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Eignung metallischer Werkstoffe für Chemieapparate

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Page 1: Eignung metallischer Werkstoffe für Chemieapparate

Eignung metallischer Werkstoffe fur Chemieapparate*) Von Dr. KURT RICHARD

Farbwerke Hoechst AG, vormals Meister Lxcius & Bruning, Frankfurt (Main)-Hocbst

Die Erorterung uber die Eignung der Konstruktionswerkstoffe wird nachfolgend auf die rnechanischen Eigenschaften beschrankt. Die Bedeutung der Zahigkeitseigenschaften wird hervorgehoben und der Zahigkeitsbegriff kritisch betrachtet. Kraft-Verformungs-Schaubilder fur schlagbeanspruchte gekerbte Probekorper, die rnit Hilfe elektronischer MeO- u n d Anzeigegerate ermittelt wurden, dienen als Grund- lage f u r eine verbesserte quantitative Bewertung der Werkstoffzahigkeit. Eine Betrachtung uber das Festigkeitsverhalten von Stahlen und Nichteisenmetallen bei erhohten Temperaturen schlieOt sich an. Zeit- standfestigkeits- und Zeitdehngrenzenkennwerte aus Versuchen von mehrjahriger Dauer werden

mitgeteilt.

Die Anforderungen an die Werkstoffe fur Chemie- apparate sind sehr vielseitig. Die Konstruktionswerk- stoffe mussen wegen der mechanischen Beanspruchung im Betrieb zunachst eine gewisse Mindestfestigkeit aufwei- sen. Bei der Verarbeitung wird ferner haufig verlangt, daO die Werkstoffe plastisch verformbar sind. Auch wahrend des Betriebes ist oft eine plastische Verformbarkeit not- wendig, damit Zwangsverformungen, die durch Erwar- men oder Abkuhlen entstehen, ohne RiRgefahr ertragen werden konnen. Neben guten mechanischen Eigenschaften wird im Chemiebetrieb meist auch eine gute chemische Bestandigkeit der Konstruktionswerkstoffe gefordert, wo- bei nicht nur Flussigkeiten, sondern auch heiRe Gase den Werkstoff angreifen konnen. Berucksichtigt man noch, daR haufig auch bestimmte physikalische Eigenschaften, wie z. B. gute Warmeleitfahigkeit und ein bestimmter Warmeausdehnungskoeffizient, verlangt werden, so er- kennt man, wie schwierig oft die Auswahl eines geeig- neten Konstruktionswerkstoffes fur Chemieapparate ist.

Wenn im folgenden die Eignung der Werkstoffe fur Chemieapparate erortert werden soll, so mu6 zunachst der Begriff Eignung erlautert werden. Aggressive Chemi- kalien oder hohe Betriebstemperaturen schlieRen gewisse Werkstoffe aus; in diesem Fall ist der Begriff Eignung eindeutig. Daneben gibt es zahlreiche Anwendungsfalle, in denen es eine Ermessensfrage ist, welchen Werkstoff man als geeignet bezeichnen will. Nur selten erfullt ein Werkstoff alle Anforderungen, die an ihn gestellt wer- den. Daher sind Kompromisse erforderlich, die sich meist in einer begrenzten Lebensdauer des Chemieapparates auswirken. Aus Korrosionsgrunden konnen auch sprode Werkstoffe erforderlich werden, die sich im Betrieb durch- aus bewahren, wenn die Apparate werkstoffgerecht ge- staltet wurden. Der Begriff ,,Eignung” 1aRt sich daher sinn- voll nur in Verbindung mit dem Aufwand an konstrukti- ver Gestaltung, Fertigung und Wartung wahrend des Betriebes anwenden, den der Besteller zu tragen gewillt ist.

Wurdigt man diese Einschriinkungen, so ist es reizvoll, gebrauchliche Werkstoffe fur Chemieapparate auf ihre Eignung hin zu untersuchen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sollen nur zwei Problemstellungen aus dem Gebiet der mechanischen Eigenschaften der Konstruktionswerk- stoffe herausgegriffen werden. Es sind dies das Z a h i g- k e i t s v e r h a 1 t e n erschwerten Bedingungen und die F e s t i g k e i t s e i g e n s c h a f t e n bei er- hohten Temperaturen.

Bewertung der Zahigkeit Infolge der Zahigkeit kann der Werkstoff gefahrlos

Zwangsspannungen uberwinden. Wahrend sprode Korper unter dem EinfluR derartiger Beanspruchungen Risse er- leiden konnen, werden beim zdhen Werkstoff die Span- nungshochstwerte durch plastische Verformung abgebaut. Auch an den durch die Formgebung verursachten K e r b -

*) Vortrag, yrhal ten auf dem 88. Dechema-Kolloquium om

unter

10. November 1961 in Frankfurt (Main).

s t e 11 e n treten Spannungsuberhohungen auf, deren AusmaR oft nicht erkannt wird, weil der zahe Werkstoff die Spannungsspitzen rasch auf einen ungefahrlichen Betrag verringert hat.

Die Zahigkeit eines Werkstoffes ist keine unbeeinflua- bare Eigenschaft. Dies macht ihre quantitative Ermittlung und ihre Bewertung im Hinblick auf eine bestimmte Anwendung schwierig. Werkstoffe, die im langsam ausgefuhrten ZerreiRversuch an zylindrischen Proben bei Raumtemperatur ein zahes Verhalten zeigen, konnen sich unter Betriebsbedingungen wie sprode Korper verhalten. Bereits ein mehrachsiger oder ungleichmaRiger Span- nungszustand, wie er an Stellen plotzlicher Querschnitts- anderungen vorliegt, ergibt eine erhebliche B e h i n d e - r u n g p l a s t i s c h e r V e r f o r m u n g e n . Eine Reihe von Werkstoffen zeigt bei Stoabeanspruchung ein gerin- geres Verformungsvermogen als bei langsam gesteiger- ter Belastung. Die Verformbarkeit wird auch von der Temperatur beeinfluRt. Bei tiefen Temperaturen sind viele Werkstoffe schlagsprode, bei einigen vollzieht sich der Wechsel vom zahen zum sproden Verhalten innerhalb eines engen Temperaturbereiches. Bei diesen Werkstoffen spricht man daher von einer .,Hochlage” und einer ,,Tief- lage” der Zahigkeit. Zwischen beiden befindet sich ein Gebiet, in dem ein mehr oder weniger stark ausgepragter Steilabfall der Zahigkeit stattfindet.

