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Eigenständiges Problemlösen. Zum Umgang mit Schwierigkeiten beim individuellen undpaarweisen Lösen mathematischer Problemgeschichten — Theoretische Analyse und empirische Erkundungen

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Page 1: Eigenständiges Problemlösen. Zum Umgang mit Schwierigkeiten beim individuellen undpaarweisen Lösen mathematischer Problemgeschichten — Theoretische Analyse und empirische Erkundungen

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Rita Stehler

Eigenständiges Problemlösen. Zum Umgang mit Schwierigkeiten beimindividuellen undpaarweisen Lösenmathematischer Problemgeschichten ­Theoretische Analyseund empirische Erkundungen

Dissertation an der Philosophischen Fakultät I der UniversitätZürich

Ausgehend von Unterrichtserfahrungen (Kap. I), die zeigen, dass Schülerinnen undSchüler mit Schwierigkeitenbeim Lösen mathematischerTextaufgabenoft nicht produk­tiv umgehen, werden Ansatzpunkte zur Förderung des eigenständigenProblemlösens auskognitiver, metakognitiver und interaktionistischer Perspektive erörtert und anhand derfolgendenFragestellungempirischerkundet:

Gibt es Unterschiede in bezug auf das Wahrnehmen, Diagnostizieren und Beheben vonSchwierigkeiten in Abhängigkeit davon, ob Schülerinnen und Schüler der Sekundar­stufe I mathematischeProblemgeschichten in Einzel-oder Partnerarbeitlösen?

Im Kapitel Problemläsen (Kap. 2) wird auf der Grundlage eines erweiterten, kognitions­pychologischenLembegriffs der unterrichtliche Einsatzherkömmlicher Textaufgaben hin­terfragt und für authentischereProblemstellungen plädiert. Eine Variantesind Problemge­schichten mit Ernstcharakter. Es handelt sich dabei um semantisch reiche, arithmetischeTextaufgaben mit komplexer mathematischer Struktur, die auch lösungsirrelevante In­formationen enthalten. Um solche Aufgaben richtig zu lösen, müssen die Schülerinnenund Schüler eine differenzierte mentale Repräsentation der beschriebenen Situation auf­bauen und diese via mathematisches Problemmodell zur Lösungsgleichungabstrahieren.Bei diesen sprachlich-sachlichen und mathematischen Verstehensbemühungen könnenSchwierigkeiten auftreten.Aus der Perspektive der Metakognitionsforschung (Kap. 3) sind Schwierigkeiten wahrge­nommene Pannen der Informationsverarbeitung. Diese selbst generierte Rückmeldungenberuhen auf mehrdimensionalen Ist-Sollwert-Vergleichen und lösen optimalerweise Pro­blemlöseverhalten aus, das dazu dient, die Ursache der Panne zu diagnostizieren und lö­sungsgeflihrdende Störungenzu beheben.Eine gut dokumentierte Fehlerquelle sind Unzu­länglichkeiten beim Wahrnehmen von Schwierigkeiten. Sie werden im Rahmen des Feh­ler-Entdeck-Paradigmas auf die Anwendungsinguläreranstatt multiplerGütemasstäbe beider Verstehens- und Verfahrenskontrolle zurückgeführt,

Mikrogenetische Analysen von Problemlösedialogen aus der Forschungsliteratur zumkooperativen Lernen (Kap. 4) legen die Vermutung nahe, dass erhöhte Selbstaufmerk­samkeit, unverzügliche Rückmeldungen durch den Partner und Diskurse, bei denen dieAussagen begründet werden, zusammen mit partnerschaftlicher Unterstützung bei derStrategieanwendungsich günstig auf das Wahrnehmen, Diagnostizieren und Beheben vonSchwierigkeitenbeim Lösen mathematischer Problemgeschichten auswirkendürften.

Diese Zusammenhänge werden in zwei Untersuchungenerkundet (Kap. 5). In der erstenempirischen Studie (N=IIO) werden Informationen über das Anspruchsniveau und dieParallelität der Problemgeschichten sowie über die Art und die Konsistenz der Falschlö­sungen gewonnen. In der zweiten Studie werden mit 24 Testpersonen der fünften undsechsten Jahrgangsstufezu zwei ZeitpunktenLautdenk-und Dialogprotokolle aufgezeich­net und inhaltsanalytisch ausgewertet. Aus den Ergebnissen dieser Studien (Kap. 6 und7) lassen sich mit Bezug auf die Forschungsfragestellung vier Hauptaussagen ableiten:

(JMD 21 (2000) H. 3/4, S. 328-329)

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Dissertationen/Habilitationen 329

• Beim individuellen Lösen der Problemgeschichten entstehen viele Falschlösungen da­durch, dass die Schülerinnen und Schüler nicht bemerken, dass sie die beschriebeneSituation nicht richtig verstanden haben.

