sie hilft auch, die Sammlungsge-

schichte der jeweiligen Bibliothek zu beleuchten und mehr über die Her-

kunft einzelner Bestandssegmente zu erfahren, und sie hilft, verstreute

Handschriften- oder Buchbestände aufgelöster Bibliotheken oder Pri-

vatsammlungen zu identifizieren. Daher ist auch bei den Altbestands-

bibliothekarinnen und -bibliothekaren die Erschließung von Herkunfts-

angaben ein wichtiges Thema. Dazu wird BuB im nächsten Jahr noch

weiter berichten.

Dr. Carola Schelle-Wolff, BuB-Herausgeberin

Provenienzforschung auf die Tagesordnung!

714

SCHWERPUNKT

NS-RAUBGUTDas Bemühen um die Auf-deckung von NS-Raubgut in Bibliotheken hat eine lange und nicht immer rühmliche Geschichte. Nach 1945 folg-ten bleierne Jahrzehnte des Verdrängens bis es endlich zu gezielten Provenienzre-cherchen und erfolgreichen Restitutionen kam. Die un-terschiedlichen Aspekte der Raubgutforschung werden im aktuellen Schwerpunkt ab Seite 732 vorgestellt.

Mit dabei ist auch ein Bericht über einen aktuellen, spekta-kulären NS-Raubgutfund in der Stadtbibliothek Bautzen (Seite 760). Dort wurden Teile der verschollen geglaubten HERTIE-Bibliothek entdeckt. Das zeigt: Raubgutforschung ist nicht ausschließlich Sache von Wissenschaftlichen Bib-liotheken.

Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

Forum Bibliothek und Information

12/ 2016BuB

Foto Titelseite: Stadtverwaltung Bautzen/André Wucht

Fotos Inhaltsverzeichnis: Melanie Kahl, Stadtverwaltung Bautzen/André Wucht, Dirk Wissen

FOYER

ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

717 TechnoTHEK in Erfurt Die Bibliothek als praktischer Erfahrungs- und Erlebnisort / Kooperation mit dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI) (Eberhard Kusber)

SCHULBIBLIOTHEK

718 Schulbibliotheken sind das Herz der Schule Vierter Niedersächsischer Schulbibliothekstag in Hannover

720 Leseförderung in Schülerhand Die Schülerfirma »Living Library« am Max-Planck-Gymnasium in Delmenhorst (Erika Labinsky)

AUSLAND

722 Rücksichtnahme auf die kulturelle Vielfalt Kenianischer Bibliothekspreis zum siebten Mal vergeben / Initiative des Goethe-Instituts (Eliphas Nyamogo)

MEDIEN

723 Einfach Lesen! Arabischsprachige Kinder- und Jugendbücher für die Arbeit mit Geflüchteten in Bibliotheken (Daniela Ponholzer)

DIGITALE INFORMATION

724 Coding für die Kleinsten Bee-Bots zu Gast in Polen (Alina Kolinski)

WISSEN FRAGT ... ?

726 Warenästhetik – Wahrheitsan-spruch – Wissensgesellschaft Auf einen Espresso mit dem Philosophen Gernot Böhme zur »Atmosphäre von Bibliotheken« (Dirk Wissen)

728 NACHRICHTEN

LESESAAL

SCHWERPUNKT: NS-RAUBGUT

732 Provenienzforschung und Restitution NS-Raubgut an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (Anna von Villiez)

738 Zwei Bücher – zwei Namen – ein Familienschicksal: Ida Koch und Emil Netter Eine persönliche Restitutions- geschichte (Maria Kesting)

742 Ausblendug – Annäherung – Restitution Der lange Weg der NS-Raubgutfor-schung in deutschen Bibliotheken (Nadine Kulbe, Armin Schlechter)

747 Daueraufgabe Provenienzforschung NS-Raubgutforschung in deutschen Bibliotheken – Ein Überblick (Annette Gerlach)

750 Die NS-Raubgutforschung – ein noch lange nicht abgeschlossenes Kapitel der Bibliotheksgeschichte Positive Entwicklungen der

715BuB 68 12/2016

Provenienzforschung / Bibliothe-karische Verbände gefordert (Georg Ruppelt)

755 Tagung zur Provenienzforschung in Wien Call for Papers bis 19. Dezember

756 Raubgut in einer kommunalen Einrichtung Stadtbibliothek im Bildungs-campus Nürnberg betreibt seit mehr als zehn Jahren Provenienz-forschung / Systematische Überprüfung auf Raubgut steht noch aus (Christine Sauer)

760 Bibliotheken brauchen Provenienzforschung! Plädoyer für die Rückbesinnung auf eine zentrale bibliothekarische Kompetenz – in Wissenschaftli-chen und Öffentlichen Bibliotheken (Robert Langer)

761 Spektakulärer NS-Raubgutfund in Bautzen Forscher findet Teile der verschol-len geglaubten HERTIE-Bibliothek

762 Auf der Suche nach den Erben Vier Bibliotheken bündeln Forschungsergebnisse in Datenbank »Looted Cultural Assets« (Matthias Maede)

MEDIEN

764 Die kritische Edition von »Mein Kampf« – Eine Bilanz Großes Medienecho um Neuauf-lage: 80 000 Exemplare verkauft / Kritische Edition nimmt Agitati-onsschrift den Reiz des Verbote-nen (Simone Paulmichl)

766 Die Neu-Edition von »Mein Kampf« in deutschen Bibliotheken Ein Jahr nach Erscheinen: Versuch einer Zwischenbilanz ( Wilfried Sühl-Strohmenger)

AUSLAND

768 Wenig Geld, wenig Personal, aber viele literarische Schätze Ein Blick auf das Bibliothekswe-sen von Costa Rica und Guatemala (Dirk Wissen)

PRAXIS

774 BibScout – der mobile Auskunfts-dienst an der UB Würzburg Ansprechpartner im Lesesaal entlasten Infotheke / Hilfe beim Kopieren, Drucken und Scannen (Franziska Borkert)

778 Ein Vorbild für Bibliotheken? Das »Transparente Museum« der Kunsthalle Hamburg (Andrea Kasper)

MAGAZIN

FACHLITERATUR

782 Das ganze Spektrum museumsbezogener Themen Handbuch-Reihe zu Gedächtnis-institutionen ist abgeschlossen (Konrad Umlauf)

784 Mehr als eine Festschrift Eine erfolgreiche Kooperation wird vorgestellt (Jürgen Plieninger)

785 NEUE FACHLITERATUR

AUS DEM BERUFSVERBAND

786 Fortbildung

787 VorgeMERKT

788 Aus den Landesgruppen

789 Aus den Kommissionen

713 EDITORIAL

719 IMPRESSUM

790 SUMMARY / RESUME

792 KONTAKT

AB IN DIE APP!

731 Bibliotheken in Zahlen und Fakten Ein Schnellüberblick mit dem Da-tenposter der Bibliotheksstatistik

772 Farbenfrohes Mittelamerika Fotografische Rundreise durch Guatemala und Costa Rica

780 Eigenes Handeln sichtbar machen Ein Video über das »Transparente Museum« als Vorbild für Bibliotheken

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WWW.SCHULZSPEYER.DEPART OF LAMMHULTS DESIGN GROUP

HOCHSCHULE DÜSSELDORF

Die Hochschulbibliothek auf dem Campus Derendorf in Düsseldorf wurde am 28. Juni 2015 in dem historischen, denkmalgeschütz-ten Bestandsbau, dem alten Schlachthof, eröffnet.

Die Einrichtung erfolgte mit unserem Regal- und Einrichtungssystem UNIFLEX - dem Klassiker unter den Bibliotheksregalen. Dessen klare Linien bestimmen das sachliche, moderne Design dieser zeitlosen Serie. Durch permanente Ergänzungen und Weiterentwicklungen über Jahrzehnte gehört das System UNIFLEX heute zu den modernsten Bibliotheksregalsystemen am Markt. Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten lassen breiten Raum für individuelles Bibliotheksdesign.

Fotos: Rainer Rehfeld

BuB Heft 12 2016.indd 1 03.11.2016 08:33:31

717BuB 68 12/2016

TechnoTHEK in Erfurt Die Bibliothek als praktischer Erfahrungs- und Erlebnisort / Kooperation mit dem Verein Deutscher Ingenieure (VDI)

Am 24. August ist in der Kinder- und Jugendbibliothek in Erfurt ein Tech-nikzentrum für Kinder und Jugendli-che eröffnet worden. Es wird fortan unter dem Namen TechnoTHEK fir-mieren und ist Resultat einer länge-ren und bewährten Zusammenarbeit zwischen der Stadt- und Regionalbi-bliothek Erfurt und dem Landesver-band Thüringen des dbv sowie dem Thüringer Bezirksverein des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI).

Unter reger Anteilnahme von Gästen aus Politik, Kommune, Schulen, Verbänden und Vereinen aus Stadt, Land und Bund wurde dieses deutschlandweit bislang einzigartige Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Idee wurde in zahlreichen Ge-sprächen entwickelt und Schritt für Schritt konkretisiert. Seitens der Ingeni-eure stand im Vordergrund, im Zeitalter der fortschreitenden Miniaturisierung der damit einhergehenden zunehmend schwieriger werdenden Durchdringung technischer Funktionalität entgegen-zuwirken. Daher ist es dem VDI wich-tig, schon bei Kindern und Jugendli-chen das Interesse und Bewusstsein für MINT-Kompetenz im Allgemeinen und für technische Bildung im Besonderen zu fördern. Die Bibliothek wiederum will sich mehr und mehr als ganz prak-tischer Erfahrungs-, Erlebnis- und Inspi-rationsort der Öffentlichkeit nahebrin-gen, um die sich hartnäckig haltenden Klischees der Bibliothek als bloßem Bü-cher-, Lese- und Ausleihort abzulösen.

Da den Schulen in aller Regel die In-frastruktur für die technische Grundla-genbildung fehlt, bot sich die Bibliothek als außerschulischer Bildungsort und zugleich niedrigschwelliger Treffpunkt geradezu an.

Die Formate für die technische Grundlagenbildung sehen für die 4- bis

12-Jährigen (VDIni-Club) und für die 13- bis 18-Jährigen (Zukunftspiloten) jeweils eine kontinuierlich stattfin-dende Veranstaltungsreihe in der Kin-der- und Jugendbibliothek vor. Es stehen komplette Klassensätze von Baukästen unterschiedlichster technischer The-menbereiche wie »Strom«, »Magnetis-mus«, »Programmierungen« und ande-res mehr bereit. Durchgeführt werden diese Veranstaltungsreihen von Studie-renden der Universität Erfurt des Fach-bereichs Grundschulpädagogik oder von Studierenden der Ingenieurwissen-schaften an der TU Ilmenau.

Parallel dazu sind die Schulen, Lehr-kräfte wie Schüler, im Klassenverband, als AG oder individuell, dazu eingela-den, sich im Rahmen von Projekttagen, thematischen Unterrichtseinheiten, Seminarfacharbeiten oder freien Projek-ten in Robotertechnik, Programmierun-gen (wie zum Beispiel zum Bestücken von Hochregallagern) oder anderen

Anwendungen mit technischen Frage-stellungen auseinanderzusetzen.

Im ersten Obergeschoss der Kinder- und Jugendbibliothek wurde für diese Zwecke ein ganzes Areal umgestaltet, sodass für alle Workshop-Formen genü-gend Tisch- und Freiflächen vorhanden sind und die korrespondierenden Me-dien sich darum gruppieren. Das Ganze wurde durch eine große Schauvitrine abgerundet, in der die in den Work-shops produzierten Ergebnisse präsen-tiert und so auch dem übrigen Laufpub-likum sichtbar gemacht werden können.

Weitere Informationen zur Techno-THEK gibt die Leiterin der Kinder- und Jugendbibliothek, Marina Glöckner: 0361/655-1595, kinderbibliothek@ erfurt.de.

Dr. Eberhard Kusber, Direktor der Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt

und Vorstandsvorsitzender des Landes-verbandes Thüringen im dbv

Schauen, staunen, anpacken: Die Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt bietet schon für ganz junge Besucher eine technische Erlebniswelt. Foto: Melanie Kahl

FOYER ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

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HOCHSCHULE DÜSSELDORF

Die Hochschulbibliothek auf dem Campus Derendorf in Düsseldorf wurde am 28. Juni 2015 in dem historischen, denkmalgeschütz-ten Bestandsbau, dem alten Schlachthof, eröffnet.

Die Einrichtung erfolgte mit unserem Regal- und Einrichtungssystem UNIFLEX - dem Klassiker unter den Bibliotheksregalen. Dessen klare Linien bestimmen das sachliche, moderne Design dieser zeitlosen Serie. Durch permanente Ergänzungen und Weiterentwicklungen über Jahrzehnte gehört das System UNIFLEX heute zu den modernsten Bibliotheksregalsystemen am Markt. Die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten lassen breiten Raum für individuelles Bibliotheksdesign.

Fotos: Rainer Rehfeld

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FOYER SCHULBIBLIOTHEK

Schulbibliotheken sind das Herz der Schule Vierter Niedersächsischer Schulbibliothekstag in Hannover

In seinem vierten Jahr war der Nie-dersächsische Schulbibliothekstag erneut ein Erfolg. Am 28. September kamen 80 Leiterinnen und Leiter von Schulbibliotheken aus dem gesam-ten Bundesland zur IGS Roderbruch in Hannover, um sich über aktuelle Themen zu informieren und Gleich-gesinnte zu treffen. Die Kombination aus Experten-Workshops und einem Markt der Möglichkeiten, bei dem sich Verlage, Buchhandlungen, Schul-bibliotheken und die Stadtbibliothek Hannover präsentierten und sich die Gäste austauschen konnten, kam bei allen Beteiligten gut an. Im Rahmen des Auftaktes wurde zum dritten Mal der Niedersächsische Schulbiblio-thekspreis überreicht, der in diesem Jahr unter dem Motto »Bücher emp-fehlen – sag‘s mit einem Video« stand.

Ein Auftakt voller Highlights: Zum Ein-stieg in den Tag fasste Erika Huxhold, Staatssekretärin im Niedersächsischen Kultusministerium, die positiven Effekte

von Schulbibliotheken zusammen. Sie hob hervor, dass Kinder und Jugend-liche durch attraktive Angebote in den Schulbibliotheken für das Lesen begeis-tert werden. Schulbibliotheken könnten zum einen Brücke zwischen Unterricht und Schulleben sein, zum anderen aber auch als Rückzugsorte dienen. »Mehr Zeit zum Leben und Lernen« in der Schule verbessere die Bildungschancen vieler Kinder. Sie wies aber auch darauf hin, dass Schulbibliotheken in der Hand der Kommunen und Landkreise lägen, die als Unterstützer gefordert seien.

Digitale Methoden wie Apps und die Produktion von Hör-spielen wurden genauso vor-gestellt wie Bastelideen und Recherchemöglichkeiten.

Diplom-Bibliothekarin und Medienpä-dagogin Julia Rittel, die die Schulme-diothek als »Herz der Schule« vorstellte und dabei viele Ideen aus der Praxis

einbrachte, berichtete aus ihrer eigenen langjährigen Erfahrung als Schulbiblio-thekarin und Vorsitzende der Landes-arbeitsgemeinschaft Schulbibliotheken in Nordrhein-Westfalen. Sie zeigte Mög-lichkeiten auf, Schulbibliotheken noch mehr als Lernorte zu nutzen. Ideen und Konzepte gebe es genug: Dass ein Blick in andere Länder sehr inspirierend für die eigene Arbeit sein kann, präsentierte Rittel anhand eindrucksvoller Fotos, die zum Teil Schulbibliotheken in anderen Ländern zeigten.

Im Anschluss wurde es noch einmal spannend, denn die Preisverleihung des dritten Niedersächsischen Schulbiblio-theks-Wettbewerbs stand bevor. Aus den vielen kreativen Einsendungen von kur-zen Filmen wurden unter großem Ap-plaus vier Gewinner-Filme gekürt. Zur Preisverleihung waren einige Schüle-rinnen und Schüler mit ihren Lehrkräf-ten eigens angereist. Die Gewinnerschu-len wurden jeweils mit einer Urkunde des Niedersächsischen Kultusministeri-ums und einem Preisgeld von 200 Euro geehrt. Die Videos sollen als Ideengeber für eigene Buchvorstellungen dienen. Auch im nächsten Jahr wird wieder ein Wettbewerb ausgelobt, dessen Thema Anfang nächsten Jahres bekannt gege-ben wird.

Facettenreiches Workshop-Angebot

In einer abschließenden Feed-back-Runde zeigten sich die Teilneh-menden vor allem von den vielfälti-gen Themen der Workshops begeistert: Digitale Methoden wie Apps in der Schulbibliothek und die Produktion von Hörspielen wurden genauso vor-gestellt wie Bastelideen und Voraus-setzungen für die Schulbibliothek als

Die Teilnehmenden konnten vielseitige Workshops zu Themen wie aktuelle Kinder- und Jugendliteratur, Schülerfirma, Hörspiele et cetera besuchen. Foto: Dagmar Schmidt

719BuB 68 12/2016

FOYER SCHULBIBLIOTHEK

Rechercheort. Referentin Imke Hanssen gab in ihren Workshops zahlreiche me-thodische Tipps zum Einsatz aktueller Kinder- und Jugendliteratur in der Bib-liothek, die von den Teilnehmenden so-gleich ausprobiert werden konnten. Be-sonders beeindruckte eine Veranstal-tung, die das Modell Schulbibliothek als Schülerfirma vorstellte. Der Workshop wurde von Schülerinnen und Schülern, die sich in der Schülerfirma »Living Li-brary« des Max-Planck-Gymnasiums De-lmenhorst (siehe hierzu den Beitrag auf Seite 720) für ein breites Kulturangebot in der Schulbibliothek engagieren, und ihren Lehrerinnen gegeben.

Die Schul- und Stadtbibliothek Roderbruch und der Markt der Möglich-keiten waren immer wieder Anlaufpunkt: So fand ein Workshop zum Thema »Ver-achtet mir die Lexika nicht« von Jochen Dudeck mitten in der Bibliothek statt und auch die Marktstände zogen sich vom Schulflur bis in die Bibliothek hin-ein. An Stellwänden und den Ständen der Verlage, der Buchhandlung, der ekz, der Akademie für Leseförderung und der Stadtbibliothek Hannover gab es viel

Neues zu entdecken. Da diese Tagung die einzige ihrer Art im Jahr ist, bei der Lei-terinnen und Leiter von Schulbibliothe-ken die eigene Arbeit unter die Lupe neh-men und Anregungen erhalten können, wird sie auch ausgiebig genutzt – viele Leiterinnen und Leiter von niedersäch-sischen Schulbibliotheken, aber auch Deutsch-Fachleitungen und Ehrenamtli-che waren bereits zum vierten Mal dabei.

Der nächste Schulbibliotheks-tag findet am 20. September 2017 in Rinteln statt.

Eine umfangreiche Tagungsdokumen-tation steht auf der Website der Akade-mie für Leseförderung Niedersachsen unter www.alf-hannover.de/archiv/niedersaechsischer-schulbibliotheks tag zur Verfügung. Außerdem finden sich dort eine Karte lokaler Schulbib-liotheks-Netzwerke, Kontaktdaten der Regionalbeauftragten für Schulbiblio-theksarbeit sowie weitere Informatio-nen zum Netzwerk Niedersächsischer Schulbibliotheken.

Der fünfte Schulbibliothekstag wird am 20. September 2017 im Gymnasium Ernestinum und der Kreisergänzungsbü-cherei Rinteln stattfinden.

Akademie für Leseförderung Niedersachsen

Fachzeitschrift des BIB Berufsverband Information Bibliothek e.V.68. Jahrgang, Nr. 12, Dezember 2016 ISSN 1869-1137

Herausgeber (institutionell) / EigenverlagBerufsverband Information Bibliothek (BIB)Gartenstraße 18 · 72764 Reutlingen

Herausgeber (fachlich)Olaf Eigenbrodt, HamburgDr. Carola Schelle-Wolff, HannoverDr. Dirk Wissen, Berlin

RedaktionsbeiratDale S. Askey, Mc Master Univ. Library, Hamil-ton, Ontario · Dr. Jan-Pieter Barbian, Stadtbiblio-thek Duisburg · Dr. Jürgen Lodemann, Schriftstel-ler, Freiburg im Breisgau und Essen · Dr. Gerhard W. Matter, Kantonsbibliothek Baselland, Liestal · Walburgis Fehners, Bibliothek der FH Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven · Barbara Schleiha-gen, Deutscher Bibliotheksverband, Berlin · Prof. Cornelia Vonhof, Hochschule der Medien, Stuttgart · Dr. Harald Weigel, Vorarlberger Landesbibliothek, Bregenz

RedaktionPostfach 13 24 · 72703 ReutlingenTelefon (07121) 34 91-0 / E-Mail: [email protected]: Bernd Schleh (verantwortlich, slh) und Steffen Heizereder (hei)Rezensionen: Dr. Jürgen PlieningerAus dem Berufsverband: Katrin Lück

AnzeigenAnnegret Kopecki, Tel: 07121/3491-15Miriam Stotz, Tel: 0711/781988-34E-Mail: [email protected]

Druck und VertriebWinkhardt Print & MailErnsthaldenstraße 53, 70565 Stuttgart

verbreitete Auflage7609 Exemplare (3. Quartal 2016)

Datenschutzbeauftragte Regina Störk

Erscheinungsweisezehn Hefte jährlich (Doppelhefte:Februar/März und August/September)

Preisje Heft € 14, jährlich € 94, print+digital € 109, ermäßigt € 47Preise einschließlich MwSt. und zzgl. Versand-gebühr. Für Mitglieder des BIB ist der Bezug im Mitgliedsbeitrag enthalten.

Redaktionsschluss für Heft 2-3/2017: 4. Januar Anzeigenschluss für Heft 2-3/2017: 11. Januar

Forum Bibliothek und InformationBuB

Der Markt der Möglichkeiten regte zu manchem Fachgespräch an Ständen und Stellwänden an. Foto: Dagmar Schmidt

Alle Videos des Schulbib-liothekswettbewerbs kön-nen über die BuB-App ab-gerufen werden.

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Leseförderung in Schülerhand

Die Schülerfirma »Living Library« am Max-Planck-Gymnasium in Delmenhorst

»Und vergiss nicht, die Pressemel-dung heute rauszuschicken!« Annika von der Marketingabteilung nickt wis-send und fährt dann fort, mit ihrer Gruppe die Ankündigungsposter für die im November stattfindende »Rea-ding Night« zu planen. Der Einblick in eine Werbeagentur? Mitnichten. Es handelt sich um die Schülerfirma »Living Library« des Max-Planck-Gym-nasiums in Delmenhorst.

Insgesamt 37 Schülerinnen und Schüler des 11. und 12. Jahrgangs arbeiten ge-meinsam mit dem Ziel, ihre Schulbiblio-thek durch Leseevents zu beleben. Die Idee entwickelte sich aus der Not her-aus: Bereits das Renovierungsprojekt der 270 Quadratmeter großen Schulbi-bliothek mit insgesamt 10 000 Me-dien gestaltete sich schwierig, da die nötigen Gelder und personel-len Ressourcen fehlten. Mithilfe eines großen Sponsorenlaufs, der Unterstützung des Schulvereins sowie des Engagements der ge-samten Schulfamilie wurde das Projekt schließlich doch geschul-tert und die neu renovierte Schul-bibliothek konnte im Mai 2016 er-öffnet werden. Bereits da existierte die Pilotprojektfirma »Booklyn Me-dia«, die sich an der Aus- und Wie-dereinräumung des Raumes betei-ligte, Ideen für ein neues Medien-konzept erarbeitete und die ersten Leseaktionen in der Schulbiblio-thek durchführte.

Es war von Beginn an klar, dass neben den Öffnungszeiten, die am »Maxe« durch ehrenamtlich arbei-tende Eltern abgedeckt werden, auch regelmäßig neue Literatur und interessante Leseveranstaltun-gen angeboten werden mussten,

um die Bibliothek attraktiv zu machen. Doch ohne feste Schulbibliothekskraft und ein vorhandenes Budget ist dies kaum umzusetzen – mit dieser Situa-tion sehen sich viele Schulbibliotheken in Deutschland konfrontiert.

Diese Notlage brachte die Deutschlehrerinnen Julia Pietyra ge-meinsam mit der Autorin schließlich zu der Idee der Schülerfirma. Leseveran-staltungen sind ja wie kleine Events. Ob es sich nun um eine Lesenacht handelt oder eine Autorenlesung, das Prinzip ist dasselbe: Planung, Zielgruppenanalyse, Werbe- und Pressearbeit und die rei-bungslose Durchführung des Events – kurzum: Man macht eigentlich den Job, den eine Werbe- oder Eventfirma letzten Endes auch machen würde. Wieso diese

Aufgabe also nicht in die Hände einer Schülerfirma legen?

Eigenes Logo entwickelt

»Living Library« ist wie ein richtiges Un-ternehmen in kleine Abteilungen auf-geteilt, die ein Event gemeinsam pla-nen und durchführen. Es gibt eine Ge-schäftsführung, eine Marketing- und eine Finanzabteilung, eine Verwaltung und IT-Spezialisten. Die Events werden durch kleinere Buchbasare finanziert, wo die Firma aussortierte Bibliotheks-bücher oder Buchspenden verkauft. Ein weiteres Finanzierungsstandbein ist das Sponsoring durch ortsansässige Firmen. Die Schülerfirma hat auch ihr eigenes

Logo entwickelt, mit dem Werbe-artikel bedruckt werden, die bei-spielsweise bei einer Weihnacht-stombola verlost werden.

Allein im Schuljahr 2015/16 hat »Living Library« eine ganze Reihe von Leseveranstaltungen für die Schule, aber auch für Gäste von außerhalb, veranstaltet: Ei-nen Leseadventskalender mit Ge-winnspiel im vergangenen De-zember, einen großer Poetry Slam und eine Autorenlesung. Es wurde zudem ein Leseclub für Klasse 6 bis 8 angeboten, ein Book Sha-ring-Schrank vor der Mensa einge-richtet und ein BibBlog veröffent-licht: Auf www.bamaxe.blogspot.com informieren Texte, Bilder und Videos über laufende und vergan-gene Aktionen.

Der Vorteil einer Verknüpfung aus Leseförderung und Schülerfir-menarbeit liegt auf der Hand: Mit insgesamt 37 Mitarbeitern verfügt die Schülerfirma über »Manpower«

FOYER SCHULBIBLIOTHEK

721BuB 68 12/2016

und vervielfacht dadurch natürlich die zeitlichen Ressourcen, die einer Schule sonst für Leseförderung fehlen. Die Schulgemeinschaft profitiert enorm von der Dichte an Leseveranstaltun-gen. Die Firmenmitglieder lernen das Prinzip des Projektmanagements ken-nen, agieren selbst wirksam und erhal-ten eine konkrete Unterstützung bei der Berufsorientierung.

Auch der lesekulturelle Nebenef-fekt ist nicht zu unterschätzen: An dem Poetry Slam waren beispielsweise viele bei der Organisation beteiligt, die vor-her eine solche Veranstaltung noch nie besucht hatten – und die im Anschluss begeistert davon waren. Dadurch ent-stehen Multiplikationseffekte – eine Art »Peer-to-Peer«-Leseförderung.

Den Rahmen für dieses ungewöhn-liche Projekt bildet das zweistündige Seminarfach – die Schüler treffen sich jede Woche, und die Tatsache, dass es sich um ein benotetes Unterrichtsfach handelt, schafft Verbindlichkeit. Team-fähigkeit, Zuverlässigkeit und Kommuni-kation sind wesentliche Grundpfeiler des Projektunterrichts – das merken auch die Schüler schnell, wenn vereinbarte

Termine platzen oder eingeplantes Ma-terial fehlt. Der Unterrichtsraum ist die Schulbibliothek, die mit internetfähigen PCs, ausreichend Fläche und einem an-grenzenden Buchmagazin die optimalen Arbeitsvoraussetzungen bietet.

Das Konzept von »Living Library« wurde jüngst mit dem Deutschen Leh-rerpreis 2016 in der Kategorie »Unter-richt innovativ« ausgezeichnet.

Dr. Erika Labinsky, Max-Planck- Gymnasium, Delmenhorst

Westerstrasse 114-116 | D-28199 Bremen | fon: (0421) 50 43 48 | fax : (0421) 50 43 16

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Mit kleinen Events werden Finanzmittel erworben: Weihnachtsbuchbasar mit den Schülerinnen Karina Wirz, Anneke Janocha, Annika Braue und Julia Hruzik (von links). Foto: Lena Malzahn

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Rücksichtnahme auf die kulturelle Vielfalt Kenianischer Bibliothekspreis zum siebten Mal vergeben / Initiative des Goethe-Instituts

Ende September 2016 fand zum sieb-ten Mal die Verleihung eines nationa-len Bibliothekspreises in Kenia statt. Der kenianische Bibliothekspreis ist eine Initiative des Goethe-Instituts in Zusammenarbeit mit dem kenianischen Bib-liotheksverband und der Jomo Kenyatta Founda-tion. Das Projekt wird auch vom kenianischen Kulturministerium finan-ziell unterstützt. Andere Projektpartner wie World Reader, Book Aid Interna-tional und eKitabu stellen Sachspenden (Bücher, Computer, E-Reader) als Preise für Gewinner zur Verfügung. Mit der Aus-zeichnung stärken die Partnerorganisationen die wichtige Rolle der Bi-bliotheken für die kenia-nische Gesellschaft und die Motivation der Bibliotheken im Wettbewerb um Qualität.

An dem Wettbewerb dürfen Bibliothe-ken in folgenden Kategorien teilnehmen: große Öffentliche Bibliotheken, kleinere Gemeindebibliotheken, Spezialbibliothe-ken, Universitätsbibliotheken und Schul-bibliotheken. Die Gewinner der verschie-denen Kategorien und der Hauptgewin-ner – »Bibliothek des Jahres« – werden von einer unabhängigen Jury gewählt. Grundlage sind ausführliche Bewerbun-gen und Ortsbesichtigungen. Der Preis ist für eine Maßnahme zugunsten der ge-würdigten Bibliothek einzusetzen.

Folgende Kriterien sind ausschlagge-bend für die Auszeichnung:

1. Leistungen für die Community wie öffentliche Veranstaltungen oder Pro-gramme der Leseförderung;

2. Aktualität des Medienbestands; 3. Rücksichtnahme auf die kulturelle

Vielfalt der kenianischen Gesellschaft;4. Auseinandersetzung mit den Grund-

fragen der heimischen Gesellschaft;

5. Einsatz moderner Technologien bei der Informationsdienstleistung.

Am diesjährigen Wettbewerb hatten insgesamt 81 Bibliotheken teilgenom-men. Mit dem Hauptpreis wurde die Bib-liothek vom Kenya National Library Ser-vice in Kisumu ausgezeichnet. Alle zehn Jurymitglieder waren der Meinung, dass diese Bibliothek den Preis verdient, und zwar aus mehreren Gründen:

• Die Bibliothek hat sich in den ver-gangenen fünf Jahren als wichtiger Ak-teur im Bereich der Leseförderung und der Vermittlung von Recherche- und Informationskompetenz etabliert. In mindestens zehn Schulen hat die Bi-bliothek sogenannte Buch-Clubs ge-gründet, in denen sich Schüler unter-schiedlicher Schulklassen und Alters-gruppen regelmäßig treffen und sich mit Aktivitäten wie zum Beispiel Lesen,

Schreiben, Geschichten erzählen, In-formationen online suchen und so wei-ter beschäftigen. Diese Aktivitäten wer-den in Zusammenarbeit mit den Lehrern und den Bibliothekaren organisiert und durchgeführt.

• Die Bibliothek organisiert auch re-gelmäßig einen Bastelvormittag für El-tern und ihre Kinder. Dabei gibt es so-wohl Aktivitäten für Eltern und Kinder zusammen als auch Aktivitäten für El-tern unter sich. Dadurch ist die Biblio-thek zu einem beliebten Ort des Lernens und der Begegnung geworden.

• Mit einem Bücherbus fahren die Bi-bliotheken einmal pro Wo-che zu abgelegenen Orten und bedienen die Leute dort mit Büchern, Zeit-schriften und anderen Me-dien, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten.

• Die Bibliothek hat ein spezielles Programm für Kinder mit Lese- und Rechtschreibstö-rung. Anhand von mobi-len Lesegeräten (Tablets, E-Book-Reader) und inter-aktiven Bilderbüchern hel-fen die Bibliothekare den Kindern, ihre Lese- und Schreibfertigkeiten zu verbessern.

• Die Bibliothek trägt zur Erhaltung des kulturellen Erbes bei: Sie organisiert traditionelle Tänze, Geschichten erzählen und Theaterauf-führungen. Diese werden aufgezeichnet und im DVD-Format den Kunden in der Bibliothek zur Verfügung gestellt.

Die Bibliothek in Kisumu ist eine der 60 Bibliotheken im Netz vom Kenya Na-tional Library Service, einer staatlichen Einrichtung, die für die Verwaltung und Finanzierung von Öffentlichen Biblio-theken in Kenia zuständig ist.

Eliphas Nyamogo, Leiter Information und Bibliothek – Goethe-Institut Kenia

FOYER AUSLAND

Ansturm auf Bücher und Medien: Kenias »Bibliothek des Jahres« in Kisumu ist bei Kindern und Jugendlichen ganz besonders beliebt. Foto: KNLS Kisumu

Weitere Fotos zur Verleihung des Kenianischen Biblio-thekspreises in der BuB-App.

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Einfach Lesen! Arabischsprachige Kinder- und Jugendbücher für die Arbeit mit Geflüchteten in Bibliotheken

Kinder, die Bücher von hinten nach vorne lesen, Bibliothekarinnen und Bibliothekare, die versuchen, Bücher anhand von Bildern zu katalogisie-ren und Begegnungen, die sonst viel-leicht nicht möglich gewesen wären: So funktioniert Lesen auf Arabisch mit dem Buchpaket »Einfach Lesen!«.

Die Beschaffung geeigneter Medien für die Arbeit mit Geflüchteten stellt Öffent-liche Bibliotheken vor Herausforderun-gen. Während es für zweisprachige Kin-der- und Jugendbücher bereits einige Angebote entsprechender Verlage gibt, sind arabischsprachige Medien für diese Zielgruppe noch schwer erhältlich. Aus diesem Grund hat das Goethe-Institut mithilfe seines internationalen Netz-werkes für die Aktion »Einfach Lesen!« Bücher auf Arabisch für Kinder und Ju-gendliche erworben und kostenfrei 300 Schul- und Öffentlichen Bibliotheken in Deutschland zur Verfügung gestellt.

Dank der Unterstützung der Japan Art Association konnten 20 verschie-dene arabischsprachige Kinder- und Ju-gendbuchtitel erworben werden. Diese Bücher deutscher Autorinnen und Au-toren wurden in den vergangenen Jah-ren mit Mitteln der Übersetzungsförde-rung des Goethe-Instituts ins Arabische übersetzt und von Verlagen in Ägypten, dem Libanon und Palästina vertrieben. Um Bibliotheken in Deutschland bei ih-rer Arbeit mit Geflüchteten zu unterstüt-zen, wurden zum Teil Restbestände der Titel durch die Goethe-Institute in Kairo und Ramallah erworben und an die Zen-trale nach München geschickt, wo sie zu Paketen mit dem Titel »Einfach Lesen!« zusammengestellt wurden. Darin ent-halten waren unter anderem Titel von Daniela Kulots »Krokodil und Giraffe«, Anja Riegers »Lena und Paul«, Cornelia Funkes »Herr der Diebe«, Märchen der Gebrüder Grimm und »Dr. Brumm gibt Gas« von Daniel Napp.

Ende des ver-gangenen Jahres hat das Goethe-In-stitut mit der Unterstützung des Deut-schen Bibliotheksverbandes (dbv) Öf-fentliche Bibliotheken in Deutschland aufgerufen, ihren jeweiligen Bedarf an Buchpaketen mit arabischsprachi-gen Kinder- und Jugendbücher zu mel-den. Aus über 450 Institutionen kam die überwältigende Nachfrage nach 1 000 Paketen. Diese Rückmeldung überstieg das zur Verfügung stehende Angebot um mehr als das Dreifache.

Durchweg positive Reaktionen

Die Freude beim Auspacken der Pa-kete war groß, allerdings stellte sich die Frage: Wie katalogisiert man Kinderbü-cher in arabischer Sprache, wenn keine entsprechenden Sprachkenntnisse vor-handen sind und das Impressum nicht in lateinischer Schrift verfasst ist? Wenn es sich nicht um die bekannteren Bil-derbücher handelt, die zum Beispiel an-hand des Titelbildes identifiziert wer-den können, sondern wenn die Illust-rationen keinen Hinweis auf den Titel geben? Mithilfe der Kolleginnen des Go-ethe-Instituts in Kairo wurde eine Liste erstellt, die neben dem arabischen Titel den transkribierten und den originalen Titel, die ISBN, Angaben zu Autoren und Übersetzer und weitere zur Katalogisie-rung notwendige Angaben enthält.

Die Reaktionen der Bibliotheken wa-ren durchweg positiv. Viele Bibliothe-ken unterschiedlichster Größenordnung planten und planen Einsatzmöglichkei-ten für das Buchpaket. Eine Bibliothek bietet zum Beispiel Bücher-Rucksäcke zu diversen Themen an, die an Grund-schulen verliehen werden. Die »Einfach Lesen!«-Bücher wurden in einen Will-kommens-Rucksack aufgenommen. Et-liche Bibliotheken haben Schulklassen

eingeladen, zweisprachige Vorlesungen organisiert oder die Kinder- und Jugend-bücher an Flüchtlingsunterkünfte wei-tergeleitet, in denen kleine Bibliotheken eingerichtet wurden. »Deutsche Kin-der- und Jugendliteratur bietet jungen Flüchtlingen mehr als nur eine Ablen-kung von ihren schwierigen Lebensum-ständen«, meint Heike Friesel, Leiterin des Bereichs Literatur- und Überset-zungsförderung im Goethe-Institut. »Sie bietet vielmehr einen Einstieg in die Le-benswelt junger Menschen in unserem Land, in ihre Hoffnungen und Träume, in Werte und mögliche Konflikte.«

»Wir leisten mit dieser Aktion einen unmittelbaren Beitrag zur Integration und unterstützen die erheblichen Anstrengun-gen, die die deutschen Bibliotheken bei der Arbeit mit Geflüchteten zeigen. Das Kontingent von 6 000 Exemplaren reichte dabei bei Weitem nicht aus. Der Bedarf ist bundesweit sicher noch sehr viel höher«, sagt Hella Klauser, die damalige Leiterin des Bereichs Bibliotheken im Goethe-In-stitut. Für viele Bibliotheken stellt sich nun die Frage: Wo kann man die Kinder- und Jugendbücher noch nachbestellen? Oder, wie es die Kollegin einer Stadtbib-liothek formulierte: »Die Titel sind so at-traktiv, dass wir eventuell noch aufstocken würden – aber natürlich ohne dienstliche Reise nach Ägypten.« In diesem Fall sei auf den örtlichen Buchhandel verwiesen. Bei Bedarf können dort einige der Titel be-stellt werden. Weitere Angebote des Go-ethe-Instituts für Geflüchtete gibt es unter www.goethe.de/willkommen, dort wird demnächst auch die multimediale Materi-alsammlung eines entsprechenden Work-shops vom Juni dieses Jahres in Berlin zur Verfügung stehen.

Daniela Ponholzer, Volontärin im Bereich Bibliotheken des Goethe-Instituts

Kinder- und Jugendbücher in arabischer Übersetzung des Buchpa-ketes »Einfach Lesen!«. Foto: Bettina Siegwart

FOYER MEDIEN

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FOYER DIGITALE INFORMATION

Coding für die Kleinsten Bee-Bots zu Gast in Polen

Pünktlich zum Tag des Vorlesens in Polen und zur Feier der 25-jährigen Städtepartnerschaft von Köln und Kattowitz fand unter der Leitung der Auszubildenden der Stadtbibliothek Köln eine deutsch-polnische Lesung in der Zentralbibliothek am Neumarkt statt. Parallel führte die Ausbildungs-leiterin Alina Kolinski dieselbe Ver-anstaltung in der Stadtbibliothek in Kattowitz durch.

Das Buch »Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab« von Sam McBratney und Anita Jeramin wurde in einer leicht veränderten Ver-sion sowohl auf Deutsch als auch auf Polnisch vor-gelesen. Für die Lesung wurden Bee-Bots einge-setzt. Das sind manuell programmierbare Roboter, die auf einer il-lustrierten Matte bewegt werden. Um den

Kindern die jeweils andere Partnerstadt nä-her zu bringen, hatten beide Bibliotheken

im Vorfeld lokaltypische Motive beigesteuert, die von den Auszubildenden der Stadtbibliothek Köln zu einer speziellen Matte für die Bee-Bots zusam-mengefasst wurden.

Die Veranstaltung wurde über Skype eingeleitet, indem sich beide Gruppen

Die Kinder hörten ge-spannt zu und freuten sich darauf, die kleine

Biene zu programmieren.

Die Bee-Bots verbinden Köln mit dem polnischen Kattowitz: Zeitgleich wurden in der Domstadt (Fotos rechts) und in der polnischen Partnerstadt eine Lesung veranstaltet. Via Skype (oben) waren die beiden Bibliotheken miteinander verbunden. Unterstützend wurden die sogenannten Bee-Bots, programmierbare Roboter, eingesetzt. Fotos: Stadtbibliothek Köln

725BuB 68 12/2016

begrüßten und über die Bildschirme zu-winkten. Es kamen über 20 Kinder, teils mit Eltern, teils allein, um an der Bee-Bot-Lesung teilzunehmen.

Auszubildende erwerben multifunktionale Schlüssel-kompetenzen wie Koope-rations- und Innovations-fähigkeit.

Bevor die Veranstaltung losging, wurden die Kinder in die Funktion der Bee-Bots ein-gewiesen – und damit stieg die Anspannung deutlich. Es wurde in beiden Lesungen zu-erst der deutsche Text und danach der pol-nische Text vorgetragen sowie die Bedeu-tung der lokaltypischen Motive erklärt.

Dabei hörten die Kinder gespannt zu und freuten sich darauf, die kleine

Biene, die als Hase verkleidet wurde, zu programmieren. Alle wartenden Kinder malten währenddessen Bilder mit lokal- und buchtypischen Motiven aus.

Damit die Kinder aus Katto-witz zukünftig über die Partnerstadt Köln in-formiert werden kön-nen, wurde der Teppich sowie der program-mierbare Roboter als Geschenk an die Stadtbiblio-thek Kattowitz übergeben.