Der durch Formgebung und Beanspruchungsart in Gebrauchsgegenstanden bewirkte Spannungszustand ent- spricht nur in den seltensten Fallen den idealisierten Versuchsbedingungen am zylindrischen Probestab. Sind die Festigkeits- und Verformungsreserven eines Werk- stoffes fur einen bestimmten Anwendungsfall gering, so muR die Brauchbarkeitsermittlung den EinfluR der Form und der Beanspruchungsart einschlieaen. In einfacheren Fallen genugt die Prufung von gekerbten Probestaben, in schwierigen Fallen mussen die fur die praktische Anwen- dung vorgesehenen Formteile unter praxisnahen Bedin- gungen untersucht werden. Dies fuhrt schlieDlich zur Er- mittlung der G e s t a 1 t z a h i g k e i t eines Werkstoffes.

Praxisnahe Versuche an Bauteilen sind kostspielig. Die Ergebnisse lassen sich auch nicht auf Teile anderer Gestalt ubertragen. Daher mu6 man bestrebt sein, die Zii- higkeitsprufungen zwar auf einfache Probekorper zu be- schranken, ihnen aber einen moglichst umfassenden Aus- sagewert zu verleihen. Bemuhungen dieser Art sind seit Jahrzehnten im Gange, ohne daD bisher ein befriedigen- der Weg gefunden werden konnte. Die Zahigkeit wird meist unter erschwerten Bedingungen, d. h. bei erhohter Verformungsgeschwindigkeit (Schlagversuch) und an Pro- ben mit ungleichmafiiger Spannungsverteilung (gekerbte Biegeproben) ermittelt. Die Erfahrung hat gelehrt, daR die K e r b e ein wirksames Mittel zur Erzeugung von Tren- nungsbruchen isti). Die Kerbe hat eine mehrfache Wir- kung. Zunachst entsteht bei Beanspruchung des Probe- korpers eine Spannungserhohung im Kerbgrund. Dies hat zur Folge, daR das bei der Verformung beteiligte Werk- stoffvolumen verringert wird. Die Kerbe behindert ferner

Chemie-Ing .-Tedm. 34 Jahrg 1962 ’ Nr L

109

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die Querzusammenziehung der Probe und erzeugt damit einen raumlichen Spannungszustand mit Querzugspan- nungen. Wegen der trennbruchbegunstigenden Wirkung der Kerbe wird der S c h l a g v e r s u c h m i t g e k e r b - t e n P r o b e n auch angewandt, wenn die Werkstoffc fur Bauteile Verwendung finden, die nicht schlagartig bean- sprucht werden. Dies gilt auch fur Chemieapparate. Aller- dings kommt dem Schlagversuch bei der Bewertung von Werkstoffen fur ruhend beanspruchte Bauteile eine an- dere Bedeutung als bei dynamisch beanspruchten Maschi- nenteilen zu. Bei Chemieapparaten interessiert nicht so sehr die ertragbare Schlagarbeit als die unter den er- schwerten Bedingungen no& vorhandene Verformungs- fahigkeit des Werkstoffes2).

Neuerdings fuhrt man die Schlagzahigkeitsversuche auch bei der tiefsten Temperatur aus, bei der ein Bauteil im Betrieb beansprucht wird3). Der als K e r b s c h 1 a g - z a h i g k e i t bezeichnete Kennwert gibt die Arbeitsauf- nahme des Probekorpers bis zur Zerstarung wieder, die aber nicht so sehr von Interesse ist. Eine groRe praktische Erfahrung ist daher notwendig, um aus Schlagzahigkeits- werten Voraussagen uber die praktische Bewahrung eines Werkstoffes fur einen bestimmten Anwendungsfall zu machen. Wegen des groRen Einflusses der Probenform sind einheitliche Abmessungen der ProbekBrper erforder- lich. Dies ist in den Normen berudcsichtigt worden4).

Die Brauchbarkeit der KenngroRen aus derartigen Schlagversuchen ist umstritten. Die ermittelte B r u c h - a r b e i t ist das Integral des Produktes aus Verformungs- weg und Verformungswiderstand. Diesem Integralwert kann man zuna&st nicht ansehen, ob der Werkstoff be- sonders ,,zah" oder besonders ,,fest" ist, solange nicht die Bruchverformung mitberiicksichtigt wirdj). Es ist denkbar, daR zwei verschiedene Werkstoffe, deren Zahigkeiten miteinander verglichen werden sollen, beim Schlagver- such die gleiche Brucharbeit ergeben. Wie die in Abb. 1 und 2 dargestellten Kraft-Verformungs-Schaubilder zei- gen, besitzt aber der Werkstoff A eine etwa doppelt so groae Verformbarkeit wie der Werkstoff B . Noch irre- fiihrender kann der gemessene Wert der Schlagarbeit werden, wenn der Werkstoff eine hohe Festigkeit auf- weist, sich aber sprode verhalt, wie dies in Abb. 3 dar- gestellt wird. Der hier erfaate Werkstoff C zeigt zwar auch eine Verformung und ergibt eine ebenso groRe Brucharbeit wie die Werkstoffe A und B, jedoch ist bei C die Verformung rein elastischer Natur. Man mu6 daher zwischen elastischer und plastischer Verformung und

Verhrmung - WerhloffA

Yeflormung - Yerfirmung --c 1-1 Werks/uff 8 Werksfoff C

Abb. 1 bis 3. Verformung und Verformungsarbeit verschiedener Werkstoffe in schematischer Darstellung, Abb. 1 (links oben) und Abb. 2 (Iinks unten): Werkstoffe mit elastisch-Dlastischem Ver- formungsverhalten, Abb. 3 (rechts): Sproder Werkstoff; Stredte a = elastische Verformung, Strecke b = plastische Verformung. Flache ABC = Gesamtverformungsarbeit, Flache DBC = elasti-

scher Anteil an der Gesarntverformungsarbeit

ebenso zwischen elastischer und plastischer Brucharbeit unterscbeiden; im allgemeinen sind nur die plastischen Anteile bei der Zahigkeitsermittlung von Interesse. Auch bei den zahen Werkstoffen A und B ist ein Anteil an elastischer Brucharbeit vorhanden (vgl. Abb. 1 und 2), der bei der Bewertung der plastischen Verformbarkeit auRer Acht bleiben muR.

Somit gewahrleistet die beim Schlagversuch ermittelte Schlagarbeit keine objektive Bewertung der Werkstoff- zahigkeit. Erst bei Kenntnis der Kraft-Verformungs-Kurve ist ein Urteil uber die Verformbarkeit eines Werkstoffes unter erschwerten Bedingungen moglich. Vor mehreren Jahrzehnten hat man bereits versucht, Kraft-Verformungs- Kurven beim StoDversuch a u f ~ u n e h m e n ~ , ~ ) . Die damals verwendeten MeRgerate fuhrten aber nicht zu befriedi- genden Ergebnissen. Erst rnit der Einfuhrung der elektri- schen, insbesondere der elektronischen MeRmittel gelang eine einwandfreie Aufzeichnung des StoRvorganges. In den USA hat man in den letzten Jahren, z. T. mit Forde- rung militarischer Stellen, der Entwicklung von StoB- prufgeraten mit elektronischen Meaeinrichtungen beson- dere Beachtung geschenkt. Eine Reihe interessanter Ver- suchsergebnisse, vor allem fur thermoplastische Kunst- stoffe, wurde bereits v e r o f f e n t l i ~ h t * ~ ~ ~ ~ ~ ) .