Beim Lösen der Problemgeschichten wurden entweder nicht alle relevanten Angaben be­rücksichtigt, oder es wurde wahlweise eine der drei irrelevanten Grössen in die Gleichungeinbezogen. Die Ergebnisse dieser Falschlösungen wurden mehrheitlich mit Bezug auf dieFrage im Aufgabentext gedeutet, während bei anderen Falschlösungen die Antwort häufigfehlte oder der Bedeutung der Falschlösung entsprach. Aufgrund der Urteile, die nach demLösen abgegeben wurden, überschätzten viele Falschlöser ihr Verstehen.

• Beim Wahrnehmen von Schwierigkeiten unterscheiden sich Einzel- und Partnerarbeitdadurch, dass beim Zusammenarbeiten mehr Schwierigkeiten verbalisiert und wenigerDeutungs- und Mathematisierungsfehler übersehen werden.

Unter beiden Bedingungen wurden die meisten verbalen Hinweise auf Schwierigkeitenbeim Mathematisieren abgegeben, d.h. wenn die Testpersonen versuchten, ihr episodi­sches Situations- und Problemmodell auf sein mathematisches Gerüst zu reduzieren undin Operationen umzusetzen. Es resultierte somit ein ähnliches Ergebnis wie in verschie­denen Metakognitionsstudien, die zeigten, dass Probanden oft erst bei der praktischenAnwendung bemerkten, dass sie Anweisungen nicht ausreichend verstanden hatten.

• Beim Diagnostizieren besteht der wesentliche Unterschied darin, dass beim paarweisenProblem lösen häufiger Begründungen verlangt und gegeben werden.

Beim individuellen Problem lösen versprachlichten die Testpersonen ihr Unbehagen oderäusserten Vermutungen über die Ursache. Beim Kooperieren entstanden meistens Kontro­versen. In der Regel lehnte der Kritiker die Aussage des Produzenten durch einen Gegen­vorschlag ab. Der Einwand des Kritikers, der in den meisten Fällen richtig war, lösteeinen Diskurs aus, in dem die Interaktionspartner durch rationales und/oder empirischesHypothesentesten nach einer gemeinsamen Sicht- oder Vorgehensweise suchten. Bei die­sem Aushandeln, das sich häufiger auf den Sachzusammenhang als auf die Zahlen derProblemgeschichte bezog, wurde begründet und meistens richtig entschieden. Weiterzeigte sich, dass auch Paare beim Prüfen von Hypothesen häufig nur eine Strategie an­wendeten. Führte diese nicht zum Ziel, akzeptierten sie den irritierenden Sachverhalt.

• Beim Beheben von Schwierigkeiten zeigen sich keine Unterschiede zwischen Einzel-und Partnerarbeiten.

Der primäre Nutzen der Partnerarbeit beim Lösen von Problemgeschichten bestand alsodarin, dass im Vergleich zur Einzelarbeit mehr Schwierigkeiten wahrgenommen und si­tuationsbezogen diagnostiziert wurden. Dies wirkte sich günstig auf die strukturelle, nichtaber auf die rechnerische Qualität der Lösungen aus. Subtile Rechenfehler wurden auchbeim Zusammenarbeiten meistens nicht entdeckt. Zusammenfassend sind Partnerarbeitenein didaktisches Arrangement (Kap. 8), das kombiniert mit systematischer Vermittlungvon Prüfstrategien zur Förderung des eigenständigen Problemlösens beitragen könnte.

Gutachter: Prof. Dr. K. Reusser Promotionsdatum: 4. Dezember 1998

Publikation: Stebler, R. (1999). Eigenständiges Problemlösen. Zum Umgang mitSchwierigkeiten beim individuellen und paarweisen Lösen mathematischer Problemge­schichten - Theoretische Analyse und empirische Erkundungen. Bem: Lang.

Adresse: Rita Stebler, Universität Zürich, Pädagogisches Institut, Aussenstelle Scheuch­zerstrasse 21, CH-8006 Zürich; [email protected]