Der Erfolg der Veranstal-tung zeigt, dass Projektarbeit zu-nehmend auch ein wichtiger Bestand-teil der betrieblichen Ausbildungszeit

sein kann. Gerade im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung in den ver- schiedenen Arbeitsberei-

chen, den Wegfall von ri-tualisierten Arbeitsvor-gängen und der damit ein-hergehenden Veränderung der Arbeitsinhalte wird die Arbeit mit Menschen immer

wichtiger. Auszubildende er-werben so multifunktionale Schlüsselkompetenzen wie beispielsweise Koopera-tions- und Innovationsfä-

higkeit, die sie für das spätere Arbeitsleben in einem Dienst-leistungsunternehmen benö-

tigen werden.

Alina Kolinsi, Stadtbibliothek Köln

FOYER DIGITALE INFORMATION

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In Köln im Einsatz: ein Bee-Bot

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Unsere Gesellschaft hat sich von einer Wissens- über eine Informations- zu ei-ner Inszenierungs-Gesellschaft gewan-delt und Bibliotheken müssen sich dem anpassen und hierzu Räume bieten. Das sagt der Philosoph Gernot Böhme, der seit 2011 Vorsitzender der Darmstädter Goethegesellschaft und seit 2005 Direk-tor des Instituts für Praxis der Philoso-phie in Darmstadt ist.

Dirk Wissen: Sind Bibliotheken für un-sere mobile Gesellschaft wichtige Bil-dungs- und Kulturtreffpunkte?

Gernot Böhme: Schauen Sie sich die Universitäts- und Landesbibliothek in Darmstadt an. Diese hat nicht einmal ein Anschlagsbrett, an dem man irgendeine Bil-dungsveranstaltung oder etwas Kulturelles bekannt machen könnte. Und wenn man Bibliotheken als gesellschaftliche Treff-punkte und in diesem Zusammenhang als Orte der öffentlichen Kommunikation ver-steht, dann ist es diese neue Bibliothek in Darmstadt nicht. Die große Cafeteria, die diese Bibliothek hat, ist schon ein Treff-punkt, aber eben ein normaler Aufenthalts-raum für die Studenten.

Wie würden Sie die Atmosphäre von Bib-liotheken definieren?

Ich bin sehr dagegen, die Atmosphäre zu definieren, denn einer Atmosphäre muss man sich ja individuell aussetzen. Man muss die Atmosphäre erleben bzw. in sie eintau-chen. Auch wenn es sehr verschiedene

Bibliothekstypen mit unterschiedlichen Funktionen gibt, die folglich in dieser brei-ten Spanne verschiedenste Atmosphären haben, von den großen klassisch-histori-schen Bibliotheken, wie zum Beispiel den Barockbibliotheken, bis zu den modernen funktionalen Medienzentren, die eine an-dere Atmosphäre besitzen. Die modernen Bibliotheken sind stark auf die Funktiona-lität reduziert. Das ist bei den alten Biblio-theken, die viel mehr als »Repräsentations-räume« dienten, anders.

Höre ich da Kritik heraus, wie sich der-zeit unsere menschlich-technische Welt verändert?

Das kritisiere ich nicht, ich bedauere es. Das, was ich bisher an Bibliotheken wie der Münchener Staatsbibliothek mit ihrem gro-ßen Lesesaal geschätzt habe, ist, dass man diesen von der Empore rund herum über-blicken und sehen kann, welche anderen Leute da sind, wodurch man atmosphärisch teilnimmt. Bei vielen modernen Bibliothe-ken ist das nicht mehr so. In moderneren Bi-bliotheken ist alles nur noch funktional ge-baut. Die Leute sitzen in Reihen voneinan-der abgeschirmt am PC.

Also Bibliotheken bilden nicht nur ei-nen Raum sondern sind Quellen zum Eintauchen?

Ja, da gibt es zum Beispiel die Widener Bibliothek, die für Besucher überwältigend wirkt. Aber auch die Pariser Nationalbiblio-thek bietet in den unteren Etagen Möglich-keiten zum Eintauchen in die besondere At-mosphäre. Man ist mit dem ganzen Körper von Büchern umgeben und das ist ein be-sonderes Erlebnis. Das ist eine andere At-mosphäre, als sie diese alten großen klas-sischen Bibliotheken bieten, bei denen die Bücher den Menschen auf Distanz umgeben durch ihre ästhetische Ausstrahlung mit den alten und schönen Folianten. Man taucht in

ein Meer der Literatur ein, das ist toll. Die-ses physisch von Büchern umgeben sein, das ist etwas, das Bibliotheken unnachahmlich macht. Das gibt es nicht im Internet.

Braucht unsere Gesellschaft noch Bibliotheken?

Umgekehrt sollten Sie fragen: Brauchen Bibliotheken noch unsere Gesellschaft? Denn die wird manchmal ausgeschlossen. Das ist zum Beispiel bei der Universitäts- und Landesbibliothek in Darmstadt gege-ben. Sie bietet Zugang nur über eine Uni-versitätskarte. Früher war es so, dass sich dort auch Rentner Zeitung lesend den gan-zen Tag aufgehalten haben. Das ist nun mit dem Neubau vorbei und alles sehr exklu-siv geworden. Bei Stadtbibliotheken ist es wichtig, dass Bibliotheken hohe Aufent-haltsqualitäten durch Kommunikations-räume, zum Beispiel für lesende Rentner oder spielende Kinder, bieten.

So wird der Mensch zu einem kommu-nizierenden Medium in der Bibliothek?

Stimmt, den Ausdruck »Medium« kann man auch in diese Richtung ausweiten. Doch würde ich gerne noch einen anderen Typ von Bibliothek in dieses Gespräch mit einbringen wollen, zum Beispiel die Biblio-thek des Stifts Melk. Eine wirklich mächtige und prächtige Bibliothek. Das nenne ich eine Bibliothek mit Atmosphäre! Vergleich-bar ist hier die Hofbibliothek in Wien. Diese barocken Bibliotheksbauten sind wun-derbar ausgearbeitet, und betrachtet man nur die Regale – das sind begehbare Bib-liotheksschränke, nicht nur Bücherwände mit großen Leitern. Die sind mit wandelba-ren Emporen versehen und es gibt Regaltü-ren, mit dahinter liegenden Arbeitsplätzen. Leider ist so etwas nur noch touristisch zu erleben und durch Absperrseile unzugäng-lich gemacht. So etwas kommt in moder-nen Bibliotheken nicht mehr vor. In solch

FOYER WISSEN FRAGT ...?

Warenästhetik Wahrheitsanspruch Wissensgesellschaft Auf einen Espresso mit dem Philosophen Gernot Böhme zur »Atmosphäre von Bibliotheken«

Auf einen Espresso mit Gernot Böhme.

Wissen fragt ...?

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Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt

727BuB 68 12/2016

FOYER WISSEN FRAGT ...?

einer Bibliothek zu sitzen und alte Folianten zu studieren ist ein richtiges Eintauchen. Ich habe einmal 14 Tage in der Bibliothek des King´s-College in Cambridge Manuskripte von Newton in den Händen halten dür-fen. Das waren Original-Handschriften von Isaac Newton! Das ist ein Gefühl von großer Achtung, was man dabei erlebt.

Gibt es für Sie architektonisch betrachtet eine vorbildliche moderne Bibliothek?

Vorbildlich und sehr eindrucksvoll, aber auch grotesk ist die Philologische Bibliothek der Freien Universität in Berlin Dahlem von Norman Foster. Das Groteske ist, dass diese großartige Bibliothek, die durch eine sehr schöne geschwungene Kuppel zusammen-gefasst wird, in der Lichtkuppel undicht ist und deshalb Regenwasser hineinlässt. Und nun stehen lauter Plastikeimer im Foyer. Das sieht aus wie ein paradoxes Kunstwerk, weil da Dinge zu sehen sind, die dort gar nicht hingehören.

Wie wichtig ist die Symbolik in der Wahrnehmung der Atmosphäre in Bibliotheken?

Moderne Bibliotheken sind gegenüber den historischen Bibliotheken zunächst sehr symbolarm. Halten wir das schon mal fest. Und ich habe ja bereits auf barocke Bi-bliotheken hingewiesen, die in ihrer eige-nen Weise Bewegungsanmutungen mit sich bringen. Das sind nicht immer unbedingt Symbole, aber zum Teil eben doch. In der Hofbibliothek in Wien gibt es zum Beispiel Deckengemälde mit symbolischen Darstel-lungen. Hier wird über Symbole und Bild-motive unsere kulturelle Welt, in der wir le-ben, abgebildet. Das ist bei den modernen Bibliotheken weniger der Fall. Diese haben deshalb kaum historische Tiefe.

Leben wir in einer »kulturellen Welt der Wissensgesellschaft«?

Bezüglich des Terminus »Wissensge-sellschaft« bin ich sehr kritisch, denn man sollte zunächst die Begriffe »Wissen« und »Information« unterscheiden. Leider ist es eben so, dass das akademische Studium und das, was die Studenten als Lernen be-treiben, mehr in Richtung aufnehmen von

Informationen geht bzw. in Richtung In-formationsverarbeitung und nicht in Rich-tung Aneignung von Wissen. Heute ist ein Studium ein in sich Hineinfressen und Aus-spucken, also so etwas wie ein Bulimie-studium. Das liegt an dieser »Durchund-durchorganisation« jedes Studienbereichs auf bestimmte Prüfungsleistungen hin. Es gibt ja keine Veranstaltung mehr, die nicht abgeprüft wird. Die Studenten werden da-rauf hin trainiert, nicht wegen der Inhalte, die sie interessieren, zu einer Vorlesung zu kommen, sondern wegen der Credit-Points.

Und so wird die »Wissensgesellschaft« zu einer »Credit-Point-Gesellschaft«?

Genau, dass stimmt, ich würde hier-für nur eine andere Terminologie nehmen. Kennen Sie das Buch »The Circle« von Dave Eggers? Er beschreibt eine solche Vision. Das ist die Fortschreibung dessen, was be-reits läuft. Jeder wird immer sofort bewer-tet, in allen Bereichen. Es gibt für alles ein Ranking und Skalen, die bis in die Tausende gehen.

Welche Gesellschaftsform wird es in zehn Jahren geben?

Das ist schwierig zu sagen. Vielleicht eine »Circle-Gesellschaft«. Ich glaube, wenn ich über den Mainstream nachdenke, ist unsere Gesellschaft vor allem als eine technische Zivilisation zu verstehen. Diese Durchtechnisierung aller Lebensbeziehun-gen ist das, was sich weiter durchsetzen wird. Natürlich wird es hier auch Gegenbe-wegungen geben. Ich selber stehe hier für mehr Leiblichkeit, Natürlichkeit und Anwe-senheit. Mir gefällt zum Beispiel dieses per-sönliche Gespräch, jetzt und hier, und nicht digital oder per Telefon. Ich stehe für eine Face-to-Face-Kommunikation. Einen As-pekt unserer gesellschaftlichen Entwick-lung beschreibe ich in meinem Buch »Äs-thetischer Kapitalismus«. Aus dieser Warte heraus betrachtet leben wir in einer »Insze-nierungs-Gesellschaft«. Jeder inszeniert sich selber, den eigenen Lifestyle, die Poli-tik inszeniert sich, alles findet wie auf der Theaterbühne statt.

Benötigt diese »Inszenierungs-Gesell-schaft« entsprechende Inszenierungs- Bibliotheken«?

Ja, »Inszenierungs-Bibliotheken«, das stimmt und zwar mit einer gewissen

»Warenästhetik«, das ist ein passender Be-griff dazu. Dieser wurde von Wolfgang Fritz Hauck geprägt und hat seine Vorgeschichte bei Walter Benjamins »Passagen-Werk«. – Es könnte sein, dass neue Bibliotheksent-würfe in diese Richtung gehen werden.

Hierzu passen die Stichworte »Wahr-nehmung« und »Wahrheit« – werden Bibliotheken einem Wahrheitsan-spruch gerecht?

Ich stehe da heute bei Kierkegaard und wie er sagen würde »die Wahrheit ist die Subjektivität« und mit »Subjektivität« meinte er die persönliche Aneignung, dass selber involviert sein und nicht bloß einen Gedanken im Kopf zu haben, oder einen Satz zu denken, sondern sich diesen ganz zu eigen zu machen. Das ist der berühmte Gedanke von Kierkegaard. So hat er als re-ligiöser Denker gesagt »was würde es mir nutzen, wenn man die Existenz von Gott beweise, es kommt doch darauf an, wie ich mich dazu verhalte«. Das hat er vermitteln wollen, dieses involviert sein, dieses sich zu etwas verhalten. Insofern würde ich sa-gen wollen, ja, sehr wohl, es geht auch um Wahrheit, aber es geht in diesem Sinne um eine Wahrheit, deren Wichtigkeit für ei-nen selbst realisiert wird und als persönli-che Involviertheit bis hin in die Leiblichkeit hineingeht.

Worin liegt die Wahrheit, wenn eine Bi-bliothek zum Beispiel popularisierende Medien in den Bestand aufnimmt?

Natürlich muss jede Bibliothek für sich selber wissen, ob eine Bibliothek so etwas in ihrem Bestand haben will und unter wel-chen Kriterien, ob zum Beispiel unter einem wissenschaftlichen Aspekt oder aus gesell-schaftlichen Gründen heraus.

Herr Böhme, ich danke Ihnen.

Und was sagen Sie als Architekt Herr Barilari: Wie lassen sich Bibliotheken richtig in Szene

setzen?

Mehr dazu in der nächsten Folge von »Wissen fragt …?«. Selfies: Dirk Wissen

Ihre Meinung: Wie lassen sich Bibliotheken in Szene setzen? Schreiben Sie an: [email protected]

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Nachrichten

Vorlesen bei Kindern beliebt

Berlin. 91 Prozent der Kinder in Deutsch-land gefällt es gut, wenn ihnen vorgele-sen wird. Auch bei Kindern aus Haushal-ten mit mittlerer und niedriger Bildung liegt dieser Wert bei 90 beziehungsweise 86 Prozent (hohe Bildung: 94 Prozent). Kaum eine Abweichung gibt es bei Kin-dern, in deren Haushalt eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wird (92 Prozent). Fast jedes dritte Kind, dem vorgelesen wird, wünscht sich, dass dies öfter geschieht. Bei Kindern, denen sel-ten oder nie vorgelesen wird, ist es je-des zweite. Nach wie vor liest knapp ein Drittel der Eltern ihren Kindern zu sel-ten vor. Ideal ist es, wenn sie sich mehr-mals in der Woche Zeit nehmen, zum Beispiel 15 Minuten jeden Tag. Dann entfaltet das Vorlesen seine volle Wir-kung für die intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung von Kindern. Weitere Ergebnisse der aktuellen Vorle-sestudie der Stiftung Lesen stehen unter www.stiftunglesen.de/vorlesestudie.

Modellphase abgeschlossen

Berlin. Insgesamt 188 Modellprojekte zum Originalerhalt konnten in der Pi-lotphase der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kultur-guts (KEK) von 2010 bis 2015 realisiert

werden. Die Beauftragte der Bundesre-gierung für Kultur und Medien (BKM) und die Kulturstiftung der Länder (KSL) stellten rund 2,4 Millionen Euro für diese modellhafte Sicherung von schriftlichem Kulturgut in Archiven und Bibliotheken bereit. Im Ergebnis liegt jetzt ein über alle Länder reichendes Netz von Projekten vor, das Vielfalt und Leistung der Schrift-gut verwahrenden Kultureinrichtun-gen in Deutschland anschaulich macht.

Sämtliche Modellprojektdaten der Pi-lotphase sind über die Online-Präsen-tation schriftgutschuetzen.kek-spk.de recherchierbar. In der aktuellen Förder-phase erhalten bundesweit erstmals auch mehrjährige Forschungsprojekte in Ar-chiven und Bibliotheken Unterstützung.

Bericht zur Lage der Bibliotheken

Berlin. Anlässlich der Veröffentlichung des aktuellen »Berichts zur Lage der Bibliotheken« fordert der Deutsche Bi-bliotheksverband (dbv), dass Biblio-theken integraler Bestandteil der di-gitalen Strategien des Bundes und der Länder sein müssen. »Bibliotheken leis-ten schon heute einen großen Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die Rahmenbedingungen des digita-len Wandels zu gestalten und die ge-sellschaftliche Teilhabe in der digitalen Welt zu stärken«, so Bundesverbands-vorsitzende Barbara Lison. Die Zahlen des Berichts belegen, dass Bibliotheken

FOYER NACHRICHTEN

LESE-LOK fährt Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz an

Die »LESE-LOK Rheinland-Pfalz« ist eine neue Sprach- und Leseförderaktion, die für die Arbeit in Kindertagesstätten entwickelt wurde. Das neue Ausleihangebot des Landesbibliothekszentrums Rheinland-Pfalz (LBZ) richtet sich an Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren und besteht aus einer Lok-Tasche in Form einer Lokomotive sowie 25 Waggon-Taschen, die zusammen die LESE-LOK ergeben. Alle Waggontaschen sind mit aktuellen Bilderbüchern gefüllt. Die Aktion wird in Kooperation von Stadt- und Gemeindebibliotheken mit interessierten Kinder-tagesstätten in Rheinland-Pfalz durchgeführt. Die LESE-LOK bleibt für jeweils sechs Wochen in der Kita, bevor sie wieder an die Bücherei zurückgegeben wird. Die gemeinsame Zeit mit der LESE-LOK wird zum Abschluss von der Kita-Gruppe auf Karten dokumentiert und in der Bücherei präsentiert.

Berichtigung

Im Beitrag »ekz-Gruppe auf Expansi-onskurs« in BuB-Heft 10/2016 wurde die LMSCloud GmbH irrtümlich als »hundertprozentige Tochter« der ekz.bibliotheksservice GmbH bezeich-net. Richtig ist, dass die ekz Mehr-heitsbeteiligter an der LMSCloud GmbH ist. Ferner wurde in dem Arti-kel das Angebot des Unternehmens

als »eigenes Bibliothekssystem« be-schrieben. Das Unternehmen möchte diese Aussage folgendermaßen er-gänzen: »LMSCloud ist ein Angebot für eine gehostete Bibliothekssys-temlösung basiert auf der Communi-ty-Version des Open-Source-Biblio-thekssystems Koha. Es steht Biblio-theken ohne Lizenzkosten und ohne eigene Aufwände für Installation und Wartung zur Verfügung.«

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FOYER NACHRICHTEN

immer wichtiger werden: Mit jähr-lich über 218 Millionen Besuchen und knapp 200 000 Arbeitsplätzen für Bib-liothekskunden werden Bibliotheken als Kultur- und Bildungsorte immer stär-ker anerkannt.

Strategie 2020 der DDB

Berlin. Getragen von Kultur- und Wis-senseinrichtungen aller Kultursparten und gestartet als Bund-Länder-Projekt hat die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) wesentliche Ziele ihrer Aufbau-phase erreicht. In der jetzt vorgelegten Strategie 2020 sind die Ziele und Ar-beitsschwerpunkte bis zum Jahr 2020 formuliert: https://pro.deutsche-digita le-bibliothek.de/node/777. Aktuell sind über 20 Millionen Objekte von fast 300 Datenpartnern auf dem Por-tal der Deutschen Digitalen Bibliothek verfügbar.

Neue Fahrbibliothek in Erfurt

Erfurt. Seit Sommer dieses Jahres ver-fügt die Stadt- und Regionalbibliothek Erfurt über eine neue Fahrbibliothek. Der bisherige, über 25 Jahre im Einsatz befindliche Bus war technisch veraltet und zunehmend ausgefallen. Der Frei-staat Thüringen und die Landeshaupt-stadt Erfurt teilten sich die Neubeschaf-fungskosten. Der Innenausbau wurde von der Firma Berger in Frankfurt am Main übernommen, und die Sparkasse Mittelthüringen sponserte die Außen-foliierung, die von der Bibliothek selbst entworfen wurde. Die Fahrbibliothek bedient den gesamten ländlich gepräg-ten Gürtel rund um das Zentrum der Landeshauptstadt, in dem keine stati-onären Zweigstellen mehr vorhanden sind. Davon betroffen sind immerhin circa 45 000 von insgesamt über 210 000 Einwohnern. Der Tourenplan umfasst über 50 Haltestellen und bedient 18 000

Der Bericht zur Lage der Bibliotheken kann über die BuB-App abgerufen werden.

EuGH: Bibliotheken dürfen E-Books wie gedruckte Bücher verleihen dbv begrüßt aktuelles Urteil zum Urheberrecht

Nach der Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtsho-fes (EuGH) im Fall C-174/15 (Ver-eniging Openbare Bibliotheken / Stichting Leenrecht) dürfen Biblio-theken in der gesamten Europäi-schen Union E-Books verleihen. Wie der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) mitteilt, ist demnach die Ver-leihrechts-Richtlinie aus dem Jahr 2006 (2006/115/EG) so auszule-gen, dass das »Verleihen«, das dort definiert ist als »zeitlich begrenzte Gebrauchsüberlassung«, auch die »Leihe« von E-Books umfasst.

Voraussetzung dafür ist, dass das E-Book, für das eine Bibliothek eine Lizenz besitzt, zeitgleich nur von der in der Lizenz festgelegten Anzahl von Benutzern auf den Computer gela-den werden kann. Die E-Book-Datei auf dem Computer des Ausleihenden muss sich nach der in der Lizenz fest-gelegten Nutzungsdauer wieder auto-matisch zerstören.

Die Bibliotheken haben die Klä-rung dieser Rechtslage mit Spannung erwartet. In der digitalen Welt erhal-ten elektronische Medien eine zuneh-mende Bedeutung und ersetzen im-mer häufiger gedruckte Bücher. Wenn der EuGH anderweitig entschieden hätte, könnten die Verlage – anders als bei gedruckten Büchern – bestim-men, welche E-Books die Bibliothe-ken ihren Nutzern verfügbar machen können und welche sie nur direkt den Lesern verkaufen. Bestseller hätte es dann in Bibliotheken immer weniger gegeben.

»Diese Entscheidung des Ge-richts zeigt eine gute Richtung für

Bibliotheken auf. Als Basis für neue nationale gesetzliche Regelungen sollte sie Grundlage sein«, sagt die dbv-Bundesvorsitzende Barbara Li-son. »Mit dieser Rechtsprechung müs-sen Bund und Länder künftig auch für E-Ausleihen eine Vergütung abfüh-ren. Davon werden endlich auch die Autoren profitieren und gegebenen-falls andere Rechteinhaber«, interpre-tiert Lison das Urteil weiter.

Im deutschen Recht ist dafür keine Änderung erforderlich. Die einschlä-gigen Normen des Urheberrechtsge-setzes (§§ 17 Abs.2 und § 27 Abs.2) erlauben die E-Ausleihe im Sinne die-ser Entscheidung bereits jetzt.

Sie müssten nach dbv-Angaben wie folgt interpretiert werden:

1. Mit dem Erwerb, das heißt dem Download eines E-Books, ist das ex-klusive Verbreitungsrecht des Anbie-ters an diesem E-Book »erschöpft« (§ 17 Abs.2 UrhG). Nach dem »Inver-kehrbringen« einer Kopie des E-Books mit Zustimmung des Urhebers kann es damit auch weiter verkauft und grundsätzlich auch verliehen oder verschenkt werden. Der EuGH hat entschieden, dass die in der Urheber-rechtsrichtlinie von 2001 (2001/29/EG, Art. 4 Abs.2) vorgesehene »Er-schöpfung« auch für heruntergela-dene E-Books gilt.

2. Weil die Regeln der EU-Ver-leih-Richtlinie in Deutschland dem § 27 Abs.2 Urheberrechtsgesetz zu-grunde liegen, dürfen Bibliothe-ken ihren Kunden nach Erwerbung einer entsprechenden Lizenz, die nicht mehr verweigert werden kann, E-Books zeitlich begrenzt überlassen.

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Besucher jährlich. Dazu gehören alle im Einzugsgebiet befindlichen Kindergär-ten und Grundschulen.

Update der SfB

Hannover. Die »Systematik für Biblio-theken« (SfB) wird als Aufstellungsklas-sifikation für Öffentliche Bibliotheken in einer Kooperation zwischen der Bücher-eizentrale Schleswig Holstein, der Stadt-bibliothek Bremen, der Stadtbücherei Frankfurt am Main und der Stadtbib-liothek Hannover gepflegt. Ein weiterer

wichtiger Partner ist die ekz, die sich sowohl an der fachlichen Weiterent-wicklung der SfB beteiligt als auch das Hosting für die SfB-online übernimmt. Alljährlich wird ein Update online ver-öffentlicht. Zum Update 2017 wurde die Sachgruppe »Wirtschaft«, eine stel-lenweise sehr tief gegliederte Fachsys-tematik, überarbeitet. Die Gliederungs-ebenen wurden abgeflacht und dabei um circa 40 Prozent gekürzt, ohne die Grundstruktur zu verändern. Die Kür-zungen betreffen alle Bereiche, insbe-sondere die ausführlichen Abschnitte »Wirtschaftssektoren/Branchen«. Diese

wurden in einzelnen Bereichen neu ge-staltet. Dabei wurden sämtliche Kom-manotationen ersetzt. Die vorhandene Terminologie wurde in der GND über-prüft und bei Bedarf verändert. Alle Neuerungen, die vollständige SfB und ihre Ansprechpartner stehen unter www.sfb-online.de.

Für Chancengleichheit ausgezeichnet

Hannover. Der Verein Total E-Qua-lity Deutschland hat die Technische

Analyse durch externen Fachmann beschlossen Tag der Bibliotheken in Baden-Württemberg 2016 / Podiumsdiskussion und »Zeitreise«

Am 24. Oktober, dem bundeswei-ten Tag der Bibliotheken, luden Ulm und Neu-Ulm, der Landesverband Baden-Württemberg im Deutschen Bibliotheksverband (dbv) sowie der Berufsverband Information Biblio-thek (BIB) gemeinsam zur zentra-len Veranstaltung in die Donaume-tropole ein. Am Abend fand ein öf-fentliches Podiumsgespräch unter dem Titel »Wo geht die Reise hin? Bürger und Bibliotheken fragen – Politiker antworten« statt. Teilneh-mer waren die Landtagsabgeordne-ten Jürgen Filius (Bündnis 90/Die Grünen), Martin Rivoir (SPD), Rai-mund Haser (CDU) und Nico Wein-mann (FDP/DVP) sowie Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg und Monika Ziller, Vorstandsmitglied und Ge-schäftsführerin des dbv-Landesver-bandes Baden-Württemberg.

»Wir sind heute konkret ein Stück wei-tergekommen«, fasste Frank Mentrup,

der Vorsitzende des dbv-Landesver-bandes Baden-Württemberg und Oberbürgermeister von Karlsruhe, das Ergebnis des Podiumsgesprächs zu-sammen. Dem Vorschlag des Biblio-theksverbands, das baden-württem-bergische Bibliothekswesen von einem externen Fachmann analysieren zu lassen, um dann auf dieser Grundlage das Gespräch mit den politisch Verant-wortlichen weiterzuführen, wurde ein-stimmig begrüßt.

Im Laufe des Podiumsgesprächs wurden die aktuellen Herausforde-rungen von Bibliotheken benannt und die vielen Aufgaben von Bibliotheken im Bereich der Bildungsgerechtigkeit, der Integration und des freien Zugangs zu Information verdeutlicht. Auch strukturelle Faktoren, die Finanzie-rung sowie eine Evaluation des Geset-zes zur Förderung der Weiterbildung und des Bibliothekswesens aus den 1980er-Jahren wurden beleuchtet.

In Baden-Württemberg gibt es 1102 Städte und Gemeinden, davon unter-halten 553 insgesamt 796 Standorte

Öffentlicher Bibliotheken. Diese er-reichen circa 80 Prozent der Bevölke-rung. Jedoch nicht nur die Versorgung mit Bibliotheken wurde diskutiert, son-dern auch die Möglichkeiten der spar-tenübergreifenden Zusammenarbeit und Vernetzung von Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken.

Den gesamten Tag konnten sich Fachleute aus ganz Süddeutschland mit der Zukunft von Bibliotheken be-schäftigen, indem sie sich auf eine »Zeitreise« begaben. In einem Old- timerbus ging es zu sechs Öffentli-chen und Wissenschaftlichen Biblio-theken auf beiden Seiten der Donau. Zurückversetzt in die Zeit des Rokoko fühlten sich die Reisenden im über-wältigenden Bibliothekssaal des Klos-ters Wiblingen vor den Toren der alten Reichsstadt Ulm. Weitere Stationen der Zeitreise waren die Bibliothek der Hochschule Neu-Ulm, in der das wis-senschaftliche Arbeiten im 21. Jahr-hundert im Mittelpunkt stand, die Bibliothek der Hochschule Ulm, die Online-Ressourcen wie E-Book-Platt-formen und Literaturdatenbanken präsentierte sowie die Bibliothek der Universität Ulm mit ihren neuen Lern-räumen und die Stadtbücherei Neu-Ulm, die nach 30 Jahren an ihrem jet-zigen Standort einen Neubau erwägt. Die letzte Station der Zeitreise war die Stadtbibliothek Ulm mir ihrer moder-nen Glaspyramide.

dbv

FOYER NACHRICHTEN

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FOYER NACHRICHTEN

Informationsbibliothek (TIB) zum fünften Mal in Folge für gelebte Chan-cengleichheit mit dem Prädikat Total E-Quality ausgezeichnet. Mit dem Prä-dikat werden wissenschaftliche Einrich-tungen für ihr Engagement zur Chan-cengleichheit gewürdigt. Die Jury lobte in ihrer Begründung, dass die TIB seit Langem eine erfolgreiche Politik im Be-reich Gleichstellung verfolgt. Das gelte besonders für gleichstellungspolitische Maßnahmen bei Personalbeschaffung und Organisationskultur, was sich un-ter anderem an einem Frauenanteil von aktuell 65 Prozent an der Gesamtbeleg-schaft der TIB widerspiegle.

Orte der Demokratie

Hannover. Unter dem Motto »Bibliothe-ken – Orte der Demokratie« fand am 7. November der Niedersächsische Biblio-thekstag 2016 statt. Mit 250 Teilneh-mern war die Veranstaltung in den Räu-men der VGH Versicherungen bereits weit vor dem offiziellen Anmeldeschluss ausgebucht. Als »zivilisierte Räume auch in unzivilisierten Zeiten« bezeichnete die Journalistin Franziska Augstein Bib-liotheken in ihrer engagierten Festrede. Doris Schröder-Köpf, MdL und Landes-beauftragte für Migration und Teilhabe, betonte das Potenzial besonders der Öf-fentlichen Bibliotheken für die Integra-tion von Flüchtlingen und Menschen mit Migrationshintergrund. Unter der Über-schrift »Bibliotheken – Orte der Demo-kratie. Was müssen sie uns wert sein?« diskutierten anschließend die kultur-politischen Sprecher der Fraktionen des Niedersächsischen Landtags, Silke Lese-mann (SPD), Volker Bajus (Bündnis 90/Die Grünen), Jörg Hillmer (CDU) und Almuth von Below-Neufeldt (FDP), so-wie Susanne McDowell (Stadt Celle) mit der Vorsitzenden des Deutschen Biblio-theksverbandes Barbara Lison auch über die vielerorts kritische finanzielle Situa-tion der Bibliotheken in Niedersachsen.

Lesekalender 2017 erschienen

Hannover. Der Lesekalender 2017 der Akademie für Leseförderung

Niedersachsen ist erschienen. In diesem Jahr stehen Ideen für die Sprach- und Leseförderung für Flüchtlingskinder im Zentrum. Der Kalender präsentiert Pro-jekte, an deren Gestaltung die Kinder und Jugendlichen sich aktiv beteiligen. Außerdem werden Materialien, Bücher und Methoden vorgestellt, die für die Sprach- und Leseförderung für Kinder mit geringen Deutschkenntnissen hilf-reich sind. Interessenten können den Kalender gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro bei der Akademie für Leseför-derung per E-Mail ([email protected]) oder telefonisch (0511 1267 308) bestellen.

Datenposter 2015 verfügbar

Köln. Das Datenposter der Deutschen Bi-bliotheksstatistik mit Auswertungen des Berichtsjahres 2015 steht ab sofort on-line zur Verfügung. Es bietet eine über-sichtliche Einsicht in die verschiedenen Arbeitsleistungen des deutschen Biblio-thekswesens. So hat sich beispielsweise die Zahl der Entleihungen in Öffentli-chen Bibliotheken von 2014 auf 2015 von 355 Millionen auf 363 Millionen Medien erhöht. Der Anteil der virtuel-len Entleihungen liegt inzwischen bei 4,5 Prozent.

Großformatiger Foto-Wandkalender

Leipzig. Bereits zum siebten Mal hat das fächerübergreifende Studenten-Projekt zur Erstellung eines großformatigen Fo-to-Wandkalenders an der HTWK statt-gefunden. Unter Leitung von Professo-rin Andrea Nikolaizig, Fakultät Medien, und Professor Ronald Scherzer-Heiden-berger, Fakultät Architektur und Sozi-alwissenschaften, präsentiert der Ka-lender faszinierende Bibliotheks-Ar-chitektur mit eben solchen Fotos. Der Kalender 2017 zeigt ein Kaleidoskop

zeitgenössischer Bibliotheksgebäude in Europa – von der Umnutzung histori-scher Bausubstanz bis zu spektakulären Neubauten. Die Beispiele belegen, wie Bibliotheken als Katalysatoren öffentli-chen Lebens der Revitalisierung inner-städtischer Räume dienen können. Die Bestellung ist unter www.bibspider.de/blickwinkelbibliothek2017 möglich. Der Preis beträgt 29,90 Euro.

Mit Deutschem Lesepreis ausgezeichnet

Mannheim. Anfang November wurde die Stadtbibliothek Mannheim im Bei-sein der Bundesbildungsministerin mit dem Deutschen Lesepreis (3. Preis) aus-gezeichnet. Die Bibliothek erhielt den Preis in der Kategorie »hervorragendes kommunales Engagement«. Die Lau-datio hielt Gerd Landsberg, Hauptge-schäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, der Bibliotheken neben Feuerwehr und Schule als unver-zichtbare Einrichtung einer Kommune bezeichnete. Die Schirmherrin des Prei-ses, Bundesministerin Johanna Wanka, betonte in ihrer Eröffnungsrede mehr-fach den wichtigen Beitrag, den Biblio-theken zur Sprach- und Leseförderung leisten. Der Leiter der Bibliothek, Bernd Dr. Schmidt-Ruhe, betrachtete die Preis-vergabe an die Stadtbibliothek Mann-heim auch als stellvertretende Würdi-gung für die zahlreichen Angebote aller Bibliotheken in Deutschland.

Fördermittel zugesagt

München. Die Bayerische Staatsbiblio-thek erhält von der Carl Friedrich von Siemens Stiftung, München, im Zeit-raum von 2017 bis 2021 jährlich 180 000 Euro Fördermittel für den Ankauf von gedruckten Büchern aus dem Be-reich der Philosophie. Mit diesen Son-dermitteln wird die Bayerische Staats-bibliothek in die Lage versetzt, die Versorgungslücke zu schließen, die bun-desweit seit 2013 durch den Wegfall des früheren Sondersammelgebiets Philoso-phie der Deutschen Forschungsgemein-schaft (DFG) entstanden ist.

Das Datenposter der Deut-schen Bibliotheksstatistik kann in der BuB-App abge-rufen werden.

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Anna von Villiez

Provenienzforschung und Restitution NS-Raubgut an der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg

Die Historikerin Lucy S. Dawidowicz kam als Angestellte des American Jewish Joint Distribution Committe 1947 nach Offenbach in das sogenannte »Offenbacher Depot«. Kisten-weise stapelte sich dort jüdisches Schriftgut, durch die Na-tionalsozialisten zusammengeraubt aus ganz Europa. Dawi-dowicz nahm die dort eingelagerten Bücher als »verwaiste und heimatlos stumme Überlebende ihrer ermordeten Be-sitzer« wahr.1 Auch in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky (SUB HH) zeugen seit Kriegs-ende Hunderte von Raubgutbänden in den Magazinen von der Vertreibung und Ermordung ihrer rechtmäßigen Besit-zer. Analog zur allgemeinen Stimmung in der Bundesrepu-blik in den Nachkriegsjahrzehnten vermied es auch die SUB HH lange, sich mit der eigenen Verantwortung für dieses Erbe zu befassen.

Als bereits kurz nach Kriegsende Rückgabeforderungen der beraubten Familien eingingen, stellte sich ihnen die Bib-liothek verzögernd und abweisend. Bestimmend nach 1945 war die Sorge um den Wiederaufbau nach der Zerstörung großer Teile des Buchbestandes durch die vorhergegange-nen Bombardements, von denen auch die SUB HH maßgeb-lich betroffen war. Bestimmend war auch eine allgemeine Abwehrhaltung gegenüber der Auseinandersetzung mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit. Inzwischen wird seit rund einem Jahrzehnt an der SUB HH Provenienz-forschung betrieben und weiter nach betroffenen Buchbe-ständen gesucht. Der Beitrag will einen Überblick liefern zur Entstehungsgeschichte der Raubgutbestände sowie zum Vorgehen und den Ergebnissen der Provenienzforschung an der SUB HH.

Sortierung von Altbeständen in der Nachkriegszeit an der SUB Hamburg. Fotos: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky

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Wege der Bücher in die SUB HH und Überblick über Raubgutbestände

Ein Erlass vom März 1934 regelte den Umgang mit Büchern aus beschlagnahmten Beständen von politischen Gegnern der Nationalsozialisten.2 So kam in der Folge beschlagnahmte Lite-ratur von Sozialdemokraten beziehungsweise sozialdemokrati-schen Organisationen in die Bestände der Staats- und Universi-tätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky. Ein Beispiel für be-schlagnahmte Literatur aus dem Besitz politisch Verfolgter ist die umfangreiche Bismarck-Sammlung von Emil Specht. Diese war 1927 vom sozialdemokratischen Auer-Verlag in Hamburg erworben worden. Der Besitz des Verlages wurde beschlag-nahmt. 1937 und 1938 tauchen Teile der Specht-Sammlung in den Zugangsbüchern der SUB HH als Geschenkzugänge der Gestapo auf.

Es gelangte eine Vielzahl von Büchern als Ge-schenk der Gestapo in die Bestände der SUB HH. Es stammen jeweils nur wenige Bücher von einem Vorbesitzer. Diese Literatur musste je-doch als sekretierter Bestand geführt werden, stand also nicht der allgemeinen Benutzung zur Verfügung.

Bereits für das Frühjahr 1941, also noch deutlich vor den ers-ten Deportationen aus Hamburg im Oktober des Jahres, ist die Übernahme größerer Mengen Judaika durch die SUB HH von der Gestapo belegt. Dabei suchte sich der Referent für Orienta-listik, Willy Lüdtke, aus einem Bücherdepot der Gestapo gezielt die Bücher aus, die wertvoll waren. So berichtete er im Januar 1943 an seinen Vorgesetzten, Direktor Gustav Wahl: »Ein Re-gal habe ich schon in mein Zimmer stellen lassen, ein grösse-res soll noch folgen, damit ich Platz für die Judaica bekomme. Diese haben sich inzwischen wieder vermehrt: ich habe in ei-nem Zimmer der Geheimen Staatspolizei neulich einen unge-heuren Berg Bücher in fast achtstündiger Arbeit durch meine Hände gehen lassen. Ergebnis: ca. 30m, eine Autoladung.«3 Die Gestapo hatte zwei Depots in der Stadt für von Juden beschlag-nahmte Bücher eingerichtet und ließ die Hamburger Bibliothe-ken diese Bücher durchsehen, bevor sie sie zur Versteigerung brachte. Die Bücher dürften aus dem Besitz emigrierter Juden stammen. Deren Besitz lagerte noch in Containern im Ham-burger Hafen, wo ihre Verschiffung sich durch den Krieg ver-zögert hatte. Die Kisten wurden seit dem Frühjahr 1941 be-schlagnahmt, geöffnet und deren Inhalt öffentlich versteigert, um ausgebombte Hamburger wieder neu einzurichten.4 Als ein halbes Jahr später die ersten Deportationen aus Hamburg be-gannen, war es also bereits ein eingespieltes Prozedere, nach dem sich städtische Institutionen sowie Privatleute an dem Ei-gentum der jüdischen Verfolgten bereicherten.

Ein Großteil der Raubgutbestände in der SUB HH stammt aus diesen Zusammenhängen. Im Zugangsbuch 1940 tauchen erstmals größere Mengen Bücher auf, die als »Geschenke der

Gestapo« in den Bestand übernommen wurden. Die Oberfi-nanzdirektion hatte die Aufgabe, den Besitz der jüdischen Emigrierten und Deportierten »für das Reich zu verwerten«, also möglichst gewinnbringend zu verkaufen oder zu ver-steigern. Sozialistische, hebräische und »jüdische« Literatur – also Bücher von Autoren, die nach den Nürnberger Geset-zen als jüdisch galten – separierte die Gestapo vor den Ver-steigerungen und schenkte sie den Wissenschaftlichen Bib-liotheken. Die Zugangsbücher zwischen 1941 und 1945 listen fast ausnahmslos Bücher als Geschenke der Gestapo, die un-ter diese Kategorie fielen. Hintergrund war, dass die Staats-bibliotheken auch verbotene Literatur führen durften zu Do-kumentationszwecken. Die Überweisung auszusondernder beziehungsweise beschlagnahmter Titel an die SUB HH war durch entsprechende Anordnungen der NSDAP verpflichtend, um die Bandbreite unerwünschter Literatur zu dokumentie-ren.5 So gelangte eine Vielzahl von Büchern als Geschenk der Gestapo in die Bestände der SUB HH. Es stammen jeweils nur wenige Bücher von einem Vorbesitzer. Diese Literatur musste jedoch als sekretierter Bestand geführt werden, stand also nicht der allgemeinen Benutzung zur Verfügung. Bibliotheks-direktor Wahl nutzte die Möglichkeit, die Bestände um viele wertvolle Hebraika zu erweitern. Er setzte sich, wie auch die Direktoren anderer Häuser, aktiv für die Überlassung dieser Bestände ein. So wandte er sich 1937 an die Leitstelle der Ge-stapo, um sie an die Ablieferung entsprechender »Pflichtex-emplare« aus den beschlagnahmten Beständen zu erinnern.6 Auch über andere Hamburger Bibliotheken kamen so Bücher jüdischer Besitzer in die SUB HH, denn die SUB HH war nicht

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Ein Großteil des Raubgutes kam über die Gestapo Hamburg in die Bestände der SUB HH.