Eigene Arbeiten haben das Ziel, die Konstruktions- werkstoffe im interessierenden Temperaturbereich auf ihre Zahigkeitseigenschaften zu untersuchen und Unter- schiede in den Zahigkeitsmerkmalen zu ermitteln. Ein Pendelschlagwerk ublicher Bauart wurde mit elektrischen Kraft- und Weggebern a ~ s g e r u s t e t ~ ) . Diese Geber sind uber Verstarker an einen Kathodenstrahloszillographen angeschlossen. Die Einrichtung ist fur Versuche mit Zug- und Biegebeanspruchung geeignet. Das auf dem Bildschirm erscheinende Kraft-Weg-Diagramm wird automatisch von einer Kamera aufgenommen.

Bisher wurden u n l e g i e r t e u n d l e g i e r t e S t a h l e und einige N i c h t e i s e n m e t a l l e im Biegeversuch auf ihre Zahigkeitseigenschaften untersucht. Bei der Programmgestaltung konnte auf Erfahrungen zu- rudcgegriffen werden, die bei der Stofiprufung von ther- moplastischen Kunststoffen gewonnen wurden, und die hier kurz erlautert seien.

K u n s t s t o f f - F o 1 i e n werden vor allem fur Verpackungs- zwecke verwendet und sind hier meist zweiachsig beansprucht. Prufungen an membranformig eingespannten Folien, die stoR- artig van einem zentrisch angeordneten Dorn durchstoaen wur- den, vgl. Abb. 4 und 5, erbrachten wertvolle Einblicke in den Verformungsablauf"'?) . Bei sehr zahen Folienwerkstoffen kommt es vor, daR die Folie n a b dem AnreiRen noch eine er- hebliche Verformungsenergie his zur volligen Zerstorung auf- nimmt, wie Abb. 6 zeigt5,12). Der Vorgang sei an Abb. 7 naher er- lautert. Zunachst ist mit zunehmender Verformung ein Anstieg der Kraft verbunden. Nachdem der Hochstwert S erreicht ist, sinkt die StoRkraft auf einen niedrigeren Wert ab, der aber wahrend einer langeren Verformungsstrecke annahetnd kon- stant bleibt. Erst bei B wird der Probekorper vollig zerstort. Ermittelt man bei derartigen Werkstoffen lediglich die zur Zer- storung erforderliche StoRarbeit, ohne den Verlauf der Kraft- Verformungs-Kurve zu kennen, so gelangt man zu einer Uber- bewertung. Es ist notwendig, fur die beim StoBversuch ver- brauchte Arbeit eine Unterteilung vorzunehmen, derart, daR die

Abb. 4 und 5 . Membranformige Probekorper aus thermoplasti- schen Kunststoffen nach Zerstorung im Stoflversuch

Abb. 4 (links): Sproder Werkstoff, Abb. 5 (rechts): StoRzaher Werks toff

110 Chemie-Ing.-Techn. 34. Jahrg. 1962 I Nr. 2

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Abb. 6. Kraft-Verformungs-Schaubild einer biaxial beanspruchten membranformigen Folie aus Weichpolyathylen; Verformungs- geschwindigkeit v = 7 m/s, KraftmaDstab K = 4,12 kg, Ver-

formungsmaastab V = 12,4 mm, Foliendidce 3 8 p

DmzI Verformung - Abb. 7. Kraft-Verformungs-Kurve, einer Folie mit groDer Ver- streckung (schematisch). Bei S beginnt die Folie einzureiDen. Ax Arbeitsaufnahme bis zum Beginn des EinreiDens (Nutzarbeit),

AG Gesamtarbeitsaufnahme

5000 ~~

kg

4000 -

3000 -

i Q t e 2000

7000

0 50 700 mm 150 E!zEm Yer/ongemng -

Abb. 8. Kraft-Verformungs-Kurven von Sicherheitsgurten aus verschiedenen Werkstoffen; Gurtlange 1,5 m, Gurtbreite 5 cm, Verformungsgeschwindigkeit 4,3 m/s bei Flachs und 8,8 m/s bei Polyamid und Polyester; elastischer Arbeitsanteil 72 mkg bei

Polyamid und 25 mkg bei Polyester

bis zur beginnenden Folienzerstorung verbrauchte Arbeit als Schadigungs- oder Nutzarbeit AN bezeichnet wird. Das gleiche gilt fur die bleibende Verformung der Folie. Fur die Bewertung der Gebrauchseigenschaften sind vor allem die bis zum ersten AnriD vom Probekorper ertragene bleibende Verformung und die Nutzarbeit van Interesse.

Eine weitere Beobachtung an Kunststoffen, die im Rahmen der hier erorterten Zahigkeitsprobleme van Interesse ist, wurde bei der S i c h e r h e i t s g u r t e n gemacht13). Diese Gurte werden mehr und mehr in Personen- kraftwagen angewendet. Sie haben die Aufgabe, bei einem Zu- sammenstofl die Wucht, d. h . die kinetische Energie des mensch- lichen Korpers, moglichst mild abzubremsen. Der Gurt sol1 sich hierbei um einen moglichst groDen Betrag plastisch verformen. Er sol1 dagegen moglichst wenig Energie durch elastische Ver- lormung aufspeichern, da er diese nach Beendigung der Vor- wartsbewegung des menschlichen Korpers wieder abgibt, hier- bei den Korper zuriidtschleudert und beim Anprall an die Riik- kenlehne die Gefahr von Genidcbriichen bewirkt. Fur Sicherheits- gurte bevorzugt man heute synthetische Fasern; meist werden Polyester- und Polyamid-Gewebe verwendet. Priift man diese Gurte bei dynamischer Beanspruchung, so ergeben sich fur die einzelnen Gurtwerkstoffe erhebliche Unterschiede 5 ) . Abb. 8 laBt erkennen, daD bei Polyamid mit zunehmender Verformung der Kraftanstieg immer steiler wird, und nach Erreichen des Hochst- wertes federt der Gurt um mehr als die Halfte der erreichten Verformung zuriidc. Er hat demnach einen erheblichen Energie-

S t o D p r ii f u n g v o n

mm Durchbiegung Abb. 9. Kraft-Verformungs-Schaubild van 18/8 Cr/Ni-Stahl beim

Kerbschlagbiegeversuch; DVM-Probe, Prdftemperatur 20 ' C

Bruch

for fgeschrittener Riss

beginnender Riss

unbeanspruchter Probekorper

Abb. 10. Verformung und RiDfortschritt be1 Kerbschlagproben aus 18/8 Cr/Ni-Stahl nach Prufung be1 20 O C

anteil in elastischer Form gespeichert, den er bei Entlastung wieder zuriidcgibt. Anders verhalt sich 'der Polyester-Gurt. bei dem die anfanglich steil verlaufende Kraft-Verformungs- Kurve bald flacher verlauft und einen geringeren Hochst- wert erreicht als beim Polyamid-Gurt. Auch die Riidtfederungs- strecke ist beim Polyester-Gurt betrachtlich kleiner als beim Polyamid-Gurt. Nebenbei sei no& auf das ungiinstige Verhalten eines Gurtes aus pflanzlichen Fasern hingewiesen, der vie1 zu starr ist und daher einen sehr steilen Kraftanstieg bei geringer Verformung zeigt.

Ubertragt man die an Kunststoffen gewonnenen Er- kenntnisse auf die Werkstoffe des Chemieapparatebaues, so gelangt man zu interessanten Ergebnissen. Der be- kannte 18/8 Cr/Ni-Stahl zeigt bekanntlich beim Schlag- rersuch ein gutes Zahigkeitsverhalten. Aus der beim Schlagbiegeversuch bei 20" und bei Verwendung der DVM- Probe aufgenommenen Kraft - Verformungs - Kurve, vgl. Abb. 9, ergibt sich eine Smlagarbeit von 21 mkg/cm2J4). Verfolgt man denVerformungsablauf wahrend des Sddag- versudes genauer, so sieht man, daR die Probe schon bei S einreiRt, aber erst bei B vollig zerstort wird. Abb. 10 zeigt den Verformungsfortschritt und das RiRwachstum der im Schlagversuch gepruften Probekorper. Die mit Awl: in Abb. 9 bezeichnete Flache, die die zur volligen Zersto- rung der Probe erforderliche Energie wiedergibt, mu6 bei der Zahigkeitsbewertung des 18/8 Cr/Ni-Stahles unberudr- sichtigt bleiben. Daruber hinaus muD auch die mit AEl bezeichnete Flache, die der elastischen Verformungsar- beit entspricht, von der gesamten vom Prufgerat ange- zeigten Verformungsarbeit abgezogen werden. Fur die

Chemie-1ng:Techn. 34. Jahrg. 1962 / N r . 2 11 1

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600 r 1

8 20 mrn 25

Durchbiegung

Abb 11 Werkstoff 1818 Cr/Ni-Stahl; Pruftemperatur 20 ' C , DVMF-Probe

I 1

f -

15 rnm 20 Durch bregung

Abb 12 Werkstoff unlegierter Sonderstahl; Pruftemperatur 20 OC, DVM-Probe

Nu tzbare II \ Verformunqsarbeit AN

i Elastische

1 WeiterreiDarbeit A,,

Verformungsarbeit A,, t

"0 5 10 15 20 rnrn 25

I I I I Y

20 rnm 25 0' 0 5 f0 15

umm Durchbiegung

Abb. 14. Werkstoff Kupfer SC-Cu; Pruftemperatur 20 C , D V M - Probe

Durchbiegung

Abb. 15. Werk- stoff unlegierter Sonderstdhl; Pruf-

temperatur

DVM-Probe -75 T,

Abb. 17. Anwendungs- bereich eines unlegierten Sonderstahles bei Bewer- tung seiner nutzbaren Verformungsarbeit. Kerb- schlagbiegeversuch mit

DVM-Probe

1 . . I

0 "C G O O 1

-100' Tempera fur

Abb 16 Elastische Vtxrlorniungsdr- beit, nutzbare Verformungsarbeit u n d WeiterreiRarbeit eines unlegirrlen Sonderstahles bei verschiedenen Tcm- peraturen Kerbschlagbiegevrrsuch mit

DVM-Probe

* . L , . . . . .

0 "C Iw u - -

loo Temperatur

Durchbiegung Abb. 13. Werkstoff unlegierter Sonderstahl; Pruftemperatur zu erkennen ist. In vorliegendem Fdll betragt die elcisti-

20 O C , DVMF-Probe sche Verformungsarbeit mehr als 20°/0 der Gesamtarbeit. Abb. 11 bis 15. Kraft-Verformungs-Schaubilder beim Kerbschlag- Die unterschiedlichen Arbeitsanteile bei verschiedenen

Temperaturen werden in Abb. 16 wiedergegeben. Ordnet biegeversuch

Bewertung des Werkstoffes ist nur die n u t z b a r e V e r- f o r m u n g s a r b e i t A, mahgebend. Sie ist im vorlie- genden Falle um etwa 25O/o kleiner als die gesamte beim StoRversuch verbrauchte Energie A,. Ein ahnliches Ver- halten zeigen auch mildere Kerbformen, Abb. 11. Auch bei einem unlegierten Sonderstahl wurden betrachtliche Unterschiede zwischen der gesamten und der nutzbaren Verformungsarbeit gefunden, Abb. 12 und 13. Im Gegen- satz hierzu zeigt Kupfer bei 20" kein AnreiDen des Probe- korpers wahrend der Verformung, so daR die gesamte verbrauchte Schlagarbeit als Nutzarbeit bezeichnet wer- den kann, Abb. 14. Bei sproderen Werkstoffen tritt der Anteil der WeiterreiRenerqie naturqemaR zuruck, da un-

man die Arbeitsanteile in anderer Reihenfolge ndch Abb. 17 an, so kann fur eine vorgeschriebene Mindest- kerbschlagzahigkeit die untere Grenze des anwendbaren Temperaturbereichs entnommen werden. Nimmt man an, daD fur einen bestimmten Anwendungsbereich einc Min- destkerbschlagzahigkeit von 5 mkgicm? erforderlich ist, so ergibt sich fur den vorliegenden Stahl eine unterste An- wendungsgrenze t , von rd. -50 OC, sofern die nutzbare Verformungsarbeit als BewertungsmaRstab herangezogen wird. Die bisher iibliche Bewertung der Gesamtarbeit ergabe dagegen eine untere Anwendungsgrenze t , von rd. - 75 OC. Die nutzbare Verformungsarbeit ist bei - 75 "C auf etwa 3 mkgicm' abgesunken. - I

mittelbar nach dem AnreiRen die Probe vollig zerstort Auch bei der P r ii f u n g v o n F o r m t e i 1 e n , w 1 e wird. Um so mehr kann aber hier der Anteil der elasti- Schrauben, Zahnrader, Ketten u. a, , kann die Aufndhnie schen Verformungsarbeit an Bedeutung erlangen, wie der Kraft-Verformungs-Kurve bei Schlagbeanspruchung aus Abb. 15 fur den unlegierten Sonderstahl bei - 75 "C von Bedeutung sein. Im Chemieapparatebau wird im Nor-