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als einzige Bibliothek Nutznießerin am Raubgut gewesen. Auch die Öffentlichen Bücherhallen hatten sich bereichert. Über Schenkungen gelangten diverse Raubgutbände so in die SUB HH. Die Öffentlichen Bücherhallen sandten ihr darum zwischen 1933 und 1945 viele Bücher jüdischer Autoren, die teilweise aus Raubgut stammten.

Das Bemühen, auch sozialistische oder hebräische Bestände für die SUB HH zu gewinnen, zeigt eine für die Raubgutge-schichte typische Ambivalenz im Umgang mit Literatur: Wäh-rend in propagandistisch ausgeschlachteten Aktionen wie der Bücherverbrennung und den Zerstörungen von Synagogenbib-liotheken in der Pogromnacht 1938 die Reichsleitung einerseits demonstrierte, alles »Jüdische« vernichten zu wollen, gab es auf institutioneller Ebene kaum Hemmungen, hebräische Werke für die Bibliothek zu gewinnen. Ob aus materiellen Interessen oder fachlichem Interesse der Referenten, zumeist ja studierte Orien-talisten: Die Akquise von Buchbeständen von jüdischer Religi-onsliteratur stand in einem Widerspruch zur Kulturpolitik der Nationalsozialisten, nicht aber zur Idee, allen jüdischen Besitz möglichst gewinnbringend zu arisieren.

Neben den Einzelzugängen sind auch Übernahmen gan-zer jüdischer Bibliotheken und Nachlässe nachgewiesen. Diese ersteigerte oder kaufte die SUB HH von den an der Ari-sierung beteiligten Stellen, zumeist also der Vermögensver-wertungsstelle des Oberfinanzpräsidenten oder der Reichs-tauschstelle. Im Rückblick nach 1945 konnten diese Ankäufe durch die SUB-Leitung apologetisch als ein Bewahren der Bände vor dem Auseinanderreißen bei öffentlichen Verstei-gerungen dargestellt werden. Eigentlich dürfte es sich aber eher um das eigene Interesse an der Bestandsvermehrung bei dem Bemühen um Ankäufe gehandelt haben. So gelang es Gustav Wahl, die 40 000 Bände umfassende Bibliothek der jüdische Gemeinde Hamburgs, die nach dem Novemberpog-rom 1938 zusammen mit allen jüdischen Gemeindebibliothe-ken in Deutschland beschlagnahmt worden war, für die SUB HH zu reservieren mit der Begründung, dass es sich um eine Hamburgensie handele. 7 Die Übernahme dieser wertvollen Sammlung geschah im vollen Bewusstsein, sich an dem Besitz jüdischer Vertriebener und Deportierter zu bereichern. So ließ Wahl die Autografensammlung von Hermann Kiewy direkt vor

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Profiteur von beschlagnahmten jüdischem Besitz: Gustav Wahl (1877-1947) leitete die SUB HH von 1918 bis 1943.

Eigentum von Ignaz und Helene Petschek: Das sogenannte Exlibris in den Büchern zeigt es an.

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Ort in der Wohnung seiner Witwe Ida Kiewy durch einen Mit-arbeiter besichtigen. Ida Kiewy war zwei Wochen zuvor nach Theresienstadt deportiert worden.8

Das Kriegsgeschehen und die damit verbundenen Schäden an der Bibliothek machten es unmöglich, die Massen des ein-gelieferten Raubgutes zügig zu katalogisieren. Ganze Bestände lagerten teilweise jahrelang noch nach Kriegsende in ungeord-neter Form. Die Erschließung dieser Altbestände, die oft eine schwer zu entwirrende Mischung aus Raubgut und anderen Zu-gängen sind, dauert bis heute an. Da sich hier die Provenienz als Raubgut nicht durch den entsprechenden Eintrag im Zu-gangsbuch (»Geschenk Gestapo«) belegen lässt, ist man in die-sen Fällen auf Hinweise in den Büchern und eine Aufklärung über die Provenienzrecherche angewiesen.

Seit 2015 ist mit der Gründung der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut die Suche nach den rechtmäßigen Erben von NS-Raubgut fest im Organigramm der SUB HH verankert.

Ein Beispiel für die schwierige Rekonstruktion der Wege in die Bibliothek sind die 63 Bücher von Gustav Gabriel Cohn in den Beständen der SUB HH. Der Fondsmakler hatte seine ganze Leidenschaft in den Aufbau einer wertvollen Bibliothek aus vornehmlich religiöser jüdischer Literatur gesteckt. Nach 1933 zog er mehrmals um, am Ende in ein sogenanntes »Ju-denhaus«. Ob seine Bücher nach seiner Deportation im Juli 1942 nach Theresienstadt über die Gestapo in die SUB HH gelangten oder auf anderem Wege, ließ sich nicht mehr auf-klären. Gustav Gabriel Cohn kam am 10. September 1942 in Theresienstadt um. Ein Teil seiner Bü-cher fanden sich nach 1945 in den an die Jüdische Gemeinde zurückgegebe-nen Beständen wieder und wurde von dieser an die Familie zurückgegeben.9 Ein Teil wurde katalogisiert und kam als Dauerleihgabe in das Institut für die Ge-schichte der deutschen Juden, wo es erst in den letzten Jahren als Raubgut auf-fiel. Wiederum weitere Bücher fanden sich erst kürzlich bei der Erschließung des Altbestandes.

Auch über die Reichstauschstelle ka-men viele Bücher an die SUB HH, um die Bestände der SUB HH nach dem Bombentreffer 1943 wieder zu ergän-zen. Die Reichstauschstelle verteilte nach 1939 die in ganz Europa durch die nationalsozialistischen Besatzer ge-raubten Bibliotheken an deutsche Bi-bliotheken für den »Wiederaufbau«.10 Sie erhielt auch konfiszierte Privatbi-bliotheken deutscher Juden von den Stellen, die mit der Verwertung des jü-dischen Besitzes für das Reich betraut

waren. Ein Beispiel sind die über 400 Bände aus der Biblio-thek des Industriellen Ignaz Petschek, die beschlagnahmt wurde und über die Reichstauschstelle 1943 an die SUB HH vermittelte wurde.

Die Bereicherung an dem Besitz der vertriebenen und de-portierten Juden endete nicht mit dem Krieg. Nach 1945 han-delte die Mehrheit der deutschen Antiquare auch weiter mit Büchern aus Raubgutbeständen. Noch bis in jüngste Zeit sind Ankäufe von Büchern durch die SUB HH belegt, die nachgewie-sen Raubgut sind. Die Zahl der verdächtigen Bücher aus diesen Zusammenhängen ist noch nicht abzuschätzen, da die Proveni-enzrecherche schwierig und noch nicht abgeschlossen ist.

Rückblick

Es waren die Nachkommen der Besitzer dieser wertvollen Bib-liotheken, die bald nach dem Krieg nach dem Verbleib der Bü-cher forschten und Rückgabeverfahren auf den Weg brachten. Ida Kiewy, die Witwe von Hermann Kiewy, hatte die Deporta-tion in das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt und forderte in mehreren Verfahren die geraubten Sammlungen von Hermann Kiewy zurück. Auch die Erben von Gustav Gab-riel Cohn und die jüdische Gemeinde wandten sich an die SUB HH. Die Bibliothek verneinte die Anfrage der Familie: »Auf das Schreiben vom 29. Mai d. J. teilt die Staats- und Universitäts-bibliothek mit, dass eine Umfrage keinerlei Anhaltspunkte da-für ergeben hat, dass Bücher des Herrn Gustav Gabriel Cohn in den Besitz der Bibliothek gelangt sind.«11 Dass sich Teile der zerrissenen Sammlung sehr wohl in der SUB HH befanden, war oben bereits Thema.

In einigen dieser Fälle wurden den Erben nach langen Verhandlungen Ent-schädigungsleistungen für den Verlust der Bibliotheken zugesprochen. Ende der 1990er-Jahre begann eine erste ak-tive Suche nach Raubgutbeständen durch den ehemaligen Erwerbungsleiter der SUB HH. In der Folge der 1999 er-gangenen »Erklärung der Bundesregie-rung, der Länder und der Kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzo-genen Kulturgutes« hatten sich die Ham-burger kulturtragenden Institutionen auf die Überprüfung ihrer Bestände ge-einigt. Diese erste systematische Suche nach Raubgut hatte zur Folge, dass etwa 500 Bände, die als »Geschenke der Ge-stapo« in die SUB HH gekommen waren, als Dauerleihgabe an das hiesige Institut für die Geschichte der deutschen Juden gegeben wurden.

Erst ab 2005 gab es Bemühungen, eine faire Lösung im Sinne der Was-hingtoner Konferenz zu finden und das

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

SchwerpunktThemenschwerpunkte in BuB

Heft 10/2016Frankfurter Buchmesse

Heft 11/2016Mobile Bibliotheksangebote

Heft 12/2016NS-Raubgut

Heft 01/2017Makerspaces

Heft 02-03/2017Young Professionals

Heft 04/2017Europa der Bibliotheken

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Raubgut nicht nur zu identifizieren, sondern auch zu restituie-ren. Eine Diplomarbeit systematisierte die erhaltenen Archiva-lien mit Bezug zu Raubgut in der SUB.12 Seit 2015 ist mit der Gründung der Arbeitsstelle Provenienzforschung – NS-Raub-gut die Suche nach den rechtmäßigen Erben von NS-Raubgut fest im Organigramm der SUB HH verankert.

Identifizierung von Raubgut

Seit 2006 erfolgt eine systematische Überprüfung der Zugangs-journale der SUB HH auf raubgutverdächtige Eingänge. Dort wurden alle erworbenen oder als Geschenk erhaltenen Bücher mit Verfasser, Titel, Er-scheinungsjahr, der jeweils gebenden Person oder Institution und einer laufenden Nummer (der Zugangsnummer) verzeichnet. Als gesi-chert gilt der Raubgutverdacht bei allen Zu-gängen, die als Geschenk der Gestapo in die SUB HH gelangten. Nach der Sichtung der Journale der Jahre 1940-1944 wurden die Nachforschungen auf Geschenk-Zugänge aus den Jahren 1933-1951 sowie auf antiquarische Erwerbungen ausgeweitet.

Identifizierung der Geschädigten

Eine Identifizierung der rechtmäßigen Eigentümer ist nur über Besitzvermerke in den Büchern möglich. Diese finden sich in etwa einem Zehntel der Bücher. Gibt es einen Namen,

folgt eine genealogische Rekonstruktion des Lebenslaufes. Bei Eigentümern aus Hamburg ist die Identifizierung er-leichtert durch den Erhalt der Steuerkartei der jüdischen Ge-meinde im Hamburger Staatsarchiv. Schwieriger ist die Iden-tifizierung derer, die über Hamburg ausgewandert waren und deren Besitz im Hamburg Hafen beschlagnahmt wurde. Gibt der Besitzvermerk im Buch nicht den Heimatort des Besitzers oder der Besitzerin preis, muss der Suchradius auf Deutsch-land in den Grenzen bis Kriegsbeginn ausgedehnt werden. In solchen Fällen können häufige jüdische Nachnamen wie Levy, Cohn oder Friedländer einen sehr großen Kreis mögli-cher Vorbesitzer generieren. Während es zu den im Holocaust

ermordeten Juden inzwischen mehrere gute Quellen13 gibt, um zumindest biografische Eckdaten zu recherchieren, ist es bei den aus Deutschland ausgewanderten Juden im-mer noch schwierig, verlässliche Angaben zu finden. Eine Quelle, die erste Anhaltspunkte bei der Recherche nach emigrierten Juden aus Deutschland liefert, ist die Quellenedi-

tion zu Ausbürgerungen von Michael Hepp.14 Die Veröffent-lichung der vom Bundesarchiv erstellten »Liste der jüdischen Einwohner im Deutschen Reich 1933-1945« steht leider noch aus. 15

Identifizierung der Erben

Um die überlebenden Familienangehörigen der betroffenen Buchbesitzer und -besitzerinnen zu finden, braucht man ein

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

1 Lucy S. Davidowicz: From that Place and Time. A Memoir, 1938-1947, hrsg. v. Nancy Sinkoff, New Brunswick: Rutgers Univ. Press, 2008 (Erstausgabe 1989), S. 316.

2 Erlass vom 27. März 1934, siehe Reichsgesetzblatt I, S. 293. Der Erlass konkretisierte die Durchführung der früheren Gesetze vom 26. Mai und 14. Juli 1933 zur Einziehung von kommunistischen und sogenannten volksfeindlichen Vermögen.

3 Archiv SUB HH, Standakten Wahl / 1940-41 / 41.2103, Brief Willy Lüdtke an Gustav Wahl vom 22. April 1941.

4 Vgl. zur Geschichte der Liftvans jüdischer Besitzer Jürgen Siele-mann: Ein Wochenendhaus in Poppenbüttel. Die Beraubung und Plünderung jüdischer Flüchtlinge in Hamburg im »Dritten Reich«, in: Andreas Brämer, Stefanie Schüler-Springorum, Michael Stude-mund-Halévy (Hrsg.): Aus den Quellen. Beiträge zur deutsch-jüdi-schen Geschichte. Festschrift für Ina Lorenz zum 65. Geburtstag, München / Hamburg: Dölling und Galitz, 2005, S. 341-347.

5 Gesetz über die Abgabe von Freistücken der Druckwerke an die Staats- und Universitätsbibliothek in Hamburg vom 8. August 1934, Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1934, S. 299.

6 Archiv SUB HH 54-55 / Pflichtablieferung, Dokumente 54.1927 - 51/37.2328.

7 Zur Geschichte der jüdischen Gemeindebibliothek in Hamburg vgl. Alice Jankowski: »Die Konfiszierung und Restitution der Biblio-thek der Jüdischen Gemeinde Hamburg«, in Jüdischer Buchbesitz als Raubgut: Zweites hannoversches Symposium, Regine Dehnel (Hrsg.): Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie:

Sonderhefte 88,Frankfurt a. M.: Klostermann, 2006, S. 213-225.

8 Otto-Ernst Krawehl: Erwerbungen der »Bibliothek der Hansestadt Hamburg« aus ehemals jüdischem Besitz: (1940 bis 1944), Aus-kunft 22, Band 1 (2002), S. 3-17, hier S. 9.

9 Staatsarchiv Hamburg, 213-13 6039: In dieser Verfahrensakte findet sich die Korrespondenz mit der Jüdischen Gemeinde zu diesen Büchern sowie zur Rückgabe 1964.

10 Cornelia Briel: Die Bücherlager der Reichstauschstelle, Frankfurt a.M.: Klostermann, 2015, hier S.41-60.

11 Staatsarchiv Hamburg, 213-13 6039, Prof. Tiemann an das Land-gericht, 6. Juni 1958.

12 Ulrike Preuß: »Ein Akt der Erinnerung«: Quellenarbeit zur Er-mittlung ‚verdächtiger‘ Zugänge aus dem Zeitraum 1933-45 in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky, Hamburg 2009 (Diplomarbeit, unveröffentlichtes Manuskript).

13 Zentrale Quellen sind das Online-Gedenkbuch des Bundesarchi-ves (www.bundesarchiv.de/gedenkbuch) sowie die Datenbank der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem (www.yadvashem.org).

14 Michael Hepp (Hrsg.): Die Ausbürgerung deutscher Staatsan-gehöriger 1933-45 nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Listen, München: Saur, 1988.

15 Siehe hierzu https://www.bundesarchiv.de/benutzung/zeitbe zug/nationalsozialismus/00301/index.html.de (eingesehen am 19.10.2016)

Der Raub von Kulturgü-tern kam für die Opfer

dem Raub von wichtigen Erinnerungen und Famili-

engeschichten gleich.

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bisschen Glück. Die nach der Verfolgung durch die Nationalso-zialisten fragmentierten Familien hatten sich über den gesam-ten Erdball verstreut. Seit dem Raub an den Büchern sind nun-mehr über 70 Jahre vergangen. Viele Nachna-men haben sich zum Beispiel durch Heirat (im Fall der Töchter) geändert oder wurden bei der Einbürgerung in das Emigrationsland den sprachlichen Gegebenheiten angepasst. Einen guten Anhaltspunkt liefern die Akten, die aus den Rückerstattungs- und Wiedergut-machungsverfahren hervorgingen. Diese Ak-ten wurden teilweise bis zum Tod des jeweiligen Antragstellers geführt und enden mit der Todesbescheinigung desselben. Hier finden sich Hinweise auf den Wohnort der Familien, teilweise bis in die 1970er-Jahre. Bei der weiteren Suche ist besonders das Internet hilfreich, in dem sich inzwischen zu fast jeder Per-son Spuren finden lassen.

Projektergebnisse und Erinnerungsgeschichte

In 25 Restitutionen konnten inzwischen rund 600 Bücher an die rechtmäßigen Erben übergeben werden. Die größte Resti-tution umfasste rund 420 Bücher, die zur Bibliothek des oben bereits erwähnten Ignaz Petschek und seiner Frau Helene ge-hört hatten. Die Reaktionen der Familien auf die Bücher sind unterschiedlich, meist sehr emotional. Oft lösen die Recher-chen der SUB HH zur Biografie der Buchbesitzer eine erneute Beschäftigung der Erben mit der eigenen Familiengeschichte aus. Dies kann auch ein schmerzhafter Prozess sein. Die Rück-gabe der Bücher hat oft einen hohen symbolischen Wert für die betroffenen Familien. So sagte Jonny Norden, anlässlich der Rückgabe des Bandes »Berliner Geschichte der Juden in Rom« an ihn im Oktober 2012: »Vor mir liegt dieses kleine Buch. […] Es ist das einzige materielle Stück Erinnerung, welches mir von meinen Großeltern geblieben ist. Das Büchlein hat für mich et-was ganz Besonderes. Es schlägt eine Brücke der Familienge-schichte über die letzten 100 Jahre.«

Jonny Nordens bewegende Worte machen die erinnerungs-politische Verantwortung deutlich, die der Raubgutforschung an Bibliotheken auch zukommt. Der Raub von Kulturgütern

kam für die Opfer dem Raub von wichti-gen Erinnerungen und Familiengeschichten gleich. Das Zurückgeben dieser Stücke ist da-rum ein sensibler Akt, der beide Seiten vor Herausforderungen stellt. Zum Beispiel die, wie nach der Restitution mit der Erinnerung an das geschehene Unrecht umgegangen wer-den soll. Um weiter an die unrechtmäßige An-

eignung der Raubgut-Bücher zu erinnern, hat sich die SUB HH entschieden, restituierte Bücher weiter als Einträge im Katalog zu belassen. Ein Provenienzvermerk verweist auf die Restitu-tion des Buches an den rechtmäßigen Erben. Dass eben auch ein so pragmatisches Instrument wie ein Bibliothekskatalog durchaus eine erinnerungspolitische Dimension hat, sollte nicht unterschätzt werden. Das Sichtbarmachen der Objekt-biografien kann so einen Beitrag leisten, die »stummen Über-lebenden«, wie die eingangs zitierte Lucy Dawidowicz die Raubgutbücher nennt, zum Reden zu bringen und so die lange Tradition des Schweigens im Umgang mit Raubgut an vielen Bibliotheken aufzugeben.

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

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Anna von Villiez (Foto: pri-vat) ist seit 2015 Mitarbeite-rin der Arbeitsstelle Proveni-enzforschung - NS-Raubgut der Staats- und Universi-tätsbibliothek Carl von Os-sietzky. Sie ist Historikerin und hat zur Verfolgung jü-discher Ärzte in Hamburg promoviert.

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verdächtige Eingänge.

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Maria Kesting

Zwei Bücher – zwei Namen – ein Familien-schicksal: Ida Koch und Emil Netter Eine persönliche Restitutionsgeschichte

Was haben zwei Bücher von Heinrich Mann mit unter-schiedlichen Exlibris miteinander zu tun? »Die Göttin-nen …« kamen 1940 mit der Zugangsnummer 1940/5001 als »Geschenk« der Gestapo in den Bestand der »Biblio-thek der Freien- und Hansestadt Hamburg«2, wie die Bi-bliothek damals offiziell hieß. Ein Jahr später »schenkte« die Gestapo der SUB Hamburg neben vielen anderen Bü-chern »Zwischen den Rassen«, das mit der Zugangsnum-mer 1941/7349 in den Bestand eingearbeitet wurde. Es handelt sich bei beiden Büchern eindeutig um NS-Raub-gut. Wie sie in die Hände der Gestapo gerieten, ließ sich

zunächst nur vermuten: So findet sich der Name des Au-tors Heinrich Mann auf der »Liste des schädlichen und un-erwünschten Schrifttums« wieder. Das deutet darauf hin, dass die Bücher beschlagnahmt wurden. Der von der Biblio-thek eingebrachte Stempel »Sekretiert« war ebenfalls die-sem Umstand geschuldet. Konkret bedeutete das, sie durf-ten nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Direktors in einem speziell dafür vorgesehenen Raum gelesen werden. Über die genaueren Umstände der Beschlagnahmungen ist nichts bekannt. Lediglich die Namen der Vorbesitzer geben einen ersten Anhaltspunkt bei der Suche nach den Erben.

»Photos, wie es sie in allen Familien gibt. Für den Augenblick der Aufnahme waren sie ein paar Sekunden lang geschützt, und diese Sekunden wurden zu einer Ewigkeit.«1 Ida und Emil Netter. Foto: Privatbesitz

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Die Recherche nach diesen Erben der beiden »arisierten« Bü-cher im Bestand der Staats- und Universitätsbibliothek Ham-burg, Carl von Ossietzky (SUB) wurde eine lange Reise, auf der der Zufall eine nicht unerhebliche Rolle spielte.

»Es dauert lange, bis das, was ausgelöscht worden ist, wieder ans Licht kommt. Spuren bestehen noch in Registern fort, und man weiß nicht, wo sie versteckt sind und welche Hüter über sie wachen und ob diese bereit sein wer-den, sie einem zu zeigen.«3

Ein nicht seltener Nachname Koch, ein nicht unüblicher Vor-name Ida – da sind viele Möglichkeiten, viele Sackgassen. Die Anfrage bei diversen Datenbanken, zum Beispiel der von Yad Vashem, ergaben keine Treffer. Im Hamburger Staatsarchiv gab es zwar Akten zum Familiennamen Koch, die aber zu anderen Personen gehörten.

Schwierige Suche

Lange Zeit führte keine Spur zu einer konkreten Person und die Hoffnung jemals Ida Koch, geschweige denn Nachfahren von ihr zu finden, schwand mehr und mehr. Ein erneuter Blick auf die Zugangsnummern 1940 bzw. 1941 stützte die Vermutung, dass es sich um Bücher emigrierter Personen handeln könnte, da die Deportationen in Hamburg im Oktober 1941 begannen und beide Bücher vorher in den Bestand eingearbeitet wurden. Im Hamburger Hafen lagen zu tausenden sogenannte Lifts mit dem Umzugsgut emigrierter beziehungsweise geflohener Men-schen. Diese Lifts wurden beschlagnahmt, ihr Inhalt »zu Guns-ten des Reiches« versteigert, Bücher zum Teil der Bibliothek geschenkt. Das heißt die sogenannten »Gestapogeschenke« ge-hörten nicht nur Hamburger verfolgten Personen, vor allem Jü-dinnen und Juden, sondern stammten aus dem beschlagnahm-ten Besitz von Personen von überall her, die gehofft hatten, zu-mindest einen Teil ihres Hab und Guts in die Emigration, in ein neues Leben, mitnehmen zu können. Die Suche nach Ida Koch und auch nach Emil Netter musste also über Hamburg hinaus ausgedehnt werden. Auswanderungsziel beziehungsweise Zwi-schenetappe vieler Exilierter war Großbritannien, was neue Möglichkeiten für die Nachforschungen barg.

Bei der Recherche nach Emil Netter fand sich ein Proveni-enzeintrag im Britischen Museum – Ida Netter. Der dazugehö-rigen Biografie war zu entnehmen, dass Ida, verwitwete Koch, 1930 Emil Netter geheiratet hatte und mit ihm in Frankfurt am Main lebte – eine neue Spur?

Mithilfe des Frankfurter Jüdischen Museums, des Hes-sischen Hauptstaatsarchivs und des Britischen Museums wurde diese Familienbeziehung bestätigt. Das Jüdische Mu-seum Frankfurt stellte den Kontakt zur Eric[h] Koch her, dem Sohn von Ida und Otto. Er lebt heute in Kanada und ist seit seinem Ruhestand als Autor aktiv. Und tatsächlich: Er konnte

bestätigen, dass seine Mutter Ida Koch nach dem Tod seines Vaters Otto Koch 1930 Emil Netter geheiratet hatte. Zudem un-terstützte ein Abschnitt aus seinem Buch »Die Braut im Zwie-licht – Erinnerungen«, die These, dass die beiden Bücher aus dem Umzugsgut der Familie stammen: »Im Februar [1939] traf meine Mutter [...] in London ein. Wie sich herausstellte, war ihre Entscheidung in Zürich, das Risiko einzugehen und nach Hause zu fahren [Rückkehr nach Frankfurt am 23.09.1938], richtig gewesen. So konnte sie noch ihrer Mutter helfen, ein Visum für die USA zu beantragen, den Versand der restlichen Uhrensammlung zu organisieren und ihre Habe in Kisten zu verpacken und abzuschicken. Sie konnte nicht wissen, daß die Sachen ihr Ziel nie erreichen würden.«4

Seine Familiengeschichte verfolgt er in seinem Buch »Hil-mar und Odette«. Vorangestellt sind zwei Stammbäume5, die unsere bisherigen Ergebnisse bestätigten. Ida Netter, verwit-wete Koch, wurde 1890 in Frankfurt am Main geboren. In ers-ter Ehe war sie mit dem Kaufmann Otto Koch verheiratet. Drei Kinder, Robert, Margo und Erich, wurden geboren. Im Novem-ber 1919 starb Otto Koch. Ende der 1920er-Jahre lernte Ida Koch Emil Netter, Sohn einer großbürgerlichen jüdischen In-dustriellenfamilie aus Straßburg, kennen. Die beiden heirate-ten 1930 in Frankfurt. Nach der Machtübernahme der Natio-nalsozialisten erkannten die Eheleute Netter schnell die dro-hende Gefahr und bemühten sich, Idas Kinder ins Ausland in Sicherheit zu bringen. Dank seiner geschäftlichen Beziehungen gelang es Emil Netter, seinen Stiefsohn Erich Koch an einer Pri-vatschule in Großbritannien anzumelden. Die beiden anderen Kinder Robert und Margo emigrierten in die USA. Netter selbst sah sich wegen einer langjährigen Tuberkuloseerkrankung und wohl auch wegen seiner Schwermütigkeit nicht in der Lage, die Strapazen der Emigration auf sich zu nehmen und wählte am 9. Februar 1936 den Freitod.

»Es sind Menschen, die wenig Spuren zurück-lassen …. Was man von ihnen weiß, kann oft in einer bloßen Adresse zusammengefasst wer-den. Und diese topographische Angabe steht im Kontrast zu all dem in ihrem Leben, was man nie erfahren wird – dieser weiße Fleck, dieser Block aus Unbekanntem und Schweigen.«6

Ida Netter gelangt 1939 gerade noch rechtzeitig über die Nie-derlande nach Großbritannien. Dort verkaufte sie zur Finanzie-rung ihres Unterhalts die bereits erwähnte Uhrensammlung an das Britisch Museum. Ein Verkauf, der uns dank des Proveni-enzeintrags des Museums 70 Jahre später zu ihr führen würde. Sie wanderte schließlich in die USA aus, wo sie im November 1981 starb. Idas Sohn Eric, er lebt inzwischen in Kanada, hat uns das Buch seiner Mutter geschenkt – Heinrich Mann: »Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy«. Wir werden es in Ehren halten.

Die Recherche nach Ida Koch hat uns zu ihrem Sohn ge-führt und gleichzeitig die Provenienz Erich Emil Netter

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

verstehen lassen. Bei der Suche nach seinen möglichen Erben kam uns der Zufall zur Hilfe.

Im November 2011 interessierte sich der Hamburger Jour-nalist Ralph Baudach für das Projekt »Suche nach NS-Raub-gut« in der SUB Hamburg und erstellte einen Filmbericht für das Hamburg Journal. Dieser wurde am 23. November 2011 ausgestrahlt. Neben der Erklärung der Projektarbeit und des Vorgehens bei der Erbensuche wurden darin beispielhaft ver-schiedene Besitzvermerke gezeigt, unter anderem auch das Exlibris von Emil Netter. Wenige Tage später rief Gudrun Net-ter aus Kiel an. Eine Hamburger Freundin hatte das Hamburg Journal gesehen, war über den Namen Netter auf dem gezeig-ten Exlibris gestolpert und hatte sie informiert. Von Gudrun Netter, der Großnichte von Emil, erfuhren wir vom Schicksal der Familie Netter.

Das Schicksal der Familie Netter

Emil Netters Schwester Helene bekam 1920 ein uneheliches Kind, Robert Alfred Netter. Er war der Vater von Gudrun Netter. Da es damals undenkbar war, das Kind unehelich in der Familie Netter aufzuziehen, wurde eine Adoptivfamilie gesucht und in

dem kinderlosen Pastorenehepaar Wailke in Fürstenberg/Oder gefunden. Das Kind trug seit der Adoption im September 1921 den Namen Hilmar Robert Alfred Wailke.

Selbst als Adoptivsohn einer Pastorenfamilie war Hilmar jedoch nicht vor der Verfolgung aufgrund seiner jüdischen Abstammung geschützt: 1941 sollte er seine arische Abstam-mung nachweisen. Wie es zu dieser Aufforderung kam und welche Rolle seine inzwischen verwitwete Adoptivmutter da-bei spielte, bleibt ungewiss. Als leiblicher Sohn einer jüdischen Mutter (Helene Netter) wurde er zum »Halbjuden« (Vater un-bekannt) erklärt. Als »Halbjude« stigmatisiert konnte er auf-grund der Nürnberger Rassengesetze seine Freundin Brun-hilde Perseke nicht heiraten. Die beiden bekundeten stattdes-sen ihren Ehewillen im Juni 1942 durch eine nicht offizielle Verlobung. 1943 wurde Sohn Klaus-Dieter geboren. Ein Jahr später verhaftete die Gestapo Hilmar, die schwangere Brun-hilde Perseke wurde wegen ihrer Verbindung zu Hilmar, dem »Halbjuden«, ebenfalls eingesperrt. Kurz vor der Geburt von Tochter Gudrun im Juni 1944 entließ man sie aus der Haft. Hilmar hingegen wurde nach Auschwitz deportiert. Ein Todes-marsch führte ihn nach Mauthausen, wo er im Nebenlager Gu-sen am 22. oder 23. Juli 1945 starb. Es muss eine große Liebe zwischen Hilmar und Brunhilde gewesen sein, denn »meine

Im Schicksal vereint: Die Familien Koch und Netter. Ida Netter/Koch ist das Bindeglied der beiden Stammbäume

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Mutter hat meinen Vater 1951 posthum geheiratet, ich trage heute stolz den Namen der Familie Netter«7, berichtete Gu-drun. Das Buch ihres Großonkels, das wir in unserem Bestand gefunden hatten, wurde ihr 2012 bei der Eröffnung der Aus-stellung »Im Ganzen sehr erwünscht …« von der Direktorin der SUB, Gabriele Beger, feierlich überreicht: Heinrich Mann: »Zwischen den Rassen«.

Warum auch aufwendige, manchmal aussichtslos schei-nende Recherchen sich lohnen und welche Bedeutung die Res-titution auch nur eines Buches für die Nachkommen haben kann, formulierte Gudrun Netter wie folgt:

»Ich habe heute mehr erhalten als das Buch meines Groß-onkels. Ich fühle mich ernst genommen mit meiner Geschichte. Den Menschen, denen Sie nach akribischer Suche ihr entwen-detes Eigentum wiedergeben, Emil Netter und meinem Vater, wird stellvertretend für sie die Menschenwürde wiedergege-ben. Sie dürfen wieder sein, ich darf sein mit meinen jüdischen Wurzeln. Danke.«8

1 Modiano, Patrick: Dora Bruder. 3. Aufl., München: dtv, 2014, S. 96

2 Künftig immer SUB für alle Namensformen

3 Modiano, Patrick: Dora Bruder. 3. Aufl., München: dtv, 2014, S. 13

4 Koch, Eric: Die Braut im Zwielicht, Erinnerungen. Bonn: Weidle Verl., 2009, S.121

5 Koch, Eric: Hilmar und Odette. Gerlingen: Bleicher, 1998, Um-schlag

6 Modiano, Patrick: Dora Bruder. 3. Aufl., München: dtv, 2014, S. 29

7 Korrespondenz SUB Hamburg

8 Aus der Rede von Gudrun Netter anlässlich der Restitution des Buches von Emil Netter

Maria Kesting: Dip-l o m - B i b l i o t h e k a r i n , MA Germanistik, seit 1987 in der SUB Ham-burg, Leiterin der Be-arbeitungsgruppen der Hauptabteilung Collec-tionen, Leiterin der Ar-

beitsstelle Provenienzforschung – NS-Raubgut in der SUB Hamburg, Fachreferentin für Medien, Bühne, Film. – Kontakt: [email protected]

Gudrun Netter (links) und Gabriele Beger, Direktorin der SUB Hamburg, bei der Restitution des Buches von Emil Netter. Das kleine Foto links zeigt das Exlibris Netters. Fotos: SUB Hamburg

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Nadine Kulbe, Armin Schlechter

Ausblendung – Annäherung – Restitution Der lange Weg der NS-Raubgutforschung in deutschen Bibliotheken

Als mit dem »Schwabinger Kunstfund« im Jahr 2012 die Problematik nationalsozia-listischen Raubguts (NS-Raubgut) das mediale und öffentliche Bewusstsein endgül-tig erreicht hatte, war dem ein langer Weg des Bemühens um die Aufdeckung und Rückerstattung von NS-Raubgut und NS-Beutegut in Museen, Bibliotheken, Uni-versitäten, Akademien und Archiven vorausgegangen: Die Jahrzehnte nach 1945 waren zunächst eine Zeit des Verdrängens, dann zaghafter Anfänge der Aufarbei-tung und schließlich intensiver Beschäftigung mit Institutions- und Sammlungsge-schichte einhergehend mit gezielten Provenienzrecherchen und Restitutionen. Für den Bereich des Bibliothekswesens sollen im Folgenden das Bewusstsein der Ein-richtungen, die Entwicklung, der Stellenwert, die Ziele und die Probleme der Raub-gutforschung in Deutschland dargestellt werden. Ein Bericht über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Provenienzforschung in Deutschland.1

Lange Zeit wurde in deutschen Bibliotheken verdrängt, dass sich möglicherweise von den Nationalsozialisten geraubte Bücher in den Bestän-den befinden. Erst in den späten 1990er-Jahren begann eine systematische Aufarbeitung. Foto: Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Die Vergangenheit

Die oft komplette Enteignung verfolgter Personen und Institu-tionen im Dritten Reich betraf deren gesamten Besitz, darunter auch Buchbestände. In Abgrenzung von oft prominenten und vergleichsweise leicht fassbaren Gemälden oder Kunstgegen-ständen wird es sich bei der großen Masse enteigneter Privatbi-bliotheken keineswegs um Spitzenstücke gehandelt haben. Hier dominierten, wie auch das Speyerer Beispiel zeigt, klassische bil-dungsbürgerliche Bibliotheken. Der Raub wurde vom NS-Regime kaum dokumentiert. Neben Bibliotheksanteilen, die vernichtet wurden, sind andere Anteile von verschiedenen Stellen an Biblio-theken abgegeben worden, ohne dass die ursprünglichen Besitzer kenntlich gemacht worden wären. Nachweisen lassen sich die ur-sprünglichen Provenienzen letztlich nur dann, wenn in den Bü-chern selbst Merkmale enthalten sind, die auf ihre Besitzer hin-weisen. Beim Speyerer Beispiel war dies bei etwa zehn Prozent der Raubgutbücher der Fall. Auch nach 1945 gelangte Raubgut in den Handel, sodass auch heute noch bei keinem vor 1945 erschie-nenen antiquarisch angebotenen Buch auszuschließen ist, dass es sich um Raubgut handelt. In jedem Fall lässt sich die Frage, ob eine bestimmte Bibliothek Raubgut besitzt oder nicht, keinesfalls in kurzer Zeit nach Aktenlage, sondern nur aufwendig durch Au-topsie der bis 1945 erschienenen Bände entscheiden.

Viele öffentliche Einrichtungen betrachteten die Erwerbungen der Jahre 1933 bis 1945 als rechtmäßig – auch wenn die zweifelhaften Um-stände des Erwerbs durchaus bekannt waren.

Am Anfang der Geschichte der deutschen NS-Raubgutforschung stehen Wiedergutmachungen und Rückerstattungen nach 1945, die lange Jahre das Bewusstsein prägten. Erste Rückgaben ge-raubter Kulturgüter fanden bald nach dem Ende des Zweitens Weltkriegs statt. Sie sind auf Bemühungen und Verordnun-gen der Alliierten zurückzuführen, die an solche Verfahren die Hoffnung knüpften, »eine demokratische Neukonsolidierung Deutschlands zu erreichen, mit der politische Fehlentwicklun-gen wie nach dem Ersten Weltkrieg vermieden werden sollen«.2 In der Amerikanischen und der Französischen Besatzungszone wurden am 10. November 1947 Verordnungen zur »Rückerstat-tung geraubter Vermögensgegenstände« wirksam, die Britische Zone folgte am 12. Mai 1949.3 Die durch die alliierten Vorschrif-ten geregelten Rückerstattungen stießen in der Bundesrepublik Deutschland auf Widerstand. Zwar wurde die Rechtmäßigkeit der Rückgabe von enteignetem Besitz nicht infrage gestellt, doch bezog sich dieses Verständnis vorrangig auf Organisationen der NSDAP und des NS-Staats, nicht auf Privatpersonen. Ein Resul-tat war, dass die deutsche Justiz »die vorhandenen Spielräume eher zugunsten der Rückerstattungspflichtigen als zugunsten der Geschädigten nutzte.«4 Auch als am 17. Juli 1959 das Bun-desrückerstattungsgesetz (BRÜG) auf dem Gebiet der Bundesre-publik Deutschland in Kraft trat und die alliierten Vorschriften ablöste, änderte sich an den behördlichen Verhaltensmustern nichts: Der Wille, gerechte Lösungen zu finden, war begrenzt,

was allzu oft in langwierige Verfahren, unerfüllbare Nachweis-forderungen und juristische Winkelzüge mündete.

Ab Mitte der 1950er-Jahre verschwand das Thema Rück-erstattung allmählich aus dem bundesdeutschen Bewusstsein und der Diskussion. Viele öffentliche Einrichtungen betrachte-ten die Erwerbungen der Jahre 1933 bis 1945 als rechtmäßig – auch wenn die zweifelhaften Umstände des Erwerbs durch-aus bekannt waren.

Erst mit der 1998 verabschiedeten Washingto-ner Erklärung und der »Gemeinsamen Erklä-rung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände« 1999 wurde die moralische Verpflichtung einer Aufarbei-tung und Restitution durch öffentliche Kultur-einrichtungen anerkannt.

Eine Annäherung an die Problematik von NS-Raub- und NS-Beutegut erfolgte schließlich auf Umwegen über die Bib-liotheksgeschichte. Zunächst hatte jahrzehntelang gegolten, was Manfred Komorowski als Allgemeinplatz formulierte: »Die bibliotheksgeschichtlichen Veröffentlichungen der Nach-kriegszeit übergingen die Zeit von 1933 bis 1945 meist in we-nigen, oft nichtssagenden Passagen.«5 Im Gegensatz zum Volks-bibliothekswesen, das seine NS-Geschichte bereits seit den 1950er-Jahren umfassend untersucht hat6, begann die kritische Aufarbeitung für das wissenschaftliche Bibliothekswesen erst 1982 mit Ingo Toussaints Monografie über die Freiburger Uni-versitätsbibliothek.7 Bis dahin waren die Veröffentlichungen von rhetorischen Strategien wie Tabuisierung, Trauer, verkürz-ten Wahrnehmungen oder Mythologisierungen bestimmt.8 Zu einer paradigmatischen Wende führten schließlich zwei 1988 und 1989 vom Wolfenbütteler Arbeitskreis für Bibliotheksge-schichte veranstaltete Tagungen zu den »wissenschaftlichen Bi-bliotheken während des Nationalsozialismus«.9 Sie waren ein erster Versuch, Fallstudien und Forschungsfelder darzustellen, und waren Zeichen eines Generationenwechsels.

Aber erst mit der 1998 verabschiedeten Washingtoner Er-klärung10 und der »Gemeinsamen Erklärung der Bundesregie-rung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände«11 1999 wurde die moralische Verpflichtung einer Aufarbeitung und Res-titution durch öffentliche Kultureinrichtungen anerkannt. Mit der Gründung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2008 stellte der Bund schließ-lich auch Beratung und Fördermittel zur Verfügung. Bis zum ge-genwärtigen Zeitpunkt wurden und werden an 28 deutschen Ein-richtungen geförderte Projekte zur Überprüfung der Bibliotheks-bestände durchgeführt.12 Als eine der ersten Bibliotheken hat im Übrigen schon lange vor der Gründung der Arbeitsstelle die Uni-versitätsbibliothek Marburg mit der systematischen Recherche nach NS-Raubgut in ihren Beständen begonnen.

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Die Gegenwart

Grundsatz und Ziel der Suche nach NS-Raub- und NS-Beute-gut in Bibliotheken heute ist die Restitution identifizierter Be-stände. Da dies in vielen Fällen nicht mehr möglich ist, weil Vorbesitzer nicht identifiziert oder Nachfahren nicht ermittelt werden können, steht an zweiter Stelle die fortwährende Erin-nerung an erlittenes und zugefügtes Unrecht. Wohl wissend, dass »Wiedergutmachung« für Verfolgung, Enteignung und Vernichtung unmöglich ist, sind Restitution und Erinnerung zwar nur Näherungslösungen, aber auch die einzigen Mög-lichkeiten einer Annäherung. Nicht nur aus diesem Grund do-kumentieren Ausstellungen, Kataloge und Provenienzhinweise in den elektronischen Bibliothekskatalogen den Stand der Re-cherche an einzelnen Häusern.14

Probleme erreichen nur zögerlich Peripherie

Das Gros der bisher durchgeführten Projekte fand an großen wissenschaftlichen Einrichtungen – Staats-, Landes- und Uni-versitätsbibliotheken – statt. Nur zögerlich erreicht die Prob-lematik auch periphere und kleine Häuser wie die Pfälzische Landesbibliothek Speyer15 oder kommunale, öffentliche Bib-liotheken wie die Stadtbibliothek Bautzen16, wobei gerade die vielversprechenden Ergebnisse solcher Projekte erst das Bild des flächendeckenden Raubes vervollständigen und die Not-wendigkeit einer Raubgut-Recherche in Einrichtungen jeder Couleur bewusst machen.