112

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I I I I I I I

Verianger ung'

Abb. 18. Kraft-Verformungs-Schaubild van Schrauhen bei Schlag- zugbeanspruchung bei 20 O C

malfall die Schraube der Gutegruppe 4D verwendet. Eine derartige Schraube besitzt bei sorgfaltiger Werkstoffaus- wahl und einwandfreier Fertigung trotz der Kerbwirkung des Gewindes auch bei Schlagbeanspruchung eine gute plastische Verformbarkeit, Abb. 18. Eine vergleichsweise geprufte Schraube aus Thomasstahl zeigt dagegen eine geringere plastische Verformbarkeit.

Zeitstandverhalten bei erhohten Temperaturen Wahrend die Streckgrenze und Zugfestigkeit von Stah-

len bei Raumtemperatur praktisch als zeitlich unverander- liche GroRen betrachtet werden konnen, macht sich bei erhohten Temperaturen die Zeitdauer einer mechanischen Beanspruchung mehr und mehr bemerkbar. Oberhalb etwa 350 "C setzt unter dem EinfluR einer ruhenden Bela- stung eine fortschreitende bleibende Verformung ein: der Stahl ,,kriecht", vgl. Abb. 1915). Das Kriechen ernied- rigt die Belastbarkeit des Stahles mit zunehmender Be- lastungszeit. Bauteile aus derartigen Werkstoffen konnen nur fur eine begrenzte Lebensdauer dimensioniert werden. Bei der Festigkeitsberechnung treten an die Stelle der Streckgrenze und Zugfestigkeit die Z e i t d e h n g r e n z e und Z e i t s t a n d f e s t i g k e i tiel. In Abb. 20 ist ein Zeitstandschaubild fur einen mangan-haltigen Stahl dar- gestellt. Der Abfall der Belastungsgrenzen ist bei 450 "C recht erheblich. Die Zeitstandfestigkeit fur 10 000 h betragt nur ein Drittel bis ein Viertel der Kurzzeitfestigkeit. Noch betrachtlicher ist der Abfall der Zeitdehngrenzen mit der Belastungsdauer. Die 0,2n/o-Dehngrenze sinkt nach 10 000 h auf etwa ein Viertel bis ein Funftel des Kurzzeitwertes ab. Derartige Festigkeitsgrenzen interessieren vor allem fur alle sog. warmfesten Stahle, ferner fur manche Hochdruck- stahle und auch fur die zunderbestandigen Werkstoffe. Die Kennwerte werden ublicherweise fur eine Beanspru- chungsdauer von 100 000 h, d. s. 11,4 Jahre, angegeben. Zu ihrer Ermittlung sind Versuchszeiten von wenigstens 20 000 bis 30 000 h erforderlich. Extrapolierte Werte aus Versuchen kurzerer Dauer sind zu ungenau uiid liegen meist zu hoch.

Die Ermittlung der Zeitstandfestigkeit und Zeitdehn- grenzen erfordert einen hohen versuchstechnischen Auf- wand. Die Versuche durfen sich nicht auf die Prufung zy- lindrischer Proben beschranken. Auch gekerbte Proben mussen untersucht werden, um Anhaltspunkte uber die Kerbempfindlichkeit der Werkstoffe nach langer Bela- stungseinwirkung zu erhalten. Fur die praktische Bewer- tung der Werkstoffe mu0 auch das Verhalten von SchweiR- verbindungen bekannt sein. Bei Stahlen hat sich gezeigt, daR das GuRgefuge der SchweiRnaht ein anderes Festig- keitsverhalten oder eine geringere Verformungsfahigkeit als der Grundwerkstoff hat.

Seit 12 Jahren werden in Deutschland in einer Gemein- schaftsarbeit wissenschaftlicher Institute und der Industrie die Langzeitfestigkeitseigenschaften aller interessieren- den w a r m f e s t e n S t a h 1 e ~ntersucht l~ l . Im Rahmen

r81ro1.(91 Beanspruchungsdauer

Abb. 19. Zeitdehnkurven und Bruchdehnungen eines verguteten Stahles mit 1,6lo/o Cr, 1,28O/o Mo und O,lO/o V bei 500 ' C

Abb. 20. Zeitstand-Schaubild fur Mangan-Stahl 14Mn4 (0,15O/o C , 1,04°/o Mn) bei 450 OC

einer weiteren Gemeinschaftsarbeit uber Hochtemperatur- werkstoffe werden auch die zunderbestandigen Stahle, die fur den Chemieapparatebau von groRem Interesse sind, auf Langzeitverhalten geprtift.

Einige eigene V e r s u c h s e r g e b n i s s e fur die Temperaturen 800 bis 1000°C seien als Beispiele mit- geteiltl*). Die Abb. 21 und 22 geben das Zeitstandverhal- ten der hitzebestandigen Stahle XlOCrAl? und XlOCrA118 bei 800 bzw. 900°C wieder. Die Zeitstandfestigkeit der beiden Stahle ist wegen ihres ferritischen Gefugeaufbaus sehr gering, daher kommen sie auch nicht fur hoher bean- spruchte Bauteile in Betracht. Da diese Stahle im Betrieb jedoch mechanische Belastungen ertragen mussen, sei es auch nur durch ihr Eigengewicht, so ist die Kenntnis ihres Langzeitverhaltens von groRem Interesse. Bemerkenswert ist, daR die beiden Stahle bei den gewahlten Pruftempera- turen keine Bruchversprodung zeigen. Die groDen Bruch- dehnungsbetrage zeigen, daR die beiden Stahle bei ru- hender Beanspruchung in dem genannten Temperatur- bereich nicht kerbempfindlich sind.

Abb. 23 gibt das Zeitstandschaubild des austenitischen Stahles X15CrNiSi2012 bei 1000 "C wieder. Die Bruch- dehnungen werden mit zunehmender Bruchzeit allmah- lich kleiner. Die Zeitdehngrenze a,/looo liegt mit 0,15 kg/mm2 betrachtlich unter dem in den Katalogen der Stahl-

Chemie-Ing .-Te&n. 34. Jahrg. 1962 / Nr. 2 113

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Abb. 21.

8 6

4 kglrnrn2

7

m 1 3 0,s 3 0,6 2

0,4

0,2

Q08 0,Ob

m m Belastungsdauer 10' 10' 10' 10' lo3 10' 10' h

Zeitstand-Shaubild fur Stahl XlOCrA17 (6S0/0 Si + Al) be1 800 OC

4 kq/m:

2

1 o.8 0,6

% 0.4 2%

0,2

0,f 0,08

E a 'D -

0,Ob

0,04

Befa5 tungsdauer Abb. 22. Zeitstand-Schaubild fur Stahl XlOCrA118 (lSO/o Cr, 2O/o

Si + Al) bei 900 OC

hersteller angegebenen Mindestwert von 0,4 kg/mm2. Das Verhalten des hitzebestandigen austenitischen GuRwerk- stoffes G-X40CrNiSi2614 bei 1000 "C wird in Abb. 24 dar- gestellt. Die Zeitstandwerte liegen hoher als beim Schmiedewerkstoff X15CrNiSi2012, die Bruchdehnungen sind aber sehr gering. Die wenigen aus einem groDen Prufprogramm entnommenen Beispiele lassen bereits die Bedeutung der Langzeitkennwerte erkennen. Leider sind noch viele Jahre erforderlich, bis wir dem Konstrukteur genugend Zahlenwerte zur Verfugung stellen konnen.

Wahrend bei den Eisenwerkstoffen sowohl von den Erzeugern als auch im Rahmen der geschilderten Gemein- schaftsarbeiten groRe Anstrengungen unternommen wer- den, um Versaumnisse aus fruherer Zeit nachzuholen, liegen die Dinge bei den N i c h t e i s e n m e t a 1 1 e n noch sehr im argen. Fur die bei Chemieapparaten interes- sierenden Werkstoffe Blei, Aluminium, Kupfer, Nickel, Silber, Titan, Tantal u. a. sind bisher zuverlassige Lang- zeitwerte aus Versuchen ausreichender Dauer kaum ver- offentlicht worden. Meist sind bei den Herstellerwerken auch nicht die Einrichtungen vorhanden, um eine aus- reichende Zahl von Versuchen mit extrem langer Dauer durchzufuhren. Es ist zu hoffen, daR auch bei diesen Werkstoffen bald eine Gemeinschaftsarbeit der Erzeuger, Verarbeiter und Verbraucher zustande kommt.

Belastungsdauer Abb. 23. Zeitstand-Schaubild fur Stahl X15CrNiSi2012 (200/0 Cr.

1 9 / 0 Ni, 20/0 Si) bei 1000 OC

Abb. 24. Zeitstand-Smaubild fur StahlguR G-X40CrNiSi2614 (Z6O/o Cr, Id0/, Ni, 1,70/0 Si) bei 1000 OC

Aus eigenen Versuchen sollen einige E r g e b n i s s e uber das Zeitstandverhalten von Nichteisenmetallen fur den Chernieapparatebau bekanntgegeben werden.

In Abb. 25 ist das Zeitstandschaubild fur F e i n b l e i Pb 99,99 bei 20 "C dargestellt. Bereits bei Raumtemperatur ist der Abfall der Zeitstandfestigkeit sehr erheblich. Auch nach langen Bruchzeiten sind die Bruchdehnungen no& sehr groD. Die Zeitdehngrenzen liegen weit unterhalb der Bruchgrenze. Der extrapolierte Wert der 1°/o-Dehn- grenze fur 100 000 h Belastungsdauer betragt 0,l kg/mme. Die haufig an selbsttragenden Bauteilen aus Blei beob- achteten Verformungen und RiBschaden finden hiermit ihre Erklarung. Bei hoherer Temperatur werden die Zeit- dehngrenzen und die Zeitstandfestigkeit noch vie1 be- trachtlicher herabgesetzt.

Abb. 26 zeigt das Festigkeitsverhalten von R e i n - a 1 u m i n i u rn A1 993 bei 200 "C. Wahrend bei Raum- temperatur der Festigkeitsabfall nach 100 000 h kaurn groRer als 2P/o sein durfte, betragt er bei 100°C bereits rd. 5@/0 und steigt bei 200 "C auf 7S0/o an. Die Zeitstand- festigkeit sinkt bei 200 "C von 5,8 kg/mmz fur kurzzeitige Beanspruchung auf etwa 1,4 kg/mm2 nach 100 000 h ab. Die Bruchdehnungen sind nach langen Bruchzeiten verringert.

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Page 7: Eignung metallischer Werkstoffe für Chemieapparate

Belas tungsdauer Abb. 25. Zeitstand-Schaubild fur Feinblei Pb99,99 bei 20 OC

Belastungsdauer

Abb. 26. Zeitstand-Schaubild f . Reinaluminium Al 9 9 3 bei 200 "C

Belastungsdauer

Abb. 27. Zeitstand-Schaubild fur Kupfer C-Cu 99,5 bei 200 OC

die Dehngrenzen verlaufen verhaltnismaBig dicht bei der Bruchgrenze. Eine Belastung von etwa 0,8 kg/mm2 be- wirkt nach 100 000 h eine bleibende Dehnung von lo/&

Fur K u p f e r C-Cu wird ein Zeitstandschaubild fur 200 "C in Abb. 27 wiedergegeben. Der Festigkeitsabfall betragt bei dieser Temperatur nach 100 000 h voraussicht- l i b ?sn/o, bei 300°C sogar mehr als 90010. Die Zeitdehn- grenzen sinken bei 200 "C starker als die Zeitstandfestig- keit ab. Die l"/o-Zeitdehngrenze betragt nach 100000 h etwa 4,5 kg/cm2. Bei 200 "C wird die Bruchdehnung erheb- lich mit der Bruchzeit verringert. Eine Korngrenzen-

Abb. 28. Korngrenzenrisse bei Kupfer C-Cu nach Zeitstand- beanspruhung von 11.9 kg/mm2 bei 200 OC, Beanspruchungszeit

71 h

10 ' 10' 10' 10' lo3 10' 70' h Belastungsdauer

Abb. 29 Zeitstand-Schaubild fur L-Nickel99,5 (0,Olo/oC) bei 4 O O O C

Abb. 30. Korngrenzenrisse bei L-Nickel nach Zeitstandbeanspru- chung von 20 kg/mm2 bei 4OO0C, Beanspruhungszeit 4721 h

aufIockerung ist im Mikrogefugebild schon nach ver- haltnisma5ig kurzer Beanspruchungsdauer zu erkennen, Abb. 28.

Abb. 29 gibt das Zeitstandschaubild fur R e i n n i c k e 1 L bei 400 "C wieder. Der Festigkeitsabfall fur 100 000 h Belastungsdauer durfte etwa 6@/0 betragen. Die Bruch- dehnungen nehmen mit zunehmender Belastungsdauer erheblich ab. Im Gefugebild zeigen sich nach einigen tau- send Stunden zahlreiche Korngrenzenrisse, Abb. 30. Das gleiche Verhalten wird auch bei 500°C beobachtet. Mit Rucksicht auf die niedrigen Zeitdehngrenzwerte muR die zulassige Belastung bei 400 "C auf etwa 7 kg/mm2 be- grenzt werden.