Nicht zuletzt hat die Mittelerhöhung der Ar-beitsstelle für Provenienzforschung in den ver-gangenen Jahren zu verstärkten Forschungen geführt. Damit verbunden ist auch eine Inten-sivierung der Institutionalisierung der Proveni-enzforschung in Deutschland.

Neben den bisher bei der NS-Raub- und Beutegutforschung für gewöhnlich in den Blick genommenen Kunstmuseen, Kunst-sammlungen und Bibliotheken werden inzwischen auch ver-stärkt Recherchen in wissenschaftlichen Forschungsinstitu-tionen und Bibliotheken sowie ethnologischen und ethno-grafischen Sammlungen durchgeführt. Für das Gebiet der ehemaligen DDR spielen zudem die Enteignungen im Zuge der »Bodenreform« eine nicht unbeträchtliche Rolle.17

Nicht zuletzt hat die Mittelerhöhung der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in den vergangenen Jahren zu verstärk-ten Forschungen geführt. Damit verbunden ist auch eine In-tensivierung der Institutionalisierung der Provenienzforschung in Deutschland. 2015 wurden die Arbeitsstelle für Provenienz-forschung und die 1994 gegründete Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern im Deutschen Zentrum Kulturgutverluste (DZK) zur Bündelung von Struk-turen und Kompetenzen zusammengefasst.18 Seit diesem Jahr

gibt das DZK auch die Zeitschrift »Provenienz & Forschung« heraus, die zukünftig über die Raubgutforschung und -suche informieren soll.

Zu Arbeitskreisen zusammengeschlossen

Auf der Arbeitsebene täglicher Provenienzforschung haben sich die in den verschiedenen Institutionen tätigen Wissen-schaftler zu zwei Arbeitskreisen zusammengeschlossen, die regelmäßige Treffen veranstalten und dem Austausch über laufende und abgeschlossene Projekte, Fragen und Probleme dienen.19 Im Freistaat Bayern haben zudem 2015 öffentli-che Einrichtungen den »Forschungsverbund Bayern« ins Le-ben gerufen, um die Raubgutforschung besser vernetzen zu können.

Wohl wissend, dass »Wiedergutmachung« für Verfolgung, Enteignung und Vernichtung un-möglich ist, sind Restitution und Erinnerung zwar nur Näherungslösungen, aber auch die einzigen Möglichkeiten einer Annäherung.

Akademische Ausbildungen für die Provenienzforschung gibt es bisher nur im Bereich der Kunstwissenschaft. So bietet zum Beispiel die Freie Universität Berlin seit 2011 für die Bache-lorstudiengänge der Geschichts- und Kunstwissenschaften Ver-anstaltungen zur Provenienzforschung an. An der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn konnten durch die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung 2015 zwei Stiftungs-lehrstühle zur Provenienzforschung sowie zu Kunstrecht und Kulturgüterschutz eingerichtet werden. Im Bereich der Biblio-theken sieht es schlechter aus. Provenienz- und NS-Raubgutre-cherche haben sich hier in erster Linie in Form von Abschluss-arbeiten bibliotheks- und informationswissenschaftlicher Stu-diengänge niedergeschlagen.20

Die Pfälzische Landesbibliothek Speyer. Nur bei zehn Prozent des Raubgutes ließen sich ursprüngliche Provenienzen nachweisen. Foto: LBZ/Niemeyer

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Die Zukunft

Durch die Intensivierung der Raubgutforschung wurden in den vergangenen Jahren aber auch zunehmend Probleme deutlich, denen in Zukunft größere Aufmerksamkeit zuteilwerden muss. Bei der als Grundlage der NS-Raubgutforschung dienenden »Ge-meinsamen Erklärung« aus dem Jahr 1998 handelt es sich um keine rechtlich bindende Vorschrift, sondern um eine Erklärung zur Selbstverpflichtung, die vom Bund durch öffentliche Mittel unterstützt wird. Abgesehen von den Rückerstattungs- und zivil-rechtlichen Regelungen der Bundesrepublik existiert keine recht-liche Grundlage für Recherchen und Restitutionen, wie sie zum Beispiel von der Republik Österreich mit dem »Bundesgesetz über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus Österreichischen Bun-desmuseen und Sammlungen« von 1998 geschaffen wurde.

Darüber hinaus erwachsen Probleme zunehmend auch durch dünne Personaldecken. Die Drittmittelförderung durch das DZK ermöglicht die zeitlich befristete Einstellung qualifizierten Perso-nals und unterstützt damit natürlich eine fundierte und intensive Recherche. Diese wäre im Rahmen regulärer Arbeitsverhältnisse kaum möglich, weil die Recherche in den Beständen, die Prüfung, die Dokumentationen, Archivrecherchen und Korrespondenzen zeitaufwendig sind. Doch lassen sich im Laufe dieser maximal dreijährigen Projektlaufzeiten kaum alle Provenienzen identifi-zieren, Nachfahren recherchieren und Restitutionen durchführen. Die Suche nach NS-Raubgut und dessen Rückgabe ist keine zeit-lich befristet Aufgabe, die irgendwann einmal abgeschlossen ist: Aktuelle Erwerbungen müssen geprüft, neue Ergebnisse anderer Projekte mit der eigenen Arbeit abgeglichen und zugleich die ei-genen Forschungsergebnisse ständig im öffentlichen Bewusstsein gehalten werden. Stabsstellen und Referate für die Provenienzfor-schung können sich nur große Häuser leisten.

Schließlich gibt es auch einen erhöhten Bedarf an Dokumen-tation und technischer Vernetzung. Die Erfassung von Provenienz-merkmalen und Restitutionsstatus ist nicht in allen Bibliotheks-systemen und -verbünden gleichermaßen möglich. Von allen Pro-venienzforschern gleichermaßen verwendet werden kann derzeit nur die Datenbank Lost Art des DZK, in die Raubgutfunde ein-gestellt werden.21 Ein permanenter Austausch und Abgleich von identifizierten Merkmalen, Quellenmaterial und biografischen Informationen aber ist die Grundlage einer professionellen und auch ökonomischen Raubgutforschung, die derzeit nur durch per-sönlichen Austausch gewährleistet werden kann.

Die Forschung nach Raubgut in deutschen Bibliotheken in den letzten Jahrzehnten hat zu einer deutlichen Zunahme an Wissen um die seinerzeitigen Ereignisse geführt. Andererseits ist zu kon-statieren, dass bisher statt einer flächendeckenden Untersuchung nur ein Flickenteppich in der deutschen Bibliothekslandschaft entstanden ist. Als Desiderat wäre zu formulieren, dass jede deut-sche Bibliothek, die vor 1945 erschienene Bestände besitzt, diese komplett auf NS-Raubgut hin untersuchen muss. Dies betrifft so-wohl die bis 1945 erworbenen als auch die nach 1945 antiqua-risch angekauften Bände. Neben der Inspektion der einzelnen Bü-cher setzt das die Aufarbeitung der Geschichte des eigenen Hauses voraus. Falls es nicht zu einer entsprechenden systematischen Auf-arbeitung der Bestandsgeschichte kommt, werden auch weiterhin

deutsche Bibliotheken mit aufgearbeiteten Beständen neben Ein-richtungen stehen, die bisher keinerlei Initiativen unternommen haben, womit das Raubgutproblem immer weiter perpetuiert wer-den wird. Zudem führt die Aufarbeitung der NS- und Raubgutge-schichte auch kleiner Bibliotheken zu neuen Erkenntnissen, die allen anderen Einrichtungen mit entsprechenden Projekten zu-gutekommen und irgendwann zu einer Gesamtsicht der Biblio-theksgeschichte führen können. Auch der Antiquariats- und Auk-tionshandel sollte in verstärktem Maß die von ihm angebotenen Bestände gewissenhaft auf NS-Raubgut hin untersuchen. Letzt-lich wäre es Aufgabe des DZK, sämtliche deutsche Bibliotheken, die sich bisher noch nicht entsprechend engagiert haben, zu ei-ner entsprechenden Untersuchung ihrer Bestände aufzufordern.

Die vielen Restitutionen an Nachfahren aller Opfergruppen, die erst seit den 2000er-Jahren erwähnenswerte Umfänge angenommen haben, werden zumeist nur von der Lokalpresse und einem kleinen Expertenkreis wahrgenommen.

Die NS-Raubgutforschung in Deutschland hat in den vergange-nen 20 Jahren große Fortschritte gemacht, Desiderate aufgezeigt, Geschichte anschaulich werden lassen und erste größere Schritte gemacht, ihren möglichen Beitrag zur »Wiedergutmachung« zu leisten. Die vielen Projekte in Häusern mit unterschiedlichen Pro-filen, Beständen und Voraussetzungen haben einen wichtigen Bei-trag zur Aufarbeitung weiterer Facetten der NS-Diktatur geleistet und dabei auch die Bedeutung interdisziplinärer Arbeit aus Bib-liotheks- und Kunstwissenschaft, Zeit- und Regionalgeschichte so-wie biografischer Forschung herausgestellt.

Zu den wertvollsten Ergebnissen des langen Weges der NS-Raubgutforschung zählt ganz sicher das veränderte Bewusst-sein öffentlicher Kultureinrichtungen. Auch wenn die Verantwor-tung für Sammlungen in Bezug auf Bestandserhalt und -erwei-terung noch immer zu den wichtigsten Aufgaben von Kulturein-richtungen zählen, gehört gerade im Bereich der Bildung und Information auch die Erinnerung an historische Ereignisse dazu. Und was könnte hierfür besser geeignet sein, als deutsche und eu-ropäische Geschichte anhand der Vergangenheit der eigenen In-stitution darzustellen. Die moralische Verpflichtung zu Raubgut-forschung, Restitution und Erinnerung ist inzwischen im Bewusst-sein öffentlicher Kultureinrichtungen angekommen.

Die vielen Restitutionen – in ihrem Umfang völlig unterschied-lich von einem bis zu mehreren hundert Werken – an Nachfahren aller Opfergruppen, an Institutionen, Vereine und Privatpersonen im In- und Ausland, die erst seit den 2000er-Jahren erwähnens-werte Umfänge angenommen haben, passieren oft im Stillen und werden zumeist nur von der Lokal- und Regionalpresse und einem kleinen Expertenkreis wahrgenommen. Im Vergleich zu Gemälden und Grafiken sind Bücher oft nur gering in ihrem materiellen Wert. Als Zeugen der jüngsten Geschichte aber ist ihr ideeller Wert un-gleich höher, denn nur ein Buch genügt, um die ganze Geschichte eines bedrohten oder vernichteten Lebens zu erzählen.

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

1 Der Fokus bis Anfang der 1990er-Jahre liegt dabei auf den Bibliotheken der ehemaligen westdeutschen Besatzungszonen beziehungsweise der Bundesrepublik Deutschland.

2 Elisabeth Gallas: »Das Leichenhaus der Bücher«. Kulturrestitution und jüdisches Geschichtsdenken nach 1945, Göttingen 2013, S. 276.

3 Die Militäradministration der Sowjetischen Besatzungszone erließ keine Vorschriften, da durch Enteignungen und »Bodenreform« ab 1945 ohnehin die bestehende bürgerliche Eigentumsordnung zugunsten kommunistischer Vorstellungen von »Entnazifizierung« und »Volkseigen-tum« abgeschafft wurde.

4 Jürgen Lillteicher: Die Grenzen der Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Vortrag für die Tagung »Provenienzforschung für die Praxis. Recherche und Dokumentation von Provenienzen in Bibliotheken« am 11. und 12. September 2003 in Weimar, S. 5, online abrufbar unter: http://www.initiativefortbildung.de/pdf/provenienz_lillteicher.pdf.

5 Manfred Komorowski: Wissenschaftliche Bibliotheken in der NS-Zeit. Forschungstendenzen der letzten 15 Jahre, in: Sven Kuttner/Bernd Reifenberg (Hg.): Das bibliothekarische Gedächtnis. Aspekte der Erinnerungskultur an braune Zeiten im Bibliothekswesen, Marburg 2004, S. 54-83, hier S. 54.

6 Vgl. z.B. Michael Wagner: Öffentliche Bibliotheken und Bibliothekspolitik in der Pfalz (1921–1996). 75 Jahre Staatliche Büchereistelle Rheinhessen-Pfalz, Kaiserslautern 1996.

7 Vgl. Ingo Toussaint: Die Universitätsbibliothek Freiburg im Dritten Reich, Freiburg i.Br. 1982.

8 Vgl. Jürgen Babendreier: Kollektives Schweigen? Die Aufarbeitung der NS-Geschichte im deutschen Bibliothekswesen, in: Sven Kuttner/Bernd Reifenberg (Hg.), Das bibliothekarische Gedächtnis. Aspekte der Erinnerungskultur an braune Zeiten im Bibliothekswesen, Marburg 2004, S. 23-53, sowie Peter Vodosek: »Reflex der Verdrängung«? Zur Rezeptionsgeschichte eines schwierigen Themas, in: ebd., S. 10-22.

9 Vgl. Peter Vodosek/Manfred Komorowski (Hg.): Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil 1 und 2, Wiesbaden 1989/1992.

10 https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Washingtoner-Prinzipien/Index.html

11 https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Stiftung/Grundlagen/Gemeinsame-Erklaerung/Index.html

12 Vgl. https://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/Forschungsfoerderung/Projektfinder/Index.html

13 Vgl. zuletzt Bernd Reifenberg: Der lange Weg zur Restitution, in: Ira Kasperowski/Claudia Martin-Konle [Hrsg.]: NS-Raubgut in Hessischen Bibliotheken, Gießen 2014, S. 155-174, sowie die Projekt-Datenbank unter: http://avanti.uni-marburg.de/ub/ns-raubgut/

14 Vgl. z.B. Bücher unter Verdacht. NS-Raub- und Beutegut an der SUB Göttingen. Katalog der Ausstellung, Göttingen 2011; Cordula Reuß [Hrsg.]: NS-Raubgut in der Universitätsbibliothek Leipzig, Leipzig 2011; Bartels u.a....; Raubgut.

15 Vgl. Katalog sowie zuletzt: Nadine Kulbe: NS-Raubgut in der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer. Besonderheiten des Bücherraubs in der Peripherie, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 64 (2016) 4, S. 213-212.

16 Vgl. Robert Langer: Der Nationalsozialismus und das Potential der Volksbücherei. Das Beispiel der staatlichen Kreisfachstelle für Bücher-eiwesen Bautzen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 64 (2016) 4, S. 213-223.

17 Vgl. dazu z.B. das 2009 bis 2012 an der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden durchgeführte Projekt: Jana Kocourek/Norman Köhler, Spurensuche, in: Bibliotheken in Sachsen 3 (2010) 2, S. 110f.

18 Vgl. unter: https://www.kulturgutverluste.de

19 Vgl. Arbeitskreis Provenienzforschung unter: http://arbeitskreis-provenienzforschung.org, sowie den 2014 gegründeten Arbeitskreis Provenienzforschung und -restitution – Bibliotheken.

20 Vgl. z.B. Stefan Paul: Werkzeuge für die Provenienzforschung in Bibliotheken und Informationseinrichtungen. Möglichkeiten und Grenzen untersucht anhand ihrer Webangebote, Berlin 2013; Melanie Hamm: Der Umgang mit NS-Raubgut in der Wiener Universitätsbibliothek unter besonderer Berücksichtigung der »Sammlung Tanzenberg«, Masterarbeit HU Berlin 2014.

21 http://www.lostart.de

Armin Schlechter: geb. 1960 in Heidelberg. Studium der Äl-teren deutschen Sprache und Literatur, Geschichte und Mit-tellatein in Heidelberg. Seit 2008 Leiter des Sachgebie-tes Handschriften, Nachlässe und alte Drucke im Landesbi-bliothekszentrum/Pfälzische

Landesbibliothek Speyer. Zahlreiche Publikationen zur Buch- und Bibliotheksgeschichte des deutschsprachi-gen Südwestens sowie zur Heidelberger Romantik.

Nadine Kulbe: geb. 1979 in Greiz. Studium der Germa-nistik und Kommunikations-wissenschaft in Dresden. Seit 2005 am Institut für Sächsi-sche Geschichte und Volks-kunde, Dresden, Bereich Volkskunde. Publikationen zu kulturhistorischen Themen.

Von 2012 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer im Proveni-enzprojekt zur Identifizierung von NS-Raubgut.

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Annette Gerlach

Daueraufgabe Provenienzforschung NS-Raubgutforschung in deutschen Bibliotheken – Ein Überblick

Außer einem Bild aus der Kindheit und der eigenen KZ-Klei-dung hatte der KZ-Überlebende Walther Lachmann nichts aus seiner Vergangenheit bis zu dem Zeitpunkt, als er von der Zentral- und Landesbibliothek Berlin im Jahr 2008 sein Kinderbuch zurück erhielt; ein Buch, das vor Jahrzehnten nicht zu seinen Lieblingsbüchern gehört hatte, aber einen unschätzbaren Wert für ihn erhielt. Jahrzehnte hatte er über seine schreckliche Verfolgungsgeschichte, die er als Jugendlicher in verschiedenen Konzentrationslagern er-lebt hatte, geschwiegen und in den USA ab 1946 eine ty-pische amerikanische Karriere gemacht. Durch die Rück-gabe jenes Kinderbuches begann er sich mit der Vergangen-heit neu zu beschäftigen. Hochbetagt ging er von nun an in verschiedene kalifornische Klassen und war Zeitzeuge für die furchtbare Vergangenheit und für eine Gegenwart, in der Bibliothekare nach seinem Schicksal fragten und ihm ein Buch zurückgaben. Dieses »Wunder« (Zitat Lachmann) ist sicher so kaum zu wiederholen, aber es zeigt, dass es um mehr als abstrakte historische Erkenntnisse geht, um mehr als Aufarbeitung oder – um das schreckliche Wort zu gebrauchen – gar um Wiedergutmachung, die nie gelingen kann und wird. Doch das Wegsehen der Vorgängerinstitu-tionen rechtfertigt nicht, dies fortzusetzen.

Der »Arbeitskreis kritischer Bibliothekare« griff erstmals in den Neunzigerjahren die fachliche Diskussion über NS-Raub-gut auf.1 Die SUB Bremen war eine der ersten, die mit der Er-forschung des eigenen Bestandes begann. Seit der Verabschiedung der Washingtoner Erklä-rung2 (1998) und darauf aufbauend der ge-meinsamen Erklärung des Bundes, der Län-der und der kommunalen Spitzenverbände3 (1999) begann in deutschen Kulturinstituti-onen die Erforschung des NS-verfolgungsbe-dingt entzogenen Kulturgutes. Inzwischen ist die Öffentlichkeit sehr sensibilisiert, nicht zu-letzt der Fall »Cornelius Gurlitt« hat dies ein-drücklich erwiesen.4 Die Frage nach dem rechtmäßigen Eigen-tum an bekannten und wertvollen Gemälden hat immer wieder die Schlagzeilen der Feuilletons gefüllt. Die Bibliotheken waren eher ein Randthema. Doch mit der Bereitstellung von Bundes-mitteln änderte sich das auch im deutschen Bibliothekswesen.

Zahlreiche Projekte wurden begonnen (keineswegs nur mit Fördermitteln, sondern zum Teil auch integriert in den norma-len Arbeitsprozess). Unvollständig hier eine Auswahl: SLUB Dresden, SUB Hamburg, UB München, UB Marburg, Zentral- und Landesbibliothek Berlin, GWLB Hannover, LBZ Speyer, StB Bautzen, UB Mainz, HAAB Weimar, StB Nürnberg, USB Köln, UB Leipzig, UB Potsdam, SBB Berlin, BSB München und an-dere. Insgesamt sind es bisher 31 Bibliotheken. Es müssten je-doch weitaus mehr sein. Denn systematisch haben die staatli-chen Organe der NS-Zeit und die Partei rassisch und politisch Verfolgte im gesamten Reich um ihren Besitz gebracht und die-sen in nahezu allen deutschen Bibliotheken verstreut.

Mühsame Arbeit

Da erst fünf Jahrzehnte nach dem Ende der NS-Herrschaft mit einer echten Provenienzforschung begonnen wurde, war und ist folgerichtig die Arbeit sehr mühsam. Archivalien stehen zum Teil nicht mehr zur Verfügung, Provenienzzeichen oder Provenienzindizien müssen gesammelt und bewertet bzw. ge-deutet und ausgewertet werden, Sammlungen wurden oft über das gesamte Reich zerstreut, Eigentümer und deren Nachkom-men müssen ermittelt und gefunden werden. Es ist eine zeit-aufwendige kleinteilige Forschungstätigkeit, die zu bewältigen ist und die vor allem auch das vernetzte Arbeiten zwischen den Einrichtungen erfordert. Keine Bibliothek, die Bestände mit

einem Erscheinungsjahr vor 1945 hat, kann sicher sein, kein Raubgut zu haben. Auch Nachkriegsgründungen nicht, die auf Umwe-gen (Dublettenabgaben, antiquarische Käufe, Übernahme von Sammlungen usw.) ebenfalls in den Besitz unrechtmäßig entzogenen Kul-turgutes gelangt sein können.

Unterstützung von Bund und oder Ländern bei dieser großen Aufgabe gab es zunächst mit der 1994 gegründeten »Koordinierungsstelle

der Länder für die Rückführung von Kulturgut« (seit 1998 in Magdeburg, später umbenannt in »Koordinierungsstelle Kul-turgutverluste«, nachdem sie auch die Zuständigkeit für die Datenbank des national wertvollen Kulturgutes auf der Basis des Kulturgutschutzgesetzes erhalten hatte). Angefangen hatte

Nach den vielfältigen Erfahrungen der letzten

Jahre muss klar sein, dass NS-Raubgutfor-

schung eine Dauerauf-gabe für die nächsten Jahrzehnte sein muss.

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sie allerdings mit einer Dokumentation von deutschem Beute-gut, also den Verlusten deutscher Bibliotheken und Museen, die kriegsbedingt zumeist in die ehemalige Sowjetunion ver-lagert worden waren. Das Thema Raubgut kam später hinzu und so wurde die Datenbank »Lostart«5 eine Ansammlung von Such- und Fundmeldungen. Sie war allerdings von ihrer Kon-struktion her gesehen eine, die für Museumsgegenstände ein-gerichtet wurde. Bekanntermaßen haben Bücher andere An-forderungen an die Erschließung, ein anderes Regelwerk und allein die Masse der Einzeltitel erfordert andere Suchmöglich-keiten. Zudem hat Lostart einen dokumentarischen Charak-ter, der zwar keine Rechtstatbestände setzen kann (im Zweifel müssen deutsche Gerichte bei der Frage nach der Eigentums-feststellung Entscheidungen treffen), aber immerhin doch eine erste Möglichkeit eines zentralen Nachweises und dadurch das zentrale Dokumentationsmittel der Erkenntnisse ist.

Ein Resümee mag derzeit Positives zeigen: Vom Randthema ist Raubgutforschung auf jedem Bibliothekartag und in der Fachpresse zum wichtigen und viel beachteten Thema geworden.

2008 kam die Gründung der »Arbeitsstelle für Provenienz-recherche und -forschung« (AfP) in Berlin hinzu, die vor allem die seither bereitgestellten Fördermittel des Bun-des an Antragsteller verteilte. Dies gab der Provenienz-forschung in deutschen Kulturinstitutionen sehr viel Auf-trieb. Seither sind für die Gesamtsumme von 17,5 Mil-lionen Euro insgesamt 234 Projekte gefördert worden. Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien, ge-lang es im letzten Jahr, die jährlich zur Verfügung stehende Fördersumme nochmals zu erhöhen. Doch auch wenn dies alles Anerkennung finden muss, so muss doch deutlich her-vorgehoben werden, dass es nicht reicht. Denn anfangs dach-ten nicht nur die Politik und die Öffentlichkeit, sondern auch viele Experten, dass man diese Aufgabe im Rahmen von »Pro-jekten« bewältigen kann. Nach den vielfältigen Erfahrungen

der letzten Jahre muss klar sein, dass NS-Raubgutforschung eine Daueraufgabe für die nächsten Jahrzehnte sein muss. Das heißt entsprechende Strukturen und Ressourcen müssen zur Verfügung stehen. Mit der Zusammenlegung der beiden zuständigen Institutionen im neuen 2015 gegründeten »Deut-schen Zentrum Kulturgutverluste« (DZK), als Stiftung konsti-tuiert6, war ein deutliches Signal des Bundes gesetzt, diese Ar-beit sichtbar zu unterstützen. Das DZK versteht sich als natio-naler und internationaler Ansprechpartner für alle Fragen von Kulturgutverlusten. Ergänzend zum Thema NS-Raubgut sol-len weitere bearbeitet werden: die Fragen, die sich aus der Be-satzungszeit ergeben ebenso wie aus der Geschichte der DDR. Genauso soll das Thema Human Remains in den Blickpunkt rücken und die »Beutekunst« soll weiterhin Aufmerksamkeit erhalten. Mehr als deutlich muss jedoch hervorgehoben wer-den, dass weitere Themen neuer und zusätzlicher Ressourcen bedürfen! Als Stiftung hat das DZK entsprechende Organe, unter anderem ein international besetztes Kuratorium mit der Aufgabe der fachlichen Beratung. Die deutschen Bibliotheken sind im Auftrag des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv)durch die Verfasserin dieses Beitrags vertreten.7

Grundlagenforschung notwendig

Mit zunehmender Vertiefung der Einzelfallforschung hat sich gezeigt, dass Grundlagenforschung notwendig ist und dass die Spezialisten untereinander nicht mit einem Portal, wie es sei-nerzeit die AfP aufbaute, auskommen können. Denn es han-delt sich um das komplexe und vielschichtige Thema des For-schungsdatenmanagements: der Sammlung, Aufbereitung, ge-meinsamen Nutzung und langfristigen Verfügbarkeit der Daten mit dem Ziel der Vermeidung von Doppelarbeit, zur Dokumen-tation des historischen Forschungsfortgangs und überhaupt zur Gewinnung von historischen Erkenntnissen, die zum Teil nur durch die enge und gemeinsame Arbeit verschiedener Institu-tionen zu erreichen sind.8 Dass Staatsministerin Grütters für diesen Zweck vor wenigen Monaten Sondermittel bereitstellte, darf als wichtiger Schritt in die richtige Richtung gewertet wer-den.9 Die anspruchsvolle Aufgabe verdient jedoch eine gründli-che Analyse und eine genaue bedarfsgerechte Entwicklung, die weit über die ursprünglichen Lostart-Ziele, der Dokumentation »fertiger« Ergebnisse, hinausgeht. Allen Beteiligten muss klar sein, wie komplex dies ist, also auch hinreichende Ressourcen erfordern wird.

Weiteres konnte in den letzten Jahren erreicht werden: So sind die Module für die Spezialisierung in Sachen Prove-nienzforschung in der Ausbildung für Mitarbeiter in Museen neu eingerichtet worden und seit diesem Jahr gibt es in Bonn und Hamburg zwei Stiftungsprofessuren für die Grundlagen-forschung. Zahlreiche Fortbildungen wurden in den vergange-nen eineinhalb Jahrzehnten durchgeführt und die Liste der ein-schlägigen Publikationen ist lang.

Schon vor einigen Jahren haben Provenienzforscher, die in Museen aktiv waren und sind, einen eigenen Verein für den internen Fachaustausch gegründet.10 Bibliotheksspezialisten

Dr. Annette Gerlach, Leiterin des Landes-bibliothekszentrums Rheinland-Pfalz. Da-vor Leiterin der His-torischen Sammlun-gen in der Zentral- und Landesbibliothek Berlin, davor stellver-tretende Direktorin

der Anhaltischen Landesbücherei Dessau. In Berlin und Speyer mit Raubgutprojekten befasst und seit 2015 Mit-glied im Kuratorium des Deutschen Zentrums Kulturgut-verluste für die deutschen Bibliotheken.

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

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treffen sich circa zweimal jährlich in einem informellen Ar-beitskreis. Der Museumsverein ist auch für die Politik offizi-eller fachlicher Ansprechpartner, die spezifischen bibliothe-karischen Belange11 dürfen jedoch bei den Fachdiskussionen – gerade wenn es nun um die Schaffung von Forschungsumge-bungen geht – nicht außen vor bleiben. Die Fragen des biblio-thekarischen Regelwerks, der Austauschformate, der Thesauri und nicht zuletzt die Einbindung von vorhandenen Normda-ten müssen für die Suche nach Lösungen in diese Forschungs-umgebung einfließen. Zu wünschen ist daher, dass auch im Bibliothekswesen formelle (sichtbare) Strukturen geschaffen werden, sodass die inoffizielle Arbeitsgruppe zum offiziellen Partner werden kann, der auch von den Institutionen, die Pro-venienzforschung mach(t)en, unterstützt und getragen wird.

Raubgutforschung muss in allen Bibliotheken stattfinden, muss zur Daueraufgabe werden, die dafür notwendigen Ressourcen und Struk-turen müssen aufgebaut werden, schließlich muss dieses historische Erbe tatsächlich vollumfänglich bearbeitet werden.

Ein Resümee mag derzeit Positives zeigen: Vom Randthema ist Raubgutforschung auf jedem Bibliothekartag und in der Fach-presse zum wichtigen und viel beachteten Thema geworden. Darüber hinaus macht es auch deutlich, dass bei historischen Werken die inhaltliche Beschäftigung mit den Exemplaren selbst wichtige Aufschlüsse für die Wissenschaft liefert – Provenienz-forschung reicht weit über das Raubgut-Thema hinaus.

Die Erfolge gemessen an der Zahl der Rückgaben oder we-nigstens der Dokumentationen neuer Erkenntnisse sind gut, aber sie sind angesichts der Größe des Unrechts nur der be-rühmte »Tropfen auf den heißen Stein«.

Raubgutforschung muss in allen Bibliotheken stattfinden, muss zur Daueraufgabe werden, die dafür notwendigen Res-sourcen und Strukturen müssen aufgebaut werden, schließlich muss dieses historische Erbe tatsächlich vollumfänglich bear-beitet werden. Und das eigentliche Ziel, den unrechtmäßigen Besitz zurückzugeben, darf dabei nie vergessen werden.

1 Displaced Books. Bücherrückgabe aus zweierlei Sicht. Beiträge und Materialien deutscher Bibliotheken im Zusammenhang von NS-Zeit und Krieg. Hrsg. von Maria Kühn-Ludewig für Akribie. 2., erw. Aufl. Hannover 1999

2 http://www.kulturgutverluste.de/images/washingtoner_prinzi pien.pdf

3 http://www.kulturgutverluste.de/images/gemeinsame_erklae rung.pdf

4 http://www.kulturgutverluste.de/Webs/DE/ProjektGurlitt/Index.html (Die Fortsetzung der Task Force »Gurlitt« ist seit Anfang 2016 beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste angesiedelt.)

5 http://www.lostart.de/Webs/DE/Datenbank/Index.html

6 Ausführlicher zu »Geschichte und den Fakten des DZK« siehe: http://www.kulturgutverluste.de/images/zentrum/160601_Deutsches_Zentrum_Kulturgutverluste_Fakten.pdf

7 Auf der Website des dbv sind dessen frühere Aktivitäten nach-zuverfolgen: http://www.bibliotheksverband.de/dbv/themen/ns-raubgutforschung.html

8 Hierzu gab es schon 2012 erste Vorüberlegungen, siehe: Annette Gerlach / Peter Prölß: Forschungs-Verbunddatenbank »Proveni-enzforschung«. In: Bibliotheksdienst 46 (2012), S. 15-21

9 https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Pressemitteilun gen/BPA/2016/06/2016-06-13-bkm-kulturgutverluste.html

10 http://arbeitskreis-provenienzforschung.org/

11 Dabei sei nicht nur an das Regelwerk gedacht, sondern auch an die Thesauri und die GND-Anbindung – Themen, um die sich die AG Handschriften und alte Drucke im dbv schon seit vielen Jahren kümmert (siehe auch: http://provenienz.gbv.de/images/6/6d/DBV_Empfehlungen_zur_Provenienzverzeichnung.pdf)

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Georg Ruppelt

Die NS-Raubgutforschung – ein noch lange nicht abgeschlossenes Kapitel der Bibliotheksgeschichte Positive Entwicklungen im Bereich der Provenienzforschung / Bibliothekarische Verbände gefordert

Mit der Gründung der Stiftung Deutsches Zentrum Kul-turgutverluste durch den Bund, die 16 Bundesländer und die drei kommunalen Spitzenverbände, die Anfang 2015 in Magdeburg ihre Arbeit aufnahm, hat die Provenienz-forschung in Deutschland einen kräftigen Auftrieb be-kommen. Zusammengeführt wurden im Zentrum die Ko-ordinierungsstelle Magdeburg und die 2008 gegründete Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Mu-seumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin – Stif-tung Preußischer Kulturbesitz.

Was Provenienzforschung eigentlich ist, erläutern Christoph Zuschlag, Ordinarius am Institut für Kunstwissenschaft und

Bildende Kunst der Universität Koblenz-Landau und Ulrike Poock, Bildungsreferentin an der Freien Universität (FU) Ber-lin, im Vorwort zu einem Weiterbildungsprogramm der FU zu eben diesem Thema (September bis Dezember 2016) erfri-schend knapp und unmissverständlich:

»Provenienzforschung (von lat. ‚provenire‘ = hervorkom-men) widmet sich der Erforschung der Herkunft und Ge-schichte von Objekten unterschiedlichster Gattungen wie Gemälden, Skulpturen und Zeichnungen, aber auch alltäg-lichen Gebrauchsgegenständen wie Büchern, Möbeln und Silber. Provenienzforschung gehört zum Methodenkanon der Kunstwissenschaft: Wer immer sich für die Geschichte

Zahlreiche geraubte Bücher von jüdischen Menschen, die während der NS-Zeit enteignet wurden, befinden sich noch in deutschen Bibliothe-ken. Erst in den vergangenen Jahren erlebte die Provenienzforschung in Deutschland einen Aufbruch. Symbolfoto: Tom Murphy VII (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Old_book_bindings.jpg), »Old book bindings«, https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/legalcode

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

privater und öffentlicher Sammlungen, von Museen und Ga-lerien interessiert, kommt um sie nicht herum. Provenienz-forschung schließt die Untersuchung des historischen Kon-textes in seiner ganzen Breite ein. Der Zertifikatslehrgang Provenienzforschung schließt eine Lücke, bislang gibt es in Deutschland keine Aus- oder Fortbildung für dieses Gebiet.«

In seinem Grußwort zum Programmheft schreibt der (ehren-amtliche) Präsident der Stiftung Uwe M. Schneede:

»Das Bewusstsein für die Notwendigkeit, die Herkunft der Werke in unseren öffentlichen Sammlungen genau zu er-kunden, ist in den letzten Jahren vielleicht unerwartet, aber historisch zwangsläufig gewachsen. Mittlerweile

recherchiert man nicht nur in den großen Kunstmuseen, auch in kleineren und in Museen aller Sparten wird ein Herkunftsnachweis relevant. Das NS-Raubgut wird stets die Hauptsache bleiben, aber es kommen neue Felder hinzu: die Enteignungen in SBZ und DDR wollen erforscht werden, ebenso die Wege und der Verbleib kriegsbedingt verlagerten Kulturguts (Beutekunst) nach Russland oder in die Ukraine und in andere Länder (vice versa). Gar nicht zu reden von den Objekten aus deutscher Kolonialzeit.

Folglich brauchen wir künftig viele weitere Provenienz-forscherinnen und -forscher auf allen Ebenen, für alle Fä-cher. Die Weiterbildungsinitiative der Freien Universität Berlin ist – zumal angesichts des Praxisbezugs und der Be-teiligung der besten Fachleute – ein vorbildlicher Anfang.

Hannoverscher Appell 2002

Rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland und den Niederlanden waren 2002 der Einla-dung zu einem ganztägigen Symposium in den Räumen des Niedersächsischen Landtages gefolgt. Als ein Ergebnis der Tagung wurde von allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Symposiums der Hannoversche Appell verabschiedet.

Hannoverscher Appell des Symposiums Jüdischer Buch-besitz als Beutegut, einer gemeinsamen Veranstaltung des Niedersächsischen Landtages und der Niedersächsischen

Landesbibliothek in Hannover

NS-verfolgungsbedingt entzogenes Bibliotheksgut befindet sich in noch unbekanntem Umfang in deutschen Bibliotheken.Die Bundesregierung, die Länder und die kommunalen Spit-zenverbände haben mit ihrer Gemeinsamen Erklärung vom Dezember 1999 die deutschen Bibliotheken aufgefordert, nach diesem Raubgut in ihren Beständen zu suchen, hierü-ber zu berichten und die Bücher an die rechtmäßigen Erben zurückzugeben.

Die Umsetzung dieser Aufforderung betrachten wir als dringende Aufgabe der Bibliotheken, der Bibliotheksver-bände, der bibliothekarischen Ausbildungsstätten und ande-rer wissenschaftlicher Einrichtungen.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Symposiums appellieren deshalb an die Verantwortlichen des deutschen Bibliothekswesens:

• Unterstützen Sie die Suche nach Raubgut in unse-ren Bibliotheken; bündeln Sie vorhandene lokale Aktivitä-ten und vernetzen Sie die Sucharbeit; bilden Sie ein über-regionales Arbeitsgremium, das die historische Forschung koordiniert.

• Nutzen Sie hierfür die Erfahrungen und die Kompetenz, die in den Forschungen nach jüdischem Raubgut vor allem in

der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen und der Uni-versitätsbibliothek Marburg gesammelt wurden, sowie die In-formationsangebote der Koordinierungsstelle für Kulturgut-verluste in Magdeburg.

• Werben Sie gezielt Fördermittel ein für die Erforschung und öffentliche Vermittlung dieses wichtigen Vorhabens. Überzeugen Sie Ihre Unterhaltsträger von der kulturpoliti-schen Bedeutung der Ermittlung von Raubgut jüdischer Pro-venienz und den Möglichkeiten der Restitution.

• Die bibliothekarischen Ausbildungsstätten sind drin-gend aufgefordert, die Bibliotheksgeschichte, insbeson-dere auch die Zeit des Nationalsozialismus, in ihre Curricula aufzunehmen.

• Sorgen Sie für eine Berichterstattung über die Ergeb-nisse Ihrer Recherchen in der Öffentlichkeit, z. B. mit Ausstel-lungen wie die in Hannover gezeigte Ausstellung »Seligmanns Bücher«.

Für die ca. 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Sympo-siums Jüdischer Buchbesitz als Beutegut

Prof. Rolf Wernstedt, Präsident des Niedersächsischen LandtagesProf. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer KulturbesitzDr. Georg Ruppelt, Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek.

Die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages, der kurz nach dem Appell zu seiner letzten Sitzung dieser Wahl-periode zusammentrat, unterstützten den Antrag des Land-tagspräsidenten auf Zustimmung zum Hannoverschen Ap-pell einstimmig.

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützt diese bundesweit erste umfassende Weiterbildung mit Zertifikat auch finanziell und folgt damit seiner Aufgabe, auch in diesem Bereich tätig zu sein. Wenn demnächst mehrere Professuren für Provenienzforschung an deutschen Uni-versitäten eingerichtet werden, kommen Ausbildung und Forschung hinzu. Alles Lernen und Forschen auf diesem Sektor entspringt der Mitverantwortung für unsere Ge-schichte und deren Opfer.«

Eindeutige Worte, die man in dieser Klarheit lange vermisst hat – jedenfalls, wenn man zur Generation der Nachkriegskin-der gehört, die der verschwiemelten, vertuschenden, verloge-nen und verschweigenden Äußerungen über diese verfluchten zwölf Jahre irgendwann gründlich leid waren.

Wo aber sind in diesen eben zitierten Texten hervorragen-der Wissenschaftler die Bibliotheken? Wo sind vor allem die Bi-bliotheksverbände, -verbünde, -vereine et cetera, deren Zahl ja nicht gering ist? Wo ist dieses berühmte »Bibliothekswesen« als Ganzes in dieser Debatte sichtbar? Reichen einzelne Vorträge auf Bibliothekartagen und Kongressen aus?

Die eben zitierten Kunsthistoriker wie alle anderen Mitglie-der der entsprechenden Gremien der Provenienzforschung haben sich übrigens immer als große Freunde der Bibliotheken erwie-sen, die außerordentlich wohlwollend und hilfreich die Anträge einzelner Bibliotheken auf Förderung unterstützt haben.

Der Verfasser dieser Zeilen hat leider vor rund 15 Jahren sehr frustrierende Erfahrungen auf diesem Gebiet gemacht. Als er 2002 seinen Dienst an der Niedersächsischen Landesbi-bliothek (der heutigen Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek) in

Offener Brief 2011 an Wissenschaftsministerin Johanna Wanka

Im Anschluss an das Vierte Hannoversche Symposien 2011 schrieben die Teilnehmer einen Offenen Brief an die dama-lige niedersächsische Wissenschaftsministerin Johanna Wanka sowie an die entsprechenden Bundes- und Landes-ministerien, der von 244 Unterzeichnern mitgetragen wurde. Er wird hier gekürzt wiedergegeben (Quelle: www.gwlb.de):

»Offener Brief / Petition IV. Hannoversches Symposium ‚NS-Raubgut in Bibliotheken, Museen und Archiven‘

Bundes- und Landesministerien Sehr geehrte Frau Ministerin, sehr geehrter Herr Minister,

vom 9. bis 11. Mai 2011 versammelten sich auf Einladung der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover und der Stiftung Bergen-Belsen mehr als 100 BibliothekarInnen, Museumsfachleute, Archiva-rInnen und WissenschaftlerInnen mehrerer Fachdisziplinen zum IV. Hannoverschen Symposium ‚NS-Raubgut in Museen, Bibliotheken und Archiven‘. Zahlreiche – teilweise über die Ar-beitsstelle für Provenienzforschung geförderte – Projekte aus Deutschland, aber auch aus Lettland, Österreich, den Nieder-landen, Polen und der Schweiz wurden in Bergen-Belsen und Hannover vorgestellt und diskutiert […]

Im Zuge der Vorträge und Erörterungen kristallisierten sich aus Sicht der TeilnehmerInnen vier entscheidende Er-kenntnisse heraus.

1) Das hochgradig vernetzte, grenzüberschreitende Agie-ren der mit Kulturgüterraub befassten Nationalsozialisten er-fordert von den heutigen Provenienzforscherinnen und -for-schern ein institutionsübergreifendes, interdisziplinäres und internationales Arbeiten. Es macht eine enge wissenschaft-liche Kooperation und dabei einen verantwortungsvollen,

offenen und ehrlichen Umgang mit einzelnen Forschungser-gebnissen notwendig.

2) Die Komplexität des Forschungsgegenstandes und der Fragestellungen erfordern eine Kontinuität der Forschung, d. h. eine Absicherung der wichtigen und guten Projektarbeit durch längerfristige Arbeiten, durch die Integration der Pro-venienzforschung in die regulären Geschäftsgänge der Kul-turgut bewahrenden Institutionen und die Verankerung der Provenienzforschung in Forschung und Lehre der Ausbil-dungseinrichtungen. Die Provenienzforschung ist eine der gegenwärtig wichtigsten wissenschaftlichen Aufgaben hin-sichtlich der Aufarbeitung der NS-Zeit. Ihre Ergebnisse müs-sen von großer Nachhaltigkeit geprägt sein – was sich nur durch eine Verstetigung und Institutionalisierung ihrer Arbeit erreichen lässt.

3) Die öffentliche Akzeptanz der Provenienzforschung und die Resonanz auf konkrete Restitutionen werden wesentlich von der Stellung der Provenienzforschung im Gesamtkontext der Forschungs-, Bibliotheks- und Museumsarbeit geprägt. Dieser Stellenwert wird von der Öffentlichkeit nicht zuletzt an der personellen und finanziellen Ausstattung der Proveni-enzforschung gemessen.

4) In allen europäischen Ländern, auch in den USA und Is-rael, wird die deutsche Provenienzforschung mit besonders ausgeprägtem, kritischem Interesse verfolgt. Damit wir un-serer besonderen historischen Verantwortung nachkommen können, bedarf die Provenienzforschung in Deutschland der nachdrücklichen, medial auch international weithin sichtba-ren Unterstützung und Förderung der Landes- wie der Bun-despolitik und der Universitäten. […] Gleichzeitig bitten wir Sie, sich für eine Einbindung des Themas in die universitäre Ausbildung einzusetzen.

Begründung: Stärkung und weitere Etablierung der Provenienzforschung.«

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Hannover antrat, hatte er sich bereits seit einiger Zeit mit dem Thema des Raubes von Büchern jüdischer Eigentümer und ihre Verbringung in Bibliotheken während der Zeit des Nationalso-zialismus beschäftigt.

Möglichkeiten der Aneignung jüdischen Besitzes gab es nach 1933 viele: Auf sogenannten Juden-Auktionen ersteigerten Bi-bliotheken zu Spottpreisen Bestände aus dem Besitz jüdischer Bürger, oder die Gestapo lieferte beschlagnahmte Bücher von emigrierten oder deportierten Juden frei Haus. Hinzu kam die Übernahme von Sammlungen aus öffentlichen jüdischen Biblio-theken, sogenanntes Beutegut, aus den besetzten europäischen Staaten sowie aus verschiedenen anderen Quellen.

Gegen Ende der 1990er-Jahre des vergangenen Jahrhun-derts, noch vor der Washingtoner Erklärung von 1998, ver-suchte der Schreiber dieses Beitrages, der damals Verantwor-tung in bundesweit agierenden bibliothekarischen und kultur-politischen Verbänden trug, die Frage nach geraubtem Büchern aus jüdischem Eigentum in deutschen Bibliotheken im Rahmen einer größeren, möglichst internationalen Veranstaltung zu thematisieren. Er war mit seinen Vorschlägen nicht erfolgreich.

Die Antworten, die er zu hören bekam, waren meist ab-weisend, und zwar vor allem mit folgenden drei Begründun-gen. Die erste lautete, dass dies doch schon alles erledigt sei durch die so genannte Wiedergutmachung in den 1950erJah-ren. (Wenn der Verfasser sich recht erinnert, bekam ein süd-deutscher Bibliotheksdirektor disziplinarische Schwierigkei-ten, weil er von sich aus die Bibliothek eines jüdischen Arztes an dessen in den USA lebenden Erben restituiert hatte.)

Die zweite Begründung bestand aus Hinweisen auf die un-zureichende materielle wie personelle Ausstattung der großen Wissenschaftlichen Bibliotheken. Manche waren dabei durch-aus der Meinung, dass hier ein gewisser Handlungsbedarf be-stehe, dass die Bibliotheken aber weder die Zeit noch das Per-sonal hätten, zusätzliche Arbeiten dieser Art durchzuführen – Argumente, die bei der chronischen Unterausstattung deut-scher Wissenschaftlicher Bibliotheken nicht von der Hand zu weisen waren.

Möglichkeiten der Aneignung jüdischen Besit-zes gab es nach 1933 viele: Auf sogenannten Juden-Auktionen ersteigerten Bibliotheken zu Spottpreisen Bestände aus dem Besitz jüdischer Bürger, oder die Gestapo lieferte beschlagnahmte Bücher von emigrierten oder deportierten Juden frei Haus.

Eine dritte, seltenere Begründung war der Hinweis, man müsse, wenn man die Provenienz dieser Bestände untersuche, dann auch die Bibliotheksbestände in Augenschein nehmen und res-tituieren, die durch die Bodenreform in der DDR in öffentli-chen Besitz gekommen seien – ein wohl damals noch typisches Ausweich- oder Verhinderungsargument nach dem Motto: Da wir das eine nicht tun, lassen wir auch das andere, um nichts Schlimmeres zu vermuten.

Während also eine offene, breit angelegte Diskussion der Thematik um die letzte Jahrhundertwende noch nicht statt-fand, hatten sich Kolleginnen und Kollegen an einzelnen Biblio-theken engagiert nicht nur für Untersuchungen eingesetzt, son-dern hatten sie selbst in Angriff genommen. Es seien an dieser Stelle die Staats- und Universitätsbibliothek Bremen, die Uni-versitätsbibliothek Marburg, die Niedersächsische Landesbib-liothek Hannover und die Stadtbibliothek Nürnberg genannt.

Obwohl die Liste der vom Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste geförderten Bibliotheken angesichts der Anzahl von rund 9 000 Öffentli-chen und 750 Wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland recht kurz ist, hat es doch in den letzten acht Jahren erhebliche Fortschritte gegeben.

Doch neben den oft spektakulär in der Öffentlichkeit wahrge-nommenen Rückführungen wertvoller Kunstsammlungen ge-staltet sich das Aufspüren und Identifizieren geraubter Bücher, vor allem aber die Restitution als in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenes und überdies schwieriges Unternehmen. Auch ist Rückgabe von Büchern an die Erben aufgrund der Quellenlage bisher nur selten möglich gewesen. Meist können bei nachgewiesenem ehemaligem jüdischem Besitz die Erben nicht ermittelt werden.

Stand der Provenienzforschung

Dennoch haben einige Bibliotheken erfreuliche Ergebnisse in der Provenienzforschung vorzuweisen. Obwohl die Liste der vom Deut-schen Zentrum für Kulturgutverluste geförderten Bibliotheken an-gesichts der Anzahl von rund 9 000 Öffentlichen und 750 Wissen-schaftlichen Bibliotheken in Deutschland recht kurz ist – vor allem, wenn man bedenkt, welche Bestände nach 1945 in toto aus Staats-besitz an große und berühmte Bibliotheken gelangten –, hat es doch in den letzten acht Jahren erhebliche Fortschritte gegeben.

Einen aktuellen und fundierten Überblick zum gesamten Thema, aber vor allem über die Situation in den Bibliotheken gibt es seit Kurzem von Uwe Hartmann, einem der besten Ken-ner der Provenienzforschung in Theorie und Praxis. Seit Be-ginn der Förderung der Provenienzforschung durch den Bund war Hartmann an verantwortlicher Stelle tätig, zunächst in der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin, dann am Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. Hart-mann gibt in seinem Aufsatz »Unrechtmäßige Entziehung von Kulturgut in Deutschland im 20. Jahrhundert – Forschung, Dokumentation und Vermittlung. Aufgaben und Tätigkeits-felder des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste« zunächst einen Überblick über die gesamte Thematik seit dem Ende des 20. Jahrhunderts und beschreibt dann die Aufgaben des Zent-rums. In einem eigenen Kapitel zieht Hartmann Bilanz der Ar-beit und der Ergebnisse der NS-Raubgutforschung deutscher

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Bibliotheken (Themenheft der Zeitschrift für Bibliothekswe-sen und Bibliographie »NS-Bücherraub – Berichte und Bilan-zen«, Heft 4. Juli/August 2016, S. 184–192.).

Arbeitskreis

Vieles hat sich im neuen Jahrtausend in der Provenienzrecher-che zum Positiven gewendet. Zu dieser Positivliste gehört die Gründung des Arbeitskreises für Provenienzforschung und Restitution in Bibliotheken. In diesem Arbeitskreis treffen sich Praktiker der Provenienzforschung in Bibliotheken, um Erfah-rungen auszutauschen und sich fortzubilden. Im Arbeitskreis wirken auffällig viele junge Kolleginnen und Kollegen mit – doch unabhängig vom Alter: Alle sind in hohem Maße kennt-nisreich, motiviert und engagiert. Da die Kolleginnen und Kol-legen in der Mehrzahl in Projekten mitwirken oder mitgewirkt haben, haben viele keine Festanstellung. Auch scheint es eine bedeutende Anzahl von Teilnehmern zu geben, die die Reise-kosten zu den Fortbildungen selbst bezahlen. Auch hier fänden unsere Verbände ein weites Betätigungsfeld.

Looted Cultural Assets

Eine beispielgebende Kooperation auf dem Gebiet der Nach-weise zum NS-Bücherraub besteht seit März 2016 zwischen vier Bibliotheken in Berlin und Brandenburg.

Die hier aufgeführten Unternehmungen zeigen, wie hilfreich das von Bund und Ländern geför-derte Deutsche Zentrum Kulturgutverluste auch für die Provenienzrecherche in Bibliotheken wirkt. Doch diese wichtige Unterstützung reicht für flächendeckende Maßnahmen nicht aus.

In der gemeinsamen Datenbank Looted Cultural Assets (http://lootedculturalassets.de) werden die Ergebnisse der Recher-chen der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, der Universitätsbibliothek Potsdam und der Zentral- und Landes-bibliothek Berlin zusammengeführt. Die Kooperationspartner wollen diese Vernetzung nachhaltig sichern und ausbauen.

»Ziele der Arbeit sind, eine faire und gerechte Lösung mit den rechtmäßigen Eigentümern oder deren Erben zu fin-den, sowie eine Rückgabe (Restitution) der Bücher. Die Er-gebnisse werden in der gemeinsamen Datenbank Looted Cultural Assets eingepflegt und recherchierbar gemacht. Mit derzeit mehr als 28 000 Provenienzen und einer engen Zusammenarbeit bei der Abklärung der einzelnen Funde verfolgen die beteiligten Einrichtungen einen für Bibliothe-ken neuen Weg, um ihrem Auftrag gerecht zu werden. […] Mit diesem Grundgedanken der Looted Cultural Assets

sind Hinweise in der Unterstützung unserer Arbeit, Anre-gungen und Interesse an einer Kooperation herzlich will-kommen«, so die Homepage des Verbundes.1

Wie Bibliotheksverbände die Recherchearbeit in Biblio-theken unterstützen könnten, zeigt das Vorhaben eines dbv-Landesverbandes.

Initiative des dbv-Landesverbandes Sachsen-Anhalt

In einem längeren Telefongespräch erläuterte Gabriele Herr-mann, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Landesverban-des Sachsen-Anhalt im Deutschen Bibliotheksverband, ein ge-plantes Projekt, das für die Provenienzrecherche in Öffentlichen Bibliotheken wegweisend sein dürfte. Gabriele Herrmann fasste das Vorhaben in einer Mail an den Verfasser wie folgt zusammen:

»Der Landesverband Sachsen-Anhalt im Deutschen Biblio-theksverband e.V. beabsichtigt, noch im Oktober einen An-trag für 2017 beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zu stellen. Der Projekttitel lautet: Pilotprojekt Erstcheck zur Provenienzforschung in Öffentlichen Bibliotheken in Sachsen-Anhalt.Für die Bibliotheken kostenfrei soll in fünf Öffentlichen Bibliotheken mit Altbeständen eine Bestands-sichtung vorgenommen werden. Diese übernimmt eine Do-zentin gemeinsam mit Studierenden der Universität ‚Otto von Guericke‘ Magdeburg, Fakultät für Humanwissen-schaften, Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit.«

Die hier aufgeführten Unternehmungen zeigen, wie hilfreich das von Bund und Ländern geförderte Deutsche Zentrum Kulturgut-verluste auch für die Provenienzrecherche in Bibliotheken wirkt. Doch diese wichtige Unterstützung reicht für flächendeckende Maßnahmen nicht aus. Die Bibliotheken und ihre Verbände, die entsprechenden Hochschulen und Ausbildungseinrichten sind aufgefordert, hier die Initiative zu ergreifen. Der »Hannoversche Appell« vom 14. November 2002 und der Offene Brief vom No-vember 2011 an die damalige niedersächsische Wissenschafts-ministerin Johanna Wanka haben bis heute und wohl auch noch viele Jahre in der Zukunft uneingeschränkte Gültigkeit.

1 Vgl. Artikel zur Datenbank Looted Cultural Assets in dieser Aus-gabe, Seite 762

Dr. Georg Ruppelt, Autor und Herausgeber, war bis Oktober 2015 Direktor der Gottfried Wilhelm Leib-niz Bibliothek. – Kontakt: www.georgruppelt.de

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Tagung zur Provenienzforschung in Wien – Call for Papers bis 19. Dezember

Vom 2. bis 4. Mai 2017 findet in Wien die Tagung »‚Treuhän-dische‘ Übernahme und Verwahrung – international und interdisziplinär betrachtet« statt. Noch bis zum 19. De-zember können Themenvorschläge im Rahmen des Call for Papers eingereicht werden.

Die Frage nach dem Umgang mit treuhänderisch verwahr-tem Kulturgut beziehungsweise Raubgut betrifft Biblio-theken, Archive und Museen sowie jüdische Institutionen. Während die gängigen Erwerbungsarten in Kultureinrich-tungen, wie Kauf, Geschenk, Pflicht und Tausch, übliche Geschäftsvorgänge darstellen und im Rahmen der NS-Pro-venienzforschung kritisch untersucht werden, sind mit Auflagen versehene Übernahmen und Verwahrungen, wie Treuhand, Leihgaben oder Legaten, aber auch staatliche Zuweisungen im Kontext von NS-Kulturgutraub und staat-lichen Transformationsprozessen bislang wenig beachtet worden.

Problematische Provenienzen

In deutschen und österreichischen Bibliotheken, Archiven und Museen kann es sich hierbei um (Raub-)Objekte han-deln, die von NS-Institutionen zwischen 1933 und 1945 in NS-Deutschland und in den von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebieten geraubt wurden beziehungsweise in der Nachkriegszeit an öffentliche Einrichtungen weltweit übergegangen sind und die problematische Provenien-zen aufweisen können. Jüdische Organisationen hingegen übernahmen nach der Shoah oftmals erblose Objekte, da man diese nicht an die Nachfolgestaaten des Dritten Rei-ches verfallen lassen wollte.

Forschungsleitende Fragekomplexe kön-nen rechtliche und historische Aspekte des Themas, Fallbeispiele für treuhänderische Übernahmen und der Umgang mit treuhände-rischen Übernahmen vor und nach 1945 sein.

Hinzu kommen Besitztransfers im Zuge der Rückga-bebemühungen der Sammelstellen aber auch staatli-cher Transformationsprozesse des 20. Jahrhunderts,

insbesondere die postfaschistischen und postkommu-nistischen Staaten betreffend. Damit stehen Instituti-onen vor der Herausforderung, sich mit der rechtlichen Situation jener übernommenen Kulturgüter zu befassen, die in den Bestand als Besitz, aber nicht als Eigentum integriert wurden und bei denen oftmals unklar ist, ob und in welchem Ausmaß Restitutionsbemühungen statt-gefunden haben.

Forschungsleitende Fragekomplexe

Ausgehend von der Frage, wie bislang in Bibliotheken, Archiven und Museen mit treuhänderisch übernomme-nen Kulturgütern umgegangen wurde, werden Bibliothe-karInnen, HistorikerInnen, Sammlungsbeauftragte und RechtsexpertInnen aus dem In- und Ausland eingela-den, strukturierte Vorgehensweisen zu erörtern und die Anforderungen, Chancen und Grenzen eines adäquaten Umgangs mit illegitim erworbenen Objekten im Rahmen einer treuhänderischen Übernahme interdisziplinär zu diskutieren.

Forschungsleitende Fragekomplexe können dabei rechtliche und historische Aspekte des Themas, Fallbei-spiele für treuhänderische Übernahmen und der Umgang mit treuhänderischen Übernahmen vor und nach 1945 sein. Die Vortragssprachen sind Deutsch und Englisch. Die Ergebnisse sollen in einem Tagungsband veröffent-licht werden.

Bitte senden Sie uns Ihren Vorschlag mit Titel und Ab-stract (maximal 3 000 Zeichen) sowie einen kur-zen Lebenslauf per E-Mail bis 19. Dezember 2016 an [email protected].

Weitere Informationen unter: https://provenienzforschungs tagung2017.univie.ac.at/

Tagungsorganisation

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Abb. 1: 1946 eingearbeitetes Buchgeschenk mit ehemals überklebtem Vermerk »Wehrmachtsbücher Sammlg. 1942 Handelsschule für Mädchen Nürnberg Klasse Id« (Stadtbibliothek Nürnberg, Phil. 15756.8°)

Christine Sauer

Raubgut in einer kommunalen Einrichtung Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg betreibt seit mehr als zehn Jahren Provenienzforschung / Systematische Überprüfung auf Raubgut steht noch aus

Auch wenn an der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg eine systematische Aufarbeitung der während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg getätigten Erwerbungen aussteht, bedeutet dies nicht, dass die Suche nach widerrechtlich entzogenen Kulturgütern bisher unter-blieben ist. Im Rahmen einer Erforschung der eigenen Ge-schichte sind Rolle und Selbstverständnis der verantwort-lichen Bibliothekare in den städtischen Bibliotheken wäh-rend der nationalsozialistischen Zeit mehrfach beleuchtet und die Entwicklungen an Volksbücherei und Stadtbiblio-thek untersucht worden. Dabei rückten naturgemäß auch die Erwerbungen der beiden Einrichtungen in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 sowie in der unmittelba-ren Nachkriegszeit in den Fokus. Außerdem profitierte die Stadtbibliothek von zwei Stellen zur Erforschung von Raub-gut in städtischem Besitz, die zu Beginn des 21. Jahrhun-derts eingerichtet wurden. Die Stadt Nürnberg entsprach

mit dem Beschluss zur Erforschung ihrer Sammlungen als eine der ersten deutschen Kommunen der Washingtoner Erklärung vom 3. Dezember 1998.

Als Direktor stand Friedrich Bock (1886-1964) von 1921 bis 1946 der traditionsreichen, im Jahr 1370 erstmals erwähnten wissenschaftlichen Stadtbibliothek und der im späten 19. Jahr-hundert entstandenen Volksbücherei vor. Nach der Auflösung des Verbundes 1946 war er bis Mai 1951 weiterhin für den Wie-deraufbau der Stadtbibliothek zuständig und zählte somit zu den wenigen Kulturdienststellenleitern, die nach 1945 nicht ih-res Amtes enthoben wurden. Für die Volksbücherei war von 1927 bis 1945 Hans Hugelmann (1903-1984) verantwortlich. Beide Bibliothekare traten nicht als aktive Verfechter eines na-tionalsozialistisch geprägten Bibliothekswesens auf, arrangier-ten sich aber mit den politischen Erfordernissen der Zeit. Über den Umfang der Verstrickungen in die Machenschaften des

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Unrechtsregimes sind allerdings nur indirekte Rückschlüsse möglich, da sämtliche Akten bei dem Luftangriff auf Nürnberg am 2. Januar 1945 in den Gebäuden von Volksbücherei und Stadtbibliothek verbrannten. Vollständig erhalten geblieben sind immerhin die Akzessionsbücher der Stadtbibliothek, die den Zugang durch Kauf und Geschenk dokumentieren, sowie ein Großteil der zugehörigen Magazinbestände, die den Krieg an Auslagerungsorten überstanden. Naturgemäß längst abge-schrieben und vernichtet sind die Bücher der auf einen stets ak-tuellen Ausleihbestand bedachten Öffentlichen Bibliothek. Die Suche nach Raubgut beschränkt sich auf die Magazinbestände der wissenschaftlichen Einrichtung.

»Rosenberg-Spende«

Bereits 1953 gab die Stadtbibliothek Nürnberg die 1942 er-worbene Sammlung des Georg Zopfy (1861-1930) von 1 700 Bänden meist okkultistischer Literatur an die Nachfahren zu-rück, da kein Nachweis für die Freiwilligkeit des Verkaufs er-bracht werden konnte. Es ist dies einer der wenigen direkten Hinweise, dass die Einrichtung von Zwangsverkäufen profitiert haben könnte. Für Ankäufe auf Judenauktionen finden sich in den Akzessionsbüchern keinerlei Anzeichen. Bei einer Durch-sicht der Geschenkbücher fallen allerdings durch Häufigkeit und Umfang der Übergaben Einträge mit der Quellenangabe »NSDAP«, »NSDAP Kreisleitung Stadt Nürnberg« oder »Gaulei-tung« auf. Mit einem solchen Vermerk wurden zwischen dem 14. März 1940 und dem 15. Mai 1946 rund 6 000 Bände ein-gearbeitet. Die überwiegend populäre Literatur ist für Ausleih-zwecke in der Stadtbibliothek bereitgehalten worden und ver-brannte somit im Januar 1945. Lediglich aus der letzten, 1946 erworbenen Charge konnten zu fast allen aufgelisteten Medien Signaturen ermittelt werden. Ein überklebter und jetzt wieder freigelegter Besitzvermerk deutet die Herkunft der Schenkun-gen an: Das Buch war eine Spende der Klasse 1d der Handels-schule für Mädchen für die Wehrmachtsbücher Sammlung 1942 (Abb. 1). Wie die Wissenschaftlichen Bibliotheken in Speyer und Bremen profitierte also auch die Stadtbibliothek Nürnberg von der sogenannten Rosenberg-Spende: Dem Auf-ruf des NS-Chefideologen Alfred Rosenbergs zu einer »Bücher-spende der NSDAP für die Wehrmacht« folgend, gingen aus der Bevölkerung von Oktober 1939 bis 1944 rund 43 Millionen Bü-cher ein. Gut die Hälfte der abgelieferten Bücher wurde nach vorgegebenen Kriterien als unbrauchbar für den Versand an die Front ausgeschieden. Die notwendige Sichtung übertrugen die von der Partei beauftragten Gauleitungen Volksbibliotheka-ren, in Nürnberg zunächst Friedrich Bock, dann Hans Hugel-mann. Von den nicht an die Soldaten verteilten Spenden sind 6 000 Einheiten als Geschenke der Partei oder der Gauleitung an die Stadtbibliothek weitergereicht worden. Die in Bremen und Speyer angestellten Provenienzforschungen bestätigen, dass sich unter den Spenden auch Raubgut befand. In Nürn-berg dürfte es sich nicht anders verhalten haben. Aufgrund der Verluste kann der zeitaufwendige Abgleich der umfangrei-chen Listen mit den Katalogen bei einer gezielten Suche nach

Raubgut allerdings unterbleiben. Zielführender ist es, bei an-deren verdächtigen Provenienzen anzusetzen.

Erste Untersuchungen zu den Ankäufen von Antiquaria

2003 fasste die Stadt Nürnberg den Beschluss, die Geschichte der Kunstsammlungen während der NS-Zeit zu erforschen und die Herkunft der Erwerbungen untersuchen zu lassen. Seit Juni 2004 übernimmt Dominik Radlmaier als wissenschaftlicher Mit-arbeiter des Stadtarchivs nicht nur diese Recherchen, sondern auch die Rekonstruktion lokaler jüdischer Kunstsammlungen so-wie Forschungen über den Nürnberger Kunsthandel. In diesen Zusammenhängen gelang ihm die Klärung von ausgewählten an-tiquarischen Ankäufen durch die Stadtbibliothek.

Zum 25. September 1944 findet sich im Zugangsbuch eine Aufstellung zu rund 45 vom Oberfinanzpräsidium München überwiesenen Bänden – ein einmaliger Akt, der im Fortgang ohne Nachfolge blieb. Es handelt sich dabei um eine Auswahl von Bü-chern mit Nürnberg-Bezug, die mit Gemälden und Antiquitäten in einem Anwesen der Familie Kirschbaum in Utting am Ammer-see eingelagert worden waren. Als am 10. Juli 1942 das Vermö-gen der Paula Kirschheim (geb. Süßheim, 1882-1962) vom Deut-schen Reich eingezogen wurde, gelangte die gesamte Einrich-tung zwischen 1943 und 1944 zur Versteigerung. Lediglich die genannten Bücher waren entnommen, dem Oberfinanzpräsiden-ten Nürnberg zur weiteren Verwertung überlassen und von die-sem der Stadtbibliothek angeboten worden. Sechs Titel aus der Liste konnten bisher verifiziert und als Objekte, bei denen von ei-nem NS-verfolgungsbedingten Entzug auszugehen ist, gemeldet werden: Eine Chronik der Stadt Fürth (Abb. 2), Nürnberg-Novel-len und -Erzählungen, Kinderbücher sowie ein 1867 in Fürth ge-drucktes Gebetbuch mit einer handschriftlichen Widmung.

Auch für fünf seltene Kinder- und Jugendbücher sowie ein Stammbuch, von Friedrich Bock am 29. Juli 1940 von dem Münchener Kunsthistoriker Arthur Rümann (1888-1963) er-worben, deckte Dominik Radlmaier die Herkunft aus dem Be-sitz der Familie Süßheim auf. Der SPD-Stadtrat und ehemalige Pfleger der Stadtbibliothek, Max Süßheim (1876-1933), hin-terließ bei seinem Tod seiner Frau Hedwig (geb. Strauss, 1881-1938) eine von ihm zusammengetragene, rund 10 000 Objekte umfassende Norica-Sammlung. Vor ihrem Freitod in der Pog-romnacht vom 9. auf den 10. November 1938 übertrug Hedwig

Kontakte

Dr. Dominik RadlmaierStadtarchiv Nürnberg, [email protected]

Leibl Rosenberg, M.A.Beauftragter der Stadt Nürnberg für die Sammlung [email protected]

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Süßheim die Sammlung ihrem Bruder Siegfried Strauß (1886-1967). Ein intendierter Abtransport der Norica ins Ausland wurde verhindert und im Januar 1940 eine amtliche Schät-zung angeordnet, die sich auf ein Gutachten von Friedrich Bock stützte. Im Juli 1940 erteilte Siegfried Strauß dem Münchner Kunsthistoriker Arthur Rümann (1888-1963) den Auftrag zur Veräußerung der Sammlung. Von den noch im selben Monat in der Stadtbibliothek eingearbeiteten Handschriften und alten Drucken konnten drei wertvolle Anschauungs- oder Bilderbü-cher des 18. und 19. Jahrhunderts identifiziert und als Raubgut gemeldet werden (Abb. 3).

Grafikblätter aus den Beständen der Stadtbibliothek

Eine Besonderheit bei der laufenden Überprüfung der Grafik in den Kunstsammlungen der Museen der Stadt Nürnberg bil-den die Verschränkungen mit den in der Stadtbibliothek Nürn-berg lagernden Erwerbungsnachweisen: Die heute in den städ-tischen Museen aufbewahrte Grafische Sammlung speist sich zu einem hohen Anteil aus einem ehemals in der Stadtbiblio-thek aufbewahrten Bestand, der 1971 aus dieser herausgelöst und neu zugeordnet wurde. Die nicht unerheblichen Zukäufe an grafischen Blättern, die die Stadtbibliothek Nürnberg zwischen 1933 und 1945 im Antiquariatshandel tätigte, sind von Domi-nik Radlmaier in den Zugangsbüchern systematisch erfasst und überprüft worden. Ein Aquarell von Georg Christoph Wilder aus der Sammlung des Juristen Michael Berolzheimer (1866-1942) konnte identifiziert und 2015 an die Erben restituiert werden.

Die Sammlung IKG

Eine Sonderstellung nimmt eine als Dauerleihgabe der Israeli-tischen Kultusgemeinde in der Stadtbibliothek Nürnberg auf-bewahrte Sammlung ein. Die rund 9 000 Einheiten umfassende Sammlung IKG setzt sich aus zwei auf den Nationalsozialisten Julius Streicher (1885-1946) zurückgehenden Bestandteilen zusammen: Die Redaktionsbibliothek des von ihm herausgege-benen antisemitischen und pornografischen Hetzblattes »Der Stürmer« und seine auf dem Landgut Pleikershof bei Cadolz-burg zusammengetragene Privatbibliothek. In beiden Fällen sind nur Rumpfbestände erhalten, da erhebliche Teile bereits 1945/46 über den Central Collecting Point in Offenbach am Main, eine zentrale Sammelstelle für Bücher und Dokumente, versandt worden sind.

Insbesondere die in den Redaktionsräumen des »Stürmers« aufgestellte Bibliothek speiste sich zu einem hohen Anteil aus Büchern, die verfolgten Personen und Vereinigungen wider-rechtlich entzogen worden waren. Nachgewiesen ist Streube-sitz nicht nur von jüdischen Vorbesitzern, sondern auch aus Bibliotheken von Gewerkschaften, Freimaurerlogen oder refor-mierten Pfarrern. Seitdem er 1997 als Beauftragter der Stadt Nürnberg mit der Erfassung dieser Sammlung betraut wurde, erforscht Leibl Rosenberg die Provenienzen der in die Biblio-theken Streichers eingegangenen Bücher. Die Sammlung IKG ist im OPAC der Stadtbibliothek Nürnberg vollständig katalogi-siert. Dort sind auch die in den Büchern erhaltenen über 2 200 handschriftlichen, gestempelten oder gedruckten Besitznach-weise von Personen und Institutionen aus mehr als 500 Orten

Internet-Nachweise

https://www.nuernberg.de/internet/stadtbibliothek/sammlungikg.htmlhttps://www.nuernberg.de/internet/stadtarchiv/projekte_lost_art.htmlhttps://www.lostart.de

Literaturhinweise

642 Jahre Stadtbibliothek Nürnberg. Von der Ratsbibliothek zum Bildungscampus, hrsg. von Christine Sauer (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg 26), Wiesbaden 2013, darin die Beiträge von Christine Sauer: Rats- und Stadtbibliothek von der Einrichtung bis zum Verlust der Eigenständigkeit, S. 9-98Eva Homrighausen: Die Volks- oder Stadtbücherei von 1921 bis 1972, S. 99-132Leibl Rosenberg: Bücher und Schicksale – Die Sammlung Israelitische Kultusgemeinde in der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg, S. 171-188

»Für den deutschen – wider den undeutschen Geist«. Vor verbotener und regimekonformer Literatur im ‚Dritten Reich‘, hrsg. von Christine Sauer (Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek 106), Nürnberg 2013

Christine Sauer: Hans Hugelmann als Volksbibliothekar in Nürnberg, in: Volksbibliothekare im Nationalsozialismus, hrsg. von Sven Kuttner und Peter Vodosek (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens), im Druck

Dominik Radlmaier: Die Süßheims (in Vorbereitung)

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SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

in Wort und Bild vollständig nachgewiesen. Bei Verdacht auf Raubgut erfolgte zusätzlich eine Meldung an die Datenbank »Lost Art«. Darüber hinaus sind über einschlägige Internetsei-ten seit 2008 ständig aktualisierte Listen mit soweit als mög-lich individualisierten Angaben zu den Personen und Instituti-onen verbreitet worden, die als Vorbesitzer Spuren in den Bü-chern hinterlassen haben und denen ihr Eigentum vermutlich widerrechtlich entzogen wurde. Seit dem Beginn des Restitu-tionsprojekts konnten 681 Schriften an ihre Vorbesitzer bzw. deren Rechtsnachfolger zurückgegeben werden. Wenn die 35 zum Verbleib in Nürnberg bestimmten Schriften dazu gezählt werden, wurde im Zuge der Rückgabebemühungen bisher eine Lösung für 716 Schriften aus der Sammlung IKG gefunden.

Fazit

Mit Ausnahme der bereits erforschten Sammlung IKG steht für die Bestände der Stadtbibliothek Nürnberg eine flächen-deckende Überprüfung auf Raubgut aus. Diese ist für die von der Stadt Nürnberg zur Erforschung aller kommunaler Samm-lungen zentral beim Stadtarchiv eingerichtete Stelle angedacht bzw. ist durch diese zum einen punktuell für einzelne Buchan-käufe oder umfassend für Grafikerwerbungen bereits erfolgt. Die zukünftige Suche nach Raubgut kann aufgrund der vorge-schalteten Forschungen zur Bestandsgeschichte eingeschränkt

werden: Aufgrund von Kriegsverlusten werden die mit rund 6 000 Objekten sehr umfangreichen Schenkungen aus der Wehrmachtsbüchersammlung nicht berücksichtigt werden müssen. Eine systematische Durchsicht der Akzessionsbücher kann sich in Zukunft auf die (immer noch zahlreichen) An-käufe aus dem Antiquariatsbuchhandel und auf Auktionen so-wie auf eine vermutlich übersichtliche Zahl von Schenkungen konzentrieren, bei denen sich Verdachtsmomente ergeben.

Dr. Christine Sauer (Foto: Stadtbibliothek Nürnberg) arbeitete nach dem Stu-dium der Kunstgeschichte und Mittelalterlichern Ge-schichte als Wissenschaftli-che Angestellte an der Würt-tembergischen Landesbib-liothek in Stuttgart an der Katalogisierung illuminierter

Handschriften. Seit 1997 ist sie an der Stadtbiblio-thek im Bildungscampus Nürnberg zuständig für den Altbestand und die regionalkundlichen Sammlungen. – Kontakt: [email protected]

Abb. 2: Tägliche Gebete der Israeliten mit deutscher Übersetzung, 5. Aufl., Fürth 1867; Titelblatt eines der von der Oberfinanzdirek-tion München aus den Kunstsammlungen der Paula Kirschbaum überwiesenen Bücher (Stadtbibliothek Nürnberg, Theol. 5669.8°)

Abb. 3: Ambrosius Gabler: Skizzen physischer und moralischer Ge-genstaende, für die Jugend in 24 Kupfertafeln vorgestellt, Nürnberg um 1700, 1940 aus der Norica-Sammlung des Dr. Dr. Max Süßheim erworben (Stadtbibliothek Nürnberg, Nor. K. 541)

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Robert Langer

Bibliotheken brauchen Provenienzforschung! Plädoyer für die Rückbesinnung auf eine zentrale bibliothekarische Kompetenz – in Wissenschaft-lichen und Öffentlichen Bibliotheken

Während des laufenden NS-Raubgutprojektes an der Stadt-bibliothek Bautzen konnte die Büchersammlung der jüdi-schen Unternehmerfamilie Edith und Georg Tietz identi-fiziert werden (siehe nebenstehenden Info-Kasten). Die Stadt Bautzen erkennt ihre besondere Verantwortung für das im Laufe der Geschichte in ihren Bibliotheksbestand gelangte NS-Raubgut an und der Oberbürgermeister stellt dem neuen Antragsprojekt erweiterte Arbeitsbedingun-gen in Aussicht. Man hat eine faire und gerechte Lösung im Sinne der »Washingtoner Prinzipien« und der »Gemeinsa-men Erklärung von Bund, Ländern und kommunalen Spit-zenverbänden« im Blick. So weit, so bekannt.

Doch was den Autor in dieser Stellungnahme umtreibt, ist etwas Anderes, etwas Grundsätzliches. Auf der einen Seite gibt es An-erkennung für die verdienstvolle Arbeit, für wissenschaftliche Ex-pertise und detektivischen Spürsinn, auf der anderen die Frage, ob man Provenienzfor-schung, ob man Forscher, gar wissenschaft-liche Mitarbeiter in Bibliotheken benötigt?

»Herkunft aber bleibt stets Zukunft«

Kürzer und gleichzeitig tiefgründiger als dieses Postulat des Philosophen Martin Heidegger lässt sich der Sinn von Prove-nienzforschung kaum ausdrücken. Der Forscher schaut zurück und damit er et-was finden kann, muss es schon etwas ge-geben haben. Jede Wissenschaftliche und jede Öffentliche Bibliothek mit Altbestand hat eine oft Jahrhunderte alte Geschichte. Dies bedeutet auch, dass die Bibliotheks-bestände ebenfalls eine solch lange Ge-schichte aufweisen.

Neben der moralisch notwendigen Klärung der Eigentums-verhältnisse (Bibliotheken sind Besitzer, aber nicht immer Ei-gentümer ihrer Bestände) und gegebenenfalls einer Restitu-tion der im Laufe der Geschichte unrechtmäßig in den Bestand

gelangten Bücher (Raubgut, Beutegut, Sowjetische Besat-zungszone, Schlossbergung, DDR-Unrecht) leistet Provenienz-forschung viel mehr und kann zu einer rückbesinnenden Neu-orientierung im Bibliothekswesen und auch in deren Wissen-schaft Entscheidendes beitragen.

Die Ergebnisse in der ersten Öffentlichen Bibliothek, die ein gefördertes NS-Raubgutprojekt durchführt, bringen einige Er-kenntnisse zutage:

1. Es ist unbedingt sinnvoll, Provenienzforschung an Öf-fentlichen Bibliotheken mit Altbestand durchzuführen.

2. Es ist notwendig, für diese interdisziplinäre Arbeit ei-nen wissenschaftlichen Mitarbeiter zu beschäftigen. Diesen können sich öffentliche Einrichtungen im Zuge eines befriste-ten Projektes fördern lassen.

3. Die Arbeit des Forschers im Verbund mit der originä-ren bibliothekarischen Verzeichnisarbeit erhöht die Attrakti-

vität des Katalogs und die Außenwirkung der Bibliothek. Sie liefert nicht zuletzt dem Träger gewichtige Gründe zur Unterhal-tung der Einrichtung.

Provenienzforschung als bibliothekari-sches Handlungsfeld

Provenienzforschung ergründet die Ge-schichte der Bücher. Sie gehört zum Inventar bibliothekswissenschaftlicher Arbeit. Proveni-enzforschung steht für die Verantwortung von Einrichtung und Träger für die Bestände.

Provenienzforschung ist kein temporä-res Ereignis. Sie bliebe es, wenn Einrich-tung und Träger sie nicht über die För-derdauer beziehungsweise die Anschubfi-nanzierung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste hinaus ins Portfolio auf-

nehmen würden. Provenienzforschung wird die bibliothekari-sche Arbeit der nächsten wenigstens 20 Jahre begleiten und muss mittel- bis langfristig in den Öffentlichen und Wissen-schaftlichen Bibliotheken verankert werden. So wird während der Aufarbeitung der Geschichte des 20. Jahrhunderts die Rückgabe von geraubten und entwendeten Büchern treten, was einen ethischen Akt des verantwortlichen Umgangs mit unserer Vergangenheit bedeutet.

Aber Provenienzforschung kann und will weit mehr. Sie ar-beitet die Institutionshistorie auf, stellt Zusammenhänge dar

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Robert Langer bei der öffentlichen Vorstel-lung des NS-Raubgutfunds in Bautzen. Foto: Stadtverwaltung Bautzen, André Wucht

Bautzen? Bautzen? Bautzen? Wo liegt die 40 000-Einwohner-Stadt doch gleich? Die Karte in der BuB-App zeigt‘s.

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und versucht, die Bestandsgeschichte zu klären. Jede Biblio-thek, und gerade jede Stadtbibliothek, kann dabei nur gewin-nen, denn über Jahrhunderte bereicherten Stiftungen, Schen-kungen, Nachlässe und Zusammenlegungen die Büchereien. Hierbei sind weder Schenker noch Zugangsumstände erforscht. Auch über die Bücher und deren Inhalt können oft keine Aussa-gen getroffen werden. Doch gerade hier ließen sich Bücher-Bio-grafien, Lebensumstände und lokale beziehungsweise regio-nale Geschichte erforschen. Welches war der Bildungshorizont in einer bestimmten Zeit in meiner Stadt? Wieso gab es zum Beispiel im 17./18. Jahrhundert so viele »Exulanten« (zeitge-nössischer Begriff für die vor der Gegenreformation flüchten-den Protestanten) in Sachsen?

Kooperation und Bildung

Eine kooperative inhaltliche Vernetzung von Bibliothek, Mu-seum und Archiv, die im kommunalen Bereich verwaltungs-technisch sowieso existiert, würde die Bibliothek als Bildungs-partner wieder ins Spiel bringen. Diese Rolle haben sich Bi-bliotheken zunehmend aus der Hand nehmen lassen oder stellenweise im vorauseilenden Gehorsam freiwillig abgegeben. Doch nur, wenn die Einrichtungen erkennen, dass sie neben al-len notwendigen Neuerungen auch auf ihr ureigenstes Poten-zial bauen müssen, werden sie mit Beständigkeit durch die di-gitale Revolution gehen. Der Mensch ist kein ausschließliches

Informationswesen. Er braucht nicht nur Wissen, denn Wissen ist nicht zu verwechseln mit Bildung. Diese speist sich aus Wis-sen und entsteht, wenn sich neues an bereits vorhandenes Wis-sen kreativ anbindet.

Eine bekannte Regel der Lernforschung empfiehlt, in Bil-dungsprozessen möglichst viele Sinne anzusprechen. Gut ge-machte Bücher und auch die gute alte Schallplatte erleben wie-der Aufwind. Die Gründe dafür mögen nicht nur in der Gegen-pendelbewegung liegen, sondern vielmehr in der Konstitution des Menschen zu suchen sein. Der Mensch möchte nicht nur unterhalten werden oder Information einfach nur aufnehmen. Nein, er erfreut sich ebenso am Aussehen, dem Geschmack, der Haptik, eben der (subjektiven) Qualität der Dinge.

Und dann geschieht manchmal das, wofür Bibliotheken von Anbeginn an stehen: Sie sind nicht nur ein Ort, an dem man Me-dien- und Informationsdienste nutzen kann. Sie sind ebenso der traditionsreiche Ort, an dem Bildung ermöglicht wird. Tradition meint hier Beständigkeit und Veränderung: Das Schöpfen aus dem Alten, erweitert um das Neue, um Zukunft zu gestalten.