Fur F e i n k o r n s i 1 b e r wird das Zeitstandverhalten bei 200°C in Abb. 31 veranschaulicht. Der Festigkeits- abfall betragt bei dieser Temperatur nach 100 000 h etwa ?so/o. Bei 300 "C sinkt die Zeitstandfestigkeit um etwa 90°/o und bei 400°C um etwa 95O/o ihres Kurzzeitwertes ab. Die Bruchdehnungen nehmen bei 200 "C ebenfalls mit zunehmender Bruchzeit ab. Auch hier ist das Gefuge nach mehreren tausend Stunden durch Korngrenzenrisse auf- gelodcert, Abb. 32. Der Verlauf der lQ/o-Zeitdehngrenze rechtfertigt eine zulassige Beanspruchung von etwa 3,5 kg/mm2.

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Page 8: Eignung metallischer Werkstoffe für Chemieapparate

Abb.

"I " 70.' 10' 70' 10' lo3 70'' lo5 h

Imm Belas tungsdauer 31. Zeitstand-Schaubild fur Feinkorn-Silber halbhart be1

200 oc

Abb. 32. Korngrenzenrisse bei Feinkorn-Silber halbhart nach Zeitstandbeanspruchung von 6,8 kg/mm2 bei 200 O C , Beanspru-

chungszeit 5664 h

Belas tunqsdauer

Abb. 33. Zeitstand-Schaubild fur Reinmagnesium bei 100 OC

Abb. 34. Zeitstand-Smaubild fur Reintitan bei 20 OC

116

kg/rnrn2

20 OI 3 c Y) rn

2 10 8 6

4 10.' 10' 10' 10' f03 10' 10' h

m- ~e ias tungsdauer

Abb. 35. Zeitstand-Schaubild fur Reintitan bei 200 O C

Abb. 33 zeigt das Festigkeitsverhalten von R e i n - m a g n e s i urn bei 100 "C. Das Dehnungsverhalten ist bei dieser Temperatur gut, auch bei 200°C wurde bisher keine Neigung zur Bruchsprodigkeit festgestellt. Die Zeit- standfestigkeit sinkt bereits bei 100 "C um etwa 8@/0 des Kurzzeitwertes ab. Die lQ/o-Zeitdehngrenze durfte fur 100 00 h Belastungsdauer etwa 0,?5 kg/mm2 betragen. Die bisherige Extrapolation ist allerdings noch sehr unsicher.

Schliealich sei in Abb. 34 und 35 das Verhalten von R e i n t i t a n bei 20" und 100 "C geschildert. Uber den Verlauf der Zeitstandfestigkeit sind bisher noch keine Aussagen moglich, damit kann auch no& nicht beurteilt werden, ob nach langen Belastungszeiten eine Neigung zur Sprodbruchigkeit vorhanden ist. Die Zeitdehngrenzen sinken bereits bei 20°C erheblich ab, die zulassige Be- anspruchung darf daher voraussichtlich den Wert von 20 kg/mm2 nicht uberschreiten. Bei 200 "C durfte die zu- lassige Beanspruchung fur 10000 h etwa 10 kg/mm2 be- tragen.

Weitere Versuche mit den Werkstoffen T a n t a 1 und Z i r k o n i u m sind im Gang. Sie konnen aber noch nicht ausgewertet werden, da die bisherigen Versuchszeiten nicht ausreichend sind.

Das gesamte Versuchsprogramm ist aus Tabelle 1 zu ersehen, die den Temperaturbereich der einzelnen Metalle und die in Betracht kommenden Qualitatsgruppen wieder- gibt. Die Versuche werden z. Zt. mit zylindrischen Probe- staben ausgefuhrt. Spater sind Prufungen mit gescbweia- ten, in einigen Fallen auch mit gekerbten Probestaben vorgesehen. Fur die Prufungen werden Vielprobenofen verwendet. Die Dehnungen werden meist an den in regel- maaigen Abstanden ausgebauten und vollig erkalteten Proben gemessen. Abb. 36 zeigt die Prufeinrichtungen fur die Zeitstandversuche in schematischer Darstellung.

Fur die Festigkeitsberechnung von Chemieapparaten fur erhohte Drucke und Temperaturen ist das AD-Merk- blatt B 110) maagebend. Festigkeitskennwerte fur Nicht- eisenmetalle sind im AD-Merkblatt W6I9) niedergelegt, von dem bisher ein Entwurf vorliegt. Einen Vergleich der zulassigen Beanspruchungen fur Aluminium und Kupfer bei

T a b , 1. I n t e r e s s i e r e n d e T e m p e r a t u r b e r e i c h e f u r Z e i t s t a n d v e r s n c h e a n N i c h t e i s e n m e t a l -

l e n f u r d e n C b e m i e a p p a r a t e b a u

Metal1

Blei 99,99 Blei 99,985 Blei 99,9 Cu Aluminium 998 Aluminium 9 9 3 Magnesium Kupfer 9 9 3 L-Nickel Feinkorn-Silber Titan Tantal

Temperaturbereich [ O C I

20 bis 100

50 bis 300

50 bis 250 100 bis 400 200 bis 600 100 bis 400 50 bis 400

100 bis 250

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Page 9: Eignung metallischer Werkstoffe für Chemieapparate

200 "C mit den vorstehend mitgeteilten Zeitstandversuchs- werten enthalt Tabelle 2. Hierbei wurden von den extra- polierten Zeitstandfestigkeiten und Zeitdehngrenzen fur 100 000 h, die Mittelwerte darstellen, nur die 0,8fachen Betrage verwendet, um untere Grenzwerte zu erhalten. Bei Aluminium ergibt sich eine zulassige Beanspruchung von 0,?8 kg/mmz nach AD-Merkbatt W6, wahrend die Langzeitergebnisse nur eine Belastung von 0,68 kg/mm2 rechtfertigen. Auch bei Kupfer liegt die zulassige Bean- spruchung von 2,? kg/mm2 aus der Zeitstandfestigkeit erheblich unter dem Berechnungswert des AD-Merkblat- tes, der 3,?5 kg/mmz betragt. Ahnliche Berichtigungen sind auch bei anderen Temperaturen und Werksloffen zu erwarten. Oh die Ergebnisse der Langzeitversuche mit geschweiRten Proben weitere Bprichtigungen erforderlich machen, mu6 abgewartet werden.