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Spektakulärer NS-Raub-gutfund in Bautzen Forscher findet Teile der verschollen geglaubten HERTIE-Bibliothek

Im Zuge des laufenden, vom Deutschen Zentrum Kultur-gutverluste geförderten Projektes zur Erforschung von NS-Raubgut im Bestand der Stadtbibliothek Bautzen konnten jüngst Bücher aus der Bibliothek der jüdischen Unternehmerfamilie Edith und Georg Tietz identifiziert werden. Darüber informierte die Stadtverwaltung Baut-zen in einer Pressemeldung:

Die Firma der Nachfahren der »Hermann Tietz & Co. Wa-renhäuser« (HERTIE) wurde im Zuge der nationalsozialis-tischen Machtübernahme 1933 arisiert und die drei Teilha-ber, die Brüder Georg und Martin Tietz und deren Schwager Hugo Zwillenberg, 1934 aus der Unternehmensleitung ge-drängt. Nach der Emigration der Familien wurde deren Be-sitz beschlagnahmt, später versteigert und verkauft. Die be-deutende Büchersammlung des Ehepaares Edith und Georg

Tietz erwarb 1944 die Reichstauschstelle des Reichsministe-riums des Inneren und lagerte sie in einem ihrer sächsischen Außendepots in der Nähe von Bautzen ein. Mit Kriegsende verlor sich die Spur der Privatbibliothek und wurde bisher als Trophäengut der sowjetischen Besatzungsmacht in Russ-land vermutet.

Im Zuge des Projekts konnten Teile der über 4 000 Bände zählenden Sammlung dem Ehepaar Tietz zugeordnet wer-den. Laut Max Niederlechner, der die Bibliothek 1943 im Auftrag des Oberfinanzpräsidiums Berlin-Brandenburg schätzte, war sie »eine der schönsten«, die er je geprüft hatte. Georg Tietz war als großer Liebhaber und Sammler der Werke des Kupferstechers Daniel Nikolaus Chodowieckis bekannt. Bücher über Chodowiecki und solche, die mit sei-nen Kupferstichen illustriert wurden, bilden einen Samm-lungsschwerpunkt wie auch seltene und limitierte kunst-historische Drucke. Romane der Weltliteratur, Schriften zur Ökonomie, Almanache und verschiedensprachige Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert künden von einer gelehr-ten, kunstsinnigen Sammlerpersönlichkeit.

Über die genauen Zugangsumstände und den tatsächli-chen Umfang der Sammlung können noch keine präzisen An-gaben gemacht werden, jedoch sollen sie in einer eigenen Un-tersuchung erforscht werden. Dafür lässt die Stadt Bautzen gerade einen Antrag erarbeiten, um beim Deutschen Zent-rum Kulturgutverluste eine Projektförderung zu beantragen.

Dr. Robert Langer ist freier Wissenschaftler (www.kultur bilderwissenschaft.de) und führt im Auftrag der Stadt Bautzen das NS-Raubgutprojekt an der Stadtbibliothek durch. Nebenbei betreibt er einen kleinen Verlag (www.kwb-verlag.de ).

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Matthias Maede

Auf der Suche nach den Erben Vier Bibliotheken bündeln Forschungsergebnisse in Datenbank »Looted Cultural Assets«

Seit mehr als zwei Jahrzehnten prüfen Bibliotheken systema-tisch ihr Bestände auf NS-Raubgut und Beutegut. 2011 ent-wickelte die Zentral- und Landesbibliothek Berlin im Zuge ihrer Provenienzforschung eine Datenbank zur Dokumenta-tion und Veröffentlichung von Provenienzen – den Vorläufer der Datenbank »Looted Cultural Assets«. Inzwischen beteili-gen sich vier Bibliotheken als Kooperationspartner an »Loo-ted Cultural Assets«: Die Zentral- und Landesbibliothek Ber-lin, das Centrum Judaicum, die Universitätsbibliothek Pots-dam und die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin. Gemeinsam werden Provenienzen dokumentiert und veröffentlicht sowie Rechercheergebnisse zusammenge-führt. Die Datenbank ermöglicht projektübergreifend Fälle von NS-Raubgut und Beutegut zu lösen und Rückgaben zu beschleunigen. Anfang 2016 erfolgte der offizielle Launch.

Vielleicht einer der wichtigsten und damit ausschlaggebender Aspekt für die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit un-serer Bücher ist der politische Auftrag von Bund, Ländern und Kommunen. Mit der Unterzeichnung der Washingtoner Erklä-rung 1998 wurde eine moralische Selbstverpflichtung einge-gangen, Kulturgüter, die während der NS-Zeit beschlagnahmt wurden, an die Eigentümer bzw. Erben zurückzugeben.

Die Provenienzdatenbank »Looted Cultural Assets« (LCA) ist Teil der (öffentlich sichtbaren) Provenienzforschung der vier genannten Bibliotheken, die ihre Bestände auf NS-Raubgut und Beutegut überprüfen. Sie basiert auf der Idee, die Recherchen zur jeweiligen Bestandsgeschichte zu bündeln und der Öffentlich-keit, sowohl den Nachfahren der NS-Opfer und der Forschung, zugänglich zu machen. Sie ist gleichzeitig Ausdruck erfolgreicher Bemühungen im Bereich der Provenienzforschung in Bibliothe-ken, die Forschungsinfrastruktur zu verbessern und auszubauen.

Die Freie Universität Berlin und ihre Bibliotheken sind Nachkriegsgründungen. Dennoch befinden sich in ihren Be-ständen sowie in den Beständen der Bibliotheken der Koope-rationspartner unzählige geraubte Bücher, deren Geschichte es nachzuvollziehen gilt. Erworben wurden sie insbesondere über antiquarische Käufe, Schenkungen, Tausch, Leihgaben, Nach-lässe und Privatankäufe. Viele Bücher gehörten Privatpersonen und Einrichtungen, die zwischen 1933 und 1945 aus »rassi-schen« oder politischen Gründen von den Nationalsozialisten verfolgt, getötet oder aufgelöst wurden. Millionen von konfis-zierten Büchern wurden nach Berlin gebracht und die Bestände der Bibliotheken ergänzt.

Oft gibt es keine Möglichkeit, wichtige Unterlagen, zum Beispiel Erwerbungsbücher oder Korrespondenzen, zu prüfen.

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Vier Bibliotheken arbeiten derzeit zusammen an der Datenbank »Looted Cultural Assets«. Die Plattform startete Anfang 2016. Mehr als 30 000 Provenienzmerkmale wurden mittlerweile erfasst. Screenshot: http://lootedculturalassets.de/

763BuB 68 12/2016

Sie sind nicht vollständig oder beinhalten keine relevanten Aussagen. Der Austausch und die gemeinsame Zusammenar-beit sowie Dokumentation von Rechercheergebnissen ist ge-rade bei solch schwierigen Quellenlagen ein wichtiger Faktor für die Klärung von Provenienzen und deren Hintergründen.

Recherche und Dokumentation

Jeder untersuchte Fall ist unterschiedlich und eine standardi-sierte Vorgehensweise ist bei den teilweise sehr zeitaufwendigen und umfangreichen Recherchen nur bedingt möglich. So wird etwa im Projekt »Provenienzrecherche nach NS-verfolgungsbe-dingt entzogenem Kulturgut im Altbestand 1952-1968 der Uni-versitätsbibliothek der Freien Universität Berlin« einem soge-nannte Schnellrecherche durchgeführt, die aus einen Set von Datenbanken besteht. Dieses Set umfasst Adressbücher, Gedenk-bücher und Holocaust-Opfer-Datenbanken. Sind keine eindeu-tigen Hinweise aus der Schnellrecherche hervorgegangen, wird eine weitergehende Tiefenrecherche durchgeführt.

Hierbei kann auch auf Vorrecherchen von anderen Mitarbei-tern der Kooperation aufgebaut oder bei eindeutigen Ergebnissen direkt drauf zugegriffen werden. LCA bietet über das Backend (interne Arbeitsebene) die Möglichkeit, diese Daten bzw. Recher-cheergebnisse einzusehen. Auch die Ermittlung von Erben oder rechtmäßigen Eigentümern wird dadurch deutlich vereinfacht. Gerade dieser Teil der Arbeit nimmt, neben der Identifizierung der Person oder Körperschaft, dem das Provenienzmerkmal zugeord-net ist, einen weiteren Schwerpunkt der Recherchen ein. Gleich-zeitig können Nachfahren durch die Veröffentlichung der Infor-mationen aktiv auf die jeweiligen Einrichtung zugehen und Mit-arbeiter aus anderen Einrichtungen, die Provenienzrecherchen in ihren Beständen durchführen, diese für ihre Forschung nutzen.

Aufbau der Datenbank

Die Datenbank beruht auf der Open-Source-Software Collec-tiveAccess. Sie wird von der Universitätsbibliothek der Freien Universität technisch betreut. Grundlage für die Datenbank bil-det das Entity-Relationship-Modell, über das Objekte und Enti-täten miteinander verknüpft werden können.

Für die Eingabemasken wurden innerhalb der Kooperation Standards entwickelt, die auf regelmäßigen Anwendertreffen, über eine Mailingliste und im internen Wiki erarbeitet, disku-tiert und angepasst werden. Dies ist kein abgeschlossener Pro-zess, wodurch Anpassungen bei der laufenden Arbeit möglich und auch notwendig sind. Die relevanten Daten werden als Ex-emplar (das Buch) und den dazugehörigen Provenienzmerk-malen (Namenseinträgen, Widmungen, Exlibris, Stempel, etc.) sowie den jeweiligen Entitäten (Personen/Körperschaften) er-fasst. Die Aufnahme der Provenienzen erfolgt über zwei Ein-gabemasken – die Objektbeschreibung und Technikangaben. Diese werden mit dem Exemplar des Buches, den bibliografi-sche Angaben, den Informationen zum Standort, der Signatur und den Relationen zu den jeweiligen Provenienzen verknüpft.

Für die Dokumentation der Rechercheergebnisse steht in der Entität eine Vorauswahl von Recherchemitteln zur Verfü-gung, die sich aus einem Set von Datenbanken zusammenset-zen. Weitere relevante Quellen, Dokumente oder Notizen kön-nen ebenfalls hinzugefügt und Relationen zu anderen Perso-nen oder Körperschaften erstellt werden. Abschließend erfolgt, soweit möglich, eine Bewertung des Falls in der Entität und im Datensatz des Buches. Alle erfassten Informationen stehen den Mitarbeitern über das Backend zur Verfügung. So können Doppelrecherchen vermieden und zusätzliche Informationen ergänzt oder aktualisiert werden.

Für den Nutzer sind über das Frontend (Präsentationsebene) alle relevanten Informationen einsehbar. Alle personenbezoge-nen Daten unterliegen den Datenschutzrichtlinien und werden nicht veröffentlicht. Das Frontend bietet den Nutzern die Mög-lichkeit der gezielten Recherche über ein Eingabefeld für die Su-che oder des Browsens mittels Vorschaubilder. In den Datensät-zen sind die Verknüpfungen zwischen den Provenienzhinweisen, Büchern, Personen und Körperschaften dargestellt. In der LCA sind derzeit über 30 000 Provenienzmerkmale erfasst.

Schlussbetrachtung

Mit der Provenienzdatenbank LCA werden die Forschungser-gebnisse zu den Raub- und Beutegut-Beständen von vier Bib-liotheken gebündelt und transparent veröffentlicht. Sie ist ein zentrales Arbeitsmittel für die tägliche Arbeit bei der Proveni-enzforschung geworden und wird innerhalb der Kooperation permanent weiterentwickelt. Sie ist Informationsmittel auch für Personen und Einrichtungen außerhalb der Kooperation.

Alle öffentlichen Bibliotheken, die ihre Bestände auf NS-Raubgut untersuchen, sind eingeladen, sich der Koopera-tion anzuschließen. Die hohe Anzahl an Büchern, die als Raub- und Beutegut gelten, wird die Provenienzforschung noch viele Jahre beschäftigen. Für das gemeinsame Ziel, so viele geraubte und erbeutete Bücher wie möglich an die rechtmäßigen Erben zu restituieren, hat sich die Datenbank, durch die Bündelung der Rechercheergebnisse als Arbeitstool bewährt.

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Matthias Maede ist seit April 2015 Mitarbeiter beim Projekt »Provenienzrecherche nach NS-verfolgungsbedingt entzo-genem Kulturgut im Altbestand 1952-1968 der Universitätsbi-bliothek der Freien Universität Berlin«. Zuvor war er als Doku-mentar beim Deutschen Zent-rum Kulturgutverluste und bei

der Arbeitsstelle für Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung – Stiftung Preußischer Kulturbe-sitz tätig. Maede studierte Information und Dokumenta-tion an der Fachhochschule Potsdam.

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Simone Paulmichl

Die kritische Edition von »Mein Kampf« – Eine Bilanz

Großes Medienecho um Neuauflage: 80 000 Exemplare verkauft / Kritische Edition nimmt Agitationsschrift den Reiz des Verbotenen

Am 8. Januar 2016, also unmittelbar nachdem das Urhe-berrecht auf Hitlers Propagandaschrift »Mein Kampf« ab-gelaufen war, hat das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) seine kritische Edition veröffentlicht. Das Projekt, so hatten es die Münchner Wissenschaftler immer wieder betont, folgte einer doppelten Zielsetzung: Zum einen sollte eine zentrale Quelle des Nationalsozialismus wissenschaftlich aufbereitet und damit eine lange beklagte Forschungslü-cke geschlossen werden. Zum zweiten sollte eine wissen-schaftlich seriöse Referenzausgabe rechtzeitig den Platz besetzen, bevor mit dem Erlöschen des Copyrights frag-würdige Geschäftemacher oder rechte Propagandisten mit einem Neudruck von Hitlers Buch auf den Markt drängten. Die wissenschaftlich kommentierte Neuauflage des Insti-tuts für Zeitgeschichte wollte demnach das Rüstzeug bie-ten, sich ebenso kundig wie kritisch mit Hitlers Demagogie auseinanderzusetzen.

Für das IfZ, das sich seit seiner Gründung 1949 zu den ers-ten Adressen in der Erforschung der NS-Diktatur zählen darf, stellte dieses Projekt einen gewaltigen Kraftakt dar. Schließ-lich galt es, zusätzlich zur wissenschaftlichen Herausforde-rung auch den sensiblen gesellschaftspolitischen Implikati-onen einer solchen Neuauflage gerecht zu werden. Frühzei-tig hatte sich die Institutsleitung deshalb entschlossen, die Edition in Eigenregie zu einem mit spitzer Feder kalkulier-ten Selbstkostenpreis zu veröffentlichen und damit auch ein deutliches Signal gegen kommerzielle Begehrlichkeiten zu setzen. Nun, ein knappes Jahr nach dem Erscheinungster-min, scheint dieses Konzept aufgegangen zu sein: Mehr als 80 000 Exemplare der Edition, die mit ihren beiden grauen Leinenbänden alles andere bietet als leichte Kost für die Gu-te-Nacht-Lektüre, sind seit Januar über den Ladentisch gegan-gen. Zeitweise hatte die IfZ-Publikation die Spiegel-Bestsel-ler-Liste angeführt. Dass diese enorme Nachfrage nicht nur

SCHWERPUNKT NS-RAUBGUT

Die Veröffentlichung der kritischen Edition von »Mein Kampf« stieß im vergangenen Jahr auf großes Medieninteresse. Die Edition selbst

führte zeitweise sogar die Spiegel-Bestseller-Liste an. Foto: Institut für Zeitgeschichte/Michael G. Volk.

765BuB 68 12/2016

dem weltweiten Medienhype um die Neuauflage von »Mein Kampf« geschuldet war, zeigte das positive Echo in der Wis-senschaft und auf den Rezensionsseiten der deutschen und in-ternationalen Presse. Die Edition hat damit ihre wissenschaft-liche Qualität unter Beweis gestellt und so auch viele Befürch-tungen derjenigen zerstreuen können, die das Vorhaben mit großer Skepsis verfolgt hatten. Gleichzeitig wurde wie ge-plant das öffentliche Interesse für »Mein Kampf« vollständig auf die Neuauflage des IfZ fokussiert: Ein wie auch immer geartetes »Konkurrenzprodukt« zweifelhafter Provenienz ist bislang auf dem Markt nicht aufgetaucht.

Viel von der vermeintlichen Gefährlichkeit des Buches hatte sich daraus gespeist, dass die Schrift nur in antiquarischen Ausgaben und als Fundstück auf Opas Dachboden zugänglich war, die noch dazu den Grusel des authenti-schen NS-Relikts verströmten.

Begleitet wurde die Veröffentlichung von zahlreichen An-fragen von Bildungseinrichtungen, Gedenkstätten und Uni-versitäten aus dem gesamten Bundesgebiet nach Präsenta-tions- und Diskussionsveranstaltungen über die neue Edi-tion. Gerade diese gut besuchten Veranstaltungen boten einen zuverlässigen Gradmesser dafür, wie die Debatte um »Mein Kampf« in der Öffentlichkeit aufgenommen wurde: Gänzlich unbegründet zeigte sich insbesondere die Sorge, die Veröf-fentlichung würde Hitlers Ideologie einen neuen Schub ge-ben oder gar salonfähig machen und so Rechtspopulisten und Neonazis eine neue Agitationsplattform eröffnen. Ganz im Gegenteil: Die Diskussion um Hitlers Weltanschauung und den Umgang mit seiner Propaganda bot vielmehr die Gele-genheit, sich gerade in Zeiten, in denen autoritäre politische Vorstellungen und rechte Parolen wieder Zulauf erhalten, die unheilvollen Wurzeln und Folgen solcher totalitärer Ideolo-gien vor Augen zu führen.

Gänzlich unbegründet zeigte sich insbesondere die Sorge, die Veröffentlichung würde Hitlers Ideologie einen neuen Schub geben oder gar salonfähig machen.

Die Herausgeber der Edition und das Institut für Zeitgeschichte dürfen sich daher darüber freuen, dass der ambitionierte Spa-gat zwischen wissenschaftlicher Grundlagenarbeit und histo-risch-politischer Aufklärung den Praxistext erfolgreich bestan-den hat: Ende November 2016 wurde dem Projektleiter Chris-tian Hartmann und seinem Team der Wissenschaftspreis des Stifterverbandes »Gesellschaft braucht Wissenschaft« verlie-hen – ein Preis, der für »hervorragende wissenschaftliche Ge-samtleistungen« vergeben wird, die sich durch »besondere ge-sellschaftlicher Relevanz« auszeichnen.

Genügend Anlass also für die Hoffnung, dass mit der kritischen Edition 70 Jahre nach Hitlers Tod endlich ein

adäquater Umgang mit »Mein Kampf« ermöglicht wird, der dem Nimbus einer »verbotenen Frucht« dauerhaft den Bo-den entzieht. Viel von der vermeintlichen Gefährlichkeit des Buches für heutige Verführbarkeiten und Versuchungen hatte sich schließlich daraus gespeist, dass die Schrift offi-ziell nur in antiquarischen Ausgaben und als Fundstück auf Opas Dachboden zugänglich war, die noch dazu den Grusel des authentischen NS-Relikts verströmten. Jetzt kann jeder Hitler lesen und mithilfe der fundierten Anmerkungen auch einordnen, was hinter seiner Hasspropaganda steckt. Und schon das wird den Reiz, sich durch die krude Sprach- und Gedankenwelt eines revanchistischen und rassistischen Agi-tators der 1920er-Jahre zu quälen, spürbar dämpfen. Denn wenn es alle können, muss es ja keiner tun.

Simone Paulmichl ist Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Institut für Zeitgeschichte in München

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Wilfried Sühl-Strohmenger

Die Neu-Edition von »Mein Kampf« in deutschen Bibliotheken Ein Jahr nach Erscheinen: Versuch einer Zwischenbilanz

Als die Neu-Edition von Hitlers »Mein Kampf« vor einigen Jahren vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ), zunächst mit Billigung des Freistaats Bayern, später ohne dessen Zu-stimmung, mit Blick auf das Ende der Schutzfrist im Jahr 2015 in Angriff genommen wurde, bestanden in den Bib-liotheken noch keine klaren Vorstellungen, wie man denn mit diesem Werk verfahren solle. Bis dahin standen ältere Ausgaben von »Mein Kampf«, die nicht wenige Universi-tätsbibliotheken im geschlossenen Magazin verwahrten, nur der wissenschaftlichen Forschung im Rahmen der Prä-senznutzung in Sonderlesesälen zur Verfügung. Die freie Ausleihe war aufgrund des Verbreitungsverbots ausdrück-lich untersagt. Wie die Erfahrungen mit der Neu-Edition sind, zeigen Stimmen aus Wissenschaftlichen Öffentlichen Bibliotheken.

Vorbereitend auf das Erscheinen der Neu-Edition hatten Mit-glieder der ehemaligen BID-Ethikkommission auf dem Nürn-berger Bibliothekartag 2015 im Rahmen einer Vortragsver-anstaltung die publizistischen, rechtlichen und ethischen Aspekte einer freien Zugäng-lichkeit des Werks in den Bi-bliotheken mit einem sehr in-teressierten Auditorium erör-tert (siehe dazu die Artikel in BuB 12/2015). Dennoch blieb offen, wie die Wissenschaft-lichen und Öffentlichen Bib-liotheken konkret reagieren würden, wenn die Neu-Edition tatsächlich zu erwerben war. Nunmehr, knapp ein Jahr nach dem Erscheinen, liegt deshalb der Versuch einer Bestandsauf-nahme nahe.

Laut Karlsruher Virtuel-lem Katalog (KVK) des KIT sind beide Bände von »Mein Kampf« mittlerweile in der 5., durch-gesehenen Auflage (2016) ver-fügbar. Stichproben im KVK ha-ben ergeben, dass die Edition in nahezu allen Universitäts-, Staats- und Landesbibliotheken, in vielen Hochschulbibliotheken sowie auch in Fakultäts-, Be-reichs-, Teil- und Institutsbibliotheken sowie sonstigen, auch

Öffentlichen Bibliotheken angeschafft wurde. Vielfach ist die Ausleihe aus dem Freihandbestand oder aus dem geschlos-senen Magazin möglich, in einigen Fällen ist die Edition je-doch nicht ausleihbar, sondern nur im Präsenzbestand einseh-bar beziehungsweise unter Einschränkungen ausleihbar, zum Beispiel:

• Gießen, Universität, Zweigbibliothek der UB im Philoso-phikum II: zur Ausleihe NICHT bestellbar. Nur an Personen ab 18 Jahren ausgeben.

• Staatsbibliothek zu Berlin, Potsdamer Str., Lesesaal. Wenden Sie sich bitte an die Information im Lesesaal. Benut-zung nur im Lesesaal.

• Frankfurt am Main, Universitätsbibliothek J. C. Sencken-berg: Zur Ausleihe NICHT bestellbar. In Teilen als Kopie bestell-bar. Aufstellung Dienstplatz Geisteswissenschaften

• Braunschweig, Stadtbibliothek: nicht bestellbar.

Ganz überwiegend sind die beiden Bände aber normal aus-leihbar, sofern ein Ausleihexemplar zur Verfügung steht und

man sich nicht auf die Präsenz-benutzung beschränkt hat. Der Verfasser fragte in einigen Öf-fentlichen und Wissenschaft-lichen Bibliotheken nach, wie denn die Erfahrungen mit der Neu-Edition in der Benutzung seit Beschaffung des Werks seien.

Stimmen zu »Mein Kampf«

»Die Stadtbibliothek Duisburg hat insgesamt vier Exemplare der zweibändigen Ausgabe des Instituts für Zeitgeschichte an-geschafft, von denen drei Exem-plare ausleihbar sind. Die Aus-leihen bewegen sich allerdings bislang im einstelligen Bereich. Ob das im öffentlich zugäng-

lichen Präsenzbestand vorhandene Exemplar stärker genutzt wird, kann nicht beurteilt werden. Insgesamt scheint das Inte-resse der Nutzer unserer Bibliothek allerdings nicht allzu groß

LESESAAL MEDIEN

Foto: Institut für

Zeitgeschichte

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zu sein, obwohl die Edition des 70 Jahre nach dem Tod des Au-tors ›rechtsfreien‹ Buches Ende 2015/Anfang 2016 eine große Aufmerksamkeit in den Medien erhalten hat.

Vermutlich wirken die 1 948 Seiten, die die beiden Bände umfassen, in Verbindung mit der umfangreichen wissenschaft-lichen Kommentierung hemmend, vielleicht trifft die Ausgabe aber auch nicht die Zielgruppe, die eine Öffentliche Bibliothek selbst in einer deutschen Großstadt anzusprechen vermag. Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, die Aufnahme des Buches in den Bestand mit einer Veranstaltung zu begleiten: einer Lesung aus dem Buch in Verbindung mit einer Darstellung des histo-rischen Kontextes seiner Entstehung und seiner Folgen. Ein ›Selbstläufer« ist das Buch jedenfalls nicht – was andererseits auch eine positive Erfahrung im Hinblick auf das politische Be-wusstsein unserer Leser ist.«

Dr. Jan Pieter Barbian, Direktor der Stadtbibliothek Duisburg

»Die WLB hat seinerzeit drei Exemplare angeschafft. Ein Ex-emplar steht im Lesesaal und zwei weitere Exemplare sind aus-leihbar. Die Benutzung war von Anfang an völlig unauffällig ohne besondere Vorkommnisse und Rückfragen.«

Dr. Hannsjörg Kowark, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart

»Die Entscheidung, dass die Stadtbibliothek die Neu-Edi-tion erwerben würde, wurde nicht kontrovers diskutiert. Ab-gewogen haben wir aber die Frage, wie weit wir den Leser/in-nen den Titel zur Verfügung stellen. Die Bände gehören vom Charakter her eher zum Ausleihbestand, bei Aufstellung im Freihandbereich befürchteten wir aber unerwünschte Krit-zeleien oder Ähnliches. Jetzt stehen sie im Magazin, sind aber zu den normalen Konditionen ausleihbar. Das Interesse an der Neu-Edition ist vorhanden, ein Exemplar deckt allerdings die Nachfrage gut ab.«

Dr. Elisabeth Willnat, Direktorin der Stadtbibliothek Freiburg

»Die Universitätsbibliothek Freiburg hat ein Exemplar der kritischen Neu-Edition von ›Mein Kampf‹ angeschafft und in das geschlossene Magazin gestellt, von wo es in den Lesesaal bestellt werden kann. Seit März 2016 sind sechs Lesesaal-Aus-leihen beider Bände erfolgt, in der Regel nach vorausgegange-ner Vormerkung. Das Historische Seminar der Universität Frei-burg hält in seiner Bibliothek ein weiteres Exemplar des Werkes zur Präsenznutzung vor.«

Dr. Ralf Ohlhoff, Leiter des Dezernats Benutzung und Informationsdienste der UB Freiburg

»Wir hatten vor Ablauf des Urheberrechts im Leitungsteam der Bibliothek über den Umgang mit der Neu-Edition von ›Mein Kampf‹ beraten und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir diese Edition als Präsenz- oder Ausleihexemplar an mehreren Standorten vorhalten. Jede andere Regelung wäre nach unse-rer Auffassung bei einem Werk, das im Buchhandel verfügbar und wesentlicher Bestandteil der modernen Forschung zum

Nationalsozialismus ist, schwer nachvollziehbar. Konkrete Er-fahrungen über die Benutzung liegen uns nicht vor. Ein Aufre-ger war dieses Thema hier jedenfalls nicht.«

Dr. Klaus-Rainer Brintzinger, Direktor der UB der LMU München

»Das Buch ist an der Hauptbibliothek ganz ›normal‹ auf H00 gestellt, also ohne Ausleihbeschränkung. Die Intention des IfZ bei der kommentierten Herausgabe war ja explizit, das Buch der öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen, es durch Kommentierung zu entmythologisieren und den Text zu dekon-struieren. Jede Restriktion in der Benutzung würde dieser Ab-sicht zuwiderlaufen.

Übrigens glaube ich nicht, dass diese kritische Ausgabe nach dem ersten Rummel ein ›Ausleihrenner‹ wird. Sie ist, nach dem, was ich bisher gesehen habe, eine sehr anspruchsvolle, ziemlich anstrengende Lektüre, und ich habe Zweifel, dass sich das allzu viele antun.

Die UB Erlangen-Nürnberg bietet den Titel an den folgen-den Standorten zur Ausleihe an: Hauptbibliothek (11 Auslei-hen); Erziehungswissenschaftliche Zweigbibliothek (6); Teil-bibliothek Politische Wissenschaft (7). An weiteren vier Teilbi-bliotheken sind zusätzlich Präsenzexemplare verfügbar. Mehr Informationen zur Ausleihe und zur Nutzung liegen mir nicht vor. Kritische Stimmen seitens unserer Nutzer sind mir nicht bekannt. Offenbar halten unsere Nutzer – so jedenfalls meine Interpretation – die Verfügbarkeit der Neu-Edition von ›Mein Kampf‹ an einer deutschen Universitätsbibliothek für eine Selbstverständlichkeit.“

Dr. Jens Hofmann, UB der FAU Erlangen-Nürnberg

Keine Berührungsängste gezeigt

Resümierend wäre festzuhalten, dass Öffentliche wie Wissen-schaftliche Bibliotheken sehr überlegt an die Neu-Edition von »Mein Kampf« herangegangen sind, sich zwar der Besonderheit dieser Erwerbung bewusst waren, jedoch kaum Berührungs-ängste zeigten. Das geht auch aus den zitierten Äußerungen hervor, dennoch ist klar, dass die Anschaffung dieses für die Geschichte des 20. Jahrhunderts so verhängnisvollen Buchs für die Bibliotheken nur deshalb möglich war, weil das Institut für Zeitgeschichte in München mit der wissenschaftlich-kriti-schen Edition einen mustergültigen Rahmen für die Rezeption aus heutiger Sicht gesetzt hat.

LESESAAL MEDIEN

Dr. Wilfried Sühl-Strohmenger (Foto: privat) war von 1986 bis 2015 an der UB Freiburg als Dezernatsleiter und Fachreferent tätig. Heute ist er freier Dozent und Lehrbeauftragter. – Kontakt: [email protected]

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Die Nationalbibliotheken von Guatemala (oben) und Costa Rica: Mittelpunkte im Stadtbild und zentral für das Bildungswe-sen der beiden Länder. Fotos: Dirk Wissen

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Dirk Wissen

Wenig Geld, wenig Personal, aber viele literarische Schätze

Ein Blick auf das Bibliothekswesen von Costa Rica und Guatemala

Zehn Tage Costa Rica und Guatemala. Auf Einladung des Goethe-Instituts reiste BuB-Herausgeber Dirk Wissen im Juli 2016 nach Mittelamerika, um sich dort mit zahlreichen Kultur- und insbesondere Bibliotheksvertretern zu treffen. Er begegnete einer Ministerin, einem Botschafter, einer Bürgermeisterin und diversen Bibliotheksdirektorinnen, die zu zahlreichen Bibliotheksbesichtigungen einluden. Es handelte sich um eine Reise durch schachbrettartig ange-legte Städte wie San José, Heredia, Guatemala-Stadt und Antigua. Begleitet wurde die Reise von Übersetzer Lutz Kli-che. Er lebt in Mittelamerika, ist dort Lektor, Verleger und Übersetzer unter anderem von Gioconda Belli, Ernesto Car-denal und Eduardo Galeano, wodurch er zu einem Litera-turvermittler zwischen Europa und Mittelamerika wurde.

Das Rahmenprogramm der Bibliotheksreise beinhaltete die Durchführung eines Workshops zur Öffentlichkeitsarbeit von Bibliotheken vor Fachpublikum in der Bibliothek von Heredia in Costa Rica und auf der Buchmesse von Guatemala. Die Work-shops dienten dem kulturellen und fachlichen Austausch und der Netzwerkbildung unter den Teilnehmern, die aus den un-terschiedlichsten Regionen und Städten Costa Ricas und Gua-temalas anreisten. Auf der Buchmesse von Guatemala wurde zudem erstmals der Preis »Bibliothek des Jahres« verliehen. Den Preis erhielt die Öffentliche Bibliothek von »San Juan La Lagua« am Atitlán-See. Die Bibliothek hatte unter dem Motto »Die Bibliothek ein Samenkorn der Weisheit« ihr Bewerbungs-konzept eingereicht, das die Vermittlung und Pflege von Kultur und Sprache der indigenen Ethnien beinhaltet.

Viele lateinamerikanische Städte sind indigenen Ursprungs, doch das Stadtbild ist unter anderem durch ihre Avenidas und Calles in einer Struktur eines Schachbretts kolonialherrschaft-lich geprägt, in dessen Mittelpunkt sich ein quadratischer Zen-tralplatz befindet. In den Hauptstädten ist der »Nationalplatz« (Parque Central) in der Regel von einem Nationalpalast (Pala-cio Nacional), einem Kirchenpalast (Palacio Episcopal), einem Militärpalast und einem Einkaufszentrum (Portal del Comer-cio) umrahmt.

In San José und Guatemala Stadt befinden sich an einer der vier Seiten des Parque Central die Nationalbibliothek (Bib-lioteca Nacional). Am hinteren Gebäudeteil der guatemalteki-schen Bibliothek befindet sich das Zentralarchiv (Archivo Gene-ral de Centro América). Spaziert man in das Einkaufszentrum,

mit seinen kleinen Lädchen und Marktständen, kann man im Inneren ins Restaurant »El Portal« gehen, welches schon Che Guevara und Miguel Ángel Asturias besuchten. Auf Abbildun-gen Asturias, des guatemaltekische Literaturnobelpreisträgers von 1967, stößt man in dieser quadratisch angelegten Stadt häufig. Als Skulptur in der großen Avenida Reforma, als Na-mensgeber des Kulturzentrums (Centro Cultura Miguel Ángel Asturias) oder im Foyer der Nationalbibliothek. Auch in San José, der Hauptstadt von Costa Rica, verhält es sich ähnlich, sodass die Avenidas und Calles ein schachbrettartiges Stadt-muster bilden, in deren Zentrum sich der »Parque Nacional« befindet, der ebenfalls von Repräsentativbauten umgeben ist und an dessen einer Seite sich die costa-ricanische Nationalbi-bliothek befindet.

Welche Symbolik darin steckt, dass sich diese beiden Nati-onalbibliotheken jeweils am Hauptplatz ihrer Hauptstädte be-finden, deren zahlreiche Bücherregale in ihren Blickwinkeln ebenfalls Fluchten bilden und die das Gefüge der Stadt wi-derspiegeln. Hierdurch werden diese Bibliotheken zum zen-tralen Mittelpunkt ihrer jeweiligen Gesellschaft. Der Besuch

LESESAAL AUSLAND

Dr. Dirk Wissen, geboren in Münster, ist Leiter der Stadtbibliotheken Ber-lin-Reinickendorf. Er en-gagiert sich im Bundes-vorstand des BIB, ist He-rausgeber von BuB und studierte in Berlin, Ham-burg und Wien. Seine mehr-jährige Berufspraxis in Ber-lin, Würzburg und Frankfurt

(Oder), konzentriert sich auf die Konzeption von Projek-ten im Veranstaltungsbereich und in Kooperationen mit Bildungs- und Kultureinrichtungen. Seine Dissertation »Zukunft der Bibliographie – Bibliographie der Zukunft« schrieb Wissen an der Wiener Universität bei Prof. Dr. Schmidt-Dengler. Er ist Mitautor an Artikeln des »Lexikon der Bibliotheks- und Informationswissenschaft«. – Kon-takt: [email protected]

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dieser beiden Nationalbibliotheken lässt im Vergleich den Schluss zu, dass die costa-ricanische gegenüber der guatem-altekischen Nationalbibliothek besser mit Medien und Mobi-liar ausgestattet ist und über mehr Personal und Etat verfügt. Einerseits wird die Literatur in beiden Städten hoch geach-tet und deren anerkannte Schriftsteller erhalten zahlreiche Denkmäler, andererseits fehlt es an ausreichendem Etat, die Schätze dieses Kulturguts genügend zu schützen, zu pfle-gen und auszubauen. Wobei beide Bibliotheken über wahre Schätze verfügen. So hat etwa die Nationalbibliothek in Gua-temala neben zahlreichen Inkunabeln und alten Bibeln (wie zum Beispiel die Belbacêsis Speculû latura) unter anderem auch eine besondere Ausgabe aus dem Jahr 1950 von Pablo Nerudas »Canto General«, die vom Autor selbst, aber auch von den Künstlern beziehungsweise Illustratoren Diego Ri-vera und David A. Siqueiros signiert ist. Und dies ist nur ein Exemplar aus den Beständen dieser reichhaltigen Sammlun-gen der Nationalbibliotheken, die einen Teil der Geschichte und Kultur Mittelamerikas dokumentieren.

Blickt man auf die Geschichte Mittelamerikas, sollte man seinen Blick auch in Richtung des Vulkans Aqua auf die gu-atemaltekische Stadt Antigua, circa 45 Kilometer von Guate-mala-Stadt entfernt, richten: Antigua war ehemals die kolo-niale Hauptstadt der fünf Provinzen Costa Rica, Nicaragua,

El Salvador, Honduras und Guatemala und wurde 1979 von der UNESCO zum »Erbe der Menschheit« erklärt. Am zentra-len Hauptplatz der Stadt Antigua, die ebenfalls durch ihre Ave-nidas und Calles schachbrettartig gegliedert ist, befindet sich das »Museo del Libro Antiguo«. Dieses beherbergt neben einer Replik der ersten Druckmaschine des Landes, alte Erstausga-ben von Bibeln und Gesangbüchern aus dem 17. Jahrhundert sowie eine Erstausgabe des zweiten Teils von Cervantes »Don Quijote de la Mancha« aus dem Jahre 1615.

Das Bibliothekswesen Costa Ricas

In der costa-ricanischen Hauptstadt San José gibt es unter an-derem ein Gold- und ein Jademuseum, das über die Historie des Landes informiert und diese dokumentiert. Neben Jade und Goldschätzen sind hier auch die Tiere des Landes, wie zum Beispiel das Gürteltier, zu besichtigen. Die Nationalbibliothek wurde 1848 gegründet. Der erdbebensichere (X-Trägerkonst-ruktion an der Innenfassade) Neubau am Nationalplatz exis-tiert seit 1970 und umfasst heute etwa eine Millionen Bücher. An der Außenfassade nisten grüne Papageien, die durch ihr Krächzen für eine entsprechende Geräuschkulisse sorgen. Ne-ben der Nationalbibliothek und den Universitätsbibliotheken

LESESAAL AUSLAND

Skulptur des guatemaltekischen Literaturnobelpreisträgers Miguel Ángel Asturias in Guatemala-Stadt.

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gibt es in Costa Rica zudem 58 offizielle Öffentliche Bibliothe-ken, die aus dem nationalen Haushalt finanziert werden, und es gibt circa 30 halboffizielle Öffentliche Bibliotheken, deren Exis-tenz durch die Stadtverwaltungen der jeweiligen Gemeinde un-terstützt wird. Dieses System der Bibliotheken entwickelte sich erst seit den 1980er-Jahren. Unterstellt ist das nationale Bib-liothekssystem namens »SINABI« dem Kulturministerium. Ge-leitet wird SINABI von Maria del Carmen Madrigal Gutiérrez, deren Programm Nr. 755 aus dem Nationalhaushalt finanziert wird. Es stehen ihr hieraus circa 700 000 Dollar für alle Biblio-theken (Universitätsbibliotheken ausgeschlossen) in Costa Rica zur Verfügung. Schwerpunkt der Arbeit von SINABI ist es, sie-ben verschiedene Leseförderprogramme für alle Altersstufen landesweit anzubieten. Diese werden in Kooperation mit dem Bibliotheksverband organisiert. Eines der Programme hat das Motto »Leer es Pura Vida« (dt. »Lesen, das pure Leben«). Zeug-nis davon, dass eine traditionelle Buchkultur in Costa Rica exis-tiert, gibt auch die Lehmann-Buchhandlung, die bereits 1896 gegründet wurde und sich noch heute im Zentrum der Stadt San José in der Hauptfußgängerzone befindet.

Die Öffentliche Bibliotheken werden in Costa Rica als eine gesellschaftlich soziale Einrich-tung verstanden, frei nach dem Motto »zuerst der Mensch, dann der Medienbestand«.

Des Weiteren gibt es Programme zum Beispiel für Computer-schulungen, Anwendungskurse unter anderem für Smartphones und Tablets sowie Lese- und Schreibförderprogramme, die von gut ausgebildeten Bibliothekaren durchgeführt werden.

Voraussetzungen für die Annahme einer Bibliotheksstelle in Costa Rica ist neben der Ausbildung oder einem Studien-abschluss (mindestens Bachelor) die Mitgliedschaft im Be-rufsverband »Colegio de Profesionales en Bibliotecologíca de Costa Rica«. Diese Vereinigung von Bibliothekaren wurde be-reits 1949 gegründet. Darüber hinaus gibt es die Festlegung, dass alle Studierende in Costa Rica 300 Stunden (circa drei Mo-nate) während ihres in der Regel vierjährigen Studiums Kultur-arbeit leisten müssen. Zahlreiche Studierende leisten diese in den Bibliotheken. Dies wird als ein Beitrag zur Friedenskultur, die Costa Rica lebt, verstanden. Costa Rica ist das erste Land weltweit, das seit 1948 kein Militär mehr unterhält.

Die Stadtbibliothek von Heredia

Ein Besuch der Stadtbibliothek von Heredia, einem Nachbarort der Hauptstadt San José und der Geburtsort von drei ehemali-gen Präsidenten des Landes, unter anderem des Friedensnobel-preisträgers Óscar Rafael de Jesús Arias Sánchez (er erhielt 1987 den Friedensnobelpreis für sein Vorgehen zur Herstel-lung eines dauerhaften Friedens in Mittelamerika), verdeutlicht schon auf der Eingangstreppe, dass im Mittelpunkt des Auftrags costa-ricanischer Bibliotheken der soziale Auftrag steht. Das Zitat auf den Eingangsstufen der Öffentlichen Bibliothek von

Heredia am Fuße des Vulkans Irazú lautet: »El racismo es como juzgar a un libro por el color de sus hojas« (dt. »Rassismus ist, als ob man ein Buch nach der Farbe seiner Seiten beurteilt«).

Die Öffentliche Bibliotheken werden in Costa Rica als eine gesellschaftlich soziale Einrichtung verstanden, frei nach dem Motto »zuerst der Mensch, dann der Medienbestand«. Beim Be-stand wird von aktiven (frei zugänglich) und passiven (nicht frei zugänglich) Beständen gesprochen, die es jeweils in den Öf-fentlichen Bibliotheken gibt. Dabei steht weniger die Ausleihe als die Nutzung innerhalb der Bibliothek im Mittelpunkt. Die Bestände sind umgeben von diversen Grünpflanzen innerhalb der Bibliotheksräumlichkeiten. Die Öffentlichen Bibliotheken Costa Ricas werden vor allem von älteren Menschen genutzt, doch gibt es in den meisten Bibliotheken auch extra Kinder-bereiche, sogenannte Ludotheken (Spielotheken). In Heredia ist dieser Kinderspielraum ein stillgelegter Eisenbahnwagon.

LESESAAL AUSLAND

Die Nationalbibliotheken von Costa Rica und Guatemala in Zahlen

Sistema Nacional de Bibliotecas de Costa Rica (SINABI)www.sinabi.go.crGründungsjahr: 1890Anzahl Mitarbeiter/-innen: 187Anzahl Besuche: ca. 1 217 000 pro JahrBestandsgröße: ca. 1 500 000 MEAusschließlich PräsenzbestandÖffentlich zugänglich

Biblioteca Nacional de Guatemala »Luis Cardoza y Aragón«www.bibliotecaguate.mlGründungsjahr: 1879Anzahl Mitarbeiter/-innen: 32Anzahl Besuche: ca. 45 000 pro JahrBestandsgröße: ca. 200 000 ME Ausschließlich PräsenzbestandÖffentlich zugänglich

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Das Bibliothekswesen Guatemalas

In Guatemala-Stadt liegt die Nationalbibliothek ebenfalls am zentralen Nationalplatz. Das Gebäude wurde 1957 eröffnet. Die guatemaltekische Nationalbibliothek, geleitet von Ilonka Ixmucané Matute Iriarte, hat strukturell betrachtet keinen Be-zug zu den anderen Bibliotheken des Landes. Ihre Sammlung umfasst etwa 250 000 Bücher. Dieser Bestand beinhaltet circa 45 000 Bücher guatemaltekischer Autoren, wobei dies vor allem Autoren seit der Koloni-alzeit sind. Besondere Schätze der verschrift-lichten Literatur werden in der hauseigenen Restauration instand gehalten.

Die Literaturtradition der indigenen Be-völkerung liegt weniger in der Verschriftli-chung von Texten als im Geschichtenerzählen. Noch heute gibt es eine gelebte Tradition der Geschichtenerzähler in Guatemala, die unter anderem in der Nationalbibliothek auftreten. Im Foyer der Nationalbibliothek gibt es darü-ber hinaus die Möglichkeit zum Schachspielen (ajedrez). Fünf Schachbretter wurden aufgestellt, um »spielerisch« den Eintritt in die Nationalbibliothek zu forcieren.

Eine historische Buchhandlung, wie die Lehmann-Buch-handlung in Costa Rica, gibt es im Straßenbild von Guatem-ala-Stadt nicht mehr, dafür diverse Straßenbuchhändler und kleinere Buchhandlungen sowie die jährliche Buchmesse.

Diese fand 2016 zum 13. Mal in den Messehallen von Guatemala-Stadt statt. Gastland war im Jahr 2015 Mexiko. 2016 gab es kein Gastland, sondern den Themenschwerpunkt »Nachhaltige Entwicklung«. Die Nationalbibliothek war eben-

falls mit einem Stand auf der Buchmesse ver-treten und präsentierte sich mit grafischen Zeichnungen.

Neben der Nationalbibliothek und den Universitätsbibliotheken gibt es in Guate-mala circa 150 Gemeindebibliotheken. Die Öffentlichen Bibliotheken wurden in den 1980er-Jahren von den Gemeinden in die Obhut der Regierung übergeben, nachdem vor etwa 35 Jahren das Kulturministerium gegründet wurde (vorher unterstanden die Bibliotheken dem Bildungsministerium).

Viele Bibliotheken wurden daraufhin geschlossen. Heute gibt es in Guatemala 84 halböffentliche Gemeindebibliothe-ken. Zudem unterhält die Nationalbank seit 1947, seit dem Sturz des Diktators Jorge Ubico, 66 Öffentliche Bibliothe-ken, die als sogenannte »Bank-Bibliotheken« bezeichnet wer-den. Diese befinden sich nicht in den Bankgebäuden, son-dern deren Ausstattung und Medienbestand wird durch die Nationalbank finanziert. Für die Personalkosten muss die jeweilige Gemeindeverwaltung aufkommen und auch das

LESESAAL AUSLAND

Fahrbibliotheken wurden in ganz Costa Rica und Guatemala abgeschafft. Der letzte noch erhaltene Bibliobus steht derzeit in einer Gemeinde von Guatemala-Stadt und dient als Stadtteilbibliothek.

Die Literaturtradition der indigenen Bevölkerung liegt weniger in der Ver-

schriftlichung von Texten als im Geschichtenerzäh-

len. Noch heute gibt es eine gelebte Tradition der

Geschichtenerzähler.

Ein farbenfrohes Mittelamerika mit ganz unterschiedlichen Bibliotheken ist in unserer Fotogalerie in der BuB-App zu sehen.

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Gebäude bereitstellen. Diese 66 Bank-Bibliotheken befinden sich in 22 Departements in ganz Guatemala. Da es in Guate-mala nicht genügend ausgebildete professionelle Bibliothe-kare gibt, sucht die jeweilige Gemeinde für ihre Bibliotheken das Personal aus. Diese können sehr unterschiedliche Berufs-ausbildungen haben und denken und han-deln in ihrem beruflichen Selbstverständ-nis nicht immer bibliotheksfachlich. Den-noch gibt es in Guatemala zwei Arten von bibliotheksfachlichen Abschlüssen: einmal den Fachhochschulabschluss für die tech-nisch-bibliothekarischen Arbeitsbereiche und den bibliothekswissenschaftlichen Ab-schluss. Heute gibt es im ganzen Land circa 200 ausgebildete Bibliothekarinnen. Die nö-tige fachliche Unterstützung erhält das Bi-bliothekswesen Guatemalas durch den Bib-liotheksverband »Asociación Bibliotecológica de Guatemala«, der 1948 gegründet wurde.

Im Bankgebäude der Nationalbank in Guatemala-Stadt be-findet sich zudem die zentrale Öffentliche Bibliothek der Stadt Guatemala. In dieser Bank-Bibliothek gibt es keine übliche Laufkundschaft und der Zugang ist nur mit Anmeldung per Personalausweis möglich. Die Nationalbank wird auch als »Kul-tur-Bank« bezeichnet und unterhält neben den Bibliotheken

auch eine bedeutende Kunstsammlung. Diese Bibliothek ist sehr gut ausgestattet, sowohl vom Mobiliar als auch Bestand her, doch genügt das Angebot nicht einem öffentlichen Publi-kum. So gibt es beispielsweise nur einen kleinen Belletristik-Be-reich, keinen Kinder- und Jugendbereich, stattdessen aber be-

inhaltet sie das Aktenarchiv der Nationalbank.

Kaum Schulbibliotheken, keine Bücherbusse

In ganz Guatemala gibt es nur vereinzelt Schulbibliotheken, wenn diese durch Privat- initiativen organisiert werden, zum Beispiel indem diese den Buchbestand bereitstellen und pflegen. Und auch die Bücherbusse bezie-hungsweise Fahrbibliotheken wurden in ganz Guatemala abgeschafft. Der letzte noch erhal-

tene Bibliobus steht in einer Gemeinde von Guatemala-Stadt als Stadtteilbibliothek.

Der Rückflug war geprägt von sehr positiven Eindrücken und Erinnerungen an einen intensiven fachlichen Austausch mit sehr gastfreundlichen Kolleginnen und Kollegen, deren Kontakte noch lange wirken werden. Der mittelamerikanische Fachblick auf Themen wie »Soziale Bibliotheksarbeit« und »Friedenskultur« wird noch lange andauern.

LESESAAL AUSLAND

Andere Bücherwelten: In Mittelamerika sind viele kleine Buchhandlungen im Straßenbild zu sehen, Menschen spielen Schach in der Nationalbibliothek. Dort schlummern aber auch literarische Schätze, wie Pablo Nerudas »Canto General« in einer besonderen Ausgabe von 1950.

In ganz Guatemala gibt es nur vereinzelt Schul-

bibliotheken, wenn diese durch Privatinitiativen

organisiert werden, zum Beispiel indem sie den

Buchbestand bereitstel-len und pflegen.

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Franziska Borkert

BibScout – der mobile Auskunftsdienst an der UB Würzburg Ansprechpartner im Lesesaal entlasten Infotheke / Hilfe beim Kopieren, Drucken und Scannen

Seit dem Wintersemester 2014/15 setzt die Universitäts-bibliothek (UB) Würzburg in der Zentralbibliothek soge-nannte BibScouts ein. Das sind studentische Hilfskräfte, die die Nutzerinnen und Nutzer der Bibliothek – hauptsäch-lich Studierende – beim Kopieren, Drucken, Scannen und beim Auffinden von Büchern unterstützen. Die BibScouts haben keinen festen Standort, sondern helfen direkt vor Ort, an den Kopierern, Computern, Scan-Stationen und in den Lesesälen. Erkennbar sind sie an blauen Westen mit dem Logo der UB Würzburg sowie dem Hinweis »Fragen? Ich helfe weiter!« auf dem Rücken. Die BibScouts, die nur während der Vorlesungszeit eingesetzt werden, entlasten durch ihre Anwesenheit das bibliothekarische Personal an der Informationstheke.

Zwei Millionen pro Jahr. Genauer gesagt 2 141 221. So viele Kopien und Ausdrucke produzierten die Nutzer der UB Würz-burg im Jahr 2015 – und das allein in der Zentralbibliothek, die Teilbibliotheken nicht eingerechnet.1 Trotz stetig wachsender digitaler Medienangebote und dem ständigen Umgang mit mo-bilen Endgeräten sind Papierkopien und -ausdrucke besonders

bei Studierenden weiterhin sehr gefragt. Und der Dauereinsatz der Multifunktionsgeräte in der UB Würzburg, an denen nicht nur kopiert, sondern auch ausgedruckt und gescannt werden kann, macht sich bemerkbar: Papierstau beheben, Tonerwech-sel und Papier nachlegen sind alltägliches Geschäft für die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter an der Informationstheke. Dazu kommen viele Fragen zum Kopieren, Drucken und Scannen; oft muss das Fachpersonal die Infotheke verlassen, um den Nut-zern direkt an den Geräten zu helfen. So entstand der Wunsch, diese Anfragen – wenigstens zur Vorlesungszeit – aus dem Ar-beitsbereich an der Infotheke herauszunehmen, um sich dort mehr den bibliothekarischen Fragen widmen zu können. Die Idee war, ein »Geräteteam« zu bilden, das speziell für die Pflege und für Fragen und Probleme rund um die Kopierer und Scan-ner zuständig ist.

Zur Situation: Die UB Würzburg besteht aus einer Zentralbi-bliothek und mehreren Teilbibliotheken. Die Zentralbibliothek ist eine Freihandbibliothek mit einem Lesesaalbereich im ersten und zweiten Obergeschoss. Im Erdgeschoss befinden sich die Leihstelle und das Informationszentrum mit einer zentral ge-legenen Informationstheke, über 100 Computerarbeitsplätzen,

LESESAAL PRAXIS

Im Einsatz: Die BibScouts der UB Würzburg leisten auch Unterstützung bei der Büchersuche. Foto: Universitätsbibliothek Würzburg

775BuB 68 12/2016

darunter ein Arbeitsplatz mit Scanner sowie Einzel- und Grup-penarbeitstischen. Insgesamt bietet die Zentralbibliothek mo-mentan 850 Arbeitsplätze. Im Erdgeschoss sind außerdem fünf Multifunktionsgeräte zusammen aufgestellt. Weitere Kopierer und Scan-Stationen befinden sich in den Lesesälen. Im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen wurde Mitte 2015 die Le-sesaaltheke im ersten Obergeschoss aufgelöst, sodass Nutzer hier keine Auskünfte auf ihre Anfragen mehr erhalten können, sondern durch ein Hinweisschild an die Infotheke im Erdge-schoss verwiesen werden.

Fragen? Wir helfen weiter: erstmals BibScouts in der UB

Aus der Idee eines »Geräteteams« entwickelte sich das Kon-zept des BibScouts, ein Service-Angebot, das nun seit dem WS 2014/15 in der Zentralbibliothek besteht2: Dabei handelt es sich um studentische Hilfskräfte, die im Eingangsbereich der Halle im Erdgeschoss, im dortigen Informationszentrum und in den Lesesälen eingesetzt werden. Deutlich erkennbar sind sie durch blaue Westen, die auf dem Rücken den Hinweis »Fragen? Ich helfe weiter!« tragen und vorne das UB-Logo. Wie das Fach-personal sind auch die BibScouts über ihr Namensschild direkt ansprechbar. Im Informationszentrum halten sie sich vor allem bei den Kopierern auf, um die Nutzer beim Kopieren, Drucken und Scannen zu unterstützen. Sie sind aber auch an den Com-puterarbeitsplätzen unterwegs. Dabei gehen sie aktiv auf die Nutzer zu, um ihre Hilfe anzubieten. Außerdem kümmern sie sich um das Funktionieren der Geräte, legen Papier nach, be-heben Papierstaus und wechseln Toner. In den Lesesälen und in der Lehrbuchsammlung helfen sie beim Auffinden von Bü-chern und bei Orientierungsfragen. Dadurch ließ sich auch der Verlust der Auskunftstätigkeit an der Lesesaaltheke auffangen. Haben Nutzer Fragen, die mehr bibliothekarisches Fachwissen verlangen, beispielsweise zur Literaturrecherche oder zu In-formationsquellen, verweisen die BibScouts sie direkt an die Informationstheke.

Die BibScouts ergänzen das Auskunftsangebot der UB Würzburg, indem sie Hilfe und Unterstützung direkt vor Ort leisten.

Da die anvisierte Zielgruppe in erster Linie Studierende sind, werden die BibScouts nur während der Vorlesungszeit einge-setzt – im Wintersemester im ersten Monat der Vorlesungs-zeit in einer Doppelschicht, die zur selben Zeit im Informati-onszentrum und in den Lesesälen unterwegs ist. Positiver Ne-beneffekt: Die BibScouts achten gleichzeitig auf Sauberkeit und Ordnung und unterbinden nicht erlaubtes Essen und Trin-ken in den Lesesälen und an den Computerarbeitsplätzen. Gibt es in den Lesesälen wenig zu tun, können dort leichtere Ord-nungsarbeiten durchgeführt werden, beispielsweise bei den AV-Medien und in der Lehrbuchsammlung. Auch beim Rück-stellen von Büchern helfen sie bei Bedarf mit. Die BibScouts verfügen über ein Mobiltelefon und können so an die Infotheke

gerufen werden, wenn ein Nutzer etwa Hilfe bei der Bücher-suche benötigt.

Der BibScout-Dienst wird auf der Homepage der UB Würz-burg beworben sowie bei Facebook und Twitter. Als BibScouts erhalten die studentischen Hilfskräfte eine intensive Einarbei-tung. Für den BibScout-Service wird auch eine Statistik ge-führt, die die BibScouts jeweils selbst für ihre Schicht ausfüllen. Dabei wird abgefragt, wie oft beim Büchersuchen vor Ort und beim Kopieren, Drucken, Scannen geholfen wurde und welche Auskünfte darüber hinaus gegeben wurden. Auch Fragen, die nicht beantwortet werden konnten, notieren die BibScouts. Diese Fragen werden dann von Mitarbeitern des Infozentrums in eine FAQ-Liste aufgenommen und beantwortet. Einige Bei-spiele: »Kann man über den USB-Stick zwei Seiten auf ein Blatt drucken?« – »Wie fasst man PDF-Dateien zu einer Datei zusam-men?« – »Gibt es eine Begrenzung, wie viele DVDs ausgeliehen werden dürfen?«

Auskunftsanfragen, mobiler Auskunftsdienst und peer-to-peer Auskunft

Die BibScouts ergänzen das Auskunftsangebot der UB Würz-burg, indem sie Hilfe und Unterstützung direkt vor Ort leisten: bei technischen Fragen an den Geräten und an den Regalen bei der Büchersuche – also bei Anfragen, die sehr gut von studen-tischen Hilfskräften übernommen werden können. Dadurch bleibt die Infotheke durchgehend mit Fachpersonal besetzt, das dort mehr Zeit für die Beantwortung von bibliothekarischen Fragen hat. Da in der Zentralbibliothek der UB Würzburg – wie in anderen Bibliotheken auch – die Infotheke zu den Haupt-zeiten3 mit ausgebildeten Bibliothekaren besetzt ist, ist dies gleichzeitig ein Beitrag zur effizienteren Nutzungsmöglichkeit der Auskunftstätigkeit, da ein Teil der technischen Fragen und der Orientierungsfragen an studentische Hilfskräfte delegiert werden kann. Die Kategorisierung von Auskunftsfragen nach Debra G. Warner legt ein solches Verfahren der Auslagerung nahe. Anne Christensen beschreibt diese Kategorisierung in ih-rem Aufsatz über die bibliothekarische Auskunft:

»[Warner] differenziert die Fragen danach, wie viel Ex-pertise man für die Beantwortung braucht und kommt dabei auf vier Kategorien: non-resource based questions, skill-based questions, strategy-based questions und consul-tations. Fragen aus den ersten beiden Kategorien betreffen die Orientierung und die technischen Aspekte der Benut-zung von Bibliotheksdienstleistungen. Fragen aus den bei-den anderen Kategorien erfordern eine mehr oder weniger ausführliche Rechercheberatung und damit bibliothekari-sches Wissen.«4

Mobiler Auskunftsdienst oder auch Roving Reference5 zielt da-rauf ab, für die Nutzer der Bibliothek »den Auskunftsdienst als ein niedrigschwelliges Angebot«6 zu präsentieren: Unterstüt-zung direkt vor Ort, aktiv auf Nutzer zugehen und Hilfe an-bieten, herumgehen und präsent sein. Außerdem sparen sich

LESESAAL PRAXIS

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die Nutzer so den Gang zur Informationstheke und haben di-rekt vor Ort einen Ansprechpartner.7 Im angloamerikanischen Raum wird dieses Service-Angebot schon länger diskutiert und in verschiedenen Bibliotheken angeboten, etwa in der Bi-bliothek der University of Mississippi.8 In Deutschland gibt es erste zaghafte Anfänge, beispielsweise in der Zentralbiblio-thek der Hochschule Hannover.9 Ruth M. Mirtz beschreibt in ihrem Aufsatz: »The Second Half of Reference: An Analysis of Point-of-Need Roving Reference Questions« den mobilen Aus-kunftsdienst als sinnvolle Ergänzung zur Auskunftstheke, weil damit auf andere Fragen und Bedürfnisse der Nutzer eingegan-gen werden kann als an der Auskunftstheke. Während an der Infotheke Unterstützung bei der Literaturrecherche geleistet werden kann, können durch den mobilen Auskunfts-dienst leichter die weiteren »dynamischeren« Schritte des Rechercheprozesses abgedeckt werden, besonders das Finden und Weiterver-arbeiten von Informationen.10 Der BibScout kommt diesem Anspruch immerhin nahe, in-dem dadurch die Büchersuche direkt an den Regalen und Fragen rund ums Ausdrucken und Scannen bei den Geräten abgedeckt werden kann: »hands-on instruction at the point of need«.11

Niedrigschwellig ist der Service auch deshalb, weil er von studentischen Hilfskräften ausgeführt wird. Die BibScouts

werden durch ihre Westen nicht nur als Bibliothekspersonal angesehen, sie werden gleichzeitig auch als Studierende wahr-genommen. Dadurch sinkt die Hemmschwelle bei den Studie-renden, sie anzusprechen.

Wieder BibScouts in der UB? Fazit

Nach vier Semestern BibScout an der UB Würzburg lässt sich feststellen, dass das Konzept aufgegangen ist und sich dieses Angebot etabliert hat. Das Fachpersonal an der Infotheke wird

bei Anwesenheit der BibScouts spürbar um technische Fragen rund ums Kopieren, Dru-cken und Scannen entlastet. Das bestätigen auch die Ergebnisse von zwei Mitarbeiterum-fragen, die nach Einführung des BibScouts durchgeführt wurden. Außerdem wurden in den Umfragen die gute Zusammenarbeit und der Austausch mit den BibScouts hervorge-hoben. Aber die Bibliothek erhofft sich mit diesem zusätzlichen Auskunftsangebot ab-

seits der Infotheke nach dem erfolgreichen Einstieg auch wei-terhin eine größere Zufriedenheit bei den Nutzern, weil Hilfe und Unterstützung da erbracht werden, wo sie besonders be-nötigt werden. Gleichzeitig schafft die Präsenz der BibScouts in den Lesesälen Ausgleich für die fehlende Auskunftsmöglichkeit

LESESAAL PRAXIS

Seit dem Wintersemester 2014/15 gibt es die BibScouts in der Zentralbibliothek der UB Würzburg (großes Foto: Kristina Hanig). Sie helfen vor allem beim Kopieren, Drucken und Scannen (kleines Foto: Universitätsbibliothek Würzburg).

Sehr deutlich zeigt sich, dass der BibScout-

Dienst vor allem in Zeiten hoher Auslastung der

Bibliothek am Anfang der Vorlesungszeit gut

genutzt wird.

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nach Auflösung der Lesesaaltheke. Sehr deutlich zeigt sich, dass der BibScout-Dienst vor allem in Zeiten hoher Auslastung der Bibliothek am Anfang der Vorlesungszeit sehr gut genutzt wird, die Anfragen im Verlauf des Semesters besonders in den Lesesälen jedoch stark zurückgehen. Zur Prüfungszeit steigt dann der Unterstützungsbedarf bei den Kopierern wieder an. Der BibScout-Service wird deshalb auch weiterhin nur in der Vorlesungszeit eingesetzt.

1 Auswertung der Zählerstände 2015 in der Zentralbibliothek: 2 141 221 Ausdrucke und Kopien, davon 1 233 642 Ausdrucke und 907 579 Kopien. Dazu kommen noch 503 466 Scans.

2 Vgl. Universitätsbibliothek Würzburg: »BibScout«: Hilfe direkt vor Ort und auf Augenhöhe. Eine Testphase. In: Bibliotheksforum Bayern 9 (2015), S. 242. Eine Vorstellung des BibScouts befindet sich auch im Ideenpool Auskunft und Information des Biblio-theksverbundes Bayern: BibScout (Universitätsbibliothek Würz-burg) Stand 05/2016. www.bib-bvb.de/web/ksi/wissens datenbank (19.10.2016). Zu diesem Thema existiert auch eine bisher unveröffentlichte Diplomarbeit von Judith Lanzl: Der BibScout als Ergänzung des Auskunftsdienstes an wissenschaftli-chen Bibliotheken: Überlegungen zum neuen Auskunftsangebot an der Universitätsbibliothek Würzburg. 2016

3 Montags bis freitags, also an den Tagen, an denen auch der BibScout eingesetzt wird, ist die Informationstheke der UB Würz-burg von 8.30 bis 19 Uhr mit Fachpersonal besetzt.

4 Anne Christensen: Bibliothekarische Auskunft und Informations-dienstleistungen. In: Rolf Griebel [Hrsg.]: Praxishandbuch Biblio-theksmanagement. Berlin: deGruyter 2015, S. 484-494, S. 485

5 Vgl. z.B. Andrea Hofmann, Christian Hauschke: Roving Librarians in der Zentralbibliothek der Hochschule Hannover: ein Expe-riment. In: Informationspraxis 2 (2016) 1, S. 2. http://dx.doi.org/10.11588/ip.2016.1.28559

6 Ursula Georgy, Kathrin Nothen: Das Vertrauen der Kunden auf Dauer gewinnen – Der Auskunftsdienst als Marketinginstrument für Bibliotheken. In: BuB - Forum Bibliothek und Information 58 (2006) 3, S. 238–244, S. 242

7 Vgl. Christensen (Anm. 4) S. 486

8 Vgl.: Ruth M. Mirtz: The Second Half of Reference: An Analysis of Point-of-Need Roving Reference Questions. In: ACRL 2013 Proceedings. www.ala.org/acrl/acrl/conferences/2013/papers (19.10.2016)

9 Vgl. Hofmann, Hauschke (Anm. 5)

10 Vgl. Mirtz (Anm. 8), S. 524: »our reference conversations are one-shot sessions […], when information-seeking is a dynamic, recursive, unpredictable, and developmental process.«

11 Mirtz (Anm. 8), S. 519

Franziska Borkert (Foto: Die Hoffotografen GmbH)ist Fachreferentin für ver-schiedene geisteswissen-schaftliche und sprach- u n d l i t e r a t u r w i s s e n -schaftliche Fächer und

seit 2015 Leiterin des Informationszentrums an der Universitätsbibliothek Würzburg. – Kontakt: [email protected]

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Andrea Kasper

Ein Vorbild für Bibliotheken? Das »Transparente Museum« der Kunsthalle Hamburg

Die Hamburger Kunsthalle hat im Zuge ihrer Modernisie-rung ein »Transparentes Museum« eingerichtet. Mehrere Räume machen unter museumspädagogischen Gesichts-punkten die Arbeit des Museums für den Besucher sicht-bar. Kann dies auch ein Modell für Bibliotheken sein? Wie könnte dies aussehen und worin liegen die Vorteile für Bibliotheken?

Seit Ende April 2016 ist die Hamburger Kunsthalle komplett re-noviert und wieder vollständig geöffnet. Das modernisierte Ge-bäude sowie die umfangreiche wie vielfältige Sammlung zei-gen sich von ihrer besten Seite und machen einen Besuch der Kunsthalle (www.hamburger-kunsthalle.de) absolut sehens-wert. Neben den Ausstellungsräumen ist auch die Bibliothek in-tegriert. Neugierig macht auf dem Lageplan des Museums vor allem ein Bereich, der als »Transparentes Museum« bezeichnet

wird (www.hamburger-kunsthalle.de/transparentes-museum). Neun wie an einer Perlenkette aufgezogene Räume laden zu ei-nem Blick hinter die Kulissen des Museumsbetriebs ein. Zu-nächst wird der Besucher mit einem Film auf das transparente Museum eingestimmt, der mit einem Blick auf eine eher untypi-sche Nutzung dieses Museumsbereichs aufhorchen lässt:

Das transparente Museum startet mit seinem Blick hinter die Kulissen in einem langen Gang mit an Wände geklebten In-formationen und Fragen zur Kunsthalle (unter anderem »32 Prozent der Besucher der Kunsthalle stammen aus Hamburg, 42 Prozent aus anderen Teilen Deutschlands und 26 Prozent aus dem Ausland« oder »Die Hamburger Kunsthalle verwahrt circa 3 500 Exponate, 500 Skulpturen ...« und ist Arbeitgeberin für rund 100 Mitarbeiter). Das sind Hingucker.

Am Anfang wird unter anderem die Geschichte des Hauses präsentiert und die Frage nach Original, Kopie und Fälschung

Ein Museum zum Anfassen: Kann das ein Vorbild für Bibliotheken sein? An diesem Leuchtkasten können Besucher der Hamburger Kunsthalle beispielsweise Informationen zum Thema »Forschen - Fälschungen« abrufen. Fotos: Kay Riechers / © Hamburger Kunsthalle

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LESESAAL PRAXIS

aufgegriffen. Wie lässt sich die Echtheit nachweisen? Und wie werden die rechtmäßigen Besitzer ausfindig gemacht?

Potenzielle Exponate werden vorgestellt

In einem Raum werden drei potenzielle Exponate, die die Kunsthalle erwerben könnte, vorgestellt (zwei Bilder und eine Skulptur) und der Museumsbesucher kann per Knopf-druck abstimmen, welches sein Favorit ist. Vielfältige Informationen zu den Kunstobjek-ten und unterschiedliche Entscheidungskri-terien machen die Auswahl schwer. Das ak-tuelle Ranking wird in Form von einer sicht-baren Zählung deutlich. Beim Besuch der Verfasserin dieses Beitrags lag ein Gemälde knapp vorn.

Ebenfalls transparent gemacht werden verschiedene Restaurationsverfahren von Bil-dern und Rahmungen, die ausgewählt und getestet werden können. Der Besucher wird durch große Tafeln und Vitrinen mit vielen Fakten und Besonderheiten der Kunsthalle vertraut gemacht. An Hörstationen werden die Rückmeldungen von Be-suchern zu den Exponaten der Kunsthalle präsentiert. Vorge-stellt werden auch die Marketingaktivitäten sowie die weiteren museumspädagogischen Angebote des Hauses.

Die Präsentation lädt zum Entdecken und Mitmachen ein und lässt den Besucher am Alltagsgeschehen hinter den Kulis-sen eines Kunstmuseums teilhaben. Insgesamt erscheinen die Räume eher düster und könnten etwas mehr Farbe und Leben-digkeit vertragen. Ein weiteres derartiges Angebot ist der Ver-fasserin dieses Beitrags in Deutschland nicht bekannt und er-scheint museumspädagogisch innovativ.

Im Kontext mit Bibliotheken stellt sich die Frage, inwie-weit Bibliotheken auch transparent für ihre Bürger sind. Ist

dies auch ein Modell für (Öffentliche) Biblio-theken? Und: Wie würde dies aussehen? Erste Ansätze könnte die Beantwortung folgender Fragen bieten:

Was sind die Aufgaben einer Bibliothek und wie haben sich diese gerade in den letz-ten Jahren verändert? Reagieren Bibliothe-ken auf Entwicklungen oder gestalten sie diese auch aktiv mit? Wie sind die Bibliothe-ken von aktuellen gesellschaftlichen Strö-

mungen geprägt und wie zeigt sich dies in ihren Angeboten? Wie viele Menschen wissen, dass Technologie wie WLAN, Ta-blets, Apps und Co. immer mehr Einzug in die Arbeit der Bib-liotheksarbeit halten und sich Zuwanderung und die derzei-tige Flüchtlingssituation auch in Bibliotheken widerspiegeln? Welche Vielfalt der Medienformen inklusive elektronischer und digitaler Angebote zeigt sich in unseren Einrichtungen?

Multimedia-Einsatz: Diese Hör- und Aufnahmestation hat das Thema »Vermitteln - Vielstimmigkeit«. Im Foto ist das Bild »Wir Drei« des Malers Julius von Ehrens von etwa 1930 zu sehen. Es handelt sich bei dem Werk aber um eine Kopie nach Philipp Otto Runge.

Präsentiert werden könnte zielgruppenori-

entiertes Arbeiten durch Projekte wie »Lesestart«

oder »Lesen macht stark« im Kinder- und

Jugendbereich.

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LESESAAL PRAXIS

(Und damit das Aufgreifen der weiterhin sehr beliebten Fra-gen aus dem Bibliotheksalltag: »Haben Sie aktuelle DVDs und E-Books? Gibt es bei Ihnen auch digitale Datenbanken und kostenlose Recherchen in Fachdatenbanken?«) Wer sind die Kooperationspartner von Bibliotheken und wer Geldgeber? Wie sind die Erwerbungskriterien in (Öffentlichen) Biblio-theken? Wofür würden Kunden einen fiktiven Etat von 100 Euro ausgeben, beispielsweise nach Zielgruppen wie Kin-der, Jugendliche und Erwachsene oder Mediengruppen? Was macht ein Lektor und wie findet ein Medium den Weg ins Re-gal? Wie wäre eine Feedback-Station zur Bestandspräsenta-tion: Welche Aufstellungsformen gibt es und welche gefallen unseren Kunden am besten? Und wer probiert verschiedene Präsentationen aus und bewertet sie? Wie wird ein Auskunfts-interview im Beratungsdienst geführt und welche Recherche- instrumente gibt es neben Google?

Präsentiert werden könnte zielgruppenorientiertes Arbei-ten durch Projekte wie »Lesestart« oder »Lesen macht stark« im Kinder- und Jugendbereich. Wie sehen die interkulturellen

Angebote mit internationalen Medien und fremdsprachigen Ti-teln aus? Wie unterstützt die Bibliothek zum Beispiel konkret die Arbeit in Kindergärten und Schulen, unter anderem durch Sprachförderung, Unterrichtsfach Medienbildung et cetera?

Zahlen und Zusammenhänge

Spannende Zahlen und Zusammenhänge ließen sich zuhauf finden, zum Beispiel die durchschnittliche Zahl der Entleihun-gen oder Bibliotheken als meist besuchte (Kultur-)Einrichtun-gen Deutschlands im Vergleich zu Fußballstadien. Die Frage nach dem vermutlich längsten Namen eines Ausbildungsberufs in Deutschland (»Fachangestellte(r) für Medien- und Informa-tionsdienste / Fachrichtung Bibliothek«) kann zum Beispiel in die Vorstellung der unterschiedlichen Berufsbilder eingebettet werden.

Ein Abriss deutscher Bibliotheksgeschichte beziehungsweise der Bibliothek vor Ort sowie auch vergleichend der Angebote von Bibliotheken im Ausland würden eine »transparente Bib-liothek« abrunden. Interessant ist auch die Frage, wie sich Auf-gaben wie Leseförderung, Vermittlung von Medien- und Infor-mationskompetenz bibliothekspädagogisch aufbereiten ließen.

Wünschenswert wäre natürlich, nicht nur Räumlich-keiten zur Begehung zu gestalten, sondern diese auch

Der Norddeutsche Rundfunk hat über das transparente Museum berichtet. Das Video hierzu finden Sie in der BuB-App.

Ein Ausstellungsraum der Hamburger Kunsthalle zum Thema »Bewahren - Künstlerrahmen« mit Max Liebermanns entrahmtem Gemälde »Die

Birkenallee im Wannseegarten nach Westen« von 1918.

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LESESAAL PRAXIS

handlungsorientiert mit Veranstaltungen und Aktionen zu ver-binden, zum Beispiel mit einer Themenkiste zum Anschauen und Staunen über die Medienvielfalt, Themen und unter-schiedliche Aufbereitungs- und Präsentationsformen auf dem Medienmarkt.

Alte Klassiker wie Buchworkshops und Reparaturwerkstät-ten könnten genauso ihr Publikum finden wie Schreibaktivitä-ten und Aktivitäten mit Comic-Apps oder Mangakurse für Jung und Alt. Es können Formate wie Elternabend oder Fortbildun-gen vorgestellt und mit den weiteren Veranstaltungsangeboten der Bibliothek verknüpft werden.

Interaktion und eigenes Erfahren

Von Bedeutung sind Interaktion und eigenes Erfahren, um ei-nen Perspektivwechsel und eine Begegnung auf Augenhöhe mit alten und neuen Nutzern der Bibliothek zu ermöglichen. Wich-tig erscheint das Aufzeigen des Spektrums von den traditio-nellen Aufgaben bis hin zu den aktuellen Entwicklungen und Trends in Bibliotheken. Und: Wie stellen sich die Menschen in meiner Stadt die Bibliothek der Zukunft vor? Sinnvoll wäre die stetige Reflexion und Anpassung des Konzepts, auch im Aus-tausch mit den Besuchern. Ideen gibt es sicherlich genug und sind an dieser Stelle nur angerissen.

Natürlich würde es bei der Berücksichtigung einer gläsernen Bibliothek als Dauereinrich-tung auf den ersten Blick in einer Bibliothek weniger Platz als Lernort oder Treffpunkt geben. Schließlich ist die Fläche oftmals rar und es wird um jeden Zentimeter gekämpft.

Grundsätzlich ist der Ansatz einer gläsernen Einrichtung wahr-scheinlich nicht neu, dennoch der Verfasserin in einer (deut-schen) Bibliothek nicht bekannt. Lohnenswert ist sicherlich das Ansinnen, die eigene Arbeit für Außenstehende transparenter und verständlicher zu machen.

Kompetenzen in Bibliothekspädagogik

Es wäre auch die Möglichkeit, die eigene professionelle Ar-beit und erprobte Kompetenzen in Sachen Bibliothekspäda-gogik konkreter und konsequenter dauerhaft ins Blickfeld zu rücken – für Kunden, Partner sowie Geldgeber. Im Gegensatz zur Bücherei ist das in anderen Kultureinrichtungen wie The-atern oder Museen ein völlig selbstverständliches Arbeitsfeld. Vielleicht ließen sich die Hamburger Aktivitäten mittelfristig auf Bibliotheken übertragen. Neu- und Umbauten der letzten Jahre (Stuttgart, Hanau und so weiter) stimmen optimistisch, dass nicht nur Gebäude gebaut, sondern auch Neupositionie-rungen möglich gemacht werden und gewisse Spielräume vor-handen sein können.

Natürlich würde es bei einer Berücksichtigung von einer gläsernen Bibliothek als Dauereinrichtung auf den ersten Blick in einer Bibliothek weniger Platz als Lernort oder Treffpunkt geben. Schließlich ist die Fläche oftmals rar und es wird um je-den Zentimeter gekämpft. Dennoch wäre eine transparente Bi-bliothek eine gute Chance, über die Aufgaben zu informieren und zu diskutieren, aufzuklären und sich als Begleiter und Un-terstützer im Alltag der Menschen zu präsentieren. Sie würde das Profil der Bibliothek als Bildungs-, Kultur- und Freizeitein-richtung (je nach Bibliothekstyp und Aufgabe) stärken. Ver-bunden mit der Hoffnung, dass die Wertschätzung in der Be-völkerung steigt und Bibliotheken mit ihren vielfältigen Ange-boten begeistern können.

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Die Autorin Andrea Kasper ist Di-plom-Bibliothekarin. Sie leitet die Kinderbücherei und den Ju-gendbereichs 12+ der Stadtbü-cherei Heidelberg. – Kontakt: [email protected]

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MAGAZIN FACHLITERATUR

Handbuch Museum: Geschichte, Auf-gaben, Perspektiven / Markus Walz (Herausgeber). Stuttgart: J B Metz-ler, 2016. 432 Seiten ISBN 978-3-476-02376-6 – Gebunden, 69,95 Euro

Jetzt sind wirklich alle drei Handbücher der Gedächtnisinstitutionen, die der Metzler-Verlag initiiert hat, erschienen. Den Anfang machte 2012 das Hand-buch Bibliothek1. Nach einer ziemlichen Pause kam im Frühjahr 2016 das Hand-buch Archiv2, das thematisch enger ge-fasst ist als die beiden anderen, und jetzt liegt das Handbuch Museum vor. Der Herausgeber lehrt Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Ihm ist mit einem Auto-renteam von rund 65 Experten ein gro-ßer Wurf gelungen.

Begriffsgeschichtlicher Abriss zu Anfang

Das Handbuch umfasst das ganze Spek-trum museumsbezogener Themen. Die Einleitung bietet einen naturgemäß kursorischen Literaturbericht über ein-schlägige Handbücher international und stellt dann fest: »Das derzeitige Publika-tionsumfeld lässt genügend Raum für das vorliegende Handbuch…« (S. 2). Am Anfang stehen nicht museologische Theorien, sondern ein begriffsgeschicht-licher Abriss, denn der Begriff Museum

unterlag stärkeren Wandlungen als die Begriffe Archiv und Bibliothek. Die fol-genden theoretischen Abschnitte grei-fen unausweichlich auf kulturtheoreti-sche Ansätze von Roland Barthes und Pierre Bourdieu, letztlich auf Ferdin-and de Saussure und die Semiotik zu-rück, wenn es um die Frage geht, ob den Musealien ihre Bedeutung per se inne-wohnt oder ob es sich um eine arbiträre Zuschreibung handelt.

In vielen Disziplinen redet man über Museen, aber nur zu oft höchst einseitig und lückenhaft.

Im bäuerlichen Haushalt des 19. Jahr-hunderts ist diese Kanne da nichts als ein Gefäß zum Aufbewahren von Milch – heute im Bauernhausmuseum steht die Milchkanne in einem anderen Kontext und was bedeutet sie da? Sie verweist immer noch auf ihre einstige Funktion, steht aber auch in anderen Bedeutungs-bezügen, z.B. wenn ihre Bauch- und Henkelform mit vorzeitlichen Kannen verglichen wird. Die kulturtheoretischen Avancen bleiben aber nicht abstrakt-all-gemein, sondern werden auf museale Zusammenhänge bezogen. Hans Pe-ter Hahn (Universität Frankfurt a.M.) nimmt sozusagen eine mittlere Linie ein, wenn er von Musealien als unscharfen

Das ganze Spektrum museumbezogener Themen

Handbuch-Reihe zu Gedächtnisinstitutionen ist abgeschlossen

Anschrift des Rezensenten: Prof. Dr. Konrad Umlauf, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Bibliotheks- und Informationswis-senschaft, Dorotheenstraße 26, 10117 Berlin; [email protected]

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MAGAZIN FACHLITERATUR

Zeichen spricht, die »an sich« nicht be-deutungslos sind, aber auch erst durch Kontext und Untersuchung, letztlich auch durch die Museumsbesucher einen weiten Bedeutungshorizont erlangen.

Thematisch geht es weiter mit Muse-umsgeschichte, Museumstypen und ih-rer Besonderheiten (sogar Parks und Ar-totheken werden behandelt) und vor al-lem mit Kapiteln über die Kernaufgaben von Museen: Sammeln, Dokumentieren (Bibliothekare würden hier von Erschlie-ßung sprechen; es geht aber auch um virtuelle Museen), Forschen, Bewahren, Ausstellen und schließlich Vermitteln.

Es folgen Kapitel über Museum und Gesellschaft (Funktionen von Museen, Museen in der öffentlichen Wahrneh-mung und aus Sicht der Besucher, staat-liches Engagement für Museen, Muse-umsgebäude, Verbände u.a.m.), über die Ökonomie des Museums (Leistungsmes-sung, Zertifizierung, Museen als Markt) und schließlich über Museen in Sicht der Wissenschaft (Museologie als Diszi-plin mit divergierenden Ansätzen, Mu-seen als Forschungsgegenstand anderer Disziplinen und – sehr spannend – mu-seologische Kenntnisstände in der Hoch-schullehre: In vielen Disziplinen redet man über Museen, in der Ethnologie, der Geschichtswissenschaft oder der Kunst-wissenschaft, aber nur zu oft, so Markus Walz, höchst einseitig und lückenhaft.

Öffentlichkeitsarbeit fehlt – und wird anders behandelt

Für Bibliothekare am interessantesten sind zwei Aspekte: Das Kapitel über Par-tizipation und das Fehlen eines Kapitels über Öffentlichkeitsarbeit. Das Kapitel über Partizipation von Léontine Mei-jer-van Mensch (stellvertretende Lei-terin des Museums Europäische Kultu-ren, Staatliche Museen zu Berlin) lässt sich gar nicht erst auf berufsständische Debatten über Ehrenamtliche versus Hauptamtliche ein, wie der bibliotheka-rische Diskurs geführt wurde. Vielmehr heißt es: »Das aktuelle Konzept der Par-tizipation umfasst mehr als nur Beteili-gung; es geht um den Inhalt – den von interessierten Institutionsexternen er-stellten Inhalt« (S. 329).