Kupfer sc c u

SD Cu, (99,751

(993) I 15

Abb. 36. Mehrprobenofen fur Zeitstandversuche mit metallischen Probestaben bei erhohten Temperaturen. a Probestabe, h Be- lastungsfedern, c Kraftrudtfuhrungsrohr, d elektrische Heizung,

e Warmeisolierung

T a b . 2. Z u l a s s i g e B e a n s p r u c h u n g v o n R e i n - a l u m i n i u m u n d K u p f e r b e i 2 0 0 " C n a c h A D - M e r k b l a t t e r n u n d a u f G r u n d v o n Z c i t s t a n d -

v e r s u c h s w e r t e n

4

Langzeitwerte zulsssige 1

i I

+) AD-Merkblatt W6 (Entwurf Marz 1960) ++) AD-M,erkblatt B1 (August 1959)

Zusammenfassung Im Chemieapparatebau wird eine groDe Zahl von

Werkstoffen mit sehr verschiedenartigen Festigkeits- und Zahigkeitseigenschaften verarbeitet. Bei der Auswahl die- ser Werkstoffe mu6 sowohl die chemische als auch die mechanische Beanspruchung berucksichtigt werden, wobei zu beachten ist, daR das Werkstoffverhalten bei Betriebs- beanspruchung oft noch nicht genugend bekannt ist.

Bei den mechanischen Eigenschaften bestehen meist sehr unklare Vorstellungen uber die Zahigkeitseigen- schaften der Werkstoffe. Die Bewertung der Zahigkeit

auf Grund der im Schlagversuch gemessenen ,,Kerbschlag- zahigkeit" ist oft unbefriedigend, weil diese Kennwerte auBer der plastischen Verformungsarbeit auch elastische Anteile enthalten. Ermittelt man beim Schlagversuch die Kraft-Verformungs-Kurve des Probekorpers, so lassen sich die elastischen von den plastischen Vei-formungs- anteilen trennen. Daruber hinaus zeigt sich, daB auch die plastische Verformungsarbeit bei zahen Werkstoffen nicht immer voll genutzt werden kann, weil die Probekorper schon wahrend der Verformung. einreifien und bis zur volligen Zerstorung noch eine betrachtliche Verformungs- arbeit aufnehmen. Die bis zum ersten AnriB verbrauchte plastische Verformungsarbeit wird als ,,nutzbare Verfor- mungsarbeit" bezeichnet. Die Unterschiede zwischen der nutzbaren und der gesamten im Schlagversuch gemesse- nen Arbeit werden fur verschiedene metallische Werk- stoffe quantitativ angegeben. Die nutzbare Verformungs- arbeit gewinnt in den Fallen an Bedeutung, in denen eine geforderte Mindestschlagzahigkeit vom Werkstoff gerade no& erfullt wird und der Konstrukteur die GewiBheit haben mochte, daB die gemessenen Zahigkeitswerte wirk- lich das Zahigkeitsverhalten zum Ausdruck bringen.

Neben der Bewertung der Werkstoffzahigkeit inter- essiert ,den Verbraucher das Festigkeitsverhalten der Werkstoffe bei erhohten Temperaturen. Ruhende Bean- spruchungen bewirken ein fortschreitendes FlieRen, das die Festigkeitseigenschaften zeitabhangig werden 1aRt. Fur einige hitzebestandige Stahle und fur verschiedene Nichteisenmetalle werden Zeitstandschaubilder mitgeteilt. Die wirkliche Belastbarkeit von Aluminiium und Kupfer bei 200°C ist niedriger als die in den AD-Merkblattern angegebenen Berechnungskennwerte. Die Weiterfuhrung der Zeitstandversuche auf breiterer Grundlage erscheint

Eingegangen 28. November [B 14031 dringend geboten.

Literatur

I ) R. Mailander in: Handbuch der Werkstoffprufung, Bd. 2, S. 137, Berlin 1939.

*) K. Richard, diese Ztschr. 33, 1/12 [196l]. W. Grein, diese Ztschr. 33, 739/43 (196ll.

4, DIN 50115, Kerbschlagbiegeversuch. s, K. Richard, Kunststoffe 51, 645/54 [1961]; di,eser Arbeit sind

die Abbildungen 1 bis 3, 7 und 9 entnommen. fi) A. PCrot. C. R. hebd. SQances Acad. Sci., 137, 1044 [1903]. ?) W. I < . Hotf, Proc. Amer. SOC. Testing Mater. 4, 282 [1904]. 4, H. F . Schiefer, J. C. Smith, F. L . McCrackin u. W. K . Stone,

Symposium on Impact Testing, presented at the Fifty-eighth Annual Meeting, Amer. S O C . Test. Mat. Atlantic City, N. Y., Juni 1955 (ASTM Special Techn. Publ. No. 176).

*] High Speed Testing, Ed. 1. A Symposium held at Boston Massachussets, 8. Dez. 1958, New York 1960.

10) Bericht uber das zweite Symposium uber ,,High Speed Te- sting" in J. Appl. Polymer Sci. 4, 257/331 [1960].

11) H. Grimminger, Kunststoffe 50, 491/99 [1960], vgl. Ref., diese Ztschr. 33, 119 [19611.

12) H . Grimminger, Kunsfstoffe 50, 618/22 [1960]. l3 ) Die Versuche wurden von Dr. H . Reiner von der Farbwerke

Hoechst AG., ausgefuhrt. (Vgl. auch 5 ) ) .

14) Die Versuche wurden von Dip1.-Ing. W. Thiessen von der Hoechst AG., ausqefuhrt. (Vgl. auchs)).

15) A. Thum u. K . Richard, Arch, Eisenhuttenwes. 28, 325/37 [1957]. A. Thum u. K. Richard, Z. Ver. dtsch. Ing. 87, 513/20 (19431. Verhalten warmfester Stahle im Langzeit-Standversuch bei 500 bis 700°C, Teil I: H. Reiner, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 247/52 [!957]. Teil 11: G. Bandel u. H . Gravenhorst, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 253/58 119571. Teil 111: E . Jahn, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 259/67 [1957]. Teil IV: H. Holdt U. P. Griin, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 269/85 (19571. Teil V: K. Bungardt, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 287/304 (19571. Teil VI: A. Krisch, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 305/101 [19571. Teil VII: M. Hempel, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 311/16 [1957]. Teil VIII: R. Schinn u. W. Ruttmann, Arch. Eisenhuttenwes. 28, 3171'23 [1957].

la) Die Versuche wurden von Dr. H . Reiner und Ing. H. Perthes von der Farbwerke Hoechst AG. ausgefuhrt.

I*) AD-Merkblatter, herausgeg. von der Vereinigung der Techn. Uberwachungs-Vereine e. V., Essen.

17)

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