Das Kapitel blättert das Spektrum der Partizipation von freiwilligen Aufsichts-kräften – das entspricht noch der bisher in deutschen Bibliotheken sehr restrik-tiven Praxis – bis zu Kuratoren auf, die sich Facilitatoren oder Liaison Officers nennen und nicht mehr ein Museum be-treiben, sondern bürgerschaftlichen Ge-meinschaften als Berater für selbstorga-nisierte Projekte des kulturellen Erbes zur Verfügung stehen. Vergleichbare Ansätze im bibliothekarischen Kontext – etwa die minibib der Stadtbibliothek Köln3 – blieben in Deutschland margi-nal: Die Benutzer können ohne Verbu-chung ausleihen und werden gebeten, das Leihgut, das aus Buchgeschenken der Bevölkerung besteht, nach 14 Tagen zurückzustellen. Betreut wird diese Ver-trauensbibliothek, die sich auf Vorbilder aus dem Buchhandel und den Kirchen berufen könnte, von Freiwilligen.

Für das Handbuch hätte man sich freilich gewünscht, dass in diesem Zu-sammenhang Fragen ethischer und po-litischer Standards nicht nur angespro-chen, sondern erörtert werden, etwa wenn derartige Beratungs- und Organi-sationsdienstleistungen aus einer identi-tären Bewegung heraus in Anspruch ge-nommen werden sollen. Das Fehlen ei-nes Kapitels über Öffentlichkeitsarbeit erklärt sich dadurch, dass das Hand-buch auf das unklare Konzept der Öf-fentlichkeitsarbeit, wie es im bibliothe-karischen Kontext üblich ist, verzichtet. Es unterscheidet klar zwischen Lobbyis-mus, dargestellt im einschlägigen Kapi-tel von Hans Lochmann (Leiter der Ge-schäftsstelle des Museumsverbandes für Niedersachsen und Bremen), kultureller Programmarbeit in verschiedenen Facet-ten und museumspädagogischer Arbeit.

Erschließung

Ergiebig aus bibliothekarischer Sicht sind ferner die Kapitel über die Erschlie-ßung der Musealien. Markus Walz refe-riert Theorien der Erschließung, die um die Frage kreisen, woher Musealien Be-deutung erlangen: Steckt sie in ihnen? Oder kommt sie aus dem Kontext des Museums? Oder konstituieren die Be-sucher eigene Bedeutungen? In dem

Maß, in dem Bibliothekare nicht-textu-elle Materialien wie digitale Architek-turmodelle, Fotos oder Filme erschlie-ßen, müssen sie sich mit derlei Fragen befassen, weil sie hier nicht mehr ein-fach Wörter aus der Vorlage überneh-men und in die passenden Datenbank-felder einfüllen können.

Theorien der Erschließung kreisen um die Frage, woher Musealien Bedeutung erlangen.

Positiv hervorgehoben werden sol-len auch die Kapitel Dorothee Haffners (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin) über Standardisierung der Er-schließungsdaten, über Metadaten und Open Access. Die Autorin äußert aus Museumssicht Interesse an RDA und be-tont, dass Ausgangspunkt für RDA das Conceptual Reference Model war, das aus dem Museumswesen kommt. Und sie schreibt (S. 191): »Der Schritt hin zur redaktionellen Mitarbeit der Museen an der GND wäre wünschenswert.« Die Mu-seumsfachleute haben den Wert stan-dardisierter Vokabulare statt Insellösun-gen für die Erschließung erkannt.

Sehr vereinzelte und immer nur punktuelle Ungeschicklichkeiten (z.B. S. 195: »rechtefreie« Daten; gemeint sind im Sinn des Urheberrechtsgesetzes gemeinfreie Daten) fallen nicht ins Ge-wicht. Die Ausstattung (Einband, Papier, Abbildungen, Layout, Schrift) sind der gute Standard, für den der Metzler-Ver-lag bekannt ist.

Konrad Umlauf

1 Handbuch Bibliothek: Geschichte, Aufga-ben, Perspektiven / herausgegeben von Konrad Umlauf und Stefan Gradmann. Stuttgart; Weimar: Metzler 2012.

2 Handbuch Archiv: Geschichte, Aufgaben, Perspektiven / herausgegeben von Mar-cel Lepper und Ulrich Raulff. Stuttgart: Metzler 2016.

3 Petzold (2010), Judith: Gefragtes Bücher-büdchen im Park: Niederschwellig und unkompliziert: Die Kölner minibib setzt auf das Vertrauen der Ausleiher. In: BuB - Forum Bibliothek und Information 62, Nr. 1, S. 10 – 11.

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MAGAZIN FACHLITERATUR

40 Jahre Lektoratskooperation: Ge-schichte, Facetten und Zukunft ei-ner Idee / Haike Meinhardt; Andreas Mittrowann; Frank Seeger (Herausge-ber). [Reutlingen]: ekz.bibliotheks-service GmbH, 2016. 328 Seiten: Il-lustrationen und Diagramme. ISBN 978-3-95608-001-2 (falsch) – Bro-schiert, 19,90 Euro [Bezug nur über den ekz-Medienshop, ekz-Mediennr. 4855490]

Wissenschaftliche Bibliothekare wer-den sich hierüber wundern: Ein jahr-zehntelanges Kooperationsprodukt, ge-tragen von mehreren Partnern, eine so genannte »public private partnership«, aber bereits aus den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, die ohne Fremd-finanzierung auskommt. Wie mag das funktionieren? Dieses Werk erläutert es. Es ist zur Hälfte gefüllt mit geschicht-licher Aufarbeitung aus unterschiedli-cher Perspektive, die andere Hälfte ent-hält Schilderungen und Statements von Akteuren. Es handelt sich um keine Fest-schrift im eigentlichen Sinne, sondern um die unterschiedlichsten Perspekti-ven auf das Thema. Das Wort »Facetten« im Untertitel trifft es gut.

Der erste Beitrag von Haike Mein-hardt, TH Köln, umfasst neunzig Seiten und greift weit zurück in die (Erwer-bungs-)Geschichte der Öffentlichen Bi-bliotheken. Es ist ein illustrierter Aufsatz

mit wissenschaftlichem Apparat, der ei-nen großen Bogen spannt, der dann durch mehrere weitere Beiträge in ver-schiedener Hinsicht ergänzt wird, bei-spielsweise von Birgit Dankert, die kri-tische Anmerkungen, zum Teil aus eige-nem Erleben, beisteuert, ebenso Ronald Schneider zur Krise in den Achtzigerjah-ren des vorigen Jahrhunderts. So ist eine übergeordnete Perspektive, aber auch die Akteurssicht (bezüglich AV-Medien, Wiedervereinigung und einer spezifi-schen Bibliothek) gegeben.

Dem schließen sich dann interne Perspektiven an. Das Modell des »pub-lic private partnership« wird näher er-läutert – notwendigerweise ein nach-geschobener Begriff, offensichtlich haben die Partner BIB, dbv und ekz da-mals etwas erfunden, was so in der Be-triebswirtschaft noch nicht thematisiert wurde. Die planenden und rezensieren-den Akteure werden geschildert, die vom dbv gestellten »Institutslektoren«, die vom BIB akquirierten »Rezensenten« und Vertreter aus dem ekz-Lektorat, de-ren einer auch die Geschäftsführung der »Leko« übernimmt.1

Ein weiterer Teil behandelt externe Perspektiven, beispielsweise geben Andreas Mittrowann und Frank Seeger einen Überblick über internationale Lek-toratsdienste und Beate Hörning behan-delt eingehender die Situation in den USA. Sie fasst denn auch auf Seite 278

Mehr als eine Festschrift Eine erfolgreiche Kooperation wird vorgestellt

Anschrift des Rezensenten: Dr. Jürgen Plieninger, c/o Institut für Politikwissenschaft, Bibliothek, Melanchthonstr. 36, 72074 Tübin-gen, [email protected].

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MAGAZIN NEUE FACHLITERATUR

zusammen, dass die Erwerbungsbiblio-thekare von ÖBs eine komfortable Posi-tion haben, »(…) gleichzeitig ein Markt-sichtungsinstrument, einen bibliotheka-rischen Besprechungsdienst sowie einen Medienlieferanten zur Verfügung zu haben«.

Schlussendlich geht es dann um fachliche Aspekte und hier ist das High-light der Aufsatz von Konrad Umlauf über die »Leko« aus betriebswirtschaft-licher Perspektive. Er beziffert auf Seite 296 den Wert der Lektoratskooopera-tion auf zwei Millionen Euro und kons-tatiert einen erheblichen Kostenvorteil, wenn die Dienste als Basis für Fremd-dienstleistungen eingesetzt werden: Eine Erwerbung als ausleihfertig bezo-gene Standing-Order-Einheit verursache 7,39 Euro weniger Kosten als eine Eige-nerwerbung und -bearbeitung. Der Un-terschied zu buchhändlerischen Appro-val-Plans liege zudem in der bibliotheka-risch-professionellen Auswahl.

Letzteres – das an verschiedenen Stellen thematisiert wird – ist ein wich-tiger Mehrwert, der auch gegen Kritik, etwa in der Beteiligung der ekz als mitt-lerweile privater Firma an der Koopera-tion oder gegen Monita, die Rezensio-nen dauerten zu lang, ins Feld geführt werden kann. Eine Frage, die man stel-len könnte, wäre zum Beispiel die nach dem Nutzen für die ekz.bibliotheksser-vice GmbH ... Was wäre sonst an dieser materialreichen Aufarbeitung der Ko-operation zu kritisieren? Das Thema Zu-kunft kommt trotz Nennung im Unterti-tel zu kurz, beispielsweise wird die Frage einer freien und elektronischen Verbrei-tung (Stichwort: open access) nicht auf-geworfen, die es kleinen Bibliotheken mit wenig Etat erlauben würde, auf die Ergebnisse zuzugreifen. Die »checks and balances« sind fein austariert und sollen nicht ins Ungleichgewicht kom-men. Aber abgesehen davon: Es handelt sich um eine materialreiche, runde Ver-öffentlichung, in welcher man gerne stö-bert und sich unweigerlich festliest!

Jürgen Plieninger

1 Beim BIB ist übrigens auch die Homepage der Leko zu finden: http://www.bib-info.de/verband/leko.html.

Neue Fachliteratur

Allan, Barbara: Emerging Strategies for Supporting Student Learning: A Practical Guide for Librarians and Educators. London: Facet Publishing, 2016. 192 Seiten. ISBN 978-1-78330-070-9 – Paperback, GBP 49,95. Auch als E-Book erhältlich

Dewosch, Nicola: Partizipation in Bibliotheken: Ein Blick auf Projekte im In- und Ausland. Stuttgart: Hochschule der Medien, FB 3: Information und Kommunika-tion / Bibliotheks- und Informationsmanagement, Bachelorarbeit, 2016. 89 Sei-ten. – Verfügbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:900-opus4-58622

Knoll, Anna: Kompetenzen von Information Professionals in Unternehmen. Ber-lin: Simon Verlag für Bibliothekswissen, 2016. 168 Seiten. ISBN 978-3-945610-34-3 – Softcover, 15,– Euro

Konkiel, Stacy; Madjarevic, Natalia; Rees, Army: Altmetrics for Librarians: 100+ tips, tricks, and examples. London: Altmetric, 2016. 81 Seiten. – Online unter: http://dx.doi.org/10.6084/m9.figshare.3749838

Lexikon der Medien- und Buchwissenschaft / Thomas Keiderling (Herausgeber). Stuttgart: Hiersemann. – 1. Teilband: A–F. 2016. VI, 293 Seiten. (Bibliothek des Buchwesens; 26) ISBN 978-3-7772-1627-0 – Pappeinband, 98,– Euro Subskrip-tionspreis (bis. 28.02.2017), danach 122,– Euro. Auch als E-Book erhältlich

Schade, Frauke: Praxishandbuch Digitale Bibliotheksdienstleistungen: Strate-gie und Technik der Markenkommunikation. Berlin (u.a.): De Gruyter Saur, 2016. XVII, 435 Seiten: Illustrationen. (De Gruyter Reference) ISBN 978-3-11-034648-0 – Gebunden, 99,95 Euro. Auch als E-Book erhältlich

Stang, Richard: Lernwelten im Wandel: Entwicklungen und Anforderungen bei der Gestaltung zukünftiger Lernumgebungen. Berlin (u.a.): De Gruyter Saur, 2016. XIII, 243 Seiten. (Lernwelten) ISBN 978-3-11-037933-4 – Gebunden, 99,95 Euro. Auch als E-Book erhältlich

Stummeyer, Sabine: Open Educational Resources (OER). Aktuelle Entwicklungen und neue Herausforderungen für Bibliotheken im Zusammenhang mit dem Zu-gang von Flüchtlingen an deutsche Hochschulen. Hannover, Hochschule Han-nover, Fakultät III – Medien, Information und Design, Abteilung Information und Kommunikation. 2016. 21 Seiten. (Digitale Bibliothek - Offene Wissenschaft; 3) – Online verfügbar unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:960-opus4-8679

Die vorwissenschaftliche Arbeit im Fokus österreichischer Bibliotheken / Her-ausgegeben von Markus Feigel ... Wien: BVÖ; KRIBIBI; VÖB; Bundeskoordinati-onsstelle Literacy, [2016]. 262 Seiten. – Online verfügbar unter: http://kribibi.at/images/publikation_vorwissenschaftliche_arbeit_bibliotheken_2015.pdf

What do we lose when we lose a library?: Proceedings of the conference held at the KU Leuven 9-11 September 2015; Conference organized by KU Leuven, UC Louvain, the Goethe Institut and the British Council / Conference Chair: Lieve Watteeuw; Proceedings Editor: Mel Collier. Leuven: University Library, KU Leuven, 2016. 222 Seiten: Illustrationen. ISBN 978 94 6165 199 0 – Online unter: http://depot.lias.be/delivery/DeliveryManagerServlet?dps_pid=IE7828796

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Den richtigen Ton treffen BIB-Sommerkurs 2016: Kompetent in Schulungen, Besprechungen und Präsentation

Kommunikation und Didaktik wa-ren die Themen des diesjährigen BIB-Sommerkurses. Moderation von Besprechungen, Präsentieren, Spre-chen vor anderen, den eigenen Stand-punkt vertreten und wie bereite ich meine Inhalte didaktisch sinnvoll auf: Kompetenzen, die in der heutigen Ar-beitswelt immer wichtiger werden. So war der fünftägige Sommerkurs schnell ausgebucht.

Ende August trafen sich 14 Teilneh-merInnen und die beiden Organisato-ren aus der Fortbildungskommission des BIB, Jens Winalke (Bibliothek der Ev. Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe, Bochum) und Thekla Heßler (Universi-tätsbibliothek Johann Christian Sen-ckenberg, Frankfurt), im beschaulichen Höchst im Odenwald. Die TeilnehmerIn-nen hatten sich aus ganz Deutschland und bis aus Rom eingefunden und ka-men aus den verschiedensten Einrich-tungen, Öffentlichen und Wissenschaft-lichen Bibliotheken, Spezialbibliothe-ken und aus einer Kanzleibibliothek.

Schon am Kennenlernabend mit gemeinsamem Essen im Tagungshaus Kloster Höchst und anschließendem

Abendspaziergang vorbei an der dörf-lichen Kirchweih mit seinem eigenen Charme merkten alle schnell, dass hier eine sehr harmonische Gruppe zusam-mengefunden hatte.

Wilfried Sühl-Strohmenger, Wis-senschaftlicher Bibliothekar und Er-ziehungswissenschaftler, stieg mit uns Montagmorgen in die Grundlagen der Didaktik ein. Er stellte verschiedene für Bibliotheksführungen und Einführungs-veranstaltungen hilfreiche Lehrstrate-gien und -methoden vor.

Die folgenden drei Tage standen ganz unter der Thema Kommunikation. Theoretische Grundlagen wechselten sich mit praktischen Übungen ab. Re-ferentin war Christiane Brockerhoff, sie ist freiberufliche Trainerin und bestens mit der Bibliothekswelt vertraut. In ver-schiedenen Rollenspielen und in freier Rede probten die TeilnehmerInnen, vor der Kamera das neu Gelernte anzuwen-den. Zwischendurch streute Brockerhoff Übungen zur Stimmbildung ein.

Für die Abende war auch ein kleines Programm vorbereitet, ein abendlicher Spaziergang durch den nahegelegenen Wald mit Stimmübungen sowie gemein-sames Grillen im Klosterhof. Die Küche

des Tagungshauses hatte uns hierfür das Grillgut und leckere Salate vorbereitet. Zwischendurch konnte auf dem großen Gelände des Klosters Federball oder Tischtennis gespielt werden oder aber man konnte sich im Spielzimmer an Bil-lard versuchen.

Am letzten gemeinsamen Abend stand der Besuch des mittelalterlichen Städtchens Michelstadt im Odenwald auf dem Programm. Kompetent und schlagfertig wusste die Gästeführerin Anje Vollmer manche Anekdote zu er-zählen. Den Abend ließen die Teilneh-merInnen bei hochsommerlichen Tem-peraturen und bester Stimmung im Mi-chelstädter Rathausbräu ausklingen.

Am Freitag zum Abschluss waren die verschiedenen Präsentationspro-gramme Thema. Jens Winalke gab ei-nen Überblick über die verschiedenen Programme, deren jeweilige Vorzüge und ihre Anwendung und Tipps für die Gestaltung einer Präsentation.

Fazit der TeilnehmerInnen nach fünf intensiven gemeinsamen Tagen: Dies war nicht ihr letzter BIB-Sommerkurs… sie kommen wieder!

Thekla Heßler, Fortbildungs- kommission des BIB

AUS DEM BERUFSVERBAND FORTBILDUNG

Die begeisterten TeilnehmerInnen des BIB-Sommerkurses in Höchst im Odenwald. Foto: Thekla Heßler

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VorgeMERKT

Eine etwas andere WeihnachtsgeschichteDie Weihnachtsgeschichte mit den Herdmanns hat mich dazu ermutigt, mich dem klassischen Sujet einmal an-ders zu nähern, selbstverständlich in Kenntnis und Tra-dition des Weihnachtsevangeliums nach Lukas.

Es begab sich im zwölften Jahr der Herrschaft einer deut-schen Bundeskanzlerin, als die bayerischen CSU-Sektierer nicht mehr daran glauben wollten, dass auch übernatürli-che Herausforderungen zu schaffen seien. Da machte sich in Berlin Neukölln ein junger Schreinergeselle mit Migrations-hintergrund – namens Yusuf – mit seiner Lebensabschnitts-gefährtin Miriam auf den Weg, sich im goldenen Westen der Republik nach einer neuen Arbeits- und Wohnstätte umzu-sehen. In Berlin gab es einfach zu viele Hartz-IV-Empfänger, während in den alten Bundesländern verlockende Arbeits-angebote eine Aussicht auf ein besseres Leben versprachen.

Miriam – übrigens – war im neunten Monat schwanger und trug das Produkt einer rauschenden Liebesnacht unter ihrem Herzen. Selbstverständlich wusste Yusuf nichts da-von, hätte es ihn doch in rasender Eifersucht von seiner Ab-sicht abgehalten, seine langjährige Schulfreundin möglichst bald zu ehelichen. Miriam war nach dem Genuss mehrerer Bloody Marys eine engelhafte Gestalt im Traum erschienen und hatte ihr die Geburt eines zukünftigen Friedensnobel-preisträgers in Aussicht gestellt. Und gerade zu diesem Zeit-punkt hatte Yusuf seinen Job verloren und dann hatte auch noch ein geldsüchtiger Mietwucherer das junge Pärchen auf die Straße setzen lassen.

Wo aber sollten die beiden nun hin? Eine Reise mit dem Erfolgs-unternehmen Bahn wäre zu teuer. Die Eröffnung des neuen Großstadtflughafens auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Für Menschen mit kleinem Portemonnaie gab es seit geraumer die Möglichkeit, mit Fernbussen zahlreiche Ziele zu fairen Preisen zu erreichen. Ein Stern hatte ihnen den Weg gewiesen und so nahm die zukünftige junge Fami-lie einen Bus nach Stuttgart, in bester Gesellschaft von zahl-reichen Protesttouristen.

Im Schwabenländle in Untertürkheim angekommen machte sich der Ernährer der Familie Yusuf sofort auf, eine passende Unterkunft zu finden, insbesondere weil sich bei Miriam aufgrund der schlechten Straßenverhältnisse in der gesamten Republik bereits erste Wehen abzeichneten. Mangels passender Sprachkenntnisse konnte Yusuf keinen geeigneten Wohnraum auftun, sodass die beiden mit der S-Bahn zurück nach Stuttgart fuhren. Wie gut, dass zu je-ner Zeit keine Fahrkartenkontrollen stattfanden, hatten sie doch auf den Erwerb einer gültigen Fahrberechtigungskarte verzichtet.

Am Stuttgarter Hauptbahnhof angekommen, hätte eine Zeltstätte im grünen Schlossgarten als alternative Unter-kunft herhalten können, wäre der gesamte Park nicht vol-ler Baumaschinen gewesen. Doch auch hier sollte ein Hin-weisschild ihnen den Weg zu einer Unterkunft weisen, nicht auf den Berg Golgotha, sondern am Mailänder Platz. Dort überragte der Kubus der neuen Stadtbibliothek die anderen Neubauten und lud Yusuf und Miriam zum Besuch der Bib-liothek ein. Im Bereich der Kinderbibliothek fanden die bei-den eine gute Möglichkeit, die Niederkunft abzuwarten, in bester Unterstützung durch Ratgeberliteratur für werdende Mütter und Väter.

Kurz vor Schließung der Bibliothek um Mitter-nacht erreichten die Wehen ihren Höhepunkt.

Und ehe sich das Bibliothekspersonal versah, wimmelte es in der Bibliothek nur so von Tieren und auch eine illustre Karnevalsgesellschaft mit einem bunten Dreigestirn leistete der jungen schwangeren Frau und ihrem Aufpasser beste Gesellschaft. Kurz vor Schließung der Bibliothek um Mitter-nacht erreichten die Wehen ihren Höhepunkt und ein klei-ner Knabe erblickte das Licht der Welt und brüllte aus Leibes-kräften, sehr zum Missfallen anwesender Latenight-Biblio-theksbenutzer. Das Dreigestirn überreichte den glücklichen Eltern einen Essensgutschein für McDonald‘s, Betreuungs-geld für die ersten Jahre bis zur Kinderkommunion des klei-nen Erdenbürgers sowie ein Ticket für eine Reise nach Ägyp-ten oder ins gelobte Land, wo Milch und Honig fließen. Im-merhin sollte der Kleine im Jordan getauft werden, ganz nach dem Vorbild des Messias.

Auf allen Fernsehkanälen gab es zahlreiche Berichter-stattungen über die Geburt dieses besonderen Kindes, unter denen die Doku »Jesus lebt« bei RTL hier besondere Erwäh-nung finden sollte. Die Patenschaft über das neugeborene Kind übernahmen der amtierende Bundespräsident Gauck und die Grand Dame der deutschen Frauenbewegung Alice Schwarzer. Eine angebotene lebenslange Mitgliedschaft in der Partei bibeltreuer Christen haben die jungen Eltern ka-tegorisch ausgeschlossen.

Was übrigens aus dem Knaben geworden ist, verraten ih-nen die zahlreichen Jesus-Biografien, die den Buchmarkt nur so bevölkern. Oder schauen Sie sich an Weihnachten doch einfach mal den Film »Jesus liebt mich« an und verzichten auf die tausendste Ausstrahlung von »Drei Nüsse für Aschen-brödel« oder »Der kleine Lord«.

Frank Merken, Stadtbücherei Wipperfürth

AUS DEM BERUFSVERBAND VORGEMERKT

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Landesgruppe Baden-Württemberg

Die Stereotypen im eigenen Kopf Landesgruppe Baden-Württemberg des BIB veranstaltet Workshop zur interkulturellen Kompetenz an der Pädagogischen Hochschule in Schwäbisch Gmünd

Interkulturelle Kompetenz im Benut-zungsbereich einer Bibliothek: Unter dieser Überschrift hat die BIB-Lan-desgruppe Baden-Württemberg im Oktober zu einem Workshop an die Pädagogische Hochschule in Schwä-bisch Gmünd geladen. Der Einladung sind zehn Kolleginnen aus verschiede-nen Benutzungsbereichen (Ausleih- theke, Führungsteam, Kinderbiblio-thek et cetera) aus Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken ge-folgt. Somit ergab sich eine bunt ge-mischte, interessierte und kommuni-kative Gruppe, mit der die Referentin und zertifizierte Trainerin für Inter-kulturelle Kompetenz Kirsten Timme (Kontakt: http://ktimme.de) sehr gut arbeiten konnte.

Für die Tätigkeit im Benut-zungsbereich auch auf-schlussreich waren die verschiedenen Kulturdimen-sionen, wie zum Beispiel das Kommunikationsverhalten oder das Zeitverständnis.

Der Einstieg in den Workshop hat schon gleich zu Anfang erstaunt: Die Aufgabe bestand darin, verschiedene Begrü-ßungsrituale stumm (!) durchzuführen. Dabei konnten die Teilnehmer feststel-len, wie viele zum Teil befremdliche und nicht leicht zu durchschauende Begrü-ßungsformen es weltweit gibt.

Was ist Kultur

Und dieser Einstieg hat auch zum ei-gentlichen Thema übergeleitet: Was ist Kultur? Was macht unsere eigene Kul-tur aus? Wie viel unserer Kultur sehen »Fremde« an der Spitze des Eisberges und wie viel ist unsichtbar unter der Wasseroberfläche verborgen? Wie defi-niert sich Fremdheit? Welche Stereoty-pen hat man von verschiedenen Völkern im Kopf?

All diese Fragen wurden immer wie-der durch kleine Aufgaben mit oftmals erstaunlichen Ergebnissen verdeut-licht. Für die Tätigkeit im Benutzungs-bereich auch aufschlussreich waren die verschiedenen Kulturdimensionen, wie zum Beispiel das Kommunikati-onsverhalten, das Zeitverständnis und das Verhältnis zu Macht beziehungs-weise Autorität in anderen, fremden Kulturen.

Was ist Kultur? Was macht unsere eigene Kultur aus? Wie viel unserer Kultur sehen »Fremde« an der Spitze des Eisberges und wie viel ist unsichtbar unter der Was-seroberfläche verborgen?

Im Anschluss an den Workshop in Schwäbisch Gmünd haben einige Kol-leginnen noch die Gelegenheit genutzt und sich in einer kurzen Bibliotheks-führung mit den Örtlichkeiten der

Bibliothek der Pädagogischen Hoch-schule vertraut gemacht.

Heike Heinisch, BIB-Landesgruppe Baden-Württemberg

AUS DEM BERUFSVERBAND LANDESGRUPPEN

Impressum »Aus dem Berufsverband«

Herausgeber: BIB – Berufsver-band Information Bibliothek e. V., Postfach 13 24, 72703 Reutlingen www.bib-info.de

Bearbeitung:

Katrin Lück Europa-Institut / Bibliothek Universi-tät des Saarlandes Postfach 15115066041 SaarbrückenTelefon: 0681 / 302-2543

Karin Holste-Flinspach c/o StauffenbergschuleArnsburger Straße 4460385 Frankfurt/MainTelefon: 069 / 21246841

E-Mail: [email protected]

Redaktionsschluss für VerbandsmitteilungenBuB Heft 2-3/2017: 4. Januar 2017

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Die BuB-App – ein Service für MitgliederSeit Juli gibt es BuB auch als digi-tale App. Grundlage ist das gedruckte Heft, das in der App vollständig ver-fügbar ist. Einige Nachrichten gehen seither neue Wege: in Form von Vi-deos, Audioaufzeichnungen oder Fo-togalerien. Für BIB-Mitglieder ist der Service kostenfrei – einfach App in- stallieren und die gewünschten Aus-gaben laden.

Installation der App

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*Kd.Nr. 123456*Herr Peter Mustermann Bismarkstr. 7800000 Musterstadt

Zeit für gute Gespräche Die New Professionals auf der Frankfurter Buchmesse

Auf der Buchmesse in Frankfurt am Main tummeln sich nicht nur zahlreiche Autoren, Illustratoren und weitere Per-sonen aus der Buch-, Medien-und Ver-lagsbranche, auch viele Personen aus dem bibliotheks- und informationswis-senschaftlichen Bereich zählen zu den Besuchern der Frankfurter Buchmesse. Erste Anlaufstelle für viele ist der BIB-Stand, auch weil dort die begehrten Gutscheinhefte für Bibliotheksmitar-beiter*innen und Buchhändler*innen abgeholt werden können.

In diesem Jahr war der BIB-Stand um eine Attraktion reicher: Die New Pro-fessionals organisierten und betreuten eine Fotobox. Unter dem Motto »Dies ist was wir teilen« sind zahlreiche tolle Fo-tos entstanden, die auf Facebook einge-sehen werden können. Im Laufe der fünf Tage wurden neben den vielen Fotos

auch viele Gespräche, vor allem Bera-tungsgespräche, geführt. Themen wa-ren unter anderem die persönliche und berufliche Entwicklung oder mögliche Berufsperspektiven.

In diesem Jahr war der BIB-Stand um eine Attraktion reicher: Die New Pro-fessionals organisierten und betreuten eine Fotobox.

Wichtig war auch der Austausch mit der Zielgruppe. So wurden Gespräche mit zahlreichen Auszubildenden und Stu-dierenden geführt, in denen es um Er-fahrungsaustausch und Erwartungen an den Berufsverband ging.

Samstags fand der von den New Pro-fessionals organisierte Hotspot statt. Dieser war ein guter Einstieg in das kom-mende BIB-Jahresthema »Personal«,

denn thematisch ging es um das Thema Bewerbungen und Steffi Burkhard refe-rierte über das Thema Generation Y. Sie hat Sportwissenschaften an der Deut-schen Sporthochschule Köln studiert und dort auch im Bereich Gesundheits-psychologie promoviert.

Wenn sie nicht für die New Professi-onals auf der Bühne steht, berät sie Un-ternehmen zu Themen wie Gewinnung und Bindung der jungen Generation, moderne Ansprüche an Arbeit und Zu-sammenarbeit, Führungs- und Manage-mentkompetenzen der Zukunft. Ein tol-ler Vortrag, der die vielen Zuhörer mit einem anderen Blick auf die junge Ge-neration schauen ließ.

Marcel Testroet (Vorstand LG NRW, New Professionals), Franziska Weber (New Professionals), Michele Wegner (Vorstand LG Berlin, New Professionals)

AUS DEM BERUFSVERBAND KOMMISSIONEN

So finden Sie Ihre Mit-gliedsnummer: Schauen Sie auf die Rückseite des gedruckten BuB. Auf dem Postetikett ist sie zu sehen.

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SUMMARY

Provenance Research and Restitu-tion / Books Looted by Nazis at the State and University Library of Hamburg (Anna von Villiez)(pp. 732 – 737)

At the Carl von Ossietzky State and Univer-sity Library (SUB HH) in Hamburg hundreds of volumes plundered by the Nazis have stood on shelves since the end of World War Two, bearing witness to the forced emigration or murder of their rightful owners. Parallel to the general mood which predominated in Germany in the post-year wars, the SUB HH long avoided taking a look at its responsibi-lity for this legacy. When requests for resti-tution began to arrive shortly after the end of the war from the families affected, the library reacted with delaying tactics and dismissive answers. The chief concern after 1945 was to begin the much needed reconstruction, since large parts of the collections had been dest-royed in the war-time bombings, in which the library had been especially hard hit. Another decisive factor was the generally defensive position taken during discussions about the library‘s own role during the Nazi regime. For nearly a decade now, the SUB HH has been involved in provenance research and cont-inues to search the collections for questio-nable holdings.

In the meantime there have been 25 ca-ses of restitution involving over 600 volumes which could be returned to the heirs of the rightful owners. The families have reacted in a variety of ways, usually very emotionally. Of-ten the biographical research conducted by the SUB HH has sparked a renewed interest in a family‘s own history. And this might also in-volve a painful process of remembrance. But the return of the plundered books has a high symbolic value for those families. The exprop-riation of a family‘s cultural possessions was tantamount to the theft of important memo-ries and family history. In order to continue to remember the improper accession of loo-ted books, the SUB HH has decided to retain the bibliographic entries in their catalogue. The provenance notation now indicates res-titution of the respective book to its rightful heirs.

BibScouts – the Mobile Information Service at the University of Würzburg Library / Ro-ving Scouts Take Load Off Information Desk – Assistance with Photocopiers, Printers, and Scanners (Franziska Borkert)(pp. 774 – 777)

Since the winter semester 2014/2015 the university library (UB) in Würzburg has been employing BibScouts in the main library. These are student assistants who help library users – primarily other students – with pho-tocopying, printing, scanning, and even fin-ding books. The BibScouts do not have a fixed location, but move about as needed. They are recognizable in their blue vests with the uni-versity crest and the words »Questions? I‘m happy to help« on their backs. Employed only when classes are in session, the BibScouts are a valuable supplement to the library staff based at the information desk.

After four successful semesters of ope-ration, the university library can ascertain that the service has been well-received. It is quite clear that the trained library staff is being relieved of dealing with basic techni-cal issues. The result of two staff surveys which have been conducted since the ser-vice was introduced have confirmed their usefulness. The surveys also highlighted the good relations and helpful interactions bet-ween staff and the BibScouts. As a result of this successful service, the library hopes to see an increase in user satisfaction because help and support can be found whenever and wherever it is needed. Use of this service is especially heavy at the beginning of each se-mester, and declines slowly as the semester proceeds; then, as end-of-semester exami-nations approach, the need for support, espe-cially with the photocopiers, again increases.

A Role Model for Libraries? The Transpa-rent Museum at the Kunsthalle Hamburg (Andrea Kasper)(pp. 778 – 781)

As part of its modernization process, Ham-burg‘s Kunsthalle has created a »Transparent Museum« which serves to make the work of the museum more visible and understanda-ble to its visitors. Could this also be applied to libraries? What form could this take, and what advantages would it offer?

Surely it would be worthwhile making the library profession‘s own activities more transparent and comprehensible to outsi-ders. It would also provide an opportunity to shift greater attention to and establish a spe-cific framework for a presentation the profes-sion‘s services and competencies – such as library pedagogy – to library users, coopera-ting partners, and funding agencies. Unlike in libraries, this is a perfectly normal area of ac-tivity in cultural institutions such as theaters and museums.

Perhaps the Hamburg model could be ap-plied to libraries in the near future. Recently built libraries and renovated libraries (e.g., Stuttgart, Hanau) give cause for an optimi-stic outlook. Not only have these building projects led to a re-positioning of the insti-tution, but also allowed space for new kinds of activities. Naturally the allocation of per-manent space for a »glass« library might, at first glance, involve giving less room to the le-arning and meeting areas of the library. Ul-timately the space available is often limited and every centimeter even fought over.

Nonetheless a transparent library would offer a good chance for informing users about library operations, for initiating discussions, and for presenting the library as a compa-nion and supporter of the everyday concerns and interests of its users. This could, in turn, strengthen the image of the library as an ins-titution which supports their cultural, educa-tional, and leisure-time activities. It under-pins the hope that the city‘s residents will see even more value in their library and become even more enthusiastic about the library‘s wide range of services and activities.

Translated by Martha Baker

Summary

791BuB 68 12/2016

RÉSUMÉ

Enquêter sur les provenances et restituer / Spoliations du national-socialisme à la Bib-liothèque universitaire d’État de Hambourg (Anna von Villiez )(pp. 732 – 737)

Dans les magasins de la Bibliothèque uni-versitaire d’État de Hambourg Carl von Os-sietzky (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, SUB HH), des centaines de volumes spoliés témoignent depuis la fin de la guerre des expulsions et des assassinats de leurs propriétaires légaux. Dans la droite ligne de l’ambiance générale qui prévalait dans la Ré-publique fédérale de l’après-guerre, la Biblio-thèque universitaire d’État a longtemps évité de se confronter à la responsabilité qui lui in-combe par cet héritage. Peu de temps après la fin de la guerre, lorsque des demandes de restitution furent formulées par les famil-les dépouillées, la bibliothèque a temporisé voire les a éconduites. Juste après 1945, cette posture était dictée notamment par le souci de la reconstruction à la suite des de-structions massives des collections causées par les bombardements dont la bibliothè-que avait été particulièrement victime. Cette posture était également dictée par un méca-nisme défensif très partagé à ce moment-là face à la responsabilité du passé national-so-cialiste. Depuis près d’une décennie, des en-quêtes sur la provenance sont diligentées à la bibliothèque et des recherches sont menées sur les fonds documentaires concernés.

Avec 25 restitutions, ce sont près de 600 ouvrages qui ont pu être rendus aux ay-ants-droits ou héritiers légitimes. Les réac-tions des familles face à ces livres restitués sont diverses, mais s‘avèrent la plupart du temps très émouvantes. Souvent, les recher-ches menées par la bibliothèque sur la bio-graphie des propriétaires suscitent un regain d’intérêt des héritiers pour leur propre his-toire familiale. Cela peut être parfois un pro-cessus douloureux. La restitution des ouvra-ges recèle une forte portée symbolique pour les familles concernées. La spoliation de bi-ens culturels a eu une signification compa-rable pour les victimes que les vols de bi-ens et de souvenirs de famille. Pour conser-ver le souvenir de l’appropriation illégale de ces livres spoliés, la Bibliothèque universi-taire d’État a décidé de maintenir les notices des ouvrages restitués dans le catalogue. Une mention de provenance indique la restitution du livre à l’ayant-droit légitime.

BibScout – le service d’annuaire électronique mobile de la Bibliothèque universitaire de Wurtzbourg / Un allègement de la charge de travail des interlocuteurs en salle de lecture (Franziska Borkert)

(pp. 774 – 777)

Depuis le premier semestre de l‘année uni-versitaire 2014/15, la Bibliothèque univer-sitaire de Wurtzbourg a introduit le service baptisé BibScout au sein de la bibliothèque centrale. Ce service regroupe des vacataires étudiants qui accompagnent les usagers de la bibliothèque – principalement des étudi-ants – dans les opérations de photocopiage, de numérisation ou dans la recherche d‘ou-vrages. Les BibScouts – c‘est-à-dire ces va-cataires – ne sont pas positionnés en un lieu particulier ; au contraire, ils interviennent di-rectement là où leur aide est sollicitée, là où se trouvent les appareils de reproduction, les ordinateurs, les stations de numérisation et dans les salles de lecture. Ils sont par ail-leurs reconnaissables à leur gilet bleu port-ant dans le dos un logo de la BU de Wurtz-bourg et la mention »Des questions ? Je suis là pour vous aider !«. Les BibScouts, qui n‘in-terviennent qu‘en période de cours, complè-tent par leur présence les équipes professi-onnelles à la banque d‘accueil.

Après quatre semestres de fonctionne-ment du service BibScout, il paraît évi-dent que le concept est désormais installé et que cette offre s‘est imposée. Quand les BibScouts sont présents, les agents spéci-alisés sont manifestement déchargés des questions pratiques concernant les photoco-pies, l‘impression et la numérisation. C‘est ce que confirme également les résultats de deux questionnaires diffusés auprès de agents à la suite de l‘entrée en fonction des BibScouts. En outre, ces enquêtes ont mis en évidence la qualité de la collaboration et des échan-ges avec les vacataires étudiants. Avec cette offre supplémentaire de renseignement et in-dépendamment du guichet traditionnel d‘in-formation, la bibliothèque escompte une plus grande satisfaction des usagers, puisque le conseil et l‘accompagnement se situent da-vantage là où les besoins sont criants.

Un modèle pour les bibliothèques ? / Le musée transparent de la Kunsthalle à Hambourg (Andrea Kasper)

(pp. 778 – 781)

Dans le cadre de sa démarche de modernisa-tion, la Kunsthalle de Hambourg a aménagé un »musée transparent«. Plusieurs salles ont été agencées de telle manière que le tra-vail du musée est rendu visible pour les vi-siteurs avec une approche pédagogique et muséographique. Cette démarche peut-elle être également un modèle pour les bibliothè-ques ? A quoi cela pourrait-il ressembler et quels en seraient les avantages pour les bi-bliothèques ?

L‘exigence de rendre plus lisible et plus visible le travail accompli aux yeux de person-nes extérieures est sans aucun doute méri-toire. La démarche permet aussi de rendre durablement compréhensibles et concrètes auprès des partenaires, des usagers et des financeurs la nature même du travail qui est mené, les compétences acquises dans le do-maine de la médiation. A l‘inverse des bib-liothèques, ce champ de réflexion professi-onnelle s‘impose de lui-même dans les aut-res institutions culturelles comme les théât-res ou les musées.

Peut-être les projets hambourgeois pour-ront-ils être dupliqués à moyen terme dans les bibliothèques. Les récentes construc-tions ou restructurations (Stuttgart, Hanau, etc.) témoignent de façon optimiste qu‘il ne s‘agit pas seulement de réaliser des bâti-ments mais bien de rendre possible de nou-veaux positionnements et de moduler les dif-férents espaces. Bien évidemment, dans une bibliothèque entièrement vitrée, les surfaces déployées, notamment pour les fonctions de lieu d‘apprentissage ou de rencontre, ne pourraient qu‘être réduites. Or, les surfaces sont généralement très contraintes et il faut se battre pour chaque centimètre carré.

Néanmoins, une bibliothèque transpa-rente constituerait une chance de mieux pré-senter et de mieux informer sur les missions, d‘expliciter et de se positionner comme ac-compagnateur du quotidien des individus. Cela consoliderait le rôle de la bibliothèque comme établissement de formation, de cul-ture et de liberté (selon la nature de la biblio-thèque et ses missions).

Traduit par David-Georges Picard

Résumé

792

KONTAKT / INSERENTENVERZEICHNIS

In diesem Heft inserieren:aISItecI angewandte Systemtechnik GmbH, Berlin,

Seite 781

BiblioMondo GmbH, Köln, Seite 737

DABIS.com, A-Wien, Seite 725

datronic IT-Systeme GmbH & Co. KG, Augsburg, Seite 777

ekz.bibliotheksservice gmbH, Reutlingen,

2. Umschlagsseite

Missing Link, Intern. Versandbuchhandel, Bremen,

Seite 721

OCLC GmbH, Oberhaching, Titelseite

Peter Haase e.K., Zirndorf, Seite 765

Schulz Speyer AG, Speyer, Seite 716

Telelift GmbH, Maisach, Seite 749

WBG – »Wissen verbindet«, Darmstadt, Beilage

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